Cover

titel.jpg
Impressum
Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich (ISBN 978-3-407-75399-1)
www.beltz.de
© 2014 Beltz & Gelberg
in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel
Alle Rechte vorbehalten
Deutsche Originalausgabe
Neue Rechtschreibung
Umschlag und Innengestaltung: Sehen ist Gold (Franziska Walther), Hamburg
Satz: Renate Rist, Lorsch
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-74507-1

Inhalt

Wie willst du leben?
Auf dem Fußballplatz geht es ums Gewinnen
Interview mit Jakob, der für Schalke 04 spielt
Glückskind
Fee über eine unerwartete Liebe: den Poetry-Slam
Ich streite für eine Welt ohne Ausbeutung
Interview mit Elias, dessen Leben sich um die Politik dreht
Ganbatte heißt Mut machen
Maike über das Problem mit den Leidenschaften und ihre neu entdeckte Japan-Begeisterung
Mein Büro ist in meinem Rucksack
Interview mit Conni, die als digitale Nomadin durch die Welt zieht
Alle Bomben finden und krachen lassen!
Stefan hält den Vortrag seines Lebens
Mir geht es darum, die Menschen zu erreichen
Interview mit Davide, der mit seinem Flügel auf den großen Plätzen der Welt spielt
Hoch hinaus
Helmar ist passionierter Highliner
Ich bin ein Survivor
Yahye liebt Hip-Hop
Menschen zum Nachdenken anregen – das ist ein Erfolg!
Sara setzt sich seit mehr als zehn Jahren für Natur- und Umweltschutz ein
Ein Mensch an einem Zeichentisch kann eine ganze Welt erfinden
Interview mit Marijpol, die Comics zeichnet
Solo um die Welt
Laura segelte mit 14 Jahren um die Welt
Ab und zu nahm ich ein Tier auf – inzwischen sind es 120!
Interview mit Jana, die einen privaten Gnadenhof betreibt
Zum Fußball um die Welt
Thomas sammelt keine Briefmarken, sondern Fußballstadien
Wasser ist mein Element
Interview mit Quirin, der auf dem Münchner Eisbach surft
Leben jetzt!
Gerrit ist ein Zeitpionier
Ich lebe meinen Traum
Interview mit Lasse, der begeisterter Triathlet ist
Kostümspiele – unter Cosplayern
Fionna will ihre Lieblingsserien nicht nur konsumieren
Die Gemeinschaft ist mir wichtig
Interview mit Oskar, der klassische Musik liebt
Das Schreiben ist ein Traum
Helena und Sarah verbringen viel Zeit mit dem Geschichtenerfinden
Besonders cool ist es, wenn Freunde die eigene App nutzen
Interview mit Lukas, der mit großem Spaß Apps entwickelt
Theater hautnah
Paul, Laura, Florian, Tabea und Johanna leben ein Jahr lang fürs Theater
Ich darf das machen, was ich liebe
Interview mit Carlotta, die eine Ballettschule besucht
Die Kunst, deinen eigenen Weg zu gehen
Ben erfindet seinen eigenen Beruf
Aufhören
Leanne beschließt, mit dem Schwimmsport aufzuhören

Wie willst du leben?

Jeder Mensch hat etwas, das ihm besonders am Herzen liegt. Für manche ist es Musik, für andere Theaterspielen oder Geschichtenschreiben, wieder andere setzen sich für die Umwelt oder eine gerechtere Gesellschaft ein. Hast du auch schon mal gedacht: »Das ist genau mein Ding und ich will am liebsten nichts anderes mehr tun«? Gibt es die eine, besondere Sache in deinem Leben, um die sich alles dreht und in der du richtig, richtig gut werden willst?
Hier erzählen fast 30 Jugendliche und Erwachsene davon, wofür sie sich über alle Maßen begeistern. Herausgekommen sind dabei komplett unterschiedliche Geschichten von ganz unterschiedlichen Leidenschaften. In Bens Leben zum Beispiel lief zunächst alles nach Plan: super Abitur, Studium an einer renommierten Privatuni – bis er bemerkt, dass er den Traum eines anderen lebt. Er zieht die Notbremse, bricht das Studium ab und erfindet einen Beruf, der zu ihm passt. Maike wiederum dachte lange, sich für nichts so richtig begeistern zu können – bis sie die japanische Sprache für sich entdeckt. Laura weiß dagegen schon mit 14 Jahren ganz genau, was sie will: als Jüngste um die Welt segeln. Carlotta zieht als Jugendliche von Italien nach Deutschland, um eine berühmte Ballettschule zu besuchen, Conni gibt ihren Wohnsitz auf und reist als Bloggerin um die Welt. Helmar liebt das Highlinen, und Marijpol kann sich nichts Schöneres vorstellen, als Comics zu zeichnen.
Dass aber auch große Leidenschaften manchmal ein Hobby bleiben oder mal mehr und mal weniger Zeit in Anspruch nehmen, davon erzählen Sara, die sich für den Umweltschutz stark macht, Helena und ihre Freundin, die noch die Schule besuchen und nebenher schreiben, und Thomas, der in seiner Freizeit Fußballstadien »sammelt«. Für einige ist die Frage nach der Leidenschaft auch eine Frage der Lebenshaltung. Gerrit ist zum Beispiel Zeitpionier, er hat es sich zum Ziel gesetzt, sinnvoll mit Zeit umzugehen. Oder Elias, für den die Auseinandersetzung mit Politik und Gesellschaft elementares Thema des Alltags ist.
Die einen wissen schon früh, was sie wollen. Andere gehen viele Umwege, bis sie herausfinden, was sie glücklich macht. Es bleibt die Frage: Muss man alles geben, damit Träume Wirklichkeit werden? Und was passiert, wenn es einfach nicht klappt? Manchmal kommt trotz aller Begeisterung die Zeit, sich von großen Träumen zu verabschieden. Leanne hat das erlebt. In ihrer Jugend war sie eine talentierte Schwimmerin – und entschied irgendwann, mit dem Leistungssport aufzuhören. Manchmal stehen auch Hindernisse im Weg, wie bei Yahye, der gern von der und für die Musik leben würde, aber darum kämpfen muss, nicht abgeschoben zu werden.
Die Geschichten und Interviews in diesem Buch zeigen vor allem eines: Es gibt so viele Träume und so viele Möglichkeiten, diese zu leben, wie es Menschen gibt. Den eigenen Weg finden, das muss jeder für sich selber tun. Selbst wenn es nicht immer einfach ist, herauszufinden, was du wirklich willst, kann es ziemlich spannend sein. Also los, worauf wartest du?
Meike Blatzheim & Beatrice Wallis

Auf dem Fußballplatz geht es ums Gewinnen

Interview mit Jakob, der für Schalke 04 spielt
Wie bist du zum Fußball gekommen?
Der entscheidende Auslöser waren ein Paar Stollenfußballschuhe, die ich von meinem Cousin bekommen habe. Damals war ich vier Jahre alt. Ich habe sowieso schon immer mit einem Ball herumgeschossen und mich nie richtig für Matchboxautos oder so interessiert. Jetzt hatte ich also richtige Fußballschuhe. Ich wollte sie gar nicht mehr ausziehen. Ich fand das Geräusch, das die Stollen machten, so toll.
Jeden Tag bettelte ich, doch in einem Fußballverein spielen zu dürfen. Schließlich hatte ich Erfolg und meine Eltern gingen mit mir zum ersten Training zu Eintracht Erle. Ich war viereinhalb Jahre alt, als meine Eltern mich dort anmeldeten. Von da an trainierte ich zweimal in der Woche auf Rasen und auf Asche!
Wie ging es dann weiter?
Als ich neun Jahre alt war, wechselte ich zur SG Wattenscheid 09. Und dann kam ich zur U13 bei Schalke 04! Zu dem Zeitpunkt war ich etwas mehr als zwölf Jahre alt. Ich spielte damals auch für die Schulmannschaft. Der Trainer dieser Schulmannschaft fand mich von Anfang an sehr talentiert und organisierte ein Probetraining bei Schalke 04 für mich. Ich war natürlich sehr nervös, habe mir aber meine Stärken vor Augen gehalten. Das Training hat mir sofort gefallen. Neu war für mich, dass man die Trainingsbälle gestellt bekam. Bei Wattenscheid hatte jeder seinen eigenen Ball, den er jedes Mal aufgepumpt zum Training mitbringen musste. Bereits nach dem ersten Probetraining kam mein damaliger Trainer zu mir und sagte, dass ich einen sehr guten Eindruck hinterlassen hätte und beim nächsten Training wieder Vollgas geben solle. Dann würde es für mich gut aussehen. Das machte mich natürlich sehr stolz. Beim nächsten Training habe ich wieder alles gegeben und war sehr zufrieden mit mir. Beim Abschlussspiel habe ich sogar gegen unsere Nummer eins im Tor ein Lupfertor gemacht. Das kam besonders gut an. Nach dieser Trainingseinheit hatten meine Mutter und ich ein Gespräch mit den Trainern. Ich war natürlich sehr nervös, hatte aber ein gutes Gefühl. Als mir der Trainer dann sagte, dass er sich freuen würde, wenn ich in der kommenden Saison in der U13 für Schalke 04 spielen würde, konnte ich es kaum fassen.
Ich hatte mein großes Ziel erreicht.
Ich kann mich noch gut an dieses Glücksgefühl erinnern. Meine Eltern waren natürlich auch sehr stolz. Zu Hause angekommen, habe ich erst mal meine Oma und einige Freunde angerufen.
Was begeistert dich so sehr am Fußball?
Fußballspielen bedeutet für mich eine Art von Freiheit. Wenn ich auf dem Fußballplatz stehe, vergesse ich alles um mich herum. In diesem Moment ist es egal, ob es in der Schule gut oder schlecht lief oder ob ich Streit mit einem Freund hatte. Auf dem Fußballplatz geht es nur ums Gewinnen, ums Toreschießen und ums Spaßhaben, wenn man neue Tricks ausprobiert. Ich zeige jedes Mal meine beste Leistung, sodass ich am Ende einer Trainingseinheit oder eines Spiels mit mir zufrieden sein kann.
Wie sieht dein Tagesablauf aus? Wie organisierst du Schule und Training?
Ich stehe um 6.30 Uhr auf. Ich besuche eine Sportklasse der Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen, wo ich auch wohne. Meine Schule liegt direkt neben dem Schalke-Gelände, sodass ich von hier aus zu Fuß zum Training gehen kann. Jeden Dienstag, Donnerstag und Freitag habe ich morgens zwei Schulstunden Training auf dem Schalke-Gelände bei meinen Trainern der U15. Dieses Training haben alle Jungs, die in der Sportklasse sind und bei Schalke spielen. Den Unterricht, den ich während dieser Zeit versäume, hole ich dienstagnachmittags nach, wenn die anderen aus meiner Klasse einen kurzen Schultag haben. Meistens habe ich bis 15.50 Uhr Schule. Dann geht es nach Hause. Ich esse Mittag, mache Hausaufgaben und packe meine Fußballtasche fürs Training.
Um 17.05 Uhr fährt mich meine Mutter dann schon wieder zum Schalke-Gelände. Da wir in Gelsenkirchen wohnen, holt mich niemand vom Verein ab, sondern wir müssen die Fahrten selbst organisieren. Um 17.30 Uhr müssen wir in der Kabine sein und um 17.45 Uhr auf dem Fußballplatz. Dann fängt das Training an. Bis 19.45 Uhr wird trainiert. Mein Vater holt mich dann vom Training ab, sodass ich um 20.30 Uhr wieder zu Hause bin. Jetzt esse ich Abendbrot und packe meinen Schulrucksack für den nächsten Tag. Ich habe also viermal die Woche nachmittags Training und dreimal morgens im Rahmen einer Kooperation meiner Schule und Schalke 04.
Wie reagieren deine Umgebung, deine Freunde, deine Familie darauf, dass du bei Schalke spielst?
Da ich ja hier in Gelsenkirchen geboren bin, schlägt mein Herz seit meiner Geburt für Schalke. Mein Traum war es schon immer, für diesen Verein zu spielen. Ich bin stolz darauf, die Trainings-klamotten vom S04 tragen zu dürfen.
Wenn ich aus unserem Haus komme, um zum Training oder zu einem Spiel zu fahren, und meine Schalke–Sachen anhabe, schauen die Nachbarn mit Bewunderung.
Fast alle Menschen, die hier wohnen, sind Schalke-Fans oder irgendwie mit Schalke verbunden. Sie beneiden die Jungs, die bei Schalke spielen. Auch meine Freunde und Familienangehörigen finden es toll. Mein bester Freund Migel spielt auch bei Schalke 04, aber eine Mannschaft unter mir, da er sechs Wochen jünger ist als ich. Wir gehen aber in dieselbe Klasse, sodass wir uns da sehr viel über Fußball austauschen. Dadurch, dass die meisten Jungs aus meiner Mannschaft weiter weg wohnen und ich als Einziger aus Gelsenkirchen komme, bleibt kaum die Gelegenheit, sich mit ihnen zu treffen. Die wenige Freizeit lässt es kaum zu. Richtige intensive Freundschaften können da leider nicht entstehen, aber wir verstehen uns gut.
Wie kommst du mit dem Verzicht auf Freizeit zurecht?
Wenn man viermal in der Woche trainiert und dann noch auf eine Ganztagsschule geht, bleibt tatsächlich nicht viel Freizeit übrig. Denn dazu kommen ja noch die Fußballspiele am Wochenende. Klar verzichte ich häufig auf Kinobesuche oder andere Verabredungen mit Freunden, aber ich habe nicht das Gefühl, dadurch weniger Freunde zu haben. Viele meiner Freunde spielen auch Fußball und haben dasselbe Problem. Im letzten Jahr musste ich außerdem jeden Dienstag nach der Schule direkt zum Konfirmationsunterricht und von dort aus gleich weiter zum Training. An diesem Tag war ich dann immer 13 Stunden außer Haus.
Worauf bist du besonders stolz?
Darauf, dass ich es trotz meines sportlich gesehen ungünstigen Geburtsdatums zu Schalke 04 geschafft habe. Ich bin nämlich am 30.12.1999 geboren. Wäre ich nur zwei Tage später geboren, dürfte ich in einem Team darunter spielen. Dann wäre ich jetzt erst in der U14. Viele meiner Mannschaftskollegen sind schon im Januar geboren und damit fast ein ganzes Jahr älter als ich. Trotzdem habe ich mich damals beim Probetraining gegenüber den Älteren durchsetzen können. Und obwohl ich jünger bin als die anderen, bin ich der Viertgrößte in unserem Team.
Wir nehmen mit Schalke 04 an vielen Turnieren teil, sowohl national wie auch international. Im März 2013 flog mein Team zum Beispiel nach Katar in die Aspire Academy. Wir wohnten im bekannte »The Torch«-Hotel, wo auch schon viele Profimannschaften übernachtet haben. Hier nahmen wir an einem Turnier gegen einheimische und andere Mannschaften teil. Und im Dezember flogen wir nach Guadeloupe in die Karibik. Auch hier spielten wir ein Turnier. Solche tollen Ereignisse motivieren mich immer wieder neu.
Was möchtest du später beruflich machen?
Mein größter Traum ist es natürlich, Profispieler zu werden. Davon träumt wohl jeder Junge, der seit seiner frühesten Kindheit Fußball spielt. Aber der Weg dorthin ist schwierig. Ob es klappt, hängt von vielen Faktoren ab. Zunächst einmal muss man gesund bleiben, sodass man keinen Trainingsausfall hat oder die »Karriere« kein jähes Ende nimmt. Zum anderen habe ich auch schon festgestellt, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein muss.
Toll ist es natürlich, als Profi viel zu reisen und mit vielen Menschen in Kontakt zu kommen. Es wäre ein Traum, mein Hobby zum Beruf machen zu können.
Wie kannst du dich bei Rückschlägen immer wieder neu motivieren?
Ich bin ein riesengroßer Schalke-Fan. Mein Traum war es immer, einmal für diese Mannschaft zu spielen. Gerade in dieser Saison war es für mich nicht immer einfach. Wir haben ein stark besetztes Mittelfeld und der Konkurrenzkampf ist hart. Wenn ich nicht zum Einsatz komme, bin ich natürlich enttäuscht und hätte lieber gespielt. Ich versuche aber auch dann, die Mannschaft vom Spielfeldrand aus zu unterstützen. Ich applaudiere bei guten Spielzügen und fiebere natürlich mit. Ein Sieg der Mannschaft steht an erster Stelle, auch wenn ich nicht spiele!
s_016.jpg
Jakob Helfer, 14, lebt in Gelsenkirchen und besucht die 9. Klasse der Gesamtschule. Er trainiert in der U15-Mannschaft des FC Schalke 04.

Glückskind

Fee über eine unerwartete Liebe: den Poetry-Slam
»Ich muss ein Glückskind sein!
Unter der Sonne geboren, dazu noch reich beschenkt von einer guten Macht.«
Das hätte ich wohl gedacht,
wenn ich in diesem Augenblick zu denken fähig gewesen wäre.
Doch als alles gleichzeitig geschah,
konnte ich nicht fassen, was das hieß,
geschweige denn einen klaren Gedanken fassen.
Es war ein Theatersommer.
Wir waren in der Oberstufe und schwebten über den Dingen.
Jeder Tag barg sonnige Stunden am Isarufer,
intensive Gespräche und das Potenzial, sich unendlich zu verlieben.
Die Stadt gehörte uns und das wussten wir.
Wir schlenderten Eis essend durch die Straßen,
gingen abends in Stücke und nachts aus.
Wir waren die Szene, wenigstens dachten wir das.
Die Kulturempfänge, Theaterfestivals und Szenecafés der Stadt
waren unser Revier.
Dazwischen bemalten wir Lein- und Häuserwände,
sangen und improvisierten auf Laienbühnen.
Es passte in mein Leben wie sonst nichts, als eines am Schwimmbecken dösenden Sonntagmorgens Nathalies SMS kam.
Ob ich schon mal was von einem Poetry-Slam gehört hätte, einem modernen Dichterwettstreit, bei dem das Publikum entscheidet, und ob ich mitkommen wolle.
Ich wollte.
Alles gefiel mir.
Wir saßen auf dem Boden des Clubs.
Von den Decken hingen Telefonhörer und Plastikfische, die Wände waren bemalt und wir schlürften Afri-Cola, während draußen die Leute anstanden, um reinzukommen.
Und dann begann der Slam.
Wörter türmten sich übereinander und zerfetzten den Raum,
aus dem Mikrofon sprudelten Wortwitz und Sprachkunst,
in meinem Kopf überschlugen sich die Bilder,
Reime prasselten auf mich ein wie Schüsse,
ich weinte und lachte Tränen, war geschockt, berührt und amüsiert.
Das Feuer war entzündet.
Es folgten Nächte auf Youtube, in denen ich mich von Slamvideo zu Slamvideo klickte,
kichernd schrieb und probte ich Textentwürfe mit meinen Freunden,
zwischen Matheklausuren und Premieren dichteten wir zusammen und stellten uns vor,
irgendwann in diesem Club, auf dieser Bühne, vielleicht selbst zu stehen.
Ohne diese Vorstellung zu konkretisieren, schrieb ich meinen Namen auf die Liste,
die beim U20-Slam herumgereicht wurde und Workshops anbot.
Es kam der 11. Dezember 2012.
Die Schule war vorbei und vor lauter Studiumsanfang, Alleinwohnen und Erwachsenwerden blieb vom Theatersommer momentan nur noch ein süßlicher Nachgeschmack.
Ich war zweimal bei den Workshops gewesen, hatte Schreib- und Performanceübungen gemacht,
und nun stand ich selbst auf der Bühne und sprach mein Gedicht in die lauschende Stille.
Ich schaffte es auswendig ohne Textblatt und stand souverän hinter dem Mikro.
Als ich die Bühne verließ, fühlte ich mich großartig. Ich wurde viertletzte.
Der zweite Auftritt kam und mit ihm mein erster Sieg.
Danach passierten die Dinge in scheinbar rasendem Tempo:
Ich besuchte weiter die Workshops, schrieb neue Texte über das, was mich beschäftigte, und trug sie auf Münchens Bühnen vor, bald auch zum ersten Mal in jenem Club.
Ich bekam Komplimente, von Zeit zu Zeit Siegersekt und Glückwünsche und irgendwann einen Anruf.
Der Poetry-Slam, den ich am häufigsten gewann, schickte mich zu den Bayerischen Meisterschaften.
Die Tage dort waren ein einziges Rauschen von guten Momenten.
Es wurde geredet, gelacht und gefeiert,
vor mir standen die Helden aus den Youtubevideos und andere junge Poeten,
die meine Leidenschaft teilten,
und wir alle umarmten uns und tanzten zusammen und jubelten uns gegenseitig auf der Bühne zu.
Gleichzeitig konnte ich die Nervosität um mich herum und in mir spüren und das war neu.
Auf keinem Slam hatte Gewinnen etwas bedeutet.
Dem Publikum, vielleicht.
Die klatschten und johlten ja auch für ihren Favoriten,
aber den Poeten war es gleich.
Jetzt aber mussten manche zweimal schlucken, um ihre Enttäuschung hinunterzuwürgen, während sich andere freudig in die Arme fielen.
Ich war eine von ihnen, denn ich stand im Finale.
Danach hatte ich Kontakte geknüpft und mein Auftrittsradius erweiterte sich.
Man lud mich ein, ich ging auf Tour, Poetry-Slam wurde ein immer größer werdender Teil meines Lebens.
Im nächsten Sommer war schließlich der Moment, in dem alles gleichzeitig geschah
und ich nicht zu denken fähig war.
Ich war auf den deutschsprachigen Meisterschaften der Unter- zwanzig-Jährigen in Kiel.
Ich hatte mich qualifiziert und verbrachte die Woche mit siebzig anderen Jungpoeten.
Weil ich genug damit zu tun hatte, alle kennenzulernen,
die Stadt zu erkunden und zu frohlocken,
blieb kaum Zeit, zu realisieren, dass ich mich durch Vorrunde und Halbfinale gesprochen hatte
und jetzt im Finale stand.
Und die Zeit, die verblieb, nutzte ich, um mich ganz auf meinen Auftritt zu konzentrieren.
Die Moderatoren nannten meinen Namen.
Zur Musik ging ich zum Mikrofon.
Mein Startplatz war gut, das Bühnenlicht passte zu meinem Oberteil, der Saal war gefüllt.
Ich sprach die ersten Verse.
Und schon nach wenigen Worten merkte ich, dass ich sie hatte.
Ich hatte das Publikum an meinen Lippen.
Es herrschte vollkommene Stille und ich wusste, ich würde sie führen und in meine Gefühlswelt mitnehmen und sie würden mir folgen.
Diese Gewissheit gab mir zusätzlich Auftrieb.
Der Applaus war atemberaubend.
Und dann kam die Jurywertung, sie war ziemlich hoch.
Als der nächste Poet weniger Punkte bekam, war klar, dass ich im Stechen sein würde.
In der Pause kamen Slammer und Slammaster und umarmten mich, Freunde, die das Finale zu Hause im Fernsehen sahen, schickten SMS mit Anfeuerungen und ich konnte es einfach nicht fassen. Es war mir egal, was im Stechen geschehen würde, Hinnerk sagte dasselbe, und nach unserem zweiten Auftritt standen wir Hand in Hand hinter der Bühne und warteten auf die Wertung für meinen Text.
Und dann geschah alles gleichzeitig.
Die Wertung erschien auf der Leinwand, der Jubel brach los, Hinnerk zog mich auf die Bühne und drückte mich, mir wurde der Siegergürtel umgelegt, die anderen Finalisten stürmten auf die Bühne, die Zuschauer standen auf, Blitzlichtgewitter zogen über mich her, Hände schüttelten meine, und minutenlang hielt der Applaus an. Danach hüpften sämtliche siebzig anderen Slammer auf mich zu, zusätzlich Veranstalter und gefühlt der ganze Saal und umarmten mich, irgendein Radiosender wollte ein Interview und ich konnte immer noch nicht denken.
Wäre ich zu denken fähig gewesen, ich hätte gewiss gedacht:
»Ich muss ein Glückskind sein!
Unter der Sonne geboren, dazu noch reich beschenkt von einer guten Macht.«
Jetzt sitze ich in einem Zug, das tue ich seit dem Sieg häufig.
Züge bringen mich im wahrsten Sinne des Wortes auf Touren
und oft genug auch ans Limit.
Ich verbringe Tage in Städten, von deren Existenz ich zuvor nicht wusste,
und vermisse meinen Freund, Freunde und Familie dabei schrecklich.
Für eine Woche auf Bühnen an fremden Orten lasse ich die Uni ausfallen
und muss dann vor den Prüfungen besonders hart lernen.
Im Anschluss an Auftritte erlebe ich die besten Partys
und komme dann mit schwarzen Augenringen und Schlafmangel zurück.
Ich reise oft mit einer Gruppe wortgewandter Quatschköpfe herum und sehne mich dann nach einem ruhigen Gespräch mit Stottern und Wortlosigkeit.
Ich darf noch ausprobieren und einen festen Stil suchen
und glaube dann, meine guten Texte waren nur Zufallstreffer.
Bei großen Veranstaltungen oder Galen werde ich bezahlt
und habe manchmal Angst, das Geld nicht wert zu sein oder zu enttäuschen.
Die Leute sehen sich Videos von meinen Auftritten an
und manchmal kränkt mich dann ihre Kritik.
Wir durchleben jedes Mal den Wettbewerb mit Bewertung und Siegern
und manchmal vergesse ich dann, dass es nicht um den Wettbewerb geht.
Ich hatte so viel Glück, alles ging schnell,
und dann fürchte ich mich davor, abzuheben, oder davor, dass alles genauso schnell vorbei sein könnte.
Zwischendurch kommt all das zusammen und dann denke ich, ich muss aufhören.
Was dann hilft, sind Gespräche,
die mich ermutigen.
Was hilft, sind gute Freunde und tolle Menschen,
die ich durch das Slammen kennengelernt habe und die jede Reise wert sind.
Was hilft, ist jemand,
der sich zu Hause auf mich freut.
Was hilft, sind Zuschauer,
die ehrlich berührt und inspiriert durch mich sind.
Was hilft, sind Träume und Ziele,
die so weit weg sind, dass es keinen Grund zum Abheben gibt.
Was hilft, ist das Gefühl,
wenn ein neuer Text ausdrücken kann, was ich zu sagen habe.
Was hilft, sind Menschen und Beschäftigungen,
die nichts mit Poetry-Slam zu tun haben.
Was hilft, ist Poetry-Slam selbst,
denn das Feuer brennt seit meinem ersten Slam in jenem Münchner Club.
Und noch immer gibt es die Momente,
in denen ich atemlos anderen Poeten lausche,
in denen ich Tränen lache und weine,
in denen mir schwindlig wird vom Sturm der Worte.
Aus meinem Theatersommer ist das herrliche Leben geworden.
Wahrscheinlich geht es nicht ewig so weiter.
Wahrscheinlich.
Vielleicht wird es aber auch mein Beruf und ich schreibe Bücher
und reise für immer durch Deutschland.
Vielleicht verbringe ich irgendwann jeden Abend auf Bühnen.
Vielleicht bin eines Tages ich die,
die das Feuer in jemandem entzünden darf.
Ganz sicher aber hat der Poetry-Slam mich in meinem Leben weitergebracht,
ich habe viel gelernt und lerne noch immer,
über mich, über die Macht der Sprache, über Kunst und über Menschen.
In diesem Moment kann ich wieder klar denken.
Und ich denke:
»Ich muss ein Glückskind sein.«
s_025.jpg
Die Münchner Poetin Fee, 20, hatte ihren ersten Auftritt bei einem Poetry-Slam im Dezember 2012. Seither tritt sie regelmäßig im gesamten deutschsprachigen Raum auf und wurde zuletzt deutschsprachige U20-Meisterin. Sie studiert in München Germanistik und evangelische Theologie auf Lehramt.

Ich streite für eine Welt ohne Ausbeutung

Interview mit Elias, dessen Leben sich um die Politik dreht
Es gibt etwas, das dich besonders bewegt, das dir sehr wichtig ist. Was ist das? Was genau machst du?
Ich bin ein junger Mensch, der es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, mit anzusehen, wie ständig das Gemeinwohl übergangen wird zugunsten der Profitmaximierung einer Minderheit. Die größer werdenden sozialen und ökologischen Probleme hierzulande und das Ausmaß der globalen Ungerechtigkeit lassen mir keine andere Wahl, als widerständig zu sein.
Ich streite für eine Welt ohne Ausbeutung von Mensch und Natur, also gegen das kapitalistische System, das zusätzlich durch stärker werdendes Konkurrenzdenken, Nationalismus und Rassismus die Menschen spaltet und gegeneinander in Stellung bringt, obwohl sie mehrheitlich gleiche Interessen haben. Bei meiner Kritik an den bestehenden Verhältnissen habe ich insbesondere die Ursachen und Zusammenhänge im Blick und die Frage, wer von was profitiert.
Für mich hat jeder Mensch das Recht auf ein Leben in Würde und gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft, egal, woher er kommt, welche Hautfarbe er hat, wen er liebt, ob er körperlich eingeschränkt ist oder welcher sozialen Herkunft er ist. Damit das gelingen kann, müssen Menschen politischen Druck erzeugen und für ihre Interessen kämpfen. Ich bin deshalb in verschiedenen politischen Bewegungen und Organisationen konstruktiv und kritisch-solidarisch aktiv. Mein Engagement ist vielfältig und erstreckt sich von Demonstrationen und anderen Protestformen über politische Aufklärung mit und unter Jugendlichen sowie das Verfassen politischer Texte bis zur Mitarbeit in lokalen Bündnissen und der Linksjugend solid sowie der Partei »Die Linke«. Ich glaube allerdings nicht, dass eine Partei allein die nötige Veränderung bringen kann, das geht nur mit einer starken außerparlamentarischen Bewegung. Gewaltverzicht ist für mich selbstverständlich, das sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.