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VORWORT

Was unterscheidet Großeltern von Eltern? Und zwar: heutige, moderne Großeltern? Ähneln Vertreter der 60-plus-Generation von heute Omas und Opas von gestern? Den eigenen Großeltern? Oder hat man es vor allem mit späten Hippies, Alt-1968ern und immer noch flippig-schillernden Vertretern des Rock ’n’ Roll wie Mick Jagger und Joan Baez zu tun?

Von allem ein bisschen, was die Einstellungen und die Verhaltensmuster betrifft. Vor allem aber: Unter den Großeltern dieser Tage finden sich selten noch Omas und Opas, die Wollpullover strickend und Pfeifchen rauchend vor dem Kamin sitzen und ihren Lebensabend verdämmern. Ganz offensichtlich kein Klischee: Großeltern von heute treiben Sport und besuchen Fitnessstudios, sind häufig auf Achse und machen die Welt unsicher, drücken als Senior-Studenten harte Unibänke und genießen ihre Hobbys. In ihrer überwiegenden Zahl sind sie gesünder, sportlich aktiver und geistig regsamer als ihre eigenen Eltern und Großeltern. Sie leben. Ihren Enkelkindern kommt dies zugute. Denn was kann interessanter sein, als eine coole Oma und einen coolen Opa an seiner Seite zu wissen?

Aber wie, bitte schön, kann einer diesen amüsanten und, in vielen Situationen, augenzwinkernden Erziehungs-Ratgeber für Großeltern schreiben, der (noch) nicht zur »Gemeinde« gehört? Zum einen aus der Erfahrung mit den Großeltern der eigenen Kinder. So stehen viele Beobachtungen und Erlebnisse zur Verfügung, die Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensmuster von Großeltern diesseits und jenseits der eigenen Familienlinie lebhaft beleuchten. Zum anderen aus guter Erinnerung an die eigenen Großeltern. Und zum dritten aus Interesse und Freude am Thema.

EINFÜHRUNG

»Meine größte Freude sind meine Enkelkinder!« Dieser Satz ist häufig zu hören. So richtig vorstellen können wir uns die Freude, die die Ankunft von Enkelkindern mit sich bringt, wahrscheinlich aber erst, wenn wir selbst in die Situation geraten. Mit den berauschenden Glücksmomenten, die uns die Geburt der eigenen Kinder beschert, ist die Wonne, Oma oder Opa zu werden, wahrscheinlich nicht zu vergleichen – aber nicht, weil sie objektiv weniger wert wäre oder in den Augen der Betroffenen nicht ebenso viel zählte, sondern weil sie von Menschen in einem anderen Lebensabschnitt und höherem Lebensalter empfunden wird. Großeltern sind in aller Regel abgeklärter, sie sind ruhiger und reagieren nicht mehr so unsicher und aufgeregt auf die Eskapaden und Allüren von Kindern. Kein Wunder: Großeltern haben schon viel erlebt – die Geburt der eigenen Kinder, Krankheiten, Schulprobleme und pubertäre Eruptionen. Kurzum: Sie haben es eigentlich hinter sich, sie haben ihre Kinder großgezogen, sie wissen, wie es geht. Sie haben eine Lebensleistung vollbracht.

Genau das ist es, was die Rolle von Großeltern von der Elternrolle unterscheidet: Natürlich fühlen sie sich für das Wohl der Kleinen ebenso verantwortlich wie die Eltern selbst, manchmal sogar so sehr, dass daraus Konflikte mit den Eltern entstehen und diese sich die Einmischung in Erziehungsfragen verbitten. Gleichwohl empfinden Großeltern die Verantwortung für ihre Enkel kaum als Bürde und so gut wie nie als Aufgabe, der sie sich stellen müssen, sondern als Geschenk. Denn die eigentliche Verantwortung für die Kleinen haben nicht die Großeltern, sondern die Eltern. »Es ist fast so«, wie ein zweifacher Großvater lächelnd berichtet, »als wenn wir nicht mehr arbeiten müssten, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern dürften. Wir tun es freiwillig und dadurch mit weit größerer Freude und Gelassenheit.« Mit anderen Worten: Die Freude am Umgang mit Kindern steht für gewöhnlich im Vordergrund, nicht die Erziehungs»arbeit«.

Das macht Großeltern frei – viel freier, als Eltern jemals sein können – und in den Augen der Enkel häufig auch ungeheuer wertvoll: Wenn Vater schimpft, mokiert sich Opa noch lange nicht; er rückt zurecht, beugt den Willen des Kindes aber nicht nach seinem Willen. Er kann Dinge zwar durchaus verbieten und Handlungen missbilligen, er vermittelt seinem Enkel aber kaum den Geschmack der Niederlage und des Siegs des Stärkeren über den Schwächeren. Er belehrt nicht so oft, er erklärt viel häufiger. Das stiftet Liebe, eine Form der Liebe von Kindern zu ihren Großeltern, die unvergleichlich und anders ist als die Liebe zu den Eltern. Und so ist die Bereitschaft von Großeltern, nachsichtig gegenüber ihren Enkelkindern zu sein, häufig geradezu phänomenal – ganz im Gegensatz zu ihrem Verhältnis zu den eigenen Kindern, den Eltern ihrer Enkelkinder.

Als Sie selbst noch in der Elternrolle waren, geben Sie es ruhig zu, da brachte es Sie ab und zu ganz schön in Rage, wenn Ihr Tim, damals noch ein Dreikäsehoch von stolzen 105 Zentimetern, wieder einmal die Badezimmerarmaturen mit Lippenstift und Wimperntusche verziert hatte und sich auf unsere Standpauke mit einem achselzuckenden »Oooch, Oma schimpft da nie so wie ihr« aus der Affäre zog. »Ja«, dachten Sie dann mit leichter Bitterkeit, »die genießen deine Kunststücke ja auch nur, wenn sie auf Besuch sind, oder manchmal in den Ferien – und nicht nach einem stressigen Arbeitstag.« Und wenn Timmi später mit schlechten Noten nach Hause kam und Sie zum berühmt-berüchtigten Lamento »Junge, was soll bloß aus dir werden?« ausholten, klingelte garantiert bald das Telefon und Oma empfahl mit sanfter Stimme: »Reg dich nicht so auf. Du weißt, dass den Kindern heute ganz schön was abverlangt wird. Das wächst sich aus, du wirst schon sehen!« Ja, bildlich gesprochen, konnte sich Tim vortrefflich hinter Omas Rockschößen verstecken. Er war ja »immer so lieb« (der kleine Rotzlöffel).

Und heute? Heute, als Oma und Opa, sehen Sie die Dinge bestimmt aus einem ganz anderen Blickwinkel – eben aus dem, den Sie damals mitunter kritisierten. An erster Stelle steht für Sie bestimmt das Vergnügen, das Sie mit Ihren Enkelkindern haben, der Spaß, den Sie erleben, und natürlich die verbotenen Früchte, die Sie sie gerne pflücken lassen. Doch die Zeiten ändern sich und manches, was Sie sich vor zwanzig oder dreißig Jahren überhaupt nicht hätten vorstellen können, ist heute ganz normal. Das ewige Herumhängen der Kleinen vor dem Computer beispielsweise, das hektische Gedöns im Wohnzimmer, wenn sie wieder mit ihrer Playstation zugange sind, und die damit zusammenhängenden Probleme, wenn Ihre Nerven vibrieren und Sie die Kleinen kaum noch an die frische Luft kriegen …

Damit und mit vielen anderen Fragen beschäftigt sich dieser Erziehungsberater für Großeltern. Doch keine Angst! Es werden Ihnen keine ideologischen und pädagogischen Traktate zugemutet. Nein, vielmehr geht es darum, an die Sache mit jenem vergnügten Augenzwinkern heranzugehen, das gestandenen Großeltern beim alltäglichen Umgang mit ihren Enkelkindern und auch in Erziehungsfragen eigen ist. Selbstverständlich aber kann die Gretchenfrage, wie weit sich Großeltern in die Erziehung der Enkelkinder einmischen können oder sollten, nicht außer Acht gelassen werden. Dies für manche Eltern erdenschwere Problem wird aber mit einer gehörigen Portion (Selbst-)Ironie behandelt.

Es ist hilfreich, sich die Stadien der kindlichen Entwicklung wieder vor Augen zu führen, die Sie ja als Großeltern bei den eigenen Kindern alle schon miterlebt haben. Sie liegen eventuell schon so weit zurück, dass eine kleine Auffrischung nicht schaden kann. Und natürlich auch Ihre Fehler und die Neigung, Ihre große Liebe zu den Enkelkindern in Tonnen zu messen: Tonnen an Geschenken – zu Geburtstagen, an Weihnachten und zwischendurch bei allerlei Gelegenheiten. Was aber ist wirklich gutes und dem jeweiligen Alter angemessenes Spielzeug? Können Sie der Playstation und dem Computer vielleicht sogar ein Schnippchen schlagen? Danach wendet sich dieser Erziehungskompass den wichtigsten Problemen zu, die bisweilen auftauchen können. Denn, zugegeben, auch Großeltern müssen manchmal gegensteuern, helfend eingreifen oder Grenzen aufzeigen, wenn es nötig ist: Wie gehen Sie beispielsweise mit den typisch kindlichen Flunkereien um, wie verhalten Sie sich in der Trotzphase oder später, wenn Sie die Muskelspiele der Halbstarken provozieren und sich stolz der erste Bartwuchs zeigt oder Sie die Zickereien der Enkeltöchter plagen?

Im Mittelpunkt steht aber der Spaß: Deshalb finden sich hier viele Tipps und Ideen zu Spielen, Basteleien, zu gemeinsamem Kochen und Essen und auch zu Ausflügen und der richtigen Vorbereitung dazu. Apropos Ausflüge: Auf Achse zu sein mit den Enkelkindern ist ein ganz besonderes Erlebnis. Vor allen Dingen gilt dies für eine gemeinsame Urlaubsreise, die für viele Großeltern einfach »das Größte« ist. »Das Größte« ist natürlich aber auch mit einer gehörigen Portion an Verantwortung verbunden. Denn es soll ja nichts schiefgehen und alles rund laufen. In unserem amüsanten Großeltern-Ratgeber finden Sie deshalb auch hierzu wichtige Tipps und Informationen.

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GRUNDSATZFRAGEN

Großeltern mischen sich doch nicht ein, oder?

Alle Großeltern, Pardon, fast alle Großeltern, neigen dazu, sich in die Erziehung ihrer Enkelkinder einzumischen. Die einen mehr, die anderen weniger. Dies gilt im Besonderen für Omas.

Vorurteil, Klischee? Na ja, denken Sie einmal nach: Da wird ein Baby geboren, rosig anzusehen und fein duftend ruht es in der Wiege, die großen Augen, das Stupsnäschen, die zarten Fingerchen … Da braucht es, um Gottes willen, doch die richtigen Ratschläge für die junge Mutter, die noch so gar keine Erfahrung mit der Kinderpflege hat! Wer könnte es deshalb übel nehmen, wenn Oma sich jetzt kräftig ins Zeug legt und wie ein Professor bei der Vorlesung Wissen vorzutragen beginnt: über die richtige Haltung beim Stillen des Babys (»Kind, auf den Ansatzwinkel kommt es an!«), über die effizientesten Praktiken, das Kleine zum Einschlafen zu bringen, und über die richtige Unterlage im Kinderwagen, wenn es raus an die frische Luft geht (»Ich empfehle ein Schaffell, es gibt nichts Wärmeres, die ganze Synthetik kannst du vergessen!«).

Rummms! Schon ist der Krach mit Tochter oder Schwiegertochter da, wenigstens aber eine kräftige Verstimmung. Und der frischgebackene Papa, der eben von der Arbeit nach Hause kommt, wundert sich über störende Vibrationen in der Luft, die zum neuen Familienglück gar nicht recht passen wollen.

Kein Wunder, die Sache ist klar und aus jeder Perspektive allzu verständlich: Die junge Mutter ist reichlich genervt, und obwohl sie sich zur eigenen mentalen und praktischen Vorbereitung rechtzeitig vor der Geburt durch ganze Ratgeber-Bibliotheken zum Thema Babypflege gelesen, gewissenhaft etliche Kurse besucht und die Informationen der Hebamme begierig in sich aufgesogen hat, fürchtet sie sich insgeheim doch davor, Fehler zu machen. Da bleibt es nicht aus, dass sich manchmal ein leises Gefühl der Überforderung einschleicht, das vom Bewusstsein der neuen Verantwortung in der noch ungeübten Mutterrolle und vom körperlichen Stress verstärkt werden kann. Immerhin liegt die kraftzehrende Geburt noch nicht so weit zurück; die Nächte können sehr kurz sein, wenn das Baby seinen Rhythmus zwischen Schlafen und Wachen noch nicht gefunden hat; und zu allem Überfluss tanzen die Hormone im Blut Rock ’n’ Roll und müssen erst einmal wieder ins Gleichgewicht kommen. Wer kann es also übel nehmen, wenn die junge Mutter eventuell sogar ausrastet und schmerzhafte Bemerkungen wie »Bleib mir doch mit deinen Ratschlägen vom Hals. Ich weiß selbst am besten, was ich tun muss!« wie Giftpfeile in Richtung Großmutter schießt?

Und diese? Oh je! Sie antwortet mit einem: »Kind, ich meine es doch nur gut, ich will dich doch nur unterstützen …« Klar, was die junge Mutter jetzt noch nicht einschätzen kann, weil die Situation vollkommen neu ist und sie genug mit sich selbst und ihrer Aufgabe zu tun hat, ist der Enthusiasmus der Großmama. Denn die sieht sich in eine Zeit zurückversetzt, die lange vorbei ist – damals hatte sie selbst ein Neugeborenes und war selbst in die Mutterrolle hineingewachsen. Plötzlich ist all das wieder da! Ein kleines, schutz- und hilfloses Bündel Mensch, das auf Gedeih und Verderb auf die Fürsorge seiner Eltern angewiesen ist, all diese Erinnerungen an die eigenen Anfänge, die häufig schwierigen materiellen Umstände beim Start der Familie. Diese Bilder laufen wie ein Film im Kopf ab. Was, bitte schön, kann denn falsch daran sein, zu helfen und zu raten, wenn man sieht, dass man hier und da eingreifen sollte?

Eigentlich nichts, da haben Sie schon Recht. Aber lassen Sie sich selbst, der jungen Mutter und Ihrem Enkelkind doch ein bisschen Zeit! Für alle ist die Situation völlig neu, und alle müssen ihre Rolle erst finden. Versuchen Sie deshalb auch, Ihre Euphorie ein wenig zu bremsen. Und: Eingreifen? Bei allem Verständnis – vergessen Sie nicht (auch wenn es manchmal schwerfällt), dass Ihr Kind jetzt selbst ein Kind hat, also in einem Alter ist, in dem es für gewöhnlich selbstständig und fest mit beiden Beinen im Leben steht. Geben Sie der jungen Mutter deshalb nicht das Gefühl, ständig etwas falsch oder »suboptimal« zu machen. Auch Sie selbst haben doch aus Ihren eigenen Fehlern gelernt und sind heute stolz darauf, oder? Dann geben Sie auch anderen die Chance dazu und seien Sie nicht zu schnell verstimmt, wenn die junge Mutter manchmal etwas kratzbürstig reagiert. Sie wissen ja – die Hormone!

Regeln im Gefühlschaos

Alles braucht seine Ordnung, im Großen wie im Kleinen. Wo keine Regeln sind, driftet die Welt schnell ins Chaos ab. Das gilt auch für menschliche Beziehungen, die ohne festen Rahmen, ohne gegenseitige Vereinbarungen und Regeln für einen verträglichen Umgang miteinander schnell unerfreulich werden können.

Doch wem sagen wir das? Als Großeltern wissen Sie doch am besten, wie wichtig Vereinbarungen und Regeln sind. Sie sind beziehungs- und lebenserprobt! Mit Ihrem Partner haben Sie gute und schlechte Zeiten, Sonnenschein und Regenwetter erlebt und haben bestimmt auch die eine oder andere Sturmböe überstanden. Gut gegangen ist es, weil Sie sich – bewusst oder unbewusst – an gemeinsame Vereinbarungen gehalten und bestimmte Grenzen nicht überschritten haben, die natürlich zunächst ausgelotet werden mussten. Das hat funktioniert, mal besser, mal schlechter, aber es hat funktioniert. Der sichtbare Beweis ist Ihr Nachwuchs!

Auch jetzt ist es wieder an der Zeit, Vereinbarungen zu treffen und Grenzen auszuloten: mit den Eltern Ihrer Enkelkinder, also mit Ihren Kindern. Oh je, ist das nicht ein bisschen gezwungen, ein bisschen künstlich? Vereinbarungen? Wir lieben unsere Kinder und unsere Enkelkinder. Kann man noch mehr verlangen?

Nein, natürlich nicht! Trotzdem soll Ihre Liebe aber ja Freude bereiten und für Sie selbst und die anderen Familienmitglieder immer ein gutes und wohliges Gefühl stiften. Denken Sie deshalb mal über ein, neudeutsch Commitment genanntes, Regelwerk nach. Das ist nichts anderes als eine Vereinbarung über grundlegende Formen des Umgangs miteinander. Vielleicht können Sie darauf auch verzichten, weil im Verhältnis zu Ihren Kindern und Enkelkindern alles wunderbar läuft und Sie unbewusst und ganz automatisch wissen, wie weit Ihr eigener Zuständigkeitsbereich reicht. Falls aber nicht, könnte so ein Commitment helfen.

Sophie zum Beispiel. Die Kleine ist zarte acht Monate alt und besitzt einen Kleiderschrank ungeahnten Ausmaßes: Strampelanzüge, Söckchen, Schühchen, Häubchen, Mützchen, Schälchen. Jeder Kinderausstatter würde vor Neid erblassen. Wie kommt’s? Nun, beide Großmamas verwandelten sich, sobald der errechnete Geburtstermin des Enkelkinds bekannt war und sein Geschlecht feststand,      in regelrechte Shoppingmaniacs, in Einkaufsmonster und Schrecken der Fußgängerzonen. Flugs verbarrikadierten sich die künftigen Omas jeweils für ganze Nachmittage in Geschäften mit Babybekleidung. Kurz vor Ladenschluss wurden prall gefüllte Einkaufstüten nach Hause geschleppt, der Inhalt wurde kunstvoll mit Geschenkpapier umwickelt und in riesige Präsentpakete mit großen Schleifen gepackt. Kurzum: Auf die kleine Sophie rollte, kaum dass ihr erster Schrei verklungen war und sie die Geburtsstation verlassen hatte, eine gewaltige Lawine von Klamotten zu. Dabei nahm jede der Großmamas für sich selbstverständlich in Anspruch, nur den besten Geschmack zu haben – ein himbeerfarbener Strampler mit blauer Knopfleiste (»Ach, wie süß!«) oder ein quietschgelber Body, mit dem Sophie an einen Kanarienvogel erinnert … Sei’s drum, gekauft ist gekauft und einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul!

Wirklich? Sabine, Sophies Mutter, schwankte und wankte – zwischen Gerührtheit, Dankbarkeit, einem heimlichen Schmunzeln über den nicht enden wollenden Tsunami aus Seide, Wolle, Samt und Frottee und einer gehörigen und zunächst ganz undefinierbaren, gleichwohl aber riesengroßen Portion Wut über die Selbstverständlichkeit, mit der Sophies Großmütter ihre Mode diktierten. Als Sabines Vater dann auch noch mit einem Kinderdreirad, Marke Tigerente, anrückte (Sophie feierte gerade ihre dritte Woche auf dieser Welt und dachte noch nicht im Traum daran zu laufen, geschweige denn zu fahren) und Schwieger-Opa Horst kurz darauf mit einer sexy Barbiepuppen-Garnitur (platin- und dunkelblond, rot-, schwarz- und braunhaarig) konterte, platzte Sabine der Kragen: »Könnt Ihr diesen Terror bitte sofort stoppen und uns vielleicht einmal fragen, was wir wirklich brauchen können?«

Unverständnis, Leere, blankes Entsetzen – und riesenhafte Enttäuschung aufseiten der Großeltern! Na ja, Sabines Reaktion ist sicherlich hart und auch den Anstrengungen der ersten Zeit nach der Geburt geschuldet, in der noch nicht alle ihren Rhythmus gefunden haben. Tom, Sophies Vater, versucht denn auch, die aufflackernden Emotionen allseits zu beruhigen. Trotzdem gibt es natürlich eine tiefere Ursache für den Aufruhr, den alle Beteiligten hätten vermeiden können. So liegt es doch auf der Hand, dass Mutter Sabine und meistenteils auch Tom eigene Vorstellungen davon haben, wie der neue Familienspross einzukleiden ist, welche Spielsachen er angeboten bekommt und wie der erste fahrbare Untersatz beschaffen sein sollte, mit dem Sophie frühestens in eineinhalb Jahren einmal die Gegend unsicher machen wird. Genau: Hier fehlen Vereinbarungen zwischen den Generationen, die Missverständnisse und Ärger ganz einfach vermeiden helfen. Besser wäre es sicher gewesen, wenn Sabine die künftigen Großeltern, gemeinsam oder unabhängig voneinander, schon vor der Geburt zu einem Einkaufsbummel mitgenommen und bei dieser Gelegenheit deutlich gemacht hätte, was sie sich für die kleine Sophie vorstellt – welche Farben, welche Stoffe und Materialien und welche ersten Spielzeuge. Da ist Einfühlungsvermögen von allen Seiten gefragt, und das angesprochene Commitment. Hiermit könnte zum Beispiel festgelegt werden, dass Sie als Großeltern ein kleines Konto einrichten, von dem die Eltern Babyausstattung und Ausrüstungsgegenstände für ihr Kind (Kommode, Badewanne, Kinderwagen, später dann einen Buggy, Kindersitze für den Esstisch und das Auto usw.) bezahlen. Ebenso könnten sich die Großeltern Aufgaben und Anschaffungskosten teilen. Dann wären die einen, je nach Absprache mit den Eltern, für den Monatsbedarf an Pampers und die anderen für die Schuhe zuständig. All das ist möglich – und ratsam.

Besonders geschickt gelöst hat dieses Problem übrigens Laura, eine Freundin von Sabine. Ihr Sohn Maximilian war gerade geboren, da begann sie damit, kleine Pappkartons in der Größe von Geschenkkärtchen an die Türklinke des Kinderzimmers zu hängen. Darauf standen ihre Wünsche für das kleine Mäxchen und sinnvolle Anschaffungen. Ohne Frage fanden diese gut gemeinten Hinweise besonders reißenden Absatz, wenn Omas und Opas zu Besuch waren!

Gute Werte, schlechte Worte

Matthias ist eigentlich ein lieber und aufgeweckter Junge, freundlich und rücksichtsvoll. Dabei kann er aber auch ein richtiges Temperamentsbündel sein, das nicht so leicht zu bändigen ist. Seitdem er die Schulbank drückt, haben seine Umgangsformen gelitten, und er wirft oft mit Ausdrücken und Schimpfwörtern wie »Sch…!«, »Mistkerl« oder gar »A…!« um sich. Seinen Großeltern gefällt das ganz und gar nicht, und sie versuchen, ihm die »schlimmen Wörter« zu verbieten. Wenn Matthias zu Besuch ist, kriegt er deshalb regelmäßig die rote Karte: »Lass das, Matthias! Ich will so etwas nicht hören. Das sagt kein anständiger Junge!«

Zu Hause aber lassen sie alle Fünfe gerade sein. Als die Großeltern zum Essen eingeladen waren, meinte Matthias’ Vater gar: »Lasst ihn doch, ihr könnt ihn nicht immer nur korrigieren. Ich will diese Fäkalausdrücke auch nicht hören. Was meint Ihr aber, was los ist, wenn er mit seinen Schulfreunden hier herumtobt? Da bleibt kein Auge trocken, da fallen noch ganz andere Ausdrücke!«

Wie reagieren? Hand aufs Herz: Als Kinder haben wir auch alle die Schlimme-Wörter-Phase durchlaufen und sind bei den Erwachsenen angeeckt. Das hat viel mit der kindlichen Entwicklung zu tun: Die Kleinen sind schon wer (sie fühlen sich jedenfalls so) und wollen das lautstark demonstrieren. Sie testen die Grenzen aus, haben Spaß daran, Ältere zu schockieren, und müssen schließlich dieselbe Sprache sprechen wie ihresgleichen. Sonst gelten sie schnell als uncool und Mamasöhnchen. Außerdem, und das sollten Großeltern keinesfalls vergessen, dreht sich die Welt immer schneller: Ihre Enkelkinder wachsen in einer anderen Zeit auf, sehen Filme im Fernsehen, die sie wahrscheinlich noch nicht sehen sollten, und spielen Computer- und Videospiele, bei denen Sie sich mit Grausen abwenden würden. Nein, das ist nicht mehr die heile Welt des Heimatfilms aus den 1950er-Jahren. Das hat mit Ihren Kindheitsidealen und -idolen eines Karl May, Mark Twain oder Robert Louis Stephenson nichts mehr zu tun. Tom Sawyer und Huckleberry Finn waren verbale Waisenknaben im Vergleich zu Ihren hartgesottenen Enkeln heute. Schön ist das manchmal nicht, aber Ausdruck einer anderen Zeit.

Trotzdem können auch Sie dabei helfen, dem Nachwuchs Grenzen aufzuzeigen. Auch wenn es Ihnen manchmal schwerfällt zu begreifen, dass Schule und Elternhaus heutzutage offensichtlich nicht mehr den »Durchgriff« wie früher haben, können Sie mit Ihrem guten Beispiel zeigen, dass nicht jedes zweite Wort in der Konversation ein Schimpfwort sein muss. Insofern ist es gut, Ihre eigenen Werte auch den Enkelkindern zu vermitteln und die Eltern bei der Erziehung zu unterstützen. Auch hierbei ist es jedoch wichtig, sich mit den Eltern abzusprechen. Denn es ist nur wenig sinnvoll, Verhaltensweisen zu kritisieren und zu hinterfragen, die von den Eltern Ihrer Enkelkinder toleriert werden. Ebenso wenig – und dies dürfte weitaus öfter der Fall sein – ist es gut, Erziehungsmaßnahmen der Eltern zu unterlaufen und Ihre Enkel beispielsweise unbeaufsichtigt vor dem Fernsehgerät sitzen zu lassen, wenn sie zu Hause ausdrücklich lediglich ausgewählte Sendungen sehen dürfen. Hier sollten Sie unterstützen und nicht unterminieren. Andererseits kann es auch hilfreich sein, wenn Kinder in vernünftigem Maße unterschiedliche Regeln erleben. Daran reifen sie, zweifellos. Wenn Ihr Enkelkind Sie am Wochenende besucht, dann kann es zum Beispiel sein, dass es länger aufbleiben darf, schon alleine deshalb, weil es eventuell schon zur Schule geht und am Sonntagmorgen nicht früh aufstehen muss. Zu Hause bei den Eltern gelten dann wieder die strengeren Zubettgehzeiten. Das schafft Freiräume, aber auch ein Gefühl für die Notwendigkeit verschiedener Regeln und Vereinbarungen.

Zu Ihren eigenen Werten zählen aber natürlich noch ganz andere, viel bedeutendere Dinge: Respekt vor anderen Menschen, ein höflicher und freundlicher Umgang miteinander, die Achtung vor der Schöpfung, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit. All das können Großeltern ihren Enkelkindern auf spielerische Art und Weise vermitteln. Denn sie verfügen über einen kostbaren Besitz, den die Elterngeneration nicht hat: Zeit. Während Vater und Mutter meist zwischen ihrem Arbeitsplatz und der Wohnung hin- und herhetzen, Geld verdienen müssen und das Alltagsleben organisieren, können Großeltern, sofern sie gesund und munter sind, die Seele baumeln lassen und sich ausgeglichen und ruhig der philosophischen Betrachtung der Welt überlassen. Für Enkelkinder ist das häufig eine faszinierende Erfahrung! Während Papa oder Mama, mitunter genervt von ihrer Arbeit und den vielen alltäglichen Problemen, oft genug nur kurz angebunden und mürrisch auf all die Warum-Fragen ihrer Sprösslinge reagieren, sind Oma und Opa viel ausgeglichener und reflektieren mit den Kleinen: Ja, warum ist dies und das eigentlich wirklich so? Warum ist der Himmel blau, das Wasser nass und der Schnee so kalt? Warum hat eine Katze keine Flügel, und warum wächst der Apfel auf dem Baum und warum wächst die Kartoffel in der Erde? Da entstehen viele Gespräche zwischen Großeltern und Enkeln, die Väter und Mütter nur selten erleben!

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Auch die größte Freiheit ist nicht grenzenlos

Manchmal ist die Beziehung eines Enkelkinds zu seinen Großeltern so perfekt und harmonisch, dass sie beinahe wie ein Klischee erscheint. Davon beispielsweise kann Matthias berichten, der heute als IT-Manager seine Brötchen verdient und auf eine mindestens ebenso innige Bindung zu seiner längst verstorbenen Großmutter zurückblickt wie Amerikas Präsident Barack Obama, der von seiner Großmutter erzogen wurde.