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Zu der Autorin und den Autoren

 

Dr. Marion Menke ist Professorin für »Gesundheitswissenschaften für soziale und pflegerische Berufe« am Fachbereich Sozialwesen der Katholischen Hochschule Münster. Die Autorin arbeitet u. a. mit ihrem Hund Henessy im Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam (zertifiziert nach den Richtlinien des TBD e. V.) mit Studierenden der Heilpädagogik und der Sozialen Arbeit.

 

Guido Huck ist Pferdewirt und Motopädagoge. 1996 gründete er das Münsteraner Institut für therapeutische Fortbildung und Tiergestützte Therapie (M.I.T.T.T.), das er bis heute leitet. Er entwickelte die Fortbildungen des M.I.T.T.T., ist Gründungsmitglied des TBD e. V. und bis heute Vorstandsmitglied.

 

Das erste Kapitel, Betrachtung der Mensch-Tier-Beziehung aus der Perspektive der Theologischen Zoologie, ist verfasst worden von Dr. Rainer Hagencord. Er leitet seit 2009 das Institut für Theologische Zoologie in Münster, das er gemeinsam mit Anton Rotzetter gegründet hat. Er ist Priester im Bistum Münster, Verhaltensbiologe und Gestaltpädagoge und -trainer (IIGS).

Marion Menke Guido Huck Rainer Hagencord

Mensch und Tier im Team

Therapiebegleitung mit Hunden

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-033052-8

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-033053-5

epub:   ISBN 978-3-17-033054-2

mobi:   ISBN 978-3-17-033055-9

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Vorwort zur Reihe Basiswissen Helfende Berufe

 

Die Buchreihe »Basiswissen Helfende Berufe« widmet sich Querschnittsthemen, die für mehrere konkrete Berufsgruppen gleichermaßen von Bedeutung sind. Gemeint sind hier Professionen aus den Bereichen Gesundheit(-swissenschaften), Sozial(-wissenschaften und Soziale Arbeit), Heil-(Pädagogik) und Erziehungswissenschaften sowie Therapie- und Pflege(-wissenschaft). Die Themen werden in wissenschaftlich fundierter, handlungsorientierter und damit praxisrelevanter Art und Weise dargestellt. Querschnittsthemen sind im Hinblick auf eine immer stärkere Vernetzung der Strukturen und Angebote in den Handlungsfeldern der Gesundheits- und Pflegeberufe, der Sozialen Arbeit und Heilpädagogik sowie angrenzender Berufe von zunehmendem Interesse. Es erscheint uns sinnvoll und notwendig, die verbindenden Themen der Handlungsfelder und unterschiedlichen Professionen im Kontext der jeweiligen Relevanz darzustellen. Eine interprofessionelle Zusammenarbeit ist in den meisten Handlungsfeldern unerlässlich, oftmals arbeiten Vertreter/innen unterschiedlicher Berufsgruppen mit einer einzigen Klientin, einem einzigen Klienten an sozialen, gesundheitsbezogenen und/oder pädagogischen Problemlagen. Die professionelle Gestaltung eines solchen Netzwerkes zwischen und mit diesen Strukturen, Angeboten und Berufen erfordert ausgeprägte Kenntnisse, um das Verbindende zugunsten und zum Wohle der Klientel bzw. Patienten/innen, bzw. des gesamten professionellen Handlungsgsystems nutzbar zu machen.

Dabei soll diese Reihe einerseits grundsätzliche, eher metatheoretische Erwägungen und Begründungen wie z. B. diejenigen zur Gesundheitsförderung und -prävention, zur Lebenswelt der Menschen und zu den Leitideen der Teilhabe, der Selbstbestimmung, der Partizipation und der Inklusion in Betracht ziehen. Anderseits sollen auch konzeptionelle Konkretisierungen (wie z. B. zur Beratung, zur kultursensiblen Arbeit, zur Qualitätsentwicklung und zur Biografiearbeit) im Fokus stehen. Die konkrete Arbeit mit den Betroffenen (Patienten/innen, Klienten/innen etc.) wird auf diesem methodologischen Fundament deutlich weniger Reibungsverluste aufweisen und folglich intensivere Ressourcen bereitstellen, als dieses zurzeit – in den eher nicht aufeinander bezogenen Strukturen und Handlungsmustern der Organisationen des Gesundheits- und Sozialwesens – der Fall ist. Eine solchermaßen grundgelegte und verstandene Netzwerkarbeit bzw. Zusammenarbeit in der Praxis führt also zu einer ausgeprägten Wahrnehmung der Belange der Betroffenen sowie zu einer Intensivierung der professionellen Kompetenz der beruflich Handelnden und deren Organisationen.

Ein zentraler sozialpolitischer und methodologischer Baustein dieser Buchreihe stellt im Weiteren das »Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen« dar. Hierin und hierdurch werden zentrale Aussagen zur Umsetzung der Inklusion benannt und folglich für die geplanten Publikationen (ebenfalls als Querschnittsthema) bedeutsam:

Auf dem theoretischen Hintergrund einer – vor allem auch soziologisch und sozialwissenschaftlich zu verstehenden – Inklusion positioniert sich diese Studienbuchreihe eindeutig zum Thema der Inklusion und der Teilhabe. Hierzu wird in den einzelnen Texten immer wieder auf die unterschiedlichen theoretischen und methodologischen Begründungskontexte zu Inklusion und Teilhabe sowie auf allfällige Dilemmata und Widersprüche des Theoriediskurses eingegangen. Grundlegend werden hierbei immer wieder die Begriffe und konzeptionellen Begründungen der Inklusion und der Teilhabe als unhintergehbare Zielperspektiven des professionellen Handelns in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit, der Heilpädagogik, der gesundheits- und pflegebezogenen Professionen fokussiert und differenziert. Hierbei wird Inklusion als ein international bekannter und anerkannter Begriff wahrgenommen, welcher die Tendenz darstellt, bislang vorgenommene integrative Maßnahmen im Hinblick auf inklusive Maßnahmen zu modifizieren. Inklusion erfordert hierbei zudem eine Konkretisierung auf institutioneller und organisatorischer Ebene, um die vielfältigen Planungs- und Gestaltungsmöglichkeiten umsetzen zu können.

Die Strukturmomente der Vernetzung, der Netzwerkarbeit, der Professionalisierung, der Inklusion und Teilhabe bilden somit die zentralen Meilensteine als berufs- und handlungsfeldübergreifende Querschnittsthemen im Rahmen aller Veröffentlichungen dieser Buchreihe. In allen Bänden sind diese – sicher in unterschiedlichen Gewichtungen – konturiert und realisiert.

 

Münster, im Januar 2018

Marion Menke und Heinrich Greving

 

 

Inhalt

 

  1. Vorwort zur Reihe Basiswissen Helfende Berufe
  2. Dank
  3. Einleitung
  4. 1 Betrachtung der Mensch-Tier-Beziehung aus der Perspektive der Theologischen Zoologie
  5. 2 Einführung in die Fortbildung zum Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam
  6. 2.1 Entstehungsgeschichte
  7. 2.2 Ziele der Fortbildung des M.I.T.T.T. zum Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam
  8. 2.3 Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den Einsatz von Therapiebegleithunden in Therapie und Pädagogik nach den Richtlinien des Berufsverbandes »Therapiebegleithunde Deutschland e. V.«
  9. 2.4 Der Hund als Teil des pädagogischen bzw. therapeutischen Teams
  10. 2.5 Erste Hilfe für den Hund im Notfall
  11. 3 Der praktische Einsatz eines Pädagogik-/Therapiebegleithundeteams
  12. 3.1 Der Hund im Einsatz in pädagogischen und therapeutischen Settings
  13. 3.2 Tiergestützte Interventionen
  14. 3.3 Die Bedeutung der professionellen Haltung im Beziehungsdreieck
  15. 3.4 Ausgewählte Zielgruppen und Handlungsfelder
  16. 4 Wissenschaftliche Erklärungsansätze und Wirkungen der Mensch-Tier-Beziehung
  17. 5 Methodische Reflexionen
  18. 6 Qualitätssicherung und -entwicklung
  19. 7 Literaturverzeichnis
  20. 8 Nützliche Adressen

 

 

Dank

 

Wir als Autorenteam danken allen, die ihre Gedanken mit uns geteilt haben, die über die Jahre hinweg an der Fortbildung und in den Instituten bzw. an der Hochschule mitgearbeitet haben, die Fotos zur Verfügung gestellt haben, die unsere Texte gelesen und kritisch hinterfragt bzw. korrigiert haben. Wir danken dem Kohlhammer Verlag für die Möglichkeit, dieses Buch auf den Weg bringen zu können. Und nicht zuletzt danken wir all unseren Vierbeinern, die unsere Leben und unsere Arbeit bereichert und begleitet haben bzw. begleiten und uns letztlich auch zu denen gemacht haben, die wir heute sind.

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Marion Menke mit Henessy

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Guido Huck mit Amy

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Rainer Hagencord mit Fridolin

 

 

Einleitung

 

Das vorliegende Buch beinhaltet erstmals die Veröffentlichung des Fortbildungskonzepts des Münsteraner Instituts für therapeutische Fortbildung und tiergestützte Therapie (M.I.T.T.T.) zum Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam. Damit soll Transparenz hinsichtlich der Inhalte und Vorgehensweise, der wissenschaftlichen Fundierung und vielfältigen Einsatzmöglichkeiten geschaffen werden. Die Veränderungen im Gesundheits- und Sozialwesen bedürfen mit Blick auf die Klientel in pädagogischen, pflegerischen und therapeutischen Settings nicht nur qualifizierte Mitarbeiter/innen, sondern vor allem eine deutliche Steigerung der Vernetzung sowie der interdisziplinären Zusammenarbeit. Auch neue Therapieansätze und pädagogische Konzepte, die zu einer qualitativen Verbesserung mit gleichzeitiger Zeitersparnis führen sollen, sind wichtiger denn je.

Das M.I.T.T.T. hat sich dieser Herausforderung gestellt. Indem die Seminare der Fortbildung fachübergreifend für verschiedene Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen angeboten werden, wird der interdisziplinäre Austausch gefördert. Somit dient die Fortbildung nicht nur der Qualifizierung von Hund und Halter/in, sondern ermöglicht in einer besonderen Weise eine spannende Zusammenarbeit mit angrenzenden Berufsgruppen und unterschiedlichen Methoden und Übungen, die für die Klientel zielführend sein sollen. Die Fortbildung zum Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam bietet die Möglichkeit einer professionellen Fortbildung für Berufstätige im Gesundheits- und Sozialwesen. Damit soll eine deutliche Abgrenzung zu Besuchs- bzw. Streichelhunden erfolgen, die nicht in professionelle Settings eingebunden werden und eben nicht ausgebildet sind. Profi und Hund können nach der abgeschlossenen Fortbildung als Team ergänzend und unterstützend in Pädagogik, Pflege und Therapie sowie der Förderung von Menschen mit unterschiedlichen gesundheitsbezogenen und sozialen Problemlagen, Entwicklungsstörungen und Behinderungen eingesetzt werden. Je nach Qualifikation des Halters/der Halterin werden die Übungen in das praktische Handeln für die jeweilige Zielgruppe integriert. Hierbei werden hohe Anforderungen sowohl an den Hund als auch an den/die Begleiter/in im pädagogischen, pflegerischen bzw. therapeutischen Prozess gestellt. Grundlage der Fortbildung ist der Teamgedanke, eine wertschätzende Haltung, eine enge Bindung und eine gelingende Zusammenarbeit von Mensch und Tier im Team.

Einführend wird in Kapitel 1 zunächst eine Betrachtung der Mensch-Tier-Beziehung aus der Perspektive der Theologischen Zoologie dargestellt, um nicht zuletzt die Würde der Tiere eingehend zu verdeutlichen, eine gedankliche Basis für die wissenschaftlichen Bezüge, ethische Überlegungen und die Naturverbundenheit darzulegen sowie auf manch unerklärliche Phänomene hinzuweisen, die wir in der Zusammenarbeit mit den Tieren erleben dürfen.

Ab dem Kapitel 2 erfolgt die Darlegung der Fortbildung des M.I.T.T.T., wobei zunächst die Entstehungsgeschichte des Instituts und die Ziele der Fortbildung beschrieben werden. Weiterhin wird die Ausbildungs- und Prüfungsordnung vorgestellt, die nach den Richtlinien des Berufsverbandes »Therapiebegleithunde Deutschland e. V.« strukturiert ist und eine wesentliche Grundlage für die Fortbildung darstellt. Danach folgen die prüfungsrelevanten Inhalte der Fortbildung, die bis einschließlich Kapitel 6 fortgeführt werden. Dazu wird erst einmal auf den Hund als Teil des pädagogischen bzw. therapeutischen Teams eingegangen. Es werden u. a. Kenntnisse der Anatomie, Physiologie und Psychologie des Hundes und deren Bedeutung für einen Einsatz im professionellen Kontext aufgezeigt. Darüber hinaus werden die Entwicklungsphasen des Hundes und deren spezifische Besonderheiten beschrieben. Diese dienen dem besseren Verständnis des Verhaltens von Hunden, ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten. Daran anschließend folgen ausgewählte Grundlagen mit Blick auf die Erziehung des Hundes. Ein weiteres Unterkapitel befasst sich mit der gesundheitlichen Versorgung des Hundes, wobei es dabei sowohl um die Erste Hilfe am Hund geht, aber auch um notwendige Medikamente und deren Verabreichungsformen. Ferner spielen die Kontrolle der Vitalzeichen und konkrete Erste-Hilfe-Maßnahmen für verschiedene Notfall-Szenarien eine wichtige Rolle. Abschließend werden einige wichtige Hinweise zum Schutz des Hundes in der praktischen Arbeit als Grundvoraussetzungen für die Zusammenarbeit in der Berufspraxis gegeben.

Im nachfolgenden Kapitel 3 geht es dann um den praktischen Einsatz des Pädagogik-/Therapiebegleithundeteams. Vorweg werden Tiergestützte Interventionen im Allgemeinen dargestellt, anschließend unterschiedliche Formen sowie verschiedene Funktionen und Interaktionsformen beschrieben. Des Weiteren wird die Bedeutung des Beziehungsdreiecks zwischen der professionell tätigen Person, der zu begleitenden Person und dem Hund dargelegt, wobei insbesondere die professionelle Haltung in der Berufspraxis bedeutsam ist. Außerdem werden Fähigkeiten des Hundes beschrieben, die für einen Einsatz erforderlich sind bzw. sein können. Im Anschluss daran sind beispielhaft die unterschiedlichen Handlungsfelder, Zielgruppen und Einsatzmöglichkeiten für ein Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam dargelegt. Die einzelnen Bereiche werden jeweils mit Blick auf die Zielgruppen, die Unterstützungsmöglichkeiten und konkreten Übungen gemeinsam mit dem Hund erläutert. Größtenteils sind Fallbeispiele aus den jeweiligen Handlungsfeldern dargestellt, die mit Zielsetzungen und praktischen Übungen versehen sind. Zu den ausgewählten Zielgruppen und Handlungsfeldern zählen ältere Menschen in Einrichtungen der Altenhilfe, Geriatrie bzw. Gerontopsychiatrie, Menschen mit ausgewählten psychischen bzw. sozialen Problemlagen, Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen in Bereichen der Suchthilfe sowie Kinder, Jugendliche und Erwachsene in pädagogischen Einrichtungen bzw. Handlungsfeldern. Darüber hinaus werden Einsatzmöglichkeiten in der Arztpraxis und im häuslichen Bereich erläutert. Abschließend werden spezielle Unterstützungsoptionen für Menschen mit einem Parkinson-Syndrom und Menschen mit einem Apallischen Syndrom (Wachkoma) aufgezeigt.

In Kapitel 4 folgen wissenschaftliche Erklärungsansätze zur Mensch-Tier-Beziehung und eine Erläuterung der Wirkungsweisen von Tieren auf den Menschen, um die praktische Arbeit wissenschaftlich zu erklären und zu fundieren. Das Kapitel 5 beinhaltet einige methodische Reflexionen mit dem Versuch, die Arbeit des Pädagogik-/Therapiebegleithundeteams hinsichtlich der jeweils spezifischen Berufsgruppen, Zielgruppen und Handlungsfelder einzuordnen. Die Bedeutung einer Methode wird begrifflich erläutert, wobei die hundegestützte Pädagogik, Pflege und Therapie ein Bestandteil des methodischen Handelns der jeweils professionell tätigen Person darstellt. Die Arbeit sollte in das Konzept der entsprechenden Einrichtung bzw. Institution Eingang finden. Darüber hinaus werden unterschiedliche Klassifikationssysteme, Arbeitsmodelle und Grundlagen verschiedener Berufsgruppen im Gesundheits- und Sozialwesen dargelegt, die wiederum ein entsprechend methodisches (z. B. ergotherapeutisches, heilpädagogisches) Handeln grundlegen und der Zielformulierung, Planung, Durchführung und Evaluation dienlich sind. Zuletzt wird in Kapitel 6 auf die zunehmende Bedeutung einer qualitativ hochwertigen Arbeit und damit der Qualitätssicherung bzw. Qualitätsentwicklung hingewiesen, um tiergestützte Arbeit in der Berufspraxis professionell zu etablieren und weiterzuentwickeln.

 

 

 

 

 

 

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Betrachtung der Mensch-Tier-Beziehung aus der Perspektive der Theologischen Zoologie

 

Es handelt sich vielleicht um die historisch älteste Dokumentation einer Tiergestützten Intervention. Zugleich erscheinen darin – wie in einem Brennglas – alle Facetten des Gott-Mensch-Tier-Verhältnisses, von denen die Bibel erzählt.

Im vierten Buch Mose Numeri (Num 22,21–34) wird Bileam, der Seher, von den Moabitern bestellt, um das Volk Israel zu verfluchen. Schließlich erhält er von Gott tatsächlich die Erlaubnis loszuziehen, aber nur um dem Volk Israel das zu sagen, was der Herr dann befehlen werde. Bileam befindet sich offensichtlich in einem Gewissenskonflikt als er seine Eselin sattelt und fortzieht. Unterwegs tritt ihnen ein Bote Gottes mit gezücktem Schwert in den Weg, den nur die Eselin wahrnimmt, der Prophet jedoch nicht. Es heißt weiter:

»Die Eselin sah den Engel JHWHs (des Gottes Israels), wie er auf dem Wege stand und sein Schwert gezückt in seiner Hand hatte. Da bog die Eselin vom Wege ab und ging auf dem Ackerfeld weiter. Bileam aber schlug die Eselin, um sie wieder auf den Weg zu bringen.

Darauf trat der Engel JHWHs auf den Pfad zwischen den Weinbergen mit einer Mauer auf der einen und einer Mauer auf der anderen Seite.

Die Eselin sah den Engel JHWHs und drückte sich an die Wand und drückte den Fuß Bileams an die Wand; da schlug er sie wiederum.

Darauf ging der Engel JHWHs noch einmal vorbei und trat an eine enge Stelle, wo es keine Ausweichmöglichkeit nach rechts und links gab.

Die Eselin sah den Engel JHWHs und legte sich hin unter Bileam. Da entbrannte der Zorn Bileams, und er schlug die Eselin mit der Rute.

Darauf öffnete JHWH den Mund der Eselin, und sie sagte zu Bileam: ›Was habe ich dir angetan, daß du mich geschlagen hast, nun schon dreimal?‹ Bileam sagte zu der Eselin: ›Weil du deinen Mutwillen mit mir getrieben hast. Hätte ich nur ein Schwert in der Hand, ich hätte dich wahrlich schon getötet!‹

Da sagte die Eselin zu Bileam: ›Bin ich nicht deine Eselin, auf der du geritten bist, zeitlebens bis zum heutigen Tage? Habe ich wirklich die Gewohnheit gehabt, solches dir anzutun?‹ Er sagte: ›Nein.‹

Da enthüllte JHWH die Augen Bileams, so daß er den Engel JHWHs sah, wie er auf dem Wege stand und sein Schwert gezückt in seiner Hand hatte. Und er beugte sich und fiel nieder auf sein Angesicht.

Der Engel JHWHs aber sagte zu ihm: ›Warum hast du deine Eselin nun schon dreimal geschlagen? Ich selbst bin doch ausgezogen als Gegner ›für dich‹, weil dein Weg in meinen Augen ›übel‹ ist (…). Die Eselin aber hat mich gesehen und ist vor mir ausgewichen, nun schon dreimal.

›Wäre sie nicht‹ ausgewichen vor mir, ich hätte wahrlich dich bereits getötet und sie am Leben gelassen!‹

Da sagte Bileam zum Engel JHWHs: ›Ich habe mich verfehlt darin, daß ich nicht erkannt habe, daß du selbst auf dem Wege mir entgegengestanden hast. Wenn nun also die Sache in deinen Augen übel ist, will ich wieder zurückkehren‹« (Übersetzung nach Noth, M.).

Am Ende mündet die Bileamgeschichte in den Orakelspruch des Propheten:

»Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich erblicke ihn, aber nicht in der Nähe: Ein Stern geht in Jakob auf, ein Zepter erhebt sich in Israel« (Num 24,17).

Der Prophet erblickt also nach dieser Erfahrung den Messias, der in den neutestamentlichen Erzählungen auf einem Esel in Jerusalem einreitet.

In den ersten juden-christlichen Gemeinden waren sicher alle Geschichten des Alten Testamentes bekannt; sie bilden eine Art Kulisse, vor der sich die Erzählungen des Neuen Testamentes abspielen.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die verhältnismäßig langen Textpassagen im Matthäusevangelium (Mt 21,1–8) und Markusevangelium (Mk 11,1–7), in denen es um den »jungen Esel, auf dem noch nie ein Mensch geritten ist« geht, in einem besonderen Licht:

Bei seinem Einzug in Jerusalem, der seine letzten Tage einleitet, vertraut er sich ganz diesem Tier an, wissend, dass es den Engel sehen würde, wenn er sich denn wieder in den Weg stellte. Zugleich spielt die christologische Konzeption des Markusevangeliums bewusst an die Tier-Friedens-Vision des Jesaja an, worin der Wolf beim Lamm wohnt und ein Knabe Kalb und Löwe hüten kann (Jes 11,6), sodass der Menschensohn auch gekommen ist, die ursprüngliche Ordnung, das Paradies, innerhalb der Geschöpfe zu erneuern. Dem Bild des auf einem Esel reitenden Erlösers kommt somit eine hoch symbolische Bedeutung zu.

Eine Hommage an die Eselin

Alle Legenden der Bibel sind keine Berichte, sondern Gedichte. Und das heißt in Bezug auf ihren Wahrheitsgehalt, dass sie jenseits aller wissenschaftlicher Überprüfbarkeit Menschheitswissen sammeln und verdichtet tradieren. Oftmals zeigt sich ihre tiefe Wahrheit tausende (!) von Jahren nach ihrer Verschriftlichung.

Die Bileamerzählung bündelt so Erfahrungen einer agrarischen Kultur auf ihrem Weg zu einer schöpfungsbezogenen Gott-Suche:

Darin sind Mensch und Tier als Weggefährten aufeinander angewiesen; der Mensch »auf dem Rücken der Tiere«. Dieses Vertrauensverhältnis hätte dem Reiter nahelegen müssen, dass das Tier ihn auf irgendetwas aufmerksam machen will, was er nicht merkt. Der Eselin, die den Engel sofort erkennt, kommt somit ein wunderbares Wissen zu, das in eine Dimension reicht, die der menschlichen Vernunft, dem reinen Intellekt, nicht zugänglich ist.

Der Mensch im Alten Testament konnte das Tier problemlos als realen Ausdruck göttlicher Willensäußerungen ansehen. Nicht zuletzt klingt in der Frage »Warum schlägst du mich…?« eine ethische Dimension des Themas an.

Schauen wir in heutige Erfahrungsräume Tiergestützter Intervention kann uns die gleiche Trias begegnen:

1.  Klientinnen und Klienten erleben einen Hund, ein Kaninchen, ein Pferd oder einen Esel als fühlendes Wesen mit ausgeprägter Persönlichkeit und müssen sich der Frage stellen, ob sie ihr Tier »schlagen« wollen oder dürfen, d. h. wie sie mit diesem Lebewesen umgehen.

2.  Sie machen zudem die Erfahrung, dass sie sich auf das Tier verlassen können, sich ihm anvertrauen dürfen. Und über das Erleben einer individuellen Verwiesenheit auf den Vierbeiner kann die gesamte ökologische Dimension ins Spiel kommen, also die Einsicht in die globale Dimension: Denn die gesamte Menschheit ist angewiesen auf die Artenvielfalt und das Zusammenspiel aller Lebewesen in den Ökosystemen der Welt.

3.  Und nicht zuletzt leuchtet eine Wahrheit auf, von denen mystische Traditionen erzählen und von denen die Bibel an anderen Stellen in Bildern und Metaphern spricht: Die Tiere sind die Zuerst-Gesegneten der Schöpfung, sie sind Bündnispartner Gottes nach der großen Flut und Lehrerinnen und Lehrer für Jesus.

Zum Erinnerungspotenzial biblischer Texte

Für Bibelwissenschaftler ist erstens das Thema Schöpfung nicht etwa nur das erste Thema des Ersten Testamentes, sondern zugleich der »Wahrnehmungshorizont des Folgenden«. Das Schöpfungsthema ist also grundlegend für alles Weitere.

Für die ersten fünf Bücher der Bibel, die Fünf Bücher Mose oder den Pentateuch, gilt somit, dass die Schöpfungs- und Urgeschichte nicht etwa einen »Vorbau« darstellt; vielmehr sind diese fünf Bücher als Ganzes eine Urgeschichte: Sie stellen den Entwurf einer bedeutungsvollen, identitätsstiftenden und handlungsleitenden Vergangenheit für eine bestimmte Gruppe dar, die in der Begegnung mit diesem Text nicht in eine ferne Vergangenheit zurück, sondern in die Gegenwart einer Beziehung hineinversetzt werden soll. Für viele Exegeten gilt diese Form der Bibelauslegung über den Pentateuch hinaus für die Bibel insgesamt.

Somit gilt zweitens, dass die Heilige Schrift ganz im Dienst der »Verheutigung« der Gottesbotschaft steht. In diesem Kontext ist die Erinnerung das durchgängige Motiv jüdisch-christlicher Theologie. Schließlich gilt – auch wenn es banal klingt, muss es ausgesprochen werden –, dass die Bibel für den Menschen, nicht etwa für die Tiere geschrieben ist und somit dessen Stellung als Geschöpf beleuchtet: Wer ist der Mensch vor Gott? Für die biblischen Autoren ist es selbstverständlich, die Mitgeschöpfe in diesen existentiellen Fragehorizont hineinzunehmen.

Ansätze für eine biblische Zoologie

Wer eine neuere »Theologie des Alten Testamentes« oder eine »Religionsgeschichte Israels« aufschlägt, um im Register das Stichwort »Tier« oder »Tierwelt« o. ä. zu suchen, wird dennoch enttäuscht. Ganz selten wird dem Tier bzw. der Gott-Mensch-Tier-Beziehung ein eigener Abschnitt gewidmet. Das Tier stellt ein theologisches Randthema dar und ist nur gelegentlich einer Erwähnung wert. Und das, so bemerkt O. Keel zutreffend, obwohl es in der hebräischen Bibel genügend Stoff gibt:

Es dürfte etwas überspitzt formuliert auf ihren rund 1.000 Seiten kaum eine geben, auf der nicht in irgendeinem Zusammenhang Tiere erwähnt werden, als Vorbild (»Gehe hin zur Ameise, du Fauler; siehe ihre Weise an und lerne!« Sprüche 6), als ein Zeichen von Schutz, Kraft oder als Weggefährte. Die Geburt Jesu in einem Stall ohne die vielen ihn umgebenden Tiere wäre beispielsweise befremdlich. Das gilt auch in Bezug auf das Gott-Tier-Verhältnis, für das nicht nur Schöpfungstexte, sondern ebenso Texte über tiergestaltige Götterbilder (das »Goldene Kalb« etwa) oder die zahlreichen Tiervergleiche und Metaphern ergiebig sind.

Diese »Abwesenheit des Tieres« wundert aus verschiedenen Gründen allerdings nicht: Zum einen spielt der sowohl die Philosophie als auch die Theologie beherrschende Anthropozentrismus eine entscheidende Rolle, in der sich der Mensch als Mittelpunkt, als »Krone der Schöpfung«, versteht, dem alle anderen Lebewesen auf der Erde untergeordnet werden. Zum anderen hat selbst das größere Thema »Schöpfungstheologie« innerhalb der ersttestamentlichen Glaubenswelt im Grunde kein theologisches Eigengewicht erhalten.

Der bedeutende Exeget W. Zimmerli erklärt die Tatsache, dass in seinem »Grundriß der alttestamentlichen Theologie« das Thema »Schöpfung« erst im vierten Abschnitt zur Sprache kommt, damit, dass im Gesamt des Alten Testamentes die in der Mitte der Geschichte geschehene »Herausführung Israels aus Ägypten« – der Exodus – der primäre Orientierungspunkt ist. Die daraus resultierende Relativierung der biblischen Schöpfungstheologie führt letztlich zum Verlust der universalen Dimension der biblischen Botschaft. Dies kann mit Recht als tragisch bezeichnet werden, zumal gerade die weisheitlichen Texte der heiligen Schrift die Grundüberzeugung vermitteln, die G. von Rad klassisch formuliert: »Die Schöpfung hat nicht nur ein Sein, sie entläßt auch Wahrheit.« D. h. die Welt als Schöpfung Gottes lädt geradezu dazu ein, diese Schöpfungsbotschaft als Lebensweise zu hören und anzunehmen.

Der biblische Mensch hatte keine Hemmungen, sich innerhalb dieses theologischen Rahmens auf die jeweils konkreten Repräsentanten dieser Weisheit einzulassen, nämlich die Tiere; denn ihre Welt ist ein herrlicher Kosmos von Gestalten, Gebärden, Lauten, Verhaltensweisen, Farben, Bildern und Geschichten, an dem der Mensch seit jeher auch zum Bewusstsein seiner selbst gekommen ist. Die großen Tiertexte der Bibel haben diesen Schatz sorgsam gehütet und um immer neue Varianten bereichert.

In der Begegnung mit dem Tier erfuhr Israel das Rätsel des Lebens nicht nur in seiner schillernden Buntheit, sondern auch in seiner zwingenden Mächtigkeit. Dieser Faszination hat es sich beobachtend, erkennend und deutend ausgeliefert und davon auch sein theologisches Nachdenken inspirieren lassen. Für den biblischen Menschen war es wesentlich, in den geheimnisvollen Bannkreis fremden, dem eigenen seltsam fernen und doch so nah vertrauten Lebens zu treten; hat er aus dieser Berührung mit dem ganz Anderen, Nichtmenschlichen starke Impulse zur Entfaltung religiöser Kräfte und theologischer Reflexionen empfangen.

Nach jüdisch-christlicher Überzeugung wird das Wesen des Menschen zwar nicht in Bezug auf das Tier bestimmt und hat sich Gott auch nicht wie in Ägypten in der Gestalt eines Tieres offenbart; dennoch kann der Mensch laut Auskunft der biblischen Überlieferungen im Blick auf seine Mitgeschöpfe zu einem profunderen – auch theologischen – Selbst-Verständnis finden.

Für O. Keel, dessen Verdienst es ist, die Bilderwelt des Ersten Testamentes u. a. vom Alten Ägypten und dessen Gottes- und Menschenbild her tiefer zu verstehen, ist »Numinosität« ein Schlüsselbegriff: Dies ist ein moderner, ethymologisch der römischen Antike entliehener Begriff. Das Wortfeld, das im Hebräischen dem gemeinten Phänomen am nächsten steht, ist mit der Wurzel barak (segnen, mit heilvoller Kraft begaben) verbunden. Während wir im so genannten Abendland aufgrund einer extrem wortzentrierten religiösen Tradition Segen und Segnen allzu rasch mit gesprochenen Worten verbinden und uns vor allem dafür interessieren, was beim Segnen genau passiert, gingen die Menschen im Alten Israel ganz selbstverständlich davon aus, dass Segen (berakah) in vielem Geschaffenen einfach ist und erfahren werden kann. Bei Jesaja wird ein Sprichwort überliefert:

»Wie man sagt, wenn Saft in der Traube sich findet:
Verdirb sie nicht, es ist ein Segen darin« (Jes 65,8).

In deutlicher Abgrenzung zur Religion Ägyptens formuliert das jüdische Credo programmatisch, dass keine innerweltliche Größe verabsolutiert werden darf. Für Israel kommt eine Resakralisierung oder Divinisierung der Schöpfung im engeren Sinn nicht infrage. Aber geht es auch nicht an, das Kind, in diesem Fall die Numinosität der Schöpfung, mit dem Bade auszukippen. Vielmehr ist es Zeit, der Schöpfung ihre Seele, ihre Würde zurückzugeben, sie aus ihrer Demütigung zu befreien, in die sie als gänzlich Gottloses Gegenüber des Schöpfers, als reines Produkt eines überbetont souveränen und transzendenten Gottes und als Objekt menschlicher Wissenschaft und Ausbeutung geraten ist.

Laut Auskunft der aktuellen, für unsere Fragestellung relevanten exegetischen Literatur lassen sich innerhalb der biblischen Überlieferung zwei Stränge erkennen:

1.  Mensch und Tier sind dezidiert aufeinander bezogene und voneinander abhängige Geschöpfe des einen Gottes und Teilhaber des einen Bundes.

2.  Mensch und Tier haben darin eine je eigene Valenz und Beziehung zum Schöpfer und somit ihren je eigenen Ort im Gesamt der Schöpfung. Jedes Lebewesen hat einen Eigenwert (vgl. hierzu auch die Enzyklika von Papst Franziskus Laudato si’, Abs. 16 und 33).

Mensch-Tier-Gott-Verhältnisbestimmungen:
Ethisch – partnerschaftlich –mystisch

»Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, daß die Tür zu ist, damit ja nicht der Hund hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, daß ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen« (Precht 1996, S.44).

So markiert Albert Schweizer die Situation in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, die sich nicht nur durch Peter Singers extreme Positionen seit den 1990er Jahren grundsätzlich verändert hat. In der Verhältnisbestimmung zwischen Mensch und Tier kommt dem tierethischen Diskurs eine zentrale Rolle zu; denn dieser ist biblisch tief verwurzelt (vgl. hierzu Schroer: »Du sollst dem Rind beim Dreschen das Maul nicht zubinden« (Dtn 25,4). In: Hagencord 2010, S. 38ff.).

Doch den biblischen Autoren geht es nicht nur um den verantwortungsvollen Umgang des Menschen mit den Tieren. Im Tier schaut den Menschen das ganz Andere und das ganz Vertraute an und verlangt nach einer Antwort. Diese kann die Weise des Mitleidens annehmen, von der eine Ethik und Anthropologie geprägt sein muss und die wesentlicher Bestandteil eines von Johann Baptist Metz formulierten »emphatischen Monotheismus« (Metz 1996, S. 9) sein kann. (»Der Gerechte weiß, was sein Vieh braucht, doch das Herz der Frevler ist hart« Spr 12,10).1 Der fragende Blick des Tieres konfrontiert den Menschen darüber hinaus mit der Frage nach dem Eigenen.

In Martin Bubers Konzept, wonach das Ich nur durch das Du zum Ich wird und jedes echte Leben Begegnung ist, gehören die Tiere konstitutionell in die »Du-Welt«, innerhalb derer der Mensch – anders als in der »Es-Welt« – menschlich bleibt (Hagencord 2005, Kap VII).

Für den großen jüdischen Religionsphilosophen ist alles wirkliche Leben Begegnung und: »Der Mensch wird am Du zum Ich«. Für ihn ist es selbstverständlich, dass es zum Zustandekommen einer Beziehung nicht des dezidiert menschlichen Bewusstseins bedarf. Damit eine echte Begegnung des Menschen auch mit einem Tier zustande kommt, geht es nicht darum, das Gegenüber zunächst vermenschlichen zu müssen. Im Geschöpf als solchem begegnet uns ein Du. Es kommt zu einer Begegnung, die einer rationalistischen Verkürzung entgegenwirken kann, was In-Beziehung-Sein in seiner Tiefendimension meint und ausmacht.

Dezidiert menschlich ist für Buber eine andere Qualität, und deren Eigenart macht der jüdische Philosoph überraschenderweise an Jesus fest:

»Das Gefühl Jesu zum Besessenen ist ein andres als das Gefühl zum Lieblingsjünger; aber die Liebe ist eine. Gefühle werden ›gehabt‹; die Liebe geschieht. Gefühle wohnen im Menschen; aber der Mensch wohnt in seiner Liebe. Das ist keine Metapher, sondern die Wirklichkeit: die Liebe haftet dem Ich nicht an, so daß sie das Du nur zum ›Inhalt‹, zum Gegenstand hätte, sie ist zwischen Ich und Du. (…) Liebe ist ein welthaftes Wirken. Wer in ihr steht, in ihr schaut, dem lösen sich Menschen aus ihrer Verflochtenheit ins Getriebe; Gute und Böse, Kluge und Törichte, Schöne und Häßliche, einer um den andern wird ihm wirklich und zum Du, das ist, losgemacht, herausgetreten, einzig und gegenüber wesend. (…) Liebe ist Verantwortung eines Ich für ein Du: hierin besteht, die in keinerlei Gefühl bestehen kann, die Gleichheit aller Liebenden.«

Daraus leitet er ab: »Beziehung ist Gegenseitigkeit. Mein Du wirkt an mir, wie ich an ihm wirke.«

Und innerhalb seiner »christologischen Erwägungen« fährt Buber fort und stellt in guter jesuanischer Manier althergebrachte (hier: pädagogische) Dogmen auf den Kopf:

»Wie werden wir von Kindern, wie von Tieren erzogen!«

Diese Art von Pädagogik ist ein immer wieder vorkommendes Thema; denn Kindern und Tieren ist es zueigen, »das schicksalhafte Eswerden alles geeinzelten Du« immer wieder zu unterbrechen. Mit dem »Erschlaffen« der Beziehungskraft nämlich wird jedes »Du« zu einem »Es«, das nun in die Gegenstandswelt eingeordnet wird und so das Leben »erleichtert«.

»Nur Es kann geordnet werden. Erst indem die Dinge aus unsrem Du zu unsrem Es werden, werden sie koordinierbar. Das Du kennt kein Koordinatensystem (…) Geordnete Welt ist nicht die Weltordnung.«

Und es sind immer wieder Begegnungen mit Tieren, in denen die »Duwelt« für einen Moment die alles und alle umgebende »Eswelt« überstrahlt. So beschreibt Buber, wie er sich immer wieder dem Blick einer Hauskatze stellt:

»Die Augen des Tiers haben das Vermögen einer großen Sprache. Selbständig, ohne einer Mitwirkung von Lauten und Gebärden zu bedürfen, am wortmächtigsten, wenn sie ganz in ihrem Blick ruhen, sprechen sie das Geheimnis in seiner naturhaften Einriegelung, das ist in der Bangigkeit des Werdens aus. Diesen Stand des Geheimnisses kennt nur das Tier, nur es kann ihn uns eröffnen.«

Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, in der sich die Tiere in der Bibel tummeln, haben sie in der Religionsphilosophie Martin Bubers ihren Platz. Und auch Buber sieht die Tiere nicht nur in ihrer selbstverständlichen Beziehung zu ihrem Schöpfer, sondern auch in ihrer Relevanz für den Menschen:

Sie sprechen uns an; diese Sprache des Tieres – als »Stammeln der Natur unter dem ersten Griff des Geistes« – erreicht, so wie in der eingangs beschriebenen Begegnung, den Menschen, der als das »kosmische Wagnis« definiert wird. »Aber kein Reden wird je wiederholen, was das Stammeln mitzuteilen weiß.«

Das Tier stellt Fragen, seine Augen stellen den in den Blick Genommenen existentiell infrage: Diese Katze begann ihren Blick unbestreitbar damit, mich »mit dem unter dem Anhauch meines Blicks aufglimmenden« zu fragen: »Kann das sein, daß du mich meinst? Willst du wirklich nicht bloß, daß ich dir Späße vormache? Gehe ich dich an? Bin ich dir da? Bin ich da? Was ist das da von dir her? Was ist das da um mich her? Was ist das an mir? Was ist das?!«

Diese Begegnung gehört zu jenen, die den Menschen mit der Härte eines Unbedingtheitsanspruches erschüttern; es ist eine ihn im Innersten treffende und betroffen machende Wirklichkeit, die als solche erst einmal so ist, wie sie ist, und die nicht danach fragt, ob diese dem Menschen angenehm oder unangenehm ist.

Dies wiederum steht in großer Nähe zur deutschen Mystik um Meister Eckart, Heinrich Seuse und Johannes Tauler. Für den »Lebe- und Lesemeister« Eckart ist die Kraft der Seele nichts anderes als das im konkret seienden Geschöpf anwesende »esse virtuale«, das »archetypische Sein«, wo noch ungeschieden alles Geschaffene – das Glühwürmchen wie die Mücke und der Mensch – als »Gott in Gott ruht«. Dass das Tier gleichsam als »Prototyp« für eine Existenzweise in der Unmittelbarkeit Gottes fungiert und dem Menschen somit als Korrektiv und »Lehrmeister« auf seinem Weg seines Erwachsen-Werdens zur Seite gestellt ist, wäre für Meister Eckart wahrscheinlich eine Selbstverständlichkeit – ohne für diese Argumentationsfigur die fernöstlichen Heilslehren heranziehen zu müssen, wie es in der esoterischen Literatur unserer Tage gang und gäbe ist.

Die drei Weisen der Natur-, Selbst- und Gottesmystik sind ursprünglich und wesentlich in einer biblisch fundierten Spiritualität verwurzelt; innerhalb dieses »Urgesteins«, das die Kraft hat naturwissenschaftliche Erkenntnisse und theologische Aussagen über das Wesen des Menschen in der Natur zu verbinden, sind die Tiere unverzichtbar. Als die Geschöpfe, die das Paradies nie haben verlassen müssen, verkörpern sie für den Menschen eine Existenzweise in der Unmittelbarkeit Gottes, die durch denkerische Leistungen weniger als durch ein schlichtes, waches und letztlich selbstloses Leben im Hier und Jetzt erfahrbar werden kann.

Bei der Frage nach der Relevanz des Tieres für den Menschen, dessen Spiritualität und Selbstverständnis geht es auch darum, auf »irrige« und somit zu verändernde Haltungsbedingungen hinzuweisen, und dies im doppelten Sinn: Es geht um Argumente, die für die tatsächliche Haltung der Tiere in menschlicher Obhut immer relevanter werden; denn das System der industriellen Tierhaltung hat sich inmitten des christlichen Europas etabliert; zugleich geht es um die Begründung einer angemessenen Einstellung ihnen gegenüber, die nicht nur der Würde des Menschen, sondern auch der ihren gerecht wird. Nicht zuletzt könnte dies der Forderung Karl Rahners gerecht werden, wonach die Theologie immer der Spiritualität zu dienen hat (Rahner 1984, S.10). Für die Schöpfung als Ganzes und darin je anders für Mensch und Tier gilt:

»Wir erklingen als die Symphonie, die Gott heißt. Theologie unterhält sich über die Partitur, über Noten, Pausen, Kontrapunkt und Instrumente. Uns als Klang dieser Symphonie zu erfahren, das ist das Ziel der Mystik« (Jäger 2003, S.43).

Das 2009 von dem Theologen und Biologen Dr. Rainer Hagencord und dem Kapuziner, Philosoph und Autor Dr. Anton Rotzetter gegründete Institut für Theologische Zoologie in Münster steht für einen neuen, theologisch fundierten Blick auf die Tiere als unsere Mitgeschöpfe. Sie als Bündnispartner Gottes, als Weggefährten und heilsame Lehrer des Menschen zu begreifen, fordert vom Menschen achtsame Fürsorge und lehrt ihn Respekt vor der Würde des Tieres.

1     Diese Argumentationsfigur findet sich auch in nichtchristlichen, sprich nicht monotheistischen Traditionen (vielleicht sogar noch stärker, allerdings anders begründet). Mahatma Gandhi sagt: »Die Größe einer Nation kann man nicht daran ermessen, wie viel sie besitzt, sondern wie sie ihre Tiere behandelt.« In: Eurich 2000, S. 88.

 

 

 

 

 

 

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Einführung in die Fortbildung zum Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam

 

Das Kapitel führt zunächst in die Entstehungsgeschichte des Münsteraner Instituts für therapeutische Fortbildung und tiergestützte Therapie (M.I.T.T.T.) ein. Anschließend werden die übergreifenden Ziele dieser Fortbildung zum Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam erläutert und die Ausbildungs- und Prüfungsordnung dargelegt. Diese stellt die Grundlage für die inhaltlichen bzw. theoretischen und praktischen Bestandteile sowie die Regelungen zur Abschlussprüfung dar. Im Anschluss daran steht zunächst der Hund als Teil des pädagogischen bzw. therapeutischen Teams im Mittelpunkt. Anatomische und physiologische Kenntnisse sowie das Verhalten des Hundes bzw. wesentliche Grundlagen zur Hundepsychologie und deren Bedeutung für einen Einsatz im Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam sind ein wesentlicher Bestandteil der Fortbildung. Darüber hinaus werden die Entwicklungsphasen des Hundes erklärt und einige ausgewählte Grundlagen der Hundeerziehung zusammengefasst. Im folgenden Unterkapitel geht es um die Notfallversorgung des Hundes bei Krankheit, Verletzungen, Unfällen etc. Diese Kenntnisse sind für jede/n Hundehalter/in von zentraler Bedeutung, obgleich die Hundeschulen diese kaum vermitteln und viele Halter/innen in einer Notfallsituation hilflos sind. Als professionell tätige Person mit einem Hund im beruflichen Kontext stellt dieses Wissen jedoch eine notwendige Voraussetzung dar, denn eine Notfallsituation kann jederzeit auftreten und besonnenes Handeln ist zum Schutz von Hund, Halter/in und Klientel gefragt. Daher nimmt auch dieses Kapitel einen wichtigen Platz in diesem Buch ein und würdigt diese Erste-Hilfe-Maßnahmen für den Hund im Notfall in ausführlicher Weise.

Mensch und Hund arbeiten im Team, daher folgen einige Gedanken zur Teamarbeit. Mensch und Hund in der Fortbildung sind Arbeits- und Sozialpartner, sie leben zusammen und binden sich aneinander. Ein Team ist per definitionem

»(…) die kooperative, zielorientierte Arbeit von 2–8 Fachleuten, die gemeinsam an einer definierten komplexen Aufgabe, in einem Projekt oder an einem Problem arbeiten, bei Integration unterschiedlichen Fachwissens und nach bestimmten, gemeinsam festgelegten Regeln« (Gellert 2010, S. 21).

In diesem Sinne unterscheidet sich das Mensch-Hund-Team bestehend aus zwei »Fachleuten« von menschlichen Teams im beruflichen Kontext, wobei dem Menschen die verantwortliche Rolle für die Aufgabe oder das zu bearbeitende Problem zukommt. Dennoch werden unterschiedliche Fähigkeiten von Mensch und Hund in die Settings eingebracht und die notwendigen Regeln sollen gemeinsam erlernt werden. Dazu ist eine wichtige Voraussetzung, dass sich Hund und Halter/in besser kennen lernen, sich gegenseitig aufmerksam und gut beobachten, um die Beziehung zu vertiefen und das Verhalten, den Ausdruck sowie die Seele des anderen in ihrer Wirkung deuten zu können:

»Das Vorhandensein einer Seele lässt sich anatomisch nicht nachweisen. Besitzen Tiere aber dennoch eine Seele, so darf auch erwartet werden, dass sie wirkt und das Verhalten des Lebewesens beeinflusst. (…) Darum besteht die wichtigste Tätigkeit des Tierseelenforschers im Beobachten tierischen Verhaltens« (Fischl 1936, zit. nach Feddersen-Petersen 2013, S. 80).

Die Seele meint hier nach unserem Verständnis nicht etwas, was Mensch und Tier im Sinne eines Organs »besitzen«. Gemeint ist im Sinne eines poetischen Sprachspiels die Persönlichkeit des Wesens, das, was Mensch und Tier als Individuen ausmacht, das Geheimnishafte alles Lebendigen, was nicht messbar ist, wenngleich wir die Wirksamkeit im Zusammenspiel erleben können.

2.1       Entstehungsgeschichte

Die Fortbildung zum Therapie-/Pädagogikbegleithundeteam des M.I.T.T.T. (Münsteraner Institut für therapeutische Fortbildung und tiergestützte Therapie), auch »Fortbildung nach der Steinfurter Methode« genannt, ist im Jahre 1996 zunächst innerhalb der logopädischen Behandlung von Kindern mit einer Behinderung entstanden und wurde danach systematisch mit Ergotherapeuten/-innen, Physiotherapeuten/-innen, Ärzten/-innen und Pädagogen/-innen in der Praxis weiterentwickelt und ausgebaut. Im Jahr 2002 gründeten mehrere Therapeuten/-innen und Pädagogen/-innen den Berufsverband »Therapiebegleithunde Deutschland e. V.« (TBD e. V.) im Kreis Steinfurt im Münsterland. Dieser Berufsverband verfügt mittlerweile über mehrere Hundert Mitglieder im gesamten Bundesgebiet in Deutschland und bestimmt die Leitlinien für Pädagogik-/Therapiebegleithundeteams im beruflichen Einsatz:

»Das Hauptanliegen ist die Professionalisierung des Einsatzes von Therapiebegleithunden in der Therapie, Pädagogik, Psychologie, Medizin und verwandten Berufszweigen. Mitglieder können ausschließlich Therapeuten, Pädagogen, Psychologen, Mediziner und verwandte Berufe werden« (Berufsverband Therapiebegleithunde Deutschland e. V. 2013, S. 1).

Mit der beruflichen Qualifikation als notwendige Zulassungsvoraussetzung für die Fortbildung von Hund und Halter/-in zum Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam, der Festschreibung der Leitlinien und der Zertifizierung durch den Berufsverband TBD e. V., der Fortbildung im Münsteraner Institut für therapeutische Fortbildung und tiergestützte Therapie (M.I.T.T.T.) wurden wichtige Eckpfeiler für eine fundierte, hundegestützte Arbeit in unterschiedlichen pädagogischen und therapeutischen Handlungsfeldern im Sozial- und Gesundheitswesen eingeschlagen. Damit ist professionalisiertes Handeln gewährleistet und soll der rechtlich bislang ungeschützten Tätigkeit für das tiergestützte Arbeiten entgegenwirken. Der Begriff »Therapiebegleithund« erfährt durch diese Zertifizierung des Berufsverbandes Therapiebegleithunde Deutschland e. V. einen gewissen Schutz für die Mitglieder, da an die praktische Arbeit die entsprechenden Voraussetzungen und Kontrollen des Berufsverbands geknüpft sind.

Nur beruflich qualifizierte Personen sind in den Handlungsfeldern und Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens in der Lage, den ausgebildeten Hund als Unterstützung und Begleitung in pädagogische bzw. therapeutische Prozessen entsprechend fachlich versiert mit einzubeziehen. Damit ist keine Abwertung, sondern eine Abgrenzung von nicht ausgebildeten Besuchshunden impliziert, die z. B. von Laien in Einrichtungen mitgebracht werden. Der Anspruch der Fortbildung ist es somit, entsprechende Ziele und methodisches Handeln in dem jeweiligen beruflichen Setting versiert anwenden zu können, wobei der Hund im Beziehungsdreieck mit dem/der Hundehalter/in und dem Klienten bzw. der Klientin2 in die entsprechenden Arbeitsprozesse eingebunden wird. Die Fortbildung soll jedoch eine deutliche Abgrenzung zum so genannten Streichel- oder Besuchshund aufzeigen. Besuchshunde werden häufig von Ehrenamtlichen oder externen Personen mitgebracht, die nicht bzw. nicht ausreichend ausgebildet sind und hauptsächlich der Förderung des allgemeinen Wohlbefindens der Klientel dienen sollen.

2.2       Ziele der Fortbildung des M.I.T.T.T. zum Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam

Die Fortbildung zum Pädagogik-/Therapiebegleithundeteam soll Hunde und Therapeuten/-innen, Pädagogen/-innen, Ärzte/-innen, Psychologen/-innen etc. als Team gemeinsam derart schulen, dass Hunde als Ergänzung und Unterstützung in der Therapie bzw. pädagogischen Arbeit und Förderung gesunder und kranker, alter und/oder eingeschränkter Menschen bzw. Menschen mit Behinderungen jeden Alters eingesetzt werden können. In der Fortbildung wird in kleinen Gruppen gelehrt und gelernt. Es werden hohe Anforderungen sowohl an die Hunde, als auch an deren Halter/innen gestellt.

www.mittt.de