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MEDITATION ohne Geheimnis | Eine Führung ins Innerste – JhanaVerlag

Erstausgabe 1988 im Theseus Verlag, Verlagsgruppe Dornier

Textgrundlage dieses eBooks ist die gedruckte Version des gleichnamigen Titels.

ISBN 978-3-931274-41-2
eBook-ISBN 978-3-931274-49-8

eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de

© Jhana Verlag, Uttenbühl 2011
Copyright eBook: © Jhana Verlag, Uttenbühl 2014

Korrektorat: Bärbel Wildgruber
Covergestaltung: Jörg Hoffmann, jhpDESIGN
Satz und Layout: Claudia Wildgruber
Druck: Druckerei Steinmeier GmbH, Deiningen

Inhalt

Widmung

Vorwort

I. Wozu meditieren? oder: Meditation ist kein Hobby

Fragen und Antworten

II. Meditationsmethoden

1. Atem-Meditation

2. Einsichtsmeditation (Vipassanā-Meditation)

3. Geh-Meditation

4. Liebende-Güte-Meditation (Mettā-Meditation)

Liebende-Güte-Meditation: Mutter und Kind

Fragen und Antworten

III. Kontemplationen

Fragen und Antworten

IV. Wege zum Klarblick

1. Klarblick durch Erkennen der Unbeständigkeit (anicca)

2. Klarblick durch Erkennen der Leidhaftigkeit (dukkha)

3. Klarblick durch Erkennen der Substanz-/Ichlosigkeit (anattā)

Fragen und Antworten

V. Wege zur Ruhe
Die Meditativen Vertiefungen (jhānas)

1. Die vier feinkörperlichen Vertiefungen

2. Die vier formlosen Vertiefungen

Fragen und Antworten

VI. Einsichtsstufen

1. Unbeständigkeit

2. Auflösung

3. Panik

4. Gefahr

5. Abwenden

6. Loslösen

7. Dringlichkeit

8. Kontemplation und Reflexion

9. Gleichmut

Fragen und Antworten

VII. Fünf Kampfesglieder

1. Gesundheit

2. Vertrauen

3. Aufrichtigkeit

4. Willenskraft

5. Einsicht

VIII. Drei Pfeiler der Meditation

1. Freigebigkeit/Großzügigkeit (dāna)

2. Sittliches Verhalten/Tugendregeln (sīla)

3. Liebende Güte (mettā)

Fragen und Antworten

IX. Läuterung von Hass, Gier und Verblendung

Fragen und Antworten

X. Die fünf edlen Mächte

XI. Empfehlungen für die Praxis im Alltag

Fragen und Antworten

Liebende-Güte-Meditation: Dankbarkeit für den spirituellen Pfad

Glossar

Widmung

Dieses Buch ist allen meinen Lehrern, Schülern, Freunden und Nicht-Freunden gewidmet. Sie alle haben mir auf dem Pfad der Erkenntnis geholfen, das Ich für etwas weniger wichtig anzusehen.

Möge ihnen dieses Buch Freude machen.

Ayya Khema
im April 1988 am Bodensee

Willkommen sei mir ein einsichtiger Mann,
offen, ehrlich, von grader Natur.
Ich leite ihn zu den Übungen schrittweise an.
Ich zeige die Wahrheit ihm auf.
Wenn er nach der Anleitung sich einübt,
so wird er in nicht langer Zeit selber erfahren,
selber sehen.
Dann ist er, wahrlich, von allen Banden frei:
von den Banden des Nichtwissens.

Worte des Buddha (M 80)
(übersetzt von Paul Debes)

Vorwort

Meditation – eine Reise ins Innerste

Meditation ist die Wissenschaft des Herzens. Eine Wissenschaft, die wahrscheinlich so alt ist, wie die Geschichte der Menschheit selbst. In dieser Geschichte gab und gibt es immer wieder große Seelen, die die Fähigkeit hatten, diese Wissenschaft bis in die tiefsten Tiefen zu erforschen und dem Gefundenen dann Ausdruck zu verleihen.

Buddha war so eine große Seele und Ayya Khema ist ihm auf seinem Weg gefolgt. Ihre Richtlinie auf diesem Weg war dabei immer die praktische Frage: Wie macht man das?

Anhand der Erklärungen des Buddha konnte sie diese Frage mit all ihren Feinheiten selbst ergründen und in Worten zum Ausdruck bringen, die es auch uns ermöglichen zu verstehen und zu üben. Und das ist auch das Hauptanliegen in Ayya Khemas Lehrdarlegung. Die praktische Umsetzung des Gehörten und Gelesenen.

In „Meditation ohne Geheimnis“ stellt sie dabei die wichtigsten Meditationsmethoden vor, die immer das gleiche Ziel verfolgen: Nämlich den Geist zur Ruhe zu bringen und diesen ruhigen, gesammelten und geklärten Geist dann dafür zu verwenden, die Welt einmal so zu sehen, wie sie wirklich ist. Dies führt dann zum Loslassen von unseren alten Gewohnheiten, Konzepten und Vorstellungen und öffnet das Herz für ein neues Erleben. Ein Erleben, das viel erfüllender und beglückender ist, als alles, was wir im Alltag erfahren können und das unser Leben verändern wird.

Nicht mehr die Welt der 10 000 Dinge, mit all ihren Verlockungen und Versprechungen wird der Fokus unserer Lebensgestaltung sein, sondern das Wissen um einen inneren Reichtum, der durch die Meditation erschlossen werden kann. Das Leben bekommt eine neue Richtung, einen neuen Sinn. Unsere äußere Lebensreise wird mehr und mehr zu einer Reise in unser Innerstes, dem Platz, wo all das vorhanden ist, nach dem wir uns ein Leben lang gesehnt haben. Das Besondere an diesem Buch ist, dass es ganz klare und nachvollziehbare Anweisungen für diese Reise nach Innen gibt. Anweisungen, die auf einer über 2.500 jährigen Tradition beruhen und von Suchern über die Jahrhunderte hinweg mit Erfolg angewendet wurden. Und das ist auch heute noch möglich!

Danke dem Buddha, Danke dem Dhamma, Danke der Sangha und Danke an Ayya Khema.

Nyanabodhi Bhikkhu
Waldkloster Metta Vihara

Ohne Weisheit gibt es keine Entfaltung
der vertieften Sammlung
und ohne vertiefte Sammlung
gibt es keine Entfaltung von Weisheit.
Jemand, der beides hat,
ist der Freiheit, Nibbāna sehr nah.

Dhp. Vers 372

I

Wozu meditieren?
oder: Meditation ist kein Hobby

Wer noch gar nicht oder nur selten meditiert hat, kennt seinen eigenen Geist noch nicht. Viele verbinden mit Meditation die Vorstellung, sie führe uns in irgendwelche fremde Regionen und jeder erlebe sie auf seine ganz persönliche Weise. So ist es aber nicht.

Der menschliche Geist hat, soweit er das ist, was wir normal nennen, gewisse Eigenschaften, die für jeden Menschen gelten, und die Meditation ist ein vom Buddha klar und genau erklärtes Gebiet des Geistes, das jeder beschreiten kann, und jeder kommt zu den gleichen Ergebnissen, vorausgesetzt, er bemüht sich. Es ist nie irgendeine ungeahnte, verworrene oder persönliche Erfahrung, es ist eine sich Schritt für Schritt entfaltende Klärung. Die Erfahrung ist universell. Andernfalls wäre es unmöglich, Meditation zu lehren. Der Lehrer wüsste ja nicht, was sein Schüler erfahren hat oder kann.

Diese Erfahrungen und sich schrittweise entfaltenden Klärungen hat der Buddha genau beschrieben, man kann sie nachlesen. Das ist für den hilfreich, der die Erfahrung bereits gemacht hat. Er findet sein eigenes Erleben bestätigt. Vorher sollte man nichts darüber lesen; man würde nur vorerst unerfüllbare Erwartungen hegen und notwendigerweise enttäuscht sein.

Dennoch halte ich es, nach all den Jahren meiner Lehrtätigkeit, inzwischen für unumgänglich nötig, diese Schritte im vorhinein zu erklären, um mit der falschen Vorstellung aufzuräumen es gebe eine persönliche Erfahrung, zu der man irgendwie kommt und die dann in ein persönliches Erlebnis mündet.

Vielleicht habt auch ihr, wenn ihr zu Hause für euch allein zu meditieren pflegt, die eine oder andere dieser Erfahrungen bereits gemacht, ohne zu wissen und zu verstehen, worum es sich handelt. Um mit Erfolg zu meditieren, muss man jedoch wissen, was man tut. Wie könnte sonst etwas daraus werden?

Ob ihr indes schon jahrelang meditiert oder gestern erst angefangen habt, macht im Grunde keinen Unterschied. Denn wir müssen an jeden Augenblick herangehen, als wäre er noch nie geschehen. Nur dann können wir eines Tages die absolute Wahrheit hinter jedem Augenblick entstehen sehen, anstatt uns mit der relativen Wahrheit, in der wir leben, noch länger zufriedenzugeben. Das ist Anfängergeist. Mit diesem Anfängergeist können wir uns in der Meditation selbst erkennen. Wir sind mittlerweile so an uns gewöhnt, an unsere Gedanken, Gefühle, Reaktionen, Prinzipien, Meinungen, Charaktereigenschaften, dass es uns beinahe unmöglich ist, zu erkennen, was wirklich in uns vorgeht.

Es kommt vor allen Dingen auf Achtsamkeit an, im Alltag genauso wie in der Meditation, und das bedeutet, mit alten Gewohnheiten zu brechen, nichts mehr so zu akzeptieren, wie wir es bisher getan haben. Es ist zweifelsohne auch viel interessanter, sich selbst zu betrachten, als sehe man sich zum ersten Mal. Aber es ist auch schwierig, gerade weil es so neu für uns ist.

Auf keinen Fall dürfen wir an die Meditation mit Wünschen und Erwartungen herangehen, denn die bringen nichts weiter als dukkha.

Dukkha ist ein Begriff, ohne den wir in der buddhistischen Lehre nicht auskommen. Dukkha bedeutet alles, was nicht zufriedenstellend ist, uns nicht beglückt, uns unerfüllt lässt, Leid erregt. Man kann dukkha auch mit Existenzangst übersetzen.

Wünsche sind der einzige Grund für dukkha. Das muss man selbst erfahren, sonst glaubt man es entweder nicht oder hat nichts davon, weil man nicht fähig ist, die Wünsche fallen zu lassen. Falsche Erwartungen können so weit gehen, dass man sich einredet, man eigne sich nicht für die Meditation, es müsse doch etwas geben, das einfacher und besser funktioniert.

Wünsche und Erwartungen sind auf etwas aufgebaut, das nicht der Realität entspricht, sondern einer Fantasie oder Hoffnung entspringt. Wir wollen aber die Realität kennen lernen; in des Buddhas Worten: „die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind“. Das ist ganz anders, als wir gewohnt sind, sie zu sehen, und dazu brauchen wir die Meditation.

Der gewöhnliche Geist, der sich mit den gewöhnlichen Geschäften des Alltags abgibt, ist nicht in der Lage, die absolute Wirklichkeit hinter der Relativität zu erkennen. Der Geist muss also ganz neue Fähigkeiten erlernen. Wieweit sie gehen, hängt davon ab, wie geübt wir bereits sind, wie gut unser Karma ist, wie stark unsere Entschlusskraft und wieweit wir überhaupt in der Lage sind, dem zu folgen, was der Wille sagt, aber der untrainierte Geist verneint. Wir müssen ständig neu anfangen. Diejenigen, die bereits meditiert haben, wissen, was das bedeutet.

Der Buddha hat nie gesagt, wir sollten unsere Vernunft beiseite schieben oder unseren Geist nicht mehr gebrauchen. Auch das ist ein Trugschluss, der oft gemacht wird. „Man soll doch nicht denken!“ Das schon, aber der Geist besteht nicht nur aus Denken. Er hat viele andere Fähigkeiten, und alle sind nötig. Er kann sogar erleuchtet werden. Erleuchtung geschieht im Geist.

Er muss also benutzt werden, und zwar in einer Art und Weise, die ihn so präpariert, dass er eines Tages wirklich erleuchtet werden kann. Meditation hat nur diesen einen Zweck: die Erleuchtung. Dass sie nicht gleich kommt, ist selbstverständlich. Dass auf dem Wege dorthin anderes kommt, ist auch selbstverständlich.

Es kommen angenehme Gefühle, leider auch unangenehme, es kommt Freude, und sehr oft kommt noch etwas anderes: eine Beschleunigung der Karma-Resultate.

Wenn ihr euch in die Meditation wirklich hineingebt, kann es euch passieren, dass ihr auf unangenehme Resultate stoßt, und zwar auf viele zugleich. Durch das Meditieren und die Klärung, die damit verbunden ist, kommen die schlechten Karma-Resultate, die jeder unerleuchtete Mensch bis dahin gemacht hat, schneller zur Wirkung. Sie kommen zu uns, damit wir die Hindernisse und Blockaden einmal loswerden.

Unsere ewigen Entschuldigungen hat der Buddha so formuliert: „Der Narr sagt, ‚es ist zu früh‘ oder, ‚es ist zu spät‘. Der Narr sagt, ‚es ist zu heiß‘ oder, ‚es ist zu kalt‘. Der Narr sagt, ‚ich fühle mich zu krank‘. Der Narr sagt, ‚ich bin zu voll‘ oder ‚ich bin zu leer‘.“

Wir haben noch viel mehr Ausreden: „Ich kann nicht so früh aufstehen“, „die Kinder machen zuviel Lärm“, „mein Beruf steht mir im Wege“, „ich habe Schmerzen hier und Schmerzen da“ – all diese Blockaden sind karmische Resultate, die uns davon abhalten wollen, auf einem geraden Weg zur Erleuchtung zu kommen. Dagegen hilft nur eines: mit Entschlusskraft weitermachen! Denn nur die Meditation kann uns von diesen Hindernissen befreien.

Meditieren bedeutet nämlich eine Heilung des Geistes. Diese Heilung müssen wir selbst an uns vollziehen, kein anderer kann es für uns tun. Obwohl uns das einleuchtet, versuchen wir doch, uns auf andere zu verlassen, unseren Meditationslehrer, den Buddha, Bücher oder sonst irgendetwas, das von außen kommen soll, wie eine Arznei, die uns der Arzt verschreibt und die wir nur zu schlucken brauchen, um gesund zu werden. Das geht beim Geist nicht. Wir müssen uns von innen her selbst heilen – und können es auch, jeder hat die Fähigkeit dazu.

Menschen kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen zur Meditation. Viele erhoffen sich ein angenehmeres Leben, was eines Tages auch der Fall sein wird, wenn die Meditation Ruhe und Freude mit sich bringt. Aber der Weg dorthin führt eben auch über Hindernisse, darüber muss man sich klar sein. Sperrt euch nicht dagegen oder gebt gar anderen die Schuld. Die Hindernisse, die ihr bei der Meditation erlebt – jeder erlebt sie –, sind genau das, was ihr heilen könnt. Sie sind nämlich aus dem entstanden, was an Unheilsamem in jedem verborgen liegt.

Wenn ihr nun bei dieser Schau nach innen etwas entdeckt, das euch nicht gefällt, gibt es nur eines: es anschauen, akzeptieren und prüfen, ob und wie ihr es ändern könnt. Es gibt keinen Grund, Selbstkritik zu üben, denn sich selbst kritisieren, heißt auch andere kritisieren. Kritik ist immer unnütze Energieverschwendung.

Wenn man etwas in sich erkennt, das nicht heilsam ist, kann man dafür dankbar sein, dass man es erkannt und eine Möglichkeit gefunden hat, an sich zu arbeiten. Tadelt man sich indessen für seine Negativitäten, wird man nur frustriert und deprimiert, und dann ist keine Energie übrig, sich zu ändern.

Erkennen, nicht tadeln – und wenn irgend möglich ändern, heißt die Formel.

Es gibt zwar eine Unzahl Meditationsmethoden – ich komme im nächsten Kapitel darauf zu sprechen –, aber es gibt doch nur zwei Richtungen der Meditation. Es ist wichtig, das stets im Auge zu behalten. Beide Richtungen laufen parallel, vergleichbar einem zweispurigen Weg.

Die eine ist Ruhe (samatha), die andere Klarblick/Einsicht (vipassanā).

Sāriputta, einer der Hauptjünger des Buddha, hat einmal gesagt: Alle seine Schüler, die Erleuchtung vor ihm bestätigt haben, haben sie auf einem der drei Wege erlangt: Entweder hatten sie erst Einsicht und dann Ruhe oder erst Ruhe und dann Einsicht oder beides gleichzeitig und parallel praktiziert.

Auch wir praktizieren beides parallel, denn es ist leider kaum jemals einem Menschen vergönnt, sofort zur Ruhe oder sofort zum Klarblick zu kommen. Aber ein bisschen Einsicht bringt ein bisschen Ruhe und umgekehrt. Das heißt, wir müssen uns darin üben, den Geist zur Ruhe zu bringen und Klarblick zu schaffen, müssen erst einmal im Geist aufräumen, damit er nicht länger aussieht wie eine Baustelle.

Ruhe erlangen wir dadurch, dass wir mit der Konzentration auf dem Meditationsobjekt bleiben. Ein ganz einfacher Satz. Jeder, der es schon probiert hat, weiß, dass er die Wahrheit, nämlich Schwierigkeit, absolut nicht beschreibt.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass der Geist gewöhnt ist zu denken – seit wir auf der Welt sind und schon viele Leben zuvor. Wir kennen den Geist gar nicht anders als aus Gewohnheit denkend. Solange er denkt, kann er natürlich nicht zur Ruhe kommen. Aber nur ein beruhigter Geist ist in der Lage, objektiv klar zu sehen, ohne emotionell zu reagieren.

Die Ruhe-Meditation ist das Mittel zum Zweck, der Zweck ist Klarblick. Er ist immer auf das gerichtet, was der Buddha die drei Charaktereigenschaften des ganzen Universums genannt hat, nämlich Unbeständigkeit (anicca), Leidhaftigkeit (dukkha) und Substanzlosigkeit, Leere (anattā), die in letzter Essenz immer die Ichlosigkeit bedeutet.

Die Ruhe-Meditation ist dazu ein unerlässliches Mittel, ohne sie geht es einfach nicht, auch wenn man sich das einreden möchte oder gehört oder gelesen hat. Man kann es mit dem Meer vergleichen. Wo die Wellen hochschlagen, kann man nicht auf den Grund schauen. Wenn die Wellen geglättet sind, kann man erkennen, was unter dem Meeresspiegel zu finden ist. Die Wellen, die in uns hochschlagen, sind die Gedanken und Gefühle. Gedanken laufen hin und her, Gefühle verstricken uns in die Leidenschaft des entweder Haben- oder Loswerdenwollens. Mit einem derart wogenden Geist ist es unmöglich, in die Tiefe zu schauen; man kann sich mit knapper Not vor dem Ertrinken retten.

Die Lehre des Buddha geht in die absolute Tiefe, in der es keine Gegensätze mehr gibt. Um das erkennen zu können, muss Ruhe walten. Wenn man nicht zu dieser Ruhe kommen kann, muss man so lange daran arbeiten, bis sie kommt, und arbeiten heißt täglich und mit Nachdruck und nicht, wenn es einem gerade einmal beliebt. Meditation ist nicht eine Art Hobby, das man so nebenbei betreiben kann, damit sie einem den Alltag ein bisschen erleichtert. Es gibt nur einen vernünftigen Grund zu meditieren: in die Tiefe schauen und erkennen können, wozu wir auf der Welt sind.

Dass der Alltag dadurch leichter wird, weil viele der Schwierigkeiten, die man bisher mit sich herumgeschleppt hat, automatisch von einem abfallen, ist ein angenehmer und auch wünschenswerter Nebeneffekt, mehr nicht.

Fragen und Antworten

Wenn man intelligent wiedergeboren werden will, muss man viel fragen.

(Buddha)

Frage (= F): Darf ich fragen, was der Name Ayya Khema bedeutet?

Antwort (= A): Ayya ist eine Höflichkeitsanrede und heißt verehrte Dame; khemā heißt Sicherheit und ist ein Synonym für Nibbāna.

F: Ab welchem Alter empfiehlst du zu meditieren? Hat der Buddha etwas gesagt, ob Kinder meditieren sollen?

A: Der Buddha hat das nicht direkt gesagt, aber er selbst ist im Alter von zwölf Jahren spontan in die erste meditative Vertiefung gegangen, das ist überliefert. Sein Sohn war sieben, als der Buddha als Erleuchteter nach Hause kam; es ist anzunehmen, dass er dann auch angefangen hat zu meditieren. Ich kann mich sogar, das ist aber eine Ausnahme, an eine Dreijährige erinnern, die mit ihren Eltern meditiert hat, im Lotussitz. Fast alle Kinder können mühelos im Lotussitz sitzen. Siebenjährige habe ich in der Weise angeleitet, dass ich ihnen Atembetrachtung und Liebende-Güte-Meditation erklärt habe. Die Letztere haben Kinder übrigens besonders gern. Beim ersten Mal genügen vielleicht fünf Minuten. In Sri Lanka habe ich auch manchmal in Schulen Meditation gelehrt, dort waren es Zwölf- bis Vierzehnjährige.

Wenn die Eltern meditieren, sind die Kinder neugierig und wollen es auch. Wenn ein Kind fragt, soll man sowieso antworten. Von sieben Jahren ab können sie ja auch alles verstehen.

F: Wir meditieren regelmäßig mit einer Gruppe Christen und wechseln uns darin ab, vor der Gruppe eine kurze Einführung zu geben. Was würdest du Christen über Meditation sagen?

A: Dasselbe, was ich euch sage; ich weiß nichts anderes.

Das mystische Erlebnis von Meister Eckhart, so wie ich es verstanden habe, deckt sich vollkommen mit den Erfahrungen des Buddha. Er hat sogar einen zwölffachen Pfad, wogegen der Buddha einen achtfachen Pfad lehrt. Von Teresa von Avila habe ich den Vergleich der meditativen Vertiefungen mit acht Zimmern im selben Haus übernommen – sie spricht von sieben Wohnungen – dies werde ich später noch ausführen. Teresa hat gebetet, nicht meditiert, und trotzdem dasselbe erlebt. Das Haus mit sieben Wohnungen ist der Palast des Königs, Gottes, Christus‘, dessen Schönheiten sie erlebt hat. Das ist ihre Bildhaftigkeit und ihre Terminologie. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, sie in unsere zu übersetzen; es kommt genau das Gleiche heraus.

Meister Eckharts Sprache und Bildhaftigkeit ist für uns nicht einfach zu verstehen; dennoch kann man klar erkennen, dass er dieselben Erlebnisse hatte.

Wenn sich der Geist erhoben hat von der gewöhnlichen Ebene, auf der er einkaufen geht und Auto fährt, auf eine Bewusstseinsebene, wo er das Innere erlebt, sind sie alle gleich, ob christlich oder buddhistisch, dann treffen wir uns alle am gleichen Platz.

Ich mag eigentlich das Vergleichen nicht, weil wir dann sehr oft auf die Dualität von gut und schlecht kommen. Ich versuche immer das zu finden, wo wir einander gleich sind. Auf der menschlichen Ebene geht das meistens schief. Man muss eine Stufe höher gehen, sich aus der gewöhnlichen Bewusstseinsebene herausheben.

In Indonesien hatte ich einmal Gelegenheit, mit einer holländischen Karmeliterin über ihre Praxis zu sprechen. Sie erklärte mir vier Stufen ihres Gebets. Die erste ist Hingabe an Jesus Christus. Auf der zweiten versucht sie sich vollkommen mit ihm zu identifizieren, also ihr Ich aufzugeben. Auf der dritten Stufe stand sie zum Zeitpunkt unseres Gesprächs. Sie versucht, Jesus Christus durch sie schalten und walten zu lassen, ständig seine Präsenz zu behalten. Auf der vierten Stufe ist es dann erreicht, dass das Ich aufgegeben ist und nur noch Jesus Christus existiert, der durch diesen Menschen waltet.

Sie nennt es in ihrer Sprache Gebet, in meiner sind es Meditationsstufen. Ich glaube, das Resultat ist das Gleiche. Es geht um das Aufgeben des Ich, nur dass im Christentum dann ein anderer schaltet und waltet, eine Figur der Vision.

II

Meditationsmethoden

Es gibt unendlich viele Meditationsmethoden, und wenn ihr genügend Zeit habt, könnt ihr sie alle ausprobieren; ein Menschenleben ist aber zu kurz dafür. Eine Methode ist nichts weiter als eine Methode, sie ist nicht die Meditation. Meditieren fängt an, wenn die Methoden aufhören. Aber irgendeine Methode braucht man, um zur Meditation zu kommen. Sie ist sozusagen der Haken, an den wir den Geist hängen können.

Ich beschränke mich auf die Methoden, die mir am günstigsten vorkommen. Das heißt keineswegs, es gebe nicht andere, die auch günstig sind. Man kann aber unmöglich in so kurzer Zeit eine Methode nach der anderen lehren und lernen; es käme nur noch mehr Verwirrung in den Geist.

Man bleibt also bei einigen Methoden und wählt solche, die einander ergänzen, wie zum Beispiel die Atem-Meditation und die Einsichts-Meditation, die Liebende-Güte-Meditation und die Geh-Meditation, die schon allein körperlich notwendig ist für diejenigen, die im Sitzen noch nicht so geübt sind. Hinzu kommt die Kontemplation.

Alle Methoden und Richtlinien sind bloß die Werkzeuge, mit denen wir arbeiten, nicht das vollendete Bauwerk. Jeder hat seinen eigenen Weg zu finden, welche er kombiniert, welches Werkzeug er bevorzugt. Es sollte das sein, mit dem man am schnellsten und einfachsten zur Konzentration kommt. Es hat keinen Sinn, sich lange damit abzugeben, Konzentration zu erlangen. Denn das Werkzeug ist nichts als der Schlüssel. Zunächst gilt es, die Tür mit dem Schlüsselloch zu finden.

1. Atem-Meditation

Am Anfang ist unser Meditationsobjekt der Atem.

Der Atem ist traditionell ein sehr günstiges Meditationsobjekt, weil ihn jeder sowieso bei sich hat, er Leben bedeutet und die einzige autonome und auch manipulierbare Körperfunktion ist. Wir können den Atem zwar nicht abstellen aber zum Beispiel anhalten oder verlängern. Atmen ist also eine Körperfunktion, die Möglichkeiten bietet, den Geist darin zu erkennen.

Wenn wir den Atem als Meditationsobjekt benutzen, haben wir verschiedene Arten der Betrachtung zur Auswahl.

Die erste ist, ihn nur an der Nasenspitze zu empfinden, an den Nasenlöchern oder direkt unter der Nase über der Oberlippe. Der Atem macht Wind, und der Wind verursacht auf der Haut ein Gefühl, das uns hilft, uns auf diese Stelle zu konzentrieren. Es ist ein ganz kleiner Punkt, der kleinste und feinste, sodass die Achtsamkeit einspitzig wird.

Sich auf den Atem konzentrieren heißt den Geist in den Atem fallen zu lassen. Versucht nicht, etwas Besonderes mit dem Atem zu machen, wie schnaufen oder ganz tief atmen.

Es kommt oft vor, dass Anfänger den Atem erst einmal gar nicht finden können. Sie sind es nicht gewöhnt, auf den Atem zu achten. In dem Fall sind ein oder zwei tiefe Atemzüge, zu Beginn der Meditationssitzung, angebracht.

Für den Anfänger kann es ferner hilfreich sein zu zählen: „eins“ beim Ein- und „eins“ beim Ausatmen; „zwei“ beim Ein-, „zwei“ beim Ausatmen; nicht weiter als bis „zehn“, dann wieder bei „eins“ beginnen.

Geht auch jedes Mal zu „eins“ zurück, wenn die Gedanken von der Meditation abgeschweift sind, und überlegt nicht, bei welcher Zahl ihr stehen geblieben seid. Das würde das Denken erst recht in Gang bringen. Da unser Geist nicht trainiert ist, kommt er leicht in eine Bahn, die ihn von außen berührt.

Als dritte Möglichkeit kann man den Atem so weit hinein- und herausverfolgen, wie man ihn erkennen kann, zum Beispiel bis zur Lunge oder bis zur Bauchdecke, wie sie sich hebt und senkt, oder im Hals, wo immer es sein mag, manchmal weit, manchmal weniger weit. Es ist zwar nicht einspitzig, aber hilfreich, weil es interessanter ist: Der Geist muss sich ein bisschen mehr engagieren, und da das seine Gewohnheit ist, bleibt er eher bei der Sache.

Wer gewohnt ist, das Auf und Ab der Bauchdecke zu beobachten, kann ruhig dabei bleiben. Ich lehre diese Methode nicht, weil ich die Bauchdecke als eine zu große Fläche empfinde. Für den Anfang ist sie insofern günstig, als man, wie beim Atem selber, genau die Details erkennen kann. Um die Achtsamkeit zu schärfen und die Unbeständigkeit klar zu erkennen, ist es nötig, Anfang, Mitte und Ende des Atems unterscheiden zu lernen. Im Alltag kümmert man sich ja nicht darum, ob der Atem am Anfang, in der Mitte oder am Ende ist. Auch an der Bauchdecke können wir erkennen, wie sie anfängt sich zu heben, sich in der Mitte vollkommen gehoben hat und dann wieder senkt. Je mehr Details man unterscheiden kann, desto achtsamer ist man.

Achtsamkeit bedeutet, etwas unter die Lupe zu nehmen und nicht alles so, wie es ist, als selbstverständlich anzusehen.

Obwohl wir im Prinzip alle gleich sind, haben wir doch unterschiedliche Tendenzen und auch unterschiedliche Stärken.

Mancher Menschen Geist ist mehr zur Ruhe geneigt, anderer mehr zum Nachdenken; der eine neigt zum Verbalisieren, der andere sieht die Welt in Bildern. Man sollte das, was erscheint, zum Erkennen benutzen, um es dann aber fallen zu lassen.

Für einen Geist, der viel verbalisiert, ist es günstig, mit bestimmten Worten zur Ruhe zu kommen, zum Beispiel einem Mantra. Man suche sich ein Wort aus und benutze es zusammen mit dem Atem, zum Beispiel „Frieden“ einatmen und „Frieden“ ausatmen oder „Frie-“ ein- und „-den“ ausatmen. Oder „Liebe“ einatmen und „Liebe“ ausatmen beziehungsweise „Lie-“ ein- und, „-be“ ausatmen.

Ein eher mathematischer Geist mag das bereits erwähnte Zählen hilfreich finden.

Einem Geist, der in Bildern wahrnimmt, verhilft vielleicht ein Bild zur Konzentration. Er kann zum Beispiel den Atem als eine Wolke wahrnehmen, die sich beim Ein- und Ausatmen vergrößert und verkleinert.

Ein Geist, der gewohnt ist, Geschichten zu erzählen, muss die Geschichte erkennen, fallen lassen und durch den Atem ersetzen.

Die Methoden sind individuell verschieden, nicht aber die Resultate; es gibt nur die beiden Richtungen, Ruhe und Einsicht/Klarblick.

Es ist nötig, einmal in sich selbst zu erkennen: Was ist meine Stärke, was kann ich wirklich? Kann ich den Geist ruhig halten und mich auf das Meditationsobjekt Atem konzentrieren? Oder brauche ich ein Wort oder Bild oder Zählen dazu? Oder muss ich erst einmal erkennen, was in mir vorgeht, und damit dann zur Ruhe kommen?

Alle aufgeführten Möglichkeiten sind gleich gut. Probiert aber nicht in einer einzigen Meditationssitzung alle nacheinander aus. Bleibt bei einer und gebt ihr erst einmal eine Chance. Bewährt sie sich nicht, ändert ihr in der nächsten Meditationssitzung die Methode.

Wenn wir ein Meditationsobjekt wie den Atem benutzen, müssen wir wissen, was wir mit der Atembetrachtung eigentlich bezwecken. Wir betrachten den Atem ja nicht, um den Atem zu betrachten, wie manche meinen. Wir betrachten den Atem, um zu Ruhe und/oder Einsicht zu kommen, aus keinem anderen Grund. Auf dem Atem bleiben bringt Ruhe. Den Atem als unbeständig zu erkennen bringt Einsicht. Wozu sonst sollte man den Atem betrachten? Er geht ja sowieso rein und raus. Indes zu sagen, „den Atem betrachten beim Atembetrachten“ ist sinnvoll, denn es bedeutet, dass man nur eines auf einmal tut.

Das Erste, was man mit der Atembetrachtung bezweckt, ist also zur Ruhe zu kommen, das heißt das Denken aufzugeben und nur zu erkennen, nur zu erleben. Den Atem erleben heißt: Wir können erleben, dass er ein- und ausströmt, ein Wind ist, und dort ein Gefühl verursacht, wo er die Nasenlöcher berührt. Wir können erleben, dass er manchmal länger und manchmal kürzer ist, ihn vielleicht bis zur Lunge, vielleicht bis zum Bauch, vielleicht auch nur bis zur Nase verfolgen. Wenn es uns gelingt, mit unserer Konzentration dabeizubleiben und nicht zu denken, kommt ein Gefühl der Problemlosigkeit, der Ruhe. Denn Probleme muss man denken, sonst hat man keine. Das Beste ist immer, nur den Moment zu erleben, und der ist Atmen. Wird man von der Atembetrachtung abgelenkt, ist das Einzige, was in diesem Moment außerdem existiert, das Sitzen. Der Geist kann also zu dem damit verbundenen Gefühl gehen: Hier sitzt eine Masse, die einen Druck von unten hat.

Störenfried: Ablenkende Gedanken