Elin, Natalie Catching Hope – Leighton und Kaleb

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© 2020 Piper Verlag GmbH, München

Redaktion: Cornelia Franke

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Widmung

 

Für Paul

Playlist

Panic! At The Disco – High Hopes
Rachel Platten – Fight Song
P!nk – Beautiful Trauma
Imagine Dragons – Natural
Calvin Harris & Dua Lipa – One Kiss
The Chainsmokers – Sick Boy
Kygo & Imagine Dragons – Born To Be Yours
Ed Sheeran – Perfect
Tim Bendzko – Keine Maschine
The Chainsmokers & Coldplay – Something Just Like This
Eminem – Without Me
Taylor Swift – Look what you made me do
X Ambassadors – Unsteady
Craig David – 7 Days
AJR – Weak
Selena Gomez – Hands to myself
Mariah Carey – We belong together
Alicia Keys – If I Ain’t Got You
Alicia Keys – Fallin’
Jessie J – Masterpiece
Jojo – Leave (Get Out)
Nelly ft. Kelly Rowland – Dilemma
Ciara ft. Missy Elliott – 1,2 Step
Sarah Connor – Wenn Du da bist
Anthony Hamilton – Comin’ From Where I’m From

Kapitel 1

Leighton

 

Es war einmal… Ich starrte auf den Papierstapel vor mir und tippte mit meinem Kugelschreiber auf dem Schreibtisch herum.

»So wird das nichts«, seufzte ich und schob meinen Stuhl zurück. Gleichzeitig griff ich nach dem obersten Blatt und zerknüllte es, visierte meinen Papierkorb an und … warf daneben.

Seit wann begann man einen Artikel mit Es war einmal …? Kaum hatte ich einen Platz als Reporterin bei der The Chicago Maroon, der unabhängigen Studentenzeitung der University of Chicago, ergattert, fegte eine eisige Leere durch meinen Kopf. Dabei war es so einfach: Ich bekam ein Ressort zugeteilt, betrieb Recherche und fasste meine Notizen zusammen. Simpel. Ich hatte schon hunderte Artikel verfasst. Warum es mir plötzlich so schwerfiel? Weil ich mit meinen Gedanken woanders war.

Mürrisch ließ ich den Stift auf den Tisch fallen und verstaute meine Notizen in der Schreibtischschublade. Morgen war auch noch ein Tag und jeder wusste, dass es nichts half, sich zum Schreiben zu zwingen.

Der Blick aus dem Fenster verriet mir, dass ich vorsichtshalber eine Jacke mitnehmen sollte. Alles war Grau in Grau und das seit Tagen. Ich band mir meine hellbraunen Locken zu einem hohen Dutt zusammen, schlüpfte in meine schwarzen Sneakers und verließ mein Zimmer, ehe ich es mir anders überlegen und mich womöglich in meinem Bett verkriechen konnte. Ich hielt an unserer Garderobe an, die aus fünf wild zusammengewürfelten Türknäufen bestand, die Madelyn und ich in die Wand geschraubt hatten, und zog mir meine liebste Strickjacke über. Sie war pechschwarz und hatte viele kleine schwarze Perlen am Bund. Ich konnte es nicht leugnen: Schwarz war meine Farbe.

Madelyn war meine Mitbewohnerin und mittlerweile engste Freundin. Sie studierte ebenfalls an der UChicago und arbeitete nebenbei in einer Tierauffangstation. Zu gern brachte sie einen neuen Vierbeiner mit nach Hause, da sie Angst hatte, dass dieser von den anderen Tieren gemobbt wurde. Wirklich! Genau so hatte sie es formuliert. Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, unsere Wohnung abwechselnd mit Katzen, Hunden, Nagetieren und einmal sogar Diana, einem Minischwein, zu teilen. Madelyns Herz war einfach viel zu groß für diese Welt. Und unsere Wohnung zu klein, aber ich würde es um ihretwillen niemals übers Herz bringen, eins ihrer Sorgenkinder wegzuschicken.

»Hey, Leigh.« Madelyn hatte ihre Tür geöffnet und steckte lediglich ihren Kopf durch den Spalt. Ich ging davon aus, dass sie entweder nackt oder nur mit Unterwäsche bekleidet war, mit mehr Kleidung könne sie nämlich nicht einschlafen – zumindest behauptete sie das. »Hast du was vor?«

»Guten Morgen, Mads.« Ich schielte unauffällig zur Wanduhr und verkniff mir ein Grinsen. Es war bereits zwölf Uhr mittags und ich war mir sicher, dass sie gerade erst aufgestanden war. »Nein, ich wollte nur mal um den Block laufen. Den Kopf frei kriegen.« Ich zupfte an meiner Jacke und zeigte auf meine Schuhe.

Sie biss sich auf die Unterlippe. »Allein?«

Ich verdrehte lachend die Augen. »Fünf Minuten! Keine Schminke!«

»Krieg ich hin«, japste sie und schlug ihre Tür zu. Ich hörte ein Poltern, einen unschönen Fluch und das Knallen ihrer Schranktür. Wenige Augenblicke später stand sie in einer löchrigen, hellen Jeans, kakifarbenen Chucks und einem viel zu großen dunkelroten Pullover im Flur. Im Gegensatz zu mir glich sie einem bunten Kanarienvogel.

Ich zog eine Augenbraue hoch und zeigte auf ihr Oberteil, das bestimmt der Person gehörte, die ich am liebsten aus ihrem Leben streichen wollte. »Von wem?«

»Ähm.« Madelyn schluckte und senkte verlegen den Blick. »Kennst du nicht?«

»Mads.« Fordernd zog ich an ihrem Ärmel.

»Wir sind echt nur Freunde«, beharrte sie und griff an mir vorbei zur Türklinke. »Los jetzt!«

Ich stöhnte aus Verzweiflung extra laut und schenkte ihr einen mitleidigen Blick. »Du weißt, dass das nicht gut enden wird, oder?«

Trotzig zuckte sie mit den Schultern. »Na und?«

»Ach, Maddie«, seufzte ich und folgte ihr in den Hausflur.

»Nenn mich nicht so«, grummelte sie und lief die Treppen herunter, als würde sie vor mir flüchten wollen.

Im stillen Einvernehmen spazierten wir zu unserem liebsten Diner, dem Betty’s. Mir war klar, dass sie reden wollte und ich kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie von allein beginnen würde. Im Betty’s ließen wir uns in unserer Stammnische nieder und winkten Betty zu, die uns bald darauf zwei Vanille Milkshakes und einen großen Teller Pommes servierte.

»Danke dir. Woher wusstest du das nur?« Schmunzelnd zwinkerte ich ihr zu.

»Immer gern. Euch zu bedienen, ist so einfach«, zwitscherte sie und wischte noch einmal mit einem Lappen, den sie sich aus einer Tasche ihrer Schürze gezogen hatte, über unseren Tisch. Er war zwar schon blitzblank gewesen, allerdings war das eine von ihren Macken. Noch nie hatte ich hier einen ominösen Fleck auf dem Tisch oder der Theke gesehen, wie es in allen anderen Diners Amerikas mit Sicherheit der Fall war.

Ich griff als Erste nach einer Fritte und tunkte sie in meinen Milkshake. Ich liebte diesen Geschmack und würde auch in fünfzig Jahren noch Pommes in meinen Vanilleshake tunken.

»Ich kann halt nicht aufhören«, murmelte Mads. Es ging also los. Hatte gar nicht so lange gedauert. Ich atmete einmal tief ein und entspannte meine Schultern.

»Womit?«

»Ich weiß nicht.« Sie fuhr sich durch ihre schulterlangen, hellblonden Haare, die wirklich erstaunlich gut mit dem weinroten Pullover harmonierten. »Eben mit … ihm.«

»Aber –« begann ich, doch sie unterbrach mich unwirsch.

»Kein Aber, Leigh.« Sie klang verletzt und sprach plötzlich leise. »Ich passe schon auf mich auf, okay?« Nein. Sie passte eben nicht auf sich auf. Sie tat das genaue Gegenteil und verstrickte sich mit jedem Treffen, mit jedem Kuss immer mehr in ihr Netz aus unerwiderter Liebe.

Ich schluckte meine Widerworte herunter. Wie gern würde ich ihr den Kopf waschen, stattdessen konnte ich genauso gut mit einer tauben Schildkröte reden. Madelyn würde sich das Herz brechen lassen und ich konnte nur für sie da sein, um die Scherben aufzusammeln. »Okay«, murmelte ich.

Sie griff zögerlich nach einer Fritte und tunkte diese ebenfalls in ihren Shake. »Und bei dir? Immer noch keine Rückmeldung?«

Und da war er: der eigentliche Grund für meine Schreibblockade.

 

 

Kaleb

 

Schweißgebadet schreckte ich aus meinem unruhigen Schlaf hoch und setzte mich zittrig auf. Ich spürte, wie ich die Kraft in meinen Armen verlor und ließ meinen Kopf stöhnend gegen das Rückenteil meines Betts fallen.

»Scheiße«, zischte ich und zwang mich dazu, ruhig zu atmen, während ich langsam bis zwanzig zählte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal durchgeschlafen hatte. Wann ich das letzte Mal von diesem immer wiederkehrenden Traum verschont worden war. Der Unfall lief jede Nacht aufs Neue wie ein undeutlicher Film in meinem Unterbewusstsein ab. Das einzige, das mir im Gedächtnis geblieben war, waren ein Aufprall und ein lauter Knall, ehe alles um mich herum schwarz wurde. Es waren mittlerweile mehr als drei Monate vergangen, in denen Aufgeben an keinem Tag zur Debatte stand. Wenn ich mir die letzte klitzekleine Tür zu meinem Ziel offenhalten wollte, durfte ich mich nicht von meinen Träumen jagen und zerstören lassen.

In meinem Schlafzimmer war es stockfinster, es musste noch tiefste Nacht sein, also tastete ich blind nach meinem Smartphone und schaltete das Display ein: 03:54 Uhr. »Wow.« Meine Stimmlage triefte vor Sarkasmus. »Ich scheine Fortschritte zu machen.« Immerhin hatte ich beinahe vier Stunden am Stück geschlafen, ehe die Erinnerung an den Schmerz mich wieder weckte.

Verletzt zu sein, war in der NBA nichts Besonderes. Es gab kaum einen Spieler, der keine Sportverletzungen davongetragen hatte. Seien es Derrick Rose, Gilbert Arenas oder Grant Hill, die sich alle das Knie zerdeppert hatten. Stephen Curry mit seinen kaputten Knöcheln oder auch Rajon Rondo mit seiner gebrochenen Hand. Jeder einzelne von ihnen hatte sich wieder nach oben gekämpft. Wenn ich an Paul Georges Schienbeinbruch dachte, wurde mir immer noch ganz anders. Knochenstücke, die senkrecht aus dem Bein ragten, waren kein schöner Anblick. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass ich mich an meinen eigenen Unfall nicht vollständig erinnern konnte. Selbst Chris Bosh hatte seinen hyperkoagulierbaren Zuständen getrotzt und nicht nur eine Comeback-Season versucht, nachdem ein Blutgerinnsel in seinen Beinen und später auch in seiner Lungenarterie festgestellt wurde. Er hatte erst dann aufgegeben, als sein Leben wirklich auf dem Spiel gestanden hatte.

Nicht, dass ich mich mit diesen grandiosen Spielern vergleichen wollte. Die NBA war etwas, das nur die besten Sportler erreichten, doch mit meinem Vertrag der G-League hatte ich so kurz davorgestanden. Auch in den Medien hatte man über meinen 10-Day-Contract gemunkelt.

»Nein!«, ich schlug mit meiner Faust hart auf meine Matratze. Ich hatte nicht davorgestanden, sondern stand immer noch davor. Mein Traum war nicht geplatzt, ich konnte es immer noch schaffen. Ich war nur ein Stückchen zurückgeworfen worden und dadurch gezwungen, wieder aufzuholen. Doch mussten diese Albträume endlich aufhören. Ich war erschöpft und erwischte mich ständig dabei, dass ich meine Karriere als abgeschlossen betrachtete. Dabei steckte ich mittendrin. Diese innere Zerrissenheit würde mich noch um meinen Verstand bringen.

Ich checkte noch einmal, ob ich meinen Wecker wirklich gestellt hatte, und ließ mich dann wieder auf mein Kissen sinken. Die Angst vor den Albträumen durfte mich nicht wachhalten. Ich musste nur meinen Schlaf finden und festhalten. Immer wieder aufs Neue festhalten.

 

 

Leighton

 

»Leigh?«

Ich spürte Madelyns zögerlichen Stupser an meiner Schulter, und trotzdem wandte ich meinen Blick nicht vom geöffneten Briefkasten ab. Seit Wochen jagten mir Briefe eine Heidenangst ein. Ungewissheit war eines der schlimmsten Gefühle, die man sich vorstellen konnte, direkt auf Verlust folgend. Und dennoch fürchtete ich mich vor dem Augenblick, der meine Ungewissheit in Luft auflösen würde. Was, wenn es dieser Brief war, den ich seit Wochen erwartete? Den ich gleichermaßen fürchtete, wie ihn herbeisehnte?

»Soll ich?« Mads tippelte neben mir nervös von einen auf den anderen Fuß.

Ich nickte. »Okay. Sorry. Das ist echt albern, ich weiß«, entschuldigte ich mich bei ihr und trat beiseite.

Sie sog scharf die Luft ein. »Er … ist es. Dass die immer noch keine Mails für so etwas schreiben«, murmelte sie beiläufig und betrachtete den Absender. »Soll ich ihn öffnen?«

Ein Schauder rieselte meine Wirbelsäule herab und ich drohte, vor Schwindel den Boden unter meinen Füßen zu verlieren. Ich räusperte mich. »Nein. Da-das mache ich gleich selbst.«

»Na okay.« Sie hielt mir den Brief hin, welchen ich mit vor Nervosität klitschnassen Händen entgegennahm. »Leighton.« Ihre Stimme war ungewohnt fest. Es kam nicht oft vor, dass sie mich mit meinen Vornamen ansprach. »Du weißt, dass dieser Brief nicht das Ende bedeutet, oder?«

Beinahe hätte ich bei dieser Aussage geschnaubt, hielt mich aber zurück. Ich gehörte nicht zu den Menschen, denen der Erfolg bereits in die Wiege gelegt wurde, auch wenn meine Eltern vermutlich etwas anderes behaupteten. Wahre Anerkennung erreichte man nur durch harte Arbeit und ich hatte mir nicht umsonst seit Jahren die Nächte um die Ohren geschlagen. Aber manchmal erreichte man dadurch gar nichts und davor fürchtete ich mich. Denn dieser Studentenjob wäre die Eintrittskarte für meinen Traum!

Ich wich ihrem Blick aus und schloss die Briefkastentür eine Spur zu grob. »Ja, ich weiß.« Insgeheim gab es für mich keine andere Option. Ich wog den Brief in meiner Hand ab und verkrampfte meine Finger um ihn, als könnte er sich jeden Augenblick in Luft auflösen. Zu- oder Absage. Es war so simpel und doch hing für mich so viel davon ab.

Madelyn legte ihre Hände von hinten auf meine Schultern und bewegte mich in Richtung Treppe. »Leigh«, hörte ich sie schmunzeln. »Du bist manchmal echt ein bisschen gruselig. Und das liegt nicht an deiner Kleidung oder dem dunklen Lippenstift.«

Den Brief noch immer fest in meiner Hand, ließ ich mich von Madelyn die Treppe zu unserem Apartment hochschieben. »Ich weiß«, nuschelte ich, obwohl ich kaum wahrnahm, was sie gesagt hatte. Sie überholte mich und schloss die Tür auf. Wie in Trance folgte ich ihr hinein und spürte meine Gliedmaßen vor Aufregung kribbeln. Plötzlich fühlte es sich in meiner Kehle an, als hätte ich einen Tennisball verschluckt, der mir die Luftzufuhr abschnürte. Erlitt ich gerade einen Schock?

»Okay…« Ich spürte Madelyns Hände um meine Handgelenke. »Los, gib mir den Brief!«

Ihre Forderung befreite mich aus meiner Schockstarre. »Nein«, versuchte ich zu protestieren.

»Doch Leighton, du siehst aus wie ein Gespenst. Wehe, du kippst gleich aus den Latschen, ich kann Erste Hilfe nämlich nur bei Tieren leisten, wie du weißt.«

Wie in Zeitlupe reichte ich ihr den Brief. Es war, als wäre mein Gehirn wie ausgelöscht, ich konnte nicht denken und fühlte nichts als die Versagensangst, die mir schon mein gesamtes Leben lang auflauerte.

»Jacke aus und anhängen!« Sie zeigte erst auf meine dicke Strickjacke, dann auf einen freien Türknauf an der Wand. Mechanisch kam ich der Forderung nach. »Und um Himmels Willen, atme bitte.«

Ich schlüpfte aus meinen Sneakers und atmete. Einmal tief ein und wieder aus. Der Sauerstoff, den ich meinem Körper unbeabsichtigt vorenthalten hatte, ließ mich wieder klarer denken.

»Komm.« Mads griff nach meinem Handgelenk, um mich in unsere Küche zu ziehen. Erschöpft ließ ich mich auf einen unserer Stühle am Esstisch fallen.

Madelyn, die meinen Brief noch immer sicher in ihrer Hand hielt, holte mit der anderen erst eins, dann ein zweites Glas aus dem Küchenschrank und stellte beide auf dem Tisch ab. »Eistee oder Limonade?«

Das war jetzt hoffentlich nicht ihr Ernst? Wie konnte sie so locker mit dieser Situation umgehen, die mein weiteres Leben bestimmen würde? Mürrisch zog ich die Augenbrauen zusammen und meine Angst wandelte sich in Wut, warum hielt Mads mich absichtlich hin? Wenn man so kurz vor einer der wichtigsten Entscheidungen des Lebens stand, gewann die Emotionalität die Oberhand, so wirr diese auch ausfallen mochte.

Madelyn räusperte sich und ich sah zu ihr auf. Sie stand am geöffneten Kühlschrank und erwartete meine Antwort.

»Eistee«, hauchte ich. Sie füllte mein Glas und setzte sich mir gegenüber auf den Stuhl.

»Trink einen Schluck«, befahl sie mir mit einer Autorität, die ich bei ihr nur selten erlebt hatte. Also setzte ich das Glas an meinen Mund an und genoss das Gefühl der kalten Flüssigkeit, die meine heiße Kehle hinabrann. Gerade noch war mir eiskalt gewesen, jetzt spürte ich, wie mich eine Hitzewelle übermannte. Das letzte Mal, dass ich mich so gefühlt hatte, war, als ich mich nicht getraut hatte, das Schreiben der University of Chicago zu öffnen. Man konnte also sagen: Ich hasste Briefe. Der Brief damals enthielt eine Zusage. Würde das Universum mir zwei Mal hintereinander eine Zusage schenken? Oder würde das alles aus dem Gleichgewicht bringen? Ich schüttelte den Kopf, um diese wirren Gedanken zu vertreiben. Ich erkannte mich ja selbst kaum wieder.

»Bereit?« Madelyn hielt den Brief zwischen Zeige- und Mittelfinger hoch und ich nickte.

Sie wollte ihn mir gerade über den Tisch zuschieben, als ich mich abrupt nach hinten gegen die Stuhllehne fallen ließ. »Nein, du. Bitte.« Vielleicht war es nicht so schlimm, wenn ich die Absage nicht selbst lesen musste.

»Bist du dir sicher?«

Wieder nickte ich. »Nein. Ja. Also. Ja, los, mach ihn auf.«

»Okay.« Sie blickte mir noch kurz in die Augen und machte sich dann ans Werk. Das Geräusch des raschelnden Papiers ging mir durch Mark und Bein, ich zitterte und wollte es nur noch hinter mich bringen. Ich starrte in Mads Pokerface, als sie das Blatt aus dem Umschlag zog und es schließlich auseinanderfaltete.

Ich beobachtete, wie ihre Augen immer wieder von rechts nach links wanderten. Und plötzlich, ganz plötzlich zuckten ihre Mundwinkel. Erst stahl sich ein zurückhaltendes Lächeln auf ihr Gesicht, ehe sie sich auf die Unterlippe biss und schließlich breit grinste. Ich wusste, dass ich es geschafft hatte, dennoch wartete ich ab. »Sehr geehrte Ms. Baker, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu kön–«, weiter kam sie nicht. Vor lauter Erleichterung begann ich erst zu kreischen, dann zu weinen, und versteckte schließlich mein Gesicht in meinen Händen.

»Wirklich?«

»Leighton. Hast du wirklich daran gezweifelt?« Sie stand auf und kam zu mir, zog mich auf die Beine und schenkte mir eine dicke, fette Umarmung. »Ich wusste, dass du es schaffen würdest, du bist einfach die Beste. Wen hätten sie sonst nehmen sollen?«

Mads konnte nicht ahnen, wie sehr mich meine Selbstzweifel mein Leben lang auffraßen. Ich hatte ihr nie erzählt, wie stark meine Versagensängste waren, geschweige denn, welchen Part meine Eltern dazu beigetragen hatten. Ich hatte immer mit Zweifeln zu kämpfen gehabt, weil es damals niemanden gab, der mir Mut machte und mir sagte, dass ich es schaffen könnte. Ganz im Gegenteil. Der heutige Tag war der zweite Triumph in meinem Leben und er bedeutete mir die Welt.

Kapitel 2

Kaleb

 

Windy City Bulls.

Ich drehte und wendete mein Trikot, prägte es mir genau ein. Nummer 4. Kaleb Young. Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, an dem ich mein Set ausgehändigt bekommen hatte. Unfassbar war das einzige Wort gewesen, das mir dazu einfiel. Doch war es auch unglaublich, unwirklich und einfach grandios. Selbst das Unterzeichnen des Vertrages hatte mir nicht das endgültige Gefühl gegeben, diesen großen Schritt weitergekommen zu sein. Erst, als meine Finger den roten Stoff berührten, realisierte ich, dass ich dazugehörte. Ich war so glücklich, dass ich das Trikot beim Abendessen mit meiner Familie trug. In einem Restaurant. Mom ließ mir das nur durchgehen, weil sie ebenfalls stolz auf mich war. Auf ihre beiden Söhne, die schon immer gemeinsam ihrem Ziel nachjagten und es zusammen geschafft hatten. Meinen großen Bruder Karter und mich trennte nur ein Jahr, als Kinder wurden wir sogar oft für Zwillinge gehalten. Dad schenkte uns, als ich vier Jahre alt war, zu Weihnachten jeweils einen Basketball und von da an begann unser Traum. Wie groß war die Chance, dass zwei Brüder es in ein- und dieselbe Mannschaft schafften? Gleich null. Dennoch wurde erst ich und ein paar Tage später auch Karter in das Team geholt. Ich war mir bis heute nicht sicher, ob es ihn verletzt hatte, nach mir gewählt worden zu sein.

Ich seufzte und schüttelte den Kopf, um mich aufs Hier und Jetzt zu konzentrieren.

»Kaleb?« Die Stimme meines Trainers Mr. Hill ließ mich zusammenzucken und ich stöhnte auf.

»Hey Coach Hill«, grüßte ich ihn und zog mir schnell das Trikot über den Kopf. Den Schmerz in meiner linken Schulter ignorierte ich dabei geflissentlich.

»Komm, es geht gleich los«, tadelte er mich mit strengem Ton. Er durfte mir gegenüber kein Mitgefühl zeigen, das wusste ich. Und es war auch besser so, denn Mitleid war wirklich das Letzte, das ich gebrauchen konnte.

Heute stand ein Spiel an, bei dem ich wieder nicht teilnehmen konnte und stattdessen auf der Bank saß. Es waren mittlerweile 42 Spiele gewesen, denen ich von dem billigen Platz aus beigewohnt hatte. Es war ein Gefühl von Machtlosigkeit, sich sein Trikot anzuziehen und dann doch nichts ausrichten zu können. Hätten wir das eine oder andere Match gewinnen können, wenn ich, der Point Guard, mitgespielt hätte? Hätte ich die Freiwürfe getroffen? Mit Sicherheit. Ich liebte Freiwürfe. Die Spannung, die plötzliche Ruhe, die mich ergriff, wenn ich den Jubel sowie die Buhrufe aus dem Publikum aus meiner Wahrnehmung ausschloss. Ich liebte, wie sich die Anspannung in mir aufbaute, die ich durch ein zweifaches Dribbeln bändigte, ehe ich blitzschnell die Arme hob und den Basketball mithilfe meines rechten Armes durch den Ring beförderte. Es war immer die gleiche Fußstellung, immer der gleiche Winkel zum Korb und immer das gleiche Tempo. Es gab keinen schöneren Anblick, als das flatternde Netz und das Wissen, einen Punkt für die Mannschaft geholt zu haben.

Mir ging es beim Spielen nie nur um mich. Seit der Junior High gab ich alles für meine Teams. Überall waren mein Bruder und ich Stammspieler und kämpften als Einheit. Kein Gefühl war besser, als einen Sieg nach Hause zu tragen. Ich vermisste das Adrenalin, wenn wir gewonnen und sogar die Enttäuschung und die Wut, wenn wir verloren hatten. Doch gehörten Niederlagen dazu. Ohne diese vergaß man, die Siege zu schätzen, immer sein Bestes und noch mehr zu geben. Zumindest dachte ich so darüber.

Ich bückte mich zu meinen Schuhen, um die Schnürsenkel zu binden, und fluchte leise. »Verdammt!« Der Schmerz in meiner Hüfte war der, der sich am langsamsten zurückbildete. Ich biss die Zähne zusammen und richtete mich langsam und bedacht auf, rollte mich Wirbel für Wirbel hoch, bis ich wieder aufrecht stand. Ich besah mich in dem großen Spiegel, der in der Gemeinschaftsumkleide prangte. Noch vor wenigen Wochen lief ich auf einer Krücke gestützt hinter den anderen Jungs hinterher. Zwar wurde mir bei jedem Schritt beinahe schwarz vor Augen, weil meine Schulterverletzung gegen die Krücke demonstrierte, allerdings biss ich einfach die Zähne zusammen. Mittlerweile konnte ich ohne Hilfe laufen und spürte kaum noch Schmerzen im Bein. Es war ein glatter Beinbruch gewesen, der mithilfe von Monster-Tabletten, die die Wundheilung förderten, schnell wieder zusammengewachsen war.

Wenn ich denjenigen, der mir das angetan hatte, irgendwann erwischte … Es war besser, diesen Gedanken nicht zu Ende zu bringen.

Ich griff nach meiner Trainingsjacke und warf sie mir über, ehe ich aus der Umkleide durch die Gänge zur Halle lief. Ein Tumult aus Pfiffen, Klatschen und Jubeln, gemischt mit lauter Popmusik drang an meine Ohren. Die Cheerleader waren im vollen Gange, als ich mich am Rand entlang schlängelte und mich schließlich auf meinen neuen Stammplatz, die Ersatzbank, setzte. Die Starting Five, die von Beginn an spielen würde, besprachen mit unserem Trainer mögliche Spielzüge. Ich konnte nichts dagegen tun, mich ausgeschlossen zu fühlen, und das Gefühl machte mich wütend. Diese Wut schürte wiederum meinen Groll gegen die unbekannte Person, der ich meine derzeitige Lage verdankte.

Ich ließ meinen Blick über das Publikum schweifen, das größtenteils rot trug – klar, es war ein Heimspiel. Ich drückte unserem Team die Daumen, dass sie den Long Island Nets zeigen würden, wer hier das Sagen hatte. Dass sie sie mit einer gepfefferten Niederlage nach Hause schickten.

Als sich die Formation aus Spielern und Coach Hill auflöste, trafen sich die Blicke von Karter und mir. Er schenkte mir ein breites Grinsen und ich hob den Daumen an. Nur war mein Lächeln nicht echt. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel. Lange würde ich es nicht mehr ertragen, nur daneben zu sitzen.

 

 

Leighton

 

»Shit«, fluchte ich laut und schaute mich sofort in der Büroküche um, ob mich jemand gehört hatte. Ich hatte einen typischen ›Es geht einfach alles schief, was schief gehen kann‹-Tag. Heute war mein erster Arbeitstag bei der Chicago Tribune. Ein ganz normaler Freitag, der sich für mich so anfühlte wie eine geballte Ladung Montage. Ich verschlief nie, wirklich nie! Das letzte Mal, als mir das passiert war, ging ich noch in den Kindergarten. Obwohl ich extra zeitig ins Bett gegangen war, konnte ich einfach keinen Schlaf finden. Immer und immer wieder zählte ich Schafe und irgendwann auch Eichhörnchen, Flamingos, Wale und Pinguine und ließ eine Playlist mit klassischer Musik und Wellenrauschen laufen. Nichts half mir, einfach überhaupt nichts. Diese Aufregung, die mich nun seit einer Woche begleitete, hatte letzte Nacht ihren Höhepunkt erreicht. Irgendwann musste ich doch weggedöst sein, vermutlich vor lauter Erschöpfung. Und dann geschah heute Morgen, was niemals geschehen durfte: Ich verwechselte die Snooze-Taste mit der ›Wecker ausstellen‹-Funktion.

Als ich viel zu spät aus dem Schlaf hochschreckte, griff ich blind in meine Unterwäscheschublade und zog ausgerechnet den kaputten BH daraus hervor.

Zuerst war mir gar nichts aufgefallen, aber irgendwann bemerkte ich Blicke. Sowohl Männer als auch Frauen starrten mir in mein Dekolleté, einige tuschelten sogar hinter vorgehaltener Hand. Aber warum? An meinem Busen konnte es nämlich nicht liegen, ich hatte keinen nennenswerten. Doch zwischen den Körbchen, dort, wo die Stütze eingenäht war, hatte sich ein Loch gebildet, und der Bügel hatte sich im Laufe des Morgens daraus hervorgeschoben. Kurz gesagt: Mir lugte ein gebogenes Stück Metall aus dem Brustbereich hervor. Ich hätte mich selbst ganz genauso angestarrt.

Da ich nicht der Typ dafür war, mir meine Kleidung bereits am Abend hinzulegen, griff ich nach einer schwarzen Bluse und einer Jeans, die sich leider als Trainingstight entpuppte. Das merkte ich natürlich erst, nachdem ich die Tür hinter mir ins Schloss gezogen und meinen Schlüssel – wie konnte es auch anders sein – vergessen hatte. Panisch hatte ich in meinem Rucksack nach diesem gewühlt, denn so konnte ich auf keinen Fall bei der Zeitung aufkreuzen. Mads hatte mein verzweifeltes Klingeln nicht gehört, ihr Handy schaltete sie nachts immer lautlos. Es war noch nicht ihre Uhrzeit.

Ich sah einfach grauenhaft aus. Anders konnte man meinen Aufzug nicht beschreiben. Zeit, mir meine Locken zu einem adretten Zopf zu flechten, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, blieb mir nicht, also ließ ich sie einfach, wie sie waren. Was man bei Locken nämlich nicht tun sollte, war, diese zu kämmen. Außer man wollte aussehen wie ein explodierter Cocker Spaniel. Auf Make-up verzichtete ich zwar fast immer, an besonderen Tagen legte ich es aber auf, um mich selbstsicherer zu fühlen. Dafür war ebenfalls keine Zeit gewesen. Ich war nicht duschen gewesen, hatte mein Notizbuch mit meinem liebsten Kugelschreiber auf meinem Nachttisch liegen lassen, hatte nichts gefrühstückt, keinen Kaffee getrunken und auf dem Weg zum Bus meine Fahrkarte verloren.

»Alles okay?« Eine freundliche Stimme holte mich aus meinen Gedanken und ich drehte mich in ihre Richtung. In der Tür stand eine Frau, ich schätzte sie auf Mitte Zwanzig. Sie trug eine schwarze Skinny Jeans und einen beigen Oversized Pullover. Ihre Füße steckten in Halbschuhen aus Lack.

»Ja.« Ich versuchte mich an einem Lächeln. »Alles … okay.«

»Ist wohl dein erster Tag heute?«

Ich nickte und zeigte verlegen auf den Kaffeeautomaten, auf dessen Display fröhlich das Wort Error blinkte.

»Ich glaube, ich habe ihn kaputt gemacht.«

»Oh nein.« Sie riss die Augen in Empörung auf und hielt sich eine Hand vor den Mund. »Tja. Dann wird das wohl nicht nur dein erster, sondern auch dein letzter Tag hier gewesen sein.«

Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe. »Das meinst du doch nicht ernst, oder?«

Plötzlich begann sie zu lachen und entblößte eine Reihe gerader, weißer Zähne. Auf ihrem linken Schneidezahn prangte sogar ein Glitzerstein. Das letzte Mal hatte ich so einen während der Junior High gesehen.

»Natürlich nicht. Dieses blöde Ding streikt immer.« Sie lief zur Filtermaschine und nahm sich eine Tasse aus dem Schrank darüber. »Möchtest du auch einen? Glaub mir, das, was aus dem Automaten da kommt, willst du sowieso nicht trinken.«

Angewidert blickte ich den Kaffeeautomaten an. »Gern. Ich bin übrigens Leighton.« Ich hielt ihr meine Hand hin, die sie kurz drückte. Dabei fielen mir die vielen Ringe auf, die sie an ihren Fingern trug. »Sardi, angenehm.«

Sie verdrehte die Augen, als sie meinen verwunderten Blick bemerkte.

»Ich heiße Sardina. Und nein: Ich weiß nicht, was sich meine Eltern dabei gedacht haben.«

»So schlimm ist der Name gar nicht«, schmunzelte ich in dem Versuch, nicht zu lachen.

»Ach, ist okay. Der Name ist scheiße«, sie grinste nun ebenfalls und reichte mir die Kaffeetasse. »Interessantes Outfit«, bemerkte sie und ich wusste nicht, ob sie mich damit verletzen wollte, oder ob sie einfach so ein direkter Typ Mensch war. Wir verließen beide die Küche und liefen durch das Großraumbüro, in dem ich mich allein so völlig verloren fühlte.

»Das Outfit war ein Versehen, glaub mir«, seufzte ich.

Sie lachte. »Gott sei Dank. Ich arbeite größtenteils im Lifestyle-Ressort und hätte mich sonst nicht mit dir zeigen dürfen.«

»Vielen Dank auch.«

»Was machst du hier?«

»Naja … ich bin als studentische Hilfskraft angestellt. Nur für zehn Stunden die Woche. Und ich weiß noch nicht, was meine Aufgaben sind. Bisher sollte ich nur kopieren.« Ich schluckte meine Enttäuschung herunter. »Vermutlich müssen da alle durch.«

»Richtig. Davon bleibt keiner verschont. Ich war auch mal als Studentin hier und bin jetzt seit ein paar Monaten fest angestellt. Glaub mir, es wird besser.« Sie zeigte auf eine Reihe leerer Stühle hinter einem Tresen. Auf einem von ihnen stand mein Rucksack. »Anscheinend bist du heute die einzige Hilfskraft. Hast du dir schon einen Presseausweis geben lassen?«

Ich nickte eifrig und versuchte, möglichst cool zu bleiben, obwohl ich ihn ihr am liebsten stolz gezeigt hätte.

»Super. Dann … such’ dir eine Aufgabe. Selbstinitiative, Baby«. Sie zwinkerte mir zum Abschied zu und wanderte noch ein bisschen weiter durch das Büro.

Ich sollte mir eine Aufgabe suchen? Oh Mann, wo war ich hier nur gelandet? Warum nahm mich niemand an die Hand? Ich stand wie ein begossener Pudel im schlimmsten Erster-Tag-Outfit der Welt inmitten eines Großraumbüros und wollte mich gerade in Selbstmitleid suhlen, da hörte ich von irgendwoher meinen Namen.

»Leighton. Ja, hallo.« Ein untersetzter Typ mit kreisrundem Haarausfall kam auf mich zugestürmt. »Stell die Tasse weg, du hast zu tun. Kopiere diese Mappen hier sieben Mal und bring sie in zehn Minuten zu Meetingraum B3.«

Er wartete gar nicht erst ab, ob ich etwas sagte. Und wieder sollte ich kopieren. Hatte es sich bereits herumgesprochen, dass es eine neue Dumme gab, die die Drecksarbeiten erledigte? Prima. Auf geht’s.

Wenige Minuten später stand ich vor besagtem, verglasten Meetingraum und schlüpfte leise hinein. Es saßen bereits fünf Personen um einen ovalen Tisch herum und unterhielten sich. Keiner schenkte mir Beachtung und so teilte ich die kopierten Mappen aus.

»Hi, sorry Leute.« Ein Mann um die Vierzig kam zur Tür herein und warf sie hinter sich zu, sodass die Scheiben in ihren Fassungen wackelten. »Setz dich«, herrschte er mich mit einem genervten Handwink an.

»Was? Oh nein. Ich bin –«

»Du sollst dich setzen, wir haben nicht viel Zeit.«

Ohne zu diskutieren, zog ich leise einen Stuhl hervor und lächelte verlegen in die Runde. Bereits nach wenigen Sekunden verstand ich, dass es sich hierbei um ein Meeting zwischen Chefredakteur – dem herrischen Typen mit Halbglatze – und seinen Reportern handelte, da er zu schreibende Artikel unter ihnen verteilte. Es wäre unglaublich aufregend für mich gewesen, einfach nur dabei zu sitzen, wenn es nicht gerade das Sport-Ressort gewesen wäre. Ich saß hier inmitten von Sportredakteuren und musste aufpassen, nicht vor Müdigkeit zu gähnen. Sport war wirklich das Langweiligste, worüber man berichten konnte.

»Wo ist Matt?« Der Chefredakteur, dessen Namen ich immer noch nicht wusste, blickte sich im Raum um.

»Krank?« Eine Frau verdrehte genervt die Augen. Man sah ihr an, dass sie dieses Treffen schnell hinter sich bringen wollte.

»Ich brauche ihn aber«, beharrte er. »Heute ist eins der Trainings der Windy City Bulls, bei denen die Presse erlaubt ist.« Sein Gesichtsausdruck erinnerte mich an Dudley Dursley, wie er hinter der Glasscheibe im Zoo gefangen war.

Plötzlich blieb sein Blick an mir haften. Oh oh. Was auch immer jetzt kam, war gar nicht gut.

»Du. Wer bist du? «

»Leighton –«, ich kam gar nicht dazu, mich weiter vorzustellen.

»Aha, Leighton, willkommen im Team. Du übernimmst heute Matts Artikel. Bis morgen, 600 Wörter. Versuch am besten, an Karter Young heranzukommen, und versau es nicht.«

»Karter – wen?« WAS? In mir wuchs eine Panik heran, die ich nicht kontrollieren konnte. »Nein, Sie verstehen nicht. Ich bin –«

»Leighton. Du bist Leighton. Und ich bin Doug, Chefredakteur des Sport-Ressorts. Hast du schon einmal einen Artikel geschrieben?«

Ich nickte stumm und schluckte den dicken Kloß in meinem Hals herunter.

»Prima. Morgen, vier Uhr. Nachmittag. 600 Wörter. Windy City Bulls. Karter Young.«

Das war ein Scherz, oder? Ein riesengroßer Scherz. Ich wusste nicht, was er von mir wollte. Ich wusste noch nicht einmal, wer die Windy City Bulls waren. Baseball? American Football? Ja, ich mochte Herausforderungen und ja, mein Ziel war es, Artikel zu schreiben. Aber doch nicht so.

Das Meeting war beendet und ich stand vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Ich sprintete zu meinem Platz und informierte mich online, über was für einen Sport ich berichten sollte, wer Karter Young war und wo das Training stattfand. Ich schickte mir ein paar Links auf mein Handy, damit ich diese auf dem Weg dahin querlesen konnte. Außerdem sendete ich mir selbst ein Foto von dem Basketballer, damit ich mir sein Gesicht einprägen konnte. Wie peinlich wäre es, wenn ich ihn nicht erkennen würde? Allerdings hatte er die markantesten Gesichtszüge, die ich je bei einem Mann gesehen hatte. Sein Kiefer glich einem Kasten und seine Lippen waren erstaunlich voll und leicht rosa. Er blickte ernst aus dunkelgrünen Augen, die von einem dichten Wimpernkranz umrandet wurden, in die Kamera. Natürlich konnte das Foto auch nachbearbeitet sein, aber er war wirklich sehr attraktiv und ich spürte, wie es in meinem Magen zu kribbeln begann. Ich wusste nicht, ob ich wegen des Artikels so aufgeregt war oder weil ich gleich diesen hübschen Mann interviewen sollte. Wie auch immer ich das bewerkstelligen würde.

 

 

Kaleb

 

Endlich war das Training vorbei. Das hieß, dass es für mich an der Zeit war, vorsichtig selbst ein paar Körbe zu werfen. Mein Arzt verbot mir noch immer, zusammen mit dem Team zu trainieren. Klar, es ging nicht immer wie beim Blümchenpflücken auf einer Wiese zu. Aber es war nicht so, als würde mich eine Horde Elefanten niedertrampeln.

Coach Hill verstand nicht, warum ich mir das jeden Tag aufs Neue antat. Jeden Tag beobachtete ich meine Kollegen dabei, wie sie ihre Pässe trainierten und ihre Freiwürfe perfektionierten. Der Grund war einfach, dass ich trotz meiner Verletzungen den Anschluss nicht verlieren wollte. Bis auf den Umstand, dass ich mich aufgrund des Schädelhirntraumas an den Unfall nicht erinnern konnte, war mein Kopf wieder in Ordnung. Selbstverständlich wollte ich wissen, welche neuen Taktiken Mr. Hill ausprobieren wollte, wenn auch nur theoretisch. Früher hatte ich mir auch erst Bewegungen in Fachbüchern und -filmen angeschaut, ehe ich sie nachmachte.

»Hey Kaleb.« Mein Bruder Karter war bereits frisch geduscht und umgezogen. Wie es schien, hatte er die Interviews mit den nervigen Reportern hinter sich gebracht. Ich hätte niemals geglaubt, sogar diesen Part zu vermissen. Der Medienrummel um meinen Unfall hatte sich schnell abgekühlt. Durch den Umstand, dass der Täter noch immer unbekannt war, hatte mein Anwalt erwirkt, dass sämtliche, den Unfall betreffende Artikel gelöscht wurden. Es war fast so, als hätte es mich und meinen Erfolg niemals gegeben. Kaleb Young wurde gelöscht, von der Bildfläche verbannt. Zwar wurde ich noch als verletzter Spieler der Windy City Bulls geführt, doch bewirkte das Wort ›verletzt‹, dass man unsichtbar wurde.

»Hey.« Ich dribbelte einen Basketball auf und ab, als er auf mich zukam.

»Trainierst du noch eine Weile? Ich würde sonst schon fahren. Nimmst du dir wieder ein Taxi?«

Ich nickte. »Klar, kein Ding. Bis später.«

»Okay, bis später.« Er klopfte mir vorsichtig auf die Schulter und verließ die Halle.

Es war ein seltsames Gefühl, so allein hier zu stehen. Normalerweise war das Betreten der Sears Centre Arena außerhalb der Trainingszeiten untersagt, jedoch hatte Coach Hill eine Ausnahmegenehmigung für mich erwirkt. Wenn er wüsste, wie dankbar ich war, dass man mich nicht einfach aus der G-League werfen konnte. Ein Glück war ich auf dem besten Weg der vollsten Genesung, da ich, mit meinen 23 Jahren, in der wichtigsten Phase auf meinem Weg zum Profi-Basketballer steckte.

Ich stellte mich an die Freiwurflinie, dribbelte zwei Mal, hob den Arm und warf den Ball direkt durch das Netz. Ein fieser Schmerz durchfuhr mich, doch ich biss die Zähne zusammen und nahm mir bereits den nächsten Basketball. Sobald ich meinen Arm hob, spürte ich diesen Druck in der Schulter und das Ziehen in der Hüfte. Ich sollte mich nicht überschätzen, sagte mir mein Physiotherapeut. Doch durfte ich mich auch nicht von dem Schmerz daran hindern lassen, das Spiel zu spielen.

»Entschuldigung.« Eine weibliche, atemlose Stimme erschreckte mich, sodass ich den Ball fallen ließ. »Oh, das wollte ich nicht.« Sie zeigte auf das Wurfgeschoss, das langsam auf sie zurollte. »Sorry, echt.«

Verwundert zog ich die Augenbrauen zusammen und musterte sie. Seltsamer Aufzug. Warum trug sie eine Bluse und dazu eine enge Tights? War das das neue ›Ich gehe nach der Arbeit noch Laufen‹-Outfit?

»Kein Problem.« Ich wandte mich von ihr ab und nahm mir einen neuen Ball.

Sie räusperte sich. »Entschuldigung, sind Sie Mr. Young?«

Ich schluckte und hielt kurz inne. »Ja. Die Zeit für die Presse ist schon längst vorbei.«

»Ich weiß«, murmelte sie. »Hören Sie. Es ist mein erster Tag als Reporterin und eigentlich wollte ich das auch gar nicht machen. Also doch – Artikel schreiben wollte ich, aber ich habe keine Ahnung von Basketball. Oder allgemein Sport, aber ich muss morgen –« Sie verstummte, straffte ihre Schultern und strich ihre lockigen Haare hinter ihre Ohren, wo diese allerdings keine Sekunde hielten. »Darf ich Ihnen bitte ein paar Fragen stellen?«

Ich nickte lediglich. Irgendetwas an ihr lähmte mein Sprechvermögen. Ich konnte mir nicht erklären, was plötzlich mit mir los war. Vielleicht waren es ihre Augen. Ich wusste, dass es Menschen mit solchen Augen gibt, aber ich hatte es noch nie gesehen. Eine Iris war blau, die andere grün. Beide Farben harmonierten so perfekt mit ihrer hellbraunen Haarfarbe. Vielleicht war es ihr seltsames Auftreten, das allen Regeln der Mode zu trotzen schien. Vielleicht waren es ihr zierlicher Körperbau oder ihre zarte, aber irgendwie stolze Stimme.

»Okay.« Sie nahm ihr Handy zur Hand und las mir die erste Frage vor. »Ähm… Wie… war das Training?« Sie errötete und wich meinem Blick aus. Scheiße, sie war echt hübsch. Gott Kaleb, konzentriere dich!, dachte ich nur. »Es war … gut?« Mir schwante, dass sie eigentlich mit meinem Bruder sprechen wollte.

Das Vernünftigste wäre gewesen, die Situation hier und jetzt aufzulösen. Ihr mitzuteilen, dass sie mich mit meinem Bruder verwechselte. Ich war nicht Karter Young. Sondern Kaleb Young, der verletzte, unsichtbare Bruder, der sich nicht erklären konnte, warum diese Unbekannte plötzlich ein Gefühl in ihm bewirkte, das er schon lange Zeit nicht mehr zugelassen hatte.

Kapitel 3

Leighton

 

»Wie war das Training?« Ich lief aufgebracht zwischen dem Kühlschrank und dem Esstisch hin und her. Madelyn versuchte krampfhaft, nicht vor Lachen zusammenzubrechen.

»Leigh«, presste sie hervor und hielt sich gackernd den Bauch. Es fehlte nicht mehr viel und sie würde vom Küchenstuhl fallen. »Das kann doch mal passieren!«

Ich strafte sie mit einem bösen Blick, der die Hölle gefrieren lassen könnte. »Nein!« Ich schlug die Hände über meinem Kopf zusammen und stöhnte laut auf, wie ein wild gewordener Affe.

»Lass alles raus, Baby«, stichelte Madelyn weiter.

Ihr Versuch, mich durch blöde Sprüche zu beruhigen, fruchtete langsam. Den ganzen Weg von der Trainingsstätte bis nach Hause hatte ich dieses peinliche Interview rekapituliert. Noch niemals zuvor war ich so unvorbereitet gewesen. Es war wie eine niemals endende Spirale aus Oh-bitte-Erdboden-tu-dich-auf gewesen. Schon, als die erste Frage meinen Mund verlassen hatte, wusste ich, dass ich meine Würde und Autorität verloren hatte und das Interview nicht mehr retten konnte. Wie war das Training? Wenn Karter Young mich jetzt nicht für völlig plemplem hielt, war ihm auch nicht mehr zu helfen.

»Weißt du, was das Schlimme an der ganzen Sache ist?« Ich ließ mich erschöpft auf den Stuhl sinken und starrte auf die paar losen, beschriebenen Blätter, die auf dem Esstisch verstreut lagen.

»Dass unser Essen jeden Moment kommt und ich erst einmal den Tisch unter all deinen Notizen suchen muss?«, stichelte sie und legte den Kopf schief. Sie griff nach den Spitzen ihrer hellblonden Haare und fuhr sich immer wieder mit den Fingern hindurch.

Ich verdrehte die Augen. »Nein.«

»Sondern?«

»Bis morgen muss ich versuchen, aus diesem Kackhaufen eine Torte zu backen.«

Madelyn lachte erneut auf. »Ich glaube, du bist gerade auf der Höhe deiner Eloquenz.« Sie warf mir einen herausfordernden Blick zu und griff nach allen Papieren, legte sie neben sich auf dem freien Stuhl ab.

»Was soll das, Mads?«, brummte ich. »Gib mir bitte meine Notizen wieder, ich brauche sie.«

Gerade, als Madelyn etwas erwidern wollte, klingelte es an der Tür. »Ich gehe schon.« Sie sprang auf. »Und die Notizen bleiben, wo sie sind!«, tadelte sie mich mit erhobenem Zeigefinger.

»Jaja«, murrte ich ergeben und suchte Besteck und Gläser zusammen.

Mit zwei Schachteln Pizza und einer Assiette Salat beladen kam sie zurück in die Küche. Mir entging nicht, dass ihr erster Blick prüfend zum Stuhl huschte.

»So«, sie stellte die Pizzakartons auf dem Tisch ab. »Und jetzt möchte ich gern zusammenhängend erfahren, was heute bei dir passiert ist.«

»Hab ich doch erzählt«, jammerte ich und ließ mein Kinn wieder in meine Hände sinken.

»Hast du gar nicht«, grinste sie und ich realisierte, dass sie recht hatte. Sobald mich eine Sache belastete, bemerkte ich oft nicht, dass ich wirr durcheinanderredete. Ich konnte von Glück sagen, dass Mads so geduldig mit mir war.

»Also«, ich griff nach einem Stück Käsepizza, biss herzhaft hinein und weihte meine beste Freundin ein. »Ich bin heute irgendwie in dem täglichen Meeting zwischen Reportern und Chefredakteur gelandet.«

»Wow, daf if riftif cool«, schmatzte sie ganz ungeniert mit vollem Mund.

»Vom Sport Ressort.«

»Upff«, sie schluckte ihren Bissen herunter. »Verstehe.«

»Der Chefredakteur hat mich gefragt, ob ich schon einmal einen Artikel geschrieben hab. Aber eigentlich hat er mir keine Sekunde gegeben, überhaupt etwas zu erwidern.«

»Klingt sympathisch.« Sie verdrehte die Augen.

»Ja, er ist ein komischer Typ«, pflichtete ich ihr bei. »Jedenfalls war einer der Reporter krank, also soll ich seinen Artikel übernehmen.«

»Du.«

»Ich.«

»Du hast keine Ahnung von Sport.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Das weiß ich auch, Mads«, zischte ich verzweifelt. »Jedenfalls bin ich schnell zur Sears Centre Arena gefahren, aber das Training war vorbei und die offizielle Pressezeit ebenso.«

»Und wie bist du dann an den Typen herangekommen?«

Ich biss mir auf die Unterlippe. »Der war halt noch da, hat ein paar Körbe geschmissen und ich habe ihn einfach angesprochen.«

»Geworfen«, verbesserte sie mich.

»Was?«

»Körbe geworfen heißt das.« Sie zog entschuldigend die Schultern hoch und biss ein großes Stück ihrer Pizza ab.

Ich versteckte mein Gesicht hinter meinem Pizzastück und jaulte laut auf. »Oh Gott, siehst du? Ich weiß ja nicht einmal, wie man den Ball korrekt nennt.«

Madelyn schenkte mir einen Blick, als hätte ich von ihr verlangt, ihren Namen zu tanzen. »Basketball?«

»Oh«, ich grinste. »Doch so einfach?«

»Das war ein Scherz, oder?«

»Ich wünschte, ja.« Ich spürte, wie sich der Knoten in meinem Magen löste und fing an, aus vollem Halse zu lachen. »Ich habe wirklich absolut keine Ahnung davon.«

»Dann wird das wohl eine lange Nacht.« Sie griff nach den Notizen. »Ich helfe dir.«

»Wirklich?« Gerührt lächelte ich.

Madelyn nickte energisch. »Japp, ich habe morgen eh frei und meine Vorlesung ist … nicht so wichtig.«

»Sicher?«

»Wenn ich es doch sage.« Sie wich meinem Blick aus.

»Mads?«

Verlegen strich sie sich die Haare hinter die Ohren. »Ich will ihn morgen nicht sehen, okay?«

»Ach Süße«, flüsterte ich, entschied aber, das Thema wie immer fallen zu lassen. Wenn sie für heute dichtmachte, hätte ich mir ins eigene Fleisch geschnitten.

»Also.« Euphorisch schob sie die halb leeren Kartons zur Seite und pfefferte die Papiere in unsere Mitte. »Bring erst einmal Ordnung in diesen Haufen hier.« Sie kreiste mit ihren Fingern über den Papieren herum, als wollte sie diese verzaubern.

Ich griff nach den ersten Zetteln und versuchte, mich an die Reihenfolge zu erinnern, in der ich Karter Young die Fragen gestellt hatte. Vor lauter Aufregung hatte ich mich nicht an die gehalten, die ich in meinem Handy notiert hatte. Das war gar nicht so einfach, denn das einzige, woran ich mich ganz genau erinnern konnte, waren die Farben seiner Augen und seiner Haare.

»So«, wenige Minuten später hatte ich eine, hoffentlich sinnvolle, Abfolge gestaltet und reichte Madelyn alles herüber. Sie legte ihr Handy beiseite, auf dem sie herumgetippt hatte. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich währenddessen verfinstert und es versetzte mir immer wieder einen Stich, sie so unglücklich zu sehen und nichts daran ändern zu können.

»Na zeig mal her.« Sie nahm mir die Zettel ab und kniff die Augen zusammen.

»Mads?«

»Mhm?«

»Deine Brille.«

Sie fasste sich mit ihrer freien Hand ertappt ins Gesicht und lachte. »Ich kann mich an das Ding einfach nicht gewöhnen.«

Ich lachte. »Das liegt vermutlich daran, dass du sie nie trägst. Los, hol sie.«

»Du hast wohl recht, warte. Ich gehe mal eben schauen, wo sie überhaupt ist.« Währenddessen goss ich uns erst Eistee nach und ging dann in mein Schlafzimmer, um mein Notebook zu holen.

Ich tippte Windy City Bulls in den Browser ein und sofort wurde ein Foto von Karter Young angezeigt. Da war es plötzlich wieder. Dieses Kribbeln in meinem Bauch und das warme Gefühl in meinen Eingeweiden. Ich klickte das Bild von ihm an, das ich mir heute Vormittag schon auf mein Handy gesendet hatte. Seine Augen strahlten Stärke und Selbstsicherheit aus und irgendwie zog mich das an. Trotz seiner Größe wirkte er auf mich nicht einschüchternd, obwohl er mich um mindestens zwei Köpfe überragte und auch bestimmt doppelt so breit war wie ich. Sicherheit. Mir wurde schlagartig warm. Warum hatte ich dieses Wort, seit ich ihn vorhin gesprochen hatte, immer wieder im Kopf? Was war nur los mit mir? Ich interessierte mich nicht für irgendwelche Sportler und abgesehen davon, war für einen Mann aktuell kein Platz in meinem Leben. Ich hatte Ziele und würde mich von denen nicht durch irgendjemanden abbringen lassen.

Selbst wenn ich nur einmalig für Doug schreiben würde, hieß das nicht, dass ich den Artikel auf die leichte Schulter nehmen konnte. Mein eigener Ehrgeiz an mich selbst verlangte von mir, einen zu hundert Prozent perfekten Text abzuliefern. Immerhin war es mein allererster Artikel, der die Chance hatte, in einer renommierten Tageszeitung gedruckt zu werden. Oder wenigstens im Online-Portal geschaltet wurde. Letzteres wäre auch nicht so schlecht, denn das Internet vergaß bekanntlich nicht. Was in diesem Fall gut für mich war.

»So, gefunden.« Mads hatte sich in einen kuscheligen Jumpsuit geworfen, trug ihre Brille und band sich gerade ihre kurzen Haare zu einem Knäuel auf dem Kopf zusammen, wobei die Hälfte wieder herausfiel. Ertappt klappte ich blitzschnell mein Notebook zu und bereute es eine Sekunde darauf schon. »Äh, alles okay?«, prustete sie los.

»Ja?«, quietschte ich atemlos und strich mir meine Locken aus dem Gesicht. »Klar, alles okay.«

Madelyn hob eine Augenbraue und grinste mich schelmisch an. »Was hast du dir da angeguckt?«