Bilder: Nick Living

Impressum

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783735771131

Für den Inhalt des Buches zeichnet der

Autor verantwortlich

© 2014

Z iellos streichst du durch die Straßen Durch die Stadt mit ihren Gassen Dunkel manche ferne Ahnung:

Keine Hoffnung!

Keine Planung!

Suchst nach neuen schönen Wegen

Nach des Gottes bestem Segen

Doch die Nacht senkt sich behände Übers düstere Gelände Schnell wird es dir klar und klarer:

Alles mager!

Alles hager!

Und du suchst nach neuen Träumen

Unter schattig dunklen Bäumen

D a, ein Licht blitzt grell hernieder! Und du hoffst im letzten Fieber! Regen nässt Gesicht, Gedanken!

Nur nicht wanken!

Keine Schranken!

Ja, du spürst die neuen Kräfte!

Tief im Herzen: Beste Säfte!

Inhaltsverzeichnis

G1

Der kleine Sunny aus Hollywood wusste mal wieder überhaupt nicht, wie es weitergehen sollte. Irgendetwas zwackte genau dort, wo sich seine Lunge befand und irgendwie schien auch der Kopf zu schmerzen. Seit dem Morgen fühlte sich der kleine Junge überdies schwächlich und ihm war ausgesprochen schwindelig, so wie es wirklich noch niemals war.

Und ausgerechnet jetzt musste Weihnachten sein! Nein, so sollte es doch gar nicht sein, so konnte doch überhaupt nichts werden? Wieso in Gottes Namen zwickte und zwackte es überall? Seine Mami meinte, dass er sich mal wieder ein wenig mehr um seine Schulaufgaben kümmern sollte und vielleicht das eine oder andere bemerken möge, was da um ihn herum passierte. Wenn man immer nur an sich selbst denkt, sich andauernd um seine eigenen Sorgen dreht, sieht man gar nicht mehr, dass die Welt auch noch etwas anderes beherbergt.

Sunny sah das natürlich ein, doch als er so über einen kleinen Weihnachtmarkt an der „Fountain Ave“ trödelte, kamen die Schmerzen mit unverminderter Härte wieder zurück.

Am Weihnachtsbaum, der in der Dämmerung magisch leuchtete und funkelte, blieb er stehen und beobachtete die vorüberlaufenden Leute. Sie schienen alle irgendein Ziel zu haben, kümmerten sich um ihre Einkäufe und dachten wohl gar nicht daran, wie traurig andere doch waren. Mit Tränen in den Augen setzte er sich auf eine etwas abgelegene Bank und stöhnte laut. Die Weihnachtssongs fand er einfach nur zum Weinen und ansonsten kam ihm die gesamte Welt vor, als sei sie stehengbleiben. Wie konnte denn so etwas nur geschehen? Hatte er vielleicht am Ende gar dieses neumodische Burn-Out-Syndrom? War er vielleicht krank und musste schleunigst ins Krankenhaus?

Plötzlich raschelte es neben ihm und ein Weihnachtsmann, derer gerade in diesen Tagen Dutzende in Hollywood unterwegs sein mochten, setzte sich ächzend neben ihn. Sunny fand das überhaupt nicht lustig, wollte er doch viel lieber allein sein und seine trübe Stimmung mit sich und dem Herrn ausmachen. Der Weihnachtsmann schien zunächst gar keine Notiz von ihm zu nehmen und kramte ewig lange in seinem großen dunkelbraunen Jutesack herum. Dann zog er eine feuerrote Feierwehr hervor, hielt sie hoch und lachte laut. „Ha!“, rief er dann, „Da ist sie ja! Toll, nicht?“ Sunny wusste gar nicht, wie er reagieren sollte und drehte sich weg. Der Weihnachtsmann jedoch ließ sich davon nicht beirren, stellte die Feuerwehr neben Sunny und hustete dann recht laut. Instinktiv rutschte Sunny ein wenig von dem vermeintlichen Weihnachtsmann weg, wollte so demonstrieren, dass er einfach nicht gestört werden wollte, und zwar von niemandem, nicht einmal vom Weihnachtsmann, der ja sowieso gar kein echter war. Der Missachtete aber schaute lange zu seinem kleinen unwirschen Nachbarn auf der Bank und sagte dann: „Hast wohl schlechte Laune, was? Aber macht ja nichts. Ich habe gute und irgendwo in der Mitte müssten wir es doch zusammen aushalten, meinst du nicht?“ Sunny war das ganze mehr als unangenehm, und das komische Gerede des Weihnachtsmannes sollte ihn eigentlich zum Schmunzeln veranlassen, aber da war die schlechte Laune, dieses ewige Zwacken am ganzen Leibe, das ihn einfach nicht gutgelaunt sein ließ.

Und so gab er sich seinen bohrenden Gefühlen hin und sagte gar nichts. Der Weihnachtsmann aber meinte nur: „Ich sehe, wir verstehen uns blendend. Aber sag mal, wie findest du diesen Weihnachtsbaum dort drüben? Ist der nicht schief und krumm und irgendwie überhaupt nicht schön? Hätten die von der Stadt nicht etwas Besseres dort hinsetzen können? Na ja, die können es eben nicht! Eine Schande, findest du nicht auch?“ Eine Weile blieb es ruhig, nachdem der Weihnachtsmann das gesagt hatte und dann drehte sich Sunny doch noch zu ihm, zog ein vorwurfsvolle Gesucht und meinte zickig: „Das finde ich aber nicht! Ich finde den Baum wunderschön und er sieht auch richtig weihnachtlich aus! Nein, die Stadt hat wirklich einen schönen Weihnachtsbaum dort hingestellt, ja, das finde ich!“ Der Weihnachtsmann schob seine runde Nickelbrille auf die Nase und schaute schweigend zu dem kleinen Sunny neben sich.

Dann strich er sich durch seinen langen weißen Bart und sagte leise: „Aha, findest du! Na dann will ich mal nichts sagen!“ Sunny rutschte ein kleines Stückchen an den Weihnachtsmann heran und fand ihn ganz plötzlich gar nicht mehr so albern wie eben noch. Und weil auch seine Laune angesichts des schönen Weihnachtsbaumes wieder etwas besser wurde, sagte er schließlich: „Ja, ich finde das! Aber heute ist alles irgendwie blöd.

Es zwickt und zwackt überall, und da kann ich halt nicht lachen. Doch den Baum finde ich schön, und das bleibt auch so!“ Wieder schaute der Weihnachtsmann über seine Nickelbrille und schmunzelte ein wenig, aber nur ein ganz kleines bisschen. Dann meinte er: „Ach mach dir nichts draus. Bei mir zwickt und zwackt es auch manchmal, und glaube mir, ich bin viel älter als du, da zwickt es viel mehr und viel öfter. Aber ich sag mir dann: Ich lebe und ich lebe gern auf dieser einzigartigen Welt. Denn die ist schön, sehr schön sogar. Ich darf die Menschen um mich herum erleben, die Vögel sehen, und auch den Schnee, wenn Winter ist. Und dann darf ich den Weihnachtsbaum sehen, auch, wenn er krumm ist. Aber ich finde es schön. Ich finde gut, dass ich mit dir hier reden kann. Findest du das nicht auch?“ Sunny schaute zu dem Weihnachtsmann da neben sich und fand ihn immer sympathischer. Er wusste ja auch, dass die Welt wirklich wunderbar war und dass er sich an allem freuen konnte, was es so gab.

Und das Zwacken, das verging auch mal wieder, das wusste er genau! Ja, und alles um ihn herum, waren das nicht alles irgendwie kleine Wunder? Wunder, die er sehen und erleben konnte, wie er es wollte? Wie er das so dachte, rannen plötzlich dicke Tränen über seine Wangen und er musste sich das Gesicht abwischen. Leider hatte er mal wieder kein Taschentuch dabei, aber der Weihnachtmann konnte aushelfen. Schnell zog er ein Taschentuch hervor und gab es dem schluchzenden Sunny. Der wischte sich damit die Tränen aus dem Gesicht und sagte mit bebender Stimme: „Ja, alles hier sind kleine Wunder, die wir viel zu wenig zur Kenntnis nehmen. Ich glaube du hast recht, Weihnachtsmann.

Ich glaube auch, dass ich mehr an all das denken muss, als immer nur an mein Zwacken. Denn es ist so schön, dass ich lebe und all das hier auf Erden sehen kann und auch darf. Ich finde, ich muss mehr DANKE sagen.“ Der Weihnachtsmann schaute den kleinen Jungen da neben sich mit einem großen und einem zwinkernden Auge an und meinte dann: „Ja, wenn du das selbst weißt, dann ist es doch gut. Mehr ist´s ja auch nicht, du musst einfach leben, dann wird es immer gut, glaube mir. Weißt du, dein Papa könnte es dir ebenfalls sagen, denn er weiß das auch, und deine Mami auch und all die vielen Leute die du kennst wissen das, auch deine Lehrerin Mrs. Simms.“ Beim letzten Wort musste er niesen und Sunny lachte aus voller Kehle.

Aber dann wurde er wieder ernst, denn woher wusste dieser Weihnachtsmann, der ihn eigentlich gar nicht kannte, wie seine Lehrerin hieß? Das konnte er ja gar nicht wissen. Und wie er so nachdachte, nahm der Weihnachtsmann die feuerrote Feuerwehr und drückte sie Sunny in die Hände. „Hier, das ist jetzt dein Weihnachtsgeschenk! Freu dich dran, es ist nur führ dich!“ Sunny hielt die Feuerwehr in seinen Händen und wusste gar nicht, was er sagen sollte. Eben noch wollte er sich erkundigen, woher er Mrs. Simms kannte und nun? Solch eine Feuerwehr hatte sich Sunny wirklich immer gewünscht und doch nie bekommen. Eigentlich wussten nur sein Papa, und seine Mami von diesem heimlichen Wunsch. Vielleicht hatten die es dem Weihnachtsmann gesagt, aber woher kannten sie ihn nur? Wie ging das alles überhaupt zusammen? Das war schon ziemlich merkwürdig! Sunny konnte sich gar nicht sattsehen an der kleinen Feuerwehr. Er war regelrecht vertieft in das tolle Ding, und als er wieder aufschaute und sich beim Weihnachtsmann bedanken wollte, war der Platz neben ihm leer.

Ein wenig irritiert schaute sich der kleine Junge um, wollte schon wieder traurig und mutlos werden, da vernahm er deutlich die warmherzige Stimme des Weihnachtsmannes: „Sei nicht traurig und fürchte dich nicht. Ich bin da, wenn du nur an mich glaubst. Und denk immer dran – nur ja nicht soviel jammern, lebe kleiner Mann, lebe! Denn das Leben ist einzigartig und es ist wunderschön. Frohe Weihnachten Sunny!“ Sunny konnte es nicht glauben, schaute sich nach allen Seiten um, doch da war keiner. Aber diese Stimme, war sie nicht real und gleich neben ihm? Und woher um alles in der Welt kannte dieser sonderbare Weihnachtsmann seinen Namen-was ging hier nur vor? Weil er es sich einfach nicht erklären konnte, wurde er sehr traurig.

Aber da, wie aus dem Nichts kam sein Papa hinter dem Weihnachtsbaum hervor und lief zielgerichtet auf seinen kleinen Sohn zu. Die beiden waren überglücklich, sich an diesem wundersamen Ort getroffen zu haben, auf diesem mysteriösen Weihnachtsmarkt der Träume.

Sunny erzählte von seinem Erlebnis und auch, dass er an diesem Tage schlecht gelaunt war und gar nicht so optimistisch. Der Papa betrachtete sich seinen kleinen Sohn und meinte dann, dass der Weihnachtsmann schon recht hatte, wenn er meinte, dass man einfach nur leben sollte. Woher er aber Sunnys Namen kannte und von dessen Wunsch wusste, ein Feuerwehrauto zu bekommen, konnte er auch nicht sagen.

Und schließlich sagte mit einem gewissen unheimlichen Unterton, den Sunny noch tagelang beschäftigte:

„Ich war´s nicht, sondern ER, der richtige Weihnachtsmann“

G2

Stacey und Jody waren eng befreundet. Sie waren noch sehr jung und unternahmen sehr viel miteinander. Doch am tollsten fanden sie es, abends über den Friedhof spazieren zu gehen. Es war zugegebenermaßen ein recht ungewöhnliches Hobby, welchem sie sich verschrieben hatten. Doch sie hatten mit dem alten Friedhofsverwalter abgesprochen, wenn auf einem Grab die Blumen oder Einpflanzungen nicht ganz in Ordnung waren, diese wieder anständig auf die Gräber zu stellen. Auch an jenem düsteren Novemberabend des Jahres 1995 trieben sich die beiden Mädchen mal wieder stundenlang auf dem Friedhof herum. Eigentlich war ihnen nicht sehr wohl zumute, doch sie hatten eine Menge Spaß, als sie sich über die neuesten Erlebnisse mit den Jungs aus ihrer Clique unterhielten. Es wurde immer dunkler und die beiden hatten sich so richtig verquatscht. Erst als die Uhr auf dem Gebäude der Friedhofsverwaltung schlug, schauten sie erschrocken auf ihre Armbanduhren. Es war bereits zwanzig Uhr und sie mussten dringend ins Wohnheim ihrer Universität. Gespenstisch pfiff der Wind um die alten Grabsteine und verfing sich im morschen Geäst der umstehenden Eichen. Die Geräusche, die sie plötzlich hörten, versetzten sie in Angst und Schrecken. Es knisterte und knackte ganz in ihrer Nähe. Noch nie waren sie so lange auf dem Friedhof unterwegs. Sie liefen los und durchquerten das Gelände. Allerdings mussten sie durch ein Areal des Friedhofs, welches etwas abseits lag und schlecht einsehbar war. Dort standen die ältesten Grabsteine und manches Grab wurde seit Jahren nicht mehr gepflegt. Die beiden Mädchen wussten genau, was ihnen bevorstand, denn nur ungern gingen sie durch diese alten Grabstellen. Sie hielten sich an den Händen fest, und als es schließlich auch noch zu regnen begann, hielten sie es vor Kälte und Gruseln einfach nicht mehr aus. Sie husteten schon und hatten noch immer ein gehöriges Stück Weg vor sich.

Plötzlich endete der Weg. Und obwohl sie wussten, wo sie hinwollten, schien es doch nun, als ob sie sich verirrt hätten. Sie standen zwischen den alten Grabsteinen und schauten sich ängstlich um.

Überall starrten sie die kalten steinernen Gesichter der Figuren an, die einst auf den Grabstellen befestigt wurden. Und im düsteren Licht einer einsamen hinund herpendelnden Laterne verschwammen die Schatten dieser Figuren ganz merkwürdig und bildeten furchtbare und verzerrte monsterähnliche Silhouetten. Die Mädchen standen unschlüssig und zitternd vor der Wiese und wollten gerade wieder umkehren, um den rechten Weg zu suchen. Da bemerkten sie zwischen den alten Grabsteinen zwei rote Lichter hindurch blinken. Sie ahnten bereits, was das zu bedeuten hatte.

Doch sie wollten es nicht glauben. Denn einen Teufel hatten sie noch nie gesehen. Und auf einem Friedhof schon gar nicht. Trotzdem war ihnen die Sache nicht geheuer. Nur, wohin sollten sie fliehen? Sie wussten ja den Rückweg nicht mehr. Stacey zog ihr Handy aus der Jackentasche. Doch es war wie verhext … das Handy hatte keinen Empfang. Und egal, wo sie sich auch postierte, nirgends bekam ihr Handy das erforderliche Netz.

Und Jody trug überhaupt kein Handy bei sich. Den beiden wurde eiskalt und ihnen lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Denn immer wieder tauchten die beiden roten Lichter vor ihnen auf. Vollkommen verängstigt versteckten sie sich hinter einer hohen Grabstele. Stacey schaute nach oben und entdeckte einen entsetzlichen Vogel, der in Stein gehauen auf der Stele thronte. Er hatte ein böses Gesicht, doch Genaueres konnten die beiden nicht erkennen. Denn es war einfach zu dunkel. Das düstere Licht der Laterne begann zu flackern. Die Mädchen hatten Angst, dass es verlöschen könnte. Doch sie wollten ihr Versteck nicht aufgeben. Zu groß war die Angst, dem Teufel zu begegnen. Aber so oft sie auch hinter der Stele hervorschauten, immer sahen sie die beiden roten Lichtpunkte vor sich. Sie schwebten über der Wiese, nicht weit von ihnen entfernt. Plötzlich verschwanden sie und an deren statt ertönte ein merkwürdiges Zischen.

Die Mädchen zitterten vor Angst und hielten sich aneinander fest. Vermutlich war ihnen der Teufel schon dicht auf den Fersen und würde sich in Kürze brüllend auf sie stürzen. Die Laterne flackerte immer stärker und spendete kaum noch Licht.

Es reichte einfach nicht aus, um zu erkennen, worum es sich bei den roten Lichtern handelte. Plötzlich vernahmen sie Stimmen und erschraken fürchterlich.

Sie versteckten sich hinter einem dichten Gebüsch und hielten sich aneinander fest. Und plötzlich hörten sie jemand sprechen: „Hallo, sind Sie da? Ich weiß, dass Sie hier sind. Hallo!“ Die Mädchen glaubten schon, ihr Ende sei in greifbarer Nähe, da erkannten sie die Stimme. Es war der Friedhofsverwalter. Er suchte wohl schon nach den beiden Mädchen.

Denn sie hatten ihre Fahrräder am Friedhofsgebäude abgestellt und der Verwalter, der noch einmal ins Büro wollte, um etwas zu holen, hatte sie bemerkt. Vermutlich machte er sich Sorgen, weil er die beiden Mädchen kannte und genau wusste, dass sie noch nie so viel Zeit auf dem Friedhof verbrachten. Er kam ihnen schon entgegen und es war seine Taschenlampe, welche dieses seltsame Licht verbreitete. Der Verwalter meinte, dass er wegen eines Augenfehlers nur mit diesem rötlichen Licht etwas in der Dunkelheit erkennen konnte. Die beiden Mädchen allerdings fanden das schon sehr sonderbar. Der Verwalter begleitete sie noch bis zum Friedhofsgebäude. Dort dankten ihm die Mädchen noch einmal für die Hilfe. Ohne ihn hätten sie den Weg ganz sicher nie gefunden. Und Stacey bemerkte noch lakonisch: „Nur gut, dass wir ein Kreuz umhängen haben.

Da konnte uns wenigstens der Teufel nichts anhaben.“ Der Friedhofsverwalter lächelte ganz merkwürdig und schaute den beiden Mädchen misstrauisch nach, als diese schließlich mit ihren Fahrrädern den Friedhof verließen. Als sie fort waren, verschlechterte sich das Wetter mehr und mehr. Der Friedhofsverwalter aber zog sich seine schwarze Kapuze über den Kopf und lief langsamen Schrittes zwischen den Gräbern entlang. Dabei leuchteten seine Augen plötzlich feuerrot auf und aus seinem Mund zischte eine grelle Flamme. Schließlich verschwand er in der großen alten Stein Stele mit dem furchterregenden Vogel obendrauf. Man hatte ihn nie wieder gesehen …

G3

Stan war ein gefragter Musiker. Jahrelang war er auf Tournee und kannte bereits die ganze Welt. Wenn er dann an seinem Klavier saß und die Tasten mit seinen empfindsamen Fingern berührte, schien es ihm, als berührte er damit seine Seele. Als Kind hatte er immer davon geträumt, sich selbst besser kennenzulernen. Doch erst als er das Klavierspiel für sich entdeckte, wusste er, wie es möglich war, diese Tür aufzustoßen. Die Tür zu seiner Seele. Und diesen magischen Moment, wenn er den ersten Ton mit seinem Klavier erzeugte, genoss er immer wieder aufs Neue. Überall auf dieser großen weiten Welt hatte er seine Fans. Fanklubs bildeten sich und alle wollten ihn sehen, mit ihm sprechen. Er wurde in Dutzende Talkshows eingeladen, und wenn er doch einmal Zeit für sich hatte, dann las er in seinen Büchern. Doch immer seltener kam es dazu, denn wenn er erschöpft von seinen Konzerten ins Hotelzimmer kam, wollte er nur noch schlafen.

Und das möglichst lange und tief. So verwandelte sich sein Leben immer mehr in eine öffentliche Veranstaltung. Anfangs liebte er diesen Medienrummel und sonnte sich in seinem Ruhm. Doch nach Jahren ruhelosen Lebens keimte in ihm immer öfter der Wunsch, sich von der Medienwelt wieder zurückzuziehen. Leider war das kaum mehr möglich, denn er hatte zu viele Termine und er war über viele Jahre hinaus restlos ausgebucht. An jenem Abend, an welchem er wieder einmal die Stunden in einer der großen Konzerthallen dieser Welt mit seinem wundervollen Klavierspiel veredelte, spürte er, wie eine bis dahin niemals zuvor gekannte Leere in ihm aufstieg. Er fühlte einfach nichts mehr, und als er die Tasten berührte, war da keine Spannung mehr und keine Seele. Er war jedoch so professionell, dass es wohl keinem auffiel. Nur ein seltsam gekleideter alter Mann, der im Publikum saß, schien sich zu wundern.

Nachdenklich saß er in der dritten Reihe und schaute zu Stan am Klavier. Und Stan schien die Blicke zu bemerken, zu spüren. Er wirkte ein wenig verunsichert und nervös. Als das Konzert beendet war, der tosende Applaus verklungen war, rannte Stan in den Saal. Vielleicht konnte er den Fremden ja noch sehen und vielleicht sogar sprechen. Doch der war, wie die meisten anderen Zuschauer längst fort. Niedergeschlagen trottete er in seine Garderobe zurück. Sein Manager brachte ihm die unzähligen Blumensträuße, die er vor und auf der Bühne eingesammelt hatte. Er stellte sie in einen großen Sektkühler und erkundigte sich nach Stans Befinden. Als Stan lächelnd bemerkte, dass er sich großartig fühlte, ging der Manager noch einmal die Termine des nächsten Tages mit ihm durch.

Schließlich verabschiedeten sich die beiden und Stan lief noch ein wenig durch die nächtliche Großstadt. Er wollte abschalten, auf andere Gedanken kommen. Er spürte diesen Geruch von Zigaretten und Bier. Es roch nach Freiheit und nach Abenteuer. Eine gewisse Spannung lag in der Luft. Eine Spannung, die aufforderte, noch etwas Verrücktes zu erleben. Die Großstadt bot Dutzende Möglichkeiten, sich in irgendeiner Bar am Rande der Zeit die Stunden zu versüßen.

Stan kannte das alles zur Genüge. Und er wollte es nicht. Er wollte auch nicht in sein Hotelzimmer, denn dort warteten lediglich die Einsamkeit und die Eintönigkeit auf ihn. Er wollte nichts mehr von Terminen und Konzerten, die noch anstanden, wissen. Er wollte nur ganz allein für sich sein. Er wusste nicht einmal, was er wirklich wollte, schaute sich die bunten flirrenden und blinkenden Leuchtreklamen an. Junge Leute zogen durch die Straßenschluchten und suchten das Abenteuer. Von irgendwoher drang laute Musik an seine Ohren. Autosirenen vermischten sich mit der nächtlichen Geschäftigkeit der Stadt. Über eine schmale Gasse gelangte er an einen breiten Fluss.

Dort wurde es etwas ruhiger. Er atmete tief ein und hielt die Luft sekundenlang an. Wirre Gedanken kamen ihm in den Sinn: „Was wäre, wenn ich jetzt tot bin, einfach nicht mehr da wäre? Würde sich die Welt dann noch weiter drehen? So ganz ohne mich?“ Und als hätte jemand diese Frage verstanden, stand ein alter Mann hinter ihm und sagte leise: „Natürlich würde sie das tun!“ Stand fuhr herum, erschrak aber nicht. Denn es war der alte Mann, der ihm bereits bei seinem Konzert im Zuschauerraum aufgefallen war. Lächelnd schaute er Stan mitten ins Gesicht und schien wohl fragen zu wollen: „Was hast Du denn gedacht, was die Welt ohne Dich anfangen würde?“ Stan fragte ihn, woher er gewusst habe, was er gerade gedacht hatte. Dabei warf er seinen Kopf herum und stierte gelangweilt in den dunklen schwarzen Fluss. Der Fremde holte tief Luft und sagte dann: „Das war nicht schwer zu erraten. Was denkt ein erfolgreicher Mann, der an einem einsamen Fluss mitten in der Nacht herumläuft? Sucht er etwa das pralle Leben, dort am Fluss? Wohl eher nicht!“ Stan fand die Antwort gut und setzte sich auf einen herumliegenden Stein. „Ich bin so leer“, sagte er dann, „Weißt Du, was ich machen kann? Ich fühle mich nicht mehr wohl und jeder Tag in der Öffentlichkeit wird zur Last. Es ist zwar so wunderschön, dass mich die Menschen lieben. Doch ist diese Liebe nicht auch erdrückend? Kann ich nicht einfach raus? Ich will doch nicht immer geliebt werden.

Ich habe manchmal das Gefühl, einfach davonzurennen, zu fliehen aus dieser Wirklichkeit. Bin ich vielleicht nicht mehr normal, dass ich so denke? Was soll ein Bettler sagen, der mich so reden hört?“ Der Fremde schwieg eine Weile und die Stille war beinahe gespenstisch, ja sogar angst einflößend. Aber vielleicht wusste der Fremde auch gar keinen Ausweg? Doch dann sagte er: „Niemand wird Dir da raus helfen. Nur Du selbst. Du hast es einst so gewollt und Du hast es auch jetzt in der Hand, es zu steuern. Denn niemand anders, als Du selbst bestimmst, was aus Deinem Leben wird und wie es weitergehen soll. Der Erfolg ist ja auch nicht von allein gekommen. Du hast ihn geschaffen, Du ganz allein. Und nun fragst Du plötzlich einen Wildfremden, wie Du weitermachen sollst? Ist das fair? Schiebst Du nicht einfach Deine Sorgen und die Verantwortung auf einen Fremden ab?“ Stan schaute noch immer in den düster dahin strömenden Fluss. Mit einer solchen Antwort hatte er wahrlich nicht gerechnet. Hier unten, wo es so einsam war, wo nur der Mond ihn beobachtete, hier unten am Fluss bekam er einen Spiegel vorgehalten. „Was soll ich Deiner Meinung nach machen?“, fragte er den Fremden und sein Ton wurde etwas härter und zickiger. „Jahrelang habe ich gekämpft und geackert und hatte soviel Freude bei der Arbeit. Ich habe mein Klavier und meine Musik so sehr geliebt und jetzt? Ich bin so tot und Du sagst mir, ich kann das nur Selbst ändern? Ja, wie sollte ich das denn tun? Da hast Du wohl auch kein Rezept, was?“ „Ach!“, stöhnte der Fremde laut, „Wenn wir einmal nicht mehr weiter wissen und unser tolles Leben ins Stocken gerät, dann jammern wir und wollen so die Aufmerksamkeit anderer auf uns lenken.

Nur deswegen, weil wir zu feige sind, etwas zu tun. Nein mein lieber, das kann Dir niemand abnehmen. Nicht ich und auch kein anderer. Doch einen Rat kann ich Dir geben. Verlagere Deine Sehnsüchte und Deine Träume nicht zu weit nach oben. Bleibe realistisch und freue Dich, dass Du so gesund sein darfst. Während sehr viele andere Menschen schwere Krankheiten ertragen müssen, nicht sehen dürfen oder an medizinische Geräte angeschlossen sind, darfst Du Dich Deinen Träumen und Deinen Tränen hingeben. Darfst diese wundervolle Welt sehen und die Vögel am Morgen singen hören.

Schau, wie am Morgen die Sonne lacht und selbst wenn es regnet, freue Dich, dass Du ihn erleben kannst. Das kann nicht jeder. Weißt Du, das Leben besteht nicht nur aus Konzerten, aus Terminen und noch mehr Erfolg. Es besteht vor allem aus dem Leben selbst. Und Du bist derjenige, der es allein gestalten darf.

Freu Dich doch, dass es so ist. Und wenn Dir eben so ist, dass Du nicht mehr in der Öffentlichkeit arbeiten willst, warum tust Du es dann noch? Warte nicht so lange, ändere Dein Leben. Aber weiß darum, dass Du der Macher bist und nicht der, der es Dir rät. Und fürchte Dich nicht.

Denn Du bist stark und wirst es schaffen, weil Du einen starken Willen hast. Also, ran an den Speck und nicht so viel herumgejammert!“ Der Fremde lief ans Ufer des Flusses und spielte mit dem Wasser.

Dann rief er laut: „Schau, das ist das Leben! Dieses Wasser, aus dem wir alle gekommen sind. Das Wasser fragt nicht, es fließt und fließt und fließt. Und es weiß genau, wie es zu fließen hat. Es ist nicht ins Stocken geraten so wie Du. Mann … Junge … Du lebst! Freu Dich dran!“ Stan stand auf und lief ebenfalls zum Ufer. Er hielt seine Hände ins kühle Wasser und spürte, wie sich das erfrischende Nass zwischen seinen Fingern hindurchschlängelte. Nichts schien es aufzuhalten. Es fand immer seinen Weg. Und es war so einfach. Ohne langes Gerede suchte sich das Wasser den besten Weg und plätscherte dabei so munter dahin, dass es eine Freude war, ihm zuzusehen. Es war so mutig, so konsequent und musste nicht nachdenken. Nein, es tat, was es immer tat – es floss! Plötzlich ertönte lautes Hundegebell. Stan drehte sich um und entdeckte zwei Männer, die mit einem Hund unterwegs waren. Sie unterhielten sich angeregt und hatten wohl eine Menge Spaß dabei, denn immer wieder mussten sie lachen. Stan wollte noch etwas zu dem Fremden sagen, doch der war plötzlich nicht mehr da.

Nirgendwo am Ufer konnte er ihn entdecken. Die beiden Männer liefen an Stan vorbei und fragten ihn, ob er Lust hätte, mit ihnen noch auf ein Bier in eine Kneipe zu gehen. Und Stan schaute noch einmal zum Fluss hinunter, sah, wie sich im Wasser das Licht des Mondes spiegelte, und sagte schließlich laut und klar verständlich: „Ja, ich komme mit!“ …

G4

Der 14jährige Craig spielte gern am Computer. Je ausgefeilter die Spiele waren, desto wohler fühlte er sich. Er musste unbedingt die neuesten Spiele besitzen und trieb sich deswegen immer wieder auf diversen Messen und bei einschlägigen Treffen herum. Doch sein Taschengeld reichte nicht mehr aus und die Eltern wollten ihm nicht mehr geben. Und die Spiele waren nicht gerade billig. So kam es, dass er sich das Geld für seine Leidenschaft abends im Park zusammen stahl.

Er lauerte Leuten auf, die gerade von der Arbeit kamen, um ihnen das hart erarbeitete Geld abzunehmen. Selbst vor älteren Leuten machte er nicht halt. Bisher ging diese Masche immer gut und Craig konnte sich an den darauf folgenden Tagen die neuesten Spiele besorgen.

Und noch etwas, das beinahe noch viel schlimmer war als seine Spielsucht war die Tatsache, dass in den Spielen die Gewalt und der Terror an der Tagesordnung waren. Je mehr Tote es gab, umso toller fand er das Spiel. Seine Eltern, die stets versucht hatten, das zu unterbinden, wurden einfach nicht mehr fertig mit Craig. Sie probierten wahrlich alles, was man sich nur vorstellen konnte, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.

Doch Craig ließ sich einfach nicht mehr abbringen von diesem verrückten Treiben. Irgendwann war er so aufgeputscht, dass ihm das Geld, welches er abends im Park stahl, auch schon nicht mehr ausreichte. Außerdem versorgte er sich heimlich mit Drogen und sein Leben schien vorbei, bevor es richtig begann.

Sein Vater hatte ihm bereits angedroht, ihn vor die Tür zu setzen, wenn er sein Leben nicht änderte. Nur die Mutter konnte das nicht übers Herz bringen. Sie liebte ihren Sohn über alles, und bevor ihn der Vater raus warf, wollte sie für ihn beten.

Jeden Abend, bevor sie ins Bett ging, flehte sie um Hilfe, Craig doch endlich wieder auf den rechten Weg zu bringen.

Doch es schien wie verhext. Das Böse in Craig schien die Oberhand zu gewinnen und ihn nicht mehr loslassen zu wollen. Er trieb sich nun schon die ganze Nacht in den Parkanlagen herum, kiffte und stahl.

Irgendwann wurde er von der Polizei aufgegriffen und eingesperrt. Die Mutter schaffte es, ihn dort herauszuholen, doch der Officer meinte, dass das nicht ewig so weiter gehen könnte. Irgendwann würde Craig wohl vor einem Staatsanwalt enden. Und seine schlimme Karriere würde er dann im Knast weiterführen dürfen. An einem regnerischen Samstagabend war mal wieder das Geld alle und Craig musste in den Park, um sein verbrecherisches Werk zu vollbringen, andere Leute zu beklauen. Diesmal jedoch war irgendetwas anders; aus irgendeinem Grund war die Straße, die zum Park führte, gesperrt. Craig konnte weder eine Baustelle noch eine andere Ursache für diese Sperrung entdecken. So blieb nur noch der Umweg durch ein naheliegendes Wäldchen, um in den Park zu gelangen. Doch es half nichts, wenn er an neue Drogen herankommen wollte, brauchte er dringend das nötige Kleingeld. So lief er los. Besorgt schaute ihm die Mutter durch die verregneten Fensterscheiben nach. Tränen liefen ihr übers Gesicht und sie hatte bereits die schlimmsten Befürchtungen. Sie sah ihren Sohn, den sie doch so sehr liebte, schon in einer Gefängniszelle dahinvegetieren.

Aber sie wusste, dass es nichts half, Craig alles zu verbieten. Er würde es dennoch tun. Und dann hätte sie ihn vielleicht für immer verloren. Sie zog die Gardine zu und legte sich nachdenklich ins Bett. Vater schlief schon und sie wusste, sie konnte ihn nicht mit diesen Dingen behelligen.

Er war nicht so geduldig und würde seine Drohung wahr machen und Craig vor die Tür setzen. Das wäre das Ende! Craig lief durch die Pfützen und der Weg durch das Wäldchen wollte einfach kein Ende nehmen. Ihm war kalt, doch der Gedanke an das Geld und die Drogen vernebelte ihm die Sinne. Er wollte es so und fand sich wohl damit zurecht. Plötzlich kam er an einen kleinen Weiher. Er lag so friedlich unter den Bäumen, dass Craig einen Moment stehen blieb. Nebel stieg von der Wasseroberfläche und das Mondlicht verfing sich darin wie ein Irrlicht. Und es war ganz seltsam, Craig hatte plötzlich so ein unbekanntes Gefühl in sich. Es war eher eine Frage, die in ihm aufstieg und für eine Sekunde wusste er nicht so genau, ob er wirklich weiter gehen sollte. Doch da waren sie wieder, diese unguten Gedanken, dieser Drang, das Unbekannte, das Abenteuer erleben zu müssen. Er konnte sich überhaupt nicht dagegen wehren. Der Nebel, der über dem Weiher waberte, breitete sich mehr und mehr aus. Hatte es wirklich Sinn, weiter zu gehen? Craig lehnte sich an einen Baum und zündete sich eine Zigarette an. Genüsslich inhalierte er das würzige Nikotinaroma und starrte in den Nebel. Doch was war das? Aus dem Nebel überm Weiher formten sich plötzlich Blasen. Sie sahen aus wie Luftblasen, die aus der Tiefe eines Sees aufstiegen. Was hatte das zu bedeuten? Craig warf die eben erst angezündete Zigarette wieder weg und beobachtete interessiert das merkwürdige Schauspiel. Immer mehr Blasen formten sich über der Wasseroberfläche und wurden immer größer. Und als ob das noch nicht aufregend genug war, entstanden Bilder in den Blasen. Sie liefen ab wie Filme und Craig erschrak fürchterlich - diese seltsamen Filme kannte er von irgendwoher. Kein Zweifel, da war er selbst zu sehen, in unterschiedlichsten Szenarien, doch alles zeigte sein eigenes Leben. Wie konnte das nur möglich sein? Wer erlaubte sich einen solch üblen Scherz mit ihm? Waren das da vor ihm seine wirren Träume, seine furchtbaren Gedanken oder schon sein verkorkstes Leben? Oder vielleicht doch nur eine entsetzliche Fata Morgana? Irritiert lief er zum Ufer und tappte nervös von einem Bein auf das andere. Gleichzeitig beobachtete er das Geschehen in den vermeintlichen Luftblasen. In einer Blase sah er sich, wie er einen Joint rauchte, in einer anderen Blase bestahl er gerade eine alte Frau im Park, die auf diese Weise ihr bisschen Geld verlor. Dann sah er seine Mutter, wie sie um ihn weinte und bangte und verzweifelt mit ihm sprach.

Doch in der größten Blase sah er ein merkwürdiges bedrohliches Gebäude: Es war ein Gefängnis und er saß auf einem Holzhocker in einer dunklen schmierigen Zelle, wurde immer älter und lag plötzlich leblos auf einer Holzpritsche. Zum Schluss erschien ein riesiges Kreuz über allen Blasen und Craig las entsetzt die Inschrift auf dem überdimensionalen Kreuz: Craig Fuller, sein eigener Name! Das war zu viel für ihn! Am ganzen Leibe zitternd rannte er zurück. Er rannte und rannte und schließlich kam er zu Hause an. Und es war ganz seltsam, die Mutter schien bereits auf ihn gewartet zu haben, sie öffnete ihm die Tür und schloss ihn in ihre Arme. Woher hatte sie nur gewusst, dass er gerade jetzt kam? Die beiden hielten sich ganz fest und Craig sagte nur leise: „Ich bin wieder Zuhause Mama.“ Und die Mutter schwieg, sagte nur: „Ich weiß mein Sohn, ich weiß.“ Nie mehr ging Craig in den Park und es schien, als sei eine Erleuchtung in seine Sinne gefahren. Keiner in der Familie konnte sich das erklären, nicht einmal Craig selbst. Der Officer wunderte sich und besuchte die Familie.

Er freute sich, dass Craig wieder auf dem richtigen Wege war, und wünschte ihm alles Gute. Und eines Tages ging er mit seiner Mutter durch das Wäldchen, um ihr den Weiher zu zeigen, wo er die merkwürdigen Luftblasen gesehen hatte.

Doch am Weg durch das Wäldchen, der geradewegs in den Park führte, fanden sie keinen solchen Weiher. Craig glaubte, er habe sich geirrt oder gar verlaufen.

Doch als er sich später beim Officer nach diesem Weiher im Wäldchen erkundigte, sagte der nur: „Einen Weiher hat es in diesem Wäldchen niemals gegeben …“

G5

Jeffs Geburtstagsfeier war wirklich wunderschön. Er wurde vierzig Jahre alt und seine Eltern hatten ihm einige sehr brauchbare Dinge geschenkt. Doch über etwas ganz bestimmtes freute sich Jeff ganz besonders: Eine in schwarzes Leder gebundene Ausgabe eines Gedichtbandes seines Lieblingsautoren Jim Clancy. Jeff liebte die gefühlvollen Gedichte dieses nahezu unbekannten Schriftstellers. Und als die Feier zu Ende war, las er im Bett noch etliche Seiten in diesem Buch. Am nächsten Tag wollte er in die Stadt, um einige wichtige Dinge zu erledigen. Doch unterwegs musste er noch zur Tankstelle, um den Wagen zu betanken. In den Auslagen fiel ihm auf, dass man dort den gleichen Gedichtband anbot, den auch er zum Geburtstag geschenkt bekam. Er wies die junge Frau an der Kasse darauf hin. Die drehte sich um und meinte dann: „Tatsächlich, das habe ich bisher noch gar nicht bemerkt. Aber gut, dass Sie es entdeckt haben.“ Jeff meinte, dass er das Buch sehr gut fand und jederzeit weiter empfehlen könnte. Schließlich fuhr er weiter und ging in den Supermarkt. In einem dortigen Bücherregal sah er ihn wieder, diesen Gedichtband. Und diesmal wunderte er sich, denn das Buch galt eigentlich als sehr selten. Wie konnte es dann einfach so in den Läden herumstehen? Er fand das sehr merkwürdig und wollte sich beim Personal danach erkundigen. An einem Regal stand ein junger Mann und füllte gerade die Regalreihen auf. Jeff befragte ihn nach dem Gedichtband.

Doch der junge Mann schaute ihn nur ungläubig an; vermutlich hatte er gar keine Ahnung, was sich in den Regalen so befand. Als Jeff ihm jedoch das Buch zeigen wollte, war es nicht mehr da. Jeff war sich allerdings auch nicht mehr so sicher, wo genau er es gesehen hatte.

Dennoch kam ihm diese Sache langsam mehr als merkwürdig vor. Der Einkauf im Supermarkt dauerte nicht sehr lange. Als er schließlich alles im Auto verstaut hatte, fuhr er noch zur Post. Dort waren eine Menge Leute und Jeff wollte nicht so lange warten. Er schaute sich in dem kleinen Post Shop um und entdeckte ihn wieder, den Gedichtband von Jim Clancy. Diesmal wollte er es jedoch genau wissen und griff nach dem Buch.

Doch wie seltsam, er griff ins Leere! Jeff verstand nun gar nichts mehr. Wie konnte das nur sein? Litt er etwa an Wahnvorstellungen? Er hatte doch das Buch genau vor sich gesehen. Und auf einmal stand das Buch wieder im Regal, genau vor ihm. Irritiert schaute er sich um. Niemand schien sein zugegebenermaßen seltsames Verhalten bemerkt zu haben. Und noch einmal griff er nach dem Buch.

Doch er bekam es nicht zu fassen. Kaum, dass sich seine Hand dem Buch näherte, verschwand es auch schon wieder. Dafür polterte es plötzlich laut vor ihm. Erschrocken zuckte er zusammen - was war das? Als er in seinen Einkaufskorb schaute, lag das Buch darin. Es musste wohl aus dem Regal hineingefallen sein. Doch es wurde noch mysteriöser: An der Kasse entdeckte er erneut dieses Buch.

Es lag auf dem Förderband und schien keinem Kunden zu gehören. Die Kassiererin schien das gar nicht zu bemerken.

Oder konnte sie das Buch vielleicht gar nicht sehen? Offenbar konnte nur Jeff dieses Buch sehen. Er nahm das Exemplar, welches eben in seinen kleinen Tragekorb gefallen war, heraus. Und er wunderte sich erneut, denn das Buch war gar nicht verpackt. Irgendjemand musste die Schutzhülle entfernt haben. Vielleicht hatte dieser „Jemand“ bereits darin gelesen? Jeff schlug das Buch auf und erschrak! Bis auf die erste Seite waren alle folgenden leer. Wie konnte das nur möglich sein? Er schlug die erste Seite auf. Dort stand nur eine einzige Strophe eines Gedichtes und er las:

Geh nach Haus zum Vater schnell

Rette ihn, ihm geht’s nicht gut

Eh die Sonne nicht mehr hell,

geh nach Haus und mach ganz schnell

Sonst vergeht des Vaters Blut

Nun hielt ihn nichts mehr! Denn es gab keinen Zweifel mehr – seinem Vater musste es sehr schlecht gehen. Aber wo befand sich Mutter? Er stellte den Korb zurück zu den anderen und fuhr so schnell er konnte zum Haus seiner Eltern. Noch konnte er keinen Hinweis auf ein eventuelles Unglück oder eine Katastrophe erkennen. Auch einen Krankenwagen sah er nicht. Doch als er ins Haus ging und laut nach den Eltern rief, bekam er keine Antwort. Im Wohnzimmer fand er seinen Vater schließlich vor. Er lag auf dem Fußboden und rührte sich nicht mehr. Sofort alarmierte Jeff den Notarzt. Der traf rasch ein und der Vater konnte gerade noch gerettet werden. Der Notarzt meinte mit ernster Miene: „Ihr Vater hatte einen Herzinfarkt. Wären Sie nicht gekommen, wäre er mit Sicherheit gestorben.“ Jeff war erleichtert und erfuhr später, dass seine Mutter kurzfristig zu den Großeltern gefahren war. Sie kam sofort ins Krankenhaus und alle waren glücklich, dass es dem Vater wieder besser ging. Jeff blieb vorerst bei der Mutter und täglich fuhren sie ins Krankenhaus, um den Vater zu besuchen. Als Jeff bei einem dieser Besuche den Gedichtband mitnahm, um seinem Vater etwas daraus vorzulesen, wunderte er sich sehr. Denn auf der ersten Seite war ein völlig anderes Gedicht, als am Unglückstag. Und auch auf den restlichen Seiten fand er kein einziges Gedicht mit dem Titel:

„Die Warnung!“

G6

Immer schon war ich der Beste in der Schule, wenn es darum ging, Gedichte zu rezitieren. Ich fand das wunderbar, die Strophen gefühlvoll darzubieten und meine erste Lehrerin, Mrs. Seller war stolz auf mich. Sie holte mich gern nach vorn und ich musste vor der ganzen Klasse die Gedichte vortragen. Dann meinte sie stets zu den Schülern in der Klasse, dass sie sich an mir ein Beispiel nehmen sollten. Mit den Jahren allerdings verlor sich wohl diese Gabe. Erst viele Jahre später, als ich begann selbst zu schreiben, kam dieses Talent wieder zum Vorschein. Ich schrieb unzählige Gedichte und nahm an vielen Wettbewerben teil. Doch eines Tages versiegte die Flut meiner Gedanken. Mir fiel einfach nichts mehr ein und die nackte Angst kroch in mir hoch, möglicherweise mein Talent verloren zu haben. Meine Mutter aber versuchte vergeblich, mich zu beruhigen. Sie wusste, dass dies nur eine vorübergehende Flaute war. Sie kannte mich und sah keinen Anlass zur Besorgnis. Nur ich blieb skeptisch und unruhig. Eines Tages erhielt ich Post von einem großen Verlag. Man rief zu einem Gedichtwettbewerb auf, an welchem auch ich teilnehmen durfte.

Aber dazu musste mir erst einmal etwas einfallen. Die Flaute hielt noch immer an und ich fühlte mich schwach und leer. Gleichzeitig glaubte ich, krank zu sein.

Und in wenigen Tagen mussten alle Gedichte, die an dem Wettbewerb teilnehmen sollten, eingesendet sein. Ich wusste, dass sich meine Blockade nicht so schnell legte. Und ich versuchte mich zu konzentrieren, nahm entsprechende vitaminreiche Nahrung zu mir. Ich hielt mich fit wie selten und hatte nur ein einziges Ziel: Ich wollte unbedingt an dem Gedichtwettbewerb teilnehmen! Als nur noch ein Tag bis zum Einsendeschluss übrig blieb, fiel mir plötzlich meine erste Lehrerin ein. Vielleicht sollte ich sie fragen, ob sie mir helfen könnte? Immerhin war ich damals ihr bester Schüler und ich mochte sie wirklich sehr. Ob sie noch lebte? Immerhin war sie damals schon nicht mehr so jung. Aber wie sollte ich sie finden? Denn ich lebte seit vielen Jahren nicht mehr in meiner Heimatstadt, und ob meine Lehrerin noch dort ansässig war, wusste ich ebenfalls nicht. So setzte ich mich kurzerhand an den Computer und recherchierte stundenlang. Zunächst fand ich weder einen Hinweis noch eine brauchbare Spur. Doch dann, in einem Mieterverzeichnis eines alten Hauses, fand ich ihren Namen. Die Adresse war gar nicht weit von ihrer früheren Wohnung entfernt. Neben der Adresse stand eine Telefonnummer. Ob das die Richtige war? Vielleicht wollte sie aber gar nichts mehr von den alten Zeiten wissen? Vielleicht war sie senil oder gar krank? Dann wäre es sowieso vorbei mit meinem Wettbewerb. Ich wollte es dennoch versuchen und rief einfach an. Es dauerte sehr lange und ich wollte schon wieder auflegen, als endlich abgenommen wurde. Am anderen Ende meldete sich die zaghafte Stimme einer älteren Dame.

Ich erkannte sie jedoch sofort - es war die Stimme von Mrs. Seller! Als ich mich vorstellte, hörte ich eine ganze Weile gar nichts. Doch plötzlich und unvermittelt lachte sie in den Telefonhörer hinein. Sie hatte mich erkannt und fragte mich, wie es mir ging. Eine ganze Weile sprachen wir darüber, was sich in so manchen Jahren ereignet hatte. Dann aber fragte ich sie höflich und mit stockender Stimme, ob sie mir helfen könnte. Ich bat sie, mir vielleicht mit einem Gedicht auszuhelfen.

Ich erzählte ihr auch von meiner Schreibblockade und dass ich den Text unbedingt bis zum nächsten Tage brauchte. Sie schien sich gar nicht zu wundern. Und dann meinte sie, dass sie etwas Passendes für mich habe. Sie erkundigte sich, ob ich über ein Faxgerät verfügte. Als ich das bejahte, versprach sie, mir in wenigen Minuten ein sehr schönes altes Gedicht zu schicken. Sehr lange plauderten wir noch über die alten Zeiten und mir schien, als ob sie sehr traurig sei, mich nicht sehen zu können. Als ich ihr anbot, einmal zu ihr zu kommen, meinte sie nur kurz, dass das nicht möglich sei. Schließlich verabschiedeten wir uns und ich wartete gespannt auf das Fax mit dem Gedicht. Es dauerte nur fünf Minuten, da kam das Fax. Erwartungsfroh las ich es sofort durch und es schien mir irgendwie bekannt zu sein. Aber ich war mir nicht sicher und wusste genau, dass meine Lehrerin niemals etwas abschreiben würde. So schnell ich konnte, scannte ich den Text in meinen Computer ein und sandte ihn noch am gleichen Abend, und noch rechtzeitig an den Verlag. Eine Woche später erhielt ich die Mitteilung, dass mein Gedicht den ersten Preis gewonnen hatte. Meine Freude war riesengroß. Es wurde nun kostenlos in einen neuen Gedichtband aufgenommen, in dem ausschließlich bekannte Autoren ihre Werke abdrucken ließen. Nun gehörte auch mein Gedicht dazu. Doch so richtig konnte ich mich überhaupt nicht freuen, denn das Gedicht kam ja von meiner alten Lehrerin und nicht von mir. Ich wollte mich jedoch bei ihr bedanken und rief erneut bei ihr an. Am anderen Ende aber meldete sich eine sonore Männerstimme. Irritiert erkundigte ich mich nach Mrs. Seller. Der nette Herr schwieg auf meine Frage hin einige Sekunden. Dann sagte er leise: „Das kann nicht sein. Meine Frau ist schon seit zehn Jahren tot.“ Schnell legte er wieder auf und ließ mich vollkommen irritiert zurück.

Ich verstand nun gar nichts mehr, war mir allerdings ganz sicher, mit Mrs. Seller gesprochen zu haben, denn ich hatte eindeutig ihre Stimme erkannt. Außerdem kannte niemand so genau die Ereignisse und unsere Erlebnisse aus der Vergangenheit wie sie. Nachdenklich setzte ich mich an meinen Schreibtisch und holte mir das Fax, auf welchem das Gedicht zu lesen war. Da entdeckte ich am unteren Rand winzige handschriftlich verfasste Worte. „Merkwürdig“, dachte ich mir, „Dass mir das nicht aufgefallen war.“ Ich holte meine Lupe und entzifferte: „Eigentum von Amalia Seller, ein Gedicht meines besten Schülers.“ Was ich dann las, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Denn das Gedicht hatte damals einer ihrer Schüler geschrieben, und ich erinnerte mich plötzlich sehr genau, wer das war: Ich selbst!

G7

J