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Für Henriette und Maximilian

Hans-Uwe L. Köhler

Die

PERFEKTE REDE

So überzeugen Sie
jedes Publikum

 

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

Copyright © 2011 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Lektorat: Christiane Martin, Köln

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Umschlagfoto: Hans-Uwe L. Köhler

©2014 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2011 erschienenen Buchtitel „Die perfekte Rede“ von Hans-Uwe L. Köhler, ©2011 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.

ISBN Buchausgabe: ISBN 978-3-86936-228-1

ISBN epub: 978-3-86200-932-9

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

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Inhalt

Frei ist nur der Clown – er allein ist bereit, bedingungslos zu scheitern

Wie Sie ein großer Redner werden

Die höchste Kunst liegt im schwierigsten Akt

Von der Lust am Scheitern

Was wirklich wichtig ist

Das größte Ziel

Einflussnahme ist der Sinn jeder Rhetorik

Das habe ich schon 1000 Mal gesagt

Lob- oder Festrede

Die Gerichtsrede

Die Beratungsrede

Die Berichterstattung – eine Herausforderung für Persönlichkeiten

Das einzig funktionierende Perpetuum mobile der Welt: Begeisterung

Die Götter erlaubten sich einen Scherz

Ich bin von dem, was ich mache, überzeugt

Ich überzeuge andere von dem, was mich überzeugt

Begeisterung wird mitgeteilt

Begeisterung ist Leidenschaft

Begeisterung gibt die Kraft zum Handeln

Es ist nicht entscheidend, ob Sie die Wahrheit sagen, es ist entscheidend, ob man Ihnen glaubt

Machen Sie sich niemals mit Ihren Zuhörern gemein!

Schau mir in die Augen, Kleines!

Bringen Sie sich um den Verstand!

Ihre Zuhörer wollen keine Lösung der Probleme, sie wollen nur den Weg gezeigt bekommen

Menschen suchen nach Antworten

Die Suche nach Anerkennung

Die Beruhigung von Zukunftsängsten

Die Befriedigung der ständigen Neugier

Die Suche nach Anlehnung und Kontakt

Der Erwerb von Besitz

Der Wunsch nach Bequemlichkeit

Die Sehnsucht nach Liebe

Die perfekte Rede ist eine Mischung aus Sex und Macht

Der beste Erzählstil der Welt

Wie Sie Ihre Zuhörer bewegen

Menschen wollen fasziniert und gefesselt werden

Lampenfieber und das Spiel der Macht

Tritt keck auf! Mach’s Maul auf! Hör bald auf!

Beginnen Sie mit einem Regelbruch!

Sofort zur Sache!

Sagen Sie nie, was Sie wissen oder noch hätten sagen können

Schluss ist Schluss

Selbst der Schluss ist noch ein Aufreger

Tödlich: Hat noch jemand eine Frage?

Zerstören Sie nicht Ihr Werk!

Einige Ideen für einen guten Schluss

Redezeit – wie lang?

Und wenn der Applaus verklungen ist?

Redner haben immer einen Führungsanspruch

Dramaturgie, Struktur und Rhythmus der Rede

In der Vergangenheit warten drei Erinnerungen

Die Spuren der Vergangenheit sind nicht verloren

Der neue Standpunkt

In der Gegenwart liegt kein Potenzial

Die Zukunft gehört Ihren Zuhörern

Es gibt kein großes Genie ohne einen Schuss Verrücktheit

Regeln einer perfekten Rede in der Antike

Standardversion der heutigen Rhetoriklehrer

Als Spitzenredner müssen Sie mit vier Ängsten umgehen können

Sagen Sie eindeutig »Ja« zu sich!

Über Emotionen

Nur ein gelebter Gedanke bindet

Jede Minute Ihres Vortrags braucht einen Arbeitstag

So viel Vorbereitung muss sein

Die Zeiten der Freimaurer

Wie ist das 100. Mal?

Auch das Gegenteil ist richtig und kann die Wahrheit sein

Räumen Sie auf – Phrasen und andere Hohlheiten

Schriftliches in der freien Rede

So kommen Sie zu frischen Rede-Ideen

Die professionelle Vorbereitung

Spielen Sie auf der Klaviatur der Möglichkeiten

Die Sekundenpause

Sei doch wenigstens einmal spontan!

Was guckst du?

Manipulationen

Die sokratische Ja-Straße

Besuch auf dem Friedhof der Phrasen

Einstiegsfragen

Die Einschätzungsfrage

Das Quiz

Das Geschenk

Wie wichtig ist die gespielte Darstellung bei einer Rede?

Aktualität und Internet

Die Pause ist der wahre Verstärker

Humor und andere Ungerechtigkeiten

Ich möchte diese Rede nicht halten!

Handwerkszeug: Ton, Stimme, Sprache, Denke, Gestik

Architekten sind keine Redner

Man spricht stehend vor einer Gruppe

Zerlasern Sie Ihren Vortrag nicht!

Mikrofon: won, tu, srie

Wohin mit den Händen?

Klingen soll Ihre Stimme!

Positionswechsel

Bringen Sie sich mal richtig in Stimmung!

Denken und Reden

Drei Sätze und ein »Auch«

Das sprachliche Kleid

Horror pur – Sie bleiben stecken!

Werden Sie ein Märchenerzähler!

Strategisches Geschichtenerzählen

Sprechen Sie die linke und die rechte Gehirnhälfte an!

Ihre Geschichten müssen unterschiedliche Hörtypen erreichen

Sie brauchen originelle Geschichten!

Sorgen Sie in Ihren Geschichten für Glaubwürdigkeit!

Werden Sie eins mit Ihren Zuhörern!

Nur Geschichten machen Sie zum Experten

Wie Sie Bilder in den Köpfen Ihrer Zuhörer malen

Das Christopher Columbus Concept

Zwillingsgeschwister: Form und Inhalt

Natürlich brauchen Sie PowerPoint!

Der Redeentwurf ist wie eine Reiseplanung

Wahre Redekunst bedarf des Streits

Warum sollte man Ihnen zuhören?

Und Äktschn!

Sie wollen sich aufwerten und wichtig machen?

Wann sind Sie als Politiker ein guter Redner?

In Deutschland gibt es keine Rednerkultur

Stoibers Neujahrsansprache

Die berühmte Weihnachtsrede: Bitte nicht reden!

Im Ausland: Bitte reden!

Mit Übersetzern arbeiten

Die wichtigste Rede in Ihrem Leben

In Feindes Land

Eine perfekte Rede braucht ein unverwechselbares Design

Das Konzept für Ihre perfekte Rede

Format: Worum geht es eigentlich?

Ziel: Wohin soll es gehen?

Publikum: Wer hört hin?

Konfrontation: Wie kann man das Publikum packen?

Gute Absichten: das Versprechen

Botschaft: alles in einen einzigen Satz

Storytelling: Der Frosch ist die Prinzessin

Fakten, Geschichten oder beides?

Gute Gründe: die Einladung

Titelei: Klingen soll die Botschaft!

Und Schluss: Man darf uns niemals vergessen!

Monopoly – jetzt mit echtem Geld

Metaplan: Google Street View auch für die Rede

Sprich, damit man dich hört!

Polieren: Lass dein Baby los!

Der Höhepunkt: Ihre Rede sei wie ein Diamant!

Dankeschön

Literaturverzeichnis

Über den Autor

 

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Hans-Uwe L. Köhler war wohl zwölf Jahre alt, als in der Schule das Gedicht »Der Erlkönig« behandelt wurde. Üblicherweise wurden Gedichte damals stumpf auswendig gelernt. Es ging nicht um die Faszination einer Geschichte – es ging um Konditionierung. Und so wurden die Gedichte auch vorgetragen: schlicht und einfach heruntergeleiert.

Meine Idee war eine andere. Ich wollte dieses Gedicht richtig vortragen, mit Empathie und mit der ganzen Dramatik der Ereignisse in der Stimme. Also meldete ich mich und sagte, dass ich das ganze Gedicht, nicht nur eine Strophe, komplett vortragen möchte. Und dann legte ich los. Bis die ganze Klasse in schallendes Gelächter ausbrach. Das war nicht schlimm. Doch, dass mein Lehrer, den ich so sehr verehrte, auch losprustete, das tat weh!

Wahrscheinlich war meine Darbietung völlig übertrieben, in jedem Fall wohl schlecht. Wenn man so etwas erlebt, muss man eine Entscheidung treffen. Die meisten Menschen sagen sich in solchen Momenten: »Das passiert dir nie wieder!« und bleiben zukünftig bei jeder Aufforderung »Nun sag doch mal was!« sitzen. Ich traf eine andere Entscheidung: »Das kannst du besser!«

Von diesem Augenblick an meldete ich mich bei jeder Aufführung des Schultheaters für die tragende Rolle – doch genau genommen war ich im nächsten Stück »Hänsel und Gretel« nur die dritte Tanne. Als dann der Sturm durch den Wald brauste, was glauben Sie, was ich aus dieser Tanne machte …

Im Nachhinein glaube ich tatsächlich, dass an diesem Tag, durch dieses Ereignis, in mir der Wunsch erwachte, der mein Leben prägen sollte, der Wunsch, ein außergewöhnlicher Redner zu werden.

 

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Ein jeder von uns empfindet es als echte Herausforderung, vor einer Gruppe eine freie Rede zu halten. Dabei kommen alle Belastungen, die für uns so niederzwingend sein können, zum Tragen. Der Mensch wird in seinem Charakter geprüft, stellt sich mit seinen Fähigkeiten nackt der Betrachtung, öffnet alle Sichtfenster auf sein Unvermögen und kann nicht fliehen. Eitelkeiten und Fehleinschätzungen werden dem Redner als pure Schwäche angelastet. Das Urteil des Publikums ist häufig niederschmetternd. Noch Lust, Spitzenredner zu werden?

 

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image Gehen Sie das maximale Risiko ein – lieber alles verloren als nur ein bisschen gewonnen!

Mit dem Titel des vorliegenden Buches »Die perfekte Rede« steht eine Frage im Raum: »Geht das überhaupt – eine perfekte Rede?« Die Antwort ist überraschend: Natürlich ist das möglich. Aber ist es auch erstrebenswert?

Haben Sie schon einmal gehört, wie in einem chinesischen Zirkus eine Akrobatennummer angekündigt wird? »Möge die Übung gelingen!« heißt es dort. Nicht: »Und jetzt kommt der weltberühmteste und allergrößte und obertollste Super-Mega-Star!« Nein – ganz bescheiden: »Möge die Übung gelingen!« Also kein Akrobatenkunststück, sondern eine Übung, die eben auch schiefgehen kann. Denn in der Welt der Profis geht es nicht darum, vollkommen oder perfekt zu sein, sondern darum, nach Vervollkommnung zu streben und daran zu arbeiten.

Was ist also das Ziel, das Sie als Vortragender anstreben? Wann kann eine Rede als perfekt gelten?

image wenn sie frei gehalten wird

image wenn sie die Zuhörer berührt

image wenn sie der Entwicklung von Redner und Zuhörer dient

image wenn die Absichten und Aussagen klar einzuordnen sind

image wenn sie der Erbauung des Zuhörers dient und ihm ästhetische Freude bereitet

image wenn sie das Ziel des Redners einlöst

image wenn sie frei von Tricks und Manipulationen ist

image wenn die Persönlichkeit des Redners durchscheint

image wenn sie mit Begeisterung vorgetragen wird

Einer der klügsten Köpfe der deutschen Politik war Dr. Rainer Barzel – dieser Mann konnte druckreif sprechen, ohne einen einzigen Versprecher. Seine Gedanken waren brillant. Doch er konnte nie die Sympathien der Menschen gewinnen – er war zu perfekt, zu glatt. Hätte er sich doch nur einmal versprochen!

Ganz anders Willy Brandt. Seine Stimme war aus Sicht von Stimmtrainern eine Katastrophe, aber sie war so außergewöhnlich menschlich, dass man ihm alles verzieh. Wenn Brandt in seinen Reden »nachdachte«, nach einem Wort und der entsprechenden Ausformulierung suchte, dann konnten das seine Zuhörer miterleben, nachvollziehen und ja – miterleiden. Jeder konnte hören und sehen, wie Buchstabe für Buchstabe über seine Lippen quoll, geradezu geboren wurde, um dann ein einziges Wort zu bilden, das nach einem weiteren Wort verlangte. Und so fütterte Brandt seine Zuhörer – es war unglaublich. Natürlich war das alles geplant und im Manuskript vermerkt!

So auch bei Herbert Wehner: Wenn er im Bundestag lospolterte oder Bemerkungen machte, die ihm regelmäßig Ordnungsrufe des Parlamentspräsidenten eintrugen, dann war das kein Zufall. Am Rande seines Manuskriptes stand oft genug: »Brüllen!«

Wenn Sie das Stadium des Anfängers verlassen haben, dann machen Sie sich doch auf die Reise um herauszufinden, welche Rednerqualitäten in Ihnen stecken! Bevor man perfekt ist, gibt es so viel zu entdecken – und nicht nur Motivierendes! Wenn Sie darüber nachsinnen, woran auch der Perfektionist scheitern kann und was ihn an den Rand der Verzweiflung bringt, werden Sie auch seiner ständigen Begleiterin begegnen: der Angst.

Ich werde häufig gefragt, ob ich nicht Angst hätte, im Vortrag den roten Faden zu verlieren, stecken zu bleiben, zu stottern, Unsinn zu reden, das Zeitgefühl zu verlieren, Lampenfieber zu haben, mich unwohl zu fühlen, Schweißflecken zu bekommen …

Meine Antwort: Ich weiß, dass ich den roten Faden verlieren werde, ich weiß, dass ich stecken bleiben und auch noch stottern werde, ich werde Unsinn reden, mein Zeitgefühl verlieren – Lampenfieber habe ich sowieso, heute fühle ich mich absolut unwohl und Schweißflecken habe ich auch noch … Aber ich bin sicher, dass nicht alle diese schrecklichen Ereignisse heute, während eines einzigen Vortrags, gleichzeitig passieren werden. Vielleicht erst beim nächsten Mal. Und dann kann ich mich darauf vorbereiten. Also ist die Aufgabe klar: Was könnte ich tun, um gar nicht erst in diese Situationen zu kommen? Und wenn es doch geschieht, was mache ich dann?

Übrigens, die kleine Schwester der Angst ist die Neurose. Und selbst der Beruf des Redners ist es nicht wert, an einer Neurose zu leiden! Aber trotz seiner Ängste kann man auch eine außergewöhnliche Karriere machen – lesen Sie zum Beispiel die folgenden Worte: »Herrschaften, so, jetzt müssen wir, wieder, wie gesagt, lassen Sie mich doch, mal einen Satz, also, das geht doch alles von Ihrer Zeit ab, nein, kann sie nicht.« Das stammt von Piet Klocke – erkannt?

ZWISCHENRUF

Sie können es sich gar nicht leisten, ein schlechter Redner zu sein.

Während dieses Manuskript geschrieben wird, findet zeitgleich die Schlichtung zu »Stuttgart 21« statt – eine seltene Gelegenheit, stundenlang Fachleute bei der Präsentation von Fakten zu beobachten. Der Schlichter Heiner Geißler zwingt die einzelnen Redner in fast nervtötender Art, sich verständlich auszudrücken. Zu Recht! Denn allen Experten musste spätestens nach dem ersten Tag bewusst gewesen sein,

image dass sie stundenlang live im Fernsehen zu sehen und zu hören sein werden,

image dass die verwendeten PowerPoint-Charts fast immer unleserlich im Fernsehen übertragen werden,

image dass es um ein Milliardenprojekt geht.

Und hier meine eigene Einschätzung der einzelnen Akteure und ihrer Redegewandtheit:

Der Architekt, der den neuen Stuttgarter Bahnhof gestalten und bauen soll, schafft es nicht, die Zuhörer von seinem wunderschönen Projekt zu begeistern. Er ist absolut von sich und seiner Position überzeugt. Was er allerdings klar zum Ausdruck bringt, ist seine Verachtung für die Laien, die von seiner Arbeit ohnehin keine Ahnung hätten.

Keinem der Experten in der Schlichterrunde gelingt es wirklich, seine Sprache so von Fachbegriffen zu befreien, dass sie verständlich wird. Es ist geradezu komisch, wenn ein »Bahner« einen Fahrplan erklärt. Man fragt sich nach solchen Erklärungen verwundert, wie es überhaupt möglich ist, dass Züge pünktlich fahren.

Politiker, ebenfalls »Experten«, begreifen nicht, dass es nicht um »Rechtspositionen« geht, ob alles »richtig« gemacht wurde – es fehlt ihnen die Fähigkeit, Menschen zu gewinnen und zu überzeugen.

Da erklären Professoren den Tunnelbau in einer Sprache, dass man Angst bekommt, jemals durch eine solche Röhre fahren zu müssen. Es werden keine klaren Positionen bezogen aus ständiger Angst, haftbar gemacht werden zu können, wenn etwas schiefgeht. Warum sagt denn niemand: »Das gesamte Projekt ist so konzipiert, dass eine Katastrophe ausgeschlossen ist!« Aber da es ja leider Murphys Gesetz gibt, traut sich keiner.

Allein der Bürgermeister von Tübingen schafft es, in einem seiner Beiträge seine Position so geschickt aufzubauen, dass er sich einerseits als Gegner des Projektes zu erkennen gibt, der eine sehr lebendige und optisch-didaktisch überzeugende Darstellung der Zugfolgeproblematik hinbekommt, und andererseits am Ende durchaus als eventuell späterer Bürgermeister von Stuttgart die Durchführung des Bahnhofbaus unterstützen könnte. Dass ihm dann der Technische Vorstand der Bahn, Volker Kefer, einen Job bei der Bahn anbietet, zeugt von der Verhandlungsklasse und dem Humor dieses Vorstands, der als Einziger während der gesamten Schlichtung seine souveräne Position nicht verliert. Wie Inszenierung geht, zeigt Kefer die ganzen Verhandlungstage über: Er trägt eine Halbbrille, die es ihm erlaubt, wie ein Lehrer zu dozieren und gleichzeitig liebevoll zuzuhören. Und am Nachmittag des Schlusstages? Keine Brille – ein freies Gesicht.

Die Zuschauer konnten auch erleben, wie Inszenierung nicht geht: Am Schluss der Veranstaltung fehlten der Grüne Palmer und die Ministerin Gönner – natürlich hatten beide wichtige Gründe für ihre Abwesenheit. Aber gibt es eine einfachere Art, seine Missachtung und sein Desinteresse zu unterstreichen?

Der Gesamteindruck dieser Veranstaltung lässt nur den folgenden Schluss zu: Wenn Sie für irgendein Fachgebiet Experte sind, was ja wohl der Fall ist, wenn Sie dieses Buch lesen, dann hüten Sie sich vor sich selber! Ihr Fachwissen ist der größte Feind Ihrer Überzeugungsabsicht. Finden Sie für jeden Fachbegriff ein Ersatzwort, eine Metapher, damit Sie verstanden werden! Sorgen Sie dafür, dass jedermann Sie wirklich verstehen kann!

 

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Wenn Sie eine Rede halten, dann brauchen Sie natürlich einen Inhalt, sonst verbreiten Sie nur leeres Geschwätz. Achtung: Falle! Die meisten Redner machen sich aus diesem Grund unglaublich viele Gedanken über die Frage: Worüber soll ich reden? Diese Ausgangsfrage ist falsch!

Beginnen Sie Ihre Überlegungen mit einem völlig anderen Ansatz. Klären Sie ganz unmissverständlich die folgende Aufgabenstellung: »In welchem Zustand sollen meine Zuhörer sich befinden, wenn die Rede abgeschlossen ist?«

Überlegen Sie einmal, welche Möglichkeiten Sie als Redner haben: Sie können Ihre Zuhörer einlullen, erzürnen, verführen, desinformieren, sie in die Irre führen, konfus machen, für Scheinlösungen interessieren, oder aber ganz nüchtern nur informieren, sie unterhalten, ermuntern, motivieren und begeistern.

 

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image Sorgen Sie dafür, dass es Ihren Zuhörern nach Ihrem Vortrag ein wenig besser geht als zuvor! Steigern Sie ihr Selbstwertgefühl und geben Sie ihnen Motivation und Inspiration! Das reicht.

Die Möglichkeiten für Sie als Redner sind unbegrenzt und unterliegen an dieser Stelle auch keiner moralischen Überprüfung. Aber eines ist doch wohl klar: Wenn Sie die Absicht haben, Ihr Publikum zu verführen, müssen Sie anders reden, als wenn Sie Ihre Zuhörer verwirren wollen.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Professor an einer Universität und sollen anlässlich der Verabschiedung des Dekans der juristischen Fakultät eine Rede halten. Dass Sie den Kollegen würdigen werden, ist keine Frage. Aber jetzt kommt ein anderer Ansatz hinzu: Ihr größtes Ziel ist es, so zu reden, dass Sie den Dekan zu Tränen rühren.

Was einem alles passieren kann I

Meinen ersten wirklich großen Vortrag hielt ich anlässlich des 1. Zahnarzthelferinnen-Kongresses 1975 in Berlin. Im Saal der Kongresshalle, genannt die »Schwangere Auster«, saßen 3500 Menschen! Ich war aufgeregt. Für meinen Vortrag hatte ich eine Diaprojektion vorbereitet; in jeder Vortragsminute steckte ein ganzer Arbeitstag Vorbereitung. Ich wurde also angekündigt, sprach einige einleitende Sätze, dann verdunkelte sich der Saal ein wenig und die Dias liefen. Die Bilder waren sechs Meter hoch! Ich fühlte mich sehr wohl, wenn auch angespannt. Und dann, nach etwa zehn Minuten, passierte es: Aus den Saallautsprechern scholl die Durchsage: »Die Busse für die Ostberlinrundfahrt stehen vor dem Kongressgebäude!« Dieser Text – mitten hinein in meinen Vortrag! Ich war empört! Etwa der halbe Saal stand auf – und ging! Natürlich waren die Menschen höflich und versuchten leise zu sein. Aber was glauben Sie, wie »leise« über 1000 Menschen sind, wenn sie aufstehen und ihre Sachen zusammensuchen? Ich war so enttäuscht und verärgert; wie hatte ich mich vorbereitet, wie wichtig war doch das, was ich da vorzutragen hatte – und die gingen einfach! Der nächste Gedanke war, ob die, die da noch saßen, nur keine Tickets für die Rundfahrt bekommen hatten? Bevor mich meine Enttäuschung übermannen konnte, sagte ich mir: »Sie sind wegen dir geblieben!« Wie die Geschichte zu Ende ging? Direkt nach dem Vortrag kam der Veranstalter und Verleger Wolfgang Haase auf mich zu und sagte: »Ein klasse Vortrag, junger Mann, daraus machen wir ein Buch!« Und tatsächlich, zwei Jahre später hatte ich mit 28 Jahren ein Fachbuch geschrieben, das in deutscher, italienischer und japanischer Sprache erschien.

 

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Kommt Ihnen diese Formulierung bekannt vor? Stammt sie sogar aus Ihrem eigenen Mund? Dann beginnt jetzt ein richtiges Stück Arbeit für Sie. Dieser und ähnliche Sätze wie »Das habe ich schon hundert Mal gesagt« (Schwabenversion) oder »Wie oft habe ich schon zu meinen Leuten / Kunden / Kindern gesagt …«, »Ich sage immer wieder …« haben einen einzigen Hintergrund: das Eingeständnis der absoluten Wirkungslosigkeit!

Es ist doch nicht sinnvoll, immer wieder das Gleiche zu wiederholen, wenn man damit nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Was also tun? Wenn Sie sich beim Wählen einer Telefonnummer vertippen, was tun Sie dann? Auf die Wahlwiederholungstaste drücken? Wohl kaum. Sie werden einen neuen Code eingeben. Und genau das ist die Lösung des Problems.

Wenn Sie mit Menschen reden, wollen Sie eine ganz bestimmte Wirkung erzielen. Erreichen Sie dieses Ziel nicht, dann ist Ihre kommunikative Leistung als mangelhaft einzustufen. Mehr verdient sie nicht.