Der Autor

Martin Sernko – Foto © privat

MARTIN SERNKO lebt mit Frau, Sohn und Katze in Graz. Wenn er einmal eine Auszeit von seiner Arbeit als Kommunikationsexperte braucht, fährt er gern an den Wörthersee, wo er sich bei gutem Essen und einem kühlen Getränk von der Krimi-Muse küssen lässt.

Das Buch

Andere wären für die von ihm begangene Straftat verurteilt worden, doch Karl Kogler, ehemaliger Chefinspektor und Leiter der Dienststelle Velden am Wörthersee, wurde nicht ins Gefängnis geschickt, sondern in den vorzeitigen Ruhestand. Was passiert ist? Kogler ist im Café Benny in Krumpendorf eingebrochen und wurde dabei von seinen eigenen Kollegen erwischt. Dumm gelaufen, aber immerhin hat er nun reichlich Zeit für seine Hobbys: Essen gehen, Pilze sammeln, Origami falten.
Schon bald ist jedoch Schluss mit Müßiggang: Klaus Pechhofer, der Leiter vom Tourismusverband, wird im Restaurant Seeblick vergiftet. Die Polizei ist überfordert. Noch bevor die Ermittlungen Fahrt aufnehmen, schlägt der Mörder wieder zu. Und Kogler wittert eine Chance, endlich seinen Ruf wieder herzustellen …

Martin Sernko

Der Tod kennt keinen Ruhestand

Karl Kogler ermittelt am Wörthersee

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Juni 2020
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020
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Titelabbildung: © FinePic®, München
Autorenfoto: privat
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ISBN 978-3-8437-2229-2

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Widmung

Für meine wunderbare Ehefrau Tina,
die wahre Krimiexpertin von uns beiden.

Prolog

»Das kann doch wohl nicht wahr sein!« Kogler fluchte in sich hinein. Leise natürlich. Erste Regel bei einem Einbruch: Stille. Absolute Stille. Er richtete seine Taschenlampe ein weiteres Mal auf den Tresor. Mit allem hatte Kogler gerechnet, aber damit ganz sicher nicht. Der stählerne Gigant schien ihn auszulachen. Wie hatte der schmächtige Benjamin den riesigen Sicherheitsschrank überhaupt hier hineinbekommen, in den Hinterraum vom Café Benny? Kogler biss sich auf die Lippe. Nun gut, egal. Das war jetzt nicht sein Hauptproblem. Er sollte sich lieber auf die Schlösser … Kogler beugte sich nach vorne und leuchtete jedes einzelne von ihnen noch einmal gründlich ab.

Er dachte angestrengt nach. Oben und unten brauchte es Bartschlüssel. Verschiedene, wohlbemerkt. Und in der Mitte? Ein kompliziertes Doppelbartschloss. »Gott verdammt!«, flüsterte Kogler. Er warf einen Blick auf das Dietrichset, das neben ihm am Boden lag. Welchen sollte er nehmen? Gut, den Spanner würde er auf jeden Fall brauchen. Aber dazu? Den Schneemann? Die Schlange? Den Six Mountain? Er wusste es nicht. Kogler wusste gar nichts mehr. Schon für die Eingangstür hatte er ewig gebraucht, sicherlich fünf Minuten. Gar nicht gut. Denn die zweite Regel bei einem Einbruch lautete: so schnell wie möglich. Hatte aber nicht geklappt. Kogler war wohl eingerostet. Kein Wunder, wann hatte er auch das letzte Mal ein Schloss geknackt? Fast vierzig Jahre war das inzwischen her, seine Zeit beim Schlüsseldienst.

Langsam, aber sicher lief Kogler die Zeit davon. Er überlegte. So oder so, er würde den Tresor zusätzlich aufbohren müssen. Daran führte kein Weg vorbei, nicht einmal ein Trampelpfad. Und dann waren ja auch noch alle drei Schlösser zu knacken, eines nach dem anderen. Keine Chance. Das würde viel zu lange dauern. Das konnte er vergessen.

Kogler atmete mehrmals tief durch und verfluchte ein weiteres Mal den Tresor im Allgemeinen und den Benjamin im Besonderen. Es war sinnlos. Er musste sein Vorhaben abbrechen.

Hastig beförderte Kogler Hammer und Meißel, den Bohrer und das Dietrichset zurück in seine Reisetasche. Er zog den Reißverschluss zu und schaltete seine Taschenlampe aus. Einbruchregel Nummer drei: kein Licht. Kogler nahm seine Tasche und schlich vorsichtig zum Eingang des Cafés. Er richtete sich umständlich die schwarze Haube und öffnete die Tür.

Das grelle Licht der Taschenlampe, die der Mann auf ihn richtete, nahm Kogler die Sicht. Er kniff die Augen zusammen. Dann erkannte er ihn. Und die Pistole, die er in seiner anderen Hand hielt.

»Ist schon gut, Fritz. Ich bin unbewaffnet!«, rief Kogler. Er ließ die Tasche fallen, kniete sich hin und verschränkte seine Hände hinter dem Kopf. Vorsichtig kam der Revierinspektor näher. Schritt für Schritt.

»Scheiße! Karl? Was in aller Welt …«, stieß der Fritz Ganzbach hervor. Er blieb stehen und schrie: »Holub, kommen Sie her! Sofort! Ich hab ihn!«

Von der Ecke des Cafés eilte ein weiterer Polizist herbei. Kogler kannte ihn nicht, war wohl erst seit Kurzem dabei. Der junge Inspektor hatte bis jetzt anscheinend den Hintereingang und die Fenster vom Café Benny beobachtet. Außensicherung. In Sichtweite zum Kollegen. Vorbildlich. Wie aus dem Lehrbuch.

»Ja, leck mich!«, entfuhr es dem herbeigeeilten Paul Holub »Das ist doch der …«

Sein Vorgesetzter nickte. »Ja, Holub, Sie sehen leider richtig. Das ist kein gewöhnlicher Einbrecher.« Er setzte eine kurze Pause und schüttelte den Kopf. »Das ist Chefinspektor Karl Kogler, Leiter der Polizeidienststelle Velden.«

1.

Ein knappes Jahr später …

»Guten Morgen!«

Der Matthias Madritsch grunzte und drehte sich zur Seite. Er hatte einen Mordsschädel. In seinen Schläfen hämmerte es wie auf einer Baustelle. Er hätte es gestern Abend beim Wein belassen sollen. Der verfluchte Wodka, dieses russische Teufelszeug, hatte ihm wieder mal den Rest gegeben.

»Aufstehn, Herr Hoteldirektor!«

Mühsam öffnete der Matthias Madritsch seine Augen. Schemenhaft erkannte er eine schwarze Gestalt, die sich über ihn beugte. Wer in aller Welt war das? Die Putzfrau? Was war heute überhaupt für ein Tag? Samstag? Ja, Samstag, Wochenende also. Aber da hatte die Ivana doch frei?! Adrenalin schoss durch seinen Körper. Schlagartig war er hellwach.

»Was zum Teufel …« Der Matthias Madritsch tastete auf dem Nachttisch nach seiner Brille und schob sie mit zittrigen Fingern auf den Nasenrücken. Langsam nahm die Gestalt im Regenmantel Kontur an.

»Du?!«

»Die Verandatür stand offen. Ich war so frei.«

»Die Verandatür?«

Ein kurzes Blitzen.

Ein leichter Luftzug.

Glänzender Stahl.

Um Gottes willen! Der Matthias Madritsch richtete sich im Bett auf und hob schützend seine Arme. Zu spät. Ein kurzes Knacken. Die Klinge des riesigen Küchenmessers bohrte sich tief in seinen Brustkorb.

»Bist wahnsinnig?!«, schrie er. Die Wucht des Hiebs hatte ihn zurück ins Bett geworfen. Ein dumpfer Schmerz jagte durch seine Brust. Verzweifelt versuchte er, das Messer aus seinem Körper zu ziehen, doch das war keine gute Idee. Sein weißer Seidenpyjama färbte sich in Sekundenschnelle dunkelrot.

»Mit schönen Grüßen vom blauen Wolf!«

»Blauer Wolf? Hast jetzt endgültig den Verstand verloren?« Der Matthias Madritsch stöhnte laut auf. »Warum?«, röchelte er. »Warum?!« Blut füllte sich in seinem Rachen.

Mit letzter Kraft versuchte der Hoteldirektor, seinen Mörder mit der Hand zu fassen. Der lachte nur, stand auf, zog ein Stück Papier unter seinem Mantel hervor und legte es auf das Nachtkästchen. Dann ging er zur Tür.

»Wünsch dir noch viel Spaß beim Verrecken!«

Der Madritsche Matthias starrte ihm hinterher. Sein Körper begann zu zucken. Er versuchte, um Hilfe zu schreien, aber kein Ton verließ seinen Mund. Langsam wurde es dunkel. Die Welt um ihn herum versank in einem tiefen Schwarz. Poch … poch … – … – … Der Matthias Madritsch spürte, wie sein Herz zu schlagen aufhörte. Dafür sprang der Radiowecker an: 6:30 Uhr, Chubby Checker sang »Oh baby baby balla balla«, fröhlich wie eh und je. Fürwahr, dachte sich der Matthias Madritsch, als er seinen letzten Atemzug machte, Humor hat er ja, der Tod. Wirklich, das musste man ihm lassen.

2.

»Na, warst erfolgreich?«, schallte es aus der Küche. Kogler wuchtete seine Ausbeute auf die Theke. »Schau selbst nach«, schnaufte er und setzte sich vorsichtig auf einen der Barhocker. Er misstraute den alten, wackeligen Stühlen. Oder seinem Gewicht – wie man es nahm. Denn inzwischen wog Kogler schon stolze 110 Kilo. Neuer Rekord. Leider.

Der Sepp eilte an die Bar und rieb sich die Hände. Hastig zog er den Reißverschluss der Reisetasche auf. Er warf einen Blick hinein und hob seine Augenbrauen.

»Wow! Sind das etwa …?«, fragte er und steckte seinen Kopf in die Tasche. Wie ein Trüffelschwein beschnupperte er die Pilze.

Kogler fuhr sich lächelnd durch seinen Vollbart. Jaja, da schaute er, der Sepp. Damit hatte sein ältester und bester Freund sicher nicht gerechnet. Im Leben nicht.

»Natürlich, so wie bestellt.«

»Wahnsinn! Wie viel ist das?«

»Zwei Kilo, so wie’s das Gesetz erlaubt.«

»Ja sicher! Du alter Scherzbold!« Der Sepp hob die Tasche prüfend hoch. »Das sind doch mindestens sieben, wenn nicht mehr.«

Kogler zündete sich eine Zigarette an und zwinkerte ihm zu. »Na, wenn du das sagst, dann hab ich mich wohl ein wenig verschätzt.« Er nahm einen tiefen Zug und begutachtete seinen Fund. Ja, jetzt war die beste Zeit, um Herbsttrompeten zu sammeln. Nicht umsonst nannte man sie im Volksmund auch Totentrompeten. Weil sie den November einläuteten. Den Totenmonat. Zu dieser Zeit schossen sie regelrecht aus dem Boden. So sagte man zumindest. Nachdenklich drehte Kogler seine Zigarette zwischen den Fingern hin und her. Bald war es so weit: das erste Allerheiligen und Allerseelen, an dem er die Hanna, seine Frau, besuchen würde. Die hatte ihn nämlich vor rund einem halben Jahr verlassen. War an einen besseren Ort gegangen. Aber gut, im Himmel hatte sie wenigstens keine Schmerzen mehr, die Hanna. Da war sich Kogler sicher.

»Diese ganze Pilz- und Schwammerlverordnung ist sowieso kompletter Blödsinn.« Der Sepp schüttelte den Kopf. So heftig, dass sein schütteres blondes Haar aufwirbelte. »Ich mein, was soll das? Sammeln nur von Mitte Juni bis Ende September, zwischen 7:00 und 18:00 Uhr, maximal zwei Kilo am Tag.«

Kogler verließ in seinen Gedanken die Hanna und den Friedhof. War wohl auch besser so. »Du musst wieder anfangen, im Hier und Jetzt zu leben«, sagte ihm die Yvonne immer. Das war seine Tochter. Die machte sich noch immer Sorgen um ihn. Ein wirklich gutes Kind. War im letzten Jahr immer zu ihm gestanden. Ohne Wenn und Aber. Die Sache mit dem Einbruch und der Frühpension hatte sie ihm nie vorgeworfen. Kein einziges Mal. Ganz im Gegensatz zu seinem Schwiegersohn. Der war nämlich hauptberuflich Besserwisser, nebenberuflich Arzt. Kogler seufzte leise und wandte sich wieder dem Sepp zu: »Na ja, ein paar Sorten darfst jetzt schon sammeln: Birkenpilze oder eben Herbsttrompeten.«

»Jaja, schon klar. Aber was soll ich bitte mit Birkenpilzen? Die haben kaum Eigengeschmack, die kannst maximal als Mischpilze benutzen.« Der Sepp runzelte seine Stirn und schob sich seine Brille zurecht.

Kogler nickte zustimmend. Wenn der Sepp das sagte, dann stimmte das sicher, denn wenn der etwas wirklich konnte, dann war es kochen. Nicht umsonst war sein Gasthaus, der Kogelnig Wirt, stets gut besucht. Vor allem die Einheimischen schätzten seine raffinierte, bodenständige Küche. Nur Touristen schauten selten herein. Das lag in erster Linie an der etwas abgeschiedenen Lage. Direkt im Zentrum Veldens oder am See hätte der Sepp sich wahrscheinlich vor Gästen kaum retten können.

»Die Pilze verschimmeln im Wald, weil die Behörden uns mit ihren Vorschriften knebeln. Dafür kannst in den Supermärkten Eierschwammerl aus der Slowakei und Litauen zu astronomischen Preisen kaufen«, schimpfte der Sepp munter weiter, während er einige Herbsttrompeten näher begutachtete. Bedächtig ließ er die schwarzgrauen labbrigen Pilze von der einen in die andere Hand wandern, bevor er sie wieder vorsichtig zu den anderen legte.

»Brauchst die Tasche heut noch zurück?«

Kogler winkte ab.

»Willst was trinken, Karl? Ein Gläschen vom Weißen?«

»Nein, gib mir einfach ein großes Mineralwasser mit Zitrone.« Kogler drückte seine Zigarette aus. »Und einen starken Kaffee, hab die Nacht kaum ein Auge zugetan und lauter Blödsinn geträumt.« Er beobachtete seinen Freund. Auch der Sepp sah müde aus. Nun gut, der hatte es im Moment auch nicht ganz leicht. Seine Tochter, die Maria, war nämlich schwanger. Gut, so was passiert. Keine Frage. Nur dummerweise gab es keinen Vater, denn die Maria war in der Zeugungsnacht stockbetrunken gewesen. September. Wörthersee Reloaded. Golf GTI Nachtreffen. 5.000 Besucher. All die Autonarren hatten ein weiteres Mal so richtig Gummi gegeben. Nur der Hans-Peter, der hatte offensichtlich keinen dabeigehabt. So hatte er nämlich geheißen, der junge Deutsche, mit dem sich die Maria am See vergnügt hatte. Das war’s aber auch schon. An mehr konnte sie sich bis heute nicht erinnern.

»Wie geht’s der Maria eigentlich?«, fragte Kogler den Sepp.

Der verzog seinen Mund und seufzte laut. »Der war heut wieder schlecht. Hat sich den ganzen Tag übergeben. Hab ihr gesagt, sie soll vormittags zu Haus bleiben. Sollt jetzt aber bald kommen.« Der Sepp warf einen Blick auf seine Armbanduhr, schenkte sich ein Glas Wein ein und nahm einen kräftigen Schluck. »Weißt, Karl, ich versteh das Mädl einfach nicht. Warum versucht sie nicht wenigstens, diesen Hans-Peter ausfindig zu machen? Ich mein, sie könnt doch zumindest was in die GTI-Gruppe auf Facebook posten, da wird ja wohl irgendwer diesen Hans-Peter kennen.«

Facebook, ja, das kannte Kogler inzwischen auch. Hatte ihm seine Tochter an seinem letzten Geburtstag erklärt. Da hatte sie ihm auch ein neues Handy geschenkt. Mit Internet. »Damit du auch mal in der Neuzeit ankommst, Papa«, hatte die Yvonne gesagt.

»Was soll sie denn hineinposten? Dass sie einen Hans-Peter sucht, weil sie nach einer versoffenen Nacht schwanger von ihm ist?«

»Nein, red keinen Blödsinn!«, gab sein Freund zurück. »Das muss man natürlich geschickter angehen. Keine Ahnung … dass sie ein Geschenk für ihn hat … so irgendwie. Neugier wecken halt …«

Kogler lachte laut auf. »Dass sie ein Geschenk für ihn hat …« Er schüttelte den Kopf. »Ja, das trifft’s wirklich gut: ein Geschenk …«

Der Sepp kniff seine Augen zusammen und schaute Kogler beleidigt an. »Jaja, mach dich nur lustig«, schmollte er und leerte sein Weinglas in einem Zug. »Wie auch immer«, fuhr er dann fort, »es ist, wie’s ist. Schaun wir jetzt lieber mal, was wir aus deinen Herbsttrompeten zaubern können.« Der Sepp riss ein paar Zettel von seinem Kellnerblock und fischte einen Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche. Das konnte dauern. Wenn er sich Gerichte oder Speisepläne ausdachte, war der Sepp in einer anderen Welt.

Kogler nahm einen großen Schluck von seinem Mineralwasser und lehnte sich entspannt zurück. Ja, beim Pilze- und Schwammerlsuchen machte ihm so schnell keiner was vor. Er wusste einfach, wo er suchen musste. So wie heute im Reifnitzer Wald. Viel wichtiger war aber: Man musste auch wissen, wie. Und das würde Kogler dem Sepp nicht auf die Nase binden. Sicher nicht. Es war nicht so, dass er ein Problem damit gehabt hätte, seine altbewährten Geheimnisse zu teilen. Nein, keineswegs. Kogler hatte schlicht und einfach keine Lust, dass der Sepp sich wieder über ihn lustig machte. »Nichts als Aberglaube«, würde er sagen. »Dass du, als erwachsener Mensch, noch an so einen Blödsinn glaubst.« Kogler trommelte ein paarmal mit den Fingern auf seine Glatze. Sollten die anderen nur reden, er wusste, dass in volkstümlichen Bräuchen und Überlieferungen immer ein wahrer Kern steckte. Hatte ihm die Oma beigebracht. Bei der war er nämlich aufgewachsen. Auf ihrem Bauernhof im Lavanttal. Dass Kogler sein Haus trotz seines Hangs zum Aberglauben mit einem ausgewachsenen schwarzen Kater, dem Blacky, teilte, tat dabei nichts zur Sache. Denn bei Menschen und Tieren ist die Farbe egal. Auch das hatte die Oma ihm erklärt. War eben eine ganz besondere Frau gewesen. Die Oma.

Eigentlich war das mit dem Pilzesammeln ganz einfach, wenn man ein paar Grundregeln befolgte: Man musste krächzen, wenn man den Wald betrat. Wie ein Käuzchen. Warum, wusste Kogler zugegebenermaßen selbst nicht so genau. Wahrscheinlich, um die guten Waldgeister zu wecken. Der zweite Schritt zum Erfolg: den ersten Pilz stets stehen lassen. Demut zeigen. Mit dem nächsten, den man fand, wischte man sich seine Augen aus. So richtig, bis sie zu tränen begannen. Das schärft den Blick. Eigentlich logisch. Außerdem: Wie hieß es so schön? Hilft’s nicht, schadet’s nicht. So einfach war das. Sollte der schlaue, aufgeklärte Sepp doch einmal versuchen, solche Mengen an Herbsttrompeten zu finden. Aussichtlos. Da wünschte er ihm viel Erfolg.

»Branko!«, brüllte der Sepp plötzlich und riss Kogler damit aus seinen Gedanken. »Kann er kurz kommen, der Branko?!«

Wer zum Teufel war Branko?

Ein groß gewachsener, gut aussehender Mann Mitte dreißig kam aus der Küche, wischte sich die Hände an seiner Schürze ab und stellte sich neben den Sepp. Er überragte selbigen mindestens um eineinhalb Kopflängen. Seine langen schwarzen Haare hatte der Branko zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er hatte ein breites Grinsen aufgesetzt und schien bester Laune zu sein. Fast schon ansteckend.

»Ah, Karl, den Branko kennst ja noch gar nicht. Das ist der Großneffe von der Slavica Oberberger. Weißt ja, die Witwe vom Bernhard Oberberger, dem ehemaligen Gemeinderat.«

»Nein, kenn ich noch nicht.«

»Also, der Branko kommt aus Kroatien. Aus so einem kleinen Dorf. Und der Branko hilft mir jetzt in der Küche, dann kann ich die Leute bedienen, und die Maria muss weniger arbeiten.«

Der Sepp drehte sich zum Branko. Der lächelte noch immer. »Gell, der Branko, kochen kann er. Gut kochen, der Branko. Und immer fleißig ist er auch, der Branko. Werden wir schon machen, gell? Der Branko und ich.«

»Werden ma, Chef!«, antwortete der Branko und nickte entschlossen.

»Gut, Branko. Und jetzt tun wir putzen, gell? Schwammerl putzen. Kennt er die Pilze, der Branko?«

Der Branko begutachtete die Pilze gewissenhaft. Dann wiegte er seinen Kopf hin und her und sagte nach einiger Zeit mit ernster Miene: »Werden ma putzen, Chef.«

»Herbstrompeten, Branko, Herbstrompeten. Kennt der Branko?«

»Herbst. Trompeten. Werden ma putzen, Chef.«

»Ja. Sehr gut, Branko. Tut er putzen.« Sepp nahm einen der trichterförmigen Pilze und riss ihn in der Mitte auf. »So tun wir machen. Gell, Branko. Mitte aufreißen. Gell. Dann putzen tut er, der Branko. Und Stiele innen hohl sind. Da genau putzen, der Branko. Sonst Insekten bleiben drinnen und so. Nix gut. Gäste nicht wollen. Gell. Also putzen schön.«

Der Branko beendete sein hingebungsvolles Nicken, mit dem er den Anweisungen vom Sepp gelauscht hatte. »Werden ma putzen, Chef«, befand er ein weiteres Mal. Er nickte Kogler freudig zu und begab sich mit der Tasche in die Küche.

»Na, was sagst?«, meinte der Sepp zu ihm.

»Ja, was soll ich sagen? Scheint ein freundliches Wesen zu haben, der Mann. Aber warum, um Gottes willen, redest mit dem wie mit einem Vollidioten?«

»Was meinst denn?«

»Tut er komisch reden, der Sepp, gell. Muss er normal sprechen, der Sepp. Gell. Nix so komisch, gell.«

»Jetzt lass mal die Kirche im Dorf, Karl. Ich helf ihm ja nur. Der muss doch erst Deutsch lernen. Und so tut er sich leichter am Anfang.«

»So ein Blödsinn. Das Einzige, was der so lernt, ist Kasperldeutsch«, beendete Kogler die Diskussion. Es war sowieso sinnlos, dem Sepp da irgendetwas klarzumachen. »Ist ja auch ganz egal. Und hast ihn angemeldet, den Branko?«

Die Miene vom Sepp verfinsterte sich leicht. »Aber was, anmelden … Der Branko macht ein Ferienpraktikum bei mir. Schnuppern sozusagen. Und ich geb ihm halt ein bisserl Taschengeld dazu. Leben tut er eh bei seiner Großtante.«

»Ein Schnupperpraktikum, na sicher. Taschengeld. Haha! Dass ich nicht lach.«

»Da kannst so viel lachen, wie du willst. So ist’s nun mal. Der Branko macht bei mir ein Schnupperpraktikum. Punkt. Dann schaun wir weiter. Und bis dahin geb ich ihm privat ein Taschengeld.«

»Aha, und wie viel?«

»Das geht nur den Branko und mich was an. Und jetzt lassen wir das Thema. Sag mir lieber, was du von den Gerichten für die nächste Woche hältst.« Der Sepp nahm die Zettel, die er bekritzelt hatte, in die Hand, richtete seine Brille und begann: »Also, wir machen eine Herbsttrompetenwoche. Vorspeisen wie folgt: entweder Kärntner Schwammerlsuppe oder Entenleberpastete mit gerösteten Schwammerln.« Der Sepp machte eine Pause und sah Kogler auffordernd an.

»Klingt köstlich«, beeilte dieser sich zu sagen.

»Seh ich auch so. Also, wo war ich? Ah ja, genau. Jeden Tag gibt es drei Hauptspeisen zur Auswahl: Schwammerl-Sterz, Schwammerlschmarrn oder Rehmedaillons mit Schwammerlsoße.«

»Perfekt!« Kogler lief bereits das Wasser im Mund zusammen.

»Und zu guter Letzt die Nachspeisen: Ofenapfel mit Schwammerlfüllung oder ein Himbeer-Joghurt-Mus mit karamellisierten Schwammerln.«

Koglers Magen begann zu knurren. So laut, dass es sogar der Sepp hörte. Der lachte und schlug ihm auf die Schulter. »Na, dann werd ich dir schnell eine Kleinigkeit anrichten. Nicht, dass du mir noch verhungerst, mein Freund.« Der Sepp steckte sich die Zettel mit seinen Notizen in die Hemdtasche. »Und natürlich bist die ganze nächste Woche eingeladen.«

»Aber das ist doch nicht nötig«, protestierte Kogler halbherzig.

»Doch, doch. Keine Widerrede!«, entgegnete der Sepp energisch. »Weißt, was mich die Herbsttrompeten am Markt gekostet hätten? Ein Vermögen!« Dann verschwand er in der Küche.

Kurz darauf meldete sich Koglers Handy, eindringlich und schrill. Er musste endlich den nervigen Benachrichtigungston ändern. Kogler öffnete die SMS. Schon wieder diese Susanne Mahringer! Er stöhnte. Das war die fünfte Nachricht in dieser Woche. Dabei hatte er ihr, als sie das erste Mal angerufen hatte, klipp und klar gesagt, dass er ihr kein Interview geben würde. Was bitte war denn daran nicht zu verstehen? Aber die liebe Frau Mahringer ließ einfach nicht locker. Vollblutjournalistin aus Wien, beim Kärntner Blatt in Klagenfurt gelandet. Und jetzt hatte sie sich in den Kopf gesetzt, seine Einbruch-Story noch einmal zu durchleuchten. Und das ausgerechnet jetzt, wo endlich etwas Gras über die Sache gewachsen war.

»Objektiv natürlich. Das ist doch auch in Ihrem Sinne«, hatte sie gesäuselt. Kogler knirschte mit den Zähnen. Das würde ihr so passen. Er mochte zwar manchmal ein wenig naiv sein, aber er war kein Idiot. Im letzten Jahr hatten sich die Lokalreporter auf ihn gestürzt. Einen Teufel würde er tun, sich ihnen ein weiteres Mal auszuliefern.

Kogler stand auf und griff nach dem Kellnerblock. Er riss einen Zettel ab. Die Beate, seine geliebte Enkeltochter, hatte ihm zu seinem 58. Geburtstag ein Taschenbuch über die hohe Kunst des japanischen Papierfaltens geschenkt. Und die Beate hatte ihm auch gleich einen Kranich vorgefaltet. War eben geschickt, die Beate. Kam ganz nach ihrer Mutter. Nicht nach dem Vater. Und einige Tage später, als Kogler wieder einmal nicht schlafen konnte, da hatte er das Buch zur Hand genommen und auch einen Kranich probiert. Und noch einen. Und dann sogar eine Maus. Und einen Papagei. Und na ja, seitdem hatte er eigentlich nicht mehr damit aufgehört. Das Falten hatte etwas Meditatives. Ließ Kogler zur Ruhe kommen und entspannen. Kein Wunder. Immerhin kam das Origami-Papier ja ursprünglich auch aus China. Land der alten Weisheit. Heimat der buddhistischen Mönche.

3.

Kogler saß im Gastgarten vom Kogelnig Wirt. Der Himmel hatte sich in der letzten Stunde verdunkelt. Erste Wolken zogen auf, und der Geruch von Regen lag in der Luft. Kogler stellte seinen fertig gefalteten Papierkrebs neben den Aschenbecher und atmete tief ein. Klare, kalte Luft. Bald würde es zu nieseln beginnen, da war er sich sicher. Kogler ging zum Geländer der geräumigen Terrasse und ließ seinen Blick über den Wörthersee wandern, der einige Hundert Meter entfernt in einem satten Türkis erstrahlte. Sonnenschein fiel zwischen den Wolkenbergen hindurch auf das grüne, gelbe und rote Laub der Bäume. Der goldene Herbst am Wörthersee. Ein beeindruckendes Naturschauspiel. Es war die Zeit, in der die Enten nach und nach die Touristenmassen auf den Promenaden ablösten. Watschelnd und schnatternd. Die Enten wohlgemerkt, nicht die Touristen, dachte Kogler.

In einigen Tagen würden die ersten Strandbäder schließen und die letzten Segelboote aus dem Wasser gehoben werden. Ruhe machte sich breit in Velden. Denn wenn der Herbst den Sommer ablöste, veränderte sich am Wörthersee nicht nur die Farbe der Natur, sondern auch die Stimmung der Menschen. Herbstliche Geselligkeit machte sich breit. Die beste Zeit, um selbst zur Ruhe zu kommen.

Ein köstlicher Geruch stieg Kogler in die Nase. Er drehte sich um und sah den Sepp, der durch die Verandatür schlenderte.

»Ah, da bist.« In der einen Hand trug er Teller und Besteck, in der anderen Brotkorb und Zeitung. Er stellte alles auf einen der massiven Holztische und winkte Kogler zu sich. »Lass es dir schmecken, Karl.«

Das ließ sich Kogler nicht zweimal sagen. Gierig machte er sich über die mit Herbsttrompeten bedeckten Spiegeleier her. Schon der erste Bissen zerging ihm auf der Zunge. Eine Offenbarung! Während er kaute, brach er sich ein Stück vom warmen Bauernbrot ab. Hatte der Sepp wohl noch kurz in den Ofen geschoben. Guter Mann. Profi eben.

Der Sepp nahm die Zeitung in die Hand. Die Wörthersee Post. Gratiszeitschrift. Erschien jeden Mittwoch und ging an alle Haushalte rund um den See.

»Hast schon gelesen?«

Kogler schüttelte den Kopf.

»Echt nicht? Ist seit einigen Tagen das Thema am See«, sagte der Sepp und hielt ihm das Titelblatt vor die Nase. Kogler nahm die Zeitung in die Hand, schluckte hinunter und las laut vor: »Müssen wir uns fürchten? Irrer droht Wörthersee mit Mord.«

»Den Drohbrief hat die Redaktion Anfang der Woche per Post bekommen«, erklärte der Sepp.

Kogler betrachtete das abgedruckte Schreiben. Auf dem Papier prangte ein großes Logo: ein schwarzer Kreis, darin ein blauer Wolfskopf. Darunter stand in Großbuchstaben: »WER TOURISMUS SÄT, WIRD TOTE ERNTEN!« Unterschrieben war das Ganze mit »Der blaue Wolf«. Alles am Computer entworfen. Das waren noch Zeiten gewesen, als die Verfasser solcher Briefe die Buchstaben aus Zeitungen ausschnitten.

»Das wird den Tourismusverband sicher unheimlich freuen«, sagte Kogler.

»Ja, die werden sich aus Angst vor diesem blauen Wolf bestimmt in die Hose machen«, feixte der Sepp.

»Das mein ich nicht«, erwiderte Kogler. »Überleg mal, das liegt seit heute in sämtlichen Hotels und Lokalen aus. Die Touristen werden das nicht grad sexy finden. Eigentlich hätte die Wörthersee Post das gar nicht veröffentlichen dürfen.«

»Meinst? Ach komm! Das sind doch keine Deppen, die Touristen. Die können das schon richtig einschätzen. Das war bestimmt bloß ein dummer Scherz, kennt man ja.«

Kogler war sich da nicht so sicher. »Könnten zum Beispiel genauso gut Umweltaktivisten dahinterstecken.«

»Unsinn! Wegen was denn?«

»Was weiß ich, vielleicht wegen den Armleuchteralgen?« Einige Arten dieser Algen galten nämlich in ganz Europa als vom Aussterben bedroht. Und so hatte die EU Kärnten kürzlich darüber informiert, dass der Wörthersee, wo diese Art von Alge vorkam, besonders geschützt werden müsse. »Natura-2000-Gebiete« nannte Brüssel diese Art Gewässer. Und das konnte theoretisch auch Badeverbot bedeuten – eine Katastrophe für Wirtschaft und Tourismus. Natürlich hatte das Land Kärnten sofort Beschwerde eingereicht. Verständlich. Da stand einiges auf dem Spiel.

»Also, ich weiß nicht. Das wär schon ein bisschen extrem. Glaub ich nicht, dass das Naturschützer waren«, meinte der Sepp.

»Keine Ahnung, wahrscheinlich hast recht.« Kogler gab seinem Freund die Zeitung zurück und wandte sich wieder seinen Eiern und Herbstrompeten zu. Was interessierte ihn irgendein blauer Wolf, wenn er beim Essen war. »Sepp, du musst mir unbedingt sagen, wie du diese Spiegeleier gemacht hast. Ernsthaft, die sind großartig. Ich würd die nie so hinbekommen, im Leben nicht.«

Der Sepp schmunzelte. »Ach komm! Machst doch große Fortschritte beim Kochen. Ich mein, dafür, dass du bis vor einigen Monaten nicht mal einen Herd einschalten hast können …« Kogler schaute seinen Freund misstrauisch an. Meinte der das jetzt ernst, oder nahm er ihn auf den Arm? Natürlich hatte Kogler sich verbessert, das war aber auch kein Kunststück gewesen. Er hatte beim Kochen ja bei null anfangen müssen. Wo auch sonst? Hatte ja vorher immer alles die Hanna gemacht.

»Also, wegen des Rezepts. Eigentlich ist das eine ganz einfache Sache«, sagte der Sepp. »Zuerst machst die Soße. Dafür nimmst kleine Zwiebeln, keine großen, und hackst sie klein.«

»Wie viele?«, hakte Kogler ein. Er nahm sich noch ein Stück Brot und tunkte es in die besagte Soße. Hineinlegen hätte er sich können, so göttlich schmeckte die.

»Na ja, nach Bedarf halt. Das hast dann bald im Gefühl. Keine Ahnung, für eine Portion wie die hier eine bis anderthalb. Und, ah ja, schälen musst die Zwiebel vorher noch, Karl.« Der Sepp grinste, und Kogler schaute leicht säuerlich.

»Danke, das hätt ich jetzt auch grad noch gewusst.«

Der Sepp lachte auf und fuhr fort: »Na bitte, ich sag ja, du machst Fortschritte. Also, dann die fein gehackten Zwiebeln in heißer Butter anschwitzen und mit Weißwein ablöschen. In Butter, nicht in Öl. Lass alles aufkochen, füg ein paar Löffel Obers hinzu und gib dem Ganzen ein paar Minuten Zeit. Dann nimmst einen Stabmixer …« Der Sepp machte eine kurze Pause. »Hast so was überhaupt?«

»Natürlich.« Was glaubte der Sepp denn? Dass er keinen Stabmixer hatte? Lächerlich. Natürlich besaß er einen. Erst gestern gekauft. Beim Elektromarkt in Klagenfurt.

»Na bestens. Also, damit pürierst alles. Und am Ende verfeinerst die ganze Sache mit Kren und Salz.«

»Wie viel Kren?« Kogler bereute seine Frage sofort.

»Nach Gefühl«, antwortete sein Freund leicht genervt. »Nach Gefühl, Karl. Merk dir: Kochen ist in allererster Linie Gefühlssache.« Kogler senkte schuldbewusst den Kopf. Natürlich. Gefühlssache. Was sonst?

Der Sepp zeigte auf die letzten Herbsttrompeten auf Koglers Teller. »So, und dann nimmst die geputzten, klein gezupften Herbsttrompeten und brätst sie in heißer Butter ein, zwei Minuten ordentlich an. Ein Löffel Butter reicht. Mit Salz und Pfeffer würzen, Schwammerl raus, neue Butter und Eier rein. Wenn die Spiegeleier fertig sind, gibst sie und die Schwammerl auf die Soße. Das war’s. Keine große Sache.«

Kogler nahm vorsichtig ein kleines Stück des knackigen grünen Zeugs von seinem Teller. Er hielt es hoch. »Und was ist das?«

Der Sepp kniff seine Augen zusammen. »Ah ja, genau, hab ich ganz vergessen. Das ist Petersilie. Die hab ich in heißem Öl frittiert – in Öl, nicht in Butter. Frittieren tust immer in Öl, Karl. Kannst sie aber auch einfach so dazugeben. Frisch.«

Frische Petersilie, dachte Kogler. Kein Problem. Die würde er nächstes Jahr einfach in seinem kleinen Kräuterhochbeet anbauen. Gleich neben dem Baldrian, den der Blacky im Sommer außerordentlich zu schätzen wusste.


Als Kogler mit dem Essen fertig war, putzte er sich mit einer Serviette erst seinen Mund, dann seinen Bart ab. Was für ein einfaches, geniales Essen. Mild, fein und doch auf unvergleichliche Art würzig.

Der Sepp nahm den kleinen Papierkrebs in die Hand und begutachtete ihn von allen Seiten.

»Frosch?«, fragte er.

»Nein, das ist ein Krebs.« Sah man doch. Eindeutig.

»Ah ja, jetzt wo du’s sagst.« Der Sepp stellte ihn wieder auf den Tisch. »Ja, das waren noch Zeiten, als der Vater und ich die Krebse fürs Essen selber gefangen haben. Der See war ja voll von denen: Galizier-, Sumpf-, Edelkrebse. Hunderte haben wir aus dem Wasser gefischt. Heut alles verboten. Obwohl es sie ja wieder reichlich gibt, die Krebse. Auch direkt im Wörthersee. Das sollte man mal den Touristen sagen, dann würden die mit äußerst gemischten Gefühlen baden gehen.« Er grinste. Auch Kogler konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Apropos Krebse, hast eigentlich schon Erfolg gehabt beim Angeln?«

Kogler schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich, war aber auch erst dreimal draußen.« Er hatte nämlich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder mit dem Fischen begonnen.

»Wo warst denn?«

»Am Forstsee.«

»Soso, bei den Nackerten.« Der Sepp zwinkerte Kogler zu. Der Forstsee erfreute sich nämlich nicht nur bei Anglern, sondern auch bei Anhängern der Freikörperkultur großer Beliebtheit.

»Du hast’s erfasst«, erwiderte Kogler trocken.

Der Forstsee hatte – mal abgesehen davon, dass er als einer der freizügigsten Plätze Kärntens galt – seinen ganz eigenen Charme. Er lag nur rund sechs Kilometer von Velden entfernt, fünf Minuten mit dem Auto. Seit Kogler vor einigen Monaten seinen in die Jahre gekommenen Kombi gegen ein Mountainbike getauscht hatte, waren daraus allerdings rund vierzig Minuten geworden. Das lag nicht nur an der Distanz, sondern auch an der Lage des Sees: Auf den letzten zwei Kilometern galt es, einen Höhenunterschied von rund 150 Metern zu überwinden. Der brachte Kogler jedes Mal ordentlich ins Schnaufen, war es aber wert. Denn einmal oben angekommen, lief der Weg durch einen kleinen Wald, der den Eingang zum Forstsee markierte. Den vielen Fichten sei Dank dominierte dort selbst jetzt noch, im Herbst, ein dunkles, fast magisch anmutendes Grün. Und dann lag schließlich der See vor einem. Ein Anblick wie aus dem Bilderbuch: ruhig und idyllisch, kristallblaues Wasser, abgesehen von dem dort errichteten Schaukraftwerk völlig naturbelassen. Bis zu 35 Meter tief – ideal zum Fischen, auch vom Ufer aus. Für Kogler war das ein gewichtiger Grund. Am Wörthersee konnte man nämlich nur von einem Boot aus fischen, mit mindestens 50 Meter Abstand zum Ufer. Gesetzlich vorgeschrieben. Und Bootsfahrten waren nicht Koglers Ding, schon gar nicht in einem kleinen wackeligen Ruderboot. Er hatte großen Respekt vor tiefem Wasser. Aber das wusste niemand. Nur der Hanna hatte Kogler sich offenbart. Wie hätte das auch all die Jahre ausgesehen? Bei einem Chefinspektor. Am Wörthersee.

»Auf was fischst denn überhaupt? Hecht? Zander? Brasse?«

»Im Moment Karpfen«, antwortete Kogler.

»Na ja, die musst aber zuerst ein paar Tage anfüttern. Kein Wunder, dass du nicht viel Erfolg hast.«

»Ja, schon möglich. Mir geht’s beim Angeln aber vor allem um die Entspannung.« War natürlich gelogen. In Wahrheit hätte Kogler sehr wohl gerne den einen oder anderen Karpfen gefangen.

Der Sepp war inzwischen aufgestanden und machte sich daran, den Tisch abzuräumen. »Na ja, falls du irgendwann doch mal was fängst, nehm ich dir gern ein paar schöne Karpfen ab. Haben wir schon lange nicht mehr auf der Karte gehabt.« Er wiegte seinen Kopf hin und her und blickte einen Moment verträumt vor sich hin. Kogler wusste genau, was jetzt kommen würde. Er kannte den Sepp einfach zu gut. Das war sein Ich-erzähl-jetzt-einen Witz-Blick.

»Drei, zwei, eins …«, zählte Kogler leise. Und schon legte der Sepp los.

»Du, da fällt mir ein Witz ein«, verkündete sein Freund und begann auch schon zu lachen. Auch das war typisch Sepp: Er lachte immer schon, bevor er überhaupt damit begonnen hatte, einen Witz zu erzählen. »Also!«, sagte er schließlich, nachdem er sich wieder eingekriegt hatte. »Zwei Angler sitzen an einem See und fischen. Nach ungefähr drei Stunden konzentrierten Angelns hebt dann der eine sein Bein und schlägt es über das andere. Daraufhin schaut ihn der andere vorwurfsvoll an und sagt: »Sag mal, Alter, was führst denn auf? Tun wir fischen oder steppen?« Der Sepp lachte hysterisch auf und schüttelte den Kopf. »Verstehst? Fischen oder steppen!«, wiederholte er einige Male und wischte sich eine Träne aus seinem Auge. Dann nahm er das Geschirr und den Brotkorb und ging zurück ins Wirtshaus.

Kogler seufzte. Wenigstens hatte der Sepp keine weiteren Anglerwitze aus seinem Ärmel geschüttelt. Konnte man nämlich alles von ihm haben, vor allem, wenn er das eine oder andere Achterl zu viel intus hatte. Dann lief er zur Höchstform auf, der Sepp. Witze ohne Ende. Einer schlechter als der andere.

Kogler stand auf und streckte sich. Es begann zu regnen, genau wie von ihm vorhergesagt. Aber das machte Kogler nichts. Ein wenig Abkühlung würde ihm guttun.


Drinnen an der Theke grüßte ihn die Maria. Sie nippte an ihrem Minztee. Das war ein Tick von ihr: frischer Minztee, literweise, schon seit sie ein kleines Mädchen war.

»Hallo, Maria!«, sagte Kogler und lächelte sie an. Gut sah sie aus. Sie hatte ihre langen blonden Haare zu einem Zopf gebunden. Blaue Ohrringe unterstrichen die Farbe ihrer Augen.

»Na, Karl, bist auch schon so aufgeregt wegen der Mitgliederversammlung? Der Papa redet schon seit gestern von nix anderem mehr.« Sie schaute auf ihr Handy. »Wann geht’s denn los? Um 16:00 Uhr? Da müsst ihr euch aber beeilen.«

»Nein, erst um 16:30 Uhr.«

»Ach so, na dann.« Sie nahm noch einen großen Schluck Tee, bevor sie die Tasse abstellte. »Ich schau jetzt, ob der Branko Hilfe braucht. Ist ja das erste Mal, dass der Papa ihm das Kochen allein überlässt.« Die Maria nickte ihm freundlich zu und verschwand in der Küche. Kogler steckte sich eine Zigarette an. Vor ihr hatte er sie sich nicht anzünden wollen. Wegen der Schwangerschaft. Gesundheit ging nun einmal vor.

Kurze Zeit später kam der Sepp aus dem Männerklo. Er hatte sich umgezogen. Über seinem T-Shirt trug er nun ein langärmliges Trikot der Velden Vipers, dem hiesigen Eishockeyklub, seit diesem Jahr stolzer Aufsteiger in die erste Kärntner Landesdivision. Der Sepp drehte sich einmal um die eigene Achse. Nicht ganz so einnehmend wie ein Model, aber doch mit einer gewissen Eleganz. »Kogelnig 61« stand in großen Lettern auf seinem Rücken.

»Da schaust«, sagte er, »ein Geschenk vom Verein.« Der Sepp war seit Jahren Sponsor der Velden Vipers. Ehrensache. Richtete jedes Jahr deren Weihnachtsfeier aus. Kostenlos.

»Fesch!«

»Und, was glaubst? Welchen Sensationstransfer wird der Klaus Pechhofer heute verkünden?« Kogler zuckte mit den Schultern. Er hatte keine Ahnung, aber es musste jemand Besonderes sein. Denn der Obmann der Velden Vipers hatte nicht nur eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen, sondern auch die komplette Lokalpresse eingeladen. Sogar den Blauen Brahms-Saal im noblen Gogginger Hof hatte er angemietet. Nun gut, der Pechhofer machte nun mal keine halben Sachen. War ja auch nicht ohne Grund der Leiter vom Tourismusverband Wörthersee. Mit Inszenierungen kannte der sich also aus. Protzen statt Kleckern. So machte man Werbung.

»Also, ich bin schon gespannt«, fuhr der Sepp fort. Er goss sich noch ein Glas Wein ein und prostete ihm zu. Kogler nickte und zog den Autoschlüssel aus seiner Hosentasche. Er legte ihn dem Sepp hin. »Danke, dass du mir deinen Wagen geborgt hast fürs Schwammerlsuchen. Wär mit dem Fahrrad schwierig geworden.«

»Na klar, gern geschehn!«

»Du, was anderes, hab ich ganz vergessen zu erzählen. Du glaubst nicht, wer gestern bei mir gegessen hat.« Der Sepp zog eine Schublade auf und legte ihm einen Zettel hin. Kogler beugte seinen Kopf über das Gekritzel.

»Das kann ich nicht entziffern.«

Der Sepp seufzte. »Ich glaub, du brauchst langsam auch eine Brille. Da steht: Vielen Dank für alles! Und unterschrieben hat das kein anderer als … wart! Da musst jetzt selbst draufkommen. Ich geb dir einen Tipp!« Der Sepp machte eine theatralische Pause, schaute Kogler in die Augen und sagte mit tiefer Stimme: »Der Wixxer.«

»Bitte was?«

»Der Wixxer!«

Was in aller Welt faselte der Sepp da? Welcher Wichser? »Der Didi Leitner?«, riet Kogler ins Blaue. Den konnte der Sepp nämlich nicht ausstehen. Platzhirsch in der Veldener Innenstadt. Ihm gehörte das Gasthaus Zum Goldenen Eichelhäher.

»Nein, natürlich nicht der Leitner. Mein Gott, das ist der Name vom Film, in dem der mitspielt: Der Wixxer.«

»Kenn ich nicht.«

»Hat auch seine eigene Serie, wo er sich selbst spielt: Pastewka.«

»Keine Ahnung …« Pastewka erinnerte Kogler an einen polnischen Eintopf. Den hatte nämlich letzte Woche eine Kandidatin in einer Fernsehshow gekocht. Der hatte einen ähnlichen Namen gehabt. Der Eintopf.

»Himmel Herr, Karl! Der deutsche Schauspieler Bastian Pastewka, natürlich kennst den.« Der Sepp nahm sein Handy zur Hand und hielt es sich vor den Mund. »Bastian Pastewka«, sagte er laut. Das machte er immer, der Sepp. Google-Spracherkennung. Funktionierte aber meistens nicht wie gewünscht. Wohl auch dieses Mal nicht, denn der Sepp fluchte und brüllte ein zweites, dann ein drittes Mal »Bastian Pastewka« in das Telefon. Dann gab er auf. Er tippte den Namen händisch ein und schien endlich die richtigen Suchergebnisse erhalten zu haben. Nach ein, zwei Wischbewegungen hielt der Sepp ihm ein Foto vors Gesicht.

»Erkennst ihn jetzt?«

»Ah ja, klar!«, antwortete Kogler. Notlüge. Er hatte diesen Menschen noch nie in seinem Leben gesehen. Aber so hatte er wenigstens seinen Frieden.

»Na eben, hab ich’s doch gewusst. Jeder kennt den«, stellte der Sepp zufrieden fest. »Also, der Pastewka ist gestern in Begleitung zum Abendessen gekommen. Ich schätz mal, dass das sein Manager war. Und weißt, was ich glaub? Die planen einen neuen Supernasen-Film. Die kennst bestimmt: Achtzigerjahre, mit dem Mike Krüger und dem Thomas Gottschalk.« Aufgeregt deutete der Sepp auf die Wand neben dem Eingang, wo die Fotos der beiden Promis neben denen von Uschi Glas, Roy Black, Ottfried Fischer und anderen Berühmtheiten des deutschen Films hingen. Der Vater vom Sepp war nämlich gut befreundet gewesen mit dem Produzenten einer Filmfirma, die hier in den Sechzigern und Siebzigern zahlreiche Klassiker gedreht hatte. Damals, als der Wörthersee der Society-Treff Europas schlechthin war. Anfang der Neunziger war dann auch noch »Ein Schloss am Wörthersee« erschienen, die Serie auf RTL. Der Tourismus hatte geboomt. Die Deutschen hatten Velden regelrecht überrannt, noch mehr als heute.

»Und wie kommst drauf, dass die hier einen neuen Supernasen-Film drehn?«, wandte sich Kogler an den Sepp.

»Der Pastewka und der andere haben sehr leise miteinander gesprochen, aber ich hab beim Servieren deutlich die Wörter ›Super‹ und ›Nase‹ gehört.«

»Vielleicht haben sie über ein Schnupfenmittel geredet? Schon daran gedacht, Sherlock?«

Der Sepp schaute verärgert und trank seinen Wein aus. »Blödsinn! Da ging’s ganz sicher um einen neuen Wörthersee-Film«, sagte er und legte den Zettel mit Pastewkas Gekritzel vorsichtig in die Schublade zurück. »Und dann, wirst schon sehn, werden die alten erfolgreichen Zeiten des Kogelnig Wirts wieder aufleben. Die ganzen Schauspieler werden bei mir dinieren, und die Touristen werden Schlange stehn.«

»Lass mich raten. Du hast den Pastewka und seinen Bekannten sicherlich aufs Essen eingeladen.«

Der Sepp schaute irritiert. »Selbstverständlich, Karl. Man muss die Leute ein bisschen anzuckern, so läuft das im Geschäft.« Er nickte selbstgefällig, so als würde er sich selbst zu seinem raffinierten Vorgehen gratulieren. Dann sah der Sepp auf seine Uhr. »Gut, jetzt sollten wir aber aufbrechen, sonst kommen wir zu spät. Ich schau nur noch kurz in die Küche, ob die beiden alles im Griff haben.«

Kogler nickte. »Ich geh dann schon mal raus«, sagte er und verließ das Lokal.

Kogler genoss die vereinzelten Regentropfen auf seiner Glatze. Er mochte das Gefühl, es erdete ihn irgendwie. Er ließ seinen Blick über den Gasthof schweifen. Auf dem Dach saßen drei große Krähen. »Rabenvögel sind die einzigen Vögel, die ins Jenseits und zurück fliegen können. Sie stehn für Tod und Wiedergeburt«, hatte die Oma Kogler vor langer Zeit erzählt. Damals auf dem Bauernhof, als er noch ein Kind gewesen war.

Eine der Krähen verließ das Dach und flog eine Runde um das Haus. Dann ließ sie sich vor einem der Fenster nieder und krächzte mehrmals in die Richtung des Gasthofs. Kogler gefror das Blut in den Adern. Das war gar nicht gut. Überhaupt nicht. Denn das bedeutete, im Gasthof würde jemand sterben. Kogler tat also, was er tun musste: Er drehte den Kopf nach links und spuckte dreimal über seine Schulter. Dann nickte er zufrieden. Das sollte erst einmal helfen, mögliches Unglück aufzuhalten. Jaja, auch er hatte so sein Wissen. Nicht nur die Krähen.