Antho-Raumschiff

Das Schiff, das nie hätte gebaut werden dürfen

Anthologie


Hrsg. C. Erpenbeck

Dieses Buch ist für alle

die Märchen eine Zukunft geben

und der Zukunft eine Chance


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©Charlotte Erpenbeck 2017

Machandel Verlag

Coverquellen: sdecoret/3000ad/Triff/ www.shutterstock.com

Illustrationen: Twisted Die Productions/d1sk/ Anna Nogare/
Andrew Derr/Kulikova Valeriya/Happy Dragon /Krasivo/
Catherine Glatzkova/Kulikova Valeriya/Nipatsara/
Kulikova Valeriya/Andrew Derr/

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Haselünne

2018

ISBN 978-3-95959-099-0

Über das Verlagsprogramm

www.machandel-verlag.de

Der Machandel Verlag bietet Ihnen im Hauptsortiment ungewöhnliche Fantasy aus verschiedenen Teil-Genres: Romantik-Fantasy, humorvolle Fantasy, klassische Fantasy, Urban Fantasy, Dark Fantasy. Unsere besondere Spezialität sind Kurz-Romane für Jugendliche und Erwachsene sowie moderne Märchen. Zusätzlich bieten wir Ihnen interessante Krimis, neuerdings auch Science Fiction, Kinderbücher und Sachbücher.

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Das Schiff, das nie hätte gebaut werden dürfen

Tobias Habenicht

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1.

Die Gurte lassen kaum Bewegungen zu, aber wenn ich den Kopf drehe, kann ich durch ein schmales Fenster nach draußen schauen. Man sieht nichts, es ist schwarz, nur ein paar der hellsten Sterne heben sich gegen die Spiegelungen der beleuchteten Kabine ab. Ich starre darauf, die wenigen Sekunden ziehen sich wie Stunden. Einen Moment später flackert das Licht und erstirbt. Statt ein paar Sternen stehen da draußen nun Abermillionen, ein dichter Teppich kleiner Punkte.

Gefrorene Tropfen fliegen an der Scheibe vorbei. Manche treiben ganz langsam dahin, und wenn sie einen der helleren Sterne verdecken, schillern sie kurz auf, in dunklem Rot. Ich recke den Kopf noch etwas weiter, und am Rand des Sichtfensters blitzt die Sonne auf. Sie ist klein, fern, und sie ist nicht der Stern, unter dem ich geboren wurde. Im Gegenlicht wird aus den vereinzelten Tropfen ein Strom, wie ein Regen aus Blut. Aber es sieht nur so aus, wegen des roten Farbstoffs, den die Techniker beigemischt haben. Es ist die Kühlflüssigkeit des Schiffsreaktors.

Ein Stoß geht durch die Kapsel. Der scharfe Schmerz, als die Gurte in meine Schultern schneiden, ruft mich in die Wirklichkeit zurück. Landis sitzt mir gegenüber, ein alter Mann, dem zum ersten Mal, seit ich denken kann, die Contenance abhandengekommen ist. Er ist seit dreißig Jahren Buchhalter unserer Familie, immer reserviert, immer korrekt. Ich erkenne ihn kaum wieder. Er schreit mir etwas zu, die Augen vor Schrecken geweitet, aber ich höre nichts davon. Die ganze Szene kommt mir vor wie ein Stummfilm, aber das liegt nur daran, dass der Alarm so laut ist, so durchdringend, dass er keinen Platz für andere Geräusche lässt. Landis deutet auf den Monitor, auf dem das Notstartprotokoll abläuft. Hinter ihm kann ich durch einen weiteren Sichtschlitz erkennen, wie eine andere Kapsel ausgestoßen wird und sich mit hoher Beschleunigung von unserem Schiff entfernt, das manövrierunfähig durch das Nichts taumelt. Die Drehung nimmt mir rasch die Sicht, die Kapsel verschwindet. Wir dagegen bewegen uns nicht vom Fleck. Auf dem Monitor blinkt eine aufgeregte Schrift. Es gibt einen Fehler, irgendwas mit den Halteklammern. Ich nehme das zur Kenntnis, kann aber den Blick nicht von den Fenstern nehmen, als ginge mich das alles hier nichts an.

Kapseln verlassen das Schiff, wie Flöhe, die von einem toten Hund herunterspringen. Ein paar sind noch da. Eine gleich neben uns scheint ebenfalls festzusitzen, wie wir. Ich kann unseren ersten Offizier darin hantieren sehen. Ein Paneel an der Wand ist entfernt, er zieht immer wieder an einem Hebel, ohne dass etwas passiert. Wie im Traum, die Ohren immer noch voll von dem an- und abschwellenden Heulen, sehe ich mich um, entdecke das entsprechende Paneel unserer eigenen Kapsel gleich neben mir. Es sind nur zwei rasche Handgriffe – die Verschalung abnehmen, den Hebel herunterziehen. Eine überirdische Kraft rammt mir den Kopf zwischen die Schultern, als sich das Triebwerk der Kapsel aktiviert. Wir schießen in den leeren Raum hinaus, lassen das Inferno hinter uns, die roten Tropfen zerplatzen auf den Scheiben. Es kann nur eine Illusion sein, aber ich meine, dass sich die Blicke des ersten Offiziers und meine noch einmal treffen. Er weiß, dass er sterben wird. Er sieht uns davonziehen. Und er wünscht verzweifelt, er könne mit mir den Platz tauschen. Trotz all des Lärms, des Andrucks, der Erschütterungen und des Knirschens und Kreischens des beanspruchten Metalls geht mir dieser Blick nicht aus dem Kopf. Dann vergeht das Schiff in einer gewaltigen, lautlosen Explosion. Erst als die expandierenden Gase uns erreichen, uns wie einen Styroporball vor sich her treiben und die Kapsel zum Taumeln bringen, kommt auch der unbeschreibliche Lärm bei uns an und wischt alles andere weg. Mein Kopf schlägt gegen die Wand, die Kräfte, die auf uns einwirken, schleudern uns wie Puppen in unseren Gurten umher. Meine Sinne schwinden. Als letztes sehe ich die Explosionswolke, in die mein Schiff aufgegangen ist, und mit ihm meine Crew, meine Fracht und all meine Hoffnung. Dann umfängt mich eine lautlose Dunkelheit.

2.

Ein halbes Jahr zuvor war mein Vater gestorben. Ich wollte nie Kaufmann werden, hatte zu lange vom Geld der Familie gelebt und irgendwie erwartet, es werde ewig reichen. Das tat es aber nicht. Innerhalb weniger Monate hatten mir die Gesellschafter das Fell über die Ohren gezogen, und von dem, was mir blieb, hatte ich das meiste mit unglücklichen Spekulationen in den Sand gesetzt. Nur eine meiner Unternehmungen ließ mir noch eine schwache Hoffnung auf Profit. Ein Schiff und eine Fracht verderblicher Medizinprodukte waren alles, was ich noch besaß, und von der termingerechten Beförderung dieser Fracht hing meine wirtschaftliche Zukunft ab. Also verließ ich das Familienanwesen und schiffte mich an Bord meines Sternenschoners „Arcadia“ ein, sehr zum Leidwesen des Kapitäns, der an Bord nicht gerne eine Autorität neben der seinen duldete.

Wir tüftelten einen Kurs aus, der den optimalen Kompromiss zwischen Energieverbrauch und Zeitersparnis brachte. Den ersten Teil der Strecke segelten wir im Sonnenwind unseres Heimatsterns, langsam, aber praktisch kostenlos. Ich hatte Zeit, das filigrane Gespinst des Segels zu bewundern, das sich mit mehr als einem Kilometer Durchmesser vor uns wölbte. Dann verließen wir das Sternensystem und warfen den Ionenantrieb an. Erst im interstellaren Raum konnten wir einen kurzen Hyperraumsprung durchführen. Danach, am Rand des Salafir-Systems angekommen, begann die eigentliche Herausforderung. Es gab nur einen einzigen bewohnten Planeten, auf dem meine Ladung einen ordentlichen Profit abwerfen würde. Sonst warteten dort nur etliche trostlose Gesteinsbrocken, auf denen sich höchstens ein paar Minen-Roboter herumtrieben. Einen Gasriesen, wie es sie in anderen Systemen gibt, hatte das Salafir-System nicht. In der Folge tummelten sich in den Außenbereichen in einer dichten Wolke große und kleine Asteroiden auf exzentrischen Bahnen, sich ständig überkreuzend, umkreisend, kollidierend, so dass in jeder Sekunde eine Unzahl kleinerer, noch schnellerer Geschosse geboren und in alle Richtungen davongeschleudert wurde. Es gab drei verschlungene, mäandernde Pfade, entlang denen die Dichte der Gesteinsbrocken gering, das Risiko klein war. Aber sie erforderten Zeit und ausreichend Energie für ständige Schubkorrekturen. Beides hatten wir nicht. Ich gab Befehl, einen direkteren Kurs einzuschlagen. Der Kapitän sah mich mit nur mühsam verhohlenem Ärger an, machte ein paar Einwände, die ich nicht gelten ließ, fügte sich dann aber.

Im Navigationshologramm sah ich den korrigierten Anflugvektor. Er war viel direkter, aber immer noch nicht geradlinig. Er machte einen großen Bogen um einen blassblau markierten Sektor rund um einen großen Planetoiden, der für mein Auge nicht gefährlicher aussah als der Rest des Asteroidenfeldes. Ich korrigierte den Kurs weiter, bis er schließlich die blaue Zone streifte. Ich hörte, wie der Kapitän scharf einatmete. Seine Hände krallten sich um den Navigationstisch, bis die Knöchel weiß hervortraten. Wortlos schob er meine Hand zur Seite und machte meine Kursänderung rückgängig. Er sah mir ins Gesicht, mühsam gefasst, erwartete einfach meinen Zorn und erklärte nichts. In den nächsten zwanzig Minuten warf ich ihm einiges an den Kopf, er antwortete erst ruhig, dann hitzig, bis ich die Sache einigermaßen zusammen hatte. In diesem Sektor, so erklärte er mir, sei ein Schiff verloren gegangen, vor knapp einhundert Jahren, vielleicht auch mehr. Es war nicht irgendein Schiff gewesen, sondern ein Quantensprung in der Raumfahrt, das Werk eines eigenbrötlerischen Genies, knapp vor oder vielleicht auch weit jenseits der Grenze zum Wahnsinn, der dem Genie bekanntlich benachbart ist. Der Kapitän berichtete mit gedämpfter Stimme, als befürchtete er verborgene Zuhörer, der Konstrukteur des Schiffes habe Wege beschritten, die nicht nur neu, nicht nur bahnbrechend waren, sondern unerhört und unmoralisch, alles Menschliche einer Technik untertan machend, die einem Götzen gleichzukommen begann. Von allen Schiffen, mit denen der Mensch versucht hatte, sich den Weltraum untertan zu machen, war diese Konstruktion, die „Cassandra“, das eine, das nie hätte gebaut werden dürfen.

Um ihr Schicksal und das ihrer Besatzung rankten sich zahllose Gerüchte und Legenden: Lebendig sollte das Schiff gewesen sein, bösartig, feindlich, gar von finsteren Sternendämonen besessen. Manche glaubten, es habe seine Mannschaft verschluckt und verdaut, andere sprachen von letzten Bildübertragungen, in denen die Menschen mit ihren Konsolen organisch, geradezu symbiotisch verbunden gewesen sein sollten. Übereinstimmend erzählten alle Geschichten, dass das Schiff mit Mann und Maus beim Anflug auf das Salafir-System verschwunden war. Suchtrupps waren aufgebrochen, fanden aber weder ein Wrack noch Trümmer. Stattdessen berichteten sie, halb wahnsinnig vor Angst: Die „Cassandra“ flog noch, aber sie bewegte sich wie ein Derwisch durch die Asteroiden, spielte Katz und Maus mit denen, die nach ihr suchten. Und über die meisten, die sie sahen, brach wenig später ein Unglück herein. Nur zwei von zwölf Schiffen fanden den Weg heraus aus dem Labyrinth, das nun blau markiert im Holotank aufleuchtete.

Wenn mich die Geschichte hatte erschrecken sollen, so verfehlte sie ihre Wirkung. Ich wurde wütend, verfluchte den Kapitän und erklärte ihm, dass er sich nicht einzubilden brauche, je wieder ein Schiff zu kommandieren, wenn ich mit verdorbener Ware auf Salafir II ankam. Gleichzeitig bot ich ihm Geld an, eine Prämie, wenn er uns termingerecht dort ablieferte. Wir stritten weiter, und wie immer, wenn abergläubische Furcht, gesunder Menschenverstand und finanzielle Interessen gegeneinander ringen, gewann am Ende das Geld. Ich versprach ihm einen prächtigen Bonus, und er schlug den Kurs ein, den ich wollte. Er verheimlichte es der Mannschaft, weihte nur den ersten Offizier ein, der mir einen finsteren Blick zuwarf und mir schwor, es mich reuen zu lassen, wenn dem Schiff und der Besatzung auch nur das Geringste zustieß. Ich nahm es schulternzuckend hin und bat Landis, meinen Buchhalter, mich auf der Brücke zu treffen. Ich hatte Geschäftliches mit ihm zu besprechen, war aber nicht gewillt, den Kapitän und den Kurs, den er befahl, aus den Augen zu lassen.

Zwei Stunden gingen dahin, geprägt von Ausweichmanövern, Beinahe-Kollisionen und hitzigen Debatten zwischen Kapitän und Steuermann. Die Asteroiden schienen viel Metall zu enthalten und zudem elektromagnetische Felder zu erzeugen, was die Wirksamkeit der Schiffssensorik herabsetzte und die Navigation erschwerte. Ich konnte die Anspannung der Brückenbesatzung wohl spüren, aber ich sah auch, wie mir die Zeit zwischen den Fingern zerrann und wehrte jeden Anflug von Kritik an dem von mir befohlenen Kurs ab. Alles in allem machten wir gute Fahrt. Ich schwor mir, die tüchtigen Raumschiffer großzügig zu entlohnen, wenn sich der Liefertermin einhalten ließ. Dann realisierte ich, dass ich sie das am besten sofort wissen lassen sollte, um sie anzuspornen. Ich wollte gerade ansetzen zu sprechen, als der Ortungsoffizier eine Meldung machte. Ein Flugkörper, vielleicht nur ein Irrläufer aus Eis oder Gestein, vielleicht aber auch ein anderes Schiff, befand sich in einiger Entfernung auf Parallelkurs. Der Offizier hatte die Daten gerade auf den großen Schirm gebracht und informierte uns über die Details der Trajektorie, da stockte er unvermittelt. Wir hatten es alle gesehen, und es grauste uns: Das Signal war von einem Moment zum nächsten verschwunden. Keine zwei Sekunden später kam es wieder hervor, aber es war ein gutes Stück zur Seite gesprungen. Ich fragte, welcher tatsächlichen Distanz das kleine Stück auf dem Schirm entsprach. Der Navigator murmelte etwas von zweitausend Kilometern. Er war kreidebleich.

„Umkehren!“, verlangte der Erste Offizier heiser. „Solange es noch geht.“

Ich widersprach energisch. Ich pochte auf geltende Verträge, drohte, der Besatzung die Heuer vorzuenthalten, wenn wir nicht weiterflogen. Gerade da musste der Steuermann zwei großen Brocken ausweichen, die aufeinander zuhielten und zu Steuerbord miteinander kollidierten. Der kleinere wurde regelrecht zermalmt, und ein elektromagnetischer Impuls kündete von der Energie, die dort gerade frei wurde. Die Bildschirme flackerten, die Trägheitsdämpfer stotterten, selbst das Licht wurde kurz schwächer. Wir waren alle erschrocken verstummt, sahen die Trümmerwolke hinter uns zurückbleiben und wollten gerade erleichtert aufatmen, als der Erste Offizier einen heiseren Schrei ausstieß. Das fremde Signal war mit einem mächtigen Satz bis ganz in die Mitte des Schirmes gesprungen. Dorthin, wo auch wir uns befanden.

Ich stürzte an eine der Sichtluken, und ich sah es. Ein fremdes Schiff, lang und grazil, zog schwerelos seine Bahn neben der unseren, ohne dass Triebwerksemissionen erkennbar gewesen wären. Sein stabförmiger Aufbau ließ es altertümlich wirken, wie ein Relikt einer vergangenen Epoche. Die glatte, geschwungene Oberfläche mit ihren organisch wirkenden Auswüchsen und Aufbauten gaben diesem Schiff aber etwas so Fremdartiges, so Unmenschliches, dass der bloße Anblick mich frösteln ließ. Während ich es beobachtete, schlingerte es wie gelangweilt mal zur einen Seite, mal zur anderen, kam uns aber doch beständig näher. Schließlich konnten wir am Bug Details wahrnehmen: Zahllose Einschläge kleinerer Asteroiden, die den Rumpf wie Pockennarben überzogen, dazwischen, ganz vorn, in großen löchrigen Lettern der Name: CASSANDRA. Durch die Scheiben der Brücke des anderen Schiffes drang ein kränklicher, fahlblauer Schimmer. Schemen bewegten sich dort, zu weit entfernt, um sie richtig erkennen zu können. Nur eines war sicher: Die „Cassandra“ war bemannt und hatte sicher nicht zufällig unseren Kurs gekreuzt.

„Wir sind verloren“, flüsterte der Erste Offizier. „Das ist der Tod, der da neben uns fliegt.“

Der Funker meldete etwas von einem Signal, das die „Cassandra“ beständig aussendete. Seine Stimme klang wie ein Reibeisen. Der erste Offizier erwachte etwas zu spät aus seiner Starre. „Abbrechen!“, schrie er noch. „Keine Verbindung herstellen!“ Aber der Kapitän hatte schon genickt, vielleicht aus Gewohnheit, vielleicht aus Verzweiflung, jedenfalls brach über die Lautsprecher ein elektronisches Kreischen über uns herein, das mich bis ins Mark erschütterte. Da waren keine Worte, keine Melodie, aber in der Kakophonie steckte ein Gefühl, eine Gewissheit von absolutem, schrecklichem Wahnsinn. Einen Moment später flackerten die Monitore erratisch, zeigten verwirrende Muster und endlose Kolonnen bedeutungsloser Zeichen, bevor sie ganz erstarben.

„Ein Virus“, sagte der Navigator tonlos. „Alle Sensoren sind ausgefallen. Wir sind faktisch blind.“

Eine Sekunde später schrien alle durcheinander, wollten Schub wegnehmen oder wenden, blindlings feuern oder gleich das Schiff evakuieren.

„Volle Kraft voraus“, befahl ich, indem ich mich zur Ruhe zwang. „Wir müssen dem Einfluss dieses Schiffes entkommen. Das ist unsere einzige Chance.“

Die Offiziere wollten etwas erwidern, aber der Steuermann setzte mein Kommando einfach in die Tat um. Das Vibrieren des Decks unter meinen Füßen zeugte von mächtigen Aggregaten, die auf volle Leistung gebracht wurden. Jenseits des Sichtfensters fiel das gespenstische, wunderschöne Schiff hinter uns zurück. Nur einen Moment banger Hoffnung später rammte uns ein schneller Irrläufer, rasierte uns die linke Triebwerksgondel einfach ab und versetzte das Schiff in eine schraubenzieherförmige Bahn. Flackernd und voller Störungen erwachte ein Monitor wieder zum Leben. Durch das Geschrei und die sofort einsetzende Kollisionswarnung erkannte ich, dass die Schäden gravierend waren. Gleich darauf kollidierte ein zweiter Asteroid mit uns oder wir mit ihm. Er traf genau das Loch, das der erste geschlagen hatte. Auf dem Schadensbericht leuchtete der Reaktorraum, das Herz eines jeden Raumschiffes, in düsterem Rot auf. Der Alarm steigerte sich, wurde ohrenbetäubend. Wer die rascheste Auffassungsgabe hatte, floh als erster, den Rettungskapseln entgegen. Ich zog meinen Buchhalter mit mir, der wie betäubt schien. Der Erste Offizier schrie mir wüste Beleidigungen entgegen, während wir rannten. Über die Schulter sah ich für einen Moment noch den Kapitän, bevor sich die Tür zur Zentrale schloss. Er machte keine Anstalten, uns zu folgen. Seine Miene, sein Blick, schienen mich zu fragen: Wozu? Dann blieb er hinter uns zurück und es gab nur noch das, was vor uns lag. Nur raus aus dem Schiff, nur raus in die Leere des Alls. Aber was dann?

3.

Ich komme zu mir, erwache aus einem Traum von einem ewigen Fall in einen bodenlosen Abgrund, aber das Gefühl geht nicht weg. Ich erschrecke, klammere mich in den Gurten fest. Es dauert, bis ich mich erinnere, wo ich bin. Eine sanfte Kraft drückt mich in den Sitz, aber da ist immer noch dieses furchtbare Gefühl, haltlos tiefer und tiefer zu fallen. Vor den Sichtluken flirren rasend schnell Sterne vorbei. Ich begreife: Wir haben keine künstliche Gravitation, und die Kapsel rotiert. Mit dem Begreifen kommt die Übelkeit. Ich muss mich übergeben. Das Erbrochene trudelt dahin, beschreibt eine leichte Kurve und landet mit einem widerlichen, feuchten Geräusch an der Wand schräg vor mir. Es ist nicht der einzige Fleck dieser Art.

Mit zitternden Händen versuche ich, mich im Steuerungsmenü des Touchscreens in der Mitte der Kapsel zurechtzufinden, während mein Gleichgewichtsorgan weiter um meine Aufmerksamkeit buhlt. Wie es scheint, sind nur noch zwei der sechs Steuerungsdüsen intakt. Ich aktiviere sie. Die Automatik schafft es, uns zur Ruhe zu bringen. Die Sterne sitzen wieder fest im dunklen Nichts. Sensoren haben wir nicht, man kann nur ganz altertümlich aus dem Fenster schauen, und hoffen, dass man irgendetwas erkennt. Diese Kapseln sind zwar begrenzt manövrierfähig, aber in erster Linie sind sie dazu gedacht, ihre Passagiere lange genug überleben zu lassen, dass sie von Dritten gerettet werden können.

Ich löse meine Gurte, um ringsum durch alle Fenster zu sehen. Landis‘ Kopf schiebe ich zur Seite, nachdem ich mich vergewissert habe, dass er nur ohnmächtig ist und regelmäßig atmet. Durch das Fenster hinter ihm sehe ich voller Schrecken, wie eine andere Kapsel rasch auf uns zuhält. Sie ist kaum noch hundert Meter entfernt . Ich zucke zurück, entschlossen, die Triebwerke zu aktivieren und uns aus der Gefahrenzone zu manövrieren. Aber das ist gar nicht nötig. Ein schneller Asteroid von der Größe eines Hauses kracht von links in die andere Kapsel und wischt sie weg. Ob sie bemannt gewesen ist, kann ich nicht mehr erkennen. Ein Paar elektronische Bruchstücke werfen noch einige Funken ins Nichts, dann verschluckt die Dunkelheit die Überreste der Kasel wie auch den Asteroiden, der sie zerstört hat.