Cover

Über dieses Buch:

Charlie, Race und Kami kennen sich nicht, aber die Jugendlichen haben etwas gemeinsam: Sie sind Waisen und haben von ihren Eltern jeweils eine silberne Kugel geerbt. Was es damit auf sich hat, wissen die drei nicht. Doch plötzlich werden sie verfolgt – wer sind die finsteren Gestalten, und warum haben sie es auf die drei abgesehen? Auf der spektakulären Flucht erhalten Charlie, Race und Kami unerwartete Hilfe: ein scheinbar stummer Mann bringt sie mit einem Helikopter auf eine Insel vor der Küste Englands. Dort erwartet sie der Wissenschaftler Dr. Dickens. Können sie mit seiner Hilfe das Geheimnis lüften und herausfinden, was es mit den mysteriösen silbernen Kugeln auf sich hat? Oder weiß er mehr, als er ihnen verrät?

Über den Autor:

Michael Peinkofer, 1969 geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaft und veröffentlichte schon in dieser Zeit erste Werke. Heute gehört der Journalist und Übersetzer zu den erfolgreichsten Fantasyautoren Deutschlands. Michael Peinkofers erste Jugendbuchreihe TEAM X-TREME nimmt es, was Action und Spannung angeht, spielend mit seinen Bestsellern für erwachsene Leser auf.


Der Autor im Internet: http://www.michael-peinkofer.de/

Die Jugendbuchserie TEAM X-TREME umfasst folgende Bände:

Mission Zero: Der Alpha-Kreis

Mission 1: Alles oder nichts

Mission 2: Die Bestie aus der Tiefe

Mission 3: Projekt Tantalus

Mission 4: Das Borodin-Gambit

Mission 5: Sumpf des Schreckens

Mission 6: Codename Nautilus


Bei dotbooks erscheint weiterhin Michael Peinkofers historischer Jugendroman Die indische Verschwörung


***

Neuausgabe November 2014

Copyright © der Originalausgabe 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH‚ München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung und Titelbildabbildung: Tanja Winkler, Weichs

ISBN 978-3-95520-650-5

***

Wenn Ihnen diese Buch gefallen hat‚ empfehlen wir Ihnen gerne weiteren Lesestoff aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Team X-treme an: lesetipp@dotbooks.de

Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktive Preisaktionen – melden Sie sich einfach für unseren Newsletter an: http://www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.twitter.com/dotbooks_verlag

 http://gplus.to/dotbooks

http://instagram.com/dotbooks

Michael Peinkofer

TEAM X-TREME Mission Zero: Der Alpha-Kreis

dotbooks.

Für Alexander, Leyla, Linn, Jannik und Yoshij – Ihr seid mein Team X-treme!

Prolog

Es krachte.

Der Lärm war so ohrenbetäubend, dass man glaubte, die Welt würde untergehen. Und was eben noch eine schwarze Limousine gewesen war, wurde von einer grellen Explosion zerfetzt.

Die Druckwelle war so groß, dass die Fensterscheiben der umliegenden Häuser zersprangen. Überall war Feuer, und dunkler Rauch stieg auf, der sich wie ein dichter Nebel über die Straße legte. Das Heulen einer Polizeisirene war zu hören, dazu der heisere Schrei eines Mannes, der schwer verletzt auf dem Bürgersteig lag.

»Xavier! Xavier …!«

Eine riesige Gestalt irrte einsam durch Rauch und Feuer. Es war ein großer, kräftiger Mann, der ebenfalls verletzt war, sich aber auf den Beinen halten konnte. Ziellos humpelte er durch die brennenden Trümmer auf der Suche nach dem Freund, der weiter seinen Namen rief.

»Xavier! Wo bist du …?«

Der große Mann wollte antworten, wollte sagen, dass er schon auf dem Weg war, aber es gelang ihm nicht. Seine Stimme versagte, er konnte nur umher irren und den Verletzten suchen.

Schließlich fand er ihn.

Die Explosion hatte ihn furchtbar zugerichtet, und es war offensichtlich, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Trotzdem stand Erleichterung in seinem blassen Gesicht, als er den Freund erblickte.

»Xavier! Komm zu mir …«

Der Hüne eilte zu ihm und beugte sich zu ihm hinab. Rasch untersuchte er den Verwundeten, aber jede Hilfe kam zu spät.

Oder?

»Versprich mir, dass du es tun wirst, Xavier«, flüsterte der Verletzte. »Wir haben oft darüber gesprochen, jetzt ist es soweit. Der Alpha-Kreis muss geschlossen werden .«

Der Hüne wollte antworten, aber seine eigene Verletzung hinderte ihn daran, so dass er nur zustimmend nicken konnte.

»Danke, mein Freund«, sagte der andere.

Es war das Ende.

Und gleichzeitig ein Neubeginn.

Kapitel 1
Auf der Überholspur

Hamburg, Deutschland

17.16 Uhr Ortszeit

Race trat aufs Gaspedal.

Der Flitzer unter seinem Hintern beschleunigte und scherte zur Seite aus, schoss an zwei anderen Wagen vorbei. Dann kam die Haarnadelkurve.

Entlang der Fahrbahn waren Reifen aufgestapelt, die als Puffer dienen sollten, falls jemand nicht die Kurve kriegte. Davon war Race jedoch weit entfernt. Mit todsicherem Gespür für die Maschine nahm er den Fuß vom Gas, worauf der Go-Kart wie auf Schienen um die Biegung schoss. Auf der Geraden beschleunigte Race wieder, und als der Motor laut aufröhrte, war der Junge überglücklich.

»Race« war nicht sein richtiger Name.

Eigentlich hieß er Jan Renner, aber da sich »Jan« seiner Ansicht nach zu langsam anhörte und er außerdem alles liebte, was schnell war, hatte er sich einen Spitznamen zugelegt.

Mit atemberaubender Geschwindigkeit schoss der Kart die Rennbahn hinab, die in einer großen Lagerhalle im Hafenviertel eingerichtet worden war. Race überholte einen weiteren Konkurrenten, nahm problemlos die Schikane und näherte sich der Zielgeraden. Alles, was ihn noch vom Sieg trennte, war der neongrüne Kart, der ein Stück vor ihm fuhr.

Der Fahrer war Marcel von Gerlach.

Ein ausgemachter Idiot.

Marcel war ein reicher Schnösel, dessen Vater nicht nur der halbe Hamburger Hafen gehörte, sondern auch das Lagerhaus, in dem die Kart-Bahn untergebracht war. Aus diesem Grund hielt sich Marcel für den Allergrößten und tat so, als hätte er den Sieg gepachtet – Race war entschlossen, ihm das Gegenteil zu beweisen.

Mit einem Ruck riss er an dem kleinen Lenkrad und scherte nach links aus. Dann trat er das Gaspedal durch. Der Motor heulte auf, so als wollte er sich beschweren, aber der Kart beschleunigte und flog auf Marcels Flitzer zu. Marcel, der einen giftgrünen Rennanzug und einen dazu passenden Helm trug, merkte, dass ihm jemand auf den Fersen war, und versuchte, die Fahrbahn eng zu machen, so dass Race nicht an ihm vorbei konnte.

Aber Race hatte damit gerechnet.

Indem er nur so tat, als wollte er links an Marcel vorbei, zwang er diesen, die Mitte der Fahrbahn zu verlassen. Kaum war es soweit, ließ Race seinen Flitzer zur anderen Seite ausbrechen und beschleunigte. Und noch ehe Marcel begriff, was geschehen war, zog Race auch schon mit ihm gleich.

Mit atemberaubendem Tempo schossen die beiden Wagen die Gerade hinab und auf die Zielmarkierung zu. Allem Anschein nach würde es bei diesem Rennen zwei Sieger geben – aber das schien nicht nach Marcels Geschmack zu sein.

Race schaute kurz zu ihm hinüber, sah ein wütendes Augenpaar durch das Helmvisier blitzen – und plötzlich krachte es. Kurzerhand hatte Marcel das Lenkrad nach rechts gerissen und Races’ Kart gerammt.

»Mist, verdammter …«

Race hatte Mühe, den Flitzer auf Kurs zu halten und kam den Reifen der Randbebauung gefährlich nahe. Er fiel zurück und verlor wertvolle Meter, aber noch war er nicht bereit aufzugeben.

Das Ziel war zum Greifen nah, Marcels Kart schoss mit Karacho darauf zu – und Race griff noch einmal an!

Er schaltete zurück und gab Gas, trieb den Motor an seine Grenzen. Der Wagen machte einen Satz wie ein Tiger und zog abermals mit Marcel gleich. Der war so verwundert darüber, den bereits abgeschriebenen Rivalen wiederzusehen, dass er für einen Moment unaufmerksam war – und dem Fahrbahnrand zu nahe kam.

Sein Kart prallte längs gegen die Reifen, von denen er abspickte wie eine Billardkugel – während Race an ihm vorbei schoss und über die Ziellinie fuhr. Die schwarzweiß karierte Fahne wurde geschwenkt, das Rennen war zu Ende.

Race hatte gewonnen!

Lauthals jubelnd und die rechte Hand zur Siegerfaust geballt, drehte er eine Ehrenrunde. In seiner Fantasie waren es Zehntausende von Zuschauern, die sich entlang der Fahrbahn drängten und seinen Sieg feierten. In Wirklichkeit waren es nur ein paar Dutzend, und ihren langen Gesichtern war anzusehen, dass sie es ihnen lieber gewesen wäre, wenn Marcel gewonnen hätte. Wahrscheinlich hatte sein Vater sie gekauft, so wie er auch alles andere kaufte. Race ließ sich davon nicht beeindrucken.

Er brachte seine Ehrenrunde zu Ende und fuhr an Marcel vorbei, der seinen Helm abgenommen und wütend von sich geschleudert hatte. Mit wirrem rotem Haar, das sonst blasse Gesicht feuerrot vor Zorn, saß er in seinem verbeulten Wagen und sah aus wie jemand, dem man Benzin ins Müsli geschüttet hatte.

»Renner!«, schrie er, schäumend vor Wut. »Das ist allein deine Schuld! Das war gegen die Regel!«

»Gegen welche Regel?«, fragte Race durch den Helm. »Dass ein reicher Pinkel wie du immer gewinnen muss?«

»Blödsinn – dass man ein gegnerisches Fahrzeug nicht vom Parcours abdrängen darf«, beschied Marcel ihm wütend.

»Stimmt«, feixte Race, »sonst könnte es sein, dass man am Ende selber in den Reifen landet, stimmt’s?«

»Du … du …« Die Wangen des Jungen blähten sich, als wollten sie platzen. Er suchte nach Schimpfworten, die er Race an den Kopf werfen konnte, warf jedoch zu aufgeregt, um welche zu finden. »Mein Vater wird davon erfahren«, drohte er schließlich. »Er wird dafür sorgen, dass du hier niemals wieder fahren darfst.«

»Wenn du meinst.« Race zuckte mit den Schultern. »Aber dann kriegst du auch niemals eine Chance, mich zu schlagen. Das ist dir doch klar, oder?«

»Ich … ich …«

»Mach’s gut, Marcel. Bis zum nächsten Mal.«

Race gab Gas und ließ den sprachlosen Jungen am Fahrbahnrand zurück. Noch einmal steuerte er über die Ziellinie, genoss seinen Sieg in vollen Zügen, ehe er den Wagen an den Fahrbahnrand lenkte und den Motor abstellte.

Dann war der Traum vorbei – denn Race wurde erwartet. Von einem Mann, der Uniform und eine schwarze Lederjacke trug und sehr grimmig dreinblickte …

Ein Polizist!

Race konnte nicht behaupten, dass er überrascht war. Eigentlich hatte er sogar schon viel früher mit Besuch gerechnet. Immerhin, sagte er sich, hatten sie ihn das Rennen zu Ende fahren lassen. Das war mehr, als er erwarten konnte.

»Jan Renner?«, erkundigte sich der Polizist, während Race den Sicherheitsgurt löste und aus dem Kart stieg.

»Yep«, machte er und nahm den Helm ab. Sein hellbraunes Haar stand wirr in alle Richtungen.

»Du weißt, warum ich hier bin, oder?«

»Yep«, wiederholte Race seufzend. Natürlich wusste er es, er war ja nicht dämlich.

»Dann komm mit, Junge«, sagte der Polizist. »Du wirst schon sehnlichst erwartet.«

»Kann ich mir denken.« Race ließ entmutigt den Kopf hängen. Den Helm unter den Arm geklemmt, trottete er auf den Polizisten zu – um es sich plötzlich anders zu überlegen.

»Hier, Mann, fangen Sie!«, rief er und warf dem Polizisten den Rennhelm zu, den dieser in einem Reflex auffing – während Race bereits die Flucht ergriff.

»Halt! Bleib stehen!«, rief der Polizist.

Race dachte nicht daran.

Mit riesigen Schritten überquerte er die Fahrbahn und sprang über die aufgetürmten Reifen. Dann nahm er die Beine in die Hand und lief so schnell er konnte auf den Hinterausgang der Halle zu.

Ein rascher Blick über die Schulter – der Polizist folgte ihm nicht! Hatte er ihn etwa schon abgehängt? Race grinste. Das war ja einfacher, als er gedacht hatte! Noch einmal überquerte er die Rennbahn, dann war er am Ausgang.

Die Tür stand einen Spaltweit offen!

Mit Anlauf warf sich Race gegen das schwere Metall und stemmte es auf, wollte hinaus in die Dunkelheit, die um diese Jahreszeit schon früh hereinbrach. Aber wie aus dem Nichts zuckte eine kräftige Hand heran, packte ihn am Kragen seines Rennanzugs und hielt ihn unnachgiebig fest.

»He«, beschwerte sich Race, »was soll das? Lassen Sie mich gefälligst los …!«

»Von wegen, Jungchen«, sagte eine dunkle Stimme. Sie gehörte einem bulligen Mann, der ebenfalls die Uniform der Hamburger Polizei trug. Und seinem strengen Gesicht war anzusehen, dass mit ihm nicht zu spaßen war. »Man hat uns schon gesagt, dass du ein ausgekochtes Früchtchen bist und versuchen würdest abzuhauen. Also haben wir uns aufgeteilt. Mein Partner ist reingegangen, während ich hier am Hinterausgang gewartet habe. War ‘ne kluge Entscheidung, wie’s aussieht.«

»Ja, große Klasse«, maulte Race. Er versuchte, sich aus dem Griff des Polizisten zu winden – vergeblich. Der Mann hielt seinen Arm wie ein Schraubstock umklammert.

»Lass gut sein, Junge. Das wird nichts.«

»Warum lassen Sie mich nicht einfach laufen?«, fragte Race verzweifelt. »Ihnen kann es doch egal sein.«

»Du bist noch minderjährig«, erklärte der Polizist. »In ein paar Jährchen bist du achtzehn, dann kannst du für dich selbst entscheiden. Bis dahin …«

»In ein paar Jährchen?«, rief Race. »Haben Sie eine Ahnung, was Sie da sagen? Ich bin erst vierzehn, Mann. Das sind noch vier ganze Jahre! Mit anderen Worten: eine Ewigkeit! «

»Auch die geht vorbei«, meinte der Polizist gelassen, während er Race zu dem Streifenwagen zog, der auf dem Parkplatz stand.

Auf den ersten Metern wehrte sich Race noch, dann ließ er es bleiben. Es war nicht sein erster Fluchtversuch gewesen, und es würde auch nicht sein letzter sein. Aber für dieses Mal musste er sich wohl geschlagen geben.

Weder er noch der Polizist ahnte, dass sie beobachtet wurden – von einem hünenhaften Mann, der sich im Schatten der Straßenbeleuchtung verbarg – und der eine metallene Maske trug …

Kapitel 2
Ein altes Geheimnis

Phuket, Thailand

06.10 Uhr Ortszeit

Kami Sanuk liebte den frühen Morgen.

Wenn die Sonne im Osten über der Insel heraufzog, wenn das Meer wie Silber glitzerte und die Palmen am Strand lange Schatten warfen, dann war die Welt in Ordnung. Kami pflegte dann auf dem großen Felsen am südlichen Ende des Strandes von Patong zu sitzen, auf die See zu schauen und die Ruhe vor dem Sturm zu genießen. Bevor die Touristen kamen …

Kami mochte die farang{1} nicht besonders, wie die meist aus Europa oder den USA stammenden Touristen genannt wurden. Nicht nur, dass sie meist unfreundlich und schlecht gelaunt waren; manche von ihnen benahmen sich auch, als würde ihnen die Insel gehören. Wahrscheinlich glaubten sie, dass sie mit ihren Euros und Dollars alles kaufen konnten. Solchen Leuten hätte Kami am liebsten die Meinung gegeigt, aber ihr Großvater wollte das nicht. Der alte Liang pflegte zu sagen, dass die farang sehr unglücklich sein mussten, wenn ihnen Geld so wichtig war, und dass man mit ihnen nur Mitleid haben könnte. Kami war da nicht so sicher, aber aus Respekt vor ihrem Großvater widersprach sie nicht.

Liang Sanuk unterhielt einen Laden für Handys und Computerteile, der sich unweit vom Strand in einer kleinen Nebenstraße befand. Da elektronische Waren in Thailand billiger waren als bei ihnen zu Hause, nutzten manche Touristen den Urlaub, um sich mit einem neuen Handy oder einer neuen Festplatte für den Computer einzudecken. Und »Sanuk’s Byte Store« hatte einen ziemlich guten Ruf.

Dass das so war, war auch Kami zu verdanken, die schon als Kind bemerkt hatte, dass sie ein ziemlich glückliches Händchen für alles Technische hatte. Bereits als kleines Mädchen hatte sie – zum Entsetzen ihrer Mutter – ein Radio zerlegt, es anschließend aber wieder richtig zusammengesetzt.

Was Computer betraf, so war Kami ein Naturtalent. Nicht nur, dass sie kein Problem damit hatte, einen kompletten PC zusammenzuschrauben; sie war auch ziemlich geschickt im Programmieren. Für einige Händler an der Straße hatte sie Internet-Seiten gemacht. Und einmal, als ein britischer Tourist sich besonders unverschämt benommen und behauptet hatte, Kamis Großvater hätte ihn übers Ohr gehauen, hatte sie sich sogar als Hackerin betätigt. Übers Internet hatte sie sich Zugang zum Computer des betreffenden Hotels verschafft und das Abreisedatum des Mannes geändert. Am nächsten Tag hatte man den Engländer einfach vor die Tür gesetzt …

Ihrem Großvater hatte Kami natürlich nie etwas davon erzählt. Der alte Liang war ein friedliebender Zeitgenosse, der in allen Menschen immer nur das Gute zu sehen versuchte. Da war es ganz gut, dass Kami ein bisschen auf ihn aufpasste.

Die Digitaluhr an ihrem Handgelenk begann zu piepen.

Höchste Zeit zu gehen!

Kami stand auf, klopfte den Staub von ihren Tarnhosen und sprang von dem Felsen. Dann lief sie eilig nach Hause, nicht ohne vorher noch im Coffee Shop an der Ecke vorbeizuschauen und ihrem Großvater seinen Kaffee zu kaufen.

»Sanuk’s Byte Store« befand sich im Erdgeschoß eines baufälligen kleinen Hauses. Früher war der Laden eine Metzgerei gewesen, weswegen Boden und Wände gekachelt waren (und es manchmal auch ein wenig streng roch). Regale, die mit Computerteilen vollgestopft waren, standen überall umher, dazwischen stapelten sich Kartons mit elektronischen Produkten. Ihren Großvater fand Kami schließlich hinter dem großen Verkaufstisch, wo er damit beschäftigt war, eine neue Lieferung von Handys zu sortieren.

»Sawasdi{2}«, grüßte Kami. »Schönen guten Morgen.«

Ihr Großvater schaute auf. Liang Sanuk war kein sehr großer Mann, aber das weißgraue Haar, der spitze Kinnbart und die Brille, die auf seiner äußersten Nasenspitze ruhte, ließen ihn wie einen Zauberer aussehen. Zumindest war es Kami als Kind so vorgekommen, und irgendwie war dieser Eindruck geblieben.

»Sawasdi«, erwiderte ihr Großvater den Gruß. »So früh schon auf den Beinen?«

»Ich musste dir doch deinen Kaffee holen«, meinte Kami und stellte das Getränk auf den Tisch. »Ohne Milch, nur Zucker.«

»Oh, danke schön«, meinte der alte Liang begeistert und unterbrach seine Arbeit. »Diese törichten farang