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Meine Eltern, sehr jung und sehr verliebt. Sie sehen beide so gut aus.

 

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Meine Mutter mit mir im Alter von acht Wochen.

 

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Ich im Alter von zweieinhalb Jahren mit meinem gerade geborenen Bruder.

 

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Mein Klassenfoto. Unsere Klamotten sehen ziemlich gruselig aus.

 

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8. Juli 2006 der glücklichste Tag meines Lebens, die Hochzeit mit Mattia.

 

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Ich im Alter von neun Jahren.

 

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Mein kleiner Bruder Jan und meine Freundin Liselotte. Sie ist so alt wie ich, aber ich bin fast einen Meter größer.

 

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Die allererste Probeaufnahme meiner Modelkarriere.

 

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Meine Sedcard, die ich Sylvester schickte.

 

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Silvester 2007/08, gefeiert mit Cidre und Cola light.

 

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Ich und mein geliebter Erstgeborener Julian.

 

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Ich und mein erster Ehemann, Julians Vater.

 

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Mein wunderbarer Bruder Jan während eines Drehs für einen Bacardi-Rum-Werbespot.

 

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Ich und Arnold in einem Moment der Ruhe nach einem langen Drehtag für Red Sonja.

 

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Ein glücklicher Moment nach einem schönen Abendessen im ersten »Spago« auf dem Sunset Boulevard.

 

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Ein wunderschöner Tag am Strand von Santa Monica mit meinen tollen Kindern Killian, Douglas und Raoulino.

 

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Das Glück meines Lebens, mein Ehemann Mattia und unsere Hunde Tootsie und Joker.

 

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Ich in London, wo ich gerade eine tolle Zeit verbringe.

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IMPRESSUM

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Für Fragen und Anregungen:

info@mvg-verlag.de

 

1. Auflage 2012

© 2012 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

 

© der Originalausgabe Text copyright Brigitte Nielsen and Lucian Randall 2011

All Images © M&G Ent., unless otherwise stated

Die englische Originalausgabe erschien 2011 bei John Blake Publishing unter dem Titel You Only Get One Life.

 

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Umschlaggestaltung: Pamela Günther, München

Umschlagabbildung: © Mayk Azzato

Satz und EPUB: Grafikstudio Foerster, Belgern

 

ISBN EPUB: 978-3-86415-282-5

 

Weitere Infos zum Thema

www.mvg-verlag.de

Gerne übersenden wir Ihnen unser aktuelles Verlagsprogramm.


Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen,

die ich nicht ändern kann,

den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,

und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

 

(Dem US-Theologen Reinhold Niebuhr zugeschriebenes Gelassenheitsgebet)


Mit Dank an Peter Bennett für

seine kompetente Unterstützung.

Danke an Brunina, Eva und Caroline,

meine besten Freundinnen.

Inhalt

                          PROLOG

Kapitel 1      ABSCHIED

Kapitel 2      VON KOPENHAGEN ZUM CATWALK

Kapitel 3      DIE BRIEFTAUBE, DIE NICHT ZURÜCKKAM

Kapitel 4      EINE GIRAFFE IN DESIGNERKLEIDERN

Kapitel 5      EIN BILDUNGS­EXPERIMENT

Kapitel 6      DIE GROSSE, WEITE WELT

Kapitel 7      ALLEIN IN DER STADT DER LIEBE

Kapitel 8      GANZ OBEN

Kapitel 9      UND IM HINTERGRUND SPIELTEN DIE STONES

Kapitel 10    RED SONJA

Kapitel 11    WIE DER ZUFALL SPIELT

Kapitel 12    BEVERLY HILLS COP II

Kapitel 13    EINE SCHEIDUNG IN ALLER ÖFFENTLICHKEIT

Kapitel 14    DER ITALIENISCHE SUPERSTAR

Kapitel 15    BYE-BYE, ARIZONA

Kapitel 16    MEINE WAHREN FREUNDE

Kapitel 17    DIE PERFEKTE FAMILIE

Kapitel 18    GROSSE TRÄUME

Kapitel 19    »THE SHOW MUST GO ON«

Kapitel 20    EIN NEUER TAG

Kapitel 21    LANGSAMES ERWACHEN

Kapitel 22    ENTKOMMEN

Kapitel 23    COMEBACK: ZURÜCK IN DIE REALITÄT

Kapitel 24    ENTZIEHUNGSKUR

Kapitel 25    DIE LETZTE HÜRDE

Kapitel 26    WIR LIEBEN DICH, MUM

                          BILDTEIL

PROLOG

Sie kennen mich wahrscheinlich aus Film und Fernsehen oder haben in der Presse über mich gelesen. Man könnte nicht nur ein Buch, sondern eine ganze Bibliothek damit füllen, was andere über mich gesagt und geschrieben haben. Als ich jung war, habe ich das alles verfolgt. Wenn ich etwas Gutes über mich las, habe ich mich natürlich sehr gefreut, mir die Kritik dagegen zu sehr zu Herzen genommen, und so bin ich irgendwann zu dem Schluss gekommen, mein Leben in vollen Zügen auszukosten und mir nichts daraus zu machen, was andere von mir denken.

Für jemanden wie mich, die als kleines Mädchen in einem bescheidenen Vorort von Kopenhagen groß geworden ist, war es ein unglaublicher Parcours. Es ist hektisch gewesen und voller wunderbarer Erfahrungen, doch wie jeder andere habe auch ich meinen Anteil an Überraschungen erlebt. Wir alle kennen diese Momente … wenn das Leben eine unerwartete Wendung nimmt – eine Krankheit oder der Verlust eines geliebten Menschen oder aber etwas unglaublich Gutes.

Der entscheidende Augenblick in meinem Leben kam 1978, als mir eine Frau, der ich noch nie begegnet war, draußen in der Stadt auf die Schulter klopfte und mich in eine glamouröse Welt einführte, von der ich nicht einmal zu träumen gewagt hätte, geschweige denn ahnen konnte, dass ich einmal darin meinen Platz finden würde. Ich, eine dünne Bohnenstange von einem Teenager – und doch wurde ich über Nacht zu einer Sensation: ein Supermodel, für das der Traum vom roten Teppich wahr wird. Ich wurde erwachsen und habe von da an für den Rest meines Lebens im Rampenlicht gestanden – ob es mir nun passte oder nicht, dass nichts verborgen blieb. So ist das nun mal, wenn die Kameras erst mal laufen: Man ist zur Stelle. Und so war es für mich als Entertainerin, als Diva, als Blondine – Brigitte mit den langen Beinen und dem großen Busen. Sie war über Nacht ein Erfolg und völlig anders als der Mensch, der ich vorher gewesen war – die schüchterne, unsichere, linkische Gitte aus Rødovre in Dänemark. Als ich auserwählt wurde, fühlte ich mich wie im Märchen, und ich war einfach noch zu jung, um zu verstehen, dass man immer einen Preis zahlen muss.

Alle redeten von meinem Jetset-Lebensstil und einer Reihe sehr öffentlicher Beziehungen, doch mit jeder grellen Schlagzeile wurde ich nur einsamer, und die Person, über die ich las, war mir fremd. Den Menschen, der ich wirklich war, habe ich unter Make-up, einem breiten dänischen Lächeln und Designerklamotten versteckt. Heute weiß ich, dass ich zu viel von mir selbst preisgegeben habe, um mich in einer Welt zu bewegen, in der die Männer und die Medien unersättlich waren. Und mir war ihre Meinung so wichtig. Es gab zahllose Gelegenheiten, bei denen ich mir selbst nicht treu war, und andere, bei denen ich von denen, die mir am nächsten standen, hintergangen wurde. Am Ende kostete es mich fast das Leben.

An meinem vierzigsten Geburtstag sah ich es klar vor Augen: Meine Existenz war so nicht mehr zu ertragen. Meine vor Leben sprühende Seele war fast verloschen, doch obwohl ich damals nur einen einzigen Ausgang kannte, ist mir inzwischen klar, dass diese Erfahrungen – die guten wie die schlechten – mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich heute bin: Gitte Nielsen, nicht Brigitte, mit anderen Worten, die Frau, die ich von Anfang an gerne gewesen bin und die ich jetzt ohne Wenn und Aber mit Stolz wieder bin.

Ich weiß nicht, warum so viele Jahre vergehen mussten, bis ich mich endlich als den Mensch akzeptieren konnte, der ich bin, statt mich so zu sehen, wie die Welt mich sah, doch inzwischen setze ich eindeutig die richtigen Prioritäten: Zuerst bin ich Mutter, dann Ehefrau, erst dann kommt die Arbeit. Ich gebe immer noch mein Bestes, aber ich weiß, was wichtiger ist.

Als ich nach langer Überlegung beschloss, meine Geschichte zu erzählen, wusste ich, dass ich der Welt offen und ehrlich zeigen musste, wer Gitte Nielsen wirklich ist – und sie ist ganz anders als das selbstbewusste Sexsymbol, das ein Film-Mogul in Hollywood in Brigitte umgetauft hat, weil er der Meinung war, dass »Gitte« im Film nicht funktionierte. Gitte klang nicht nach einem Star, die meisten würden nicht einmal wissen, wie es auf Dänisch ausgesprochen wird … – und sie war zu lange unter Brigitte versteckt. Gitte zu sein, erschien mir immer sicher, Brigitte dagegen brachte Aufregung und Gefahr. Brigitte hat mir all den Kummer eingebracht.

Meine Freunde haben mir geraten, offen und ehrlich zu zeigen, wer ich tatsächlich bin, und das ist nicht das, was man in den Klatschspalten liest. Meine Geschichte – das, was wirklich mit mir passiert ist – hätte auch jedem anderen passieren können, denn schließlich sitzen wir alle im selben Boot. Vielleicht erkennen Sie sich sogar in mir wieder und sehen in meinen Abenteuern Ihre eigene Geschichte – schließlich kennen wir Dänen uns mit Märchen aus! Hans Christian Andersen hat einige der besten geschrieben; erinnern Sie sich an das hässliche Entlein, das zu einem schönen Schwan mit langem Hals heranwächst? Doch die Dänen haben der Welt auch den Wikinger beschert – den gefürchtetsten Krieger –, auch wenn der gehörnte Helm ein Attribut ist, das wir der Fantasie der Viktorianischen Zeit verdanken. Sie werden mich irgendwo zwischen diesen drei Figuren wiederfinden – Krieger, anmutiger Schwan und das hässliche Entchen, das aus Leibeskräften mit den Flossen paddelt, um sich über Wasser zu halten, und davon träumt, akzeptiert, geliebt und glücklich zu werden.

Ich hatte zwei Cousinen, die immer langes, blondes Haar und blaue Augen hatten, während ich selbst hellbraunes Haar und fast ständig Fieberbläschen an den Lippen hatte. Meine Großmutter war die Einzige, die an meinem Aussehen etwas finden konnte. Sie nahm behutsam mein Gesicht in ihre kühlen Hände und strich mir das Haar sanft zurück. »Schau dir diese elegante Stirn an«, flüsterte sie mir zu. »Du wirst einmal schön.«

Sag das meinen Klassenkameraden. Ich wurde wegen meiner Größe und knöchernen Figur gnadenlos gehänselt. Ich habe sieben Mal die Schule gewechselt und war immer sehr einsam. Meine schulischen Leistungen waren ausgezeichnet, doch ich war immer die Letzte, die bei Mannschaftsspielen ausgewählt wurde, und im Unterschied zu den anderen Mädchen bekam ich nie Liebesbriefe. Diese Jahre vergisst man nie. Als ich erfolgreich wurde, war es an der Presse, mich unter Druck zu setzen: Sie wollten jede Einzelheit über meine Beziehung zu den brutalen Kerlen wissen, bei denen ich offenbar immer wieder landete. Das verletzte mich genauso wie all die Sticheleien in der Schule.

Man muss sich sein Glück erkämpfen, das weiß ich inzwischen. Nur du selbst bist für dein Leben verantwortlich. So leicht ist Glück nicht zu haben, und man muss sich gut überlegen, wie man die Dinge angeht.

Ich denke, meine Geschichte wird viele Leser bewegen. Manche werden überrascht, andere verärgert sein. Manche werden fragen: »Wofür hält die sich eigentlich?« Aber so ist das nun mal, wenn man die Wahrheit erzählt. Der einzige Mensch, der mit Sicherheit stolz auf mich sein wird, ist mein Dad. Er starb in sehr jungen Jahren, und wenn er herabblickt, wird er lächeln, und ich lächle zurück. Dad wusste, dass die Wahrheit verletzen kann, aber dass man sich den Dingen mutig stellen muss. Ich bin selbst eigentlich nicht religiös, außer dass ich an einen Gott glaube, der in uns allen lebt – das Göttliche in uns allen, eine Kraft, die das Gute will.

Wenn ich meine siebenundvierzig Jahre Revue passieren lasse, dann denke ich zuerst an das dänische Mädchen, das in den Sechzigern im Westen von Kopenhagen aufgewachsen ist – ein Ausbund an Energie und Lebenshunger, das auf Abenteuer aus war, von denen die meisten nicht einmal träumen würden. Als Brigitte war das Leben aufregend und fantastisch, und im Laufe der Jahre bin ich eine Menge Risiken eingegangen, wahrscheinlich mehr, als gut für mich waren. In den meisten Fällen kam ich einigermaßen glimpflich davon. Ich war in meinem Leben immer bereit, den Sprung ins Ungewisse zu machen, in Swimmingpools zu springen, ohne mich erst zu vergewissern, ob Wasser drin war. Auch wenn ich nicht an einen konkreten Gott glaube, war immer jemand da und hat über mich gewacht. Ich bin bei Dingen mit einem blauen Auge weggekommen, die mich eigentlich Kopf und Kragen hätten kosten müssen.

Ich möchte allen danken, die an diesem Buch mitgewirkt haben. Vor allem meinem fantastischen Vater und Mattia Dessi, meinem Mann, der mich von der Flasche weggeholt hat und mit dessen Hilfe ich jetzt wieder einen klaren Kopf habe und voller Energie bin. Und natürlichen meinen Kindern Julian, Killian, Douglas und Raoulino. Ich liebe euch so sehr.

 

Gitte Nielsen

London, Mai 2011

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KAPITEL ZWEI

VON KOPENHAGEN ZUM CATWALK

Ich komme aus einer sehr kleinen Vorstadt namens Rødovre im Nordwesten von Kopenhagen. Gediegen, aber nicht glamourös. Es ist ein See in der Nähe, der einen Tagesausflug lohnt.

Mein Ausblick fürs Leben war eine berufliche Tätigkeit als Bibliothekarin, wie meine Mutter, oder auch als Verkäuferin. Ich hatte eine Stelle in einer Bäckerei und hätte nichts dagegen gehabt zu bleiben. Ich wäre damit zufrieden gewesen, für meinen jährlichen Pauschalurlaub zu sparen, und meine Träume hätten sich auf ein etwas größeres Haus oder ein besseres Auto beschränkt. Ich wäre für meine Zuverlässigkeit bei der Arbeit bekannt und meinen 2,4 Kindern eine gute Mutter. Die Kinder wären gut im Sport und wären musikalisch talentiert, sodass sie es vielleicht in eine TV-Talentshow schaffen. Es wäre nicht das Drehbuch für einen Blockbuster gewesen, aber das wäre in etwa passiert. Doch es sollte anders kommen. Bei meiner Geschichte war Zufall im Spiel, doch weitgehend habe ich sie selbst geschrieben. In der anderen Realität wäre die kleine Gitte nie über Dänemark hinausgelangt, hätte sich um ihre Kinder gekümmert und wäre damit völlig zufrieden gewesen. Selbst jetzt denke ich immer noch, dass ich vielleicht zurückgehen und in dieser Bücherei arbeiten oder die Bäckerin um die Ecke sein könnte.

Als ich mich hinsetzte, um meine Geschichte zu schreiben, habe ich mich gefragt, weshalb die Dinge so und nicht anders gelaufen sind. Ich habe versucht, mir auf einige der düsteren Erfahrungen einen Reim zu machen, und ich dachte mir, dass es alles so ganz anders hätte kommen können. Doch irgendwann setzte sich die Überzeugung bei mir durch, dass ich über das, was ich tat, nicht allzu viel Kontrolle hatte. Du hast nur dieses eine Leben, und es läuft nie so glatt, wie du es dir vorstellst. Es ist aus all diesen verschiedenen Fäden gewoben, und die Fäden haben Knoten, die du nicht mal siehst, bis du zurücktrittst und einen gründlichen Blick auf dich wirfst. In dem Moment, in dem du dich ruhig betrachtest, gelangst du an den Knoten vorbei und kannst dann weitergehen. Die meisten von uns haben einfach nicht die Zeit, über ihre Motive nachzudenken. Man führt einfach sein Leben mit allen Fehlern und Unzulänglichkeiten wie auch den Geistesblitzen. Über sich zu schreiben, ist tatsächlich eine seltsame Sache, da man zum ersten Mal gründlich über alles nachdenkt.

Zumindest weiß ich genau, wo alles für mich begann. Im Sommer 1978 war ich sechzehn und zu einem berühmten Platz in Kopenhagen unterwegs, den wir als Gråbrødretorv bezeichnen. Er wimmelt von Kneipen, in denen immer Musik spielt, und ist bei den Touristen sehr beliebt – wie auch bei jungen Mädchen aus der Vorstadt, die sich verzweifelt nach ein bisschen Abenteuer in ihrem Leben sehnen. Es war ein Donnerstag, und die ewigen Schulhof-Hänseleien und das Gespött sollten bald ver­stummen. Ich sollte mir Respekt verschaffen; jemand werden, zu dem die Leute aufsahen, eine Frau, der man jeden Wunsch von den Lippen ablas. Es würde wie im Märchen. Und wie immer im Märchen war dafür ein hoher Preis zu zahlen.

Ich war mit meiner Freundin Susanne unterwegs, und wir hatten ein paar Stunden lang in den Geschäften in unserer Gegend nach Kleidern und Schuhen gesucht, bevor wir mit dem Bus ins Zentrum fuhren. Wir waren so aufgeregt. Für jemanden wie uns, der aus der tristeren Gegend unserer Stadt kam, war das Zentrum von Kopenhagen immer faszinierend und voller Leben. Wir hatten nicht viel Geld zur Verfügung, aber wir genossen einen Schaufensterbummel. Kopenhagen ist eine sehr alte Stadt mit schönen Kirchen, und ich liebte es, mir die Statuen und Gebäude mit ihren charakteristischen Kupferdächern anzusehen. Man blickt hinauf und weiß, dass man an einem besonderen Ort ist. Im Vergleich dazu erschien mir mein Viertel trist und trübe. Wir durften nicht allzu oft alleine weg, und so hatte es einen besonderen Reiz, im Zentrum zu sein – es gab uns das Gefühl, erwachsen zu sein. Wir trugen, was wir an coolen Kleidern zu bieten hatten, und wussten, dass eine Menge andere Teenager auf dem Gråbrødretorv mit einem Bier ordentlich angeben würden.

Susanne und ich steuerten immer einen großen Baum auf dem Platz an, der bei jungen Liebespaaren populär war. Wir liefen zielstrebig, Arm in Arm hinüber und unterhielten uns angeregt über ein wichtiges Thema: Jungs. Als Erstes würden wir uns in einer Kneipe ein Bier besorgen, und ich hoffte, bei der Gelegenheit einen bestimmten hochgewachsenen jungen Mann mit blauen Augen hinter dem Tresen vorzufinden – Christian. Wenn wir unser Geld zusammenlegten, hatten Susanne und ich genug Geld für ein Bier und zwei Busfahrkarten nach Hause. Es war alles ziemlich albern, doch es bedeutete uns sehr viel.

Wir fühlten uns inmitten der geschäftigen Menschen und des Verkehrs wie am Bauchnabel der Welt. Hier spielte sich das Leben von Kopenhagen ab, hier war immer etwas los. Hier fiel ich nicht weiter auf, niemand lachte über mich, weil ich zu groß oder zu dünn war. Ich konnte mich anziehen, wie ich wollte, ich konnte in der Menge untertauchen. Die Leute hatten hier Besseres zu tun, als stehen zu bleiben und aus reinem Zeitvertreib Gehässigkeiten von sich zu geben. In Rødovre nannten sie mich »Giraffen« – Giraffe, eine linkische, fremdartige, exotische Kreatur, die nirgends hinpasste.

Kopenhagen dagegen hatte alles zu bieten, und wir genossen unsere Ausflüge in vollen Zügen. Man konnte sich nichts Eleganteres, ­Schöneres vorstellen als diesen Platz. Außer Christian. Ich schenkte ihm ein Lächeln, und als er herüberkam, um uns zu bedienen, schmolz ich dahin und grinste wie ein Idiot. Ich war von meinem halben Bier schnell beschwipst und mochte den Geschmack nicht, doch es half mir, mich älter und selbstsicherer zu fühlen. Bier zu trinken war etwas, das Christian vermutlich gut fand, und jedes Mal, wenn er in meine Richtung sah, schlug mein Herz höher.

Ich machte das Beste aus meiner Freiheit. Es war schon fünf Uhr, und ich musste bis sechs zu Hause sein. Das war die Frist, die mir mein Vater setzte, und er duldete keine Verspätung. Er war unglaublich streng. Ich hatte am Abendbrottisch zu sitzen und zwar gerade. So wie es sich gehört – Dad hatte es meinem Bruder und mir beigebracht, indem er uns beide mit einem Buch auf dem Kopf still sitzen ließ. Er hatte eine etwas altmodische Vorstellung von der Elternrolle, und ich bin sicher, dass er die Vorteile, die mir seine Lektionen als Model brachten, keineswegs beabsichtigte. Während die anderen Mädchen lernten, wie man sich ordentlich auf dem Laufsteg bewegt, war ich bereits bei Lektion zwei. Dads Essensregeln schlossen ein, dass die Ellbogen stets unten waren und wir ähnlich vornehm mit Messer und Gabel umgingen. Das gehörte einfach zu Dad.

Fünf Uhr, und mein Märchen endete, wie gewohnt, so wie bei Aschenputtel. Ich war jung und lebenshungrig und in die Welt verliebt, doch ich wusste, dass ich zu Hause sein musste, wenn ich keinen Zimmerarrest riskieren wollte. So sehr ich Dad liebte, hatte ich auch Angst vor ihm, und ich hätte nie gewagt, mich ihm zu widersetzen. Als es Zeit war, nach Hause zu fahren, verflüchtigten sich die Gespräche über Jungen und die Träume von Christian. Die Party war vorbei.

Susanne wusste, wie es bei uns lief, und wir brachen rechtzeitig auf. So wie immer – bis mich jemand energisch in die Seite stieß. Das war mir noch nie passiert. Ich fuhr herum und wollte sehen, wer sich so rüde benahm und was derjenige von mir wollte.

»Möchten Sie Model werden?«

KAPITEL DREI

DIE BRIEFTAUBE, DIE NICHT ZURÜCKKAM

Ich wurde am 15. Juli 1963 als Tochter von Hanne und Svend Nielsen geboren. Damals bot der dänische Staat frisch Vermählten eine Menge Hilfe an. Wenn sie ein Kind erwarteten, bekamen sie automatisch eine Wohnung angeboten. Unsere Familie bekam ein Zuhause in Rødovre.

Mum hatte eine völlig problemlose Schwangerschaft, doch meine Geburt war für sie eine Qual. Nachdem sie schon Tage darum gekämpft hatte, mich aus eigener Kraft auf die Welt zu bringen, mussten sie mich am Ende mit der Zange holen. Bei der Geburt war ich nur etwas über 3000 Gramm schwer und fünfzig Zentimeter lang, mit blauen Augen und schwarzen Haaren. Ich war ein lebhaftes Baby, auch wenn damals mit meinem Babyspeck niemand ahnte, dass ich einmal eins neunzig groß werden würde.

Nach einem Jahr zogen wir in ein unscheinbares, zweistöckiges Haus im Stil der damaligen Zeit. Es war rot verklinkert, wie es in Dänemark für den Baustil der Fünfzigerjahre üblich war, und es bestand aus einer langen, schmalen Küche, zwei kleinen Zimmern für uns Kinder, einem Elternschlafzimmer sowie einem L-förmigen Wohnzimmer mit Terrasse. Draußen gab es noch einen kleinen Schuppen.

Als ich nicht lange darauf ein Brüderchen, Jan, bekam, war unsere kleine Familie komplett. Jan und ich standen uns sehr nahe. Uns blieb auch gar nichts anderes übrig – ich hatte nicht viele Freunde, und Dads strenge Regeln bedeuteten, dass wir selten zum Spielen mit anderen Kindern nach draußen durften. Dad hatte ein paar seltsame Ticks. Immer nach der Schule mussten wir im Unterschied zu den anderen Kindern zu Hause sauber machen. Die dänische Gesellschaft stand damals in dem Ruf, das Leben nicht so ernst zu nehmen, doch wer den Haushalt der Nielsens gesehen hätte, wäre nie auf die Idee gekommen.

Jan und ich spielten miteinander Karten oder tollten im Garten und hatten unseren Spaß beim Fußball und anderen Freizeitbeschäftigungen. Wir hatten außerdem einen Cockerspaniel, mit dem wir spazieren gingen, und wir waren viel mit dem Fahrrad unterwegs.

Ich hegte gegenüber meinem kleinen Bruder einen ausgeprägten Beschützerinstinkt und ließ nicht zu, dass ihm irgendjemand – außer ich selbst – ein Haar krümmte. Jedes Mal, wenn wir Streit hatten, bezog er von seiner großen Schwester Prügel. Ich war schrecklich! Ich wurde leicht wütend auf ihn, aber zugleich waren wir ein Team. In der Schule oder mit anderen Kindern auf der Straße hielten wir zusammen, doch wenn zu Hause einer von uns etwas ausgefressen hatte, gaben wir uns grundsätzlich gegenseitig die Schuld. Es kam nicht selten vor, dass wir unsere Eltern völlig verwirrten und am Ende gar nichts abbekamen – oder wir wurden beide bestraft. Zumindest litten wir dann nicht allein. Damals war ich häufig diejenige, die irgendwelche Dummheiten anzettelte und Jan mit anstiftete, und obwohl wir uns heute nicht mehr so häufig sehen, haben wir immer noch eine starke Bindung. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann in Dänemark und viel auf Reisen, doch wir sind Seelenverwandte, und wenn wir einmal wieder zusammen sind, albern wir miteinander herum, als wären wir noch klein.

Ich hatte mein Zimmer im ersten Stock auf der Gartenseite. Ich war meistens unglücklich, und oft saß ich dort und blickte über die bürgerliche Nachbarschaft. Die Gärten waren sehr gepflegt, und da es in Dänemark fast so viel regnet wie in England, waren sie auch immer grün. Die richtig schicken Häuser hatten einen Fahnenmast mitten im Garten. Seltsam, oder? Wenn man draußen eine Fahnenstange hatte, hielt man sich gesellschaftlich für einen Hauch überlegen – ein typisch dänisches Phänomen! Ich starrte an den Fahnen und den kurz gemähten kleinen Rasenflächen vorbei und brachte meine Kindheit mit Tagträumen herum.

Wir wohnten sieben Kilometer vom Rådhuspladsen entfernt, dem Zentrum von Kopenhagen und dem Platz im Herzen des Geschäftslebens, doch es hätten ebenso gut sieben Lichtjahre sein können. Wir lagen deutlich näher am Damhussoen-See. Das war meine Zuflucht von der Monotonie der Häuser, die aussahen, als stammten sie aus einem Science-Fiction-Albtraum, in dem alle gleich sind. Am See entkam ich unseren strengen Regeln zu Hause und meinem Unglück über mein Äußeres.

Meine Großmutter wohnte in einem Haus direkt am See. Für ein kleines Kind war es ein Traum. So oft ich konnte, schwang ich mich aufs Rad und fuhr so schnell ich konnte zu ihr. Sie wohnte auf der anderen Seite, und so musste ich um den See herumfahren. Auf dem Weg dorthin gab es einen kleinen Vergnügungspark, und ich pausierte immer an einem Vogelhaus, in dem sie Brieftauben hielten. Seit vielen Jahren war es Tradition, die Vögel jede Woche fliegen zu lassen, und mein Dad erklärte uns, dass einige von ihnen aus einer Entfernung von fünfhundert Kilometern nach Hause fanden. Wahrscheinlich hatten sie der Stadt früher einmal für einen wichtigen Zweck gedient, doch jetzt war es nur noch ein Sport. Mir war das egal – mich faszinierten nur ihre Ausdauer und ihr Mut. Man stelle sich nur vor, Hunderte Kilometer von allem weg zu sein, was man kennt, und dann den Weg nach Hause zu finden! Für mich, ein oft kränkelndes Kind, war das so romantisch. Wenn die Vögel zurückerwartet wurden, sauste ich auf meinem Rad hinüber und starrte mit Herzklopfen in den Himmel, wenn in der endlosen Weite winzige schwarze Punkte erschienen und schließlich die vertrauten Gestalten der kühnen Kundschafter auf ihrem Heimflug zu erkennen waren. Und sie hatten immer Botschaften dabei. Ich stellte mir vor, wie sie fantastische Geschichten aus fernen Ländern mitbrachten, in denen deine Fahnenstange oder der Zustand deines Rasens nicht das Maß aller Dinge war.

»Wenn sie doch nur reden könnten«, sagte ich dann.

Und ich dachte an die Männer, die sie losschickten, und fragte mich, was sie wohl dachten. Kurz bevor die Vögel in den Himmel entlassen wurden, hörte ich sie mit den Flügeln schlagen, während sie aufgeregte Laute von sich gaben. Wenn sie dann ihre Kreise zogen, um sich auf ihre Reiseroute zu begeben, hätte ich am liebsten geklatscht und wäre in die Luft gesprungen, um ihnen Mut zu machen – aber ich war immer zu schüchtern.

Meine eigenen Versuche, auszubrechen, waren weniger erfolgreich. Dabei fing ich früh an, mit gerade mal drei Jahren. Liselotte war meine beste Freundin; sie stammte aus einer wohlhabenden, gutbürgerlichen Familie – ihr Vater war Zahnarzt. Sie war das Gegenteil von mir – vorsichtig und still, während ich der Lausbub war. Obwohl Liselotte ein Jahr älter war als ich, beschwatzte ich sie, auf unseren Dreirädern einen Ausflug zu machen. »Wir fahren zu meiner Großmutter«, sagte ich zu ihr, und wir machten uns auf die Suche nach dem See.

Ich habe keine Ahnung, wie wir es angestellt haben, doch mir schafften es, und Großmama gab uns Saft und Kuchen. Ich ließ mir jeden Bissen schmecken, auch wenn ich ganz genau wusste, dass ich von meinen Eltern, die bereits unterwegs waren, um uns abzuholen, gewaltigen Ärger bekommen würde. Von meinem Vater gab’s was hinten drauf, doch das trieb mir die Abenteuerlust so schnell nicht aus. Liselotte und ich waren jahrelang befreundet, und ich war immer auf der Suche nach aufregenden Erlebnissen. Nichts liebte ich so sehr, wie mir eine Tasche mit Proviant zu packen und mit meinem treuen Fahrrad ins Blaue zu fahren. Einmal brachten wir es irgendwie fertig, auf eine Autobahn zu geraten. Die Polizei las uns auf, und diesmal gab es eindeutig keinen Kuchen. Ich war immer die Waghalsige. Zur Strafe gab’s was hinter die Löffel und eine Woche Stubenarrest.

Wenn ich allein unterwegs war, radelte ich oft nach Heden, ein schönes, weitläufiges und friedliches Fleckchen Erde. Ich stieg vom Rad, legte mich ins Gras, blickte in die weißen Wolken und hing meinen Träumen nach. Eines Tages würde ein gutaussehender Mann auf seinem Pferd angaloppiert kommen und mich aus allen Widernissen in ein Zauberland entführen. Rødovre bot ein behütetes Leben, es war nicht schlecht, doch ich fühlte mich dort nie wohl. Irgendetwas an dem Ort tat mir nicht gut.

Es fing damit an, dass ich ständig krank war. Als Baby bekam ich eine von Streptokokken verursachte Blutkrankheit, unter der ich mit etwa zwei Jahren hartnäckig litt. Mir fiel das Haar aus, und ich hatte sehr hohes Fieber. Monatelang kam ich immer wieder ins Krankenhaus, wo die Ärzte herauszufinden versuchten, was mit mir nicht stimmte. Drei Jahre vergingen, und schließlich verschrieben sie mir so hoch dosierte Medikamente, dass ich in eine Spezialklinik für Kinder kam, die auf Grund ihrer schweren Erkrankung kein normales Leben führen konnten. Ich war fünf, hatte jedoch die Größe einer Zweijährigen und war sehr dünn. »Werde ich immer so bleiben?«, fragte ich. Eine ziemlich wichtige Frage für eine Fünfjährige.

Als vierfache Mutter fand ich später heraus, dass Kinder eine erstaunliche Widerstandskraft entwickeln können. Sie überleben oft die schlimmsten Krankheiten, und auch ich erholte mich allmählich. Ich konnte mich sogar kaum noch an die Krankheit erinnern. Für meine Eltern sah die Sache natürlich ganz anders aus; für sie war es unerträglich, ihr Kind so leiden zu sehen. Sie fühlten sich vollkommen hilflos, solange alle ihre Mühen scheiterten. Erst als bei meinem jüngsten Sohn Raoulino im Alter von acht Jahren ein gutartiger Gehirntumor entdeckt wurde, begriff ich, was meine Eltern mit mir durchgemacht haben mussten. Als er wuchs, bestand die Gefahr von Hirnblutungen, und er war zwei Jahre lang krank. Es geht ihm jetzt gut, doch damals sagten uns die Ärzte, er könne jeden Moment sterben. Ich konnte mir diese nagende Angst vorstellen, die meine Eltern angesichts einer Krankheit empfunden haben mussten, für die es keine Therapie zu geben schien.

Meine eigenen Erinnerungen an meine frühe Kindheit waren glücklich. Am schönsten waren immer die Ferien, in denen wir jedes Jahr nach Orø fuhren. Wir hatten nie genug Geld, um uns Auslandsreisen leisten zu können, und so fuhren wir stattdessen auf diese winzige Insel nördlich von Kopenhagen. Wir drängten uns alle in diesen peinlichen alten Wagen und banden das Gepäck mit einem Strick auf dem Autodach fest. Diesmal erlaubten mir meine Eltern wenigstens, Liselotte mitzunehmen.

Das Ferienhäuschen war ebenfalls alt und nicht viel mehr als eine nicht besonders große hölzerne Kiste. Ein Zimmer schloss die Küche mit einer Kochplatte ein, während draußen ein Plumpsklo war, und auch wenn kaum vorstellbar war, wie eine so enge Behausung für uns alle reichen sollte, verbrachten wir hier die unvergesslichsten Ferien, da ausnahmsweise einmal nicht die strengen Regeln von zu Hause galten, und das reichte, um sich wie im Paradies zu fühlen.

Ich durfte Verstecken spielen, herumrennen und – meine Lieblingsbeschäftigung – auf Bäume klettern. Als Kind war ich wie ein Äffchen, ich konnte tagelang alles andere um mich herum vergessen und mich nach Herzenslust in Gefahren stürzen. Diese Insel hatte gerade mal einen Durchmesser von vierzehn Kilometern, klein genug für die Erwachsenen, um davon auszugehen, dass uns nichts passieren würde, und groß genug, um uns eine spannende Wildnis zu bieten. Es war warm, und ich war bei den Menschen, denen ich am meisten vertraute. Mum und Dad waren entspannt und gut gelaunt, und uns konnte nichts passieren. Wir zogen mit Rucksäcken voller Proviant los. Liselotte war wie seit unserer frühesten Kindheit an meiner Seite.

Wir gingen ans Wasser hinunter, um uns über die Vogelbeobachter lustig zu machen. Alle gingen völlig in ihrem Hobby auf – die einen reckten die Nasen in die Luft, die anderen schienen unverwandt ein Stück Sand anzustarren. Sie hatten keine Ahnung, wie sie zu unserer Belustigung beitrugen – so wie sie nichts um sich herum wahrzunehmen schienen, was nicht Federn hatte oder sich in einem Ei befand, waren sie einfach urkomisch. Man konnte ganz nahe an sie herankommen, ohne dass sie im Geringsten reagierten. Dann liefen wir davon und warfen uns in die Dünen, um im Wasser nach Seehunden Ausschau zu halten.

In diesem Urlaub verliebte ich mich auch zum ersten Mal. Vesti war der Glückliche; sein Vater führte den winzigen Supermarkt auf der Insel. Der Junge hatte dunkles, gelocktes Haar, dazu ebenso dunkle Augen, mit besonders langen Wimpern, an die ich mich noch erinnere, weil sie einfach so schön waren. Und er brachte mich zum Lachen. Ich träumte den ganzen Sommer von ihm.

Ich war erst neun Jahre alt, doch ich weiß bis heute, wie er roch, und erinnere mich auch an dieses wundervoll aufregende Gefühl, dieses Kribbeln im Magen, wenn ich ihn nur ansah. Es war ein verwirrendes Gefühl, das ich das erste Mal unter der Dusche bekommen hatte, als ich acht war.

Ich hatte mich mit Marmelade bekleckert, und meine Mutter schickte mich rauf, um mir die klebrigen Sachen auszuziehen und mich zu waschen. Man musste es mir nie zwei Mal sage, ins Wasser zu gehen, ich liebte es zu baden – ich war ein richtiges Wasserbaby. Ich brauste mir die Haare ab und seifte mir den ganzen Körper ein; als mir der Wasserstrahl beim Abspülen zwischen die Beine geriet, spürte ich eine plötzliche Erregung.

Ich hatte keine Ahnung, was ich mit meinem Brausekopf entdeckt hatte, doch es gefiel mir. Es war so ein warmes, angenehmes Gefühl am ganzen Körper; ich hielt die Brause in einer ganz bestimmten Stellung, und was immer es war, es fühlte sich fantastisch an. Nach einer Weile wurde es beinahe zu gut. Ich musste ab und zu die Stellung wechseln, weil ich das Gefühl hatte, ich würde sonst verrückt, doch dann machte ich weiter. Wie lange trieb ich das so? Fünf Minuten? Zehn? Ich weiß es nicht. Ich verlor alles Gefühl für die Zeit.

Diese Erfahrung öffnete eine Tür zu einer völlig neuen Welt, und ich war neugierig und wollte verstehen, was das zu bedeuten hatte. Auf meine Weise war ich schon eine erfahrene junge Dame, als ich Vesti begegnete. Das Gefühl, das er bei mir weckte, kannte ich schon, und ich wusste mit meinem Körper Bescheid. Die physische Welt, die ich gerade erkundete, und die Welt der Liebe vereinten sich in diesem Jungen. Damals war ich nur noch nicht alt genug, um eine bewusste Beziehung zwischen beiden herzustellen. Ich konnte nicht ganz erkennen, wo der Unterschied zwischen den Gefühlen lag, die der gute alte Brausekopf bei mir auslöste, und denen, die ich in der Gegenwart von Vesti empfand. Am besten verstand ich, dass das, was mit der Dusche passierte, immer abrupt zu Ende war. Wenn es vorbei war, dann war es vorbei. Was ich bei Vesti empfand, hielt an. Viele Jahre später versuchte ich jahrelang, die beiden Welten des Physischen und des Emotionalen zusammenzubringen.

Die Liebe, die ich in diesem Urlaub fand, war neu. Sie war warmherzig, aufregend und zugleich ein tröstliches Gefühl. Ich fühlte mich geborgen, auch wenn ich weiß, dass viele Frauen Liebe nicht mit Sicherheit in Verbindung bringen würden. Für mich war es das alles auf einmal. Natürlich funktioniert diese Art Liebe nur, wenn der andere auch diese Sicherheit empfindet und die Gefühle erwidert werden. Vesti schien sich für mich zu interessieren, doch ich bin mir heute sicher, dass nur ich richtig verliebt war. Schließlich waren wir erst neun, und ich glaube nicht, dass er viel zu erwidern hatte. Ich war einfach nur davon überwältigt, solche Gefühle zu haben – ich war so stolz, kam mir so groß vor. Das war mir im Leben das Wichtigste – und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Die Liebe ist mit den Jahren gekommen und gegangen, doch ich hätte nie ohne diese Empfindungen leben wollen, egal, wie schwer es zuweilen wurde. Vielleicht war Vesti so etwas wie ein Warnsignal, wäre ich nur alt genug gewesen, um es zu verstehen. Liebe zehrt sämtliche Energie auf, die ich in meinem Körper und meiner Seele habe. Selbst mit neun forderte sie alles in mir, und ich spürte, dass sie einen ein ganz kleines bisschen um den Verstand bringt. Ich glaube, ich war schon damals irgendwie süchtig nach diesem gewaltigen Kick. Das deutete auf eine weniger gesunde Seite der Liebe hin. Doch falls Vesti eine Warnung vor dem war, was später kommen würde, stellt sich die Frage, ob ich es bedaure, nicht darauf geachtet zu haben. Nein. Ich hätte keines meiner Liebesabenteuer missen wollen. Sie brachten mich an erstaunliche Orte, und selbst wenn ich um den einen oder anderen lieber einen Bogen gemacht hätte, was soll’s. Man hat keine Kontrolle darüber, wohin einen die Liebe führt.

Ich habe nie mit Vesti Händchen gehalten, und wir haben uns nie geküsst. Wahrscheinlich hielt er mich einfach nur für eine alberne Gans, weil ich mich so sehr für ihn interessierte. Doch wir drückten unsere Gefühle so aus, wie es Acht- und Neunjährigen angemessen ist. Er jagte mir hinterher, wir neckten uns und verbrachten Zeit miteinander. Wir benahmen uns wie ganz gewöhnliche Kinder, doch Vestis Aufmerksamkeit gab mir dieses besondere, kribbelnde Gefühl.

Die andere Liebe, die in jenem Sommer begann, sollte ein Leben währen. Liselotte und ich fanden einen Hof mit ein paar Ponys, und die Eigentümer erlaubten uns, sie zu reiten. Ich war ihnen vom ersten Moment an verfallen, und ein Pony namens Magic hatte es mir besonders angetan. Ich weiß nicht, was für eine Rasse oder wie alt es war, aber ich wollte so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen. Ich kümmerte mich um das Tier, gab ihm sein Futter und ritt auf ihm aus. Manchmal steckte ich einfach nur die Nase in seine warme Mähne – ich liebte den betörenden Duft von Pferden an mir. Seitdem ist Reiten eine große Leidenschaft geblieben. Alles an Pferden ist wunderbar – sie zu umarmen, auf ihnen über die Hügel zu galoppieren oder ihnen nach einem Ritt am Abend einfach zuzuhören, wenn sie im Stall ihr Futter mampfen.

Das Reiten auf den Ponys machte mich in diesem Sommer so glücklich und unbeschwert. Nachdem wir aus den Ferien zurückgekehrt waren, fuhr ich mit dem Rad zu den Stallungen außerhalb von Kopenhagen und brachte viel Zeit damit zu, die Pferde zu striegeln. Zur Belohnung durfte ich jede Woche eine Stunde lang kostenlos reiten. Ich blickte in diese sanften, dunklen Augen, die groß genug waren, alle meine Gedanken zu fassen, und sie gaben mir das Gefühl, als könnten sie das Gemeine aus dem Leben verbannen. Die Beziehung zu ihnen war einfach und ehrlich. Reiten kann, wenn man es darauf anlegt, technisch eine ziemliche Herausforderung sein, doch letztlich geht es darum, dich mit allen Teilen deines Körpers im Rhythmus des Pferdes zu bewegen. Es war kein Sport, sondern eine Möglichkeit, mit diesem schönen Geschöpf eins zu werden.

Ich hörte mit den regelmäßigen Ausritten erst auf, nachdem das Modeln begann – und als ich später in Red Sonja neben Arnold Schwarzenegger die Hauptrolle bekam, erwies sich meine Übung als nützlich, denn wir drehten so viele Szenen zu Pferde, dass ich ohne meine Erfahrung dumm dagestanden hätte. Ich fing wieder damit an, als ich Sylvester Stallone heiratete und wir zusammen mit anderen Pferdenarren in Hollywood anfingen, Ghallen-Polo zu spielen. Als ich später mit dem Football-Spieler Mark Gastineau liiert war, besaß ich wieder ein eigenes Pferd. Mark war auf einer Ranch geboren und mit Pferden aufgewachsen. Ich lernte, ungesattelt und mit Westernsattel zu reiten und versuchte mich im Kälberfangen. Derzeit fehlt mir die Zeit zum Reiten, aber es ist für mich immer noch eine Art Therapie, so wie für andere ein Spaziergang oder Kochen. Ich liebe die Nähe von Pferden; ihr beruhigender Herzschlag macht mich glücklicher – es ist bestimmt nur eine Frage der Zeit, bis ich wieder ein eigenes Tier habe. Den Traum gebe ich nie auf. Ich würde liebend gerne zusammen mit Mattia außerhalb von London auf dem Land leben, mit eigenen Hühnern, Schweinen und einem Pony – es geht nichts über den Geruch von Heu und die neugierigen Nüstern eines Pferdes.