Sind wir Diener unserer Infrastruktur? Otto und Charlotte sowie Richard und Petra sind zwei befreundete Paare aus der Mitte der Gesellschaft. Sie führen wütende, aber überraschungsarme Angestelltenleben, häufig auf Wiener U-Bahn-Schienen. Wer liebt hier wen? Bald geraten die Beziehungen des Quartetts in Bewegung, doch Skepsis ist angebracht. Auf der Linie U6 geht es schnurgerade Richtung Endstation.

Eines soll dieser Roman nicht: Eine banale Geschichte parfümiert erzählen. Er zeichnet lieber ein böses, aber tiefenscharfes Porträt der angestellten Stadtexistenz - hier und jetzt.

David Ostra lebt als Angestellter in Wien. Das ist nicht sein richtiger Name. Er ist ungefähr zur gleichen Zeit geboren wie die vier Hauptfiguren in dieser Geschichte. Unter ungestört.com betreibt er eine interaktive Webplattform zum Weiterlesen und Weiterschreiben.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2014 David Ostra

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7357-5184-3

Inhalt

Eröffnung

Er senkte den Blick und sah eine breite gelbe Linie, die von seinen Füßen wegführte, vorbei an der drängenden, wogenden Menschenmenge, bis weit nach hinten ans Ende des unterirdischen Bahnsteigs. Die Erwachsenen in der vordersten Reihe achteten darauf, nicht über diese Linie zu treten, denn nur einen halben Schritt dahinter erstreckte sich der Zugskanal mit dem Gleiskörper, viel tiefer unterhalb der Plattform als in jedem Bahnhof, der ihnen vertraut war. Dort unten waren rätselhafte Nischen neben und unter dem Schienenstrang zu erkennen, vor allem aber überstrahlte den ganzen Gleisbereich die gelb leuchtende Schutzverkleidung der Starkstromschiene. Alle paar Meter wiesen Aufkleber mit einem dicken Blitzsymbol auf die Lebensgefahr hin, die drohte, wenn man den Elektrokabeln zu nahe käme.

Der Vater, ein praktischer Arzt, den Otto nur selten zu Gesicht bekam, war eine gütige, mächtige Gestalt. Am Sonntag pflegte er sich Zeit für die Familie zu nehmen und verbreitete als fernes Zentralgestirn sein nährendes Licht über diese kleine Welt. Sonst waren die Belange der Kleinfamilie ganz nach dem Geschmack der Mutter eingerichtet, die drei Jahre nach Ottos Geburt ihre Tätigkeit als halbtagsbeschäftigte Kartographin im Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen wieder aufgenommen hatte.

Dass der Vater nur mit ihm, Otto, einen Ausflug zur Eröffnung des ersten eigens für die neue Wiener U-Bahn gebauten Tunnelabschnitts unternehmen würde, das war ein atemberaubendes Ereignis und ein weiterer Beweis für das Einsehen der Erwachsenen in Ottos grenzenlose Fähigkeiten und seine zukünftige hervorragende Rolle in der Welt. So fuhren sie also eines Februarsonntags im Jahr 1978 mit der Straßenbahn, die Otto schon gut kannte, Richtung Innere Stadt. Im hinteren Teil des Wagens saß auf einer erhöhten seitlichen Kanzel der Schaffner und entwertete mit der Stanzzange die beiden Einzelfahrscheine, die ihm Otto routiniert entgegenstreckte. Zwei solche Stanzzangen, wenn auch leider in einer viel älteren, einfachen Ausführung, bewahrte Otto im Kinderzimmer in einer kleinen schwarzen Ledertasche auf, zusammen mit einigen wertlosen alten Fahrscheinen, die ihm die Großeltern zu der Zange dazugeschenkt hatten.

Sie fuhren mit der Ring-Straßenbahn bis zur Oper und gelangten über einen kurzen Stiegenabgang gleich bei der Haltestelle hinunter in die Opernpassage, eine niedrige, scheibenförmige Höhle mit vielen Ein- und Ausgängen zu den Gehsteigen auf allen Seiten der Opernkreuzung. Jetzt am späten Vormittag fiel durch die Aufgänge ein kraftloses graues Winterlicht in die Passage, das freilich gegen die künstliche Deckenbeleuchtung nicht ankam. In der Mitte dieser Rundhöhle verbarg ein Bretterzaun die Baustelle des nicht rechtzeitig fertig gewordenen künftigen Passagencafés. Aus allen Richtungen kamen Menschen und strömten kreuz und quer an Otto und dem Vater vorbei. Der Vater nahm ihn an der Hand und Otto war froh darüber. Die Menschen kamen in Paaren oder in Gruppen, er sah auch junge Männer, die allein hier waren, die Hände in den Manteltaschen vergraben, doch es gab auch andere Kinder mit ihren Eltern. Ottos jüngere Schwester musste zuhause bleiben, wo die Mutter auf sie aufpasste. Otto hatte die Mutter gefragt, ob sie traurig wäre, weil sie nicht mitgehen durfte, und die Mutter hatte ihm aufgetragen ihr nachher alles ganz genau zu berichten. Er musste also die Augen offen halten.

Der Vater zog ihn in die Richtung des größten Gedränges am anderen Ende der Höhle. Überall schwirrten die Erwachsenen. Ihr Reden klang wie der aufgescheuchte Bienenschwarm, den Otto letzten Sommer in der Steiermark gesehen hatte. Der Vater kam nicht mehr voran und sie mussten stehenbleiben, dicht an den Hintern der Leute vor ihnen. Jetzt konnten sie endlich ein paar Schritte gehen, doch wieder kam die Vorwärtsbewegung ins Stocken. Dann waren sie an der Rolltreppe angelangt. Mit einem großen Schritt trat Otto auf die längsgerillte Metallstufe, und zügig ging es durch eine runde Tunnelröhre mit rot gestrichenen Wänden in die Tiefe.

„Papa, die ist gewaltig, oder? Man sieht das Ende gar nicht. Kein Wunder, dass das die längste Rolltreppe auf der Welt ist, oder?“

„Es ist die längste Rolltreppe von Europa, Otto, in den Vereinigten Staaten und in Japan gibt es noch längere. Komm, stell dich da auf die rechte Seite vor mich und halt dich gut fest. Die linke Seite muss frei bleiben für die Leute, die es besonders eilig haben.“

Sofort stellte sich Otto ganz nach rechts und legte seine Hand auf das schwarze Gummi-Laufband, so wie es der Vater machte. Gespannt wartete er auf die Erwachsenen, die es besonders eilig hatten und links an ihnen vorbeischießen würden, aber niemand kam. Das war gut, denn Otto mochte es nie gern, wenn er überholt wurde. Der Tunnel war wirklich sehr steil, es war eindeutig die beste Rolltreppe, auf der Otto je gefahren war. Er stellte sich vor, wie schnell ein Matchbox-Auto auf dem Laufband nach unten rasen würde. Dann sah er das Ende der Rolltreppe auf sie zukommen, da war auch wieder ein großer Menschenstau, eine dunkle Traube von Menschen in Wintermänteln – hier unten war es gar nicht kalt – versuchte vom Ausstieg wegzutreten, doch irgendetwas schien sie zurückzuhalten, denn sie kamen kaum vom Fleck. Was, wenn die Leute nicht weggingen, wenn Otto versuchte auszusteigen? Würde die Rolltreppe dann anhalten? Den elektrischen Aufzug in Ottos Matchbox-Parkgarage konnte man mit der Hand aufhalten, wenn man nur fest genug dagegen andrückte, der kleine Motor jaulte dann und die Plastikzahnräder knackten. Funktionierte das bei der längsten Rolltreppe Europas genauso? Er wollte gerade seinen Vater danach fragen, da begann sich die Menschentraube am unteren Ende auf einmal schneller zu bewegen und verschwand seitlich aus dem Stiegenbereich.

Als sie vom Ausstieg weggetreten waren, erkannten sie, dass sich gleich rechts davon der Bahnsteig befand. Zu sehen waren die oberen Seitenwände und Fensteroberkanten eines der Züge. Befriedigt stellte Otto sofort fest, dass die berühmten Silberpfeile tatsächlich silbern waren, also modern und sehr, sehr wertvoll.

„Wir fahren mit der Nächsten“, sagte der Vater und hielt Otto an der Hand zurück. Sie waren zwar nur wenige Meter von dem silbernen Waggon entfernt, doch vor ihnen pulsierte eine dicht aneinandergedrängte Menschenmenge, von der Otto die Hosenbeine, Rocksäume und Stiefel vor Augen hatte. „Heh, geht’s a bissl schnöla ah?“, rief ein breiter, beigefarbener Mantel vor Otto und erntete von seinen Vorderleuten wütendes Keifen, von den hinteren Reihen aber zustimmendes Gegrunze. Es kam Otto so vor, als wären alle Erwachsenen auf der Welt in diesem U-Bahn-Tunnel versammelt, denn wie sonst konnten es so viele sein? Es sah aus wie ein riesiger Auffahrunfall. Einzelne der aufgetürmten Fahrzeuge wurden über schmale Laderampen in den bereitstehenden Güterzug verfrachtet, aber andere steckten mit durchdrehenden Reifen und heulenden Motoren in dem Schrotthaufen fest, während der Treibstoff langsam aus den geplatzten Tanks lief. Otto schaute auf den Boden, um zu sehen, ob sich bereits Öllachen bildeten, doch da war nur Beton und darunter das Gestein, aus dem das Erdinnere bestand, mit dem glühenden Feuerball in der Mitte. Deshalb war es hier so warm. Auf der längsten Rolltreppe Europas waren sie schon tief in die Erde eingefahren, bis in die Nähe des Feuers. Johann in der Vorschulgruppe hatte gesagt, dass in der Mitte der Erde die Hölle ist, wo der Teufel die bösen Menschen foltert, wenn sie gestorben sind. Die Menschen trampelten auf dem Bahnsteig herum, dass man Angst haben musste, sie würden durch den Beton brechen und in die lodernden Flammen hinunterstürzen. Noch schlimmer wäre es, wenn alle gleichzeitig mit dem Fuß aufstampfen würden. Der Großvater hatte von China erzählt. Dort lebten so viele Chinesen, dass sie die ganze Erde aus ihrer Umlaufbahn um die Sonne werfen könnten: Sie müssten nur einmal alle gleichzeitig einen Schritt in die gleiche Richtung machen. Soweit Otto erkennen konnte, hatten die Menschen auf dem Bahnsteig aber nicht vor, gleichzeitig mit dem Fuß aufzustampfen, sondern jeder drängte nur für sich allein auf einen der Einstiege zu, drückte gegen die Leute, die neben ihm standen, und die drückten zurück. Es sah so aus, als ob nichts passierte, doch dann meldete sich ein Mann über Lautsprecher und forderte alle auf zurückzutreten, damit der Zug abfahren konnte. Von der U-Bahn kam ein Hupton und die Türen schlossen sich mit einem lauten Rumps. Der Zug begann sich vorwärts zu schieben und beschleunigte langsam. Am letzten Wagen konnte Otto oben in der Mitte die Rückleuchte erkennen. Das Fahrgeräusch begann niedrig und stieg immer höher, bis die Rückleuchte im finsteren Tunnel verschwand. Weil es nun keinen einstiegsbereiten Zug mehr gab, kam auch die wartende Menge zur Ruhe, man versenkte achselzuckend die Hände in den Jackentaschen, mancher unterhielt sich leise mit seinen Familienangehörigen oder mit dem unbekannten Bahnsteignachbarn.

Als kurze Zeit später der nächste Zug zum Stehen kam und seine Schiebetüren zur Seite glitten, gehörten auch Otto und sein Vater zur bereits etwas vorgerückten Gruppe, die hoffen durfte, durch eine der Türen ins Wageninnere zu gelangen. Der Vater langte energisch zu und brachte sie gut voran, und Otto an seiner Hand drängte nach Leibeskräften, drückte seinen freien Ellbogen rudernd in die Oberschenkel der Erwachsenen vor ihm und biss die Zähne zusammen. Niemand sollte glauben, dass er als Kind ein schwacher Gegner war. Sie hätten es fast geschafft, doch als sie vor die offene Schiebetür gelangten, standen die Menschen im Inneren schon dicht an dicht gepresst, so dass am Bahnsteig die Vorwärtsbewegung erlahmte und ein allgemeines Jammern und Fluchen anhob, als ginge es um das Verlassen eines sinkenden Schiffes: „A Wohnsinn is des, heast, na gibt’s ’n so wos.“ Die Hai-graue Haut der U-Bahn glitt beim Wegfahren zum Greifen nahe an ihnen vorüber und hinterließ das gähnende Loch über dem tiefliegenden Geleise mit der Stromschiene.

Sie standen nun ganz vorne, die Menschenmenge im Rücken. Otto sah fragend zum Vater auf: „Was ist, wenn sie uns hinunterstoßen?“

„Ach was, mach dir keine Sorgen, das traut sich keiner. Wir haben uns jetzt Respekt verschafft, du und ich. Wir waren höflich und haben uns an alle Regeln gehalten, und jetzt ist es gleich so weit und wir kommen an die Reihe.“

Das waren wohl ungefähr die Worte, die der Vater gesagt hatte, doch der grenzenlos stolze Otto erinnerte sich später oft an eine ganze Lobrede des Vaters auf seine Durchschlagskraft, seinen Mut und seine Kaltblütigkeit. Otto sei als Kind zwischen die Beine der Erwachsenen geraten, aber wo andere geweint und den Vater gebeten hätten, sie auf die Schultern zu nehmen, da habe sich Otto wie ein kleiner Erwachsener verhalten und seinen wohlverdienten Platz in der ersten Reihe erkämpft. Otto blickte erwartungsvoll nach vorne, während er sich mit dem feinen Ohr eines Indianers nach hinten absicherte, damit von dort keine unliebsamen Überraschungen kamen. Vor ihm war nur der Abgrund mit der todbringenden Stromschiene, von der ihm der Vater schon zuhause erzählt hatte, und bei Ottos Schuhspitzen war die gelbe Sperrlinie, hinter der sich den ganzen Bahnsteig lang die Füße der Wartenden auffädelten.

„Dieser Linie werden wir folgen“, dachte Otto, „und die U-Bahn auch, die ist ja auf ihrem Gleis im Tunnel gefangen.“

Sobald sie dann in den nächsten Zug tatsächlich eingestiegen waren, konnte sich Otto gut an einer Haltestange festhalten, den Vater neben sich. Zwischen den Erwachsenen fühlte er sich bereit für die Fahrt. Mit einem kleinen Ruck rollten sie an.

WEGE

Siebenhirten

Auf der Rolltreppe nach oben gleitend wippte Petra in ihren italienischen Stiefeln auf den Fußballen, um so den vergangenen Arbeitstag aus den Beinvenen zu verscheuchen. Sie versuchte sich ein Gefühl von Schwerelosigkeit vorzustellen, aber die Feuchtigkeit in den Schuhen störte sie dabei. Wer im Winter schwitzt, ist nicht schwerelos, dachte sie. Also nicht schwerelos, dann vielleicht immerhin zufrieden? Na ja. Die Aussicht auf ein nettes Abendessen im Fiorentino war jedenfalls eindeutig erfreulich, und wenn Richard in erträglicher Laune eintraf, sollte es an ihr nicht scheitern.

Petra brachte nur selten Dinge zum Scheitern. Petra, auf einer Rolltreppe nach oben gleitend, bot wenig Anlass, sich Sorgen zu machen, dass etwa die Rolltreppe im nächsten Augenblick ausfallen würde. Eine ungefähr zwanzig Meter lange Rolltreppe voller Mittwochabend-Menschen, darunter Petra, das war ein stabiles Stück Wirklichkeit. Nach wenigen Metern Bergauffahrt trat die Deckenverkleidung der U-Bahn-Passage zurück und die Passagiere spürten über sich den freien Nachthimmel. Winterluft fiel auf Petra herab, ein kühler Luftzug berührte sie durch ihren Kaschmirschal hindurch am Nacken. Gerade hatte sie von Richard eine Textnachricht bekommen, er wartete bereits vor dem Eingang des Restaurants auf sie. Da es auf der Straßenuhr über dem Aufgang genau eine Minute nach sieben war, würde Petra so gut wie pünktlich eintreffen, denn der Fußweg durch die Singerstraße zum Fiorentino war kurz. In der Auslage des Schuhgeschäfts an der Ecke sah Petra in der langen Reihe der Damenstiefel ein Paar, das ihren eigenen italienischen ähnelte. Diese hier liefen allerdings an der Schuhspitze etwas übertrieben schmal zusammen und auch der Stiefelschaft war in Petras Paar schöner geschwungen. Dabei war ihr heute Früh aufgefallen, dass die Stiefel trotz der Spanner etwas an Steifigkeit verloren hatten, obwohl sie die doch erst seit Oktober hatte. Vielleicht sollte sie versuchen sie etwas seltener zu tragen, damit das Oberleder noch länger in gutem Zustand blieb, denn die Zeiten waren hart, und zumindest diese Saison würden die Stiefel durchhalten müssen. Das gemeinsame Bankkonto mit Richard war eine gute Sache. Ihre Mutter hatte darüber gestaunt, Petras Eltern hatten damals bis zum Tod des Vaters getrennte Konten gehabt, wie die Mutter oft berichtete. Daran Zweifel zu äußern war tabu. Alle Transfers hatten ihre Eltern zwar nicht schriftlich, aber dafür erst recht gründlich gegenverrechnet, bei der einen oder anderen niederträchtigen Gelegenheit, wie in einem Wirtschaftsbetrieb. Petra hatte Richard schon an ihrem zweiten Jahrestag vorgeschlagen, gemeinsame Kassa zu machen, am gleichen Abend, an dem sie beschlossen hatten, nicht zu heiraten. Eine der guten Eigenschaften von Richard war, dass er einen in so einem Moment ansah wie das Mondkalb, ein paar Sekunden lang gar nichts sagte und dann mit einer Sache einverstanden war, über die er bis zu diesem Augenblick nie im Leben nachgedacht hatte. Das und sein gutes Aussehen, die interessierten Blicke, wenn man mit ihm wo hinkam.

Petra hatte auf die SMS zwar nicht geantwortet, aber Richard erwartete gerade deswegen, dass sie gleich aus der Singerstraße um die Ecke biegen würde. Er hatte die Hände in den Manteltaschen zu Fäusten geballt und versuchte mit sanft kreisenden Bewegungen seine Schultern zu entspannen. Er sah sich in der Gasse um. Vereinzelte Touristen, geparkte Autos in Gänsereihe auf beiden Seiten der Fahrbahn, geschlossene Geschäfte mit dezent beleuchteten Schaufenstern, eine ältere Dame, die wohl tatsächlich hier im ersten Bezirk zwischen all den Büros in einer schlecht ausgestatteten Altbauwohnung lebte. Sie schlurfte unter der Last ihrer Einkaufstaschen langsam an Richard vorbei. Ein Lebensstil der kurzen, belanglosen Fußwege, dachte er. Für sie waren alle Autos, an deren Entwurf und Produktion er in seinem eminent bedeutsamen Berufsleben jemals beteiligt sein würde, nicht mehr als Barrikaden und Hindernisse, zwischen denen sie sich hindurchzwängen musste. Als Endkundin war die Frau verloren. Ihre Funktion in seinem Leben bezog sich dann wohl mehr aufs Private? Immerhin half sie mit, die Innenstadt mit Resten von städtischem Leben auszustatten, die dazu führten, dass der Maschinenbauer mit seiner Freundin hier angenehme Abende verbringen konnte. Immer schön egoistisch sein, dachte Richard.

Er erkannte Petra wie meistens zuerst an ihrem blonden Haarschopf, der im Licht eines Schaufensters schwungvoll um die Ecke kam. Richard nahm die Hände aus den Manteltaschen und ging Petra mit leicht ausgebreiteten Armen ein paar Schritte entgegen. Sie strahlte ihn an und er strahlte zurück.

„Hallo“, sagte er, „geht’s dir gut?“ Sie küssten sich.

„Bestens, der Herr“, sagte sie, „selbst?“

Drinnen war die Speisekarte, soweit man erkennen konnte, seit ihrem letzten Besuch unverändert. Das Fiorentino war unspektakulär aber verlässlich, Enttäuschungen kamen selten vor und nach ein paar Gläsern des roten Hausweins erhielten die kurdischen Kellner von den Gästen maßvoll gefütterte Trinkgelder. Nach dem Antipasti-Teller bestellte Richard das Fileto di Manzo und Petra ihr Lieblingsrisotto mit Pilzen und Rucola.

„Der Meier hat gekündigt“, sagte Richard, während sie auf die Hauptspeisen warteten.

„Im Ernst? Hat gekündigt oder ist gekündigt worden?“

„Er hat wohl selbst gekündigt. Das Verrückte ist, dass er angeblich noch nichts anderes hat. Dabei ist er über 40.“

„Und, was sagt er? Im Lotto gewonnen oder Schafzucht im Waldviertel?“, sagte Petra.

„Wenn er im Lotto gewonnen hätte, würde er es uns kaum verraten. Aber als Schäfer im Waldviertel kann ich ihn mir nicht vorstellen. Er sagt, er weiß noch nicht, was er machen wird, will sich einmal eine Auszeit nehmen.“

„War der nicht verheiratet?“

„Er ist schon seit einem Jahr geschieden. Wahrscheinlich hat er festgestellt, dass die Scheidung allein sein Leben auch nicht wirklich aufregend macht.“

Petra lachte. „So ein unwiderstehlicher Mittvierziger. Komisch, dass er nicht gleich nach Hollywood engagiert wurde für eine Rolle als George Clooneys jüngerer Bruder.“

„Gemein bist du. Er wird wohl in unsere offizielle Burn-Out-Statistik aufgenommen. Obwohl er dafür nicht der richtige Typ ist. Als depressiv würde ich ihn jedenfalls nicht bezeichnen. Erst letzte Woche waren einige Leute aus der Firma wieder Go-Kart fahren, hat er organisiert.“

„Bin ich froh, dass du nicht Go-Kart fährst.“ Sie schob ihre Hand über den Tisch und drückte Richards Finger.

„Ich hab’ Gott sei Dank Besseres zu tun“, sagte Richard und drängte seinen Fuß zwischen Petras italienische Stiefel. Petra machte ihm die Freude und drückte ihre Knöchel sanft zusammen. Sie spürte den Schweiß in den Schuhen. Die Hand zog sie wieder zurück und griff nach ihrem Weinglas.

Auch Richard beschäftigte sich mit dem Wein. „Man darf einfach keine unrealistischen Erwartungen haben, es geht in der Firma nicht immer so schnell voran wie in den ersten drei, vier Jahren. Aber Qualität setzt sich durch.“

Petra nickte solidarisch.

„Der Meier war nicht schlecht, aber nicht sehr kreativ“, sagte Richard. „Ich finde zum Beispiel mein DesignmethodikProjekt vom Potenzial her wichtiger als alles, was der Meier in zwanzig Jahren in der Firma gemacht hat.“ Er lächelte. „Ohne falsche Bescheidenheit, wenn wir Erfolg haben, wird unser ganzer Systementwicklungsprozess einen großen Sprung vorwärts machen. So etwas fällt einem Meier in hundert Jahren nicht ein, dafür leidet er dann eben hundert Jahre lang an Langeweile und Einsamkeit mitten in einem Milliardenunternehmen.“

„Oh ja“, sagte Petra, „Designmethodik macht die Menschen glücklich. Wenn nur der eine oder andere Vorgesetzte so etwas überhaupt wahrnehmen könnte, und nicht nur seine Profitkennzahlen, dann hätte ich auch was davon.“ Der Vorwurf war natürlich nicht ernst gemeint, aber sie schauspielerte einen affektierten Schmollmund.

„Holzköpfe gibt es überall“, sagte Richard. „Damit kann ich leben. Man muss Geduld haben, und die hab’ ich. Für die Stellen, die mich jetzt überhaupt noch interessieren, geht es ohne fachliche Kompetenz auf keinen Fall. Letztlich ist ja der Spaß an der Arbeit das Entscheidende, und da sind die ganzen Holzkopfgeschichten völlig belanglos. Das lässt mich kalt. Und finanzielle Gerechtigkeit gibt es ohnehin nicht. Wenn ich gute Arbeit machen und dabei erwarten kann, dass das irgendwann irgendwie honoriert wird, dann sind meine Ansprüche an den Job schon erfüllt.“

„Darum beneide ich dich manchmal, dass du das so vernünftig ordnen kannst. Job hier, Privatleben da. Außer wenn du beim Abendessen stundenlang über die Arbeit redest, du Nerd.“

„Entschuldige, ich hör’ schon auf.“

„Ich find’ es eh interessant,“ sagte Petra, „in meiner Arbeit kündigen zwar auch dauernd welche, aber die waren meistens so kurz dabei, dass alle nur den Vornamen von denen kennen und nur das Personalbüro vielleicht auch einen Familiennamen.“

Draußen war es kalt genug, um Petra nach dem Wein und dem überheizten Fiorentino aus ihrer tönernen Müdigkeit gleich wieder herauszuholen. Arm in Arm mit Richard eilte sie zurück zur U-Bahn-Station. Auf der Rolltreppe, die aus der Stationspassage Stephansplatz zu den Bahnsteigen hinunterführte, wurde es von Meter zu Meter wärmer. Der typische Geruch nach Gummi, Maschinenöl und Reinigungsmittel quoll von den Bahnsteigen herauf. Kein Mensch konnte in der Stationsbeleuchtung schön erscheinen, Paare erinnerten sich an die Bedeutung der inneren Werte.

„Auf in den Tunnel of Love“, sagte Petra. Zugslärm näherte sich, drei Scheinwerfer tauchten aus dem Tunnel auf, die Garnitur der Linie U3 fuhr polternd in die Station ein, kam zu stehen und die Schiebetüren öffneten sich.

„Lieber in den Tunnel of Love als auf die Road to Oblivion“, sagte Richard und schob Petra vor sich in den Wagen.

Petra war noch im Bad. Richard hatte seinen Polster hochgedrückt und saß mit ausgestreckten Beinen an die Rückenlehne des Doppelbetts gelehnt. Er hatte das Pyjamaoberteil nicht angezogen. Das hieß: Sex? Nach gemessenen zehn Minuten, denn auf das Gefühl konnte sich Richard jetzt nicht verlassen, kam Petra aus dem Bad, in ihrem silbernen Seidenunterkleid mit Spaghettiträgern, und das war nun eine Mitteilung an ihn. Richard gefiel die anmutige Bewegung, mit der sie sich geübt auf das Bett schwang. Obwohl sie ja nicht besonders groß war, setzte sie ihre schlanke Rücken-Hüftpartie mühelos in die Mitte ihrer Matratze. Sie stützte sich auf den Unterarm und drehte sich zu ihm. Er packte ihren Kopf mit einer Hand in ihrem Nacken, beugte sich ihr entgegen und zog ihr Gesicht zu seinem. Sie küssten sich, nicht hart sondern liebevoll. Richard ließ Petras Nacken los und führte seine Hand langsam über ihre Schulter, an ihrer Seite entlang zu ihrem Hüftknochen und von dort auf ihr rundes Gesäß. Einer Petra-Arschbacke unter dem silbernen Negligé konnte Richards Penis auf keinen Fall widerstehen und richtete sich kräftig auf. Weil Richard diesen Umstand Petra nicht gerade verheimlichen wollte, zog er sie mit einem kräftigen Druck auf das Steißbein zu sich. Die beiden befreundeten Hüften von Mann und Frau begannen sich angeregt aneinander zu reiben, während seine Hand den gestickten Saum des Unterkleids gefunden und überschritten hatte und sich von hinten über die Innenseiten ihrer Oberschenkel in Petras Schritt und zu ihrer Klitoris vorarbeitete. Die Sache lief wie am Schnürchen. Sein großes Mädchen war gleich feucht und ihrem Küssen nach zu schließen nicht sehr geduldig. Also entledigte er sich seiner Hose und zog ihr den Seidenfetzen aus. Aus purer Faulheit machte er sich in schlichter Missionarsstellung über sie her, steckte ihr seinen Schwanz in die Fotze und hämmerte los.

Ein munterer nackter Richard war nicht zu verachten, auch nicht in Missionarsstellung, es war geil, wie seine Eier bei jedem Stoß an ihren Beckenboden klimperten. Petra versuchte sich zu entspannen und sich auf seine Brustmuskeln und seine Schultern zu konzentrieren, die schwer arbeiteten. Sie kratzte mit ihren Fingernägeln ein bisschen an ihm herum, aber nicht zu wild, sie war ja ein braves Mädchen. Als sie merkte, dass er bald soweit war, leckte sie die Spitzen ihres rechten Mittel- und Zeigefingers ab, was ihm natürlich nicht entging. Sie umfasste mit beiden Händen seinen Arsch und kitzelte mit ihren feuchten Fingern den Schließmuskel, wie er es ihr einmal beigebracht hatte. Er kam dann gleich.

Richard zog seinen erschlaffenden Schwanz heraus und küsste Petra pflichtschuldig. Sie kletterte aus dem Bett und absolvierte im Bad die zeremonielle Waschung. Sie trank ein Glas Wasser und betrachtete sich im Spiegel. Dann löschte sie der Reihe nach das Licht im Bad, an der Schlafzimmerdecke und auf ihrem Nachtkästchen und zog sich die Decke bis unters Kinn. Richard war bereits beim Einschlafen.

Perfektastraße

In einer der letzten Zeitungen, die noch gedruckt wurden, und die jeden Morgen im Berufsverkehr gratis an den U-Bahn-Stationen in meterhohen Stapeln auflag, hatte Otto vor einigen Monaten einen Artikel über die Einstellung der Wiener Passagiere zu romantischen Abenteuern in öffentlichen Verkehrsmitteln gelesen. Jemand hatte dazu eine Meinungsumfrage durchgeführt. Demnach waren Frauen eher am Abend an Flirts interessiert, Männer eher am Morgen, also am Weg in die Arbeit. Oder war es umgekehrt gewesen. Otto konnte nicht verhindern, dass er seither immer wieder daran denken musste, wenn er den Blick durch einen U-Bahn-Wagen streifen ließ. Auch heute Abend schienen ihm die Leute eigentlich zu müde zum Flirten, erst recht die wenigen, die nach dem großen Umsteigebahnhof Wien Meidling-Philadelphiabrücke im Zug geblieben waren und so wie Otto weiter Richtung Süden zu den Wohnanlagen und Park & Ride-Garagen am Stadtrand unterwegs waren.

Der Zug wurde langsamer, das Fahrgeräusch klang niedertouriger, und Otto ging die paar Schritte zur Schiebetür. Draußen eilten er und eine Handvoll anderer Passagiere rasch zum Stiegenaufgang am hinteren Bahnsteigende. Da die Station oberirdisch lag, verwendeten hier nur ältere Menschen oder Eltern mit Kleinkindern den Lift. Für den Fußweg von der Station zu seiner Wohnung brauchte Otto nur vier Minuten. Er und Charlotte hatten aus einer Laune heraus vor zwei Jahren ein modernes Reihenhaus gekauft, das nur durch einen breiten Grünstreifen von der U-Bahn-Trasse getrennt war. Dafür hatten sie Südlage und die Fenster isolierten gut. Otto umrundete die Reihenhauszeile und gelangte so zum Hauseingang. Er schob mühevoll alle Einkaufstaschen in die linke Hand, suchte mit der Rechten in der Jackentasche den Schlüssel und ließ sich ins Haus. Er betätigte den Lichtschalter. Charlotte war in einer halben Stunde zu erwarten, Zeit genug, um eine einfache Pasta und einen Salat fertig zu machen.

„Da wir denn ungestört hier allein sind“, sagte Otto über seinem zweiten Teller Nudeln zu Charlotte, „und ganz ruhigen heiteren Sinnes, so muss ich dir gestehen, dass ich schon einige Zeit etwas auf dem Herzen habe, was ich dir vertrauen muss und möchte, und nicht dazu kommen kann.“

Charlotte nickte. „Wenn du deine Energie kulinarisch verwerten könntest, statt dich beim Kochen zu langweilen und zum hundertsten Mal deine Wahlverwandtschaften zu lesen, dann hätte ich auch was davon. Aber bitte, lass dich nicht aus dem Konzept bringen.“

„Nicht schlecht“, sagte Otto, „meinen Lieblingsklassiker erkennst du einwandfrei. Ich kann dir aber leider keinen reschen Hauptmann anbieten sondern dich nur mit einer neuen hypochondrischen Episode belästigen. Im Ernst, ich mache mir wieder Sorgen um mein Herz. Wenn ich längere Zeit sitze, habe ich oft das Gefühl, dass es sehr unregelmäßig schlägt und zwischendurch plötzlich sehr stark, dann wieder schwach. Ich weiß, es klingt idiotisch. Wohl fühle ich mich aber nicht. Die andere Sache ist die mit dem Tumormarker. Ich sollte ihn wieder messen lassen.“

„Das hast du doch erst vor Kurzem gemacht.“

„Es ist schon über ein Jahr her, ungefähr eineinhalb. Alle zwei Jahre sollte ich eine Kontrolle machen, hat der Arzt empfohlen, aber bei meiner familiären Vorgeschichte ist es sicher nicht völlig verrückt, nach achtzehn Monaten schon unruhig zu werden. Es irritiert mich einfach.“

Charlotte sagte eine Weile nichts. „Ich wollte es dir nicht sagen, aber jetzt, wo du es ansprichst. Du schaust auch nicht gesund aus. Und das schon seit dem Herbst.“

„Wieso, blass bin ich wahrscheinlich, aber findest du wirklich, dass ich krank aussehe?“

Sie blickte ihm prüfend ins Gesicht und empfand einen starken Abscheu. „Ja, ich kann nicht genau sagen warum. Deine Augen wirken geschwollen, trotzdem hast du Ringe unter den Augen. Deine Haut ist schlecht, auch aufgedunsen. Es passt schon zu einer Herzschwäche. Die genetische Krebsneigung wabert als ein unbestimmter Schleier über dem Ganzen. Du solltest dich wirklich wieder testen lassen. Es könnte Herzkrebs sein, du Arsch.“

„Danke, ganz allerliebst, das Fräulein“, sagte Otto, „du siehst übrigens auch beschissen aus, wenn du deinen Ich-binso-cool-und-abgefuckt-Blick aufsetzt.“

„Oh Gott, jetzt fühle ich mich schrecklich, mein Mann findet mich nicht mehr attraktiv“, sagte Charlotte. „Nach außen lasse ich zwar immer die emanzipierte Frau raushängen, aber wenn mein Mann sich nicht mehr zu mir hingezogen fühlt wie früher, oder wenn ich mit ansehen muss, wie er jeder unter fünfundzwanzig nachgafft, dann gibt es mir einen Stich, der schrecklich weh tut. Dann weine ich heimlich in meinem Zimmer bis mir die Kleenex ausgehen.“

„Und, wie war dein Tag?“, sagte Otto.

„Am Vormittag tippte die Tippse eine Rezension, in der Redaktionssitzung erfuhr sie, dass der Platz nur für ein Drittel davon ausreichen würde, am frühen Nachmittag kürzte die Tippse den Artikel zu einer schülerhaften Inhaltsangabe, später besuchte das oberflächliche Partygirl eine Eröffnung, danach fuhr sie zu ihrem reifen und bewundernswerten Verlobten nach Hause und versuchte ihn durch aufmerksames Zuhören und interessierte Fragen zu entspannen und nach seiner anstrengenden Arbeit in gute Stimmung zu versetzen“, sagte Charlotte.

Beide schwiegen. Herzkrebs. Otto fühlte sich müde. Charlotte fragte, ob sie auch ein Arsch sei.

„Wahrscheinlich, allerdings ist das nicht der schlechteste Teil von dir“, sagte Otto geistesabwesend.

„Keine Lust“, sagte Charlotte. Er war fast infantil heute, oder sie nur überreizt? „Ich will nicht immer alles kaputtmachen, aber ich bin eine erwachsene Frau mit hohen Ansprüchen. Ist es möglich mit dir einen Abend zu verbringen, an dem sich nicht alles um deine Hypochondrie oder deine Absicht, mich in den Arsch zu ficken, dreht? Wenn ja, würde mich das aufrichtig freuen. Wenn nein, dann esse ich jetzt meinen Salat und verdrücke mich hinter meinen Computer, ist das in Ordnung?“

„Deine Ansprüche sind wirklich hoch“, sagte Otto. „Geradezu schnöselig, würde ich sagen. Und ich habe keine Lust auf eine dauernde Prüfungssituation, in der das Hohe Gericht jedes Wort, das ich sage, auf Schuldfähigkeit untersucht.“

Sie starrten sich an. Charlotte schob ihr Besteck säuberlich am Teller zusammen. Otto kam ihr zuvor und sprang als Erster auf. „Bis später“, warf er über die Schulter zurück, während er bereits auf dem Weg ins Vorzimmer war.

Der Winter war ein willkommener Feind. Otto hastete zurück zur U-Bahn, an dem sogenannten Park vor den Reihenhäusern vorbei, der nicht mehr war als ein von den Hunden zugeschissener Rasenstreifen. Die Zugtüren öffneten sich. Rohrpost bitte einsteigen, Türen schließen selbsttätig. Der Waggon war fast leer, Otto ließ sich in Fahrtrichtung auf einen Fenstersitz fallen. Er öffnete den Reißverschluss seiner Winterjacke, diese Fahrt würde länger dauern. Noch vor der Station Philadelphiabrücke fuhr der Zug in den Tunnel und das Fahrtgeräusch änderte sich. Das Rattern der Räder auf den eisigen Schienen hallte an den engen Tunnelwänden wider. Irgendein Wahnsinniger hatte das schmale Kippfenster über der Vierer-Sitzgruppe, in der Otto saß, geöffnet, so dass die kalte Tunnelluft in sein Gesicht und seinen Nacken fuhr. Er hob den Arm und drückte das Fenster mit Gewalt zu. Der Knall des zuschnappenden Fensters war stärker als Ottos Kraftaufwand, aber er passte gut zu seiner Stimmung. Über die Jahre hatte er eine gutbürgerliche Sucht nach der verbohrten Wut entwickelt, die er jetzt empfand. Die Wut kündigte sich einige Sekunden vor ihrem Ausbruch an, lähmte ihn in freudiger Erwartung, bis sie in seinem Kopf explodierte. Otto stellte sich vor, wie die Nervenenden in seinem Gehirn von einem heimtückischen Neurotransmitter überschwemmt wurden und wie wild feuerten. Der Zug ritt über die Geleise und schüttelte Ottos Schultern, bis zur nächsten Station, die von einem langgezogenen Bremsvorgang angekündigt wurde. Am Rand seines Bewusstseins nahm er spärlich beleuchtete Bahnsteige wahr, winterlich vermummte Passagiere stiegen ein und aus, Werbetafeln wiesen auf Sprachschulen und Second-Hand-Shops in der Nähe hin. Dann schlugen die Schiebetüren zusammen, der Zug beschleunigte und der Fahrtlärm steigerte sich krächzend, bis für wenige Sekunden wieder die Normalgeschwindigkeit erreicht wurde. So wie hunderttausende andere Wiener Angestellte besaß Otto die Jahreskarte der Wiener Verkehrsbetriebe. Wenn er wollte, könnte er seine gesamte Freizeit im U-Bahn-Netz verbringen, aber das wäre wohl übertrieben. Ein, zwei Stunden Fahrbetrieb in seiner Modelleisenbahn würden heute wahrscheinlich ausreichen, um die Wut zunächst durch mechanisches Rütteln zu ihrer reinsten Form gerinnen zu lassen wie die bunten Steinchen in einem Kaleidoskop, und dann abzuwarten, während sie erkaltete, bis er schließlich müde genug wäre, um sich aus diesem Schauspiel zu verabschieden. Es ist einfach traurig, dachte er, dass ihre Bindekraft immer weiter abnimmt, dass sie mir zwischen den Fingern zerrinnt mit der Zeit. Ich liebe sie wahrscheinlich noch, aber etwas zwischen uns löst sich ganz langsam auf. Oder man könnte sagen, es nützt sich ab, der gute Wille in dieser Beziehung wird allmählich aufgebraucht und am Ende bleiben nur nüchterne Vertrautheit und schlechte Gewohnheiten. Dabei ist sie doch der richtige Mensch für mich gewesen und wahrscheinlich stimmt es, dass wir uns damals in Kassel und dann zurück in Wien gegenseitig gerettet haben. Aber was heißt das, das ganze Wortgeklingel, wenn die leichtesten Übungen des Zusammenlebens nicht gelingen. Dafür fehlt aber wieder der gute Wille bei ihr. Ich habe jede Menge guten Willen aber nicht mehr jede Menge Geduld. Es ist ja nicht so, dass es so viel Neues zu bedenken gibt, wie in „er zog sich für zwei Monate in die Einsamkeit zurück und gelangte zu einer neuen Erkenntnis“, nein, erkannt habe ich noch nie etwas in der Wut, dafür ist sie nicht geeignet, es ist mehr eine Kilometerfresserwut.

Die Stationen liefen an Otto vorüber, teilnahmslos blickte er nach dem Überqueren der Donau zum Floridotower hinüber. An der Endstation blieb er einfach sitzen und wartete, bis die Garnitur fünf Minuten später in der entgegengesetzten Richtung wieder losfuhr. Eine halbe Stunde war vergangen, seit er fast am anderen Ende der Strecke der Linie U6 eingestiegen war, und gelangweilt musste sich Otto eingestehen, dass die Wut den Punkt ihrer größten Ausdehnung überschritten hatte. Das Wutuniversum hatte den Umkehrpunkt passiert und musste nun unabwendbar kollabieren, auch wenn es noch Milliarden Jahre dauern würde, bis wieder annähernd die Materiedichte und Hitze für einen neuen Anfang zustande kommen konnten. Derzeit war das Universum kalt und leer. So kam es, dass Otto die abstoßende Unterschichtfrau betrachtete, die in der Dresdner Straße am Bahnsteig stand und sich zum Einsteigen bereitmachte. Sie musste fünfzig, fünfundfünfzig Jahr alt sein. Sie trug schwarze Lederkleidung – Herbst-Winterjacke und eine Lederhose – und absatzlose Stiefel. Die Haare hatte sie blond gefärbt und hinter dem Kopf zu einem Knoten hochgesteckt. Man konnte nicht sagen, dass ihre Körperhaltung gut war, aber es war etwas Auffälliges daran: Die Frau ruhte. Die Bewegungen, die sie machen würde, um den Wagen zu betreten, waren ihr noch nicht anzusehen, sie bereitete sich nicht darauf vor. Sie ruhte unbewegt, und ob sie noch einen Augenblick oder einige Stunden zu warten hatte, würde an dieser Haltung nichts ändern.

Doch es war ja schon so weit. Der Zug kam zu stehen. Sie machte einige Schritte zur Tür, betätigte die Türöffner-Taste. Sie betrat den Wagen und setzte sich schräg gegenüber von Otto, in der freien Sitzgruppe auf der anderen Seite des Mittelganges. Otto war traurig über das Wort Unterschichtfrau. Es hatte in ihm aufgeleuchtet wie ein rotes Lämpchen. Als lebte man in einem Kastensystem, in einer Klassengesellschaft. Was war er dann, ein Bürgerlicher? Er? Was trennte ihn von dieser Frau? Die Kleidung, der Haarschnitt? Welche Bedeutung hatte so etwas, solche Oberflächlichkeiten. Ein anderer Lebenslauf: Es hatte in der Volksschule angefangen, als sie in Rechnen und Deutsch bereits schlechte Noten bekam. Für ihre Eltern war klar, das Kind geht in die Hauptschule. Dann machte sie eine Lehre, sie hatte andere Freunde als er und so weiter. Was war das hier, das 19. Jahrhundert? Eine Gesellschaft im Abstieg, in letzten Zuckungen der Dekadenz? Was hielt ihn auf? Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Otto blickte zu ihr hinüber. Älter war sie auch, beträchtlich älter. Nichts trennt bequemer als ein großer Altersunterschied. Er muss gestarrt haben, denn sie dreht den Kopf und schaut in seine Richtung. Er sieht schnell weg. Dann sieht er wieder hin. Seine Mutter könnte sie nicht sein. Die Prostituierte, zu der Winston in 1984 geht, ihr zahnloses Lachen, als sie schließlich das Licht einschaltet. Sie sagt: „Was ist denn los? Haben Sie nichts Besseres zu tun als mich anzustarren?“

„Entschuldigen Sie.“

„Also? Warum starren Sie mich an?“

„Ich hab’ es nicht bemerkt.“

„Trotzdem starren Sie mich an. Finden Sie das normal?“

Otto überlegt. „Schauen Sie, ich bin müde. Entschuldigen Sie.“

„Schlechten Tag gehabt? Ärger mit Ihrer Frau?“

„Ha, na ja, OK. War wirklich nicht der beste Tag.“

„Und deswegen starren Sie, oder was. Glauben Sie, mein Tag war so gut?“

„Tut mir leid, wenn er es nicht war.“

„Ja, das sagen Sie so. Aber meinen tun Sie es nicht.“

Otto sagt nichts. Wird sie aufhören, wenn er nicht mehr antwortet? Sie sieht noch einige Sekunden zu ihm herüber, schüttelt dann verächtlich den Kopf. Die Frau sieht bei ihrem Fenster hinaus.

„Ich nehme mir die Freiheit, Sie auch zu stören“, sagt sie, steht auf und kommt zu seiner Sitzgruppe, setzt sich ihm gegenüber hin. „Jetzt sind wir quitt.“

Otto sieht sie an. „Warum war Ihr Tag nicht gut?“

„Was glauben Sie denn?“

„Ärger im Job?“

Sie lacht. „So schwer war das nicht. Und jetzt?“

„Jetzt sind Sie unterwegs nach Hause zu Ihrem Mann. Kinder haben Sie auch. Vielleicht schon erwachsen, oder wohnen sie noch bei Ihnen. Vielleicht das jüngste, die anderen sind schon ausgezogen.“

„Kleine Kinder trauen Sie mir also nicht zu“, sagt sie. „Recht haben Sie, ich bin eine alte Schachtel. In dem Punkt sind Sie mit meinem Mann einig. Aber ich altere in Würde. Streiten Sie das ab? Das ist unhöflich.“

„Gar so jung bin ich auch nicht“, sagt Otto.

„Oha, Midlife-Crisis? Dafür sind Sie aber nicht alt genug. Was ist los, Ihre Freundin will ein Kind und Sie trauen sich nicht? Oder Sie sind zu feig zu heiraten? Oder Sie können sich nicht zwischen all Ihren Freundinnen entscheiden?“ Sie lacht wieder.

„Naja“, sagt Otto, „es ist ja schön, dass Sie meine Situation nicht ernst nehmen und ich Ihre nicht. Aber dann sollten Sie sich eigentlich wieder auf Ihren alten Platz zurücksetzen, denn dann ist es sinnlos miteinander zu reden. Ich verstehe ohnehin nicht genau, warum Sie mich jetzt angesprochen haben.“

„Ich habe Sie nicht angesprochen, Sie haben mich angestarrt, schon vergessen? Genau zwei Menschen sitzen in dem ganzen Waggon, und Sie starren mich an. Und dann soll ich Sie angesprochen haben?“

„Ich versteh’ schon was Sie meinen. Aber ich glaube, Sie nehmen das zu persönlich. Das ist eben eine Folge, wenn man in einer Stadt lebt. Ich bin den ganzen Tag von Menschen umgeben, ich schaue sie an, sie schauen mich an. Ich bin ein soziales Tier und auch neugierig. Aber heißt das, dass ich mit den Leuten mein Leben diskutieren will? Oder finden Sie, dass ich die Pflicht habe, mit Ihnen über mein Leben zu sprechen?“, fragte Otto.

„Ach, tun Sie nicht so großspurig. Wer hat denn was von Pflicht gesagt. Wo fahren Sie eigentlich hin?“

„Geht Sie zwar nichts an, aber ich fahre tatsächlich einfach nur hin und her, von Endstation zu Endstation und wieder zurück.“

„Ein Pendler sind Sie also“, sagt sie und lacht vergnügt. „Das muss Ihnen nicht peinlich sein, das kommt in den besten Familien vor. Ich mach’ das auch manchmal, wenn ich keine Lust habe, nachhause zu kommen.“

„Um genau zu sein, war ich dort heute schon“, sagt Otto. „Und meine Freundin will zwar meines Wissens kein Kind, aber wir können uns derzeit nur schwer ertragen gegenseitig.“

Mit einer kleinen Kopfbewegung wirft sie ihre Föhnlocken zurück. „Das interessiert mich nicht sehr. Was ist Ihre Lieblingsfarbe?“

Otto überlegt, wie er den Fragen entkommen kann und warum er das sicherlich sollte, aber es fällt ihm nichts ein. „Blau.“

„Jetzt vermuten Sie wahrscheinlich, dass ich Sie als Nächstes nach Ihrem Sternzeichen frage, aber da irren Sie sich. Ich wollte Sie nur ärgern. Esoterik interessiert mich, aber meine Esoterik endet da, wo die heilige Ruhe der Männer anfängt, also fürchten Sie sich nicht.“

„Danke“, sagt Otto matt. „Wie geht es Ihrem Mann? Wie steht es in Ihrer Ehe?“

„Wissen Sie, wie lang ich schon verheiratet bin?“, fragt sie. Nein, versucht Otto einen bedauernden Gesichtsausdruck. „Zweiundzwanzig Jahre. Ich liebe ihn sehr und hasse ihn noch mehr. Wenn sie mich so direkt fragen.“

„Warum sind Sie noch zusammen?“, fragt Otto.

„Zu wenig Einfallsreichtum. Zu viel Gemütlichkeit. Zu wenig Selbstvertrauen. Zu viel Faulheit. Zu wenig Geld. Zu viel Angst.“

„Das gefällt mir“, sagt Otto, „ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wir steigen in der Längenfeldgasse in die U4 um und machen einen kurzen Abstecher zum Karlsplatz, ich lade Sie auf einen Kaffee ein.“

„Das ist reizend von Ihnen“, sagt sie. „Ich nehme an Sie haben dort Ihren persönlichen Pendlerstützpunkt.“

Es wird dann aber kein Kaffee daraus sondern Fast Food, auf zwei roten Plastiktabletts von McDonalds beiläufig angehäuft. Der Pendlerstützpunkt wird zum ersten Mal in Anspruch genommen, denn bisher hat er nur als Möglichkeit in Ottos Kopf existiert: An einer Gabelung in der U-Bahn-Passage Karlsplatz/Oper sitzen Otto und seine neue Bekanntschaft leicht erhöht hinter einer großen Glasscheibe und blicken auf vorbeieilende Passanten und auf die kleinen Gruppen von Drogensüchtigen, die miteinander plaudern und Handel treiben. In dem Kunstlicht des Fast Food Restaurants ist jede Erinnerung an die Außenwelt verboten, Tageszeit und Jahreszeit spielen für die Patienten dieser Tröstungsanstalt keine Rolle mehr. Sie hat ihr Tablett abgestellt und ihre Jacke und Handtasche umständlich über die Rückenlehne ihres Stuhls gehängt. In einem groben karamellfarbenen Strickpullover sitzt sie Otto gegenüber und isst gelegentlich einzelne Pommes Frites, den Burger hat sie noch nicht angerührt.

„Warum bringen Sie mich hierher? Glauben Sie, dass Sie sich mit mir nur beim Fast Food sehen lassen können?“

„Nein“, sagt Otto. „Das ist ein Ort für meinen Kopf, oder aus meinem Kopf. Ich weiß nicht, ob ich das erklären kann. Ich glaube, dass ich mich an so einem Ort gut entspannen könnte. Aber mehr als eine Hoffnung ist das nicht. Ich war ja noch nie hier. Oft, wenn ich vorbeigegangen bin, habe ich gedacht, dass ich irgendwann hinter dieser Glasscheibe sitzen und den Menschen zusehen werde, die draußen vorbeigehen.“

Sie sieht durch die Scheibe und sie widmen sich ihrem Essen. „Aber warum wollten Sie mich dabei haben, bei Ihrem Durch-die-Scheibe-Schauen? Es macht mir nichts aus, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber mir kommt vor, dass Sie eher der Typ schweigsamer Einzelgänger sind, und was bin ich dann? Eine Schaufensterdekoration, oder was?“

„Es ist wirklich nett von Ihnen, dass Sie mitgekommen sind. Ich wollte einfach mit Ihnen gemeinsam hierher kommen, das ist mir spontan eingefallen vorhin, dann habe ich Sie gleich gefragt.“ Er sieht ihr in die Augen. „Manchmal trifft man einen Menschen ohne bestimmten Zusammenhang mit dem eigenen Leben und hat dann plötzlich eine Idee, die vorher immer nur unreif im Kopf versteckt war. Mir zumindest geht es so.“

„Ich glaube, Sie sind ein Tagträumer. Womit ich nichts Schlechtes über Sie sagen will. Nur die Sache, warum Sie so viel träumen? Finden Sie es bequemer zu träumen, als wirklich Dinge zu tun? Zum Beispiel mit mir? Sie laden mich ein mit Ihnen zu gehen, ich sage ja und Sie bringen mich hierher, um andere Menschen zu beobachten? Und dann? Was kommt als Nächstes?“

Otto sieht durch die Scheibe. „Was kommt als Nächstes? Na, ich würde sagen, jetzt sind Sie dran. Was schlagen Sie vor?“

Sie lacht. „Sehr zuvorkommend von Ihnen. Ich weiß ja nicht, was Ihnen so vorschwebt. Ein billiges Hotel, so ganz im Stil Ihres Fast Food Restaurants? Da würde ich aber nein sagen, nur dass Sie es wissen. Allerdings wenn Sie… wenn Sie mich einladen, für eine Woche in den Süden zu fahren, nach Gran Canaria oder Lanzarote. Ohne noch einmal nach Hause zu fahren vorher. Ich glaube hier in der Nähe gibt es ein Last Minute Reisebüro. Wenn es noch heute einen Flug gibt und ein Dreisternehotel direkt an einem Sandstrand. Da würde ich vielleicht ja sagen. Aber ich glaub’ nicht, dass Sie mich das fragen werden.“

„Oder nach Indien“, sagt Otto. „Und dort ein Motorrad kaufen und kreuz und quer über den Subkontinent fahren.“

„Staubig“, sagt sie.

„Ja.“

Erlaaer Straße

Am nächsten Morgen saßen Otto und Charlotte auf den Barhockern in ihrer offenen Küche und frühstückten. Otto hatte Spiegeleier und Toast gemacht, dazu gab es Lifestyle-Espresso aus der Schweiz und Premium-Orangensaft, der laut Herstellerangaben den Weg vom sizilianischen Produzenten bis nach Wien ohne Unterbrechung der Kühlkette hinter sich gebracht hatte. Charlotte ließ sich von Otto an den Ohrläppchen zupfen. Schon beim Schichtwechsel unter der Dusche hatten sie sich geküsst und Charlotte fühlte sich ausgeschlafen und überraschend tatkräftig. Die Februarsonne schickte bereits einen schmalen Sonnenkegel durch das große Wohnzimmerfenster. Auch das unterstützte hilfreich die optimistische Atmosphäre dieser partnerschaftlichen Mahlzeit. Beide Partner schätzten solche gemeinsamen Frühstücke als einen besonders erfreulichen Tagesabschnitt und Charlotte war froh, dass ihre Arbeitszeiten und Aufstehgewohnheiten dafür gut genug zusammenpassten.

„Heute wird ein ganz ordentlicher Tag“, sagte Charlotte, während sie auf ihrem Mobiltelefon mit schnellen Fingerbewegungen durch ihren Terminkalender und die E-Mail-Inbox wischte. „Telefonieren wir dann am Nachmittag und schauen wir, ob wir am Abend etwas machen, ja?“

Otto sammelte Teller und Besteck zusammen, wischte ein paar Brösel weg und startete den Geschirrspüler. „Ich liebe dich“, sagte er, küsste Charlotte in den Nacken und machte sich auf den Weg. Sie hatte noch etwas Zeit und würde das Haus nach ihm verlassen.

In der Längenfeldgasse stieg eine Mutter mit Kinderwagen und einem etwa dreijährigen Kind in Ottos Waggon ein. Die Mutter