INHALT

Einführung

Der Werkzeugkasten: Wie wirkt Vertrauen?

Die Daten: Wer vertraut wem?

Die Aufgabe: Eine Politik des Vertrauens

Anhang

Die Vermächtnisstudie

Danksagung

Literatur

Anmerkungen

EINFÜHRUNG

Wer steckt heute nicht in der Vertrauenskrise? Die parlamentarische Demokratie erscheint überfordert, machtlos, getrieben von Globalisierung und Einzelinteressen, nicht mehr zur politischen Entscheidung fähig. Die Marktwirtschaft wird als korrupt wahrgenommen, sie opfere einen Wohlstand für alle dem maximalen Profit. Die Massenmedien gelten als unglaubwürdig, sie jagten nach Sensationen und könnten die komplexen Zusammenhänge der Welt nicht mehr verständlich erklären.

Solchen Diskursen gegenüber steht das weniger spektakuläre Alltagsleben, in dem die meisten Menschen zumindest so weit vertrauen, dass sie zur Wahl gehen, ihr Geld für wertvoll halten und in der Regel glauben, was in den Nachrichten kommt.

Die Diagnose von Vertrauenskrisen ist also nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Entsprechend hilflos wirken manche politischen Forderungen, die auf eine allgemein empfundene Vertrauenskrise reagieren: Appelle zum Zusammenhalt, zur Solidarität oder auch nur zum Dialog mit Menschen, die andere politische Ansichten vertreten als man selbst. Denn fehlt eine verbindliche gemeinsame Grundlage, können weder Aufrufe noch das Gespräch eine nachhaltige Wirkung entfalten. Es bleibt beim – mehr oder weniger höflichen – Schlagabtausch.

Wenn wir in diesem Buch die Frage nach dem Vertrauen stellen, geht es uns um Vertrauen als eine Beziehung, die gemeinsames Handeln überhaupt erst ermöglicht. Es ist der entscheidende Faktor, wenn wir uns fragen, wie wir die großen Herausforderungen unserer Zeit bewältigen wollen. Denn von der Digitalisierung der Arbeitswelt bis hin zum Klimawandel ist die Wahrnehmung der Probleme davon abhängig, wie wir unser eigenes Handeln mit dem Handeln der anderen verknüpft sehen. Um den Herausforderungen begegnen zu können, braucht es einerseits das individuelle Vertrauen, selbst etwas bewirken zu können, die Überzeugung, dass eigene Anstrengungen auch für die Gesellschaft insgesamt etwas verändern. Andererseits sind wir darauf angewiesen, dass dieses Handeln von den anderen beachtet und berücksichtigt wird, also nicht isoliert bleibt.

Vertrauen hat viel mit Kontrolle zu tun. Wenn bei den Menschen etwa der Eindruck entsteht, dass staatliche Institutionen die Kontrolle über wichtige Aufgabenfelder verloren haben, schwindet mittelfristig ihr Vertrauen in sie. Hier blüht das Geschäft populistischer Politik, die ja mehr oder weniger glaubhaft vorgibt, volle Kontrolle zurückerlangen zu können. Dafür bekommt sie, oft scheinbar gegen jede Vernunft, von einem Teil der Wählerinnen und Wähler einen gewaltigen Vertrauensvorschuss. Oder die Menschen kümmern sich nicht weiter um Politik, suchen ihr Glück im Privaten, investieren ihre Zeit und ihr Geld lieber in sich selbst und in ihre Kinder. Das verspricht wenigstens eine gewisse Kontrolle über das eigene Leben. Für all jene, die es sich leisten können, ersetzt sie die Unterstützung seitens der Politik. Die Lebensmöglichkeiten derjenigen, die sich das nicht leisten können, schwinden dagegen.

Vertrauen ist nicht einfach ein individuelles Vermögen. Es besteht immer in Beziehungen – Beziehungen zu sich selbst, der Familie, den Freunden, der Gesellschaft insgesamt. Welche Art von Kontakt das eigene Leben mit dem der anderen verbindet, entscheidet somit zu einem guten Teil darüber, wer wem Vertrauen schenken kann. Die Möglichkeiten zum Kontakt mit anderen sind, wie wir sehen werden, in Bezug auf ökonomische Ressourcen wie auf Bildung sehr ungleich verteilt. Die Vertrauensfrage steht deshalb für eine Neudefinition der Verteilungsfrage: Es geht nicht mehr allein um die Verteilung von Gütern, sondern auch darum, wie individuelle Ressourcen zur Gestaltung des eigenen Lebens sowie des sozialen Miteinanders in den Beziehungsgeflechten unserer Gesellschaft verteilt sind. Und wer dabei die Gewinner und wer die Verlierer sind.

Um nachvollziehen zu können, wie die Menschen in Vertrauensbeziehungen eingebunden sind und wie sie auf ihre Mitmenschen blicken, brauchen wir Daten. Wir erhalten sie aus einer Studie, die wir am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung zusammen mit der Wochenzeitung DIE ZEIT und dem infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft durchgeführt haben. In einer ersten repräsentativen Erhebung von 2015 befragten wir die Menschen in Deutschland zu ihren Einstellungen und ihrem Handeln heute und dazu, ob diese als Maßstab für die »nachfolgenden Generationen«, also für die Gesellschaft der Zukunft, gelten sollten. Wir konnten sehen, wo das, was die Befragten über ihr Leben heute sagten, auch dem entsprach, was sie sich für die Zukunft wünschten, wie Sein und Sollen zueinander stehen. Das nannten wir das »Vermächtnis«, weshalb die Studie »Vermächtnisstudie« heißt (eine kurze Übersicht zu ihr findet sich auf S. 113 ff. dieses Buches).

Wenn wir die individuellen Aussagen der Befragten über ihr eigenes Leben und ihre Wünsche für die Zukunft vergleichen, wissen wir aber noch nicht, wie sich ihre Ansichten zu dem verhalten, was sie an ihren Mitmenschen wahrnehmen. Für die Überzeugung der Menschen, dass ihre Wünsche auch gesellschaftlich umsetzbar sind und sie damit nicht allein dastehen, ist dieses Verhältnis jedoch grundlegend. Wir mussten also auch ermitteln, wie die Befragten ihre Mitmenschen heute sehen. Deswegen haben wir 2018 in einer zweiten großen Erhebung diese Frage ergänzt. Wir betrachten, wie die Befragten sich selbst, ihre Einstellungen und ihr Verhalten im Vergleich zu den anderen Menschen in Deutschland einschätzen.

Damit sind wir beim Kern unserer Vertrauensfrage: Bei welchen Themen glauben die Menschen, dass andere eine ähnliche Ansicht vertreten wie sie selbst? Wo schenken sie den anderen Vertrauen, weil sie davon ausgehen, dass diese wie sie denken und sich wie sie verhalten? Der Unterschied zwischen den Antworten auf die Fragen »Was ist mir wichtig?« und »Was ist den anderen Menschen in Deutschland wichtig?« ist in einigen Bereichen des täglichen Lebens riesig. In anderen Bereichen passt kein Blatt zwischen das, was die Menschen über sich und über die anderen sagen. Warum ist das so? Was unterscheidet die Themen? Wie kommt es, dass viele Menschen zwar sehr ähnliche Meinungen teilen, aber trotzdem davon ausgehen, ganz unterschiedlicher Ansicht als die anderen zu sein? Dieses Missverständnis, um nicht zu sagen: Unverständnis, ist es, was wir mit der »Vertrauensfrage« meinen.

Mit diesem Blick machen wir auf die Bedingungen von sozialem Fortschritt aufmerksam. Vertrauen ist immer ein Risiko. Wer Vertrauen schenkt, macht sich verletzbar. Doch erst, indem man den anderen vertraut und ihnen somit ihre Selbstständigkeit zugesteht, gibt man ihnen den Raum, der etwas Neues überhaupt erst ermöglicht. Beziehungen aufzubauen, die ein solches Risiko rechtfertigen, ist ein langwieriger Prozess. Er erfordert eine gewisse Verlässlichkeit im Lebenslauf, genügend Zeit und Geld sowie das Vermögen, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten. Und schließlich Infrastrukturen, die dafür sorgen, dass man dabei nicht isoliert bleibt, mit anderen in Kontakt kommt.

Maßnahmen, die diese Bedingungen herstellen, nennen wir eine Politik des Vertrauens. Es ist eine Politik, die nicht in moralischen Appellen zu gesellschaftlichem Zusammenhalt besteht, sondern nach seinen Bedingungen fragt. Wie eine solche Politik aussehen kann, werden wir am Ende des Buches aufzeigen. Auch wenn wir die Maßnahmen nur skizzieren können, so hoffen wir doch, Ihnen, den Leserinnen und Lesern, genügend Instrumente an die Hand zu geben, die Politik des Vertrauens nach der Lektüre weiterzudenken. Sie haben unser Vertrauen.