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VORWORT

DIES IST EIN ESSBUCH, KEIN KOCHBUCH. Sie werden kein einziges Rezept darin finden. Aber Sie werden alles finden, was zur richtigen Ernährung Ihres Kindes – vom ersten Lebenstag an – für Sie wissenswert ist. Aktuelle Forschungsergebnisse und Erkenntnisse zur Ernährung wurden in diese überarbeitete Auflage aufgenommen.

Es geht in diesem Buch nicht nur darum, was Ihr Kind isst. Genauso wichtig ist, wie Eltern und Kinder am Tisch miteinander umgehen. Sie erfahren, warum in so vielen Familien der Esstisch zum Stresstisch wird. Das müsste nicht so sein – wenn jeder in der Familie nur eine einfache Spielregel kennen und einhalten würde: die Spielregel für richtiges Essen.

Um diese Spielregel dreht sich alles.

Wir haben sie uns nicht ausgedacht, sondern sie entspricht dem Stand der Wissenschaft. Je mehr Sie darüber erfahren, desto logischer wird sie Ihnen erscheinen. Zusätzlich finden Sie viele unterhaltsame Fallbeispiele und ganz konkrete Tipps, wie Sie die Spielregel – je nach Alter Ihres Kindes – in die Tat umsetzen können.

Seit der ersten Auflage dieses Buches hat es zum Thema Essen einige neue Entwicklungen gegeben. Zum Beispiel wissen wir heute mehr darüber, welche Lebensmittel gut für Ihr Kind sind – und mit welchen Sie sparsamer umgehen sollten. Die neuen Erkenntnisse haben wir in diese erweiterte und aktualisierte Auflage aufgenommen. Außerdem hat das Buch ein neues Gesicht bekommen, damit Sie noch mehr Freude am Lesen haben.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg mit unserer Spielregel – und viel Spaß beim Essen mit der ganzen Familie!

Annette Kast-Zahn und Hartmut Morgenroth

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Richtig essen ist nicht schwer

In diesem Kapitel erfahren Sie …

welche Erfahrungen für Eltern und Kind mit dem Thema Essen verbunden sein können

welche Essprobleme beim Kinderarzt zur Sprache kommen

auf welche Spielregel es beim Essen ankommt

warum Ihr Kind selbst weiß, was und wie viel es zum Leben braucht

welche Rolle Erziehung und Vererbung spielen

was Ihnen die Gewichtskurven aus dem Vorsorgeuntersuchungsheft sagen

was Sie über gesunde Ernährung wissen sollten

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Essen – Stress oder Spaß für Eltern und Kind?

Eigene Erfahrungen

MIT DEM THEMA ESSEN verbinden viele Eltern nichts Gutes, wenn sie an früher denken. Fallen auch Ihnen negative Erinnerungen aus Ihrer eigenen Kindheit ein? Ein Geruch, ein Gefühl, ein Erlebnis der unangenehmen Art, das Ihnen bis heute nachhängt?

Eltern, die wie ich noch in den fünfziger Jahren zur Welt kamen, wurden als Kind nicht selten als »zu dünn« befunden und ins Kinderheim geschickt.

Viele Kinder dort hatten mit Heimweh zu kämpfen und zusätzlich mit der ungewohnten Kinderheimküche.

Nicht selten wurden sie dort – wie auch zu Hause – zum Aufessen gezwungen:

»Du bleibst sitzen, bis dein Teller leer ist«, hieß die Regel. Einige traf es besonders hart. Mehrfach wurde mir von Betroffenen eine Methode geschildert, die nichts anderes als Kindesmisshandlung ist: Wenn das hineingezwungene Essen nicht im Magen blieb und die Kinder es erbrachen, wurde ihnen zur Strafe das Erbrochene vorgesetzt.

Ihre eigenen Erfahrungen sind hoffentlich weniger dramatisch. Aber vielleicht sind auch Sie in irgendeiner Form zum Essen gezwungen worden.

Oder hat man Ihnen Essen vorenthalten, weil man Sie »zu dick« fand? Oder, falls Sie zur Großeltern-Generation gehören: Haben Sie Hunger gelitten, weil es einfach nicht genug gab? Galt bei Ihnen zu Hause die Regel »Kinder haben am Tisch den Mund zu halten«?

Haben Sie am Tisch oft eine Stimmung erlebt, die Ihnen die Kehle zusammengeschnürt hat? Oder haben Sie selbst eventuell durch schlechtes Benehmen Ihrer Familie den Appetit verdorben?

Erinnerungen an die eigene Kindheit

Die kleine Anne ist fünf Jahre alt. In letzter Zeit war sie öfter krank: Scharlach, Mittelohrentzündung, Mandelentzündung. Nun hat sie schon wieder Fieber. Was sie wohl wieder ausbrütet?

Wie blass sie ist! Und die dünnen Ärmchen! »Nur Haut und Knochen«, hat Oma festgestellt. »Kein Wunder, dass sie dauernd krank ist. Sie hat ja nichts zuzusetzen.« Annes Mutter weiß, was da zu tun ist: Sie kocht Grießbrei.

Es gibt nichts Gesünderes als Grießbrei, meint sie. Grießbrei macht stark.

Sie füllt einen großen Suppenteller bis an den Rand mit heißem Brei und bringt ihn der kleinen Anne ans Bett.

Anne hasst Grießbrei. Sie fühlt sich schlapp und elend und möchte am liebsten überhaupt nichts essen. Und jetzt auch noch Grießbrei. Sie muss schon fast würgen, wenn sie ihn nur riecht. Sie presst die Lippen zusammen. Ihre Mama versucht es zuerst mit Liebe und gutem Zureden: »Komm, ein Löffelchen für Mami, eins für den Papa und eins für die Oma.« Anne fängt an zu weinen: »Ich mag nicht!«

Ihre Mutter fängt an zu schimpfen:

»Du musst essen! Oder willst du nicht gesund werden?« Es geht lange hin und her. Die fünfjährige Anne wird unter Tränen mit dem Grießbrei gefüttert. Am Ende der Mahlzeit sind Mutter und Kind völlig »erledigt«.

Die kleine Anne, das war ich selbst.

Meine Mutter meinte es gut mit mir.

Aber noch heute, über vierzig Jahre später, bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen, wenn ich nur an Grießbrei denke. Bis heute hasse ich jede Art von Brei und Pudding. Den Babybrei meiner Kinder konnte ich nur mit größter Überwindung probieren.

Kein einziges Mal in meinem Leben habe ich selbst Grießbrei gekocht.

Zum Glück gibt es aber auch besonders schöne Kindheitserinnerungen zum Thema Essen. So war es für meine Geschwister und mich immer ein Festschmaus, wenn mein Vater samstags nach dem gemeinsamen Schwimmbadbesuch Hähnchen mit Pommes frites mit nach Hause nahm. Wenn ich dann noch eine der beiden knusprigen Keulen ergattert hatte, war mein Glück perfekt. Auch große Familienfeste und Urlaubserlebnisse, an die ich bis heute gern zurückdenke, waren oft mit ausgiebigen gemeinsamen Mahlzeiten verbunden.

Ob Sie es wollen oder nicht: Ihre Ess-Erfahrungen aus Ihrer eigenen Kindheit sitzen mit am Tisch. Wenn Sie Ihre Familienmahlzeiten von früher in bester Erinnerung haben, Essen immer genießen konnten und bis heute mit Ihrer Figur zufrieden sind, haben Sie es leicht. Essen ist für Sie »normal«. Sie müssen nicht zu viele Gedanken daran verschwenden. Sie können einfach weitergeben, was Sie selbst gelernt haben. Wenn zusätzlich noch die Atmosphäre am Tisch stimmt, stellen sich Lust und Spaß beim Essen von selbst ein.

Wenn Ihre eigenen Erfahrungen mit dem Essen aber negativ waren, wenn Ihnen viel Stress, Spannung und Zwang in Erinnerung geblieben sind, wenn Sie zusätzlich noch mit Ihrem Gewicht und Ihren Ernährungsgewohnheiten unzufrieden sind, haben Sie es schwerer. Essen ist für Sie etwas Kompliziertes. Es kann dabei viel schiefgehen. Ihr Kind braucht aber – zusätzlich zu einem guten Nahrungsangebot – Ihr Vertrauen. Dann kann es richtig essen. Ihnen hat früher vielleicht niemand dieses Vertrauen entgegengebracht. Ohne Vertrauen kommt es zu Kämpfen am Tisch. Das bedeutet Stress beim Essen.

Erfahrungen mit den eigenen Kindern

Auch mit meinen eigenen drei Kindern teile ich mittlerweile schöne und weniger schöne Ess-Erfahrungen. Schön sind heute noch gemeinsame Mahlzeiten in guter Stimmung. Während der Mahlzeiten erfahren wir Eltern nicht selten die wichtigsten Neuigkeiten, Probleme und Freuden unserer Kinder. Es werden Pläne geschmiedet und Fragen diskutiert. Was geredet wird, ist manchmal wichtiger als das Essen.

Ich erinnere mich an eine eindrucksvolle Geschichte, die mein Sohn Christoph im Alter von vier Jahren beim Abendessen zum Besten gab: »Einmal vor langer Zeit, da war ich noch nicht in der Welt, da war ich noch tot, irgendwo am Meer, ganz weit weg, da hat mich ein Tiger ins Knie gebissen.«

Ein anderes Beispiel: Als meine Tochter Katharina acht Jahre alt war, hatte sie beim Mittagessen einige ganz konkrete Fragen zum Thema sexuelle Aufklärung. Zufällig gab es Bratwurst – gut geeignet als Anschauungsobjekt bei der Beantwortung ihrer Fragen. Es wurde eine sehr heitere Mahlzeit.

Ein paar Jahre später saßen wir zum ersten Mal an unserem neuen runden Tisch, der einen zehn Zentimeter größeren Durchmesser hatte als der alte.

Während der ganzen Mahlzeit gab es eine lebhafte Diskussion: Ein Teller welcher Größe passt nun zusätzlich in die Mitte des Tisches?

Es gibt auch unangenehme Erinnerungen zum Thema Essen: Weniger schön war, dass ich für meine drei Kinder insgesamt fünf Jahre lang nachts aufstehen musste, weil sie Hunger oder Durst hatten. Erst dann lernte ich, dass ich ihnen das nächtliche Trinken selbst beigebracht hatte und wie ich es ihnen abgewöhnen konnte.

Unser Elternratgeber »Jedes Kind kann schlafen lernen« (siehe Buchtipp >) gibt darüber genauere Auskunft.

Vieles weniger Angenehme wird auch Ihnen bekannt vorkommen: wenn beim Essen mehr als ein Glas und noch zusätzlich ein Stuhl mitsamt einem Kind darauf umkippt.

Oder wenn die Geschwister sich beim Essen lautstark streiten. Oder wenn die unter Zeitdruck gekochte Mahlzeit bei den Kindern auf einhellige und nicht besonders höfliche Ablehnung stößt. Oder wenn das eine oder andere Kind einen erstaunlich geringen Appetit zeigt – und kurz danach hinter dem Sofa eine leere Schokoladenpackung zum Vorschein kommt.

Am Tisch konzentriert sich alles Gute und alles Schlechte. Dort zeigt sich, wie gut die Kinder gelernt haben, Regeln einzuhalten und rücksichtsvoll mit anderen umzugehen. Fast könnte man sagen: »Essen gut, alles gut.«

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Die Sorgen der Eltern: »Isst mein Kind zu wenig? Zu viel? Isst es das Richtige?«

Erfahrungen in der Kinderarztpraxis

IN DER KINDERARZTPRAXIS wird vor allem bei den Vorsorgeuntersuchungen das Thema Essen von den Eltern immer wieder angesprochen. Viele wollen gern wissen, ob sie wirklich alles richtig machen. Einige machen sich ernstlich Sorgen um das Essverhalten ihrer Kinder. Und immer wieder begegnen wir Eltern, die das Thema Essen schier zur Verzweiflung bringt.

Wir wollten es genauer wissen und haben über 400 Eltern bei den Vorsorgeuntersuchungen U4 bis U9 befragt, wie sie das Essverhalten ihrer Kinder einschätzen. Die Kinder waren zum Zeitpunkt der Befragung zwischen fünf Monaten und fünf Jahren alt.

Zunächst interessierte uns, wie viele Eltern überhaupt Probleme mit der Ernährung ihrer Kinder hatten. Das Ergebnis: Während der ersten Lebensmonate – also vor allem während der Stillzeit – scheint noch alles recht gut zu klappen.

Nur sehr wenige Eltern (unter fünf Prozent) empfanden das Essverhalten ihrer drei bis sieben Monate alten Babys als Problem. Bei den Kindern zwischen ein und fünf Jahren sah es jedoch ganz anders aus: Zwischen 20 und 30 Prozent der Eltern bewerteten die Essgewohnheiten ihrer Kinder als Problem, sieben Prozent davon sogar als großes Problem.

In der Grafik auf der vorhergehenden Seite konnten Sie die interessantesten Ergebnisse unserer Elternumfrage auf einen Blick sehen. Als wichtigstes Ergebnis bleibt festzuhalten: Zumindest bei Kindern unter sechs Jahren haben auffällig viele Eltern Angst, ihr Kind sei zu dünn und esse zu wenig.

Wenn es ein Problem in unserer Gesellschaft gibt, dann lautet das jedoch bestimmt nicht »Wir haben zu viele dünne Kinder«. Richtiger wäre: »Wir haben zu viele dicke Kinder.« Die Eltern nehmen dies völlig anders wahr.

Manchmal nimmt das kuriose Ausmaße an. Dr. Morgenroth berichtet aus seiner Kinderarzt-Praxis:

 

Ein Vater kam mit seinem zweieinhalbjährigen Sohn in die Praxis. Der Kleine wog weit über 20 kg und lag damit mindestens 5 Kilo über dem Durchschnitt seiner Altersgenossen.

Zu meiner Überraschung beklagte sich der Vater: »Mein Sohn isst nicht!«

 

Dr. Morgenroth wies den besorgten Vater darauf hin, dass sein Sohn bestimmt nicht unterernährt sei, dass er im Gegenteil eher einige Pfunde zu viel mit sich herumtrage. Aber der Vater blieb dabei: »Nein, Herr Doktor. Mein Sohn isst nicht. Nur acht große Fruchtjoghurts am Tag, sonst gar nichts.«

Die entscheidende Spielregel zum Thema Essen

WIR FINDEN ES SEHR BEMERKENSWERT, dass ein Fünftel der Eltern seine Kinder für »schlechte Esser« hält. Wie viele dieser Eltern mögen sich wohl irren? Unsere Antwort mag Sie überraschen: alle! Gesunde Kinder können gar nicht zu wenig essen und damit auch nicht »zu dünn« sein, wenn sie regelmäßig genug angeboten bekommen. Auf die seltenen – meist krankheitsbedingten – Ausnahmen werden wir später noch eingehen. Gesunde Kinder aber wissen ganz genau, wie viel sie essen müssen. Sie wissen es besser als die Eltern. Je jünger sie sind, desto zuverlässiger und genauer wissen sie es.

Unsere Umfrage hat gezeigt, dass die Eltern ihren Kindern dieses Wissen im Babyalter auch noch zutrauen. Wie aber kann dieses wertvolle Wissen verloren gehen? Es gibt nur eine Möglichkeit: Die Kinder können es »vergessen« – wenn ihre Eltern ihnen nicht mehr vertrauen und ihnen stattdessen zeigen:

»Du kannst das nicht allein. Deshalb entscheide ich, wie viel Essen für dich genug ist.« Ein häufiger und verhängnisvoller, aber vermeidbarer Fehler!

Einfache Regel mit großer Wirkung

Deshalb werden Sie schon jetzt, am Anfang des Buches, die entscheidende Spielregel zum Thema Essen kennen lernen. Wir haben sie uns nicht selbst ausgedacht, sondern sie entspricht dem Stand der Wissenschaft. Die amerikanische Ernährungsexpertin und Therapeutin Ellyn Satter hat sie sinngemäß in einem in den USA viel beachteten Buch (siehe Quellennachweis >) schon 1987 formuliert.

Im 1999 vom Verband der amerikanischen Kinderärzte herausgegebenen offiziellen Ernährungsratgeber (siehe ebenfalls >) ist die Regel auf der ersten Seite zu finden.

Sie sollten die Spielregel, die Sie im Kasten auf der nächsten Seite finden, immer befolgen, ob Sie nun mit dem Essverhalten Ihres Kindes Probleme haben oder nicht. Sie können beim Thema Essen kaum noch etwas falsch machen, wenn Sie sich an die Spielregel halten. Die Regel klingt sehr einfach. Es ist aber ganz und gar nicht einfach, auch konsequent danach zu handeln. Die Gefahr zu »mogeln« ist für Eltern und Kind sehr groß. Wir stellen außerdem immer wieder fest:

Es ist sehr schwierig, Eltern von der Richtigkeit und Wichtigkeit dieser Spielregel zu überzeugen.

Denken Sie an die kleine kranke Anne vom Anfang des Buches. Ihre Mutter hat auf allen Ebenen »gemogelt«, als sie ihre Tochter gegen deren Willen mit Grießbrei fütterte. Führen Sie sich bitte jetzt noch einmal Ihre eigenen Ess-Stress-Erfahrungen vor Augen: Haben Ihre Eltern nicht in jeder dieser besonders unangenehmen Situationen heftig gegen die auf der nächsten Seite vorgestellte Spielregel verstoßen?

Viele Eltern verstoßen gegen die Spielregel, indem sie zu viel tun. Sie mischen sich ein, wenn eigentlich ihr Kind an der Reihe ist: Sie wollen beeinflussen, ob es etwas essen möchte, was es sich aus dem Angebot aussucht und wie viel es isst. Das Ergebnis ist immer gleich: Stress beim Essen.

Auch Kinder verstoßen häufig gegen die Spielregel. In dem Fall tun die Eltern zu wenig: Sie überlassen zum Beispiel ihrem Kind, welche Speisen auf den Tisch kommen – wie bei dem kleinen Jungen mit den vielen Fruchtjoghurts von >. Oder sie lassen ihr Kind entscheiden, wann gegessen wird: so wie die Mütter, die ihr Kind mehrmals pro Nacht füttern. Manche Eltern lassen ihr Kind bestimmen, welche Verhaltensregeln beim Essen gelten und ob es überhaupt welche gibt. In all diesen Fällen lassen die Eltern ihr Kind »mogeln«. Auch das führt unweigerlich zu Stress und »Theater« beim Essen.

In Vorträgen und Diskussionen äußern viele Eltern Zweifel: »Mein Kind soll selbst entscheiden, ob und wie viel es essen will? Das kann doch gar nicht gut gehen. Dann nimmt es ja überhaupt nichts Vernünftiges mehr zu sich. Es ist doch jetzt schon mühsam, ein paar Löffelchen Gemüse hineinzubekommen.«

Ziel des Buches ist es, Ihnen Mut zu machen, Ihrem Kind zu vertrauen.

Dazu bekommen Sie ganz konkrete Hinweise, wie Sie die Spielregel je nach Alter Ihres Kindes umsetzen können.

DAS WICHTIGSTE AUF EINEN BLICK

Eigene Erfahrungen der Eltern

Die Kindheitserinnerungen der Eltern zum Thema Essen spielen für den Umgang mit Essen bei den eigenen Kindern eine wichtige Rolle.

Unnötige Sorgen

In einer Umfrage in der Kinderarztpraxis zeigte sich: Bei Kindern unter sechs Jahren lautet eine häufig geäußerte Befürchtung der Eltern:

»Mein Kind isst zu wenig.«

»Mein Kind isst zu viel« vermuten dagegen nur sehr wenige Eltern.

Die entscheidende Spielregel

Was Sie Ihrem Kind wann und wie anbieten, entscheiden Sie. Ob und wie viel es davon essen will, entscheidet Ihr Kind.

SO KLAPPT ES

Ihre Spielregel für richtiges Essen

Sie entscheiden:

Ihr Kind entscheidet:

Ihre Elternrolle beim Thema Essen ist damit klar umrissen:

Welches Benehmen wollen Sie erlauben – welches nicht? Sie setzen die Einhaltung der Verhaltensregeln durch. Sie sorgen für eine angenehme Atmosphäre. Sie sind ein gutes Vorbild und essen selbst mit Genuss.

Wenn Ihr Kind noch nicht allein essen kann, bieten Sie ihm Ihre Hilfe an.

So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Damit ist Ihr »Job« erledigt.

Alles, was Sie darüber hinaus tun, ist »Mogeln«.

Die Rolle Ihres Kindes ist ebenfalls klar:

Das gilt vom Baby bis zum Jugendlichen. Bei einem Baby, das noch nicht allein essen kann, gilt zusätzlich: Sie helfen ihm. Dabei müssen Sie seine Signale zum Auswählen, Anfangen und Aufhören richtig entschlüsseln.

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Was Eltern über das Essen wissen müssen

Das »innere Regelsystem« des Kindes

HABEN KLEINE KINDER tatsächlich die angeborene Fähigkeit, das richtige Essen auszuwählen, und zwar in der richtigen Menge? Unsere Umfrage hat gezeigt, dass sehr viele Eltern ihren Kindern das nicht zutrauen. Sie lassen sich nicht so leicht überzeugen. Sie brauchen Beweise. Und die gibt es.

Clara Davis und ihre Waisenkinder

Die Ärztin Clara Davis hat 1928 ein Experiment zu diesem Thema gemacht (siehe Quellennachweis >). Sie nahm die drei Waisenkinder Earl, Donald und Abraham, alle zwischen sieben und neun Monate alt, in ihr Krankenhaus auf. Alle drei waren bis dahin voll gestillt worden. Nun begann das Experiment: Sechs Monate lang bekamen die Kleinen zu jeder Mahlzeit ein Tablett mit zehn verschiedenen Speisen darauf: Fleisch, Innereien, Fisch, Getreide, Eier, Früchte, Gemüse – alles roh oder gekocht, aber nicht verarbeitet (also zum Beispiel kein Brot, keine Nudeln), nicht vermischt (zum Beispiel keine Suppe) und so einfach wie möglich zubereitet. Eine Krankenschwester war bei den Mahlzeiten dabei, beobachtete aber nur und wog die übrig gebliebenen Portionen. Earl, Donald und Abraham durften sich selbst bedienen, mit den Fingern.

Alle drei waren nach sechs Monaten in bester gesundheitlicher Verfassung.

Wachstum, Gewichtszunahme, äußere Erscheinung, Aktivität – alles war in bester Ordnung. Offenbar hatten sie sich eine optimale Kombination zusammengestellt. Sogar nach heutigen Maßstäben ist die Zusammensetzung ihrer Diät völlig zufriedenstellend.

Kann man nun daraus schließen, dass Kinder die angeborene Fähigkeit haben, sich selbst optimale Nahrungsmittel in der richtigen Menge auszusuchen? Nicht ganz. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass auf den Tabletts für Earl, Donald und Abraham einige Dinge vollständig fehlten: Eiscreme, Schokolade, Kuchen, Pommes frites, Zucker … Das heißt: Den Kindern wurde nur vollwertige Nahrung angeboten.

Aus diesem Angebot haben sie sich das Richtige für ihre optimale Entwicklung herausgesucht. Keines von ihnen hat zu wenig, zu viel oder zu einseitig gegessen. Aber was wäre passiert, wenn die aufgezählten Köstlichkeiten aus dem Supermarkt mit auf dem Tablett gelegen hätten? Es ist heute nicht mehr denkbar, so ein Experiment zu machen – und diesmal auch die besonders süßen und fetten Lebensmittel auf dem Tablett anzubieten. Man kann sich das Ergebnis aber vorstellen, denn durch viele Untersuchungen ist erwiesen: Kinder haben eine angeborene Vorliebe für Süßes. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätten Earl, Abraham und Donald Zucker, Schokolade und Eiscreme den meisten für die Ernährung wertvollen, aber ungesüßten Lebensmitteln vorgezogen. Süßes und mit viel Fett Verarbeitetes hätte die perfekte Balance von Appetit, Energiezufuhr und Gewicht sehr wohl ins Wanken bringen können.

»Supermarkt-Diät« für Ratten

Zu diesem Thema wurden auch Versuche mit Tieren durchgeführt. Tiere überfressen sich normalerweise nie, wenn sie artgerechtes Futter bekommen – auch dann nicht, wenn ihnen zu große Mengen angeboten werden. Solange sie gesund sind, fressen sie übrigens auch nie zu wenig. Aber auch Tiere lieben Süßes. In einem Experiment (siehe Quellennachweis >) bekamen Laborratten eine deftige »Supermarkt-Diät«, unter anderem aus Keksen, Schokolade, Salami, Erdnussbutter und Käse. Die Tiere konnten sich nicht zurückhalten und überfraßen sich. Im Vergleich zu ihren normal gefütterten »Kollegen« nahmen sie mehr als doppelt so viel zu. Das unbegrenzte Angebot von Zucker und Fett ließ sie »vergessen«, was und wie viel sie zum Leben brauchen.

Gute Voraussetzungen schaffen

Was könnte man für die Ernährung von Kindern daraus schließen? Freier Zugang zu süßen, fetten, industriell verarbeiteten Lebensmitteln kann auch bei Kindern zu Überernährung und Übergewicht führen. Nicht sehr überraschend, oder? Interessanter ist die Frage: Was bedeuten die Ergebnisse für unsere Spielregel für richtiges Essen? Dies schon vorweg: Sie passen perfekt damit zusammen.

Deshalb müssen Sie als Eltern entscheiden, was auf den Tisch kommt.

Enthält Ihr Angebot eine Vielfalt von wertvollen Lebensmitteln, und begrenzen Sie gleichzeitig das Angebot von sehr fetten und süßen Speisen?

Dann – und nur dann – kann Ihr Kind genau die richtige Auswahl treffen.

Dann kann es ganz allein entscheiden, ob und wie viel es essen möchte.

Unter dieser Voraussetzung hat es die angeborene Fähigkeit, alles nach Bedarf zu regeln. Es wird genug essen, aber nicht zu viel.

Kleine Kinder – große Könner: Essen regeln nach Bedarf

Bei kleinen Kindern klappt die optimale Nahrungsaufnahme besser als bei älteren Kindern und bei Erwachsenen.

Warum ist das so? Solange ein Kind gestillt wird, ist das Angebot immer ideal.

Das Kind bestimmt, wie viel es trinken möchte. Hunger – trinken – satt sein. So einfach ist das. Die Mutter braucht die Menge gar nicht genau zu kennen.

Ein Kleinkind ist zwar durchaus schon wählerisch. Es bevorzugt Dinge, die es kennt, aber es lässt sich noch nicht beeinflussen von Werbung oder irgendwelchen Schlankheitsidealen.

Die Nahrungsmenge wird immer noch perfekt durch Hunger und Sättigung reguliert.

Experiment »doppelte Portion«

Eine interessante Untersuchung wurde 1991 mit kleinen Kindern im Alter zwischen zwei und fünf Jahren gemacht (siehe Quellennachweis >). Die Kleinen blieben zu Hause in ihrer Umgebung und bekamen täglich drei Mahlzeiten und drei Zwischenmahlzeiten angeboten. Das Angebot war vielfältig und ausgewogen, auch Süßes war gelegentlich dabei.

Das Besondere: Die Kinder bekamen jedes Mal »doppelte« Portionen vorgesetzt, und sie durften selbst bestimmen, wie viel sie davon essen wollten.

Wieder zeigte sich, dass die Kleinen genau so viel aßen, wie sie brauchten:

Sie »überfraßen« sich nicht. Es gab aber große Schwankungen von Mahlzeit zu Mahlzeit: Mal aßen sie fast nichts, mal sehr viel. Trotzdem nahmen sie jeden Tag ungefähr gleich viel zu sich. Fiel also eine Mahlzeit besonders reichlich aus, wurde bei einer anderen Mahlzeit am selben Tag gefastet – und umgekehrt. Beneidenswert, wie perfekt die Kleinen das regeln konnten.

Die Einflüsse von außen werden aber immer stärker, je älter ein Kind wird.

Nicht ganz so klug: das Essverhalten der Erwachsenen

Beim Erwachsenen wird es schließlich mit dem Essen richtig kompliziert: Bei der Auswahl der Lebensmittel spielen so verschiedene Dinge wie Geschmack, Kultur, Tradition, Gewohnheit, Geldbeutel, Neugier, Vorstellungen von Schönheit, Fitness, Gesundheit und Verträglichkeit, Verfügbarkeit und Aufwand bei der Zubereitung eine Rolle. Die innere Stimme, die sämtliche Bedürfnisse des Körpers kennt und nennt, kann von all dem überlagert werden.

Und die Menge? Essen wir Erwachsenen, wenn wir Hunger haben, und hören auf, wenn wir satt sind? Auch hier wird die innere Stimme oft übertönt. Wir essen zum Beispiel aus Höflichkeit oder aus Geselligkeit oder aus Langeweile oder aus Kummer oder aus Gewohnheit. Wir hören zum Beispiel auf, weil der Teller leer ist oder weil wir uns zu dick finden oder weil wir keine Zeit mehr haben. Was und wie viel wir essen, regeln wir oft nicht mehr instinktiv nach unserem Bedarf.

Äußere Einflüsse haben unser Essverhalten nicht selten »im Griff«.