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Inhalt

Vorwort

Prolog:
Willkommen in der Welt der Wertschätzung

Es könnte alles so einfach sein!
Oder: Blumenwerfen für Anfänger

Wertschätzung fängt immer bei dir selbst an:
Pari Roehi - das etwas andere „Topmodel“

Warum es so wichtig ist, das zu schätzen, was man ist und hat.
Oder: Lächeln - und niemals das Bier loslassen

„Wenn alle Ferrari fahren, dann fahre ich Roller!“:
Marcell Jansen und der Mut zum Echtsein

Warum alle etwas davon haben, wenn man andere wertschätzt.
Oder: „Jupp, Jupp, Jupp, Jupp, Jupp!“

Wertschätzender Umgang mit unseren Ressourcen:
Michael Volkmer und die Frage - „Braucht’s das eigentlich?“

Erfolgsfaktor Wertschätzung:
Warum Wirtschaftsunternehmen ihre Mitarbeiter im Blick haben sollten

Wertschätzung heißt, dem Leben die Tür aufzuhalten

Wertschätzung braucht mut:
Dunja Hayali und die Goldene Lebensregel

Wertschätzung statt Shitstorm:
Wie man im Netz Gutes bewirken kann

Wertschätzung macht sich bezahlt:
Christian Rach und der Gönnfaktor

Der Duft der Wertschätzung:
Ein Cocktail, der es in sich hat

Epilog

Wertschätzen heißt Danke sagen

Nachwort

Anmerkungen

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

ich bin gut rumgekommen mit Tim Niedernolte. Einige Jahre lang sind wir gemeinsam durch die Bundesligastadien gereist und haben für den Sender Sky gearbeitet. Als Teil einer großen Crew, er als Reporter und ich als Beleuchter.

Ich habe ihn für die Interviews und Moderationen auf dem Rasen ins passende Licht gerückt und dabei erlebt, wie er vor und hinter der Kamera agiert: Er ist in beiden Situationen immer derselbe. Deshalb ist es für mich überhaupt keine Überraschung, dass Tim ein Buch über Wertschätzung schreibt. Sie gehört wie selbstverständlich zu Tims Leben.

Egal ob Tim auf Sendung ist oder nicht – er ist ein auffällig offener und freundlicher Mensch. Er versprüht positive Energie, bemerkt, was um ihn herum passiert, und respektiert die Menschen, die mit ihm zusammenarbeiten.

Und zwar ausnahmslos jeden.

Der Kabelträger ist ihm genauso wichtig wie der Regisseur. Er hat sich nach getaner Arbeit stets bei jedem mit Handschlag verabschiedet und sich für die Zusammenarbeit bedankt. Im mitunter sehr auf den eigenen Vorteil bedachten Setting der Fernsehleute setzt er mit dieser echten Art der Wertschätzung seinen Mitmenschen gegenüber einen auffälligen Kontrast.

Die positive Art, gepaart mit seinem Humor, ist mir in guter Erinnerung geblieben. Irgendwann hat Tim dann das Sky-Mikrofon an den Nagel gehängt und ist weitergezogen. Doch noch Jahre später, wenn ich ihn in einem Stadion wiedergetroffen habe, war nicht nur ich hocherfreut, ihn zu sehen. Er ist einer der wenigen Kollegen, der von den vielen Mitarbeitern und Helfern im Hintergrund wiedererkannt und nach wie vor sehr geschätzt wird.

Als Moderator beim ZDF arbeitet er nun mit einem anderen Team zusammen und ich bin mir sicher: Die Damen und Herren können das, was ich hier von mir gebe, voll unterschreiben.

Tim hat die Wertschätzung nicht erfunden, aber er ist ein sehr guter Botschafter für sie. Es macht Spaß und Sinn, mit ihm auf den Spuren der Wertschätzung unterwegs zu sein. Seine Art ist ansteckend, und deshalb werden Sie mit diesem Buch nicht nur gut unterhalten, sondern bekommen wertvolle Impulse für Ihren Alltag.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und richte den Spot jetzt, wie damals, von Herzen gerne wieder auf Tim.

Ihr Uwe Wolf

Die Erde braucht nicht noch mehr Erfolgsmenschen, die Erde braucht dringend mehr Friedensstifter, Helfer, Wiederaufbauer, Geschichtenerzähler und Liebende aller Art.

Dalai Lama

Für Anne, Liebe meines Lebens und WERTvollster SCHATZ! Und Lea. Denn die Welt, die wir dir überlassen, hat noch Luft nach oben!

Prolog:
Willkommen in der Welt der Wertschätzung

Liebe Leserin, lieber Leser,

voll schön, Sie hier zu treffen! Darf ich mich kurz vorstellen: Ich bin Tim Niedernolte, 39, verheiratet, eine Tochter, von Beruf Fernsehmoderator, zur Zeit beim ZDF. Freund, Bruder, Sohn, Kollege, Fußballfan, Gast, Gastgeber, Mensch, Lebensliebhaber, Biertrinker …

… und vollstüberzeugter Wertschätzer.

Was das sein soll? Jemand, der sich das Thema Wertschätzung ganz dick auf die Fahne geschrieben hat. Weil ich nämlich überzeugt davon bin, dass Wertschätzung eine Wunderwaffe ist, die das Leben jedes Menschen sofort und ganz einfach viel besser macht. Desjenigen, der Wertschätzung erfährt, und auch das desjenigen, der sie verteilt. Sie ist ganz einfach und sofort anwendbar, jeder kann sie einsetzen, sie ist niemals aufgebraucht, sie kostet nichts – und bringt die allergrößte Rendite überhaupt: Sie macht glücklich!

Wertschätzung ist die einzige Waffe, die nicht zerstört, sondern aufbaut, wachsen lässt und vermehrt. Und das durch alle Bereiche und Schichten unserer Gesellschaft hindurch, durch unser Zusammenlebens und unser Zusammenarbeiten und Wirtschaften.

Und ich möchte dabei helfen, die Kraft der Wertschätzung zu multiplizieren.

Auf dem Weg dahin habe ich erst mal einige Mitwisser aus meinem Umfeld zusammengetrommelt. Ganz gezielt und aus unterschiedlichen Branchen. Torsten Hebel, ein Schauspieler, Kabarettist und Leiter des sozial-kulturellen Projektes „blu:boks“, Philipp Niedernolte, mein Bruder, Finanzexperte in der langfristigen Unternehmensplanung der BMW-Group, Mathis Gerkensmeyer, in der Geschäftsleitung des Startups Runtastic für Finanzen verantwortlich, und Daniel Schneider, Journalist und Theologe. Ich habe ihnen von meinen Gedanken erzählt, und sie sind alle sofort auf den Wertschätzungs-Zug aufgesprungen.

Das hat mich umgehauen. Für unser erstes Treffen mit offenem Ausgang schlossen wir uns ein Wochenende in einem Linzer Hotel ein, und dort begann eine intensive Auseinandersetzung mit der „Wunderwaffe Wertschätzung“. Und jetzt kommt mein Schlüsselerlebnis: Im extra gemieteten Konferenzraum saßen wir uns erwartungsvoll gegenüber. Ich war nervös. Wie sollen wir beginnen? Dann eröffnete Torsten Hebel die Runde mit einer spontanen Idee: „Wie wäre es, wenn wir uns gegenseitig erstmal ausführlich die Meinung übereinander sagen? In positiver Weise. Jeder sagt, was er an dem anderen schätzt.“

Top Idee! So eröffneten wir die Runde mit einer „Wertschätzungsdusche“. Ich weiß nicht mehr genau, wie lange wir uns gegenseitig mit Komplimenten zugeschmissen haben, einige Stunden waren es auf jeden Fall. Und es war der perfekte Start ins Wochenende und in die ganze Thematik.

Dieser Moment hat sich bei mir eingebrannt. Fünf unterschiedliche Typen aus ganz unterschiedlichen Branchen, die mitten im Leben stehen, loben sich gegenseitig über den grünen Klee. Einfach so. Und es ist ein Fest. Gestandene Kerle, die wie kleine Jungs mit strahlenden Augen und offenen Herzen wertgeschätzt werden und wertschätzen.

In diesem Moment wurde mir klar: Wertschätzung ist wirklich eine Wunderwaffe, die alles verändert! Wertschätzer müssen sich verbünden, um gemeinsam noch stärker zu werden. Deshalb lesen Sie dieses Buch. Deshalb treffe ich mich mit Menschen, die schon „Wunderwaffenschein-Besitzer“ sind. Ich möchte von ihren Erfahrungen mit der Wertschätzung lernen. Und dadurch Veränderungen anstoßen. Dinge bewegen. Unser Zusammenleben verbessern. Konkret. Persönlich. Alltagsnah. Erprobt.

Welche Typen das sind und wie sie ihre Leidenschaft leben, wird auf den nächsten Seiten deutlich. Auch mich werden Sie dabei besser kennenlernen. Und das Team in meinem Rücken. Es wird unterhaltsam, sexy, ehrlich, dreckig, liebevoll, traurig, inspirierend und lustig. Und ich warne Sie besser hier schon mal vor: Es ist mehr als eine nette Lektüre. Denn zwischen diesen beiden Buchdeckeln steckt jede Menge Herausforderung. Und die Kraft unser aller Wunderwaffe.

Die Damen und Herren, die in diesem Buch zu Wort kommen, haben eine Gemeinsamkeit: Die Art, wie sie anderen Menschen begegnen, ist Wertschätzung pur. Manchmal bewusst und manchmal unbewusst. Sie lesen zum Beispiel …

Und Sie, liebe/r Leser/in, sind auch beteiligt. Denn jeder Mensch ist ein potenzieller Wertschätzer. Deshalb freue ich mich auch so sehr, dass Sie mich auf meiner Reise begleiten. Unserer Reise.

Ihr

Es könnte alles so einfach sein!
Oder: Blumenwerfen für Anfänger

Die Menschen bauen zu viele Mauern und zu wenige Brücken.

ISAAC NEWTON

Wissen Sie was? Ich fühle mich gerade so gar nicht nach Wertschätzung. Denn ich sitze am Computer und kämpfe mit einem weißen Blatt Papier. Der Cursor blinkt höhnisch. So, als wenn er mir sagen wollte: „Na, läuft nicht, oder!?“

Mir fällt partout nichts ein, obwohl mein Kopf eigentlich voll ist mit Geschichten, Ideen, Statements und Erlebnissen. Aber ich bringe es gerade nicht auf die Straße. Frust macht sich breit.

Ich beschließe, den Rechner kurz mal mit Missachtung zu strafen und frische Luft zu schnappen. Tief durchatmen. Post holen. Zu Fuß die vier Etagen runter. Bisschen Blut durch die Adern jagen in der Hoffnung, dass der volle, aber doch irgendwie leere Kopf so auch ein bisschen frische Energie abkriegt.

Unten angekommen, sehe ich ihn. Er steht mit dem Rücken zu mir, aber seine rot gelbe Jacke verrät ihn sofort: der Paketbote. Hat geklingelt, wahrscheinlich schon mehrfach, und wartet auf eine offene Tür.

Ich halte kurz inne. Wenn ich jetzt aufmache, bleibt die Verteilung der Pakete an mir hängen … Wie heißt noch mal das Kapitel, bei dem ich gerade nicht weiterkomme: Wertschätzung im Alltag? Ich öffne die Tür …

Klar, ich müsste ihm die Pakete nicht abnehmen, sie sind ja nicht für mich und meist zieht sich die Übergabe auch etwas hin mit mehreren verschiedenen Nachbarn. Aber der Paketmann hat so einen Dreierpack weniger auf seiner stressigen Tour gegen die Uhr.

Er bedankt sich. Für einen Berliner sogar ziemlich überschwänglich. Habe ich da ein Lächeln in seinem Gesicht gesehen? Ich sprinte mit einem guten Gefühl die Treppe hinauf. Schnell wieder an den Computer. Denn in mir macht sich ein Gedanke breit, sehr klein und zerbrechlich noch. Ich will ihn nicht verlieren. Aber schon beim Wohnungstüraufschließen merke ich, dass der Gedanke größer wird. Er nimmt den ganzen Raum ein.

Es fühlt sich ein bisschen so an, als höre ich ein schönes Lied. Es ist nicht besonders neu, aber stimmig, ich fühle mich bei dieser Melodie aufgehoben.

Ich sauge die Musik auf. Oder den Gedanken. Er stammt nicht von mir. Aber ich habe mich an ihn erinnert. Es ist ein Spruch von Veit Lindau, einem Coach und Autor. Der hat das, was ich gerade erlebt habe, in wunderbare Worte gefasst:

„In jedem von uns schlummert ein Held.
Du kannst vielleicht nicht die ganze Welt retten.
Aber du kannst heute die Welt eines anderen Menschen erhellen.
Durch ein Lächeln, ein Kompliment, eine Berührung, einen Kaffee, eine kleine Hilfeleistung.
Und wenn wir das alle tun, ist eines Tages auch die Welt ein guter Ort.“

Klingt blumig und ein bisschen kitschig obendrauf, aber es ist vielleicht tatsächlich so einfach. Nehmen Sie sich kurz Zeit für eine kleine Gedankenreise. Wo haben Sie kürzlich die Welt eines anderen Menschen erhellt? Wer hat Ihnen zuletzt ein Kompliment gemacht, ein Lächeln geschenkt, die Tür aufgehalten oder einen Kaffee besorgt?

Ich denke sofort an einen Obdachlosen, den ich letztes Jahr auf dem Weihnachtsmarkt am Potsdamer Platz gesehen habe. Ich war mit meiner Familie unterwegs und habe ihm im Vorbeigehen eine kleine Spende gegeben. Worauf er sagte: „Behalt das lieber für dich. Du hast eine kleine Tochter, die braucht das nötiger als ich!“

Ich gehe bewegt weiter, lasse seine Worte kurz sacken und sage dann zu meiner Frau: „Moment, komme sofort wieder.“ Dann kehre ich zurück zu dem Mann und gebe ihm einen Schein mit den Worten: „Das hat mich gerade sehr bewegt. Was für eine Einstellung – dein Blick für andere trotz deiner Situation. Bitte nimm diesen Schein. Meine Tochter muss deswegen auf nichts verzichten …“

Danach habe ich mich neben ihn gesetzt und wir haben einige Minuten gequatscht. Darüber, wie es ihm geht, wie es mir geht, warum er auf der Straße lebt, warum er zu seinem Sohn und anderen nahen Verwandten keinen Kontakt mehr hat und über einiges mehr.

Wer hat hier wen wertgeschätzt? Wir beide uns gegenseitig. Wir haben uns gegenseitig die Welt erhellt.

Seit unserer tieferen Auseinandersetzung mit dem Thema fallen mir immer mehr Bezüge und Beispiele und Gelegenheiten im Alltag auf. Es ist ein Prinzip der selektiven Wahrnehmung: Man wird sich einer Sache bewusst oder hat sich damit intensiver beschäftigt, und plötzlich begegnet einem genau diese Sache viel häufiger im Alltag als vorher. Nicht, weil sie plötzlich häufiger existiert, sondern weil man dafür sensibilisiert wurde.

Als meine Frau schwanger war und wir durch unseren Kiez spazierten, dachte ich: Mensch, es sind aber viele schwangere Frauen unterwegs. Waren natürlich nicht mehr oder weniger als sonst, aber mir ist es aufgefallen.

Und genauso geht es mir auch mit der Wertschätzung. Ein Beispiel nach dem anderen fiel mir auf oder zu. Ein Werbeplakat hier, ein zufällig aufgeschnapptes Gespräch da. Im Radio beim Zappen durch die Sender poppte plötzlich das Interview eines Psychologie-Professors zur Bedeutung von Wertschätzung im Arbeitsleben auf. Wäre mir vorher nie aufgefallen! Ich war beeindruckt – und mein smarter Notizzettel im Handy wurde immer voller.

Ich fing an, mit einer „Wertschätzungsbrille“ durch den Alltag zu gehen. Das ist toll – probieren Sie es auch mal. Einen Tag lang versuchen Sie bewusst wahrzunehmen, wo einem diese positive Macht überall begegnet. Oder wo sie fehlt. Und wo Sie sie einsetzen können.

Los geht’s gleich beim Aufstehen. Ein Kuss für den Partner – oder doch lieber nach dem Handy hangeln? Sich über den zu dünnen Kaffee beschweren – oder einfach mal Danke sagen, dass man ein paar Minuten länger liegen bleiben durfte? Jemandem die Vorfahrt nehmen oder den anderen Autofahrer durchlassen? Dem Kollegen zum Start in den Tag etwas Nettes sagen und erst dann seine To Do-Liste rübermailen. Die zehn Meter ins Nachbarbüro gehen für eine vis-à-vis-Frage, statt die x-te Mail zu schreiben.

Merken Sie was?

Der Tag hat noch gar nicht richtig begonnen, und schon hat man eine potenzielle Wertschätzungs-Situation nach der anderen gesammelt. Und bei den meisten hat man sogar direkt ein Mitspracherecht: einfach so wie immer? Oder mal mit Herz und Fokus auf dem Anderen? Sie können heute die Welt eines anderen Menschen erhellen.

Und Ihre eigene gleich dazu. Manchmal merken Sie sogar, dass Sie gerade jemandem echt den Tag gerettet haben, manchmal auch nicht. Das bedeutet aber weder, dass Sie das nicht wiederholen sollten, noch, dass Sie Ihre Wertschätzung verpulvert hätten.

Lassen Sie uns so einen Staffellauf einfach mal mit ein paar Beispielen weiterspinnen: Der Paketbote, den ich eben minimal unterstützt habe, geht mit einem guten Gefühl wieder zurück auf die Straße, steigt in seinen Lieferwagen und fährt los. Die drei Minuten, die er durch mich gespart hat, will er in eine kurze Mittagspause investieren. Er betritt einen Dönerladen und bestellt.

Er ist durch den unverhofften Zeitgewinn guter Laune, deshalb bestellt er den Döner nicht auf Deutsch, sondern auf Arabisch. Ein paar Brocken hat er von seinen Kollegen gelernt. Die Wirkung auf den Mann hinter dem Ladentresen ist verblüffend. Eine Bestellung in der Muttersprache! Noch dazu von einem Deutschen. Da wird ihm direkt warm ums Herz. Die beiden kommen ins Gespräch, der Paketbote verlässt mit dem Döner das Geschäft und der Mann in der Dönerbude dreht das Radio lauter und summt mit.

Kurzer Einschub: Die Idee mit bestellen auf Arabisch stammt von meiner lieben Kollegin Dunja Hayali. Sie hat sich (und mich) gefragt, warum wir uns alle immer so viel Mühe geben, im italienischen oder spanischen Restaurant unsere paar Brocken Fremdsprache anzubringen, aber bei arabisch oder türkisch sprechenden Menschen da doch eher zurückhaltend sind. Ich konnte keine Antwort darauf geben, aber ich fand den Gedanken interessant. In meiner Zeit bei Sky, wenn ich als Reporter in der Champions- oder Europa-League eingesetzt wurde, habe ich auch oft versucht, die Sprache des Landes einzubringen. Das war allerdings gar nicht so einfach. Vor allem in Lettland oder der Ukraine.

Zurück in den Dönerladen: Die Tür geht auf. Eine Frau kommt herein. Mit Handy am Ohr. Sie bestellt einen vegetarischen Döner und stellt sich an den kleinen Stehtisch. Sie wirkt angespannt. Ihren Döner isst sie hastig. Dann komm sie zur Theke und will bezahlen. Doch sie findet ihren Geldbeutel nicht. Es ist ihr sichtlich unangenehm. Sie sucht alles ab und wendet sich dann verzweifelt an den Mann hinter Theke. „Ich habe offenbar mein Portemonnaie im Hotel liegenlassen. Und das befindet sich am anderen Ende der Stadt.“

Es gibt Tage, da hätte der Ladenbesitzer gesagt: „Ja, ja, die Geschichte höre ich öfter.“ Aber dieses Mal nicht. Er lächelt die Frau freundlich an und sagt: „Geht aufs Haus.“

Die Frau lächelt erleichtert zurück, bedankt sich und verlässt den Laden. Das Wertschätzungslicht wurde schon wieder weitergegeben. In Form eines Döners.

Noch einige Tage später erinnert sich Frau an diese Begegnung im Dönerladen. Und zwar, als sie in ihrer Stadt das überfüllte Einwohnermeldeamt betritt. Sie muss ihren Personalausweis verlängern lassen. Diesmal hat sie ihre Geldbörse mit dabei und zieht eine Nummer. Danach noch eine.

Und sie wartet. Nach einer guten halben Stunde nähert sich die Ziffernanzeige ihrer Nummer. Sie schaut sich um. Viele Menschen um sie herum. Wer ist gerade gekommen und muss noch lange warten?

Einer sieht besonders gestresst aus. Den behält sie ihm Auge. Dann wird ihre Nummer aufgerufen. Bevor sie an den Platz mit dem Sachbearbeiter tritt, geht sie zu dem gestresst wirkenden Mann und drückt ihm die zweite Nummer in die Hand. „Hier, für Sie. Sie sind gleich dran. Schönen Tag noch.“

Ungläubig schaut der Mann sie an, stammelt ein „Danke“, und schwupps, schon wird auch seine Nummer aufgerufen.

Diese Idee stammt übrigens von meinem Mitwertschätzer Torsten Hebel, der das schon einige Male ausprobiert hat. Mit erhebendem Erfolg. Und auch ich selbst habe gute Erfahrungen damit gemacht. Klar, auch hier macht sich Sozialneid breit und es gibt immer Menschen, die nölen „Warum er und nicht ich?“, aber das nehme ich sehr gerne in Kauf.

Ich habe noch tausend solcher Beispiele parat, mit denen man die Welt eines Menschen erhellen kann. Manches davon setze ich häufig um, manches nicht.

Warum?

Weil ich zu bequem bin, weil ich manchmal Schiss habe, was die anderen sagen, oder weil ich einfach zu verpeilt bin, um auf meine Mitmenschen zu achten.

Aber trotzdem möchte ich die Wertschätzungsbrille nicht mehr abnehmen. Sie ist nicht rosarot, sondern sie hilft mir, klarer zu sehen. Und davon profitiere ich selbst am meisten. Denn ich werde auch für die Wertschätzung sensibilisiert, die mir selbst zuteilwird. Das ist eine ganze Menge.

Womöglich hätte ich ohne Wertschätzungsbrille auch den Aushang an der Kita verpasst, in die unsere Tochter geht. Dort stand: „Wertschätzung ist die Grundlage jeder Beziehung“, und dieses Zitat war mit einem Event verbunden; einem Wertschätzungstag für alle Eltern, die sich das ganze Jahr um die Kinder kümmern. Die Kleinen haben mit ihren Erziehern Muffins gebacken – und dann ging es für einen Nachmittag auf den Spielplatz, wo die Kinder und Erzieher im Schatten der Bäume die Eltern für ihren Einsatz verwöhnt und gewürdigt haben.

Ich liebe diese Idee, diese Formulierung und die Herangehensweise. Denn genau das ist es doch! So einfach eigentlich, „nur“ ein kleines Beispiel aus der Kita, aber so relevant!

Denn dass man nicht früh genug damit anfangen kann, auch Kinder an die wunderbare Welt der Wertschätzung heranzuführen, zeigt die aktuelle PISA-Studie. In einer Sonderauswertung veröffentlichte die OECD im April 2017 Daten zu Lernumfeld und Lernverhalten der 15-jährigen. Eines der auffälligsten und meist zitierten Ergebnisse: Mobbing ist ein großes Problem an deutschen Schulen! Mobbing – ein sehr fieser Gegenspieler der Wertschätzung. Jeder sechste 15-jährige Schüler in Deutschland wird nach dieser Studie regelmäßig Opfer von teils massivem Mobbing in der Schule.

„Mobbing und ein zunehmend verrohender Umgang in der Gesellschaft und im Internet zeigen, dass die klassischen Kompetenzen – wie die Fähigkeit, WERTEORIENTIERT und reflektiert zu handeln, Konflikte zu lösen und mit anderen Menschen konstruktiv und sozial zusammen zu leben – heute aktueller denn je sind!“, sagt Susanne Eisenmann, Präsidentin der Kultusministerkonferenz.1

Und Andreas Schleicher, der OECD-Direktor ergänzt: Mobbing müssen wir in Deutschland viel stärker thematisieren, weil es hier oft noch an den Rand gedrängt wird. (…) Man dürfe Schulpsychologen und Sozialarbeiter nicht alleine lassen mit dem Thema.

Ich stimme ihm zu und ergänze: Wir müssen es vor allem mit der Wunderwaffe Wertschätzung bekämpfen. Denn indem wir das Leben von anderen Menschen erhellen, wird die Welt ein wenig besser.

Jetzt fühle ich mich schon fast selbst wie Veit Lindau. Das geht doch mehr wie Tim, oder!?

Ich denke an den „Blumenwerfer“, das bekannte Motiv des Straßenkünstlers Banksy, das ich auf dem Cover dieses Buches als T-Shirt trage: Ein Vermummter wirft statt des vermuteten Molotow-Cocktails … einen Blumenstrauß. Wunderwaffe Wertschätzung! Genau das ist es, was ich erreichen will, im Großen wie im Kleinen. Aufbauen statt Einreißen. Freude schenken statt beleidigen. Wertschätzung statt Shitstorm. Böses mit Gutem überwinden. Sich einfach wieder mehr entgegen kommen – im Treppenhaus oder in der Kita, im Dönerladen oder auf dem Amt.

Machen Sie mit beim Blumenwerfen?