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Professor Dr. Tilman Wetterling ist Neurologe und Psychiater.

Er arbeitete als Chefarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Vivantes Klinikums Kaulsdorf in Berlin und lehrte an der Charité, Berlin.

Website: www.prof-wetterling.de.

Tilman Wetterling

Medizinische Aspekte des Betreuungsrechts

Grundlagen und Praxis der ärztlichen Begutachtung und Behandlung

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032815-0

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-032816-7

epub:  ISBN 978-3-17-032817-4

mobi:  ISBN 978-3-17-032818-1

Inhalt

 

 

 

  1. Vorwort
  2. Praktische Hinweise
  3. Abkürzungsverzeichnis
  4. 1 Allgemeine Aspekte
  5. 1.1 Rechtliche Grundlagen
  6. 1.2 Kreis der betroffenen Personen
  7. I Betreuungsverfahren
  8. 2 Ablauf eines Betreuungsverfahrens
  9. 2.1 Betreuungsverfahren
  10. 2.2 Ärztliche Begutachtung
  11. 2.2.1 Auswahl des Sachverständigen (§ 404 ZPO)
  12. 2.2.2 Inhalt des Gutachtens
  13. 2.2.3 Untersuchung durch den Gutachter
  14. 2.2.4 Entbehrlichkeit eines Gutachtens
  15. 2.3 Bericht der Betreuungsbehörde
  16. 2.4 Richterliche Anhörung
  17. 2.5 Gerichtsbeschluss
  18. 2.5.1 Wirksamwerden von Beschlüssen
  19. 2.5.2 Einstweilige Anordnung (»Eilbetreuung«)
  20. 2.6 Bestellung eines Betreuers
  21. 2.7 Rechte und Pflichten eines Betreuers
  22. 2.7.1 Einwillligungsvorbehalt
  23. 2.7.2 Kontrollbetreuer
  24. 2.7.3 Entlassung bzw. Wechsel des Betreuers
  25. 2.7.4 Aufhebung der Betreuung
  26. 2.7.5 »Unbetreubarkeit«
  27. 2.8 Erforderlichkeit einer Betreuung trotz vorliegender Vollmacht
  28. 2.8.1 Fehlende Eignung des Bevollmächtigten
  29. 2.8.2 Erforderlichkeit einer Betreuung aus juristischen Gründen
  30. 2.9 Auswirkungen für den Betroffenen (Betreuten)
  31. 2.9.1 Verbleibende eigene »Handlungsmöglichkeiten«
  32. 2.9.2 »Erdulden« von Maßnahmen
  33. 2.9.3 Auswirkungen auf das psychische Befinden der Betroffenen
  34. II Begutachtung in Betreuungs-/Unterbringungsverfahren
  35. 3 Ärztliche Begutachtung in Betreuungsverfahren
  36. 3.1 Krankheitsbild einschließlich der Krankheitsentwicklung
  37. 3.2 Untersuchung des Betroffenen
  38. 3.2.1 Juristische Vorgaben
  39. 3.2.2 Ärztliche Untersuchung
  40. 3.2.3 Befunddokumentation
  41. 3.3 Andere Unterlagen
  42. 3.3.1 Angaben Dritter
  43. 3.3.2 Atteste, Pflegeberichte, Vorgutachten etc.
  44. 3.4 Beeinträchtigung von mentalen Funktionen
  45. 3.4.1 Funktionen des Bewusstseins
  46. 3.4.2 Die Selbstwahrnehmung und Zeitwahrnehmung betreffende Funktionen (ICF b180)
  47. 3.4.3 Funktionen der Aufmerksamkeit
  48. 3.4.4 Funktionen der Wahrnehmung
  49. 3.4.5 Funktionen der Orientierung
  50. 3.4.6 Funktionen des Gedächtnisses
  51. 3.4.7 Funktionen des Denkens (ICF b160)
  52. 3.4.8 Emotionale Funktionen
  53. 3.4.9 Funktionen des Antriebs und der Psychomotorik
  54. 3.4.10 Höhere kognitive Funktionen (Exekutivfunktionen)
  55. 3.4.11 Kognitiv-sprachliche Funktionen (Kommunikation)
  56. 3.4.12 Globale psychosoziale Funktionen (Verhaltensauffälligkeiten)
  57. 3.5 Krankheitsverlauf und Krankheitsdauer
  58. 3.6 Schweigepflicht von behandelnden Ärzten als Gutachter
  59. 4 Psychische Krankheiten
  60. 4.1 Quantitative Bewusstseinsstörung
  61. 4.1.1 Krankheitsbild und Krankheitsentwicklung
  62. 4.1.2 Mentale Funktionsstörungen
  63. 4.1.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  64. 4.1.4 Verlauf (prognostische Aspekte)
  65. 4.2 Qualitative Bewusstseinsstörung (Delir/Verwirrtheitszustand)
  66. 4.2.1 Krankheitsbild und Krankheitsentwicklung
  67. 4.2.2 Mentale Funktionsstörungen
  68. 4.2.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  69. 4.2.4 Verlauf (prognostische Aspekte)
  70. 4.3 Amnestisches Syndrom
  71. 4.3.1 Krankheitsbild und Krankheitsentwicklung
  72. 4.3.2 Mentale Funktionsstörungen
  73. 4.3.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  74. 4.3.4 Verlauf (prognostische Aspekte)
  75. 4.4 Demenzielles Syndrom
  76. 4.4.1 Krankheitsbild und Krankheitsentwicklung
  77. 4.4.2 Mentale Funktionsstörungen
  78. 4.4.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  79. 4.4.4 Verlauf (prognostische Aspekte)
  80. 4.5 Depressives Syndrom
  81. 4.5.1 Krankheitsbild und Krankheitsentwicklung
  82. 4.5.2 Mentale Funktionsstörungen
  83. 4.5.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  84. 4.5.4 Verlauf (prognostische Aspekte)
  85. 4.6 Manisches und bipolar affektives Syndrom
  86. 4.6.1 Krankheitsbild und Krankheitsentwicklung
  87. 4.6.2 Mentale Funktionsstörungen
  88. 4.6.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  89. 4.6.4 Verlauf (prognostische Aspekte)
  90. 4.7 Schizophrenes Syndrom und andere Wahnerkrankungen
  91. 4.7.1 Krankheitsbild und Krankheitsentwicklung
  92. 4.7.2 Mentale Funktionsstörungen
  93. 4.7.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  94. 4.7.4 Verlauf (prognostische Aspekte)
  95. 4.8 Persönlichkeitsveränderungen
  96. 4.8.1 Krankheitsbild und Krankheitsentwicklung
  97. 4.8.2 Mentale Funktionsstörungen
  98. 4.8.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  99. 4.8.4 Verlauf (prognostische Aspekte)
  100. 4.9 Persönlichkeitsstörungen
  101. 4.9.1 Krankheitsbild und Krankheitsentwicklung
  102. 4.9.2 Mentale Funktionsstörungen
  103. 4.9.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  104. 4.9.4 Verlauf (prognostische Aspekte)
  105. 4.10 Suchterkrankungen (Gebrauch psychotroper Substanzen)
  106. 4.10.1 Krankheitsbild und Krankheitsentwicklung
  107. 4.10.2 Mentale Funktionsstörungen
  108. 4.10.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  109. 4.10.4 Verlauf (prognostische Aspekte)
  110. 4.11 Weitere Krankheitsbilder
  111. 4.11.1 Krankheitsbild: Zerebrovaskuläre Erkrankungen
  112. 4.11.2 Krankheitsbild: Schädel-Hirn-Trauma (Kopfverletzung)
  113. 4.11.3 Krankheitsbild: Entzündliche oder immunologische ZNS-Erkrankungen
  114. 4.11.4 Krankheitsbild: Metabolisch bedingte Enzephalopathien
  115. 4.11.5 Krankheitsbild: Hirntumor
  116. 4.11.6 Parkinson-Syndrom
  117. 4.11.7 Krankheitsbild: Epilepsie
  118. 4.12 Psychiatrische Komorbidität
  119. 4.12.1 Begriffsklärung und Vorstellungen zur Entwicklung
  120. 4.12.2 Mentale Funktionsstörungen und daraus resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  121. 4.12.3 Verlauf (prognostische Aspekte)
  122. 4.13 Multimorbidität
  123. 4.13.1 Begriffsklärung und Vorstellungen zur Entwicklung
  124. 4.13.2 Mentale Funktionsstörungen und daraus resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  125. 4.13.3 Verlauf (prognostische Aspekte)
  126. 5 Körperliche Behinderungen
  127. 5.1 Beeinträchtigung der Sinnesorgane
  128. 5.2 Beeinträchtigung der Bewegungsorgane
  129. 5.3 Kombination aus körperlicher und geistiger Behinderung
  130. 6 Geistige oder seelische Behinderung
  131. 6.1 Intelligenzminderung (Minderbegabung)
  132. 6.1.1 Krankheitsbild und Krankheitsentwicklung
  133. 6.1.2 Mentale Funktionsstörungen
  134. 6.1.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  135. 6.1.4 Erfordernis einer Betreuung
  136. 6.1.5 Verlauf (prognostische Einschätzung)
  137. 6.2 Frühkindliche Entwicklungsstörungen
  138. 6.2.1 Krankheitsbild Autismus
  139. 6.2.2 Mentale Funktionsstörungen
  140. 6.2.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  141. 6.2.4 Verlauf (prognostische Einschätzung)
  142. 6.3 Erworbene geistige Behinderung
  143. 6.3.1 Krankheitsbilder und Krankheitsentwicklung
  144. 6.3.2 Mentale Funktionsstörungen
  145. 6.3.3 Resultierende Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe
  146. 6.3.4 Verlauf (prognostische Einschätzung)
  147. 6.4 Seelische Behinderung
  148. 7 Beurteilung
  149. 7.1 Freie Willensbestimmung und Geschäftsfähigkeit
  150. 7.1.1 Juristische Vorgaben für eine freie Willensbestimmung
  151. 7.1.2 Willensbildung als koordinierter Prozess von mentalen Funktionen
  152. 7.1.3 Geschäftsfähigkeit
  153. 7.2 Einsichtsfähigkeit
  154. 7.2.1 Einsichtsfähigkeit in juristische Vorgaben
  155. 7.2.2 Einsicht in eine Handlungsnotwendigkeit
  156. 7.2.3 Einsicht in eigene Defizite
  157. 7.2.4 Einsicht, dass Maßnahmen zur Überwindung der eigenen Defizite notwendig sind (z. B. Erfordernis einer Betreuung)
  158. 7.3 Beeinträchtigungen bei der Handlungsausführung
  159. 7.4 Bestimmung der Aufgabenkreise
  160. 7.4.1 Gesundheitssorge/Heilbehandlung
  161. 7.4.2 Aufenthaltsbestimmung (zum Zwecke der Heilbehandlung)
  162. 7.4.3 Regelung finanzieller Angelegenheiten
  163. 7.4.4 Vermögenssorge
  164. 7.4.5 Wohnungsangelegenheiten
  165. 7.4.6 Vertretung gegenüber Behörden, Gerichten, Versicherungen etc.
  166. 7.4.7 Post-/Fernmeldeverkehr
  167. 7.5 Krankheitsprognose
  168. III Ärztliche Behandlung von Betreuten/Untergebrachten
  169. 8 Einwilligungsfähigkeit
  170. 8.1 Feststellung der Einwilligungsfähigkeit in medizinische Maßnahmen
  171. 8.1.1 Juristische Voraussetzungen und Rechtsprechung
  172. 8.1.2 Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit
  173. 8.1.3 Krankheitseinsicht
  174. 8.1.4 Empirische Studienergebnisse
  175. 8.1.5 Einwilligungsfähigkeit bei psychischen Erkrankungen
  176. 8.2 Vorsorgevollmacht
  177. 8.3 Patientenverfügung
  178. 8.3.1 Psychiatrische Patientenverfügung
  179. 8.4 Mutmaßlicher Wille
  180. 8.4.1 Rechtsprechung
  181. 8.5 Natürlicher Wille
  182. 8.6 Alternative Konzepte
  183. 8.7 Einwilligung in ärztliche Maßnahmen durch Bevollmächtigten oder Betreuer
  184. 8.8 Erforderliche gerichtliche Genehmigung
  185. 8.8.1 Gutachten bei schwerwiegenden Erkrankungen
  186. 8.9 Einwilligung in den Abbruch »lebensverlängernder« Maßnahmen
  187. 8.10 Weitere mögliche Konfliktsituationen
  188. 9 Ärztliche Behandlung von Betreuten und Untergebrachten
  189. 9.1 Zivilrechtliche vs. öffentlich-rechtliche stationäre Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik, Heim etc. (»Zwangsbehandlung«)
  190. 9.2 Ambulante Zwangsbehandlung
  191. 9.3 Zivilrechtliche Unterbringung zur Heilbehandlung
  192. 9.3.1 Rechtliche Grundlagen
  193. 9.3.2 Unterbringungsgründe
  194. 9.3.3 Medikamentöse Zwangsbehandlung
  195. 9.3.4 Mechanische freiheitsentziehende Maßnahmen (Fixierungen) etc.
  196. 9.4 Öffentlich-rechtliche Unterbringung nach den Psych-KG bzw. Unterbringungsgesetzen der Bundesländer
  197. 9.5 Gutachten zur Notwendigkeit einer zivilrechtlichen Unterbringung und Zwangsbehandlung
  198. 9.6 Sterilisation nach § 1905 BGB
  199. 9.7 Behandlungsergebnisse von Zwangsbehandlungen
  200. 9.8 Auswirkungen auf den Betroffenen
  201. 10 Abschließende Bemerkungen/offene Fragen
  202. Literatur

Vorwort

 

 

Das Recht, selbst bestimmen zu können, ist ein Grundrecht in modernen Demokratien. Einschränkungen sind nur aufgrund von Gesetzen möglich. Wenn die Fähigkeit zur Selbstbestimmung eingeschränkt ist bzw. nicht mehr vorliegt, sind in Deutschland von staatlicher Seite Hilfen vorgesehen. Die entsprechenden Regelungen finden sich im Betreuungsrecht – einem Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs – und in den Psychisch-Kranken-Gesetzen der Bundesländer. In diesen werden auch die Voraussetzungen für die entsprechenden Maßnahmen beschrieben.

Die Notwendigkeit der Hilfen bzw. Maßnahmen ist in der Regel durch ein psychiatrisches Gutachten eingehend zu begründen. Ein großer Teil der in den oben genannten Gesetzen vorgesehenen Maßnahmen stellt eine Einschränkung von Grundrechten des Betroffenen dar. Daher sind an die psychiatrischen Gutachten hohe Anforderungen zu stellen. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Qualität von psychiatrischen Gutachten im Rahmen von Betreuungsverfahren oder/und Unterbringungsverfahren sehr wechselnd ist. Die Qualität von psychiatrischen Gutachten ist in letzter Zeit (wenn auch in anderem Zusammenhang, nämlich im Kontext von kindschaftsrechtlichen Verfahren) von Seiten der Politik kritisiert worden und hat zu einer Gesetzesnovelle geführt (Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts … vom 11.10.2016).

In Deutschland wurden 2015 etwa 210.000 Betreuungen neu eingerichtet und es erfolgten über 55.000 Unterbringungen nach § 1906 Abs. 1 BGB in psychiatrischen Kliniken (Deinert, 2016). In all diesen Fällen und meist auch bei Erweiterungen oder Verlängerungen der Betreuungen waren psychiatrische Gutachten erforderlich. Auch bei einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik und insbesondere bei einer Zwangsbehandlung ist die Erstellung eines Gutachtens notwendig.

Dabei sind umfangreiche rechtliche Vorgaben, die sowohl im »Betreuungsrecht« (Bürgerliches Gesetzbuch §§ 1896–1908 [BGB]) als auch im Gesetz über Verfahren in Familiensachen … (FamFG) und in der Zivilprozessordnung (ZPO) zu finden sind, zu berücksichtigen. Diese Rechtsvorschriften sind auch maßgebend für die psychiatrische Behandlung von Betreuten.

Da es in Deutschland bisher keine ausführliche Publikation zur psychiatrischen Begutachtung im Rahmen von Betreuungs- bzw. Unterbringungsverfahren gibt, habe ich mich entschlossen, aufbauend auf meiner langjährigen Erfahrung als Gutachter die wichtigsten Gesichtspunkte zur Begutachtung einschließlich der wesentlichen Rechtsvorschriften hierzu sowie zur Behandlung psychisch Kranker in einem Buch darzustellen.

Der Autor möchte dem Kohlhammer Verlag danken für die Bereitschaft, dieses Buch zu veröffentlichen. Ganz besonders möchte ich mich bei Herrn Dr. Poensgen und Frau D. Bach, die dieses Buchprojekt ausdauernd unterstützt haben, bedanken.

Berlin, Frühjahr 2018

T. Wetterling

Praktische Hinweise

 

 

In diesem Buch werden viele Hinweise auf die Rechtsprechung in Deutschland gegeben. Da Kommentare zur Rechtsprechung meist nur Juristen zugänglich bzw. geläufig sind, wurden diese nur in Einzelfällen zitiert. Hauptsächlich wurde auf Gerichtsurteile verwiesen. Diese sind zu einem großen Teil im Internet frei zugänglich (z. B. über www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ oder www.bundesgerichtshof.de/DE/Entscheidungen/entscheidungen_node.html). Um den Text wegen der in der juristischen Literatur üblichen langen Verweise auf Gerichtsurteile und Zitate in Fachzeitschriften nicht zu unübersichtlich werden zu lassen, wurden im Text nur das Gericht, das Datum und das Aktenzeichen des Urteils/Beschlusses angegeben.

Bei den Verweisen auf die medizinische Fachliteratur wurde ebenfalls versucht, frei im Internet zugängliche Literatur auszuwählen. Von den meisten medizinischen Arbeiten finden sich in PubMed (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed) kurze Zusammenfassungen (Abstracts) bzw. in PMC (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc) die vollständigen Artikel. Vielfältige Hinweise zu Fragen des Betreuungsrechts finden sich unter http://www.bundesanzeiger-verlag.de/betreuung/wiki/Hauptseite.

Abkürzungsverzeichnis

 

 

 

AG

Amtsgericht

ATL

Aktivitäten des täglichen Lebens (engl. Activies of daily living = ADL) (Körperhygiene, Haushalt führen etc.)

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landgericht (inzwischen aufgelöst)

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch (www.gesetze-im-internet.de/bgb/BGB.pdf)

BGH

Bundesgerichtshof (www.bundesgerichtshof.de/)

BVerfG

Bundesverfassungsgericht (www.bundesverfassungsgericht.de/)

cCT

Craniale Computertomografie

DSM

Diagnostic and Statistical Manual (verschiedene Versionen)

FamFG

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (www.gesetze-im-internet.de/famfg/)

GG

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (www.bundestag.de/grundgesetz)

ICD-10

International Classification of Diseases, Chapter V (WHO, 1991; deutsch: http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2017/index.htm [Abruf am 11.11.2017))

ICF

International Classification of Functioning, Disability and Health (WHO, 2005; deutsch: http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/index.htm; Abruf am 11.11.2017)

IQ

Intelligenzquotient

KG

Kammergericht (Berlin) (www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/kg/)

LG

Landgericht

MCI

Minimal cognitive impairment = leichte kognitive Störung

MMST

Mini-Mental-Status-Test (Folstein et al., 1975)

MRT

Magnetresonanztomografie (= Kernspintomografie)

PEG

Perkutane endoskopische Gastrostomie

OLG

Oberlandesgericht

SGB

Sozialgesetzbuch

SHT

Schädel-Hirn-Trauma

WMH

White matter hypodensities = neuroradiologischer Befund von Marklager-Veränderungen

ZPO

Zivilprozessordnung (www.zivilprozessordnung-zpo.de/)

1          Allgemeine Aspekte

 

 

1.1       Rechtliche Grundlagen

In Deutschland kann nach Art. 2 des Grundgesetzes jeder über sein Leben selbst bestimmen:

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit kann aus in der Person des Betreffenden liegenden Gründen eingeschränkt sein. Hier sind v. a. zu nennen:

•  Körperliche Einschränkungen oder Krankheiten

•  Einschränkungen der geistigen Fähigkeiten zur Selbstbestimmung

Für beide Fälle sind in Deutschland von staatlicher Seite Hilfen vorgesehen. Bei körperlichen Einschränkungen oder Krankheiten sind entsprechende Hilfen im Sozialgesetzbuch (SGB) geregelt, v. a. im SGB XI: Elften Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung und auch im SGB V: Fünften Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung für erforderliche medizinische, pflegerische und soziale Maßnahmen.

Bei Einschränkungen der geistigen Fähigkeiten zur Selbstbestimmung sind nach dem Betreuungsrecht bzw. dem Patientenrechtegesetz (Teilen des Bürgerlichen Gesetzbuchs [BGB]) verschiedene Regelungen für Rechtsgeschäfte möglich (image Tab. 1.1):

Wenn der Betreffende eine Regelung für den Fall treffen will, dass er aus welchen Gründen auch immer (z. B. Unfall, Schlaganfall oder Demenz) nicht mehr in der Lage sein sollte, seinem Willen rechtskräftig Ausdruck zu verleihen, so kann er – solange er noch geschäftsfähig ist – einer Person seines Vertrauens eine Vorsorgevollmacht erteilen (z. B. BMJV, oJ1). Eine solche Vorsorgevollmacht kann sich auf einzelne oder alle Rechtsgeschäfte (Ausnahme: Eheschließung und Testamentserrichtung) beziehen. Sie tritt erst dann in Kraft, wenn der in der Vorsorgevollmacht genannte Fall (z. B. Einwilligungsunfähigkeit nach Schlaganfall) eingetreten ist.

Er kann auch für den Fall einer schweren Erkrankung etc. eine Patientenverfügung (§ 1901a BGB) verfassen, in der geregelt ist, wie in einem solchen Fall verfahren werden soll. In einer solchen Verfügung ist eine Person zu benennen, die überwacht, dass die Bestimmungen in der Patientenverfügung eingehalten werden. Eine Patientenverfügung gilt nur für medizinische Heilmaßnahmen (z. B. BMJV, 2017).

Solange der Betreffende noch geschäftsfähig ist (z. B. bei leichten kognitiven Störung zu Beginn einer Demenz) kann er einer Person seines Vertrauens eine Vollmacht für einzelne (z. B. Bankgeschäfte) oder alle Rechtsgeschäfte erteilen. Sie tritt mit der Unterzeichnung in Kraft.

Wenn der Betreffende keine entsprechenden Regelungen getroffen hat, solange er noch von seinen geistigen Fähigkeiten dazu in der Lage war, und in einen Zustand gerät, in dem es ihm nicht mehr möglich ist, seine Angelegenheiten selbst zu bestimmen, so kann er beim Betreuungsgericht einen Betreuer beantragen, der seine Angelegenheiten besorgen soll. Er kann auch in einer Betreuungsverfügung vorzeitig festlegen, wer gegebenenfalls sein Betreuer werden soll (z. B. BMJV, oJ2; s. auch § 1901c BGB).

Wenn der Betreffende nicht mehr in der Lage ist, selbst einen Betreuer zu beantragen, so kann dies (auf Anregung Dritter) von Amts wegen durch die Betreuungsstelle erfolgen. In diesen Fällen kann der Betroffene einen Vorschlag für seinen Betreuer machen, auch wenn keine Geschäftsfähigkeit oder keine natürliche Einsichtsfähigkeit mehr vorliegt (vgl. BGH, 15.12.2010 – XII ZB 165/10; BGH, 1.3.2011 – XII ZB 601/10).

Es gilt entsprechend dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit das Prinzip: selbst gewählte Hilfe (Vollmacht) hat Vorrang vor staatlich/gerichtlich angeordneten Maßnahmen (Betreuerbestellung) (Subsidiaritätsgrundsatz). Eine Betreuung kann dennoch in bestimmten Fällen erforderlich werden, z. B. wenn die Vollmacht (z. B. für Bankgeschäfte) nicht ausreicht (image Kap. 2.8).

Nach § 1896 Abs. 1a BGB darf eine Betreuung nicht gegen den freien Willen des Betroffenen eingerichtet werden. Es ist daher ggf. zu prüfen, ob der Betroffene noch in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen (BGH, 9.2.2011 – XII ZB 526/10) (image Kap. 7.1).

Tab. 1.1: Betreuung, Vollmacht und Verfügungen im Vergleich

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Umfasst Bereich(e)Tritt in Kraft bei

* Entsprechende Formulare des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz im internet (http://www.bmjv.de/DE/Service/Formulare/Formulare_node.html, Abruf am 11.11.2017). Nach der Rechtsprechung (BGH, 8.2.2017 – XII ZB 604/15) sind diese Zustände genau anzugeben.

1.2       Kreis der betroffenen Personen

Der Kreis der betroffenen Personen ist schwer zu bestimmen, denn niemand weiß, ob er nicht einmal z. B. durch einen Unfall oder eine plötzliche, schwere Erkrankung in einen Zustand gerät, in dem er selbst nicht mehr rechtskräftig entscheiden kann. Die Zahl der neu verfassten Vorsorgevollmachten ist in Deutschland in den letzten Jahren stetig angestiegen, im Jahr 2015 lag sie bei über 420.000. Die Gesamtzahl der registrierten Vorsorgevollmachten wird für Mitte 2016 mit über 3,2 Millionen angegeben (Deinert, 2016). Die Zahl der Patientenverfügungen ist nicht bekannt. Nach einer Befragung von über 85-Jährigen Nicht-Dementen haben etwa zwei Drittel eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht (Luck et al., 2017).

Die Gesamtzahl der Betreuten in Deutschland ist in den letzten Jahren leicht rückläufig und betrug 2015 etwa 1,276 Millionen (entspricht etwa 1,6% der Gesamtbevölkerung) (Deinert, 2016). Die Zahl der 2015 erstmalig genehmigten Betreuungen betrug nicht ganz 210.000, und in 80.000 Fällen erfolgte eine Erweiterung oder Einschränkung sowie in etwa 150.000 Fällen eine Verlängerung einer bestehenden Betreuung. In über 55.000 Fällen wurden Unterbringungen in psychiatrischen Kliniken nach § 1906 Abs. 1 BGB genehmigt (Deinert, 2016). In den meisten dieser Fälle war eine psychiatrische Begutachtung erforderlich.

In dem Betreuungsgesetz sind als potenziell betroffene Personen jene mit einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung genannt (§ 1896 Abs. 1 BGB). Eine genauere Definition erfolgt im BGB nicht. Da in Deutschland für die Diagnose von Erkrankungen die Vorgaben der ICD-10 (WHO, 1991) als verbindlich anzusehen sind, wird hier auf sie Bezug genommen. (Die WHO ist zur Zeit der Drucklegung noch dabei, die Ausarbeitung einer überarbeiteten Version, der ICD-11, abzuschließen [http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-11/index.htm; Abruf am 11.11.2017]). Grundsätzlich sind in Hinblick auf die Voraussetzung des § 1896 BGB alle in dem Kapitel V (F) »Psychische Störungen und Verhaltensstörungen« sowie eine Reihe der in Kapitel VI (G) »Krankheiten des Nervensystems« (G00–G47; G80–83) erwähnten Erkrankungen zu betrachten (http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2017/index.htm; Abruf am 11.11.2017).

Die Zahl der Personen, die innerhalb eines Jahres an einer psychischen Erkrankung leiden, ist hoch und wird in Deutschland auf etwa ein Viertel der Bevölkerung geschätzt (Jacobi et al., 2014). Davon ist aber der größte Teil nicht in ärztlicher Behandlung. Bei der Abschätzung der Zahl derer, die nicht mehr in der Lage sind, selbst rechtskräftig zu entscheiden, ist zu bedenken, dass nicht alle psychischen Erkrankungen bzw. nicht alle Behinderungen mit einer Einschränkung der kognitiven und exekutiven Fähigkeiten einhergehen, die zur Bewältigung der eigenen Angelegenheiten von wesentlicher Bedeutung sind (image Kap. 7). Weiter ist auch zu bedenken, dass neuropsychiatrische Erkrankungen sehr unterschiedlich verlaufen können (z. B. akut und kurz, aber in vielen Fällen auch chronisch).

Eine Betreuung wird vorwiegend bei chronischen Erkrankungen bzw. Behinderungen eingerichtet, besonders häufig bei (Zwischenbericht 2007 des Kölner ISG, s. Deinert, oJ 1):

•  19,9% Demenz

•  19,7% Mischbild Krankheit und Behinderung

•  16,7% Sucht

•  15,9% geistige Behinderung

•  6,9% körperliche Behinderung

•  33,4% sonstige psychische Krankheit

Generell ist festzustellen, dass die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit ab dem 65. Lebensjahr mit dem Alter abnimmt (Fuchs et al., 2013). Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland ist daher damit zu rechnen, dass die Zahl der potenziell betroffenen Personen steigen wird. Denn das mittlere Lebensalter sowie die mittlere Lebenserwartung nehmen seit über 100 Jahren (mit kurzen Unterbrechungen durch die beiden Weltkriege) stetig zu (Statistisches Bundesamt, 2011). Das mittlere Sterbealter betrug 2015 82,2 Jahre für Frauen und 75,6 Jahre für Männer (Statistisches Bundesamt, oJ).

Einige der Erkrankungen, die zu einer schwerwiegenden Einschränkung der kognitiven und exekutiven Fähigkeiten führen (z. B. Demenz und Schlaganfall), zeigen eine deutliche Zunahme im Alter. Eine Reihe von Studien zeigen, dass insbesondere das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Demenz zu erkranken, sehr hoch ist. Es wird auf über 20% geschätzt (Lobo et al., 2011; Ott et al., 1998; Seshadri & Wolf, 2007). Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Etwa 20% aller Menschen erleiden während ihres Lebens einen Schlaganfall (Seshadri & Wolf, 2007). Also ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Anteil der Menschen in hohem Lebensalter aufgrund einer Schädigung des Gehirns an einer chronischen neuropsychiatrischen Erkrankung leidet, die dazu führt, dass der Betroffene seine Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann.

Nach einer Abschätzung leiden in Deutschland etwa 165.000 an einer akuten neuropsychiatrischen Erkrankung, die mit einer schweren Beeinträchtigung der kognitiven und exekutiven Fähigkeiten einhergehen kann (Wetterling, 2002). Auch werden bei bis zu 30% der älteren Krankenhauspatienten Verwirrtheits- oder delirante Zustandsbilder beobachtet (s. Übersicht Siddiqi et al., 2006). Die zu Grunde liegenden Krankheitsbilder sind sehr vielfältig. Wenn eine medizinische Maßnahme dringend geboten ist, ist oft die Einrichtung einer Eilbetreuung für die Heilmaßnahmen erforderlich.

 

 

 

I          Betreuungsverfahren

2          Ablauf eines Betreuungsverfahrens

 

 

 

Vorab ist festzustellen, dass eine Betreuung nach § 1896 BGB nur für Volljährige eingerichtet werden kann. Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren gelten andere gesetzliche Bestimmungen (Vormundschaftsrecht, ebenfalls ein Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches §§ 1773–1895 BGB).

Der Ablauf eines Betreuungsverfahrens richtet sich u. a. nach den allgemeinen Richtlinien der Zivilprozessordnung (ZPO). Er ist in Abb. 2.1 dargestellt. Spezielle Regelungen für ein Betreuungsverfahren sind in dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) Buch 3, §§ 271–311 festgelegt. Die Regelungen für Unterbringungsverfahren finden sich in § 312–339 FamFG.

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Abb. 2.1: Vereinfachter schematischer Ablauf eines Betreuungsverfahrens (Einzelheiten s. Text)

2.1       Betreuungsverfahren

In §§ 272–273 FamFG ist geregelt, welches Gericht für die Durchführung des Betreuungsverfahrens zuständig ist. Dies ist meist das Gericht, in dessen Bezirk der Betroffene wohnt bzw. in dessen Bezirk die Erforderlichkeit einer Betreuung erkennbar wird, z. B. bei Krankenhausbehandlung nach einem schweren Unfall.

Für die Beteiligung an einem Betreuungsverfahren gilt nach § 274 FamFG:

(1) Zu beteiligen sind:

1.  der Betroffene (dieser ist nach § 275 FamFG ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig),

2.  der Betreuer, sofern schon vorher einer beauftragt wurde und sein Aufgabenkreis betroffen ist,

3.  der Bevollmächtigte im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB, sofern einer von dem Betroffenen vorab benannt worden und sein Aufgabenkreis betroffen ist.

(2) Der Verfahrenspfleger wird durch seine Bestellung als Beteiligter zum Verfahren hinzugezogen.

(3) Die zuständige Behörde ist auf ihren Antrag als Beteiligte in Verfahren über

1.  die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts,

2.  Umfang, Inhalt oder Bestand von Entscheidungen der in Nummer 1 genannten Art hinzuzuziehen.

§ 276 FamFG Verfahrenspfleger

(1) Das Gericht hat dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn

1.  von der persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 278 FamFG Abs. 4 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 abgesehen werden soll oder

2.  Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist; dies gilt auch, wenn der Gegenstand des Verfahrens die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 BGB bezeichneten Angelegenheiten nicht erfasst.

(2) Von der Bestellung kann in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Die Nichtbestellung ist zu begründen.

(4) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.

Der Betroffene kann einen ihm geeignet erscheinenden Verfahrenspfleger beauftragen, auch wenn er nicht in der Lage ist, im Übrigen einen natürlichen Willen zu bilden (image Kap. 8.5) (vgl. BGH, 30.10.2013 – XII ZB 317/13). Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt (vgl. u. a. BGH, 16.3.2016 – XII ZB 203/14).

2.2       Ärztliche Begutachtung

Da durch die gerichtliche Anordnung einer Betreuung Grundrechte des Betroffenen eingeschränkt werden, sind Sachverständigengutachten vor der richterlichen Entscheidung vom Gericht im Wege der förmlichen Beweisaufnahme einzuholen (vgl. § 30 Abs. 2 FamFG, § 280 Abs. 1 FamFG, § 321 Abs. 1 FamFG). Hierfür gibt es gesetzliche Vorgaben (§§ 402–413 ZPO), die sich v. a. auf die Auswahl eines Gutachters und dessen Aufgaben und Pflichten beziehen.

In Betreuungs- und Unterbringungsverfahren dient ein Sachverständigengutachten als wichtige Grundlage für die richterliche Entscheidung (Diekmann, 2015; Müther, 2010). Nur auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens kann ein Richter entscheiden, ob

•  eine Betreuung anzuordnen ist (§ 280 Abs. 1 FamFG) (image Kap. 2.5),

•  ein Einwilligungsvorbehalt notwendig ist (§ 280 Abs. 1 FamFG) (image Kap. 2.7.1),

•  eine Unterbringungsentscheidung des Betreuers oder Bevollmächtigten zu genehmigen ist (§ 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG) (image Kap. 9.3) oder

•  eine persönliche Anhörung durch das Gericht nach § 34 Abs. 2 FamFG unterbleiben sollte,

•  weil hiervon erhebliche Nachteile für die Gesundheit des Betroffenen zu erwarten sind (§ 278 Abs. 4 FamFG).

Auch darf das Gericht sich bei nicht dargelegter eigener medizinischer Sachkunde nicht ohne weitere Aufklärung über ein erstelltes Gutachten zur Notwendigkeit einer Betreuung hinwegsetzen (BGH, 27.4. 2016 – XII ZB 557/15).

In der Zivilprozessordnung (ZPO) werden die Anforderungen an die einzelnen Verfahrensschritte einer Begutachtung vorgegeben.

2.2.1     Auswahl des Sachverständigen (§ 404 ZPO)

Die Bestimmung der Person des Sachverständigen muss durch das Gericht erfolgen. Die Verwertung eines von einem der Beteiligten eingereichten Gutachtens reicht zur Beweiserhebung nicht aus (KG Berlin, 20.12.1994 – 1 W 6687/94, KG, 27.6.2006 – 1 W 177/06, BayObLG, 28.08.2001 – 3Z BR 71/01). Die Person des Gutachters ist dabei genau zu benennen, d. h. es reicht nicht aus, wenn mit der Gutachtenerstattung allgemein »das Krankenhaus« oder »der behandelnde Arzt der Station 1« beauftragt wird (OLG Düsseldorf, 30.11.1988 – 3 WF 220/88). Ausnahmen sind Behörden, wenn diese zur Gutachtenerstellung gesetzlich verpflichtet sind (s. Müther, 2010). Nach § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG soll der Sachverständige Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein.

Wann ein Arzt ausreichende Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie aufweist, ist im Gesetz nicht näher festgelegt. Allgemein wird davon ausgegangen, dass eine Tätigkeit von mehr als zwei Jahren im Bereich der Psychiatrie erforderlich ist (Müther, 2010). Sechs Monate – wie bei vielen Amts-/Gesundheitsamtsärzten – sind nach einem Urteil des BayObLG (v. 7.7.1997 – 3Z BR 343/96) aber schon ausreichend. Auch Landgerichtsärzte in Bayern sind ausreichend qualifiziert (BGH, 16.10.2013 – XII ZB 320/13). Wenn sich die Qualifikation nicht ohne Weiteres aus der Fachbezeichnung des Arztes ergibt, ist seine Sachkunde vom Gericht zu prüfen und in der Entscheidung darzulegen (vgl. BGH, 15.9.2010 – XII ZB 383/10; BGH, 16.12.2015 – XII ZB 381/15; BGH, 13.7.2016 – XII ZB 46/15). Wenn der Sachverständige nicht hinreichend qualifiziert ist, darf sein Gutachten nicht verwertet werden (BGH, 15.9.2010 – XII ZB 383/10; BGH, 23.11.2016 – XII ZB 385/16). Die Mitunterzeichnung durch einen ausreichend Qualifizierten (z. B. Oberarzt) reicht nicht aus (vgl. BayObLG, 28.01.1988 – BReg. 3 Z 11/88).

Der Gesetzgeber hat bewusst eine Sollvorschrift gewählt, um anderen Erkrankungen Rechnung zu tragen, die nicht lediglich aus psychiatrischer Sicht beurteilt werden können. In solchen Fällen sind eine Facharztausbildung oder Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie nicht zwingend erforderlich (BGH, 9.11.2011 – XII ZB 526/10).

Zur Wahrung seiner Verfahrensrechte ist dem Betroffenen die Person des Sachverständigen vor Beginn der Untersuchung zur Gutachtenerstellung mitzuteilen (KG, 28.7.2009 – 1 W 313/07), um es dem Betroffenen zu ermöglichen, Einwendungen wegen der Person des Gutachters zu erheben. Der Einwand, der Betroffene habe bei einem früheren Aufenthalt in einer Klinik Zwangsmaßnahmen gegen andere Patienten beobachtet und sei daher nicht mit einem Gutachter aus dieser Klinik einverstanden, ist kein hinreichender Ablehnungsgrund (LG München, 12.12.2005 – 33 Wx 144/05).

2.2.2     Inhalt des Gutachtens

Das Gericht muss sowohl dem Gutachter (s. § 403 ZPO) als auch dem Betroffenen den Umfang der durch das Gutachten zu ermittelnden Tatsachen mitteilen. Dies geschieht in der Regel in Form von Beweisfragen (s. Diekmann, 2015). Der Betroffene ist vom Gericht auch über die beabsichtigte Beweisaufnahme zu informieren (s. § 357 ZPO), sodass sich dieser darauf vorbereiten und seine Verfahrensrechte wahrnehmen kann. Der Betroffene kann aber keine Beschwerde gegen die Beweisanordnung des Gerichts erheben (Müther, 2010). Die Richtlinien, nach denen ein Gutachten in einem Betreuungsverfahren zu erstatten ist, sind gesetzlich geregelt (§ 280 FamFG) (image Kap. 3).

In dem ärztlichen Gutachten ist nach § 280 Abs. 3 FamFG die voraussichtlich erforderliche Dauer der Betreuungsmaßnahme anzugeben. Diese dient dem Gericht als Anhaltspunkt bei der Festlegung der Dauer der Betreuung. Diese beträgt maximal sieben Jahre (§ 295 Abs. 2 FamFG). Nach Ablauf des in dem Beschluss zur Einrichtung einer Betreuung vom Gericht festgesetzten Zeitraums ist eine Überprüfung der Notwendigkeit einer Betreuung erforderlich. Ggf. kann die Betreuung verlängert werden. Hierzu ist nach § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG ein Sachverständigengutachten zur Notwendigkeit der Maßnahme erforderlich. Ebenso bei einer Erweiterung der Aufgabenkreise des Betreuers (§ 293 Abs. 1 FamFG) (image Kap. 7.4) und bei Anordnung des Einwilligungsvorbehalts (§ 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG) (image Kap. 2.7.1).

2.2.3     Untersuchung durch den Gutachter

Nach § 280 Abs. 2 Satz 1 FamFG hat der Sachverständige den Betroffenen vor der Erstellung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Falls der Betroffene eine Untersuchung verweigert, kann das Gericht eine Vorführung zur Untersuchung (§ 283 FamFG) oder eine stationäre Untersuchung (§ 284 FamFG) anordnen (image Kap. 3.1.1).

Der Betroffene ist über die angeordnete gutachterliche Untersuchung zu informieren. Wenn eine entsprechende Information nicht erfolgt ist, ist das Gutachten nicht verwertbar, sodass eine erneute Beweisaufnahme durchgeführt werden muss.

Ein in einem anderen Verfahren eingeholtes Gutachten kann nur dann verwertet werden, wenn es gemäß § 411a ZPO in das Verfahren eingeführt und dem Betroffenen Gelegenheit gegeben worden ist, zu den Ausführungen des zu verwertenden Gutachtens in dem vorliegenden Verfahren Stellung zu nehmen (vgl. BGH, 16.11.2011 – XII ZB 6/11; BGH, 27.4.2016 – XII ZB 611/15).

2.2.4     Entbehrlichkeit eines Gutachtens

Unter bestimmten Bedingungen ist vom Gericht vor der Anordnung einer Betreuung kein Sachverständigengutachten anzufordern. Diese Fälle sind in §§ 281–282 FamFG geregelt:

§ 281 FamFG: Ärztliches Zeugnis; Entbehrlichkeit eines Gutachtens

(1) Anstelle der Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 280 FamFG genügt ein ärztliches Zeugnis, wenn

1.  der Betroffene die Bestellung eines Betreuers beantragt und auf die Begutachtung verzichtet hat und die Einholung des Gutachtens insbesondere im Hinblick auf den Umfang des Aufgabenkreises des Betreuers unverhältnismäßig wäre oder

2.  ein Betreuer nur zur Geltendmachung von Rechten des Betroffenen gegenüber seinem Bevollmächtigten bestellt werden soll.

Ein Gutachten kann auch entbehrlich sein, wenn schon ein MDK-Gutachten zur Beurteilung der Pflegestufe vorliegt. Die entsprechenden Regelungen finden sich in § 282 FamFG.

§ 282 FamFG Vorhandene Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung

(1) Das Gericht kann im Verfahren zur Bestellung eines Betreuers von der Einholung eines Gutachtens nach § 280 Abs. 1 FamFG absehen, soweit durch die Verwendung eines bestehenden ärztlichen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nach § 18 SGB XI festgestellt werden kann, inwieweit bei dem Betroffenen infolge einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers vorliegen.

(2) Das Gericht darf dieses Gutachten einschließlich dazu vorhandener Befunde zur Vermeidung weiterer Gutachten bei der Pflegekasse anfordern. Das Gericht hat in seiner Anforderung anzugeben, für welchen Zweck das Gutachten und die Befunde verwandt werden sollen. Das Gericht hat übermittelte Daten unverzüglich zu löschen, wenn es feststellt, dass diese für den Verwendungszweck nicht geeignet sind.

(3) Kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass das eingeholte Gutachten und die Befunde im Verfahren zur Bestellung eines Betreuers geeignet sind, eine weitere Begutachtung ganz oder teilweise zu ersetzen, hat es vor einer weiteren Verwendung die Einwilligung des Betroffenen oder des Pflegers für das Verfahren einzuholen. Wird die Einwilligung nicht erteilt, hat das Gericht die übermittelten Daten unverzüglich zu löschen.

(4) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen der Absätze 1 bis 3 von der Einholung eines Gutachtens nach § 280 FamFG insgesamt absehen, wenn die sonstigen Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers zur Überzeugung des Gerichts feststehen.

Das in § 282 FamFG genannte Gesetz zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit (§ 18 SGB XI) ist sehr umfangreich. Die Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach § 18 SGB XI erfolgt in der Regel durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Bei knappschaftlich Versicherten erstellt das Gutachten der Sozialmedizinische Dienst (SMD). Bei Privatversicherten erfolgt die Begutachtung durch »MEDICPROOF«. Oft werden die Pflegegutachten nicht von Ärzten, sondern von Fachpflegekräften durchgeführt. Diese wurden vom MDK geschult, um psychopathologische Auffälligkeiten, insbesondere im Sinne einer Demenz, zu erkennen.

Der MDK-Gutachter untersucht den Betreffenden in seinem Wohnbereich (d. h. bei einem Haus- bzw. Heimbesuch) und überprüft, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welche Stufe der Pflegebedürftigkeit vorliegt. Es gelten bundesweit einheitliche Begutachtungsrichtlinien (MDS, 2017). Diese werden in einem Formular-Gutachten dokumentiert. Dabei werden elf krankheits- oder behinderungsbedingte kognitive und kommunikative Fähigkeiten in vier Schweregradstufen erfasst (Modul 2). In Modul 3 werden u. a. fünf psychische Problemlagen in vier Schweregradstufen bewertet, die sich danach richten, wie häufig eine Pflegeperson eingreifen oder unterstützen muss.

Kritisch anzumerken ist, dass kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie psychische Problemlagen nur »miterfasst« werden. Auch sind die Begutachter häufig keine Ärzte und insbesondere keine Ärzte aus dem Gebiet der Psychiatrie (Nervenheilkunde).

2.3       Bericht der Betreuungsbehörde

Die Betreuungsbehörde ist bei den Stadt- oder Kreisverwaltungen angesiedelt (Näheres ist im Betreuungsbehördengesetz [BtBG] geregelt). Bei der Neueinrichtung einer Betreuung ist die Betreuungsbehörde nach § 303 FamFG beteiligt und hat formell ein Beschwerderecht. Bei Neueinrichtung machen in der Regel Sozialarbeiter der Betreuungsbehörde einen Besuch bei dem Betreffenden, d. h. in dessen aktuellem Umfeld, und erstatten Bericht über ihren Eindruck über den aktuellen Gesundheitszustand sowie Verhaltensauffälligkeiten und eine Einschätzung zur Erfordernis einer Betreuung bzw. anderer Hilfen (n. § 1896 Abs. 2 BGB). Meist enthalten die Sozialberichte (s. Beispiel Thar & Raack, 2014, S. 61–64) auch eine Einschätzung zur Frage der Aufgabenkreise, für die bei dem Betreffenden eine Betreuung notwendig erscheint. Diese Berichte sind von dem Richter in die Überlegungen über die Einrichtung einer Betreuung mit einzubeziehen.

2.4       Richterliche Anhörung

In einem Betreuungsverfahren, das in die Grundrechte der Betroffenen eingreift, kommt der Möglichkeit des Betroffenen, auf die Sachverhaltsermittlung und Entscheidungsfindung des zuständigen Betreuungsgerichts in Anhörungen und Stellungnahmen (gemäß dem Grundrecht auf rechtliches Gehör Art. 103 Abs. 1 GG) einwirken zu können, besondere Bedeutung zu (vgl. BVerfG, 30.4. 2010 – 1 BvR 2797/09; BVerfG, 12.1.2011 – 1 BvR 2539/10; BVerfG, 23.03.2016 – 1 BvR 184/13). Die entsprechenden juristischen Vorgaben finden sich in §§ 278, 279 FamFG.

§ 278 FamFG Anhörung des Betroffenen

(1) Das Gericht hat den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören. Es hat sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Diesen persönlichen Eindruck soll sich das Gericht in dessen üblicher Umgebung verschaffen, wenn es der Betroffene verlangt oder wenn es der Sachaufklärung dient und der Betroffene nicht widerspricht.

(2) Das Gericht unterrichtet den Betroffenen über den möglichen Verlauf des Verfahrens. In geeigneten Fällen hat es den Betroffenen auf die Möglichkeit der Vorsorgevollmacht, deren Inhalt sowie auf die Möglichkeit ihrer Registrierung bei dem zentralen Vorsorgeregister nach § 78a Abs. 1 der Bundesnotarordnung hinzuweisen. Das Gericht hat den Umfang des Aufgabenkreises und die Frage, welche Person oder Stelle als Betreuer in Betracht kommt, mit dem Betroffenen zu erörtern.

(3) Verfahrenshandlungen nach Absatz 1 dürfen nur dann im Wege der Rechtshilfe erfolgen, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung ohne eigenen Eindruck von dem Betroffenen getroffen werden kann.

(4) Soll eine persönliche Anhörung nach § 34 Abs. 2 unterbleiben, weil hiervon erhebliche Nachteile für die Gesundheit des Betroffenen zu besorgen sind, darf diese Entscheidung nur auf Grundlage eines ärztlichen Gutachtens getroffen werden.

Nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG besteht eine Pflicht zur persönlichen Anhörung der Betroffenen auch im Beschwerdeverfahren (vgl. BGH, 16.10.2013 – XII ZB 320/13).

§ 279 FamFG: Anhörung der sonstigen Beteiligten, der Betreuungsbehörde und des gesetzlichen Vertreters

(1) Das Gericht hat die sonstigen Beteiligten vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts anzuhören.

(2) Das Gericht hat die zuständige Behörde vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts anzuhören. Die Anhörung vor der Bestellung eines Betreuers soll sich insbesondere auf folgende Kriterien beziehen:

1.  persönliche, gesundheitliche und soziale Situation des Betroffenen,

2.  Erforderlichkeit der Betreuung einschließlich geeigneter anderer Hilfen (§ 1896 Abs. 2 BGB)

3.  Betreuerauswahl unter Berücksichtigung des Vorrangs der Ehrenamtlichkeit (§ 1897 BGB) und

4.  diesbezügliche Sichtweise des Betroffenen.

In der Praxis wird von der Betreuungsbehörde meist ein Sozialbericht zu den genannten Punkten erstellt, der in vielen Fällen eine förmliche Anhörung durch das Gericht ersetzt.

Der Richter hat ein vorliegendes Gutachten zur Frage der Erforderlichkeit einer Betreuung und der erforderlichen Aufgabenkreise dem Betroffenen und den weiteren Beteiligten vor einer Entscheidung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zur Kenntnis zu geben (vgl. BGH, 6.4.2016 – XII ZB 397/15). Nur hierdurch erhält der Betroffene die Gelegenheit, zur Person des Sachverständigen und zum Beweisgegenstand Stellung zu nehmen. Eine Ausnahme hiervon ist nicht schon dann zulässig, wenn der Gutachter, der zugleich der behandelnde Arzt des Betroffenen ist, aufgrund der Gutachtenkenntnis dessen mangelnde Mitwirkungsbereitschaft bei der weiteren Behandlung (»Compliance«) befürchtet (OLG München, 22.9.2005 – 33 Wx 160/05).

2.5       Gerichtsbeschluss

Die Entscheidung des Gerichts ist dem Betroffenen und dessen rechtlichem Vertreter bekannt zu geben (§ 288 FamFG). Eine Ausnahme kann nur gemacht werden, um erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu vermeiden (§ 288 Abs. 1 FamFG). Der Umfang bzw. der Inhalt der Mitteilung ist in § 286 FamFG geregelt.

§ 288 FamFG Bekanntgabe

(1) Von der Bekanntgabe der Gründe eines Beschlusses an den Betroffenen kann abgesehen werden, wenn dies nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, um erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu vermeiden.

(2) Das Gericht hat der zuständigen Behörde den Beschluss über die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts oder Beschlüsse über Umfang, Inhalt oder Bestand einer solchen Maßnahme stets bekannt zu geben. Andere Beschlüsse sind der zuständigen Behörde bekannt zu geben, wenn sie vor deren Erlass angehört wurde.

Der Gerichtsbeschluss muss im Fall der Bestellung eines Betreuers u. a. enthalten (s. § 266 FamFG):

•  die Bezeichnung des/der Aufgabenkreise/s des Betreuers (image Kap. 7.4),

•  Name des Betreuers bzw. entsprechende Institution (z. B. Verein, Behörde etc.),

•  ggf. Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts mit Angabe des Kreises der einwilligungsbedürftigen Willenserklärungen (image Kap. 2.7.1) und

•  Zeitpunkt, bis zu dem das Gericht über die Aufhebung oder Verlängerung zu entscheiden hat.