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Geburt

Die Wiederentdeckung des weiblichen Weges

von Birgit Baader

Vorwort

Zu Beginn des Jahres 2005 erschütterten die schrecklichen Bilder eines Meeres, dessen entfesselte Kräfte Leben zerstören, die ganze Menschheit. In dieser Zeit lässt Birgit Baader das Pendel in die andere Richtung ausschlagen. Sie nährt unsere Imagination, indem sie Wasser mit Liebe, heiterer Gelassenheit, Geborgenheit, Kreativität und mit dem Entstehen von Leben assoziiert.

Die menschlichen Säugetiere sind wie das Meer. Mal stehen sie unter dem Einfluss von Hormonen der Wut und der Aggressivität. Mal wirken Liebes-, Kreativitäts- und Zeugungshormone in ihnen. Es scheint, als gäbe es eine Zeit für jeden der beiden Seinszustände. Physiologisch ausgedrückt bedeutet dies: Es gibt einen Antagonismus zwischen Adrenalin und Oxytocin. Adrenalin ist das Hormon, das die Säugetiere in Stresssituationen freisetzen, vor allem wenn sie Angst haben, sich beobachtet fühlen oder frieren. Oxytocin ist ein Hormon, das wesentlich an den Vorgängen der Geburt beteiligt ist, und gleichzeitig der Grundtypus der Liebeshormone. Die Säugetiere können nicht zugleich Adrenalin und Oxytocin freisetzen.

Wenn wir diesen Antagonismus und dieses Wechselspiel verstehen, verstehen wir die Grundbedürfnisse einer gebärenden Frau. Während der Geburt muss eine Frau sich in Sicherheit fühlen können, ohne sich beobachtet zu fühlen, und an einem ausreichend warmen Ort sein. Der Antagonismus erklärt auch die ursprüngliche Grundbedeutung und Daseinsberechtigung einer sage-femme1 als mütterliche Frauenfigur. In einer idealen Welt ist unsere Mutter der Prototyp einer Person, in deren Anwesenheit man sich sicher fühlt, ohne sich beobachtet oder bewertet zu fühlen. Wenn wir dies verstehen, erkennen wir auch, dass die Aufgabe der »weisen Frau« vor allem darin besteht, die Gebärende von jedem abzuschirmen, der Adrenalin ausstößt, da der Adrenalinausstoß in höchstem Maße »ansteckend« wirkt.

Das Verständnis dieses Antagonismus führt uns schließlich auch dazu, die vielfältigen und wundervollen Kräfte des Wassers als universelles Symbol der Mutterschaft zu erkennen.

Möge die wichtige Botschaft von Birgit Baader, die die Worte und Bilder in diesem Buch vermitteln wollen, zur Heilung einer verängstigten Menschheit und zur Entstehung einer neuen Menschlichkeit beitragen.

Michel Odent

»Naturgemäß bringt die Frau, und nicht der Mann, die Kinder auf die Welt.

Sie bestimmt daher die Zukunft der Menschheit und dies verbindet sie mit dem Anfang allen Lebens.

In unserer Zeit will die Liebe die Würdigung der Frau wiederherstellen.

Vielleicht liegt genau hierin unsere Hauptaufgabe in dieser problematischen Zeit,

vielleicht sogar im kommenden Jahrtausend …«

(Vasilii Lanimow, Traktat über Liebe, 255-256)

Nach kurzem Zögern fühlte es sich für uns machbar und natürlich an, die Photos der Geburt unserer Kinder für dieses Buch zur Verfügung zu stellen. Birgit Baader beschreibt ihre eigene Erfahrung in Bezug auf Schwangerschaft und Geburt – und es ist kein Zufall, dass wir uns überraschend begegneten. Diese Begegnung ist der Anfang eines warmen spirituellen Austausches, der durch unsere gemeinsamen Grundanschauungen genährt wird. Diese Grundanschauungen basieren auf einem spirituellen, ökologischen Feminismus als Tradition der Liebe, auf Gewaltfreiheit, der natürlichen Verbundenheit der Frau mit der Natur. Die gemeinsame Suche nach einer neuen ökologischen Lebensweise in Verbindung von Ost und West findet vor dem Hintergrund der feministischen Bewegung im Westen statt, bei der die Rolle der Frau in der Geschichte unserer Zivilisation grundlegend überdacht wird, um der Frau ihre wahre spirituelle Würde zurückzugeben. Nach der pathologischen Grausamkeit, mit der die westeuropäische und orthodoxe Inquisition in erster Linie Frauen – Hebammen, Heilerinnen, Wahrsagerinnen, Trägerinnen von uraltem Wissen – vernichtet hat, sind Frauen, mit Unterstützung einiger Ärzte und Psychologen, heute auf der Suche nach natürlichen Geburtswegen und kämpfen für eine freie Wahl des Geburtsortes und der Art der Geburt. Diese Bewegung, für die auch wir uns seit Langem einsetzen und in den letzten Jahrzehnten in den verschiedensten Kulturen und Traditionen nach Erkenntnissen geforscht haben, steht im Widerspruch zu dem andauernden Prozess der Medikalisierung und Technisierung der Geburt, bei dem die Frau von Ärzten vereinnahmt wird. Dadurch werden ihre angeborenen natürlichen Fähigkeiten unterdrückt und die psychosomatische Gesundheit von Mutter und Kind gefährdet.

Wir hoffen, dass Ihnen die Beschreibungen eines so intimen Ereignisses wie der Geburt, insbesondere die mystische Erfahrung einer Meergeburt, als Illustrationen dienen können und dass Sie die Heiligkeit in Ihrem Herzen erfahren.

Vladimir und Ekatharina Bagrianski

Paris – Poissy

Einführung

Was verstehen wir unter Geburt? Ist es einfach der Übergang eines Wesens in die Welt der Materie? Nach einer neunmonatigen Reifephase verlassen wir die Geborgenheit des mütterlichen Körpers, um – im wahrsten Sinne des Wortes – zu lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Viele Menschen verbinden den Geburtsvorgang mit Schmerz und Anstrengung. Allein der Sprachgebrauch zeigt diese Verknüpfung: Wehen, Austreibungsphase, Pressen usw. Ich habe meine Geburten nicht als schmerzvolles, anstrengendes körperliches Ereignis empfunden. Ich hatte nicht das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein. Im Gegenteil: Leichtigkeit, eine überwältigende Kraft und Führung, innere Sicherheit und Zuversicht, gepaart mit einem riesigen Glücksgefühl und freudiger Erwartung spiegelten eher meinen Körper- und Gemütszustand wider.

Meine erste Schwangerschaft durchlebte ich mit 25 Jahren noch relativ unbewusst. Alles verlief leicht, schnell und ohne Komplikationen. Ich machte mir wenig eigene Gedanken, sondern folgte dem allgemein üblichen Prozedere, ging regelmäßig zum Frauenarzt und kam gar nicht auf die Idee, unser Kind irgendwo anders als im Krankenhaus zur Welt zu bringen. Julie wollte genau zum errechneten Termin geboren werden – trotzdem vermutete ich zunächst, als jener Tag gekommen war, ich hätte mir den Magen verdorben, als ich nachts um halb vier mit »Bauchschmerzen« erwachte … Um kurz nach fünf Uhr lag sie bereits auf meinem Bauch – der Arzt hatte nicht geschafft, rechtzeitig zur Geburt in die Klinik zu kommen.

Die Krankenhausumgebung empfand ich nicht als stützend. Sie lenkte mich eher ab und hinderte mich daran, mich auf mich und mein Kind zu konzentrieren – beides sind in meinen Augen ganz grundsätzliche Voraussetzungen für eine genussvolle Schwangerschaft und ein erfreuliches Geburtserlebnis. Der starre Ablaufrahmen in einem Krankenhaus bietet in den seltensten Fällen den individuellen Freiraum, den eine Frau braucht, um mit der starken Kraft in Kontakt zu bleiben – beziehungsweise erst einmal mit ihr Kontakt aufnehmen zu können –, die Frauen seit jeher durch Schwangerschaft und Geburt führt. Heute fehlt häufig das Bewusstsein für diese starke, sichere Führung, der wir uns nur anvertrauen müssen, damit sie uns – gemeinsam mit unserem Kind – durch den Prozess leiten kann.

Im Jahr 2002 erhielt ich das Geschenk einer zweiten Schwangerschaft. »Dieses Mal gestalte ich alles bewusster«, sagte ich mir freudig. Als ich erfuhr, dass ich schwanger war, hatte ich das Bedürfnis, den geistigen, spirituellen Aspekt zu erleben und zu feiern. Julie, unser erstes Kind, hatte uns den heiligen Moment der Geburt mit ihrem ersten Blick nahe gebracht. Die Erinnerung an die Intensität ihres Blicks ist immer noch präsent. Sie ließ mich damals schon erahnen, wie viel Weisheit und Wissen wir geschenkt bekommen, wenn wir uns aktiv auf den Prozess von Schwangerschaft und Geburt einlassen und dafür bewusst Raum schaffen.

Ich begann zu recherchieren und suchte nach Büchern, Erlebnisberichten, dokumentierten Beispielen für eine natürliche »spirituelle Geburt«. Einige Rituale indigener Völker kannte ich bereits, doch war mir nicht klar, in welcher Form, wie und wo ich dieses Wissen umsetzen sollte. Je mehr ich suchte und las, umso stärker wurde das Gefühl, dass ich mich mehr nach innen wenden sollte, als im Außen zu suchen. Michel Odent, der bekannte französische Wassergeburtspionier, hat auf die Frage, was er von geburtsvorbereitenden Büchern halte, geantwortet: »Es ist leichter zu vergessen, wenn du nichts weißt.«

Eine japanische Freundin, Shizuko Ouwehand, gab mir eines Tages ein Manuskript über die Gespräche eines ungeborenen Kindes mit seiner Mutter zu lesen.1 Die tiefe Weisheit und Einfachheit dieser Gespräche beeindruckten mich sehr. »Ein Kind will schon lange vor seiner Geburt mit uns kommunizieren«, erklärte mir Shizuko. Ich war fasziniert, wusste allerdings nicht, wie diese Kommunikation konkret stattfinden konnte. »Setz dich regelmäßig hin und hör einfach nach innen. Du kannst auch Fragen stellen, wenn du willst«, riet mir Shizuko. Nach einigen halbherzigen, unsicheren Versuchen kam ich zu dem Schluss, dass ich wohl nicht »offen« genug war. Ich »hörte« nur meine eigenen Gedanken – oder etwa nicht? Jedenfalls konnte ich zunächst meine Gedanken nicht eindeutig meinem Kind zuordnen.

»Schreibe blind alles auf«, empfahl Shizuko. Zweifelnd probierte ich es. Und war völlig überrascht. Während ich schrieb, konnte ich nicht über den Inhalt der Worte und Sätze nachdenken. Daher wusste ich hinterher oft nicht einmal, worum es ging. Die Dialoge, die ich so zu Papier brachte, überstiegen das, was mir bisher bewusst gewesen war. Die Einsichten und die Weisheit, die in ihnen zum Ausdruck kamen, verblüfften mich immer wieder. Woher sie auch immer kamen, sie stellten in jedem Fall ein Tor zu einer größeren Wahrnehmung als meiner bewussten dar. Durch die inneren und äußeren Gespräche wurde mir immer deutlicher, dass ich unser zweites Kind gerne im Wasser gebären würde.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich eine Krankenhausgeburt nicht generell ablehne. Allerdings halte ich das Ambiente im Krankenhaus nur bei außergewöhnlichen Komplikationen für stützend, nicht aber im Normalfall – und zwar hauptsächlich deswegen, weil den Beteiligten häufig das Bewusstsein dafür fehlt, welche starken natürlichen Kräfte bei einer Geburt wirken. Ich hatte diese starke Kraft und Führung bei Julies Geburt gespürt – und wünschte mir nun bei der zweiten Geburt eine Umgebung, in der ich mich völlig darauf konzentrieren konnte. Auf meiner Suche nach Möglichkeiten, diesen Wunsch zu verwirklichen, stellte ich fest, dass es um mich herum wenig gab, woran ich mich »festhalten« konnte. Und langsam begann ich zu verstehen, dass genau dies das Thema war. Wenn ich auf die Kraft vertraute, die mich führte, und wenn ich mich mit ihr verband, dann war alles andere überflüssig.

Ich bin mittlerweile überzeugt, dass jede Mutter und jedes Kind Geburt als lichtvolle, freudige Erfahrung erleben kann, wenn sie in Kontakt mit sich selbst und der natürlichen Führung bleiben. Da uns heute jedoch gerade dieser Kontakt und das Vertrauen oft abhanden gekommen sind, möchte ich mit diesem Buch jede Mutter – und jeden Vater – inspirieren, gemeinsam mit ihrem Kind den Weg zu einem eigenen individuellen und selbstbestimmten Geburtsfest zu finden. Es soll Frauen ermutigen, gemeinsam mit ihrem ungeborenen Kind ihr ureigenes Geburtserlebnis zu zelebrieren, und zeigen, wie wichtig und bereichernd es ist, in die eigenen Kräfte zu vertrauen und sich von nichts und niemandem ablenken und beeinflussen zu lassen. Ich gebe meine Erfahrungen und die von mir gesammelten Informationen weiter, um anderen den Weg zu erleichtern, um Visionen zu wecken und die Saiten in jedem von uns zum Klingen zu bringen, die in Resonanz mit der Heiligkeit und Einzigartigkeit jeder Geburt stehen.

Diese innere Führung leitet alle weiblichen Wesen sicher und kraftvoll durch den Prozess von Schwangerschaft und Geburt. Ihnen steht eine schier unermessliche Energie zur Verfügung. Viele Hebammen sprechen davon, dass Frauen sich vor und während der Geburt in einem erweiterten Bewusstseinszustand befinden, einer Art transzendenter Trance. In diesem Zustand erleben sie die Dinge mit erhöhter Klarheit und wissen genau, was zu tun ist. Jegliche Intervention von außen kann diesen Zustand gefährden und stört daher eher, als dass sie hilft.

Ich selbst hätte mir vor meinen Geburten gewünscht, die Gedanken und Informationen, wie sie in diesem Buch zusammengefasst sind, irgendwo gebündelt zu finden, um daraus Zuspruch und Unterstützung zu beziehen, ein Gefühl der Bestätigung: »Ja, vertraue deinen Empfindungen, du liegst richtig. Gehe deinen eigenen Weg und lass dich nicht davon abbringen!« Alle Frauen, mit denen ich sprach, wussten instinktiv um den für sie richtigen Weg – doch häufig wurden sie davon abgebracht beziehungsweise sie fügten sich fremden Vorgaben und passten sich an. Dies liegt auch daran, dass Frauen, vor allem vor der Geburt, das starke Bedürfnis nach einem friedlichen, liebevollen »Nest« haben und daher häufig Konfrontationen meiden.

Ich hoffe, dass dieses Buch allen – Schwangeren, Eltern und Geburtshelfern – liebevolles Vertrauen gibt und das Bewusstsein vermittelt, dass Schwangerschaft und Geburt in erster Linie freudige Hingabe und Geschehenlassen erfordern. Dann können wir und unsere Kinder die Geburt in einem hohen Bewusstsein und in einer ekstatischen Euphorie erleben, die unser ganzes Leben und vor allem das unserer Kinder beeinflussen werden. Wenn wir so gebären und geboren werden, wird sich das Leben auf der Erde verändern, denn wir nützen die transformierenden Kräfte des Geburtsprozesses, um unsere alten negativen Prägungen und Glaubenssysteme zu wandeln: in lichtvolle Offenheit für die Energien um und in uns, bereit, zu empfangen.

Es wäre schön, wenn dieses Buch einen kleinen Beitrag leistete, die Bilder von Angst, Schmerz, Ärger, Hilflosigkeit und Opfertum, die unsere Vorstellung von Schwangerschaft und Geburt – und von Leben überhaupt – bestimmen, sanft zu heilen, indem es Mut macht, unseren eigenen inneren Visionen und denen unserer Kinder zu folgen. Damit wir alle – neben Müttern und Vätern auch Kinder, Geschwister, Verwandte, Freunde und Geburtshelfer und -helferinnen – an der heiligen Freude des Lebens und den machtvollen Leben spendenden Energien teilhaben können. Ich wünsche mir, dass wir eine Welt kreieren, die auf Freiwilligkeit und Mitgefühl basiert und nicht durch Ängste gesteuert wird.

Geburt kann natürlich und unbeschwert geschehen, wenn wir bereit sind, uns völlig hinzugeben, uns zu öffnen und uns mit unserem ganzen Wesen der natürlichen Kraft anzuvertrauen, die uns leitet.

Birgit Baader

Motueka, April 2010

1 Das französische Wort für Hebamme, dt. »weise Frau«, Anm. d. Autorin