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Titel

Tatort Kreuzfahrt

Henriette Wich

KOSMOS

Umschlagillustration von Ina Biber, Gilching

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© 2020, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-50309-6

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Stargeflüster

Endlich! Kim verbannte ihre Schultasche in den hintersten Winkel des Kleiderschranks und stellte alle Schulbücher und Hefte in die zweite Reihe des Regals. Vierzehn Tage keine Englischvokabeln pauken, vierzehn Tage ohne lästiges Bruchrechnen und ohne Büffeln von Jahreszahlen in Geschichte. Aber das Allerbeste war: vierzehn Tage ohne die nervige Hausaufgabenkontrolle ihrer Mutter!

Kim lehnte sich im Schreibtischstuhl zurück und startete den Computer. Der erste freie Abend gehörte ihr ganz alleine. Sie hatte sich gleich nach dem Abendessen zurückgezogen und ihre Tür sorgfältig abgeschlossen, damit Ben und Lukas nicht hereinplatzen konnten. Ihre Zwillingsbrüder hatten nämlich die dumme Angewohnheit, sie genau dann zu stören, wenn es ihr überhaupt nicht passte. Zum Beispiel während sie gerade superprivate Dinge in ihr geheimes Tagebuch schrieb.

Heute hatte Kim jedoch etwas anderes vor. Sie wollte endlich mal wieder in Ruhe im Internet surfen. Vielleicht gab es ja was Neues in den Stadtnachrichten: einen Diebstahl oder Einbruch, dem sie mit ihrem Detektivclub Die drei !!! nachgehen konnte. Kim durchforstete die Lokalmeldungen, fand aber leider nichts, was auch nur im Entferntesten nach einem neuen Fall aussah. Schade! Der Club hatte schon einige Monate nichts mehr zu tun gehabt. Kim vermisste die spannende Ermittlungsarbeit und das aufregende Kribbeln bei der Beschattung von Verdächtigen. Mit Franzi und Marie, ihren beiden Detektivkolleginnen, machte es großen Spaß, Verbrechen aufzuklären. Manchmal konnte Kim es kaum glauben, dass sie gemeinsam schon über 50 Fälle erfolgreich gelöst hatten.

Kim klickte die Stadtnachrichten weg. Andererseits hatte es auch Vorteile, gerade nicht in anstrengenden Ermittlungen zu stecken. Schließlich hatte sie Ferien! Kim öffnete ein Musikvideo, das sie sich früher öfter mit Michi angesehen hatte, als sie noch in derselben Stadt gewohnt hatten. Jetzt lebte ihr Freund leider ziemlich weit weg an seinem Studienort und sie konnten sich viel zu selten sehen. Auch ihr Alltag lief nun völlig unterschiedlich ab: Während Kim zur Schule ging, besuchte Michi Seminare an der Uni, hatte neue, ältere Freunde und feierte abends auf Studentenpartys. Es war, als ob sie nicht nur in zwei unterschiedlichen Städten, sondern in zwei fremden Welten lebten. Kim hoffte sehr, dass sich dieses Gefühl bald ändern würde und sie sich trotz der Entfernung wieder näherkamen. Aber momentan wusste sie noch nicht richtig, wie das gehen sollte.

Das Musikvideo war keine gute Idee gewesen. Es machte Kim traurig. Um sich abzulenken, startete sie eine Playlist mit Gute-Laune-Songs und summte leise mit. Plötzlich stutzte sie. Bei den Empfehlungen des Musikportals entdeckte sie ein neues Interview mit dem Sänger der Boyzzzz, Nick Voss. Die Boyzzzz waren Kims absolute Lieblingsband. Sie kannte alle Songs auswendig.

Gespannt klickte Kim das Video an. Nick Voss strahlte sie mit seinen lebhaften blauen Augen an. Er fuhr sich mit der Hand durch die blonden, fransig geschnittenen Haare und begrüßte die Reporterin mit einem lässigen »Hi, Emma! Freut mich, dich kennenzulernen«.

»Hi!« Die leise gehauchte Antwort der Reporterin war kaum zu hören. Emma hatte vor lauter Aufregung rote Wangen. Bestimmt stand sie dem berühmten Star zum ersten Mal gegenüber.

Kim musste grinsen. Ihr wäre das an Emmas Stelle nicht passiert. Die drei !!! kannten Nick persönlich und hatten schon zweimal für ihn ermittelt. Kim fand wirklich toll, dass Nick ganz unkompliziert und supernett war. Er hatte überhaupt keine Star-Allüren.

Inzwischen hatte die Reporterin ihre Aufregung wieder im Griff. »Die Fans warten sehnsüchtig auf das neue Album der Boyzzzz, Nick. Kannst du uns verraten, wann es erscheinen wird?«

Nick Voss lächelte geheimnisvoll. »Der genaue Termin steht noch nicht fest, aber so viel kann ich jetzt schon dazu sagen: Es wird Cruising heißen. Ein Song fehlt uns noch. Dazu müssen wir mit der Band noch ein bisschen in der Welt herumreisen.«

»Du hast mir vorhin erzählt, dass es auf eurer neuen CD um das spannende Thema Kreuzfahrt geht. Bedeutet das, die Boyzzzz werden bald auf ein Kreuzfahrtschiff gehen?«, hakte Emma nach.

Der Sänger lachte amüsiert. »Eine sehr gute Frage, auf die ich leider keine Antwort geben kann.«

Die Reporterin zwinkerte Nick zu. »Schade! Aber ich verstehe, das ist natürlich noch geheim. Sprechen wir lieber über die nächsten Konzerte. Wann startet denn eure Tournee?«

Während Kim das Interview weiterverfolgte, angelte sie sich ihr Handy vom Schreibtisch. Wie gut, dass die drei !!! Nicks Handynummer hatten! Kim tippte eine kurze Nachricht und schickte sie los.

Hi Nick,

tolles Interview! Freu mich schon auf euer neues Album. Hab von der Reise gehört. Klingt ja echt spannend.

Geht ihr bald auf Kreuzfahrt? Wo fahrt ihr denn hin?

Liebe Grüße

Kim

Sie legte das Handy weg und versuchte sich wieder auf das Interview zu konzentrieren, was ihr nicht wirklich gelang. Wann würde Nick antworten? Heute oder doch erst morgen? Er hatte natürlich jede Menge Termine und immer wahnsinnig viel zu tun.

Kims Handy machte »Pling!«. Sie hatte eine neue Nachricht bekommen. Es war tatsächlich Nick! Aufgeregt las Kim, was er geschrieben hatte.

Hi Kim,

schön, mal wieder von dir zu hören! Alles klar bei den drei !!!? Wollen wir uns übermorgen treffen? 15:00 in der Chocolaterie?

Dann erzähl ich euch mehr von der Reise.

Du hast mich nämlich auf eine Superidee gebracht. Bis bald

Nick

Normalerweise stimmte Kim sich bei Terminen vorher mit Marie und Franzi ab, aber in diesem Fall machte sie eine Ausnahme. Ihre Freundinnen würden garantiert alles stehen und liegen lassen, wenn sie erfuhren, dass Nick sich gemeldet hatte.

Kim antwortete ihm: JA!

Ein verführerischer Duft schlug Kim entgegen, als sie am Sonntagnachmittag den kleinen Laden im Ostviertel betrat. Marie hatte es gut, die Chocolaterie lag gleich bei ihr um die Ecke. Hier gab es französischen Kakao, Pralinen, Schokoladenkuchen und die besten Pains au Chocolat der Stadt. Heute freute sich Kim doppelt: auf den superleckeren Schokoladenkuchen mit Mandeln, den sie sich bestellen würde, und auf Nick Voss. Er hatte es in seiner Handy-Nachricht ganz schön spannend gemacht. Kim brannte darauf, endlich mehr von der geheimnisvollen Reise zu erfahren. Suchend sah sie sich um.

»Kim, hallo, hier sind wir!« Marie winkte ihr aufgeregt von einem Tisch neben der Ladentheke entgegen.

Franzi war auch schon da. Kim ging zu ihren Freundinnen hinüber, umarmte sie und ließ sich auf einen freien Stuhl fallen. »Bonjour! Mensch, ihr seid ja pünktlich! Sonst bin ich doch immer die Erste.«

»Äh … das war reiner Zufall«, behauptete Franzi. »Ich hab einen früheren Bus erwischt.«

Kim musterte ihre sportliche Freundin. Franzi hatte heute keine Jeans an, sondern ein grünes Kleid und trug etwas Lipgloss. 

»Klar, reiner Zufall!« Kim grinste. »Du siehst toll aus.«

Franzi zupfte verlegen an den silbernen Haargummis, die sie um ihre kurzen Zöpfe gebunden hatte. »Danke.«

»Und was ist mit mir?« Marie wollte für ihr perfektes Styling in leuchtenden Frühlingsfarben auch ein Kompliment hören.

Kim kam nicht mehr dazu, weil in dem Moment ein Mann mit abgewetzter Lederjacke hereinkam, sich suchend umblickte und dann lächelnd auf die Mädchen zusteuerte.

»Hallo, Fabian!«, begrüßte Kim ihn überrascht. »Wir haben uns ja lange nicht gesehen! Wie geht es dir?«

Fabian war Regisseur. Die drei !!! hatten ihn kennengelernt, als er die Hochzeitsvorbereitungen von Nick und seiner Verlobten Eva gefilmt hatte. Die Doku-Soap Nick & Eva in Love war damals ein großer Erfolg im Fernsehen gewesen.

Fabian lächelte. »Mir geht’s sehr gut, danke. Ist bei euch noch ein Platz frei?« Er wollte sich setzen.

Franzi räusperte sich. »Äh … der Platz ist leider schon besetzt. Wir sind nämlich mit Nick verabredet. Er müsste eigentlich schon hier sein.«

»Ach so, ich soll euch schöne Grüße von Nick ausrichten. Er musste leider zu einem anderen Termin und lässt sich entschuldigen. Fabian zog seine Lederjacke aus und hängte sie über den Stuhl.

»Oh nein! Ausgerechnet jetzt?«, rief Marie enttäuscht. Auch Kim war ganz schön geknickt. Sie hatte sich so auf Nick gefreut.

»Ja, tut mir wirklich leid«, sagte Fabian. »Also, wozu darf ich euch einladen? Heiße Schokolade und Kuchen?« Er fragte nach den Wünschen der Mädchen und gab die Bestellung auf.

Kurz darauf brachte die Bedienung die Kuchen und Getränke. Kim griff zur Gabel. Die Kombination aus geriebenen Mandeln und Schokoladenteig schmeckte so fantastisch wie immer. Trotzdem konnte sie ihren Lieblingskuchen heute nicht richtig genießen.

Fabian lächelte verschmitzt. »Ich glaube, es gibt keinen Grund, traurig zu sein – im Gegenteil. Ich hab nämlich eine Überraschung für euch.«

»Eine Überraschung? Was denn für eine?« Franzi beugte sich neugierig über den Tisch.

Der Regisseur löffelte betont langsam die Sahnehaube von seiner heißen Schokolade. »Habt ihr in der zweiten Woche der Osterferien schon was vor?«

»Nein, wieso?«, fragte Marie ungeduldig.

Fabians Lächeln wurde breiter. »Gut zu wissen. Nick lädt euch zu einer Kreuzfahrt ein: sieben Tage von Istanbul nach Venedig!«

»Was???«, riefen Kim, Franzi und Marie gleichzeitig.

Nach dem gemeinsamen Aufschrei verschlug es ihnen erst mal die Sprache. Was für eine sensationelle Neuigkeit!

»Das ist noch nicht alles«, erzählte Fabian weiter. »Ihr dürft als Statistinnen bei einem Videoclip-Dreh mitmachen. Die Boyzzzz werden auf See den letzten Song ihres neuen Albums Cruising aufnehmen.«

Marie schnappte nach Luft. »Kim, bitte kneif mich mal, das muss ein Traum sein – autsch! – es ist doch kein Traum. Es ist wirklich wahr. Wahnsinn! Ich kann es gar nicht glauben! Wann geht’s denn los?«

Kim sah lebhaft vor sich, wie Marie in Gedanken bereits ihren großen roten Rollkoffer packte.

»Am Ostersonntag«, antwortete der Regisseur.

Kim zählte nach. »Schon in sieben Tagen!«, murmelte sie verblüfft.

Franzi, die sonst so gern und viel redete, wiederholte immer wieder nur ein einziges Wort: »Cool! Cool! Cool!«

»Ja, das ist cool, aber auch eine ziemlich spontane Entscheidung.« Fabian seufzte. »Ich hatte schon drei Statistinnen für den Dreh gebucht. Die Verträge mit den Agenturen darf ich jetzt wieder auflösen. Das wird kein Spaß. Nick hat meine ganze schöne Planung über den Haufen geworfen.«

Marie musste lachen. »Also ich finde, das war die beste Entscheidung seines Lebens.«

»Ich auch«, stimmte Franzi sofort zu.

Kim kam kurz ins Grübeln. Eine Kreuzfahrt, das klang super. Aber ihr wurde auch klar, was der Videoclip-Dreh bedeutete: Sie würde vor der Kamera stehen, sie sollte tanzen, singen und dabei ganz locker und cool wirken. Für Marie mit ihrem Schauspiel- und Gesangstalent war das natürlich kein Problem. Kim dagegen befürchtete jetzt schon, vor lauter Lampenfieber zu stolpern und in den Pool zu fallen. Aber vielleicht würde ja auch alles glattlaufen. Immerhin hatte sie bereits im Rock Camp erfolgreich ihr Lampenfieber besiegt. Kim schickte ihre Bedenken schon mal in den Urlaub und merkte, wie sich langsam eine wunderbare Vorfreude in ihr ausbreitete. Sie würde zum ersten Mal eine Kreuzfahrt machen!

Fabian schob sich den letzten Bissen seines Schokoladenkuchens in den Mund. »Ach ja, bevor ich es vergesse: Ich brauche noch die Einverständniserklärung eurer Eltern, dass ihr mitfahren dürft. Ihr seid noch zu jung, um alleine auf Kreuzfahrt zu gehen.«

Kim, Franzi und Marie sahen sich entschlossen an. Daran sollte die Reise nicht scheitern!

»Wir werden unsere Eltern fragen und geben dir dann Bescheid«, sagte Marie.

Der Regisseur nickte. »Genau. Es wäre wichtig, dass sich ein Elternteil bereit erklärt, als Begleitperson mitzufahren – wir übernehmen dann natürlich die Reisekosten.«

Franzis Gesicht hellte sich auf. »Wie wär’s, wenn du deinen Vater fragst, Marie? Er hat doch bestimmt Zeit und Lust.« Als Schauspieler hatte Helmut Grevenbroich immer wieder Pausen zwischen den Dreharbeiten.

»Ich fürchte, daraus wird nichts«, sagte Marie mit gerunzelter Stirn. »Mein Vater hat gerade erst einen wichtigen Dreh abgesagt, damit er mehr Zeit mit Tessa und Finn verbringen kann.«

Kim wusste, dass sie ihre Eltern gar nicht erst zu fragen brauchte. Ihre Mutter war mit ihrem Job als Rektorin an der Grundschule auch in den Ferien ziemlich eingespannt und ihr Vater musste sich neben seiner freiberuflichen Tätigkeit als Uhrmacher um Ben und Lukas kümmern. Bei Franzis Familie war es ähnlich. Herr Winkler konnte seine Tierarztpraxis nicht im Stich lassen und Frau Winkler hatte für Ostern jede Menge Aufträge für ihren Kuchenservice.

Fabian legte seine Serviette auf den Teller. »Ich drück euch die Daumen. Es könnte übrigens auch eine andere erwachsene Begleitperson mitfahren. Gebt mir bitte bald Bescheid, damit ich planen kann.«

Plötzlich rief Marie aufgeregt: »Ich hab’s: Tante Florentine!«

»Geniale Idee«, sagte Kim. »Ruf sie am besten gleich an.« Maries Tante war als Journalistin viele Jahre kreuz und quer durch die Welt gereist. Dann hatte sie sich in einen Italiener verliebt und wohnte mit ihm seit einiger Zeit in Venedig. Reiselustig war sie jedoch immer noch.

Marie wählte die Nummer ihrer Tante und stellte ihr Handy auf laut, damit Kim und Franzi mithören konnten. Gebannt warteten sie.

Tut, tut, tut! Nach dem dritten Freizeichen schaltete sich der automatische Anrufbeantworter ein.

»Buon giorno!« Tante Florentine teilte mit ihrer freundlichen Stimme auf Italienisch mit, dass sie und Michele gerade nicht zu Hause seien, sich aber über eine Nachricht freuen würden.

»Ciao!«

»Ich bin’s, Marie. Bitte ruf mich zurück auf meinem Handy. Es ist dringend. Du musst bei unserer Kreuzfahrt mitfahren!« Marie legte auf. »Hoffentlich meldet sie sich bald!« 

Tränen im Frühling

Am Karfreitag schien die Sonne. Die Vögel zwitscherten, es duftete nach frischem grünem Gras und die Bäume am Straßenrand standen in voller Blüte. Der Frühling, auf den Kim so lange gewartet hatte, war endlich da. Doch heute konnte sie sich nicht so richtig darüber freuen. Auf dem Weg zum Schillerpark hatte sie ein komisches Gefühl im Bauch. Gleich würde sie Michi treffen. Vorgestern hatte sie mit ihrem Freund telefoniert und ihm begeistert erzählt, dass die drei !!! am Ostersonntag auf Kreuzfahrt gehen würden. Tante Florentine hatte zugesagt und die Eltern von Kim, Franzi und Marie waren auch einverstanden. Schon unglaublich, dass alles so glattgelaufen war!

Michi hatte auf die tolle Neuigkeit kaum reagiert. Überhaupt war er am Telefon sehr seltsam gewesen. Er hätte Kim auch schon anrufen und sich mit ihr treffen wollen, weil er über Ostern zu Hause war. Natürlich hatte Kim sofort nachgehakt, ob etwas nicht stimmte. Michi hatte ihr keine richtige Antwort auf die Frage gegeben. Er hatte sehr ernst gewirkt.

Kim versuchte die beunruhigenden Gedanken abzuschütteln. Vielleicht wollte Michi einfach nur in Ruhe mit ihr darüber reden, wie sie besser damit klarkamen, dass sie in zwei verschiedenen Städten wohnten. Gemeinsam würden sie das Problem bestimmt lösen. Das hatte bisher auch immer gut geklappt.

Kim beschleunigte ihre Schritte. Als sie durch das Tor des Schillerparks trat, sah sie Michi vor einem Beet mit Frühlingsblumen stehen. Lila Krokusse und gelbe Narzissen bildeten einen wunderschönen farbigen Teppich. Michi trug den grünen Pulli, den Kim so sehr an ihm mochte. Wie er so dastand, den Blick auf einen unsichtbaren Punkt in der Ferne gerichtet, wirkte er wie eine Figur auf einem alten Gemälde.

»Hallo, Michi!« Kim winkte und lief auf ihren Freund zu.

Michi kam ihr langsam entgegen. Er lächelte, aber seine Augen blieben dabei dunkel und ernst. »Hallo«, sagte er leise.

Kims Herz zog sich zusammen. »Hey, was ist los?«, fragte sie. »Die Sonne scheint und du freust dich gar nicht?«

»Doch, schon.« Michi blieb zögernd stehen. Sonst umarmten sie sich immer, aber diesmal nicht. Heute war alles anders. »Komm, lass uns ein bisschen im Park spazieren gehen«, schlug Michi vor.

Sie liefen den Hauptweg entlang. Nur wenige Leute waren unterwegs. Kim sah unsicher zu Michi hinüber. Ihr Freund hatte den Kopf gesenkt und starrte auf den Weg. Er ging direkt neben ihr, aber gleichzeitig schien er weit weg zu sein. Plötzlich wurde Kim kalt, obwohl die Sonne so schön warm vom hellblauen Himmel schien.

»Du wolltest doch mit mir reden?«, begann sie zögernd.

Michi nickte. »Ja. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll … also … in den letzten Monaten, da ist so viel passiert. Ich bin weggezogen … die tausend Dinge, um die ich mich jetzt kümmern muss, jeden Tag viel lernen und so … Und du hast auch ganz schön viel um die Ohren: die Schule, den Detektivclub, deine Schreibworkshops … Früher war das kein Problem, aber jetzt, wo wir in zwei verschiedenen Städten leben, merke ich, dass … Also weil wir uns auch nur noch selten sehen können …«

Mit jedem Wort von Michi wurde Kim unruhiger. »Jetzt sag doch endlich, was los ist!«

Michi holte tief Luft. »Ich merke, dass wir kaum noch was miteinander teilen können. Schwimmen, Eis essen gehen, Rad fahren und so – das müssen wir jetzt alles wochenlang vorher planen. Am Anfang hab ich gedacht, das spielt keine Rolle, aber das stimmt nicht. Ich kriege auch kaum noch mit, was bei dir so passiert. Und dir geht es umgekehrt wahrscheinlich ganz ähnlich. Bestimmt gibt es auch bei dir Tage, an denen du so viel erlebst, dass du gar nicht an mich denkst …«

»Das stimmt nicht, ich denke jeden Tag an dich!«, unterbrach Kim ihn hastig. »Bitte sag so was nicht! Ich weiß, es ist wirklich nicht leicht gerade. Aber wir kriegen das schon noch besser hin, wir schaffen das! Wir müssen es nur wollen.« Michi schüttelte langsam den Kopf und lief unbeirrt weiter.

»Manchmal reicht es leider nicht, wenn man etwas unbedingt will. Manchmal muss man sich eingestehen, dass es besser ist, wenn man der Wahrheit ins Auge sieht.«

Kim wollte der Wahrheit aber nicht ins Auge sehen! Was meinte Michi damit? Er redete heute so anders als sonst, so furchtbar distanziert und erwachsen. Er machte ihr Angst.