Helmut Fischer

Alternativlos?

Europäische Christen auf dem Weg in die Minderheit

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.

Umschlaggestaltung: Simone Ackermann, Zürich, unter Verwendung von Günter Scharein »Hommage à Meister Mathis« © Günter Scharein, Berlin

Bibelzitate nach: Zürcher Bibel 2007

ISBN 978-3-290-17754-6 Buch)
ISBN 978-3-290-17208-4 (E-Book)

|XX| Seitenzahlen des E-Books beziehen sich auf die gedruckte Ausgabe.

© 2014 Theologischer Verlag Zürich
www.tvz-verlag.ch

Alle Rechte vorbehalten

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Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Einführung

1 Was mit Religion gemeint sein kann

1.1 Das Wort »Religion«

1.2 Religion in der Sicht der Aufklärung

2 Religion als eigenständiger Forschungsgegenstand

2.1 Wofür das Wort »Religion« heute stehen kann

2.2 Die Entwicklung der Religionswissenschaften

2.3 Paradigmen des Weltverstehens

2.4 Das Religionsverständnis der verschiedenen religionswissenschaflichen Disziplinen

3 Die Säkularisierungsthese

3.1 Der Wandel im Verständnis der Säkularisierungsthese

3.2 Inhalte des kulturellen Wandels

4 Empirische Daten zum Ist-Zustand der Religiosität

4.1 Das Bezugssystem der Befragungen

4.2 Messergebnisse zur Religiosität

4.3 Transzendenzverständnisse

4.4 Eine Typologie der Religiosität

4.5 Rückblick auf die Zustands-Erhebung

5 Religion und Menschsein

5.1 Eine andere Sicht auf Religion

5.2 Die Rolle der Sprache

5.3 Der Glaube an höhere Wesen |6|

6 Welterkenntnis und Gotteserkenntnis

6.1 Menschliche Welterkenntnis

6.2 Gotteserkenntnis – ein Element von Welterkenntnis

6.3 Das subjektivische Schema ermöglicht unterschiedliche Gottesvorstellungen

6.4 Die gegenwärtig praktizierten Paradigmen

6.5 Transzendenz

6.6 Religiöse Transzendenzvorstellungen und theistische Modelle entstehen und zerfallen miteinander

7 Tendenzen der Entwicklung von Religion und Religiosität

7.1 Dimensionen von Religion

7.2 Die Kirche als religiöse Größe

7.3 Dimensionen der Religiosität

8 Zusammenfassung und Auswertung

8.1 Religion und Religionslosigkeit

8.2 »Transzendieren« als elementare Religiosität

8.3 Religion und Gesellschaft

8.4 Religion und Kultur

8.5 Christliche Religion als Kirche

8.6 Zur kognitiven Dimension von Religiosität

8.7 Zur rituellen Dimension von Religiosität

8.8 Zur mystischen Dimension von Religiosität

8.9 Zur ethischen Dimension von Religiosität

8.10 Zur integrativen Dimension des Religiösen

9 Zusammenfassende Schlusssätze

Verzeichnis der zitierten Literatur

Bücher von Helmut Fischer

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Einführung

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wird Religion in immer kürzeren Abständen von den einen für überflüssig und tot erklärt und von den anderen als notwendig bezeichnet und lebendig gesprochen. Die Kritik an der Religion ist nur wenig jünger als die Religion selbst. Nur sagt sie wenig über das Phänomen Religion und deren Zukunft. Viel hingegen sagt sie uns über das Verhältnis der Kritiker oder Verteidiger von Religion zu ihrem Gegenstand. 1992 verbreitete »Der Spiegel« die Ergebnisse einer Befragung der Deutschen zur Religion mit der Schlagzeile »Abschied von Gott«. Im März 2001 horchte die Welt auf, als die Taliban die berühmten alten Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan zerstörten. Nach dem islamischen Anschlag des 11. Septembers 2001 kam das Thema Religion auf unerwartete Weise in die öffentliche Diskussion. 2004 veröffentlichte Friedrich Wilhelm Graf, Professor der Systematischen Theologie und Ethik an der Universität München, seine Untersuchungen zur Religion der Moderne unter dem provozierenden Titel: »Die Wiederkehr der Götter«. Seit 2006 erregte der »Gotteswahn« des Evolutionsbiologen und bekennenden Religionsgegners Richard Dawkins die Gemüter. Richard Schröders Einspruch dagegen (»Abschaffung der Religion?«) von 2008 und andere Apologien des Christentums haben das Gespräch belebt. »Rückkehr des Religiösen?« fragte auch der Religionssoziologe Detlev Pollack und setzte im Titel seines Buches ein Fragezeichen.

Ein Blick auf die unterschiedlichen Aussagen zur Religion zeigt, dass die abwertenden Äußerungen über sie ebenso wie die entsprechenden Verteidigungsschriften gleich mehrere Merkmale gemeinsam haben, die den Absolutheitsanspruch der jeweiligen Positionen relativieren: |8|

Ein so vielschichtiges Phänomen wie Religion, das in allen Bereichen der menschlichen Kultur gegenwärtig sein kann, muss zu Recht aus unterschiedlichen Perspektiven und in seinen unterschiedlichen Funktionen wahrgenommen werden. Insofern sind alle religionskritischen Analysen den Religionshütern zur Selbstreflexion dringend zu empfehlen. Andererseits gilt auch für die Religionsforscher zu beachten, was der Psychoanalytiker Fritz Riemann zu den Äußerungen der Fachleute über die Liebe gesagt hat: »Über die Liebe zu sprechen oder zu schreiben sollte eigentlich den Liebenden und den Dichtern vorbehalten bleiben, denen also, die von ihr ergriffen sind. Wenn sich hingegen die Wissenschaft ihrer bemächtigt, bleibt von der Liebe oft wenig mehr übrig als Triebe, Reflexe und scheinbar machbare oder erlernbare Verhaltensweisen, als biologische Daten, messbare physiologische und testbare psychologische Reaktionen, die alle auch zum |9| Phänomen Liebe gehören, mit denen wir es aber nicht erfassen.« (Riemann 13)

So wenig man der Liebe mit der Erklärung nahekommt, dass der Mensch, gesteuert vom Diktat seiner Gene und Hormone, in seinem Triebleben umherirrt, so wenig kommt Religion in den Blick, wenn man die religiösen Menschen, von finsterer Magie getrieben, in absurden Ritualen gefangen sieht. Testosteron und Phenylethylamin mögen bei geschlechtlicher Liebe eine Rolle spielen, sie sagen aber über liebendes Verhalten genauso wenig wie ein Cocktail bestimmter Monoamine über die menschliche Fähigkeit aussagt, sich selbst zu transzendieren. Wer Liebe im Drang zur Fortpflanzung aufgehen lässt und Religion als Vorteil für das Überleben der Gruppe deutet, der hat wohl übersehen, dass Liebe auch abgesehen von Sexualität und Fortpflanzung existiert und die Religion selbst dort eine zentrale Rolle spielen kann, wo ihretwegen sogar die physische Existenz des Einzelnen oder einer Gruppe riskiert wird. Reduziert man Liebe oder Religion auf neuronale Erregungen im Gehirn, so folgt man der Logik, wonach das Klavier die Musik produziert. Hier lässt sich einiges entwirren, ordnen und klären, damit die Lesenden sich ihr eigenes Urteil bilden können.

Das gegenwärtige Erscheinungsbild von Religion lässt sich, wie alles geschichtlich Gewordene, nur verstehen, wenn man sich der Wege und Weichenstellungen bewusst wird, die zu ihrem aktuellen Stand geführt haben. Die gegenwärtige Krise der Religion in Europa ist ohne Frage auch durch kulturelle, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen mitverursacht. Aber für die christliche Religion entscheidender ist die selbstkritische Frage nach den von den Kirchen selbst zu verantwortenden Faktoren, die zu dieser Krise geführt haben und sie weiterhin verstärken.

Die unterschiedlichen thematischen Schnitte, die in dieser Arbeit gelegt werden, bedingen die gelegentlichen Wiederholungen. Gerne wiederhole ich auch in diesem Buch meinen Dank für |10| die Hilfe beim Erstellen eines ordentlichen Typoskripts an Frau Bärbel Behrens und Frau Dietlind Wienen sowie an die kürzlich verstorbene Frau Marianne Stauffacher für das exzellente Lektorat aller meiner Bücher im Theologischen Verlag Zürich.