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C. C. HOLISTER: „Inferno für Anfänger“
1. Auflage, März 2019, Periplaneta Berlin, Edition Drachenfliege

© 2019 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe
Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin
www.periplaneta.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Die Handlung und alle handelnden Personen sind erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Ereignissen wäre rein zufällig.

Lektorat & Projektassistenz: Hilke Grabenkamp
Erstlektorat: Anja Koda
Cover & Illustrationen: NOH Hamburg (https://n-o-h.net/)
Satz, Layout Projektleitung: Thomas Manegold

print ISBN: 978-3-95996-128-8
epub ISBN: 978-3-95996-129-5

C. C. Holister

INFERNO

für Anfänger

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Ich bin der Weg in’s wehevolle Tal,

Ich bin der Weg zu den verstoßnen Seelen,

Ich bin der Weg zur Stadt der ew’gen Qual.

Mich schuf mein Meister aus gerechtem Triebe:

Ich bin das Werk der göttlichen Gewalt,

Der höchsten Weisheit und der ersten Liebe.

Dante, Göttliche Komödie, Hölle, dritter Gesang, Vers 1-6

Prolog

Eine Druckwelle, die mich fortreißt und meinen Kopf mit Schwung gegen einen schweren Gegenstand schleudert, ist das Letzte, das ich spüre. Mein Blick erfasst noch einmal die Flammen, die im Bruchteil einer Sekunde wie aus dem Nichts entstanden sind. Dann verschwimmen sie vor meinen Augen. Die Schreie verstummen. Alles wird schwarz und ruhig.

Mit unbeschreiblicher Leichtigkeit gleite ich davon, fühle mich, als wäre ich nie hier gewesen. Ziehe mich zurück in mich selbst. Spule längst vergessene Erinnerungen ab: mein erster Urlaub, Szenen meiner Schulzeit, Erlebnisse mit Freunden, insbesondere …

… diese Zwanzigster-Geburtstags-Feier bei dem Kumpel eines Bekannten nur ein paar Monate zuvor. Ich kannte fast niemanden und die Musik war ziemlich mies. Dafür gab es Bier und billigen Wodka in rauen Mengen. Ich sehe es förmlich vor mir, wie ich an jenem Abend nach einem zweifelhaften Sortiment fuselig-süßer Mixgetränke relative Nüchternheit und Selbstbeherrschung in einer Sofaecke vortäuschte. Ich versuchte gerade gezielt, die sich ankündigenden Kopfschmerzen mit einem dilettantisch gemixten Cosmopolitan zu übertünchen, als meine Freundin Ankie sich neben mir in einen Sessel fallen ließ.

Sie wirkte aufgelöst. Geradezu panisch.

Mit einem zwischen Paranoia und Verzweiflung schwankenden Gesichtsausdruck lehnte sie sich zu mir herüber. »Cay … ich muss dir was sagen.«

»Was ist los, Ankie? Ist der Wodka alle?«

»Nein, es ist … wir werden alle in der Hölle landen!«

Die Erinnerung an die Skurrilität von Ankies Auftritt lässt mich innerlich schmunzeln. Damals fand ich ihn allerdings alles andere als witzig. Ansagen mit erhobenem Zeigefinger schätzte ich in diesen alkoholgetränkten Momenten gar nicht. Noch dazu verknüpft mit einer abstrusen Religionsschiene, die eigentlich nicht zu meiner Freundin passte. Das Klügste wäre vermutlich gewesen, einfach nicht auf den absurden Einwurf einzugehen. Doch ich tat es trotzdem. »Wie kommst du denn auf den Quatsch? Nur weil wir feiern?«

»Die … die Sauferei, die Drogen, der ganze Exzess und so …« Mit bedeutungsvollem und zugleich mahnendem Blick beugte sie sich ein weiteres Stück zu mir nach vorne. »Cay, ich sag das nur ungern, aber diese Party ist verflucht!«

»Verflucht? Drehst du jetzt völlig ab?«

»Ich hab es im Spiegel gesehen.«

Bei aller üblichen Verrücktheit – diese Art von seltsamen Anwandlungen war neu bei Ankie. Ich fragte mich, ob sie nur betrunken war oder womöglich irgendwas Komisches genommen hatte.

»Was hast du in welchem Spiegel gesehen?«

»Hinter dir«, flüsterte sie. Ich drehte mich um. In der Tat lehnte dort ein hoher, schmaler Spiegel an der Wand. In ihm zeichnete sich das uns umgebende Partychaos ab: tanzende, saufende, kiffende, exzessiv feiernde Menschen.

»Da war eben noch eine Gestalt«, fuhr sie fort. »Eine dunkle Gestalt mit Flügeln … und mit Hörnern.«

»Ernsthaft, Ankie?« Ich sah sie mitleidig an. »Hast du diese abgedrehten Tabletten von Pete eingeschmissen?«

»Das sind nicht die Pillen! Er war wirklich da. Und er hat uns beobachtet.«

»›Er‹? Der Teufel etwa?«

Sie warf erneut einen angsterfüllten Blick zum Spiegel und anschließend in meine Richtung. »Er war da! Ich schwöre es.«

»Sah er wenigstens heiß aus?« Ich konnte sie in diesem Zustand einfach nicht ernst nehmen.

»Du ziehst das ins Lächerliche, aber wenn wir erst in der Hölle …«

»Woher willst du überhaupt wissen, dass es eine Hölle gibt?«, unterbrach ich ihre Paranoia-Attacke.

»Warum sollte es sie nicht geben? Das da im Spiegel spricht immerhin dafür!«

Ein weiterer Blicktest folgte. Die Bestätigung von Ankies Vision blieb jedoch auch dieses Mal aus.

»Du hast halluziniert, verdammt! Das kann bei dem dubiosen Zeug von Pete schon mal vorkommen.«

»Aber …«

»Ehrlich, Ankie, es gibt keine Hölle. Das ist nur ein pädagogischer Kniff, eine Vereinfachung, um alles in eine aufgesetzte Gut-Böse-Moral pressen zu können.«

»Wer sagt denn, dass es kein Gut und Böse gibt? Schau dich doch mal um in der Welt!« Sie breitete die Arme aus, als würde sie gerade ein Schlussplädoyer vor dem Obersten Gerichtshof halten.

Nun gut, dieser Ort war sicher nicht das Musterbeispiel auserlesener Tugendhaftigkeit. Allein Pete mit seinem fragwürdigen illegalen Stoff … und das Mädel, das eben volltrunken mit dem Typ im Badezimmer verschwunden war, war höchstens sechzehn. Dennoch. Für mich sah das alles ziemlich nach Grauzone aus.

»Das ist so furchtbar eindimensional!«, hielt ich ihrem dramatischen Statement entgegen. »Glaubst du wirklich, es gibt da diese dunkle lavadurchströmte Höhle auf der einen Seite und auf der anderen … Blumenwiesen und Schmetterlinge? Und meinst du, in dieser Höhle taucht dann der Teufel auf und sagt: ›Also, mit der Feierei hast du es ja ganz schön übertrieben und überhaupt das maßlose Gesaufe … Hier ist dein Pfuhl der ewigen Qualen.‹«

»Als wenn du die Wahrheit kennen würdest!«

Mittlerweile war das Gespräch auf einem rasanten Abwärtskurs angelangt, auf dem ich unnützerweise nochmals Gas gab. »Ich sag dir, was wahrscheinlich ist«, brauste ich auf. »Du stirbst und bist tot. Aus. Ende. Kein Himmel, keine Hölle. Was dich aber nicht weiter interessieren dürfte, weil du ja tot bist!«

Ich sah Ankie schweigend nach, wie sie beleidigt in die Küche wankte. Vermutlich, um sich etwas stark Alkoholisches zu trinken zu holen. Noch einmal drehte ich mich zum Spiegel um, auf dem zwischenzeitlich irgendein Nerd die kryptischen Worte ›FATUM TE DUCIT1‹ mit Edding geschmiert hatte. Latein, schätzte ich. Was auch immer das zu bedeuten hatte …

In meinem Kopf machte sich indes ein Dröhnen breit, das Ankies Höllen-Aussage zumindest auf kurze Sicht bestätigen wollte.

Seltsam. Wieso kommt mir das gerade jetzt in den Sinn?


1 Das Schicksal führt dich.