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Der Autor

Prof. Dr. Dr. habil. Thomas Schnell ist Psychologischer Psychotherapeut und Professor für Klinische Psychologie und Verhaltenstherapie an der Medical School Hamburg.

Thomas Schnell

Verhaltenstherapie der Sucht

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-033614-8

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-033615-5

epub:   ISBN 978-3-17-033616-2

mobi:   ISBN 978-3-17-033617-9

Geleitwort der Reihenherausgeber

 

 

Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte im Suchtbereich sind beachtlich und erfreulich. Dies gilt für Prävention, Diagnostik und Therapie, aber auch für die Suchtforschung in den Bereichen Biologie, Medizin, Psychologie und den Sozialwissenschaften. Dabei wird vielfältig und interdisziplinär an den Themen der Abhängigkeit, des schädlichen Gebrauchs und der gesellschaftlichen, persönlichen und biologischen Risikofaktoren gearbeitet. In den unterschiedlichen Alters- und Entwicklungsphasen sowie in den unterschiedlichen familiären, beruflichen und sozialen Kontexten zeigen sich teils überlappende, teils sehr unterschiedliche Herausforderungen.

Um diesen vielen neuen Entwicklungen im Suchtbereich gerecht zu werden, wurde die Reihe »Sucht: Risiken – Formen – Interventionen« konzipiert. In jedem einzelnen Band wird von ausgewiesenen Expertinnen und Experten ein Schwerpunktthema bearbeitet.

Die Reihe gliedert sich konzeptionell in drei Hauptbereiche, sog. »tracks«:

Track 1: Grundlagen und Interventionsansätze

Track 2: Substanzabhängige Störungen und Verhaltenssüchte im Einzelnen

Track 3: Gefährdete Personengruppen und Komorbiditäten

In jedem Band wird auf die interdisziplinären und praxisrelevanten Aspekte fokussiert, es werden aber auch die neuesten wissenschaftlichen Grundlagen des Themas umfassend und verständlich dargestellt. Die Leserinnen und Leser haben so die Möglichkeit, sich entweder Stück für Stück ihre »persönliche Suchtbibliothek« zusammenzustellen oder aber mit einzelnen Bänden Wissen und Können in einem bestimmten Bereich zu erweitern.

Unsere Reihe »Sucht« ist geeignet und besonders gedacht für Fachleute und Praktiker aus den unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Suchtberatung, der ambulanten und stationären Therapie, der Rehabilitation und nicht zuletzt der Prävention. Sie ist aber auch gleichermaßen geeignet für Studierende der Psychologie, der Pädagogik, der Medizin, der Pflege und anderer Fachbereiche, die sich intensiver mit Suchtgefährdeten und Suchtkranken beschäftigen wollen.

Die Herausgeber möchten mit diesem interdisziplinären Konzept der Sucht-Reihe einen Beitrag in der Aus- und Weiterbildung in diesem anspruchsvollen Feld leisten. Wir bedanken uns beim Verlag für die Umsetzung dieses innovativen Konzepts und bei allen Autoren für die sehr anspruchsvollen, aber dennoch gut lesbaren und praxisrelevanten Werke.

Der vorliegende Band zu verhaltenstherapeutischen (VT-)Ansätzen bei der Behandlung der Sucht, verfasst von Thomas Schnell aus Hamburg, gehört zu Track 1 (Grundlagen und Interventionsansätze). Das Herzstück des Bandes bildet das Kapitel 3 mit einer systematischen und anschaulichen Darstellung und Erläuterung der Grundlagen und Grundzüge einer modernen VT-Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen sowie der einzelnen therapeutischen Techniken und symptombezogenen Interventionen. Dabei werden klassische, kognitive und sog. Dritte-Welle-Verfahren berücksichtigt. Der Band wird durch Kapitel zu speziellen Therapieprogrammen für bestimmte Störungen und Komorbiditäten, zu der empirischen Evidenz für die Wirksamkeit der VT-Ansätze und zu der bevölkerungsbezogenen und gesundheitspolitischen Relevanz abgerundet.

 

Oliver Bilke-Hentsch, Winterthur/Zürich

Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Köln

Michael Klein, Köln

Inhalt

 

  1. Geleitwort der Reihenherausgeber
  2. 1 Einleitung
  3. 2 Fallvignette
  4. 3 Grundzüge der Verhaltenstherapie der Sucht
  5. 3.1 Historische Wurzeln der modernen Suchtbehandlung
  6. 3.2 Konzeptionelle Einordnung von Verhaltensexzessen – süchtiges oder zwanghaftes oder impulskontrollgestörtes Verhalten?
  7. 3.3 Zielvariablen für die Verhaltenstherapie der Sucht
  8. 3.3.1 Biologische Perspektive und der Faktor »Droge«
  9. 3.3.2 Psychologische Perspektive
  10. 3.3.3 Soziale/umweltbezogene Perspektive
  11. 3.3.4 Strukturelle, funktionale und Verlaufsaspekte
  12. 3.4 Setting
  13. 3.5 Grundpositionen
  14. 3.6 Formale Struktur des Therapieprozesses
  15. 3.7 Therapeutische Beziehung
  16. 3.7.1 Beziehungsgestaltung in Abhängigkeit von motivationalen Stadien sowie interaktionellen Motiven
  17. 3.8 Therapiephase 1: Vom Erstkontakt zur Zieldefinition
  18. 3.8.1 Erstkontakt
  19. 3.8.2 Diagnostik
  20. 3.8.3 Bedeutung und subjektive Verarbeitung der Diagnose
  21. 3.8.4 Psychoedukation (PE)
  22. 3.8.5 Zieldefinition
  23. 3.9 Therapiephase 2: Symptombezogene Interventionen
  24. 3.9.1 Selbstbeobachtung: Arbeit mit Tagebuchkarten
  25. 3.9.2 Motivation und Ambivalenz
  26. 3.9.3 Skillstraining
  27. 3.9.4 Kontingenzmanagement
  28. 3.9.5 Reizkonfrontation (Cue-Exposure)
  29. 3.9.6 Kognitive Therapie
  30. 3.9.7 Imaginative Techniken in der Suchtbehandlung
  31. 3.9.8 Achtsamkeit und Akzeptanz in der Suchtbehandlung
  32. 3.9.9 Rückfallprophylaxe
  33. 3.10 Therapiephase 3: Lebensqualität und Kongruenz
  34. 3.10.1 Grundbedürfnisse und Funktionalität von Substanzkonsum
  35. 3.10.2 Problem der Entfremdung und Alienationstraining
  36. 3.11 Wirkfaktorenorientierte Suchtbehandlung
  37. 3.11.1 Allgemeine Wirkfaktoren – spezifisch für die Suchtbehandlung?
  38. 3.11.2 Extratherapeutische Wirkfaktoren in der Suchtbehandlung
  39. 3.12 Besondere Aspekte
  40. 3.12.1 Umgang mit schwierigen Situationen
  41. 3.12.2 Metaphern in der Suchtbehandlung
  42. 3.12.3 Die Therapie beenden
  43. 4 Moderne Therapieansätze und Programme
  44. 4.1 Kurzinterventionen und Kurztherapien bei Abhängigkeit
  45. 4.2 Alkoholismusspezifische Psychotherapie (ASP)
  46. 4.3 Community Reinforcement and Family Training (CRAFT)
  47. 4.4 CANDIS-Programm bei Cannabissucht
  48. 4.5 Computergestützte psychologische Interventionen (CPI)
  49. 4.6 Konzepte für komorbide psychische Störungen und Sucht
  50. 4.6.1 Posttraumatische Belastungsstörung und Sucht
  51. 4.6.2 Schizophrenie und Sucht
  52. 4.6.3 Persönlichkeitsstörungen und Sucht
  53. 5 Empirische Evidenz der Suchtbehandlung
  54. 5.1 Evidenz für unterschiedliche Behandlungssettings
  55. 5.2 Evidenz des Vergleichs verschiedener Therapieansätze
  56. 5.2.1 Evidenz für Kurzinterventionen
  57. 5.2.2 Evidenz für Psychoedukation (PE)
  58. 5.2.3 Evidenz für Motivierende Interventionen (MI)
  59. 5.2.4 Evidenz für kognitive Interventionen
  60. 5.2.5 Evidenz für Cue-Exposure
  61. 5.2.6 Evidenz für Skillstrainings in der Suchtbehandlung
  62. 5.2.7 Evidenz für Achtsamkeit und Akzeptanz
  63. 5.2.8 Evidenz für Kontingenzmanagement
  64. 5.2.9 Evidenz für computergestützte psychologische Interventionen (CPI)
  65. 5.2.10 Evidenz für die Behandlung von Sucht und komorbiden psychischen Störungen
  66. 6 Klinische, bevölkerungsbezogene und gesundheitspolitische Relevanz
  67. 7 Abschlussbemerkungen
  68. Literatur
  69. Sachwortverzeichnis

1          Einleitung

 

Die psychotherapeutische Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen gilt als sehr schwierig. Betroffene Patienten sind häufig hochgradig ambivalent hinsichtlich ihrer Therapieziele, was mit einer hohen Rate an Rückfällen einhergeht. Auf der einen Seite wünschen sie sich, endlich befreit zu sein von den Fesseln der Sucht, andererseits können sie nicht von ihrem Suchtverhalten lassen. Ein Grund dafür ist, dass bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Sucht im Unterschied zu anderen psychischen Störungen positive Emotionen beteiligt sind. Die Sucht folgt neben der Dynamik negativer Verstärkung dadurch auch positiv verstärkenden Prozessen. Andere psychische Störungen dagegen werden primär negativ verstärkt aufrechterhalten. Zum Beispiel sorgt bei Angststörungen die Vermeidung für Angstreduktion, bei Zwangsstörungen reduziert die Zwangshandlung Anspannungsgefühle. Der Substanzkonsum beinhaltet jedoch mit dem Rausch ein sehr intensives positives Erleben, das zudem auf einfache Weise hergestellt werden kann (Rauchen, Schlucken oder intranasale Applikation) und das im Gehirn nachhaltig repräsentiert wird. In späteren Verlaufsphasen der Sucht wird aufgrund von Toleranzentwicklung und Entzug bei Abstinenz zunehmend eine negative Verstärkung relevant. Zudem werden beim Konsum häufig nur noch Annäherungen an das ursprüngliche Rauschgefühl erlebt. Dennoch ist die Erinnerung an die ehemals intensiven Gefühle im Organismus gespeichert, und das Suchtverhalten wird im Sehnen nach diesen Gefühlen aufrechterhalten. Dagegen ist in der Therapie oft nur schwer anzukommen.

Eine moderne Perspektive der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT), die klassische Prinzipien der Verstärkung und motivationsbasierte Interventionen integriert, erscheint zur Behandlung der Sucht besonders gut geeignet. Dies wurde im vorliegenden Therapiekonzept realisiert, welches störungsspezifische Ansätze mit störungsübergreifenden wirkfaktoren- und bedürfnisorientierten Ansätzen in einem stimmigen Gesamtkonzept vereint.

Bevor auf evidenzbasierte verhaltenstherapeutisch orientierte Strategien der Suchtbehandlung eingegangen wird, werden ätiologische Konzepte sowie relevante epidemiologische Daten präsentiert sowie allgemeine Überlegungen zum Konzept der Sucht vorgestellt und anhand ihrer historischen Entwicklung hergeleitet. Ebenso werden strukturelle Spezifika hinsichtlich ihrer jeweiligen Besonderheiten in Bezug auf die Suchttherapie besprochen (z. B. ambulantes versus stationäres Setting).

Aufgrund der motivationalen Schwierigkeiten von Suchtpatienten in der Psychotherapie bedarf es einer speziellen Atmosphäre, die zu weiten Teilen über die Beziehungsgestaltung vermittelt wird. Gestaltungsprinzipien für die therapeutische Beziehung werden aus unterschiedlichen evaluierten Ansätzen zusammengefasst und komprimiert. Insbesondere Konzepte wie das Motivational Interviewing oder die für Suchtprobleme modifizierte Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT-Sucht) propagieren die hohe Bedeutung einer humanistischen Grundhaltung des Therapeuten, um Patienten mit bedingungsloser Wertschätzung und Akzeptanz zu begegnen und Ressourcen zu mobilisieren.

Seitens der therapeutischen Techniken werden verschiedene Bausteine bzw. Module für die langfristige ambulante Verhaltenstherapie vorgestellt. Sie werden in drei Phasen unterteilt.

Phase 1 fokussiert auf den Beginn der Behandlung mit Vorschlägen für den Erstkontakt, Hinweise für die Diagnostik sowie die Psychoedukation und die Definition adäquater Therapieziele.

Phase 2 ist störungsorientiert ausgerichtet. Dazu zählen motivationsfördernde Interventionen, die sich u. a. am Konzept des Motivational Interviewing orientieren. Für einen funktionalen Umgang mit Suchtdruck-intensiven aversiven Affekten werden Elemente des Skillstrainings aus der DBT-Sucht vorgestellt. Denn erst wenn Patienten ihre Ambivalenz bewältigt haben, ausreichend änderungsmotiviert und zudem befähigt sind, Suchtdruck und starke Affekte ohne die Hilfe psychoaktiver Substanzen zu regulieren, sind die klassischen Komponenten einer Kognitiven Verhaltenstherapie indiziert. Dazu zählen die Exposition mit Suchtreizen (Cue-Exposure),Kontingenzmanagement und die Umstrukturierung suchtspezifischer Kognitionen. Schließlich werden emotionsaktivierende (z. B. imaginative und achtsamkeitsbasierte) Interventionen ergänzt, die in Kombination mit kognitiven Techniken wie ein Booster verstärkend wirken können, indem aktivierte affektive Schemata schneller auf kognitive Strategien respondieren.

Phase 3 stellt eine störungsübergreifende Perspektive vor. Denn die Reduktion suchtspezifischer Symptome ist zwar wichtig, reicht aber nicht aus, um die subjektive Lebensqualität bzw. Lebenszufriedenheit zu erhöhen. Daher wird in Anlehnung an das Konzept der allgemeinen Psychotherapie nach Klaus Grawe ein Fokus auf Kongruenz im Sinne einer möglichst guten Passung zwischen Grundbedürfnissen von Patienten und ihrer realen Lebensführung gelegt. Inkongruenz ist nicht zuletzt ein Parameter, der mit dem Erleben von Stress assoziiert ist und dadurch als Risikofaktor für Substanzkonsum wirksam werden kann. Die Arbeit an einer bedürfnisbefriedigenden Lebensperspektive ist daher auch im Sinne einer Rückfallprävention der Sucht von Bedeutung.

In Anlehnung an die Diskussion um wirksame Prozesse in Psychotherapien werden anschließend Hinweise für eine sog. »wirkfaktorenorientierte Suchtbehandlung« formuliert. Dabei werden Überlegungen angestellt, inwiefern relevante therapeutische Wirkfaktoren eine besondere Bedeutung für Therapieprozesse mit Suchtpatienten haben können. Kenntnis über derartige Prozesse, welche die Effektivität von Suchttherapien erhöhen können, lassen sich problemlos in die einzelnen inhaltlichen Module des therapeutischen Konzepts integrieren.

Auch wenn dies nicht auf einer empirischen Datenbasis beruht, weist die klinische Praxis darauf hin, dass die Behandlung von Suchtpatienten typische schwierige Situationen generieren kann. Die Vorbereitung auf solche Situationen trägt mit Sicherheit zu einem konfliktreduzierten Ablauf der Behandlung bei. Daher werden entsprechende Erfahrungen, soweit dokumentiert, subsummiert.

Metaphern werden in Psychotherapien häufig und gerne genutzt. Denn sie verdeutlichen komplexe Sachverhalte in anschaulichen Bildern und sind daher leichter speicher- und abrufbar. Das gilt auch für die Therapie von Suchtpatienten. Einige typische Metaphern werden hier aufgeführt, in der Hoffnung, dass sich auch die Leser dieses Bands in ihren Therapien an die eindrücklichen Bilder erinnern und damit ihre Behandlungen ein wenig anreichern können.

Der vorliegende Band schließt mit einer Übersicht über die aktuelle Evidenzlage von Suchttherapie im Allgemeinen und, soweit verfügbar, von einzelnen Interventionen.

 

 

 

2

Fallvignette

 

Thorsten ist 27 Jahre alt. Er ist bei seinen leiblichen Eltern in einer deutschen Großstadt aufgewachsen. An seine Kindheit hat er wenig schöne Erinnerungen. Oft hat er sich vernachlässigt und wertlos gefühlt. Seine Mutter war vermutlich depressiv, sein Vater war schwer alkoholabhängig und für Thorsten unberechenbar. Es wusste nie, wie er sich zu verhalten habe, um keine Schläge zu bekommen. Seine Mutter hat sich nicht eingemischt. Nach dem Abitur hat Thorsten ein Studium in Soziologie begonnen, nach drei Semestern ist er aber kaum noch zur Uni gegangen. Er hat einen Freundeskreis gefunden, in dem er sich sehr aufgehoben gefühlt hat. Mit seinen Freunden ist er jeden Abend herumgezogen, hat viel Alkohol getrunken und Cannabis geraucht. Auf Partys hat er zudem regelmäßig Kokain, Amphetamine und MDMA konsumiert. Da er sich diesen Lebensstil nicht finanzieren konnte, hat er angefangen, Drogen zu verkaufen. Als er 22 Jahre alt wurde, konsumierte Thorsten täglich Amphetamine und Kokain, abends rauchte er Cannabis, um einschlafen zu können. Eines Tages, nachdem er mehrere Tage nacheinander auf Partys verbracht hatte, hörte er plötzlich Stimmen und hatte das Gefühl, dass ihn andere Menschen, z. B. in der Straßenbahn, mit Blicken fixierten, als wollten sie etwas von ihm. Er fühlte sich bedroht und zog sich paranoid zu Hause zurück. Nach diversen Überredungsversuchen durch seine Freunde ging er in deren Begleitung zu einer psychiatrischen Klinik, in der eine substanzinduzierte Psychose und eine Suchterkrankung durch multiplen Substanzgebrauch diagnostiziert wurde. Er wurde auf eine offene Station aufgenommen. Die psychotische Symptomatik war schnell rückläufig, aber es fiel Thorsten derart schwer, keine Drogen zu konsumieren, dass er mehrmals aus der Klinik weglief, um Kokain und Cannabis zu besorgen. In der Klinik wurde er daher auf eine Suchtstation verlegt. Dort gelang es ihm, zwei Monate abstinent zu bleiben, sodass er in die Suchtambulanz entlassen wurde, wo er einmal pro Woche zu einer suchtspezifischen Psychotherapie gehen sollte. Dort stellte sich heraus, dass Thorsten ausgeprägte Probleme hatte, Stress und generell schwierige Situationen zu tolerieren. Er reagierte sofort mit starkem Suchtdruck, wenn es in seinem Leben schwierig wurde. In der Behandlung lernte er Strategien, um mit starken negativen Emotionen funktional umzugehen sowie Stress und Suchtdruck auszuhalten. Das Hauptproblem war aber eine quälende Langeweile, die er in nüchternem Zustand empfand. In seinem Kopf drehte sich alles nur um Kokain und Cannabis, solange, bis er dem Drang nachgab. Und einmal mit dem Konsumieren begonnen, verlor er die Kontrolle, indem er erst dann stoppen konnte, wenn nichts mehr zu konsumieren da war. Er brach die Therapie nach wenigen Monaten ab und wurde schwer rückfällig. In den folgenden drei Jahren gab es diverse Versuche, den Konsum zu reduzieren, doch das funktionierte zumeist nur unter der Woche. An Wochenenden verlor er regelmäßig die Kontrolle über seinen Konsum, begleitet von bagatellisierenden Kognitionen. Beispielsweise redete er sich immer wieder ein, er habe alles im Griff und brauche nur einen definitiven Zeitpunkt zum Beenden seines Drogenkonsums festlegen. Drei Jahre später, als er erneut mit einer drogeninduzierten Psychose in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wurde, beschloss er schließlich, mit Hilfe einer Psychotherapie engagierter an seiner Abstinenz zu arbeiten. Das erste Problem dabei war sein Bekanntenkreis. Er hatte sich im Laufe der Zeit von allen Freunden und Bekannten distanziert, die nichts mit Drogen zu tun hatten. Es war ihm niemand geblieben, mit dem er einen Tag verbringen konnte, ohne dass irgendwann Joints gedreht oder Stimulanzien konsumiert wurden. Der Versuch, als einziger in der Gruppe nüchtern zu bleiben, hat sich als nicht praktikabel erwiesen. Erstens war dann der Suchtdruck zu stark und zweitens spürte er eine gewisse Distanz zu den anderen, nachdem sie Cannabis konsumiert hatten. Irgendwie konnte er dann nichts mehr mit ihnen anfangen. Das dritte Problem war die Abendplanung. Ihm wurde schnell klar, dass er es nüchtern nicht schaffen werde, drei Tage pausenlos zu tanzen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen beschloss er, sich ein neues Leben und einen neuen Freundeskreis aufzubauen. Er setzte sein Studium fort und fing an, Ausdauersport zu treiben mit dem Ziel der Teilnahme an einem Halbmarathon. Dies passte zum einen nicht zum Konsum von Drogen, und darüber hinaus lernte er seinen mentalen Zustand nach dem Training schätzen. Er beschrieb diesen als tiefgreifend befriedigend. Sich Entspannung durch den Sport zu erarbeiten, fühlte sich authentischer an, als dem Körper die Entspannung durch Drogen aufzuzwingen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor war es, sich langfristige Ziele zu setzen und das aktuelle Leben daran auszurichten. Beim Sport war dies der Halbmarathontermin, der es nicht erlaubte, mit dem Training auszusetzen, um sich gehen zu lassen. Des Weiteren setzte er sich bei seinem Studium realistische Semesterziele, die es nicht erlaubten, zuhause Cannabis zu konsumieren, anstelle zur Vorlesung zu gehen. Und schließlich lernte er seine jetzige Freundin kennen. Sie konsumierte keine Drogen und hatte einen Freundeskreis, mit dem Thorsten gut klarkam. Diese Kombination aus beruflicher Perspektive, befriedigender Freizeitgestaltung und sozialer Einbindung kann als entscheidend für das erfolgreiche Überwinden von Thorstens Sucht verstanden werden. Sein Leben war nun im Gegensatz zu seiner vorigen ausschließlichen Lustorientierung/Unlustvermeidung auf allen relevanten Ebenen bedürfnisbefriedigend. Seine langfristigen Zielperspektiven befriedigten sein Bedürfnis, im Leben einen Sinn zu sehen. Dass er seine Ziele aus eigener Kraft erreichen konnte, befriedigte sein Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle. Gleichzeitig fehlte es ihm nicht an Lustgewinn, mit dem Unterschied, dass sein Lustgewinn nicht an den Konsum einer Substanz gebunden, sondern selbst erarbeitet war, was sein Selbstwirksamkeitserleben stärkte. Und schließlich erlebte er eine befriedigende soziale Einbindung, die nicht nur zum Zwecke des gemeinsamen Berauschens existierte. Psychotische Episoden sind übrigens bis heute keine mehr aufgetreten.

 

 

 

3

Grundzüge der Verhaltenstherapie der Sucht

3.1       Historische Wurzeln der modernen Suchtbehandlung

Die weite Verbreitung von Alkoholproblemen erforderte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue Lösungen. Vom sogenannten »Saufteufel Befallene« lebenslang wegzuschließen, was zuvor die gängige Praxis war, erschien nicht mehr praktikabel. Gleichzeitig hatte die Medizin die Sucht als »Krankheit des Willens« (Rush 1774) anerkannt und Behandlungen von Alkoholabhängigen entwickelt. Dennoch war damit die sozialrechtliche Anerkennung von Alkoholsucht als Krankheit noch nicht vollzogen. Im Jahr 1851 eröffnet schließlich die erste deutsche »Trinkerheilanstalt« bei Düsseldorf. Bereits ein halbes Jahrhundert später gab es in Deutschland 54 solcher Einrichtungen.

Mit den Trinkerheilanstalten war eine »moralische Behandlung« assoziiert (die »drei As«): »Abgeschiedenheit, Andacht und Arbeit« (Aßfalg 2003; Lindenmeyer 2004). Die Einrichtungen waren geografisch abgelegen, um jegliche Verführung zum Alkohol auszuschließen. Zentrale therapeutische Anliegen waren eine religiöse Sinnfindung und die ehrliche Auseinandersetzung der Betroffenen mit ihrer Abhängigkeit. Die Patienten mussten hart arbeiten, um so für die Kosten ihrer Behandlung aufzukommen.

Der damalige Umgang mit süchtigen Menschen in diesen Anstalten weist interessanterweise einige Charakteristika auf, die auch in modernen Konzepten der Suchttherapie von Relevanz sind (abgesehen vom damals ebenso vorherrschenden militärischen Drill): Wird Andacht mit Sinnfindung und innerer Achtsamkeit assoziiert, befindet man sich fast in Einklang mit aktuellen Prinzipien der modernen kognitiven Verhaltenstherapie. Genauso wird der Aspekt der Arbeit vor dem Hintergrund der beruflichen Integration verstärkt fokussiert, bzw. es wird moniert, dass die moderne Psychotherapie solche lebenspraktischen Aspekte zu sehr aus den Augen verloren hat. Abgeschiedenheit im Sinne einer bewussten Abkehr des süchtigen Individuums von Alltagsreizen, die das Suchtverhalten auslösen, wird noch heute praktiziert. Allerdings scheint die Abgeschiedenheit langfristig nicht erfolgversprechend zu sein. Denn selbst nach langer Abgeschiedenheit ist nach der Rückkehr in gewohnte Umwelten die Rückfallgefahr hoch. Betroffene müssen nach der Phase der Abkehr lernen, in der alltäglichen Konfrontation mit suchtassoziierten Reizen den auftretenden Suchtdruck auszuhalten, ohne ihm nachzugeben. Zusammenfassend empfehlen moderne Suchttherapeuten daher eher die Behandlung innerhalb des gewohnten Umfelds als in der Abgeschiedenheit.

Das Ende der »Trinkerheilanstalten« wurde im Jahre 1968 eingeleitet, nachdem Alkoholabhängigkeit in Deutschland sozialrechtlich anerkannt wurde. Die Einrichtungen wurden zu ersten Suchtfachkliniken umgewandelt, in denen Ärzte und speziell ausgebildete Suchttherapeuten arbeiteten. Die Behandlung von Alkoholabhängigen differenzierte seitdem wie heute zwischen einer körperlichen Akutphase (Entzugsbehandlung) und der langfristig angelegten Entwöhnungsbehandlung. Ziel der Therapie war unter der Bedingung strikter und dauerhafter Abstinenz das Wiedergewinnen bzw. Sichern der Erwerbsfähigkeit Betroffener, um eine Frühberentung zu verhindern. Vor diesem Hintergrund etablierten sich diverse Behandlungskonzepte. Diese waren gruppentherapeutisch ausgerichtet und integrierten ein striktes Regelwerk und einen direktiv-konfrontativen Interaktionsstil (Antons 1977). Es dauerte noch bis zum Jahr 1978, bis spezifische verhaltenstherapeutische Suchtbehandlungsansätze vorgestellt wurden, die maßgeblich von Kanfer beeinflusst waren. So ersetzte ein professionelles, evidenzbasiertes Therapieverständnis den herrschenden Dogmatismus. Inhaltlich handelte es sich um Ansätze, die Problemlöse- und Verhaltenskompetenzen vermittelten, um Betroffenen ein möglichst breites Bewältigungsrepertoire für alle möglichen Lebenssituationen zur Verfügung zu stellen. Die Behandlung erfolgte in geschlossenen Therapiegruppen mit durchschnittlicher Dauer von 4–6 Monaten. Im weiteren Verlauf bis heute erfolgte ein Fokuswechsel, indem der Schwerpunkt der Behandlung immer mehr auf das ambulante Setting verlegt wurde (Lindenmeyer 2004).

3.2       Konzeptionelle Einordnung von Verhaltensexzessen – süchtiges oder zwanghaftes oder impulskontrollgestörtes Verhalten?

Hinsichtlich der Frage, welche exzessiven Verhaltensweisen zum Suchtkonzept gezählt werden sollten, existiert eine bis heute offene Kontroverse; die jeweiligen Einordnungen escheinen mitunter willkürlich. Die Abgrenzung der Abhängigkeit zu den Störungen der Impulskontrolle oder zu zwanghaftem Verhalten scheinen zwar auf der theoretisch-konzeptionellen Ebene nachvollziehbar, in der klinisch-praktischen Anwendung zeigen sich aber Unschärfen. Zudem können bestimmte Verhaltensexzesse sogar psychotisch motiviert anmuten. Am Plastischsten lässt sich die differenzialdiagnostische Kontroverse bei den Essstörungen skizzieren. Die Anorexia Nervosa (AN), immerhin Magersucht genannt, integriert Elemente, die einer Sucht ähneln: die kontinuierliche Steigerung der Problematik (immer geringere Gewichtsziele), ausgeprägte Ambivalenz hinsichtlich einer Änderungsbereitschaft, allmähliche kognitive und verhaltensbezogene Einengung. Wenn Betroffene passiv sind und keine Energie verbrennen (»entziehen müssen«), erleben sie wie der süchtige Patient, der keine Substanz bekommt, eine quälende Unruhe. Allerdings haben die hochkontrollierten und fast zwanghaft anmutenden AN-Patienten dabei auch ein schlechtes Gewissen (»ich bin unkontrolliert«). Der typische Suchtpatient hat jedoch kein schlechtes Gewissen, wenn er sich nicht seiner Sucht hingibt, sondern eher umgekehrt, wenn er es nicht schafft, abstinent zu sein oder weniger zu konsumieren. Zudem weisen Suchtpatienten häufig Impulskontrollstörungen auf, sind eher unkontrolliert als zwanghaft, obschon sich im Verlauf der Sucht auch eine Form des Cravings entwickeln kann, die zwanghaftes Craving genannt wird. Dabei erleben sich Betroffene während des Suchtverhaltens so ähnlich wie Zwangspatienten bei den Zwangshandlungen, d. h. stark distanziert, und nehmen es als unsinnig war. Es gibt Betroffene, die berichten, motivational eindeutig nicht konsumieren zu wollen, aber dennoch wie ferngesteuert beginnen, den Substanzkonsum vorzubereiten und durchzuführen, während sie sich selbst wie von außen beobachten. Ein Psychopathologe könnte dabei differenzialdiagnostisch schon fast an dissoziatives Erleben denken. Hinsichtlich der AN könnte jedenfalls auch eine Zwangsstörung das exzessive Verhalten bei AN erklären, mit dem Zwangsgedanken (Obsession), dick zu sein, und dem regulierenden Verhalten (Compulsion), Kalorien zu verbrennen und zu fasten. Zuletzt muten einige AN-Patienten nahezu psychotisch an, indem ihnen jegliche Einsicht in ihre Problematik verloren gegangen scheint, die ihre Verhaltensexzesse erklären könnte. Suchtpatienten wiederum sind zwar ambivalent, Krankheitseinsicht ist jedoch gegeben, und in Bezug zur Zwanghaftigkeit versus Impulskontrollstörung ähneln sie (trotz des zwanghaften Cravings) vermutlich doch eher den bulimischen Patienten.

Zusammenfassend ist die Differenzialdiagnostik zu den Abhängigkeitserkrankungen höchst komplex, wenn es um süchtig anmutendes Verhalten geht. Das wiederum erklärt die langanhaltende und kontrovers geführte Diskussion um die Thematik und gewisse Differenzen zwischen den Klassifikationssystemen.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hat im Jahr 2013 festgelegt, dass pathologisches Kaufen, exzessives Sexualverhalten und exzessives Essverhalten nur als exzessives Verhalten aufzufassen wären, nicht aber als süchtiges Verhalten.

Im DSM-5 wurde dann erstmals am Beispiel der Glücksspielsucht, Internet- und Computerspielsucht süchtig anmutendes Verhalten in die Kategorie der Sucht eingebunden (Falkai und Wittchen 2014). Kritiker wenden ein, dass nicht das Objekt (Substanz oder Verhalten) über die Frage der Sucht entscheidet, sondern Sucht durch die Emotionen entsteht (»High-Gefühl«, Rausch, »Kick«), die durch Substanzen oder Erlebnisse ausgelöst und über das Belohnungssystem im Gehirn vermittelt werden. Psychische Abhängigkeit ist folglich durch ein komplexes neurophysiologisches Schema repräsentiert, welches Affekt, Kognition, Motivation und Handlungsleitung integriert. Besonders relevant für eine Suchtentwicklung ist dabei die affektive Komponente, d. h. ein intensives Gefühl, nach dessen Wiederholung sich der Organismus während des Cravings sehnt. Die kognitive Komponente sorgt zusätzlich für eine sukzessive Einengung auf das jeweilige Thema. Daher vernachlässigen Betroffene im Verlauf ihrer Abhängigkeit alle anderen Tätigkeiten und Bekanntschaften, es sei denn, sie haben eine Funktion im Sinne der Sucht (z. B. dienen der Beschaffung der Substanz oder Herbeiführung der süchtigen Tätigkeit).

Die Unsicherheit in den beiden modernen Klassifikationssystemen (ICD und DSM) darüber, ob und wenn ja, welches Verhalten eine Sucht sein soll, überrascht angesichts der diesbezüglich langen historischen Auseinandersetzung. Denn bereits Anfang des 19. Jahrhunderts war bekannt, dass Glücksspiel süchtig machen kann. In der damaligen Krankheitslehre wurden vier Suchtformen beschrieben: Trunksucht, Morphinsucht, Kokainsucht und Glücksspielsucht (Wölfling et al. 2016). Zwar ist pathologisches Glücksspiel auch in der aktuellen ICD-10 aufgeführt, jedoch unter den Störungen der Impulskontrolle. Zwar ist nicht jedes exzessiv ausgeübte Verhalten ein süchtiges Verhalten (Grüsser und Albrecht 2007). Allerdings argumentieren Kritiker, dass gerade das Glücksspiel zwar einen impulsiven Charakter aufweist, jedoch zudem alle gängigen Suchtkriterien vorliegen, die bei Impulskontrollstörungen nicht typisch sind, z. B. Toleranzentwicklung, Kontrollverlust, Einengung und Toleranzentwicklung (Wölfling et al. 2016). Mittlerweile ist auch nachgewiesen worden, dass Glücksspielsucht auf der Ebene der Neurobiologie und der Genetik ätiologische Parallelen zur Sucht aufweist (ebd.). Daher ist es erfreulich, dass in der bald gültigen ICD-11 die Computerspielsucht ebenso wie pathologisches Glücksspiel von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Abhängigkeitserkrankung anerkannt wurden und den Verhaltenssüchten (»Disorders due to addictive behaviours«) zugeordnet werden (6C51 Gaming disorder). Gegen die Einordnung als Sucht spricht aus Sicht von Kritikern, dass manche Glücksspieler immer wieder längere Pausen einlegen, was bei Süchtigen eigentlich problematisch ist. Was bei Abstinenz wie Entzugserscheinungen anmutet, könnte stattdessen auch als Angst- und depressive Symptome aufgefasst werden (Hand 2004).