Ilona Bürgel

Die Kunst, die Arbeit
zu genießen

Erfolg und neue Lebensfreude im Job

KREUZ

Impressum

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: Vogelsang Design

Umschlagmotiv: © Dudarev Mikhail – Fotolia.com

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (Buch) 978-3-451-61300-5

ISBN (E-Book) 978-3-451-80156-3

Inhalt

Prolog: Was hat denn Arbeit mit Genuss zu tun?

I. Lebensfreude und Zufriedenheit bei der Arbeit – wo sind sie hin?

Die Grundidee: Wie Wohlbefinden unsere Arbeit versüßt

Kümmern Sie sich um Menschen – und zuerst um sich selbst

Positive Psychologie – die Psychologie für alle

Die Gefahren: Der Stress mit dem Stress

Schlaraffenland oder Hamsterrad: Sie entscheiden

Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihren Stress

Burn-out als Schlusspunkt einer genussfeindlichen Arbeitsweise

II. Die genussvolle Lösung – vom Arbeitsfrust zur Arbeitslust

Erlauben Sie sich eine neue Haltung

X Genusspraxis: Haltungsfragen

Genießen Sie, was Sie sind und haben

X Genusspraxis: Stresstransformation

X Genusspraxis: Veränderungen einleiten

Dankbarkeit: Glück, das nichts kostet

X Genusspraxis: Dankbarkeit

Lassen Sie sich Ihre Arbeit schmecken

X Genusspraxis: Negative Gedanken umwandeln

Glücksbremser im Arbeitsumfeld

X Genusspraxis: Gedankenhygiene

Gönnen Sie sich mehr Individualität

X Genusspraxis: Den Körper wertschätzen

Sie sind Ihr größter Schatz: Loben Sie sich selbst

Arbeiten Sie nicht irgendwie – Sie sind ja auch nicht irgendwer!

X Genusspraxis: Sie sind einzigartig

Geben und nehmen Sie das Beste

X Genusspraxis: Kleiner Aufwand, große Wirkung

X Genusspraxis: Der optimale Alltag

III. Ich arbeite gern!

20 Strategien für das Wohlbefinden bei der Arbeit

Wirtschaftsfaktor Wohlbefinden – warum Unternehmen umdenken müssen

Balance heißt Selbstbeachtung

X Genusspraxis: Wohlbefinden am Arbeitsplatz

Plädoyer für den Montagmorgen

IV. Die besten Tipps auf einen Blick

Epilog: Die neue Lust auf Leistung

Literatur

Prolog: Was hat denn Arbeit mit Genuss zu tun?

Ich liebe Musik. Kürzlich hatte ich Konzertkarten und war voller Vorfreude. Ich hatte mir extra früher frei genommen, um gestärkt mit einem Nachmittagsschlaf und einem feinen Abendessen in Bestform zu sein. Auch das schicke Kleid sollte ausgeführt werden. Kurzum – ein genussvoller Moment stand bevor.

Meine Vorfreude auf die Musik wurde nicht enttäuscht. Wunderbare Klänge, die ich ausgeruht besonders genießen konnte. Bei Musik kann ich richtig auftanken, Körper und Seele, manchmal kann ich sie körperlich empfinden, wenn sie mich bewegt. So war es auch an diesem Abend. In der Pause krönte ein Glas Sekt den Genuss und auch Teil zwei war eine Freude für die Sinne. Das Publikum war begeistert. Ich auch, von der Musik.

Nicht aber vom Orchester. Die Musiker blickten die ganze Zeit drein, als ob sie dazu gezwungen würden, dort zu sitzen. Grimmige Mienen, kein Lächeln, auch nicht in den Pausen. Und kaum war der letzte Ton verklungen, griffen die ersten Musikerinnen nach ihren Taschen, sprungbereit. Ist nicht der Applaus der Lohn des Künstlers? Was war denn hier los?

Diese Frage beschäftigte mich etwas länger, denn ich war davon ausgegangen, dass einige Berufsgruppen ihren Traumjob haben. Insbesondere wenn man es geschafft hat, in einem der erfolgreichsten Orchester der Welt zu spielen. Offenkundig war es für diese Musiker nicht oder nicht mehr so.

Warum haben Sie Ihren Job ergriffen? Berufung, Talent? Vernunft? Das Bedürfnis, Geld zu verdienen? Wenn es um die Arbeit geht, »müssen« wir anscheinend mehr, als dass wir »wollen«. Auf der einen Seite stiftet Arbeit Sinn im Leben. Das Gefühl, gebraucht zu werden, ist befriedigend. Erfolgreich zu sein ist beglückend. Auf der anderen Seite überfordern wir uns, machen uns krumm für etwas, das wir oft nicht einmal mögen, und zahlen einen hohen Preis dafür – unsere Lebensfreude oder unsere Gesundheit.

Kennen Sie dieses Hin-und-her-gerissen-Sein nicht auch von einem anderen Thema? Genau. Vom Essen, genauer gesagt vom Schokoladeessen! Wir lieben und wir hassen sie. Sie bringt uns Wonne und Ängste. Wir befürchten, dass wir uns gehen lassen oder dass wir die Leckereien später als Hüftgold wiederfinden. Deshalb rationieren und schlemmen wir, wechseln zwischen Lust und Last.

Arbeit und Schokolade verbindet, dass wir ein ambivalentes Verhältnis zu ihnen haben. Beides ist bitter und süß zugleich. Überraschenderweise sind wir beim Naschen immer erfolgreich. Wir brauchen keine To-do-Liste, niemanden, der uns motiviert, keine Überwindung. Wir wünschen uns weder, dass es schnell vorbei ist, noch sind wir danach völlig verausgabt. Ein anderes Beispiel ist unser Urlaub. Auch hier erlauben und leben wir Genuss. Auch hier das gleiche Ergebnis: Alles gelingt, es geht uns gut.

Wir können erfolgreich genießen – nutzen wir doch diese Fähigkeit für unseren ganz normalen Arbeitsalltag!

Heben wir die Aufteilung zwischen angenehmen und unangenehmen Lebensbereichen auf. Unser Leben ist ein Ganzes und es gibt überhaupt keinen vernünftigen Grund, warum wir es uns dort, wo wir besonders viel Lebenszeit verbringen, nicht gut gehen lassen sollten. Heute, in einer Welt, die uns so viele Chancen und Möglichkeiten bietet. Wir brauchen nur zuzugreifen.

Ich gebe zu, vorher bedarf es noch einer Haltungsänderung. Denn: Genuss und Lebensfreude wünschen wir uns alle. Doch wie viel Platz haben sie wirklich in unserem Alltag? Wir erlauben es der Hektik, den Pflichten und dem Zeitdruck, ein festes Korsett um uns zu schnüren. Wir kümmern uns um alles und jeden, alles Mögliche und vor allem Unmögliche, nur nicht um uns selbst.

So sind wir aufgewachsen, so lehrt es uns unsere Kultur, so haben es unsere Eltern gemacht. Aber: Wir haben heute die Möglichkeit und die Notwendigkeit, uns anders zu entscheiden. Wenn ich in Unternehmen, mit denen ich zusammenarbeite, Sätze höre wie: »Früher hat mir meine Arbeit Freude bereitet« oder: »Wenn ich im Lotto gewinnen würde, wäre ich hier sofort weg«, dann spiegelt dies die Erschöpfung und Selbstüberforderung unserer Gesellschaft. Die Jahre des Sich-Mühens und Kämpfens fordern ihren Tribut.

Ich lade Sie ein zu einer neuen Perspektive. Wählen Sie den Genuss als Arbeitsmotto. Bleiben Sie gut gelaunt, gesund und leistungsfähig. Glückliche Menschen leben nicht nur länger und gesünder, sie sind auch produktiver, haben zufriedenere Kunden und verdienen mehr. Dies sind Forschungsergebnisse der Positiven Psychologie, der Wissenschaft von Glück und Wohlbefinden, die ich Ihnen in diesem Buch für Ihre Arbeit näherbringen möchte.

Damit Sie diese neue Art zu denken gleich anwenden können, finden Sie zahlreiche Praxistipps, die ich selbst und mit meinen Klienten erprobt habe. Aus dem schier endlosen Informationsschatz habe ich gefiltert, was fundiert, überzeugend und angenehm in der Anwendung ist. Auf diesem Weg gewinnen Sie Zeit und müssen sich nicht alles selbst erarbeiten. Wählen Sie einen Tipp pro Kategorie, den Sie anwenden. Falls Sie zunächst querlesen wollen, lohnt sich der Blick in das Best-of der Praxistipps.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwende ich nur die männliche Form der Substantive, aber natürlich spreche ich Frauen und Männer gleichermaßen an.

Und nun wünsche ich Lese-, Lebe- und Arbeitsgenuss!

Ilona Bürgel

I. Lebensfreude und Zufriedenheit bei der Arbeit – wo sind sie hin?

Die Grundidee: Wie Wohlbefinden unsere Arbeit versüßt

In meiner Arbeit spiele ich gern mit der Metapher der Schokolade. Weil ich sie selbst gern esse und weil sie ein wunderbares Beispiel dafür ist, dass wir durchaus wissen, wie es geht, gut für sich zu sorgen.

Die Schokolade begleitet uns ganz selbstverständlich durch das Leben. Dass wir mit ihr Freude und Genuss erleben, wird nie infrage gestellt. Natürlich machen wir uns auch Sorgen. Ob wir dick oder krank davon werden. Oder was die anderen über uns denken mögen, wenn wir hemmungslos naschen. Doch am Ende siegt der Spaß. Und das ist gut so, denn Spaß gestatten wir uns viel zu selten. Und: Was wir mit Spaß tun, gelingt einfacher und häufiger. So wie wir bei der Schokolade genau wissen, was wir wollen, das Beste für uns auswählen, sofort und mit Konsequenz handeln, uns der Freude an ihr hingeben, so sollten wir auch arbeiten und leben.

Stellen Sie sich nur einmal die vielen glänzenden Augen bei der Arbeit vor! Kollegen kämen Sie häufiger besuchen, statt E-Mails zu schreiben, um sich bei Ihnen mit guter Laune anzustecken. Chefs würden früh von lächelnden Mitarbeitern empfangen. Kunden kämen immer wieder, ohne dass Sie viel Werbung machen müssten, weil sie sich bei Ihnen und mit Ihnen gut fühlen. Sie würden nach der Arbeit mit guter Laune nach Hause gehen, ohne an der Tankstelle einen Frusteinkauf zu machen. Und auf Unordnung im Kinderzimmer oder Probleme mit den Nachbarn würden Sie viel entspannter reagieren.

Sind Sie dabei? Falls nicht, sollten Sie vielleicht umdenken. Der Erfolg von Unternehmen wird heute nicht nur durch Technologievorsprung oder Pünktlichkeit entschieden, sondern auch durch das, was sich in den Köpfen und Herzen der Menschen abspielt. Kurzum, Ihr Wohlbefinden ist ein Wirtschaftsfaktor.

Der Versuch der deutschen Unternehmen, Mitarbeiter zu Höchstleistungen zu »motivieren«, ist an seine Grenzen gekommen. Viele haben die innere Kündigung abgegeben, die Engagierten brennen aus. Warum ist das so, trotz viel guten Willens auf allen Seiten? Bislang galten Überforderung, Umsatzdruck und Führung durch Angst als normal. Technische Ressourcen wurden besser gepflegt als menschliche.

Die Glücksforschung hat jedoch herausgefunden, dass Investitionen in die Steigerung der Produktivität durchaus zu Erfolgen führen – sie lassen sich aber nicht endlos steigern. Die Freude über das Erreichte hält oft nur kurz an, denn der Aufwand war einfach zu groß. Oder sie geht ganz unter im nächsthöheren Ziel, das unmittelbar folgt. Wenn das, was wir tun, nicht mehr bringt, was es soll, müssen wir etwas anderes tun.

Dass das Wohlbefinden bei der Arbeit in Bezug auf die Arbeitsproduktivität eine größere Rolle spielt als die Freude an der Arbeit, wurde von Sonja Lyubomirsky wissenschaftlich nachgewiesen. Demzufolge wird jemand, dem es gut geht, seine Arbeit besser erledigen, selbst wenn sie nicht so viel Spaß macht, als jemand, dem es schlecht geht, selbst bei dessen Lieblingsarbeit! Verantwortlich für das Wohl der Mitarbeiter sind jedoch nicht in erster Linie die Unternehmen, sondern jeder Einzelne selbst. Viele haben es verlernt, gut für sich zu sorgen. Es ist deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Menschen wieder dazu zu ermutigen.

Vom Frust zur Lust: Nehmen Sie die Sache selbst in die Hand!

Fünf Arten von Wohlbefinden haben sich in weltweiten Studien herauskristallisiert: das Tätigkeitswohlbefinden, das soziale Wohlbefinden, das finanzielle, das physische und das Gemeinschaftswohlbefinden. Raten Sie doch mal, welches davon den größten Einfluss auf Ihr gutes Lebensgefühl hat! Das, worauf wir wohl als Letztes gewettet hätten: die Tätigkeit! Wer sich mit seiner Tätigkeit wohlfühlt, hat eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit für ein gutes Gesamtwohlbefinden.

Vielleicht liegt die Gefahr bereits in der Dualität des Denkens. Wir leben mit dem »Entweder – oder« statt mit dem »Sowohl – als auch«. Haben Sie schon mal im Word-Thesaurus den Begriff »Arbeit« eingegeben? Da erscheinen als erste Synonyme die Worte »Plage« und »Schwierigkeit«. Interessant, stimmt’s?

Holen wir uns Inspiration von dem Philosophen Prof. Dieter Thomä. Er ordnet Arbeit in verschiedene Kontexte ein. So wird Arbeit eher als Aktivität im Unterschied zur Passivität verstanden, die häufig mit Muße gleichgesetzt wird. Wir unterscheiden den gewöhnlichen Werktag vom außergewöhnlichen Feiertag. Wir kennen die Trennung von Arbeit als Notwendigkeit und Spiel als Freiheit. Im Unterschied zur Freizeit begreifen wir Arbeit als Unfreizeit. Arbeit hat oft den Charakter eines Mittels zum Zweck. Arbeit kommt in verschiedenen Begriffen wie Hausarbeit, Beziehungsarbeit und Vereinsarbeit vor und hat meistens einen negativen Beigeschmack. Dies wird auch im Begriff »Work-Life-Balance« deutlich. Leben wir nicht, wenn wir arbeiten, und arbeiten wir nicht, wenn wir leben? Wo bitte geht es von der Doppelbelastung zur Doppelerfüllung? Wir erleben auf der einen Seite schmerzlich die fehlende Balance zwischen dem Engagement in der Arbeit und dem Raum für Erholung und persönliche Interessen. Auf der anderen Seite wählen wir die »Work-Life-Balance« zu einem der Unwörter des Jahres 2012.

Folgen wir der Analyse von Anja Ettel und Gesche Wüpper in »So (un)glücklich ist Europa« und schauen dabei nach Frankreich. Hier stellen wir fest, dass selbst die besten Arbeitsbedingungen wie eine 35-Stunden-Woche, frühe Rente, tolle Kinderbetreuung und ein Mindestlohn die Franzosen keineswegs glücklicher machen als andere. Sie sind, unabhängig von Wirtschaftskrisen, immer unzufrieden. Das heißt, dass der Weg, an den Arbeitsbedingungen immer weiter herumzuschrauben, auch nicht das alleinige Erfolgsrezept ist. Glücksempfinden ist eine mentale Einstellungssache.

Daniel H. Pink hat untersucht, was Menschen bei der Arbeit motiviert. Zu Zeiten der Industrialisierung bestand Arbeit meist aus einfachen, wiederholbaren, wenig interessanten Einzelschritten. Das machte logischerweise wenig Spaß. So wurde Kontrolle notwendig, damit die Menschen bei der Stange blieben. Heute sind die Anforderungen jedoch meist völlig andere. Es gibt weniger Routine, schnelle Veränderungen und Flexibilität. Selbstbestimmung ist gefragt.

Die Annahme, dass Kontrolle und Motivation von außen notwendig sind, hat sich jedoch gehalten. Dies passt nicht mehr zusammen, Arbeit darf Spaß machen! Dann ist sie keine Pflichterfüllung mehr, für die die Anreize ständig erhöht werden müssen. Mitarbeiter können ihr Engagement aus der Tätigkeit selbst und dem Sinn dahinter ziehen. Umso wichtiger ist es, sich eigene Ziele zu setzen, statt nur blind den Unternehmenszielen hinterherzujagen. Letzteres führt zu Abkürzungen, unethischem Verhalten, weniger Kooperation mit Kollegen und höherer Risikobereitschaft. Kunden werden manipuliert, es wird gefälscht, gedopt und gehetzt.

Eine andere Moral und Produktivität herrscht, wenn die Belohnung für die Tätigkeit zufriedene Kunden, Wissenserweiterung oder die Freude daran, das Beste zu geben, ist. Firmen, denen Selbstbestimmung wichtig ist, haben eine viermal größere Wachstumsrate und erwirtschaften ein Drittel mehr Umsatz.

Verändern wir eine Welt, die uns nicht schmeckt

Natürlich wandeln sich unsere Arbeitsbedingungen in einer am Wettbewerb orientierten Leistungsgesellschaft. Natürlich gibt es Zeitdruck, Störungen und die Herausforderungen der neuen Kommunikationsmedien. Stress an sich ist kein Problem. Kritisch wird es, wenn wir zu viel negativen Stress haben und uns von diesem nicht erholen können.

Beim Thema Burn-out wird schnell, vielleicht zu schnell, auf die Unternehmen gezeigt. Nie waren die Arbeitsbedingungen so sicher und attraktiv, nie haben wir so viel verdient, Massagen, Kindergartenzuschüsse oder Weihnachtsextras bekommen. Die Bereitschaft zur Selbstüberforderung hat nicht ausschließlich etwas mit den einzelnen Unternehmen zu tun, es ist eine kollektive gesellschaftliche Norm geworden. Das Gefühl, wir müssten im Urlaub oder nach Feierabend ständig erreichbar sein, ist sicher Engagement, aber auch Selbstüberschätzung: Wir glauben, dass ohne uns nichts geht. So setzt sich ein Puzzle der Überforderung zusammen, das zu einem Ausbrennen der Menschen und damit der Unternehmen führt. Ich werde darauf noch einmal zurückkommen.

Die neuen Anforderungen ans Management bekommen deshalb Gewicht: Den Menschen muss es gut gehen. Ulrike Stilijanow hat im Stressreport Deutschland 2012 wichtige gesundheitsfördernde Führungsmerkmale herausgearbeitet: Unterstützung, Mitbestimmung, Anerkennung, Wertschätzung. Mitarbeiter, die angeben, häufig unterstützt zu werden, geben weniger körperliche Beschwerden an. Dies passt zu den Ergebnissen der Onlineumfrage von www.stellenanzeigen.de: Mitarbeiterzufriedenheit wird ganz wesentlich durch ein gutes Verhältnis zu direkten Kollegen, zum Chef, durch Lob und Anerkennung bestimmt. Auch in der Forschung kristallisiert sich heraus, dass Mitarbeiter Anerkennung, persönliche Unterstützung und vor allem Fortschritte als motivierend empfinden.

Kümmern Sie sich um Menschen – und zuerst um sich selbst

Sorgen wir ab sofort dafür, dass es uns wirklich gut geht, statt nur so zu tun, als ob es uns gut ginge. Investieren Sie dafür in sich selbst. Das gilt vor allem auch, wenn Sie eine Führungskraft sind. Mitarbeiter haben feine Antennen dafür, wie ihre Chefs drauf sind. An der Universität von Pennsylvania/USA wurde herausgefunden, dass Lehrer, die besonders zufrieden mit ihrem Leben waren, Schüler besser motivieren konnten.

Wenn Sie selbst dafür sorgen, dass es Ihnen immer und überall gut geht, hat Stress keine Chance und Ihr Gehirn ist in Hochform. Regt sich bei Ihnen nun etwa die Sorge, ein Egoist zu sein? Gut für sich zu sorgen heißt nicht, schlecht für andere zu sorgen. Es ist überhaupt erst einmal die Voraussetzung dafür, dass wir etwas zum Abgeben haben.

Die Psychologieprofessorin Barbara Fredrickson hat sich mit der Frage beschäftigt, in welchem Verhältnis positive zu negativen Momenten stehen müssen, damit Menschen langfristig gesund und Teams erfolgreich sind. Negative Gefühle wirken bei Weitem stärker als positive, deshalb braucht es ein »3:1-Verhältnis« von Positivem zu Negativem. Auf einmal Ärgern darf sozusagen dreimal Freuen kommen. Dies klingt anstrengender, als es ist, denn unser Leben ist voll von schönen Dingen. Wir sehen und schätzen sie nur manchmal nicht. Halten Sie also öfter mal die Tür auf, sagen Sie Danke, wann immer es geht. Beginnen Sie Meetings mit positiven Informationen, schreiben Sie Ermutigendes in Ihren Mailabsender. Fragen Sie nach positivem Feedback. Lächeln und lachen Sie mehr. Konzentrieren Sie sich auf die Stärken von Menschen, auf Ihre und auf die der anderen. Loben Sie Menschen zum Erfolg. Bemerken Sie kleinste positive Veränderungen und Ansätze und kommunizieren Sie das.

Legen Sie ein Recht auf gute Stimmung fest. Hilfreich ist, sich mit optimistischen Menschen zu umgeben, optimistische Gedanken zu lesen und so die Kategorie des Optimismus zu entwickeln. Halten wir uns mehr und mehr fern von Menschen, Zeitungen und Fernsehsendungen, wenn negative Informationen, Missmut und Zweifel verbreitet werden. Je mehr wir davon hören, umso normaler scheint es für uns, und am Ende glauben wir gar, so wäre die Realität.

Wenn Sie einen Einfluss darauf haben, mit wem Sie zusammenarbeiten, dann nutzen Sie diesen für die positive Stimmung in Ihrem Arbeitsumfeld. Betrachten Sie bei neuen Mitarbeitern nicht nur deren Zeugnisse, sondern auch, welche Stimmung und Einstellung sie mitbringen. Gleiches gilt für Dienstleister, mit denen Sie regelmäßig zu tun haben. Nicht der billigste ist der beste, sondern derjenige, der Mitarbeitern und Kunden Wohlbefinden bringt. Das heißt auch, eine neue Weiterbildungs- und Trainingskultur zu entwickeln oder einzufordern.

Glückliche Arbeitnehmer, das zeigen Studien, werden positiver eingeschätzt, haben eine höhere Produktivität und Arbeitsleistung, zeigen seltener kontraproduktives Verhalten wie Mobbing und haben seltener einen Burn-out. Sie sind zufriedener mit der Arbeit, haben eine bessere Arbeitsqualität, Zuverlässigkeit und Kreativität, setzen sich höhere Ziele und erreichen sie effizienter. Das klingt doch wie im Paradies der Arbeit!

Es ist egoistisch, nicht gut für sich zu sorgen. Weil wir dann von anderen die Lieferung der Zutaten für unser Wohlbefinden erwarten. Leben Sie vor, wie es ist, gut für sich zu sorgen. Machen Sie Pausen, Urlaub, pünktlichen Feierabend und gönnen Sie sich kleine Auszeiten am Arbeitsplatz – und damit einige Minuten guter Stimmung. Investieren Sie in gute Energie und Stimmung. Sie werden ihr Umfeld damit anstecken!

Gut für sich zu sorgen heißt, dass das Beste genau richtig für Sie ist. Mit dieser Haltung erzielen wir die größten Effekte in der Selbstfürsorge, die bei den wachsenden Anforderungen dringend nötig ist. Die Haltung, sich das Beste zu nehmen, zieht auch die Konsequenz nach sich, das Beste gern zu geben. Im dritten Kapitel werde ich noch einmal ausführlich darauf eingehen.

Sind Sie emotional beteiligt, haben Sie keine Chance, die Sorgen der Arbeit von zu Hause fernzuhalten. Sorgen Sie dafür, dass es Ihnen gut geht, dann können Sie auch mit negativen Emotionen besser umgehen. Lernen Sie Strategien, wie Sie nach der Arbeit Stress abbauen können, zum Beispiel indem Sie Sport treiben oder zumindest einmal um den Block gehen. Der Körper baut das Stresshormon Cortisol durch Bewegung ab. Oder lesen Sie ein Buch – schon sechs Minuten Lesen führen zu einer Reduktion des Stresslevels von 68 Prozent. Nutzen Sie Musik oder Entspannungs-CDs auf dem Heimweg. Yoga, Meditation, Achtsamkeitsübungen helfen dem Geist, sich zu beruhigen.

Die gute oder schlechte Stimmung zu Hause kommt auch zurück in das Unternehmen. So schaukeln sich beide Lebensbereiche hoch oder fördern sich gegenseitig.

Finden Sie das richtige Gleichgewicht

Lassen Sie uns kurz bei den Emotionen verweilen. Beim Wohlbefinden geht es darum, positive Aspekte öfter und bewusster ins Leben zu integrieren. Das heißt aber nicht, dass negative Emotionen vermieden oder verdrängt werden sollten. Barbara Fredrickson beschreibt, dass alle Emotionen einen Sinn haben, weil sie Handlungsimpulse auslösen. Bei Furcht flüchten wir, bei Zorn greifen wir an, bei Interesse erforschen wir etwas. Diese Impulse sind verbunden mit Körperreaktionen, die die Handlung unterstützen. Da Emotionen und Körperreaktionen schneller als das Denken sind, wundern wir uns gelegentlich, warum wir uns gerade so und nicht anders verhalten haben.

Interessantes dazu hat der Naturforscher Benjamin Libet an EEG-Hirnströmen nachgewiesen. Seine Probanden sollten mit einer Handbewegung auf einen Punkt reagieren. Ein elektrisches Signal im Gehirn, das die Bewegung vorhersagt, trat dabei 200 Millisekunden vor dem bewussten Impuls auf, den Finger zu bewegen. Der Neurowissenschaftler Dylan Haynes wiederholte das Experiment im Magnetresonanz-Tomografen und zeigte, dass die Entscheidung im Gehirn unbewusst bereits zehn Sekunden vor der bewussten Wahrnehmung des Entscheidungsergebnisses feststeht.

Der Nebeneffekt von negativen Emotionen ist, dass sie die Perspektive einschränken. So kommen wir mit dem Denken nicht nur nicht hinterher, sondern verfügen dann auch nur über eine eingeschränkte Auswahl an Lösungen.

Gesunde reagieren breiter, reflektierter und emotional engagierter, Gestresste jedoch eher oberflächlich. Oberflächliches Denken hilft, um Schmerz und Stress zu ignorieren, weil wir dabei weniger fühlen. Allerdings fühlen wir auch kein Glück, wenn wir an der Oberfläche bleiben. Drogen, exzessives Sporttreiben, Essen, Alkohol, Einkaufen oder Sex haben in diesem Zusammenhang einen ähnlichen Effekt. Wir wollen nicht über einen Konflikt oder einen Stressor nachdenken und lenken uns ab.

Negative Emotionen waren in der Menschwerdung überlebenswichtig und sind es heute noch. Wir gehen Gefahren aus dem Weg und nehmen wahr, wenn eine Situation oder die Lebensumstände nicht gut für uns sind. Optimal wäre es, wenn wir einen achtsamen Zugang zu allen unseren Gefühlen hätten. Manchmal kann der Körper dabei helfen, denn er bringt immer unmissverständlich zum Ausdruck, wie es uns gerade geht. Positive Emotionen sind die beste Option, um zu lernen, neue Perspektiven und Fähigkeiten zu entwickeln. Menschheitsgeschichtlich scheinen sie später entstanden zu sein, nachdem die Überlebensfragen grundsätzlich gelöst waren und Entwicklungsthemen anstanden.

Negative und positive Emotionen gehören zum Leben, auch zum Arbeitsleben. Die einen wahrzunehmen und sich auf die anderen zu konzentrieren scheint mir der gesündeste Weg zu sein.

Positive Psychologie – die Psychologie für alle

In der Geschichte der Psychologie ging es meistens darum, Menschen mit Problemen und Symptomen zu helfen, die Ursachen dafür zu erkennen und sie dann zu überwinden. Erfreulicherweise wurde in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Frage laut, warum dem so ist. 70 Prozent der Menschen sind psychisch gesund und wollen einfach gut leben. Unter dem Begriff Positive Psychologie wurde im Jahr 2000 unter der Leitung von Martin Seligmann in Amerika damit begonnen, die Bedingungen für Glück und Gesundheit, deren Erhalt oder Verbesserung zu erforschen. Damit wurde ein Weg begangen, der auch heute noch relativ ungewohnt erscheint. Immer noch, auch in der Medizin, konzentrieren wir uns eher darauf zu heilen als vorzubeugen. In der Positiven Psychologie sind wir selbst gefragt. Als Gestalter und Bestimmer unseres Lebens, unserer Gesundheit und Zufriedenheit.

Ich verstehe die Positive Psychologie als eine neue Art zu denken, als eine Kultur oder Lebensphilosophie, das Beste aus seinem Leben und dessen Möglichkeiten zu machen, als einen Chancenblick und eine optimistische Grundhaltung zum Leben und damit auch zur Arbeit. Ich habe mich mit sehr vielen Richtungen in der Psychologie befasst, von den traditionellen wie Psychoanalyse oder Gesprächstherapie bis hin zu den modernen wie NLP (Neurolinguistisches Programmieren). Die Positive Psychologie hat mich überzeugt, weil sie Alltagsphänomene wissenschaftlich fundiert erforscht und weil sie ein positives Menschenbild hat. Dem Menschen wird das Recht und die Möglichkeit zum Wohlergehen zugebilligt und gleichzeitig gezeigt, wie jeder dies durch Einsatz der vorhandenen Potenziale erreichen kann.

Die Forschung der letzten Jahre lässt keinen Zweifel daran, dass wir uns selbst das Leben leicht oder schwer machen. Und dass Glück oder Wohlbefinden nicht nur angenehm sind, wenn man sie hat. Sondern dass sie alle Lebens- und Arbeitsbereiche nachweisbar positiv beeinflussen.

Die Gefahren: Der Stress mit dem Stress

Meine Klientin Stefanie hat mit Ende dreißig als alleinerziehende Mutter eine neue Laufbahn eingeschlagen. Sie arbeitet nun als Heilpraktikerin in einer Kleinstadt und hat sich damit einen Traum erfüllt. Mit Leidenschaft hat sie ihre Praxis aufgebaut, ist bei ihren Patienten anerkannt und beliebt. Sie hat einen vollen Kalender und wird gern weiterempfohlen.