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eISBN 978-3-99025-323-6

Layout: freya_art, Regina Raml-Moldovan

printed in EU

Anmerkung:

Christa Öhlinger-Brandner

KRÄUTERTABAK

Die europäische Tradition des Kräuterrauchens

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INHALT

Danke

Vorwort

Das erste Kräutertütchen

Keine französische Inspiration

Ein mexikanischer Brauch und ein europäisches Menü

Die ersten eigenen Mischungen

Die Tücken des Kräutertrocknens

Kommentare der Testraucher

Eigene Mischungen

Schottland trifft auf Salzkammergut

Die Sauce macht den Unterschied und süchtig

Volksheilkunde vergangener Jahrhunderte und das Saucieren

UNA ist mächtig

Das Teeprinzip und der Neustart

Das Brombeerblatt und das Fermentieren

Die Weltuntergangsmischung

Die Gedenkmischung

Tabakmonopol

Es war nicht Columbus

Frauen rauchen unkonventionell

Kräuterniespulver aus dem 12. Jahrhundert

Zubereitung von Kräuterschnupftabak

Das Wundermittel
Tabak // Nicotiana tabacum

Rauch riechen statt schnupfen

Trotula oder vom Ausräuchern des Uterus

Fuß- und Handräucherungen

Was Indien und Europa gemeinsam haben könnten

Der Rauch des Begehrens

Vom Reich der Spekulation zur Archäologie

Huflattich // Tussilago farfara – das europäische Tabaksblatt

Die Asthmazigarette

Dosis – Set – Setting

Gerauchte Kräuter bei Husten?

Nottabak

Kräuterrauchen als Unterstützung beim Ausstieg aus der Nikotinsucht

Europa raucht anders

Zurück zum ursprünglichen Gebrauch

„Es fügt sich gut zusammen“

Die transatlantische Friedenspfeife oder der Geschmack von Toleranz und Menschlichkeit

Würde und Ästhetik in schweren Situationen

Historische Kräutertabak-Rezepte

Übersicht Europa

Übersicht außerhalb Europas

Endnoten

Widmung

Dieses Buch ist allen meinen Vorfahren,
insbesondere meinem viel zu früh verstorbenen Vater,
gewidmet.

Danke

In den vergangenen fünf Jahren hat das Thema Kräuterrauchen zu manchen Zeiten auch unser Familienleben beeinflusst. Mein Mann und mein Sohn haben geduldig meine oft sehr ausschweifenden Berichte zu Selbstversuchen oder neuen Fundstücken in der Literatur angehört und bei Mountainbiketouren Kräuterbewunder- und Kräuterpflück-Pausen toleriert. Ich bin mir bewusst, dass ich mit euch zwei ganz besondere Menschen an meiner Seite habe und schätze euch sehr – danke!

Ein Rauch-Experiment mit ungewissem Ausgang, viele Gespräche über den Fortschritt beim Schreiben, die Suche nach brauchbaren Hinweisen in alten Kräuterbüchern, das Finden von Pflanzen, die sich mir bislang vorenthalten haben, und schließlich auch das Hinführen zu Menschen mit besonderem Wissen haben das Entstehen dieses Buches wesentlich beeinflusst – liebe Mama, ein inniges Danke dafür!

Gespräche über das Kräuterrauchen mit Familienmitgliedern sowie Kolleginnen und Kollegen mit kräuterpädagogischer Ausbildung schenkten mir immer wieder neue Einsichten in die tiefe Verbindung von Pflanzen und Menschen. Das gemeinsame Rauchen zeigte mir aber auch, dass Kräuterzigaretten eine sehr unterschiedlich wahrgenommene, durchaus auch unangenehme Wirkung haben können und kein Ersatz für das Rauchen von vielen täglichen Tabak-Zigaretten sind. Das Rauchen von Kräuterzigaretten soll besonderen Anlässen vorbehalten sein. Ich danke euch allen, die ihr mich auf diesem Weg kritisch inspirierend bei meinen Selbstversuchen unterstützt und mir oft sehr lange zugehört habt.

Dem Freya Verlag danke ich, dass er meinen Text mit viele Liebe zum Detail und Professionalität zu einem wunderbaren Buch verwandelt hat – danke!

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Vorwort

Rauchen ist für mich die intimste und subtilste Verbindung von Mensch und Pflanze, die sehr tief geht und eine viele Ebenen durchdringende Wirkung hat. Gelehrt hat mich der Rauch von vorwiegend heimischen Pflanzen vor allem Demut und Respekt. Respekt vor der Kraft, die in Brennnessel, Melisse, Betonie, Rotklee und vielen anderen grünen Begleitern steckt. Sie alle sind nicht harmlos. Ihre unterschiedlichen Kräfte und die Fülle an Inhaltsstoffen kennen wir nur zum Teil. Wir wissen auch nur in Ansätzen, welche Pflanzenkräfte mit dem Rauch von heimischen Kräutern auf uns treffen und wie sie sich in uns auswirken. Das Wissen vom demütigen, stillen und reflektierten Umgang mit Rauch ist fast verloren gegangen.

„Ein Walliser Schriftsteller erzählte mir zum Beispiel um 1948 von einer Kräuterfrau im Löschental, die fortlaufend an ihrer Pfeife sog – ‚dies war nach ihr der beste Weg festzustellen, welche Kräfte in den Pflanzen verborgen seien‘. Sie habe noch gewußt, daß dies ein ganz altes Verfahren sei, habe aber sicher mit viel Recht erklärt, ‚für die Heutigen sei dies gar nichts, sie verwechseln alles und würden sich nur vergiften …‘“ 1

Bevor ich die letzten Seiten dieses Buches geschrieben habe, durfte ich noch eine wissende Frau, die mit der Kräuterfrau aus dem Löschental wohl viel gemeinsam hat, besuchen. Sie ist feinfühlig, steht gewissermaßen über den Dingen und hat einen sechsten Sinn, der ihr zeigt, was andere nicht sehen. Ich wollte von ihr wissen, ob es aus ihrer umfassenden Perspektive richtig ist, meine Erfahrungen zum Kräuterrauchen zu veröffentlichen. Ich erzählte ihr von meinen Selbstversuchen, von den subjektiv erfahrenen unterschiedlichen Wirkungen und den vielen verschiedenen Geschmacksnuancen. Sie hörte mir aufmerksam zu und wies mich sehr eindringlich darauf hin, dass Rauch besonders wirksam ist und man sich damit auch vergiften kann. Sie sagte das, ohne das Zitat der Schweizer Kräuterfrau zu kennen. Welche Resonanz dieser feine Auszug aus der Pflanze im Menschen verursache, sei von Person zu Person unterschiedlich. Es spielten die eigene Verfassung, das Umfeld und die Menge dessen, was wir rauchen, zusammen, ergänzte sie.

Das Buch solle ich veröffentlichen, meinte die wissende Frau. Es würden es ohnehin nur die lesen, die sich für eine intensive Beschäftigung mit Kräutern interessieren, fügte sie dann hinzu. Und jene, die sich in diesem Buch Informationen zum umgangssprachlichen „Einrauchen“ (hochdt. Rauchen von toxischen, psychoaktiv wirkenden Pflanzen) erwarten, muss ich enttäuschen. Sie können hier bereits zu lesen aufhören.

Pflanzen mit stark psychoaktiver Wirkung haben natürlich in der europäischen Tradition des Kräuterrauchens in Zusammenhang mit Zeremonien, Riten, Weissagungen und zur Bewusstseinserweiterung eine Rolle gespielt. Sie werden in diesem Buch nicht thematisiert, denn die Belege in der Literatur und das, was ich beobachten durfte, weisen deutlich darauf hin, dass die Verwendung und der Umgang mit diesen besonders wirksamen Pflanzen jenen vorbehalten war und sein soll, die aufgrund ihrer fachlich fundierten Ausbildung genug Erfahrung hatten oder haben, um die Potenziale dieser Pflanzen angemessen zu nutzen. Für unsere Vorfahren in Europa und weltweit waren diese Pflanzen herausfordernste Lehrer und niemals zufällige beiläufige Bekanntschaften.

Eine Ausnahme in Zusammenhang mit heute noch bekannten Giftpflanzen behandelt das Kapitel zur Asthmazigarette. Diese Medizinalzigarette durfte nur unter Anleitung von Ärzten verwendet werden, da sie aus hochtoxischen Inhaltsstoffen hergestellt wurde. Es ist die Dokumentation der Medizinhistorie, in der diese Form des Rauchens eine sehr lange Tradition aufweist.

Wissen sollten Sie auch, dass vieles von dem, was Sie in diesem Buch geschrieben finden, nicht objektiv sein kann, denn es basiert auf Selbstversuchen. Es hat seinen Grund in meiner tiefen Faszination für das, was aus der Verbindung von Pflanzen und Menschen durch den Rauch passiert. Leiten ließ ich mich bei meinen Recherchen vom Zufall. Der Text ist ein persönlicher Erfahrungsbericht, eine Momentaufnahme dessen, was ich in den vergangenen fünf Jahren in Zusammenhang mit meinen Recherchen zur europäischen und weltweiten Tradition des Rauchens von Kräutern gefunden habe.

Manche Mischungen meiner ersten Kräuterzigaretten würde ich heute nicht mehr zum Rauchen verwenden. Ich habe sehr ahnungslos ein weites Feld an mir vorher nicht bekannten Wirkungen betreten und lernte nach und nach deutlich vorsichtiger und respektvoller damit umzugehen.

Viele Fragen, die ich mir in Zusammenhang mit dem Rauchen gestellt habe, sind noch nicht beantwortet. Das was ich in der Literatur vergangener Jahrhunderte gefunden habe, sind oft nur Auszüge. Angaben, welche Pflanzenteile, wie und wie oft zum Rauchen verwendet wurden, fehlen in allen Rezepturen. Erfahrungen wurden vielfach mündlich weitergegeben und oft sind diese nicht vollständig überliefert oder falsch interpretiert worden – das stellte sich bei manchen Selbstversuchen heraus. Sehr dankbar bin ich deshalb, dass wir heutzutage auf fachlich fundierte Analysen von Pflanzeninhaltsstoffen zurückgreifen können, die Missverständnisse klären, Wirkungen belegen und Nebenwirkungen aufzeigen, zumindestens in den Bereichen der Verwendung von Kräutern in Tees, Tinkturen, Sirupen und Pflanzenpulvern.

Für das Rauchen von Kräutern habe ich keine Studien gefunden, die fundiert beschreiben, was passiert, wenn zum Beispiel der Rauch von Brombeerblättern auf unsere Lungen trifft. Einen kleinen Ansatz in diese Richtung gibt es allerdings für das europäische Tabaksblatt, den Huflattich.

Mein großer Wunsch ist es deshalb, mit diesem Buch auch das Interesse an der Beforschung dieses faszinierenden Themas zu wecken, für eine Beschäftigung mit den uns heute zur Verfügung stehenden wissenschaftlich fundierten Methoden, mit denen wir die Erfahrungen unserer Vorfahren im Licht des 21. Jahrhunderts neu betrachten und vielleicht auch wieder vermehrt nutzen können.

„Die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts bestreitet der Alten Welt den Gebrauch des Tabaks vor dem Jahr 1492 n. Chr.; sie lehrt, daß vor dem Jahre 1585 kein Europäer eine Tabakspfeife gesehen habe. Nichts steht aber so sehr mit der Wahrheit im Widerspruche als dies. Seit undenklichen Zeiten ist die Pfeife in der alten Welt geraucht worden.“ 2

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Das erste Kräutertütchen

Vor etwas mehr als fünf Jahren kam während meiner Ausbildung zur Kräuterpädagogin eine meiner Kolleginnen mit einem selbst gedrehten Tschick (Zigarette) in der Hand auf mich zu. Ihr voraus wehte ein angenehmes Duftwölkchen.

„Mia tuat des guat …“ (Das tut mir gut) war ihr kurzer Kommentar. Das machte mich neugierig und wir kamen ins Gespräch. Ich, von Natur aus eher ein übervorsichtiger Angsthase, wollte dann auch wissen, was das ist. Das sind Kräuter …. Welche genau, wusste meine Kollegin nicht. Sicher war sie sich nur, dass die Mischung nichts mit Hanf oder anderen psychoaktiv wirkenden Kräutern zu tun hatte.

Die Mischung meiner Kollegin befand sich in einem kleinen Plastiksackerl, versehen mit einem kleinen Aufkleber mit der Aufschrift Ritualräucherkräuter zum stolzen Preis von 9,90 Euro. Welche Kräuter sich darin befinden, wurde nicht erwähnt. Nur der folgende Beschreibungstext: „Naturreine Kräutermischung (ohne Tabak) zum traditionellen Rauchen in der Pfeifenzeremonie oder zum Räuchern.“ Und das Bild eines Friedenspfeife rauchenden Indianers war zu sehen.

Wäre meine Kollegin nicht absolut vertrauenswürdig gewesen, dann hätte ich definitiv keinen Versuch gestartet, mir ein Tütchen mit dieser geheimnisvollen Mischung zu drehen. Es gelang nur sehr wenig zufriedenstellend, denn Erfahrung hatte ich damit nicht, und so war das dann eher ein krummer Glimmstängel, aus dem vorne und hinten die Kräuter herausrieselten.

Nichtsdestotrotz war es ein genüssliches Raucherlebnis und das erste Mal in meinem Leben, dass ich Rauch vorsichtig fast inhalierte.

Das war der Anfang des Kräuterrauchens.

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Keine französische Inspiration

Meine ersten Rauchversuche startete ich, abgesehen von drei Zügen an einem Stückchen Waldrebe Clematis vitalba während eines Aufenthalts in Straßburg, 20 Jahre vor der ersten selbst gewuzelten Kräuterzigarette in Hirschbach im Mühlviertel. Der eintönige Alltag eines Kindermädchens in Straßburg mit wenigen Haushaltspflichten führte mich eines Tages zur Idee, mir mit einem Packerl Zigaretten etwas Abwechslung und Inspiration in den ruhigen französischen Alltag zu rauchen. Gefallen gefunden hatte ich an der französischen Sprache und dem französischen Wein und ich fühlte mich nach drei Monaten in Frankreich bereits ein wenig als Gallierin. Der Slogan „Liberté toujours“ (Für immer Frieden) war in früheren Zeiten mit der von mir ausgewählten französischen Zigarettenmarke verbunden und sprach mich an. Anziehend fand ich auch, dass die typisch französische Zigarette mit Persönlichkeiten wie Pablo Picasso, Jean-Paul Sartre und Albert Camus in Verbindung gebracht wurde. Ich saß in Straßburg oft in Cafehäusern und versuchte mit dem Lesen der französischen Philosophen meine Sprachkenntnisse zu verbessern – ohne dabei zu verstehen, was ich las. Vom Rauchen der französichen Tabakmischung erhoffte ich mir wohl unbewusst, den Franzosen näher zu kommen. Das gelang nicht. Zwei Züge und der Versuch zu inhalieren scheiterten kläglich. Mit den Gallierinnen hatte ich mir zum Einstieg eine Mischung ausgesucht, die es doch etwas in sich hat und mit allerhand Zusatzstoffen ausgestattet ist, unter anderem auch mit Ahornsirup und Invertzucker. Gedacht ist diese Beifügung dafür, die Schärfe des Tabakrauchs zu maskieren und zu neutralisieren.

Für mich war der Tabakrauch trotz Zuckertunke viel zu stark, es kratzte im Hals, war scheußlich und ich wusste, das wird nichts mit dem Rauchen. Stattdessen suchte ich Trost in vielen Tartes au frommage (öst. Topfentorten, dt. Käsesahnetorten) und im französischen Wein, den mir der Großvater meines Aupair-Kindes zu manchem opulenten Menü mit viel Freude servierte. Er selbst war der Einzige in der Familie, der den flüssigen alkoholischen Freuden Frankreichs reichlich zusprach, und hatte in mir endlich eine Partnerin für seinen französischen Lebensstil gefunden. Nach acht Monaten in Frankreich hatte ich acht Kilo mehr.

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Ein mexikanischer Brauch und ein europäisches Menü

Mein nächster Rauch-Impuls fand einige Jahre später statt. Mein Mann, ein gemeinsamer Freund und ich hatten es uns zur Gewohnheit gemacht, einmal im Monat ein besonderes Menü zu kochen, das unsere Gaumen mit bisher noch nicht gekannten Aromen amüsieren sollte. Die beiden Männer legten mit beachtlichen Kochkünsten die Latte sehr hoch, und so kam es, dass ich das erste Mal in meinem Leben einen Hasen zerlegte und mein Faible für das Mittelalter mit einem Menü aus dem 12. Jahrhundert auslebte: Kaninchen in süßsaurer Sauce, dazu Erbsenpüree und Feigenröllchen. Unser Freund war vom Menü sehr angetan und meine Ehre als Absolventin einer Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe war gerettet. So wie man es bereits vor mehr als 3000 Jahren im fernen Mexiko gemacht hatte, bot mir unser Freund nach dem feinen Schmausen einen Zigarillo an.