Wolke des Nichtwissens

und

Brief persönlicher Führung

Der Klassiker der Kontemplation

Übertragen von Willi Massa

Mit einer Hinführung
von Willigis Jäger

Nachwort von Bernhard Uhde

Impressum

Titel der Originalausgabe: Wolke des Nichtwissens und Brief persönlicher Führung

Der Klassiker der Kontemplation

Band 5 der »Schriftenreihe West-Östliche Weisheit – Willigis Jäger Stiftung«

Herausgeber: West-Östliche Weisheit – Willigis Jäger Stiftung

© KREUZ VERLAG in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012

© KREUZ VERLAG in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

E-Book-Konvertierung: epublius GmbH, Berlin

ISBN (E-Book): 978 - 3-451 - 80462-5

ISBN (Buch): 978 - 3-451 - 61075-2

Inhalt

Vorwort
von Willigis Jäger und Bernhard Uhde

Spirituelle Hinführung
von Willigis Jäger

Buch der Kontemplation
genannt
Wolke des Nichtwissens,
in der der Mensch eins wird mit Gott

I. Struktur der Kontemplation

1. Kapitel – Entwicklungsstufen des christlichen Lebens

Die vier Stufen christlichen Lebens, auf denen Gott den Menschen zur Vollendung führt, und über die Art der Berufung zum kontemplativen Leben dessen, für den dieses Buch geschrieben wurde.

2. Kapitel – Ungeteilte Aufmerksamkeit

Ermahnung zur Demut und zur Übung der Kontemplation.

3. Kapitel – Vergessen der Welt, Versinken in Hingabe

Wie man die Übung beginnen soll und weshalb sie besser ist als alle anderen geistlichen Übungen.

4. Kapitel – Reine Gegenwärtigkeit

Die Übung vollzieht sich außerhalb der Zeit und gelingt nicht mit gedanklichem Begreifen noch mit Vorstellung.

5. Kapitel – Alles Vergessen

In der Kontemplation müssen alle geschaffenen Dinge und was mit ihnen zusammenhängt unter der »Wolke des Vergessens« verschwinden.

6. Kapitel – Liebe allein kann erkennen

Kurze Darlegung, was Kontemplation ist.

7. Kapitel – Die störenden Gedanken

Wie man sich während der kontemplativen Übung verhalten soll, wenn Gedanken einen ablenken, die Ausdruck von Wissbegier sind oder einfach von selbst entstehen.

II. Zwei Lebensweisen

8. Kapitel – Das aktive und das kontemplative Leben

Behandlung von Zweifeln, die bei der Übung auftauchen. Wie die Neugier des natürlichen Verstandes überwunden wird und wie sich die Stufen des aktiven und kontemplativen Lebens unterscheiden.

9. Kapitel – Leben im Dunkel des Nichterkennens

Bei der kontemplativen Übung sind selbst die erhabensten Gedanken mehr Hindernis als Hilfe.

III. Versuchung und Schuld

10. Kapitel – Unterscheidung

Woran man erkennen kann, ob das eigene Denken eine Sünde ist, und falls ja, wann eine lässliche und wann eine schwere.

11. Kapitel – Kontrolle der Gedanken

Jeder Gedanke und jeder Impuls sollen aufmerksam geprüft werden. Nachlässigkeit bei lässlichen Sünden ist zu vermeiden.

IV. Die Maßstäbe der Selbsteinschätzung

12. Kapitel – Wirkung der Kontemplation

Kontemplation tilgt die Neigung zum Bösen und entwickelt die Grundqualitäten wahren Menschseins.

13. Kapitel – Wahre Selbsteinschätzung

Worin besteht rechte Selbsteinschätzung, die relative und die absolute?

14. Kapitel – Demut als Weg zu wahrem Selbstbewusstsein

Die unvollkommene Demut ist Tor zur vollkommenen.

15. Kapitel – Gottesbewusstsein als Quelle wahren Selbstbewusstseins

Wahre Demut erwächst nicht aus dem Erkennen der eigenen Schwäche und Kleinheit. Dies ist ein großer Irrtum.

16. Kapitel – Liebe tilgt die Sünde

Ein wahrhaft bekehrter und zur Kontemplation berufener sündiger Mensch kommt durch das Üben der Kontemplation eher zur Vollkommenheit als durch irgendein anderes Tun. So wird er auch von Gott am schnellsten die Vergebung seiner Sünden erhalten.

V. Der hohe Rang kontemplativen Lebens

17. Kapitel – Maria und Martha: kontemplativ und aktiv

Ein wirklich kontemplativ lebender Mensch kümmert sich nicht um das aktive Leben. Er beschäftigt sich auch nicht mit dem, was um ihn vor sich geht oder was man über ihn sagt. Er hält es auch nicht für nötig, die Vorwürfe seiner Gegner zu entkräften.

18. Kapitel – Verdacht des faulen Nichtstuns

Bis heute beklagen sich die Tätigen über die Kontemplation wie damals Martha über Maria. Unwissenheit ist der Grund.

19. Kapitel – Kritik aus Unwissenheit

Die Kontemplativen sollten Verständnis für die Menschen im aktiven Leben aufbringen, auch wenn diese sich über ihre kontemplative Lebensweise beschweren.

20. Kapitel – Jesus nimmt seine Freunde in Schutz

Die göttliche Allmacht wird jene verteidigen, die die Übung der reinen Liebeshingabe an ihn nicht unterbrechen wollen, um sich zu rechtfertigen.

21. Kapitel – Der »beste Teil«

Ausführliche Erklärung, was es bedeutet, den besten Teil zu erwählen.

22. Kapitel – Jesus liebt die Sünder

Die staunenswerte Liebe Christi für Maria. Sie steht an Stelle aller Sünder, die wirklich bekehrt und berufen sind zum Gnadengeschenk der Kontemplation.

23. Kapitel – Gott sorgt

Wer nur die Gottesliebe lebt, den wird Gott selbst schützen und selbst für deren Unterhalt sorgen.

VI. Die soziale Dimension

24. Kapitel – Kontemplation und Nächstenliebe

Worin christliche Nächstenliebe besteht und wie sie vollendet in der Kontemplation gegeben ist.

25. Kapitel – Der Kontemplative und seine Mitmenschen

Während der Kontemplation wird alles vergessen, weil es um Gott allein geht. Diese Übung verändert den Menschen so, dass er keinen Unterschied mehr macht zwischen Freund und Feind und jedem nur Gutes tut als Glied am Leibe Christi.

VII. Unser Tun

26. Kapitel – Schwierigkeiten des Beginnens

Ohne längere Praxis oder gnadenhafte Unterstützung ist die Übung der Kontemplation mühevoll. Es wird verdeutlicht, was daran der Anteil des Menschen ist und was allein von Gott bewirkt wird.

27. Kapitel – Aufrichtige Entschlossenheit

Wann und wie man die Übung der Kontemplation beginnen soll.

28. Kapitel – Vorbereitung auf die Übung

Niemand soll die Übung beginnen, ohne vorher sein Gewissen von persönlicher Schuld entlastet zu haben, wie es die Kirche verlangt.

29. Kapitel – Zurückhaltung im Urteil

Wer mit der Übung begonnen hat, soll geduldig darin weiterfahren, ihre Mühe ertragen und über niemanden ein Urteil fällen.

30. Kapitel – Befähigung zum rechten Urteil

Wer die Fehler anderer Leute bewerten und verurteilen darf.

VIII. Umgang mit störenden Gedanken

31. Kapitel – Kontrolle der Gedanken

Wie man sich zu Beginn des kontemplativen Gebetes gegenüber sündhaften Gedanken und Neigungen verhalten soll.

32. Kapitel – Zwei Methoden: nicht beachten – unterwerfen

Methoden für den Anfänger.

33. Kapitel – Durchhalten

Durch die Übung kontemplativer Versenkung werden die Auswirkungen persönlicher Sünden beseitigt. Doch manche bleiben. Man muss sie mit Geduld ertragen.

IX. Gott und Mensch als gemeinsam Handelnde

34. Kapitel – Die Initiative liegt bei Gott

Gott schenkt seine Gnade unmittelbar. Man kann sie durch keine Methode erwirken.

35. Kapitel – Unsere Vorbereitung und Einstimmung

Der Anfänger sollte sich drei Dinge angewöhnen: Schriftlesung, Betrachtung und Gebet.

X. Bündelung der Aufmerksamkeit

36. Kapitel – Methode des »kurzen Wortes«

Wie solche meditieren sollen, die Kontemplation erlernen möchten.

37. Kapitel – Das wesentliche Gebet

Das persönliche Gebet des in der Kontemplation Fortgeschrittenen.

38. Kapitel – Der Schrei aus ganzem Herzen

Warum der kurze Gebetsschrei bis zum Himmel dringt.

39. Kapitel – Der Ruf »Nein« oder »Gott« enthält alles

Wie ein Kontemplativer betet; was Beten eigentlich ist und welche Worte sich am besten dafür eignen, falls man Worte benutzen will.

40. Kapitel – Wie man das »kurze Wort« benutzt

Während der Übung des kontemplativen Betens denkt der Übende weder über Tugenden nach noch über Laster.

XI. Das rechte Maß

41. Kapitel – Rücksicht auf Gesundheit

In allen Dingen gilt es, Maß zu halten, außer in der Übung der kontemplativen Liebe.

42. Kapitel – Maßlosigkeit ist das Maß der Liebe

Wer in der kontemplativen Liebe maßlos ist, findet in allem anderen das rechte Maß.

XII. Der entscheidende Schritt: Vergessen seiner selbst

43. Kapitel – Das Vergessen des eigenen Seins

Jedes Gewahr- und Bewusstsein seiner selbst muss zurückgelassen werden, wenn Kontemplation zu ihrem Ziel gelangen soll.

44. Kapitel – Feuer der Wandlung

Was man tun muss, um das Gewahrsein seiner selbst zu überschreiten.

XIII. Gefahren und Hindernisse auf dem Weg der Kontemplation

45. Kapitel – Überspannte Konzentration

Welche Täuschungen auf dem Weg der Kontemplation entstehen können.

46. Kapitel – Geduld und Gelassenheit

Man soll mit geistigem Verlangen statt mit körperlicher Anstrengung arbeiten.

47. Kapitel – Nüchterne Trunkenheit

Kontemplation vollzieht sich im geistigen Bereich. Daher zeigt man Gott das Verlangen nach ihm anders als einem Menschen.

48. Kapitel – Unterscheidung von Trugbild und wahrem Erleben

Gott will, dass der Mensch ihm mit Leib und Seele dient. Beide werden dafür belohnt. Erklärung, wann das Erleben von Harmonie und angenehmen Empfindungen gut ist und wann schädlich.

49. Kapitel – Menschliche Vollendung liegt in der Willenseinheit mit Gott

Außergewöhnliche Erlebnisse wie Hören überirdischer Klänge, Erleben himmlischer Freude und Süße sind nur Durchgang.

50. Kapitel – Liebe ist alles

Beglückende Erlebnisse erhalten manche selten, manche oft.

XIV. Verstehen und Missverstehen der Weisung

51. Kapitel – Das rechte Verstehen bildlicher Sprache

Was geistig gemeint ist, darf nicht wortwörtlich verstanden werden, vor allem nicht die Worte »nach innen« und »empor«.

Pseudomystik – der falsche Weg nach »innen«

52. Kapitel – Das Missverständnis des »Innen«

Wie ehrgeizige »Anfänger« die Bedeutung von »nach innen« missverstehen und auf Abwege geraten.

53. Kapitel – Verheerende Folgen falscher Innerlichkeit

Abnormes Benehmen der Pseudomystiker.

54. Kapitel – Früchte echter Kontemplation

Wahre Kontemplation führt zu Weisheit, Selbstbeherrschung und angemessenem Verhalten.

55. Kapitel – Anmaßung und falscher Eifer

Wie Eiferer sich täuschen, weil ihnen die Unterscheidung der Geister fehlt.

56. Kapitel – Selbstüberschätzung

Wem Vielwissen und theologische Gelehrsamkeit mehr bedeutet als die allgemein anerkannte Lehre und geistliche Führung der Kirche, irrt sich.

Symbolcharakter religiöser Sprache

57. Kapitel – Zu Gott »empor« ist sinnbildlich zu verstehen

Selbstsichere Anfänger verstehen das Wort »empor« gerne falsch. Daraus entstehen Fehlhaltungen.

58. Kapitel – Wahre Bedeutung geistiger Schauungen

Die Berichte der Visionen des hl. Martin oder Stephanus sind keine Aufforderung, beim Gebet angestrengt zum Himmel zu blicken.

59. Kapitel – Die »Auffahrt Christi« hat Symbolcharakter

Die leibhafte Himmelfahrt Christi soll uns nicht verleiten, beim Gebet die Vorstellungskraft zwanghaft auf den Himmel zu richten.

60. Kapitel – Der Himmel ist nicht »oben«

Nicht mit unseren Füßen, sondern mit der Sehnsucht des Geistes begeben wir uns in den Himmel.

61. Kapitel – Das wirkliche »Empor«

Alles Leibliche ist dem Geistigen untergeordnet und von dessen Ebene her bestimmt, nicht umgekehrt. Das ist ein Naturgesetz.

XV. Der Mensch und seine Erkenntnisstruktur

62. Kapitel – Der Mensch im Universum

Woran jemand erkennen kann, wann sein geistiges Tun sich auf etwas richtet, was seinsmäßig unter ihm steht oder außerhalb von ihm oder auf gleicher Ebene, oder wann es in ihm selbst sich vollzieht im Bereich, der über ihm und unter seinem Gott ist.

63. Kapitel – Der Seelengrund: das Gemüt

Über die Seelenkräfte allgemein und über das Gemüt als Wurzel aller Kräfte insgesamt.

64. Kapitel – Die Hauptkräfte: Verstand und Willen

Wie diese beiden Hauptfähigkeiten arbeiten und wie sie vor und nach der Urtrennung waren.

65. Kapitel – Das Vorstellungsvermögen

Es ist eine untergeordnete Kraft. Was ihre Funktion ist und deren Schwächung durch Verlust der Einheit mit Gott.

66. Kapitel – Die Sinneswahrung

Ihre Funktion und ihre Beeinträchtigung durch Verlust der Einheit mit Gott.

XVI. Entwicklung der geistigen Dimension

67. Kapitel – Fortschreitende Verinnerlichung

Unwissenheit über Funktion und Funktionsbereich der seelischen Kräfte führt leicht zu Missverständnissen bei der kontemplativen Übung und ihrer Darlegung. Und wie die Seele durch Gnade vergöttlicht wird.

68. Kapitel – Totale Versenkung

Vergessen von Raum und Zeit (leiblich »nirgendwo«) führt zum Gewahrsein des Allganzen (geistig »überall«). Für unseren äußeren Menschen ist Kontemplation sinnloses Tun.

69. Kapitel – Das »Nichts«

Wie der innere Zustand eines Menschen sich in unbegreiflicher Weise wandelt, wenn er dieses »Nichts« der geistigen Ebene erlebt und dieses Erlebnis im »Nirgendwo« sich vollzieht.

70. Kapitel – Gott erkennen im »Nichts«

Wie wir durch Schweigen der leiblichen Sinne schnell zum geistigen Erkennen gelangen, so wird durch Schweigen unserer geistigen Sinne (Vorstellungskraft und Verstand) am schnellsten Gott erkannt, soweit dies durch Gnade möglich ist.

XVIII. Verschiedene Zugänge zur Kontemplation

71. Kapitel – Mühevoll und mühelos

Manche Menschen erleben die Tiefe der Kontemplation selten und nur in Zeiten mystischer Ekstase, andere erfahren sie bei normaler seelischer Verfassung, wann immer sie wollen.

72. Kapitel – Der eigene Weg

Kein Kontemplativer sollte einen anderen auf seinem Weg nach dem beurteilen, was er selbst erlebt.

73. Kapitel – Drei Arten, in den Genuss der Kontemplation zu gelangen

Die Bundeslade ist Sinnbild für die Gegenwart Gottes in der Kontemplation. Mose, Beseleel und Aaron hatten unterschiedlich mit der Bundeslade zu tun. Ihnen entsprechend, können wir in dreierlei Weise aus dem Geschenk der Kontemplation Nutzen ziehen.

XIX. Abschluss

74. Kapitel – Ein letztes Wort an den Schüler

Wenn der Inhalt des Buches einem Menschen vorgestellt wird, der eine innere Neigung zur Kontemplation fühlt, wird er sich dazu ermuntert fühlen.

75. Kapitel – Zeichen echter Berufung

Es gibt gewisse Anzeichen, an denen zu erkennen ist, ob jemand von Gott berufen ist, den kontemplativen Weg zu gehen.

Brief persönlicher Führung
Ein Meister unterweist seinen Schüler

I. Der Weg zur Gotteserfahrung

Prolog

Inneres Schweigen als Gebet

Die Einfachheit der Übung

Störende Gedanken

Gib dich ganz hin

Nimm einfach wahr, dass du bist

Das innere Wesen als Tor zu Gott

Die Frucht der Übung und ihre Gefährdung

Klage über den zaudernden Menschen

Erfahrung von Geborgenheit und Kraft

Verstehen nur aus Erfahrung

Der Kern menschlichen Seins: Gottes Sein

Das Selbst-Vergessen

Das wahre Selbst – Unterschied von Sein und Handeln

Betrachtung und Meditation als Vorbereitung

Meditation reift zur Kontemplation

Menschliches und göttliches Wirken fließen zusammen

II. Die Anzeichen der Berufung

Woran man sie erkennt

Zeichen für die Echtheit

Das innere Hoch und das innere Tief

Das Ziel

Die Entscheidung

Die schwierige Einfachheit

Die Mühe lohnt sich

Nachwort
von Bernhard Uhde

Vorwort

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts schreibt ein uns unbekannter Autor bemerkenswerte Werke, so unter anderen die »Wolke des Nichtwissens« und den »Brief persönlicher Führung«. Der Autor schreibt in England und bedient sich der mittelenglischen Volkssprache seiner Zeit. Der Autor ist ungewöhnlich gebildet, zeigt durch Zitate und Anspielungen eine hervorragende Kenntnis der theologischen Tradition und insbesondere der Theorie und Praxis von Kontemplation und Meditation – all dies, um den so schwer in Worte zu fassenden Weg der Mystik zu beschreiben und zu lehren. Der großartigen und umfassenden Darstellung dieses kontemplativen Weges in der »Wolke des Nichtwissens« entspricht der »Brief persönlicher Führung« als genaue Unterweisung des Meisters an seinen Schüler.

Was aber mag uns heute veranlassen, diese Werke zu lesen, ja zu vergegenwärtigen, um aus ihnen zu lernen? Vor allem ist es in bewegter Zeit und den Wechselfällen unseres Lebens wünschenswert, zu innerer Ruhe, zu innerer Freiheit und dadurch zu ruhiger freier Gelassenheit zu kommen, um daraus jene Kraft zu erlangen, die alles Beschwerliche dieser Welt leichter erscheinen lässt. Die beiden Werke sind dafür dienlich, weil deren Inhalt weit über Zeit und Raum der Abfassung hinaus komponiert ist. Wohl bedient sich der Autor christlicher Sprache und Tradition, übersteigt diese aber in Höhen geistigen Erkennens hinein, die viele große mystische Traditionen mancher Religionen zu allen Zeiten und Gegenden zu erschließen suchen. So sind diese Werke dem edlen Diamanten gleich, der dem Unwissenden wie wertloses gebrochenes Glas erscheint, dem Lernwilligen aber zu einem bleibenden, unvergänglichen und unverlierbaren Begleiter auf dem Weg zur Gegenwart wird.

Willigis Jäger

Bernhard Uhde

Spirituelle Hinführung

Von Willigis Jäger

Der Name des Verfassers dieses Buches ist unbekannt, vermutlich war es ein Mönch des 14. Jahrhunderts. Die »Wolke des Nichtwissens« und der »Brief«, wie die Mitteilungen des Schreibers an einen jungen Menschen genannt werden, sind eine klare Einführung in eine transkonfessionelle christliche Mystik.

Die Mystik des Ostens und des Westens versucht die Tiefenschichten der Psyche freizulegen und für eine umfassende Seinserfahrung zu öffnen. Es finden sich Anleitungen zu diesem Weg in praktisch allen Kulturen. Der eigentliche Ausgangspunkt scheinen jedoch die Erfahrungen von Weisen aus dem nördlichen Indien zu sein, die einige Jahrtausende vor Christus zurückreichen. Ob der englische Mönch Kontakt zu diesen Erkenntniswegen hatte, ist unbekannt. Überraschend ist jedoch, dass der Weg, den er lehrt, dem Zen sehr nahe steht. Auch wenn der Schreiber immer wieder das Wort »Gott« gebraucht, so sucht er doch eindeutig über das Personale hinauszugehen. Nur weil diese Schriften lange unbekannt waren und verborgen blieben, sind sie der kirchlichen Verurteilung wohl entkommen.

Der Durchbruch in die transpersonale Ebene führt in allen Konfessionen aus dem intellektuellen Bereich hinaus. Dort gibt es keine Buddhisten, Hindus, Moslem, Christen oder Juden. Dort gibt es auch keine Asiaten, Europäer, Afrikaner oder Amerikaner. Es ist eine Ebene, die Kontinente und Konfessionen übersteigt. Zurückgekehrt aus der Erfahrungsebene, sprechen die Mystiker wieder in ihrer Konfession. Aber die Worte übersteigen alles Dogmatische. Johannes vom Kreuz zeigt das ganz deutlich in einem seiner mystischen Gedichte: »Ich trat ein und wußt’ nicht wo, und ich blieb auch ohne Wissen, alles Wissen überschreitend. Wo ich eintrat, wußt’ ich nicht.«

Der Schreiber der »Wolke« sagt nichts anderes: »Sei nicht überrascht, wenn du den Eindruck hast, diese Gedanken seien heilig und regten dich zum Gebet an. Du entdeckst dich bei Gedanken an Jesu Menschenfreundlichkeit, sein Verzeihen, seine Güte und seine Liebe. Wenn du aber genau hinsiehst, wirst du bald merken, dass sie erreicht haben, was sie wollen. Sie wollen dich ablenken. Sie erinnern dich an Jesu Leiden, dann folgen Vorstellungen über seine große Freundlichkeit. Und deine Gedanken freuen sich, dass du ihnen Gehör schenkst.«

Das ist der Kern der Schwierigkeiten. »Wo immer du bist, was du auch tust und wie du es versuchen wirst, die elementare Wahrnehmung deines nackten Seins steht zwischen dir und deinem Gott. … Die dunkle Wahrnehmung deines nackten Seins wird wie eine Mauer stehen zwischen dir und Gott.«– An anderer Stelle versucht er noch einmal dem Ich zu sagen, dass es ein Hindernis ist. »Ich sagte zwar anfangs: Hülle die Wahrnehmung Gottes ein mit der Wahrnehmung deines eigenen Seins. Du warst eben damals noch geistig ungeübt und unentwickelt. Ich hoffte, es würde dir durch geduldiges Üben zunehmend leichter fallen, bis du schließlich fähig wärest, dein Bewusstsein selbst von der elementaren Wahrnehmung deines eigenen Seins frei zu machen, und dann in einer dir bisher völlig unbekannten Weise zu erfahren, wie Gott, so wie er in sich ist, dich voll Liebe umfängt.«

Mit diesen Worten beschreibt der Verfasser den Kern der Schwierigkeit bei der Kontemplation. Unser Ichbewusstsein ist so mächtig, dass es sich immer wieder in den Vordergrund drängt. Nur wenn es uns gelingt, dieses Ich zurückzunehmen, gelangen wir auf die mystische Ebene. Auch fromme Gedanken und Bilder müssen zurückbleiben. Durch die Mystik verlässt er den konfessionellen Rahmen und öffnet Tiefenschichten, die Ebenen, die hinter unserer Ichaktivität stehen und unser eigentliches Wesen ausmachen.

Was ist dann der Weg, um aus dieser Enge des Personalen herauszukommen und das »Nichts« zu erfahren? Die einzige Möglichkeit ist die Zurücknahme dieser störenden Ichaktivität. Dann gelangen wir in die Ebene unseres wahren Lebens und Seins, das alle personalen Strukturen hinter sich lässt. »Vergiss das ›Überall‹ und das ›Etwas‹. Sie verblassen vor diesem gesegneten ›Nirgendwo‹ und ›Nichts‹! Sorge dich nicht, wenn deine Sinne und Fähigkeiten dieses ›Nichts‹ nicht erfassen. Dieses ›Nichts‹ ist so groß und tief, dass es für sie nicht erreichbar ist. Es lässt sich nicht erklären, nur erfahren. Wer noch nicht lange mit diesem ›Nichts‹ vertraut ist, empfindet es dunkel und unergründlich. Was als tiefe Dunkelheit erfahren wird, ist in Wirklichkeit ein geistiges Licht, das diese Menschen blendet.«

Unser Ich, das uns zu Menschen macht, fürchtet sich vor seinem Verschwinden, vor seinem Untergang. Es möchte ewig leben. Daher auch der Glaube an eine Wiedergeburt. Aber ewig ist nur das Leben. Nicht diese personale Existenz, als die es sich jetzt zeigt. Ob es sich nach dem Tod wieder ausformt in einer personalen Gestalt, wissen wir nicht.

Was ist Kontemplation?

Kontemplation ist nicht gleich Betrachtung. Die Aktivität des Ich wird in der Kontemplation zurückgenommen, damit der Wesensgrund aufscheinen kann, unser wahres Sein. Über die Kontemplation erreichen wir diesen heiligen Bereich »Templum« (unser Innerstes). Alle Konfessionen kennen diese Ebene, mag ihre Ausdrucksweise in den betreffenden Kulturen auch verschieden sein: Leerheit (Wolke des Nichtwissens), Seelenburg (Teresa), Seelenfunke (Eckhart), Grund (Tauler), Buddhanatur (Buddhismus), Brahman (Hinduismus). Die Stufen, die in die Versenkung führen, lassen sich wie folgt beschreiben: Die erste Stufe ist die Zurücknahme der Ichaktivität. Die zweite Stufe besteht im »Schauen ins nackte Sein«. Auf dieser Ebene sind immer noch zwei. Das Ich schaut in die Tiefe des Seins. Auf der dritten Stufe fallen der Schauende und das Geschaute im Einen zusammen.

Teresa beschreibt diese Stufe: »Es ist, wie wenn Wasser vom Himmel in einen Fluss oder eine Quelle fällt, wo alles nichts als Wasser ist, so dass man weder teilen noch sondern kann, was nun das Wasser des Flusses ist und was das Wasser, das vom Himmel gefallen; oder es ist, wie wenn ein kleines Rinnsal ins Meer fließt, von dem es durch kein Mittel mehr zu scheiden ist; oder aber wie in einem Zimmer mit zwei Fenstern, durch die ein starkes Licht einfällt: Dringt es auch getrennt ein, so wird doch alles zu einem Licht.« Es gehört Vertrauen zu diesem Schritt. Das Ich wird von Angst befallen. Es verliert seine Dominanz. Darum hören manche an diesem Punkt leider oft mit der Kontemplation auf, obwohl es genau der entscheidende Schritt in die Erfahrung ist. Das Buch ist eine wunderbare Einführung in das kontemplative Gebet. Dass ein Christ des Mittelalters ein solches Buch schreiben konnte, ohne angefochten zu werden, ist wohl mit seiner Verborgenheit zu erklären.

Der Umgang mit dem Ich

Das Ich macht uns zu Menschen und ist etwas Kostbares. Gleichzeitig ist es aber auch eine Eingrenzung. Unsere Gedanken, Gefühle, Intentionen und Ängste besetzen uns und wollen gleichsam diese Person ausmachen. Diese Gewohnheiten werden zu unserem Ichbewusstsein. Im Laufe der Zeit werden sie so mächtig, dass wir von ihnen abhängig werden. Sie spielen uns etwas vor, was wir nicht sind. Sie sind nicht unser wahres Wesen. Wie kommen wir heraus aus diesen Zwängen? Achtsamkeit auf den Atem, auf einen Laut machen uns unabhängig von diesen Vorgängen. Diese Vorgänge gehören zu uns, aber wir sind sie nicht. Wir erkennen sie als Abläufe, aber nicht als unser Wesen.

Nur, wenn wir uns selbst erkennen, unser wahres Wesen, unsere wahre Natur, erhalten wir die Festigkeit und Sinndeutung, die wir für unser Leben brauchen. Sonst werden wir hin- und hergerissen. Nur auf diesem Boden unserer wahren Natur können wir fest stehen. Wir müssen diesen stabilen Felsen finden, auf dem wir stehen können, damit wir in diesen Abläufen nicht untergehen. Auch wenn sich dieser Felsen als Nichts herausstellen sollte. Und das ist der nächste Schritt.

Alle diese Abläufe gehören zu uns. Aber wir brauchen die richtige Distanz zu ihnen. Wir brauchen dieses Zentrum, von dem aus wir agieren. Es erscheint uns als leer. Aber diese Leere hat einen gewissen Hintergrund, der uns Vertrauen schenkt. Sie fühlt sich wie Sein an, ist aber ein »Nichtsein«.

Das ist der nächste Schritt: zu begreifen, dass dieses vermeintliche Sein »Nichts« ist, ja ein Nichtsein. Das »Nichts« ist der Urgrund. Das ganze Universum ist letztlich ein Ereignis, das aus diesem »Nichts«, diesem Urgrund kommt und geht. Wir werden es intellektuell nie begreifen. Immer wieder muss ich sagen: Unser Ich macht uns zu Menschen, unser Verstand bietet uns viele Möglichkeiten, aber alle laufen nur auf dieser einen Schiene, der Person, und die ist nur die Form, in der sich die Nichtform, das »Nichts« ausdrückt.

Das Nichts ist die Rückseite von allem, was wir sehen und erkennen. Ich habe keinen besseren Vergleich als Welle und Meer. Die Welle ist so von sich fasziniert, dass sie nicht erkennen kann, dass sie eigentlich Ozean ist. Dieser Ozean ist Kommen und Gehen und daher so schwer zu begreifen. Wir bewegen uns immer in Richtung Stabilität. Wir wollen festhalten.

Dieser Urgrund will uns etwas lehren. Nämlich, dass alle Abläufe, die wir wahrnehmen und sogar glauben zu sein, eine Aktion aus dieser »Leerheit« sind. Wir können sie als Christ Gottheit nennen, aber sie ist nichts Personales. Alle Momente unseres Lebens sind Ausdruck dieses Urgrundes. Diese Momente haben ihre Bedeutung, denn darin manifestiert sich ja die »Leere«. Jeder Moment ist eine Form, als die sich diese rational nicht begreifbare Leere manifestiert. Wir sind immer auf der Suche, dabei sind wir das, was wir suchen. Unser Intellekt sagt uns nicht, wer und was wir sind. Und wir begreifen nicht, dass wir genau da sein sollen, wo wir sind. Wir distanzieren uns ständig von dem, was wir sind. Wir meinen immer etwas erreichen zu müssen, ob es Erleuchtung, Erfolg oder Liebe ist. Wir wollen immer irgendwo hingehen, um es zu erreichen, obwohl es genau hier ist, dieser Moment. Wenn wir von dieser Wirklichkeit berührt werden, antworten wir mit Liebe und Zuneigung, mit Freude und Wertschätzung. Jede Form, die wir in unserem Leben erfahren, ist eine Manifestation dieser Urnatur. Ganz gleich, ob wir glauben, dass etwas schlecht oder gut ist, schmerzhaft oder wohltuend, es ist nichts anderes als ein Ausdruck dieses unseres wahren Wesens. Wir müssen eigentlich in unserem Leben nichts erreichen. Aber wenn wir wirklich ankommen, erkennen wir, dass jeder Moment seinen tiefen Wert besitzt.

Diese Erfahrung ist nicht etwas Zukünftiges, sie ist genau hier in dieser Welt, an diesem Platz unter diesen widrigen oder angenehmen Umständen. Sie ist selbst im Scheitern. Dass der Sinn nicht in dem liegt, was wir leisten, sondern in dem, was wir sind, ist die Frucht der Kontemplation. Dass Scheitern zu unserem Reifen gehören kann, fällt uns Menschen erst hinterher auf. Im Scheitern werden wir mit starker Hand zur wahren Wirklichkeit befreit und zum Weg, den wir zu gehen haben. Hier und jetzt liegt die Chance der Erfahrung. Um Erfahrung zu erlangen, ist es nicht notwendig, in die Einsamkeit zu gehen, den Job zu quittieren, Vegetarier zu werden oder aus dem Leben auszusteigen.

Diese Erkenntnis zieht sich durch die Erfahrungsebene aller Konfessionen. Der Sohn einer reichen und angesehenen Ärztin wollte Scheich (Sufimeister) werden und den Weg der Sufis gehen. Er bewarb sich bei einem Scheich. Dieser nahm ihn auf und gab ihm die erste Übung: Ein Jahr lang sollte er die Toiletten putzen. Als seine Mutter das hörte, ging sie zum Scheich und stellte lakonisch fest: »So etwas hat mein Sohn noch nie getan und er soll es auch nicht in Zukunft tun. Ich schicke Dir zehn Sklaven, die werden deine Latrinen so sauber putzen, wie sie noch nie waren.« Der Sufimeister antwortete: »Wenn Dein Sohn an den Nieren erkrankt ist, soll ich dir dann auch zehn Sklaven schicken, damit du ihn heilst?«–»Den Weg der Sufis gehen, heißt Freude finden im Herzen, wenn die Zeit des Kummers kommt.« (Rumi) Selbst wenn die Welt untergeht, kann diese Wahrheit nicht zerstört werden. Wenn die Welt untergeht, zeigt es sich als Weltuntergang. Dann ist das der nächste Schritt in der Evolution. Wo ist es, wenn wir sterben? Es ist der Vorgang des Sterbens.

Sehnsucht nach Deutung des Lebens