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Pflege fallorientiert lernen und lehren

Herausgegeben von Karin Reiber, Juliane Dieterich, Martina Hasseler und Ulrike Höhmann

Die geplanten Bände im Überblick

•  Ambulante Pflege

•  Ambulante und stationäre Palliativpflege

•  Chirurgie

•  Fallbasierte Unterrichtsgestaltung – Grundlagen und Konzepte

•  Geriatrie

•  Gynäkologie und Geburtshilfe

•  Innere Medizin

•  Pädiatrie

•  Psychiatrie

•  Rehabilitation

•  Stationäre Langzeitpflege

Michael Schilder

Geriatrie

Verlag W. Kohlhammer

 

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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ImagesEin komplizierter Fall

1. Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-022693-7

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-026364-2

epub:    ISBN 978-3-17-026365-9

mobi:    ISBN 978-3-17-026366-6

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Inhalt

  1. Geleitwort
  2. I Basics
  3. 1 Pflege in der Geriatrie
  4. 1.1 Das Besondere der Pflege in der Geriatrie
  5. 1.2 Geriatrische Versorgungsstrukturen und Interdisziplinarität
  6. 1.3 Der spezifische Versorgungsbedarf von Patienten mit einem geriatrischen Pflegebedarf
  7. 1.4 Geriatrische Pflege
  8. II Fälle
  9. 2 Die gestürzte Patientin nach ihrer Schenkelhalsfraktur-Operation
  10. 2.1 Das Sturzgeschehen aus geriatrischer Sicht
  11. 2.2 Die Krankheitsbilder Morbus Menière und Katarakt
  12. 2.3 Pflegerische Rehabilitation von Patienten nach Hüfttotalendoprothese
  13. 2.4 Rollen der Pflegenden im Fallbeispiel
  14. 3 Der Patient mit einer vaskulären Demenz
  15. 3.1 Das Krankheitsbild vaskuläre Demenz
  16. 3.2 Verstehende Diagnostik zur Deutung von herausforderndem Verhalten
  17. 3.3 Die Pflegestrategie zur Versorgung und Betreuung
  18. 3.4 Rollen der Pflegenden im Fallbeispiel
  19. 4 Der Patient mit einem Schlaganfall
  20. 4.1 Der Schlaganfall aus medizinischer Perspektive
  21. 4.2 Pflegediagnostik im Rahmen des Geriatrischen Assessments
  22. 4.3 Pflegestrategien zur Wahrnehmungs- und Bewegungsförderung
  23. 4.4 Rollen der Pflegenden im Fallbeispiel
  24. 5 Die Pflegesituation einer Frau mit Alzheimer-Krankheit und deren pflegende Angehörige
  25. 5.1 Die Alzheimer-Krankheit aus biomedizinischer Perspektive
  26. 5.2 Assessment und Diagnostik der Alzheimer-Krankheit
  27. 5.3 Der Unterstützungsbedarf pflegender Angehöriger
  28. 5.4 Pflegerisches Case Management im Pflegestützpunkt
  29. 5.5 Rollen der Pflegenden im Fallbeispiel
  30. 6 Der muslimische Patient mit chronischer Herzinsuffizienz
  31. 6.1 Die medizinische Perspektive der Pflegesituation
  32. 6.2 Pflegebedürftigkeit infolge chronischer Linksherzinsuffizienz
  33. 6.3 Der Pflegebedarf im Rahmen der Pflege- und Krankheitsverlaufskurve
  34. 6.4 Rollen von Pflegenden im Fallbeispiel
  35. 7 Die Patientin mit pAVK, COPD und Dekubitus
  36. 7.1 Die medizinische Perspektive der Fallsituation
  37. 7.2 Pflegediagnostik: Die pflegefachliche Perspektive
  38. 7.3 Strategien zur Problemlösung
  39. 7.4 Rollen von Pflegenden im Fallbeispiel
  40. Literatur
  41. Stichwortverzeichnis

Geleitwort

 

 

Die Ausübung des Pflegeberufs wird immer anspruchsvoller: Professionelles Pflegehandeln umfasst verantwortungsvolles Planen, Gestalten und Auswerten von Pflegesituationen. Die Settings, in denen diese berufliche Tätigkeit ausgeübt wird, haben sich zunehmend ausdifferenziert und die Aufgaben werden immer komplexer. Damit sind auch ganz neue Herausforderungen an die Pflegeausbildung gestellt. »Geriatrie« ist ein Band der Buchreihe »Pflege fallorientiert lernen und lehren«, einem Kompendium für die Pflegeausbildung, das sowohl die verschiedenen Versorgungsbereiche, in denen Pflegekräfte tätig werden, als auch die unterschiedlichen Lebensalter und -situationen der Pflegeempfänger abbildet.

Die elf Bände der Reihe spiegeln die wesentlichen Institutionen wider, in denen pflegerische Versorgung stattfindet. Alle Bände folgen der gleichen Struktur und demselben Aufbau. In einem Einleitungsteil wird in die Besonderheiten des jeweiligen Settings eingeführt. Pflegewissenschaftliche Expertenstandards und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse werden dabei ebenso berücksichtigt wie die Ausbildungsziele der Prüfungsordnungen. Die Präsentation der Inhalte erfolgt in Form von Musterfällen; dabei werden die unterschiedlichen Aspekte pflegeberuflichen Handelns aufzeigt und fallbezogene Besonderheiten und Schwerpunkte professioneller Pflege exemplarisch illustriert. Die fallorientierte Aufbereitung von Lerngegenständen greift den berufspädagogischen Trend der Kompetenz- und Handlungsorientierung auf und setzt ihn fachdidaktisch um.

Die vorliegenden Ausführungen geben einen sehr guten Einblick in die facettenreichen pflegerischen Aufgaben innerhalb des Versorgungsgebiets der Geriatrie. In diesem pflegerischen Bereich sind die Handlungs- und Kompetenzanforderungen an die Pflegefachkräfte besonders komplex und erfordern eine Zusammenschau pflegerischen, medizinischen und psychosozialen Wissens.

Der vorliegende Band gewährt anschauliche Einblicke in diese Besonderheiten anhand einschlägiger Fallbeispiele und bietet exemplarische Lösungen an. Dieses Lehr- und Lernbuch ermöglicht dadurch die Entwicklung spezifischer Fachkompetenz professioneller Pflege.

Dieser Band sowie die gesamte Reihe wenden sich an Lernende und Lehrende in den Pflegeausbildungen an Schulen, Hochschulen oder Praxisstätten sowie an Studierende der Pflegepädagogik. Neue Formen der Pflegeausbildung – wie z. B. primärqualifizierende Pflegestudiengänge – hatten die Herausgeberinnen bei der Konzeption der Reihe und der Betreuung der Bände sowie die Autorinnen und Autoren der einzelnen Bände ganz besonders im Blick.

Karin Reiber

Juliane Dieterich

Martina Hasseler

Ulrike Höhmann

 

 

 

 

I   Basics

1         Pflege in der Geriatrie

 

 

Ältere und alte Menschen stellen besondere Anforderungen an die fachliche Pflege in der Geriatrie. Vor dem Hintergrund ihres gelebten Lebens und in Anbetracht häufig komplexer und langandauender Problemlagen stellt sich deren Pflegebedürftigkeit äußerst vielschichtig dar. Die Pflegebedürftigkeit älterer und alter Menschen wird sowohl von normalen Alterungsvorgängen als auch häufig von mehreren Krankheiten zugleich beeinflusst. Die notwendigen Bewältigungsarbeiten werden vor dem individuellen biografischen Hintergrund des Einzelnen heraus je nach sozialer Situation familial oder häufig auch allein gestaltet. Da sich dies auf mehreren Ebenen zugleich abspielt, fordert dies eine differenzierte Betrachtung. So ist der Pflegeprozess auf die Besonderheiten älterer Menschen, auf ihre Sichtweisen und situativen Befindlichkeiten auszurichten. Die Unterstützung der Bewältigung häufig langandauernder nicht heilender Krankheiten und dauerhafter Pflegebedürftigkeit fordert die konsequente Ausrichtung auf den älteren Menschen und die Aushandlung fachlich gebotener Handlungsalternativen. Geriatrische Pflege findet dabei in verschiedenen Einrichtungen des Gesundheitswesens, mit unterschiedlichen Aufgabenzuschnitten und im Zusammenhang mit verschiedenen Konstellationen von Gesundheitsberufen statt.

Zur Grundlegung der exemplarischen Fälle im zweiten Teil dieses Lehrbuchs widmet sich dieses erste Kapitel daher zuerst wichtiger Begriffsbestimmungen, mittels derer die Bedeutung der Pflege in der Geriatrie veranschaulicht wird. Vor diesem Hintergrund werden dann die Aufgabenprofile derjenigen Gesundheitsfachberufe im Rahmen geriatrischer Versorgungsstrukturen umrissen, die an der Versorgung und Pflege geriatrischer Patienten beteiligt sind. Dazu werden die Erfordernisse der Schnittstellengestaltung erläutert. Auf dieser Basis wird dargestellt, wie relevant die darauf bezugnehmenden Handlungsfelder sind. Hieran schließt sich eine genauere Betrachtung der Merkmale an, die häufig bei Menschen mit einem geriatrischen Pflegebedarf in Erscheinung treten. Daraus werden dann die fachlichen Anforderungen an die geriatrische Pflege abgeleitet. Das erste Kapitel schließt mit einer theoretischen Bestimmung der geriatrischen Pflege als Basis für die Fallstrukturierung im zweiten Teil dieses Buchs.

1.1       Das Besondere der Pflege in der Geriatrie

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Einer wegweisenden Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kann entnommen werden, dass die Geriatrie »der Zweig der Medizin [ist], der sich mit der Gesundheit im Alter sowie den präventiven, klinischen, rehabilitativen und sozialen Aspekten von Krankheiten beim älteren Menschen beschäftigt« (WHO 1989 zitiert nach Bundesverband Geriatrie e. V. 2010, S. 12).

    Somit handelt es sich bei der Geriatrie um ein medizinisches Fachgebiet, das sich als Altersheilkunde im Besonderen mit den Alterskrankheiten von Menschen befasst, dabei aber auch auf die gesunden Anteile des Menschen Bezug nimmt (Füsgen/Summa 1990; Nigg/Steidl 2005; Runge/Rehfeld 2012a).

Die Geriatrie als Disziplin umfasst also weit mehr, als »nur« die Heilung erkrankter älterer Menschen. Der rehabilitative Charakter der Geriatrie kommt darin zum Ausdruck, verloren gegangene Funktionen des erkrankten Menschen wieder zu erlangen oder aber neue aufzubauen. Auch der Bereich der Versorgung und Pflege sterbender Menschen im Rahmen der Palliation ist inbegriffen (Füsgen 2004; Hafner/Meier 2005).

arrow Umfassender Ansatz der geriatrischen Pflege arrow

Auch die geriatrisch ausgerichtete Pflege verfolgt einen umfassenden Ansatz in der Betrachtung sowohl der funktional einschränkenden Krankheitsfolgen als auch der physiologischen, psychologischen und sozialen Alternsprozesse (Runge/Rehfeld 2012a).

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Geriatrische Interventionen und Zielsetzungen beziehen nicht nur krankhafte, sondern auch gesunde – also normale altersphysiologische – Erscheinungen in ihren Aufgabenbereich ein. Deren Auswirkungen auf den Menschen im Rahmen seines Alltagslebens werden mit dem Ziel erfasst, zur Verbesserung oder Aufrechterhaltung der Lebensqualität des alten Menschen beizutragen.

Der dem Griechischen entstammende Begriff Geriatrie bedeutet wörtlich übersetzt »Heilung« und »Helfen« und beschäftigt sich nach Hafner/Meier (2005, S. 5) mit den »präventiven (vorbeugenden), klinischen (krankheitsorientierten) und rehabilitativen (wiederherstellenden) Ebenen« alter Menschen. Da sich dieser Zweig der Medizin auch auf den gesunden Menschen bezieht, hat dies eine über die biomedizinische Ausrichtung hinausgehende multidimensionale Bearbeitung zur Folge (BV Geriatrie e. V. 2010; Frühwald 2007).

arrow Fragestellungen der Geriatrie arrow

Typische Fragestellungen der Geriatrie sind (Marwedel 2008, S. 22):

•  »Welche Krankheiten treten im Alter gehäuft auf?

•  Wie kann gesundes Altern ermöglicht werden?

•  Wie können Alterserkrankungen wirkungsvoll behandelt werden?«

Der Anspruch der Geriatrie als ein die somatischen (körperlichen), psychischen (seelischen), pflegerischen und sozialen Facetten des geriatrischen Patienten umfassenden Ansatz verlangt die systematische Integration der Perspektive des geriatrischen Patienten1 in das traditionelle Wissen (Junod/Feder 1990; Hafner/Meier 2005).

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Der ältere Mensch mit einem geriatrischen Versorgungsbedarf und nicht dessen vermeintlich objektivierbare Krankheit steht im Zentrum des geriatrischen Blicks. Auch das individuelle, personelle und materielle Umfeld im Hinblick auf ihre Alltagsauswirkungen auf den älteren Menschen sind bedeutsam (Runge/Rehfeld 2012a).

arrow Abgrenzung zur Gerontologie arrow

Wo die Gerontologie als interdisziplinäres Forschungsgebiet die »biologischen, psychologischen und sozialen Merkmale und Gesetzmäßigkeiten von Altersvorgängen unter Einbeziehung wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Aspekte« in den Blick nimmt, integriert die Geriatrie diese gerontologischen Erkenntnisse systematisch und wissenschaftlich kontrolliert in das medizinische Handeln (Runge/Rehfeld 2012a, S. 3).

arrow Aufgabe der geriatrischen Pflege arrow

Die geriatrische Pflege hingegen befasst sich mit den Auswirkungen altersbezogener physiologischer und pathophysiologischer Veränderungen auf das Erleben und die Funktionen des Menschen. Hierbei stehen dessen Fähigkeiten, Ressourcen und Probleme in der Gestaltung von Lebensaktivitäten im Vordergrund, die einem sinnvollen, wohltuenden und im optimalen Fall gesundheitsfördernden Leben zuträglich sind oder die es zu kompensieren gilt. Bezugspersonen des Patienten mit geriatrischem Versorgungsbedarf wie pflegende Angehörige oder nahestehende nicht verwandte Personen werden einbezogen, wenn sie Teil deren Alltagslebens sind. Zur Aufrechterhaltung der informellen (nicht berufsmäßig ausgeübten) Pflege und ihrer eigenen Gesundheit werden diese informiert, beraten, angeleitet, unterstützt oder entlastet und in ihrer Gesundheit gefördert (Poletti/Beck 1990; Neubauer/Gatterer 2007; BMFSJ 2010).

arrow Vollständigkeit und Individualität arrow

Die geriatrische Pflege zeichnet sich durch Vollständigkeit und Individualität in der Betrachtung der physischen, psychologischen und geistig-sozialen Anteile des Patienten mit geriatrischem Pflegebedarf aus. Sie regt »das Mitmachen des Patienten an, nützt seine Reserven, respektiert seine Würde und verleiht ihm ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Selbstwertes. Sie strebt die Anpassung des alten Patienten an seine komplexe Situation an oder begleitet ihn auf dem Weg zum Sterben« (Poletti/Beck 1990, S. 651).

arrow Die Bedeutung demografischer Veränderungen für die Pflege arrow

Der Auftrag der Pflege in der Geriatrie begründet sich dabei vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen in Deutschland und der Europäischen Union. Die Gesellschaft verändert sich insofern, als der Anteil der in ihr lebenden Menschen immer älter wird. Dies angesichts einer zunehmend sinkenden Geburtenrate und einer steigenden Lebenserwartung der Menschen in den westlichen Industrienationen, die u. a. aus dem medizinischen Fortschritt und der Verbesserung der Lebensverhältnisse resultieren. Deutschland nimmt bei diesen demografischen Veränderungen eine Spitzenposition in Europa ein (Haustein/Mischke 2011). Damit erlangt die geriatrische Perspektive zunehmend Bedeutung für das Gesundheitswesen in Deutschland, das »mit einer wachsenden Zahl alter und hochaltriger Menschen bei gleichzeitig niedriger Geburtenrate« konfrontiert ist (Ewers et al. 2012, S. 34). Diese gesellschaftliche Entwicklung geht auch aufgrund des medizinischen Fortschritts mit einer Zunahme chronischer Erkrankungen und Mehrfacherkrankungen (Multimorbidität) einher, was andere fachliche Anforderungen in die langfristige und alltagsorientierte Begleitung von dauerhaft kranken und pflegebedürftigen Menschen stellt, als eine einseitig kurativ (auf Heilung) ausgerichtete biomedizinische Versorgung.

Im Gesundheitswesen findet die geriatrische Versorgung innerhalb bestimmter Strukturen der Versorgung statt, die mit den in ihr wirkenden Berufsgruppen und deren Arbeitsschwerpunkten nachfolgend umrissen werden.

1.2       Geriatrische Versorgungsstrukturen und Interdisziplinarität

Eine wesentliche Voraussetzung zum Verständnis von Pflegekonzepten in der Geriatrie ist die Kenntnis geriatrischer Versorgungsstrukturen und interdisziplinärer Ansätze sowie Prinzipien innerhalb dieser zur Erreichung fachlicher Ziele.

arrow Bedarf nach geriatriespezifischen Strukturen arrow

Der Bedarf nach geriatrischer Spezialisierung innerhalb des Gesundheitssystems leitet sich aus dem besonderen Versorgungsbedarf geriatrischer Patienten mit ihren tendenziell bleibenden Krankheitsfolgen ab. Dieser fordert sowohl akutmedizinische als auch rehabilitative Ansätze in stationären und ambulanten Strukturen. Zur Erreichung fachlicher, geriatrischer Ziele weist das herkömmliche nicht auf diese Besonderheiten ausgerichtete Versorgungssystem Mängel auf, die suboptimale Behandlungsergebnisse zur Folge haben können (Frühwald 2007; BV Geriatrie e. V. 2010). So sind allgemeine Akutkrankenhäuser primär diagnostisch und weniger therapeutisch-rehabilitativ ausgerichtet. Sie weisen eine eher kurze Behandlungszeit auf, in der das akute Krankheitsmanagement dominiert. Dabei entsprechen die spezifischen Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen des Teams einer Akutabteilung nicht den Erfordernissen des geriatrischen Versorgungsbedarfs (Eckhardt/Steinhagen-Thiessen 2012; Runge/Rehfeld 2012a; Walter et al. 2012).

arrow Heterogenität geriatrischer Versorgungsstrukturen arrow

Aufgrund dessen sind geeignetere Spezialeinrichtungen folgender Art entstanden:

•  Fachabteilungen für Geriatrie in Akutkrankenhäusern,

•  Krankenhäuser für Geriatrie,

•  geriatrische Rehabilitationskliniken,

•  Tageskliniken für Geriatrie,

•  ambulante Rehabilitation durch niedergelassene Geriater (Geriatriekonzept Baden Württemberg 2001; BV Geriatrie e. V. 2010; Eckhardt/Steinhagen-Thiessen).

Von diesen nehmen die stationären und teilstationären Einrichtungen insgesamt den größten Anteil ein, wohingegen im ambulanten Sektor nur ein geringer Anteil an geriatrischer Versorgungskapazität existiert. Große regionale Unterschiede hingegen bestehen darin, ob die Geriatrie in bestehende Systeme wie in Akutkrankenhäusern integriert oder aber als eigenständige Einrichtung konzipiert ist (von Renteln-Kruse 2004d; BV Geriatrie e. V. 2010; Walter et al. 2012).

Der BV Geriatrie e. V. (2010) identifiziert drei Typen geriatrischer Strukturen: die Präferenz für eine Versorgungsform (akutstationäre oder rehabilitative Geriatrie) oder das ausgeglichene Verhältnis beider zusammen.

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Die Heterogenität der geriatrischen Versorgungsstrukturen geht auf »die unterschiedliche Ansiedlung geriatrischer Versorgung im Sozialrecht« zurück: die sozialrechtlich verankerte Unterteilung in Akutgeriatrie im Krankenhausbereich nach §§ 107, 108, 109 Sozialgesetzbuch (SGB) V und in die geriatrische Rehabilitation nach § 111 SGB V (von Renteln-Kruse 2004d, S. 54; vgl. auch Runge/Rehfeld 2012a; Dorner 2012).

Die nachfolgende Tabelle 1.1 schlüsselt nach dem Geriatriekonzept Baden- Württemberg (2001, S. 21–36) die geriatrischen Versorgungsstrukturen mit den entsprechenden Programmen und Akteuren ausgehend des jeweiligen gesundheitlichen Schwerpunkts auf.

Bereich Setting Strukturen/Akteure/Programm

Tab. 1.1: Geriatrische Versorgungstrukturen mit Akteuren/Programmen

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Diese Darstellung geriatrischer Versorgungsstrukturen verdeutlicht, dass Pflegende in der geriatrischen Versorgung mit unterschiedlichem Auftrag, in verschiedenen Settings und mit verschiedenen Berufsgruppen tätig sind. Ungeachtet dieser Vielfalt sollen nun die beruflichen Kerne der wesentlichen in der geriatrischen Versorgung tätigen Berufsgruppen umrissen werden.

arrow Anforderungen an Personalstruktur arrow

Hinsichtlich der in der Geriatrie vorzuhaltenden Personalstruktur sind aus wirtschaftlichen und vertraglichen Regelungen resultierende Anforderungen in Abhängigkeit des geriatrischen Settings Akutversorgung oder geriatrische Rehabilitation einzuhalten. Dazu zählt die Anforderung der ärztlichen Leitung. Hier ist gefordert, dass die Behandlung durch einen Facharzt mit einer entsprechenden Zusatzweiterbildung oder Schwerpunktbezeichnung Klinische Geriatrie zu übernehmen ist (BV Geriatrie e. V. 2010). Je nach Einrichtung und Ort der Tätigkeit kann die Leitung des geriatrischen Teams auch zwischen der ärztlichen und der pflegerischen Berufsgruppe wechseln.

arrow Leitung des geriatrischen Teams arrow

Aufgabe der Leitung des geriatrischen Teams ist u. a. die Koordination und Organisation der geriatrischen Versorgung, wie die Überprüfung von Informationen, Zielen, Planungen und Handlungen (Füsgen 2004). Das geriatrische Kernteam besteht aus Ärztinnen, Pflegenden sowie Mitarbeitern des Sozialdienstes (von Renteln-Kruse 2004d), das die folgenden Hauptformen der Therapie ausführt (Füsgen 2004, S. 28):

•  »ärztliche Therapie,

•  pflegerische Betreuung und medizinische Maßnahmen,

•  Physio- und Bädertherapie,

•  Logopädie (Sprachheiltherapie),

•  Ergotherapie,

•  Psychotherapie und psychologische Zuwendung,

•  fürsorgerische und soziale Betreuung.«

Die Disziplinen im geriatrischen Team sind in Abhängigkeit ihrer Aufgabenschwerpunkte bzw. Versorgungsaufträge unterschiedlich in der jeweiligen Versorgungsstruktur vertreten (von Renteln-Kruse 2004b). Die Kernaufgaben der ärztlichen Tätigkeit umfasst dabei die medizinische Diagnostik und Behandlung, die Verordnung und Überwachung von Therapieformen einschließlich der Behandlungspflege (Füsgen 2004). Demgegenüber besteht der pflegerische Aufgabenbereich neben der Verantwortung der direkten und indirekten Pflege in der Mitwirkung bei der Überprüfung des Therapiebedarfs und Therapieerfolgs im Alltag der Patienten (Füsgen 2004; Krohwinkel 2007).

Wesentliche im multiprofessionellen geriatrischen Team zu verwirklichende Prinzipien, basierend auf dem geforderten interdisziplinären Arbeitsansatz, sind die Patientenzentrierung, die Ganzheitlichkeit und Interdisziplinarität (BV Geriatrie e. V. 2010; Füsgen 2004; von Renteln-Kruse 2004d).

Die nachfolgende Tabelle 1.2 enthält wesentliche Aufgaben der im geriatrischen Team vertretenen Berufsgruppen (Füsgen 2004; von Renteln-Kruse 2004d; BV Geriatrie e. V. 2010, 2011; Krohwinkel 2007).

Berufsgruppe Exemplarische Arbeitsschwerpunkte: Fokus, Ziel, Interventionen

Tab. 1.2: Beispiele für berufliche Schwerpunkte im geriatrischen Team

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Der komplexe Versorgungsbedarf von Patienten in der Geriatrie erfordert eine disziplinübergreifende Zusammenarbeit dieser Berufsgruppen. Ein zentrales Prinzip, das in der Zusammenarbeit des geriatrischen Teams zwingend einzulösen ist, ist das der Interdisziplinarität.

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Interdisziplinarität

 

Unter dem Prinzip der Interdisziplinarität kann eine aufeinander abgestimmte Anwendung von Strategien und Interventionen der beteiligten Berufsgruppen im Rahmen einer gleichberechtigten Kooperation verstanden werden. Zur Erfüllung des geriatrischen Versorgungsauftrags ist sowohl der jeweilige berufsspezifische Beitrag als auch das Zusammenspiel der unterschiedlichen Aktivitäten der einzelnen Berufsgruppen und die sich daraus ergebenden Wirkungen in der Erreichung des gemeinsamen Ziels von Bedeutung (Füsgen 2004; Ewers et al. 2012; Brandenburg 2012).

An den Schnittstellen zur Physiotherapie und zur Medizin sollen nachfolgend aus der Perspektive des Pflegeberufs beispielhafte Überlappungen und Wechselwirkungen verdeutlicht werden, die eine interdisziplinäre Perspektive zur Erreichung des Gesamtziels notwendig macht. So führen Pflegende von der Physiotherapie initiierte Bewegungsübungen im Alltag der Patienten fort. Sie entwickeln und verfeinern damit deren Bewegungsfähigkeiten in der Anwendung von Alltagsaufgaben weiter, was wiederum deren Motivation zur Beteiligung an der physiotherapeutischen Behandlung erhöht. An der Schnittstelle zur Medizin setzen Pflegende z. B. Strategien zur Förderung der Harnkontinenz ein, wie etwa die Verlängerung miktionsfreier Zeiten, was wiederum zur Beseitigung der medizinischen Diagnose Inkontinenz beitragen kann.

Unabhängig des berufsspezifischen Zugangs gilt es im Rahmen der geriatrischen Denk- und Arbeitsweise des geriatrischen Teams Handlungsangebote jeweils mit dem Patienten auszuhandeln. Ansonsten drohen sie an dessen Alltagswirklichkeit vorbeizuzielen, wodurch die oben dargestellten Ziele z. B. in den Beiträgen zur Lebensqualität, verfehlt würden (BV Geriatrie e. V. 2010).

arrow Notwendigkeit von Schnittstellenmanagement arrow

Jedoch birgt die Zusammenarbeit so vieler Berufsgruppen mit ihren berufsspezifischen Besonderheiten und unterschiedlichen institutionellen Gegebenheiten auch Risiken in Form von Versorgungsbrüchen, die neuerdings auch mit dem Begriff »Polyprovider« bezeichnet werden. Zur Erreichung von Versorgungskontinuität über verschiedene Einrichtungen und Berufsgruppen hinweg ist etwa ein geriatrisches Case Management mit einer Langzeitversorgungsperspektive zur Gestaltung der vielfältigen Schnittstellen erforderlich (Höhmann 2003; Brandenburg 2012; Runge/Rehfeld 2012a).

1.3       Der spezifische Versorgungsbedarf von Patienten mit einem geriatrischen Pflegebedarf

Folgende häufig in Kombination auftretende Merkmale charakterisieren den Patienten mit geriatrischem Pflegebedarf:

arrow Merkmale des Patienten mit geriatrischem Pflegebedarf arrow

•  ein Lebensalter von etwa > 70 Jahren,

•  Altersveränderungen in Form von altersbedingten strukturellen und funktionellen Veränderungen von Organen und Geweben,

•  Frailty (Gebrechlichkeit) und Vulnerabilität (Verletzbarkeit),

•  Multimorbidität bzw. Polymorbidität bzw. das neben- und miteinander Vorliegen mehrerer Krankheiten,

•  Chronizität (langsamer Verlauf einer Krankheit),

•  Polypharmazie oder Multimedikation bzw. die gleichzeitige Einnahme mehrerer Medikamente (auch Polypharmakotherapie),

•  eine drohende oder vorhandene Behinderung in Form der eingeschränkten Fähigkeit zur selbstständigen Alltagsbewältigung bzw. körperliche, psychische und soziale Funktionseinschränkungen und somit eine drohende oder bestehende Pflegebedürftigkeit in den Lebensaktivitäten (Hafner/Meier 2009; BV Geriatrie e. V. 2010; Eckhardt/Steinhagen-Thiessen 2012).

Diese Merkmale werden nun näher ausgeführt.

Altersphysiologische Veränderungen, Frailty und Vulnerabilität

Der Begriff Alter umfasst sowohl das chronologische bzw. kalendarische Lebensalter eines Menschen im Hinblick auf den Zeitabschnitt ab dessen Geburt als auch das psychologische, soziokulturelle und biologische Alter. In den nachfolgenden Ausführungen wird der Schwerpunkt auf den letzten Lebensabschnitt eines Menschen und auf dessen altersbezogene Veränderungen gelegt (Füsgen 2004).

arrow Altern und Altersklassen arrow

Hinsichtlich des Lebensalters unterscheidet die WHO verschiedene Altersklassen (Hafner/Meier 2005, S 5):

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»Alternder Mensch: 51.–60. Lebensjahr;

älterer Mensch: 61.–75. Altersjahr

Alter Mensch: 76.–90. Altersjahr;

sehr alter Mensch: 91–100. Altersjahr

Langlebiger Mensch: über 100 Jahre alt.«

Das höhere Lebensalter eines Menschen ist nicht mit dem Auftreten von Krankheiten gleichzusetzen. Normale physiologische Alterserscheinungen im Sinne nicht krankhafter Rückbildungsvorgänge sind von Erkrankungen im Alter und deren Folgen zu unterscheiden (Füsgen 2004; Anders 2004; von Renteln-Kruse 2004a). Alterungsprozesse verlaufen dabei in Abhängigkeit genetischer und exogener Faktoren individuell sehr unterschiedlich. So können sich das biologische und das kalendarische Alterbei einzelnen Menschen erheblich voneinander unterscheiden (Anders 2004). Da das Lebensalter eines Menschen als alleiniges Kriterium keinen Rückschluss auf damit verbundene Veränderungen zulässt, sind ältere Menschen als heterogene (uneinheitliche) Gruppe aufzufassen (von Renteln-Kruse 2004a). Altern beinhaltet zeitlich bedingte »irreversible Veränderungen der lebenden Substanz« (nach Bürger 1960 in Füsgen 2004, S. 11), wobei jedes Organ nach seinen eigenen Gesetzen zu altern scheint und deren Funktionsabnahmen im Einzelfall ein sehr unterschiedliches Ausmaß einnehmen kann.

Alterungsprozesse umfassen den gesamten Körper. So verändern sich etwa die Strukturen der Haut und der Haare, des Bewegungsapparats

arrow Altersphysiologische Veränderungen arrow

(Skelett- und Muskelsystem inklusive der Gelenke), des Herz-Kreislauf-Systems, der Lunge, der Niere, der Leber und des Gastrointestinaltrakts, der Sinnesorgane (Auge, Ohr, Geruchs- und Geschmackssinn) und des Hormon- und Immunsystems (Nigg/Steidl 2005; Perrar et al. 2007). Diese Veränderungen der Körperstrukturen haben wiederum Auswirkungen auf Körperfunktionen, wie (Hafner/Meier 2005, S. 7):

•  »Abnahme der Gedächtnisfunktion

•  Abnahme des Sehvermögens

•  Abnahme des Hörvermögens

•  Abnahme des Gleichgewichtssinnes

•  Abnahme des Hirngewichtes um 3–5 g pro Jahr ab dem 50. Altersjahr

•  Abnahme der Muskelmasse und der -kraft

•  Abnahme der Nierenfunktion

•  Abnahme der Knochendichte

•  Abnahme der Herz-Kreislaufleistung«.

Neben diesen wesentlichen altersphysiologischen Veränderungen sind für das Verständnis der Situation des geriatrischen Patienten die Konzepte Frailty und Vulnerabilität als multidimensionale geriatrische Syndrome (gleichzeitiges Vorliegen verschiedener Krankheitszeichen) zentral (Holzhausen/Scheidt-Nave 2012).

arrow Frailty (Gebrechlichkeit) arrow

Frailty bzw. Gebrechlichkeit ist ein erstmals von Fried et al. (2001) beschriebenes Konzept zur Früherkennung von Defiziten bei alten Menschen. Es bezeichnet die erhöhte Verletzbarkeit älterer Menschen durch u. a. Krankheiten, Medikamentennebenwirkungen, körperliche Überlastung oder Ereignisse wie Stürze oder Ortswechsel (Fried et al. 2001; Roller-Wirnsberger 2009; Deutsche Gesellschaft für Ernährung 2009). Frailty kann als Zwischenstufe des Übergangs vom gesunden zum hilfsbedürftigen alten Menschen verstanden werden (Dapp et al. 2012).

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Bei Frailty handelt es sich um die »überwiegend […] kritische Erschöpfung von Vitalität, körperlicher Aktivität und bestimmten Körperfunktionen (z. B. Handgriffstärke, Gehgeschwindigkeit, Aufstehen aus einem Stuhl) oder Körperstrukturen (z. B. Körpergewicht) […], die essentiell für den Erhalt einer selbstbestimmten und selbstständigen Lebensführung sind« (Holzhausen/Scheidt-Nave 2012, S. 50).

Frailty ist als ein physiologischer Status mit verminderter Leistungsreserve zu verstehen (Nikolaus 2013a).

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Weist ein älterer Mensch mindestens drei der fünf Symptome Gewichtsverlust, Schwäche, Antriebslosigkeit, langsame Gehgeschwindigkeit und geringe Aktivität auf, liegt Frailty vor. Damit einher gehen hohe Risiken in Bezug auf Sturz, Behinderung, Hospitalisation und eine erhöhte Sterblichkeit (Mortalität). Liegen hingegen nur zwei dieser Symptome vor, wird von dem Vorstadium »pre-frail« gesprochen (Fried et al. 2001; Roller-Wirnsberger 2009; Anders et al. 2012).

Andere Autoren verstehen Frailty nicht erst als Vorstufe von Krankheit, sondern bereits als Ausdruck von Multimorbidität, im Sinne von »Auftreten typischer geriatrischer Syndrome auf dem Hintergrund der Multimorbidität kombiniert mit Gebrechlichkeit, Hinfälligkeit, Pflegeabhängigkeit, Reduktion von Autonomie und Selbstständigkeit« (Frühwald 2007, S. 150).

Unklar ist, ob Frailty unabhängig von oder in Kombination mit Krankheit auftritt, also Risikofaktor für die Entstehung von Krankheiten, Übergang zur Krankheit, als Begleitumstand dieser die Krankheitsbewältigung beeinflusst oder gar Ausdruck dieser ist (Frühwald 2007; Kompetenzteam Geriatrie 2009; Runge/Rehfeld 2012a). Wie deutlich wird, ist der Begriff Frailty nicht eindeutig definiert.

arrow Vulnerabilität arrow

Demgegenüber beschreibt der Begriff Vulnerabilität »ein Ressourcendefizit und/oder eine Akkumulation von Risikofaktoren, durch welche Autonomie und Lebensqualität bedroht werden« (Holzhausen/Scheidt-Nave 2012, S. 50).

Beide Konzepte sind vom Begriff der Multimorbidität abzugrenzen, wohingegen alle drei Konzepte aber Einfluss auf die selbstständige Lebenssituation und Alltagsgestaltung älterer Menschen nehmen. Unabhängig davon, ob Frailty der Krankheit voraus- oder mit ihr einhergeht, kann das Phänomen als die Verbindung der altersphysiologischen Veränderungen zur Krankheit angesehen werden. Auf deren Merkmale wird nun Bezug genommen.

Multi- bzw. Polymorbidität im Kontext von Alterskrankheiten und Chronizität

In diesem Abschnitt wird geklärt, in welcher Weise Krankheit mit Alter verbunden ist. Zu bedenken ist, dass der Begriff Alterskrankheit im Alter häufiger vorkommende Krankheiten bezeichnet, die jedoch nicht ausschließlich dem Alter vorbehalten sind (Frühwald 2007).

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Altern

 

»Das Altern ist ein physiologischer Vorgang, also keine Krankheit. Der alte Organismus ist wegen seiner verminderten Widerstands- und Adaptationsfähigkeit für Krankheiten anfälliger. Mit zunehmendem Alter nehmen auch die Krankheitshäufigkeit, die Krankheitsdauer und die Länge der Rekonvaleszenzperiode zu. Altern kann als indirekter Risikofaktor für Krankheiten gelten« (Frühwald 2007, S. 146).

Das Alter prägt sowohl die Pathologie (die krankhaften und abnormen Vorgänge und Zustände im Körper) als auch das Erleben von Krankheit, indem sie »ihr einen eigenen Stil [verleiht]. Das Alter impliziert eine eigene Art zu leben, zu reagieren und zu leiden und stellt auch spezielle Anforderungen an Hilfe und Pflege« (Delachaux 1990, S. 640).

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Mit den Begriffen Multi- oder Polymorbidität wird das bei älteren Menschen häufiger vorkommende neben- und miteinander Vorliegen mehrerer behandlungsbedürftiger aktiver Krankheiten oder Gesundheitsprobleme bezeichnet (Hafner/Meier 2005; BV Geriatrie e. V. 2010; Kliegel et al. 2012).

Die Multimorbidität ist komplex, weil sie Veränderungen unterliegt und mit Wechselwirkungen zwischen körperlichen Funktionsreserven, »alltagsrelevanten Funktionseinbußen und subjektiven Zielgrößen wie Lebensqualität und Autonomie« verbunden ist (Holzhausen/Scheidt-Nave 2012, S. 49). Die mehrfach vorliegenden Krankheiten nehmen dabei sowohl Einfluss auf den Krankheitsverlauf z. B. in Form von Behandlungskomplikationen und Prognose als auch auf eine hohe Anfälligkeit, erneut zu erkranken (Hafner/Meier 2005). Frauen haben »durchschnittlich mehr gleichzeitig vorliegende Gesundheitsprobleme als Männer« (Holzhausen/Scheidt-Nave 2012, S. 49).

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Die Anzahl der vorliegenden Krankheiten wird auf etwa drei bis neun Krankheiten beziffert, die häufig das Herz-Kreislauf-System, die Atmungsorgane, das Hormonsystem, den Stütz- und Bewegungsapparat und das zentrale Nervensystem betreffen. Krankheiten können sowohl nebeneinander bestehen als auch Einfluss aufeinander nehmen (Frühwald 2007; Nikolaus 2013b).

Die im Alter auftretenden Erkrankungen verlaufen häufig chronisch, dauern also länger an und heilen vielfach nicht (Eckhardt/Steinhagen-Thiessen 2012; Kliegel et al. 2012; Holzhausen/Scheidt-Nave 2012). Charakteristisch ist auch ihr schleichender Beginn und progredienter (fortschreitender) Verlauf. Dazu kommt häufig eine schlechte Prognose (Vorhersage des Krankheitsverlaufs). Bei ihnen überwiegen degenerative, chronisch entzündliche und neoplastische Erkrankungen (Frühwald 2007). Alterskrankheiten sind tendenziell insofern instabil, als mit wiederholten unvorhersehbaren Verschlechterungen des Gesundheitszustands gerechnet werden muss (Hafner/Meier 2005).

Menschen mit einem geriatrischen Versorgungsbedarf nehmen infolge ihrer Alterskrankheiten häufig mehrere Medikamente parallel ein, was ein weiteres Charakteristikum dieser Versorgungssituation darstellt.

Polypharmazie und Multimedikation

Mit Polypharmazie und Multimedikation wird die gleichzeitige Einnahme von fünf oder mehr Medikamenten bezeichnet. Abgesehen von der Quantität bzw. der Anzahl eingenommener Medikamente, geht es bei der Verwendung dieser Fachbegriffe auch um qualitative Gesichtspunkte. Die Begriffe bezeichnen sowohl eine unangebrachte, überzogene als auch eine zu geringe Einnahme eigentlich angezeigter Arzneimittel (Dovjak 2012).

Da der Körper des älteren Menschen anders auf die Medikamente als der des jüngeren reagiert, stellen sie Risikopatienten dar (von Renteln-Kruse 2004c; Eckhardt/Steinhagen-Thiessen 2012). So verändern sich infolge des normalen Alterungsprozesses die Pharmakokinetik und -dynamik. Wo die Pharmakokinetik den Einfluss des Organismus auf Arzneistoffe in Form der »Resorption, Verteilung, Metabolisierung und Ausscheidung von (Arznei) Substanzen« beschreibt, bezeichnet die Pharmakodynamik »den Einfluss von Arzneistoffen auf den Organismus (einschließlich Dosis/Wirkungsbeziehungen, Wirkungsmechanismus, Nebenwirkungen, Toxikologie)« (Pschyrembel 1994, S. 1182).

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Die Pharmakotherapie bei älteren Patienten geht daher mit der Gefahr von häufigeren medikamentösen Neben- und Wechselwirkungen einher (Frühwald 2007; Perrar et al. 2007; Runge/Rehfeld 2012a).

arrow Unerwünschte Arzneimittelwirkungen arrow

Diese iatrogenen (medizinisch erzeugten) Störungen nehmen als unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) einen schädigenden oder unangenehmen Einfluss auf den Patienten. Dazu zählen etwa gastrointestinale Symptome, Stoffwechselstörungen oder Blutungen, die aus der pharmakologischen Wirkung des Medikaments und aus Arzneimittelinteraktionen resultieren. Das Risiko von Arzneimittelinteraktionen steigt »mit der Zahl gleichzeitig verordneter Medikamente exponentiell an« (von Renteln-Kruse 2004c, S. 69, 70; Dovjak 2012). UAW stellen einen häufigen Anlass für die stationäre Aufnahme in geriatrischen Kliniken dar (von Renteln-Kruse 2004c).

arrow Medikationsfehler arrow

Von UAW sind Medikationsfehler zu unterscheiden, die »auf eine fehlerhafte Durchführung der Arzneimitteltherapie« zurückzuführen sind (von Renteln-Kruse 2004c, S. 69). Fehler können sich beispielsweise durch die Selbstmedikation der Patienten oder deren Angehörige ergeben (Delachaux 1990; Perrar et al. 2007).

Eine weitere Besonderheit bei der Einnahme von Medikamenten durch ältere Menschen ist, dass durch Arzneimittel Symptome, wie beispielsweise »Verwirrtheitszustände, Depression, Stürze, Orthostase, Obstipation, Harninkontinenz, Parkinsonismus« verursacht oder verschlechtert werden. Hier besteht die Gefahr, dass diese Symptome als normale Alterserscheinungen verkannt werden (von Renteln-Kruse 2004c, S. 70).

Da diese Merkmale des von Alterskrankheiten betroffenen Patienten mit einem erhöhten Rehabilitationsbedarf, dem drohenden Verlust der Selbstständigkeit und der Autonomie sowie dem Auftreten von Pflegebedarf einhergehen, erfordern sie eine spezifisch geriatrisch ausgerichtete Medizin und Pflege, deren Anforderungen im Folgenden umrissen werden (BV Geriatrie e. V. 2010).

Fachliche Anforderungen an die geriatrische Pflege und Medizin

arrow Atypische Symptompräsentation arrow

Bei alten Menschen zeigen sich Symptome der Alterskrankheiten mitunter in atypischer Form. Diese uncharakteristische Symptompräsentation stellt die medizinische und pflegerische Diagnostik vor besondere Herausforderungen (Hafner/Meier 2005; Frühwald 2007; BV Geriatrie e. V. 2010). Da die Befunde häufig große individuelle Unterschiede zwischen einzelnen Patienten aufweisen, ist die Pflegediagnostik von besonderer Bedeutung für die medizinische Diagnostik und Therapie, da sie eher die individuellen Ausprägungen von Symptomen als eine statisch medizinische Krankheitseinheit abbildet.

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»Die betagten Patienten haben jeder eine spezielle pathologische Gesamtsituation und spezielle physische, psychologische sowie soziale Bedürfnisse, entsprechend ihren jeweiligen Erbanlagen, ihrer Vergangenheit und der Gesamtheit ihrer Krankheiten, deren Zusammenstellung von Person zu Person verschieden ist. In der Geriatrie gibt es lauter Spezialfälle, die alle eine dem einzelnen Fall angepaßte Behandlung erfordern« (Delachaux 1990, S. 648–649).

arrow Selbstvernachlässigung arrow

Eine weitere Besonderheit stellt das Diogenes-Syndrom bzw. die Selbstvernachlässigung von Patienten dar. Diese ist mit der Gefahr verbunden, dass vom behandelnden Arzt wichtige Befunde übersehen werden und eine eigentlich angezeigte Therapie unterbleibt. Dies betrifft vor allem neu hinzugekommene Symptome, die entgegen der Verschlimmerung eines chronischen Krankheitsbildes von der diagnostizierenden Person weniger erwartet werden. Zwar kann sich eine neue zusätzliche Krankheit durch eine atypische Symptomatik spektakulär, z. B. durch eine agitierte (unruhige) Verwirrtheit oder eben auch still, manifestieren (von Renteln-Kruse 2004b).

arrow Verzögertes Ansprechen auf Krankheiten arrow

Therapeutische Herausforderungen in der Behandlung geriatrischer Patienten bestehen in einem verzögerten Ansprechen auf die Behandlung, weil Alterskrankheiten resistenter gegenüber der Therapie sind (Delachaux 1990; BV Geriatrie e. V. 2010). Ein weiteres Phänomen besteht in verlängerten Rekonvaleszenzzeiten erkrankter Personen (Eckhardt/Steinhagen-Thiessen 2012).

arrow Sozialwissenschaftlicher Zugang: Lebenslage älterer Menschen arrow

In Ergänzung zu einer rein biomedizinischen Betrachtung des älteren Menschen beschreibt das Lebenslage-Konzept aus den Sozialwissenschaften wesentliche Lebensbedingungen, innerhalb derer Menschen in einer Gesellschaft ihr Leben gestalten. Mit diesen »objektiven« gesellschaftlichen Verhältnissen entwickeln sich »subjektive« Wahrnehmungen und Deutungen älterer Menschen, mittels derer sie ihren Alltag individuell gestalten und auf diese Bedingungen zurückwirken. Für eine sich ganzheitlich verstehende Pflege gilt es, diese Perspektive in ihren Konzeptionen zu berücksichtigen.

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Aspekte der Lebenslage wie Bildung, Erwerbstätigkeit, Wohnen, Gesundheit und Einkommen von Menschen beeinflussen auch ihre Möglichkeiten zur Bewältigung von Pflegebedürftigkeit, indem sie Handlungsspielräume vorgeben, also sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen, dies es wahrzunehmen und zu gestalten gilt. Die Verhältnisse und das Verhalten der Menschen stehen dabei in einer Wechselbeziehung zueinander. Insbesondere die Lebenslage älterer Menschen wird neben ihrer finanziellen und materiellen Versorgung wesentlich durch familiäre und verwandtschaftliche Beziehungen, soziale Netzwerke und besonders durch ihre gesundheitliche Situation beeinflusst (Clemens/Naegele 2004). Der 6. Altenbericht (2010) weist auf eine große Vielfalt und Verschiedenheit der Lebenssituationen älterer Menschen hin.

arrow Feminisierung arrow

Die soziale Lage älterer und alter Menschen ist dadurch geprägt, dass Langlebigkeit in noch größerem Ausmaß ältere Frauen betrifft, weswegen von Feminisierung der älteren Bevölkerung gesprochen wird (Pfäfflin-Müllenhoff 2005). Im Jahr 2009 waren etwa 17 Millionen von den rund 82 Millionen in Deutschland lebenden Menschen 65 Jahre oder älter (davon 57 % Frauen und 43 % Männer). Dieses Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern wird einerseits auf die höhere Lebenserwartung der Frauen und andererseits immer noch auf die Folgen des Zweiten Weltkriegs zurückgeführt (Marwedel 2008; Haustein/Mischke 2011). Angesichts der Tatsache, dass pflegebedürftige Menschen zu 69 % zu Hause und dann größtenteils von ihren Angehörigen versorgt werden, sind zur Bewältigung von Pflegebedürftigkeit die unterschiedlichen Familienbeziehungen von Bedeutung: Wo ältere Männer zumeist noch auf ihre (tendenziell jüngeren) Ehefrauen als informell Pflegende zurückgreifen können, bleibt älteren Frauen diese Möglichkeit eher verwehrt, weil sie ihre Ehemänner überleben und verwitwet sind.

arrow Singularisierung arrow

Hinsichtlich der Familien- und Wohnsituation ist festzustellen, dass die Mehrheit der älteren Menschen ab 65 Jahren häufig im eigenen Haushalt lebt. Vor allem ältere Frauen leben allein in einem Ein-Personen-Haushalt. Mit zunehmendem Alter und Pflegebedürftigkeit steigt hingegen der Anteil derer, die in Alten-, Pflegeheimen oder anderen Gemein-schaftseinrichtungen fortleben (Haustein/Mischke 2011).

arrow Finanzielle Situation arrow

Wo die Gesamtgruppe der älteren Menschen »in Deutschland zur Zeit noch nicht stärker als andere Altersgruppen von Armut bedroht« ist, sind allein stehende Frauen im Alter ab 80 Jahren und stationär pflegebedürftige Personen im Hinblick auf ihre finanzielle Situation gefährdet (Marwedel 2008, S. 145).

arrow Bildung arrow

Im Hinblick auf die Schulbildung ist festzustellen, dass ältere Menschen und insbesondere ältere Frauen im Verhältnis zur jüngeren Generation eine geringere Schulbildung haben. Doch auch dies ist differenziert zu betrachten: So nutzen zunehmend ältere Menschen das Internet zur Recherche über gesundheitsbezogene Fragestellungen. Auch für in ihrer Mobilität eingeschränkte ältere Menschen können durch das Internet Wege gespart werden (Haustein/Mischke 2011).

arrow Gesundheit und Pflegebedürftigkeit arrow

Im Hinblick auf die Gesundheit schätzen sich ältere Menschen bis ins hohe Alter überwiegend als gesund ein (Haustein/Mischke 2011). Die Zahlen des Statistischen Bundesamt (2012) verdeutlichen dabei: Je höher das Einkommen und der Bildungsabschluss älterer Menschen, desto besser wird die eigene Gesundheit eingeschätzt. Analog zum gestiegenen Anteil älterer Menschen hat die Anzahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland in den letzten Jahren zugenommen. Vor allem ältere Menschen und hiervon größtenteils Frauen sind pflegebedürftig. Ältere Menschen ab 75 Jahren haben ein größeres Risiko pflegebedürftig zu werden (Haustein/Mischke 2011).

arrow Bedarf an sozialer Unterstützung arrow

Insbesondere bei Patienten mit geriatrischem Versorgungsbedarf besteht daher neben der medizinischen Problematik der gleichzeitige Bedarf an sozialer Unterstützung aufgrund häufig vorkommender unzureichender sozialer Netzwerke. Dies leitet sich vor allem aus der Veränderung von Beziehungen und Kontaktverlust her, woraus die Notwendigkeit einer individualisierten Pflege im Rahmen einer interdisziplinären Problembearbeitung abzuleiten ist (BV Geriatrie e. V. 2010; Garms-Homolová 2011; Eckardt/Steinhagen-Thiessen 2012). Ein sich daraus ergebender geriatrischer Behandlungsbedarf ergibt sich daher aufgrund

•  »des Auftretens von Komplikationen und Folgeerkrankungen,

•  der Gefahr der Chronifizierung [, und]

•  des erhöhten Risikos eines Verlusts der Autonomie mit Verschlechterung des Selbsthilfestatus« (BV Geriatrie e. V. 2010, S. 13).

Im Folgenden werden die Besonderheiten der geriatrischen Pflege hervorgehoben.

1.4       Geriatrische Pflege

In Kenntnis der Vielzahl pflegetheoretischer Ansätze, werden im Folgenden Schwerpunkte gesetzt, die eine Auswahl und notwendige Selektion aus unterschiedlichen Konzeptionen der Pflegewissenschaft darstellen. Dazu werden pflegetheoretische Perspektiven aus Orems Selbstpflegedefizit-Theorie mit der Typologie funktioneller Gesundheitsverhaltensmuster von Marjory Gordon zur Begründung des geriatrischen Pflegebedarfs verbunden. Da Pflege mit anderen Gesundheitsberufen kooperiert, wird sie in der Gesundheitsklassifikation ICF verortet.

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Die Gesundheitsklassifikation ICF bedeutet zu Deutsch Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit und erfasst die sich aus Krankheiten ergebenden Folgen auf den Ebenen des Körpers, der Person und der Umgebung (DIMDI 2005; Schuntermann 2009). Die ICF ergänzt als Klassifikation der Gesundheitscharakteristiken die medizinische (ICD) und pflegerische Klassifikationen (wie z. B. NANDA International), indem vor allem die sozialen Folgen einer Erkrankung in den Blick genommen werden. Mit der Zusammenführung der biologischen, individuellen und sozialen Ebenen basiert die ICF auf einem bio-psycho-sozialen Modell. Dieses beschreibt »die Wechselwirkung zwischen einer Person mit einem Gesundheitsproblem (ICD) und ihren Kontextfaktoren auf ihre Körperfunktionen und -strukturen, ihre Aktivitäten und ihre Teilhabe an Lebensbereichen« (Schuntermann 2009, S. 30; Schilder 2012a).

Grob gesagt liegt der Fokus der Pflege auf der pflegebedürftigen Person (Fähigkeiten und Teilhabe), wohingegen der Schwerpunkt der Medizin auf deren Körperstrukturen und -funktionen (Organe und deren Funktionen) liegt. Zusammen mit anderen Berufen wie der Sozialen Arbeit kümmert sich Pflege um die sozialen Bereiche des pflegebedürftigen Menschen, die nicht losgelöst von dessen individuellen Pflegebedarf betrachtet werden können.

Damit wird Komplexität stark vereinfacht, was jedoch zugleich für notwendig erachtet wird, um Lernenden in der Pflege einen ersten Zugang zum Thema zu eröffnen. Zugleich ist zu betonen, dass die Pflege von älteren und alten Menschen immer eine Aushandlung über die Deutung der Pflegesituation und die Strategie der Problemlösung fordert, da Pflegeziele ohne die Akzeptanz und die Unterstützung der pflegebedürftigen Menschen eher nicht erreicht werden können. Daher dienen die folgenden Ausführungen einer Annäherung an diesen komplexen Gegenstand. In den nachfolgenden Fallbeispielen werden die Grundlagen geriatrischer Pflege dann konkretisiert und wo nötig ausgebaut.

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arrowAbb. 1.1