Kapitel 21

 

Alles um Aruni herum wirkte rabenschwarz. Die Sonne, die Häuser, das Wasser. Nicht mal Ash konnte sie aufmuntern. Je näher sie den Katakomben kam, desto weniger musste Ash sie stützen. Lierds Arm stieß Aruni immer wieder weg. Aruni setzte einfach einen Fuß vor den anderen. Jetzt hatte alles keinen Sinn mehr. Nach allem, was passiert war, konnte Ilvio sie unmöglich noch lieben. Den Angriff ihres Bruders, die unmögliche Art der anderen Dämonen – all das würde er ihr garantiert nicht verzeihen. Und alles nur wegen dieses bescheuerten Gesetzes. Bedrückt folge sie ihrem Bruder in die Tunnel. Wenn Ilvio überhaupt noch lebte. So lange konnte die Heilung doch nicht dauern? Man hätte doch irgendeine Besserung sehen müssen.

Niemand sagte ein Wort. Sie waren wieder unter der Erde. Die Luft roch heiß und schwarz. Ein dumpfer Trommelschlag galoppierte durch den Tunnel auf sie zu. Die Musik schwoll an, man hörte nun auch andere Instrumente und die kreischende Stimme des Sängers.

Mehrere Dämonenpärchen tanzten eng umschlungen in dem großen Raum, Flammen züngelten an den Wänden empor. Aruni spürte, wie die Wärme sie durchdrang und sie endlich wieder ihre Finger und Zehen richtig spürte. Trotzdem blieb in ihrer Brust ein taubes Gefühl. Aruni starrte auf die tanzenden Dämonen. Es war ein leidenschaftlicher Tanz. Sie bewegten sich schnell und flüssig. Immer wieder hielt eins der Paare inne, um sich wild zu küssen.

Die Musik wurde lauter und lauter, Aruni kannte keinen der Dämonen, die Schlagzeug und Gitarre malträtierten. Aber die Musik rauschte durch ihre Blutbahn.

Ein rasender Trommelwirbel. Zwei Dämonen betraten den Saal durch gegenüber liegende Tür. Es waren Fürst Luzius und Malenka. Das taube Gefühl in Arunis Brust vermischte sich jetzt mit Angst und Wut. Trotzig blieb sie stehen und hob das Kinn. Der Ring um ihren Schweif schien enger zu werden.

Malenka hatte sie entdeckt und riss entsetzt die Augen auf. „Was machst du hier?“, konnte Aruni eine wortlose Frage von ihren Lippen lesen. Aruni gab keine Reaktion zu erkennen.

Fürst Luzius kam bedrohlich auf sie zu. Seine Augen glühten. „Du kommst, um deine Strafe zu erhalten?“, donnerte er. Jedes Geräusch verstummte. Aruni spürte tausend Blicke in ihrem Nacken.

„Ja“, sagte sie einfach. Malenka holte erschrocken Luft und wollte etwas sagen. Aber Aruni hob ihre Hand. „Bitte, hört mich zuerst an.“

Fürst Luzius starrte sie eine Weile ungnädig an, dann nickte er. „Gut, ich höre.“

„In meinen Adern schlägt das Blut der Dämonen, aber auch das Blut der Menschen. Ich passe in keine der beiden Welten richtig, In beiden fühle ich mich wie ein Gast. Doch als ich Ilvio traf, fühlte ich mich zuhause. Bei ihm. Und mit ihm würde ich mich überall zuhause fühlen, das weiß ich jetzt. Nur leider ist Ilvio nicht mehr da.“

„Gut“, knurrte Fürst Luzius. Malenka sah ihn böse von der Seite an. Er seufzte und fragte dann: „Wo ist er?“

„Auf dem Weg zum Todesreich, nehme ich an“, sagte Aruni leise. „Als ich den Strand verließ, atmete er nicht mehr.“

Jemand pfiff. Arunis Augen brannten. Sie ballte ihre Finger zu Fäusten.

„Ich hatte nicht viel Gelegenheit, über deine Strafe nachzudenken“, sagte Fürst Luzius unvermittelt. „Deine Mutter hat mich abgelenkt. Aber so viel weiß ich: du bist eine Schönheit, und ich mag schöne Frauen. Darum halte ich Malenkas Fehltritt nicht mehr für so frevelhaft, wie ich immer dachte. Trotzdem. Weiter verwässert sollte unsere Spezies nicht werden. Kinder wirst du nicht bekommen. Solltest du je ein Kind erwarten, so wird es der Göttin des Feuers geopfert.

Und wenn ich dich rufe, aus der Menschenwelt, wirst du ins Dämonenreich zurückkehren.“

Malenka schluckte sichtbar. Arunis Herz klopfte sehr laut. Ihre Sicht verschwamm, aber sie fühlte sich nicken. Sie durfte wieder nach oben. Natürlich, eine Abmachung brach nicht mal Fürst Luzius. Erst recht nicht, wenn Malenka sie getroffen hatte. Er mochte so grausam sein, wie die Legenden erzählten, aber er hatte Ehre.

„Dein Vater bleibt so lange hier, bis seine Abmachung abläuft. Nur werde ich bestimmen, wann Malenka zu ihm darf und wann sie bei mir zu sein hat.“

Aruni nickte wieder. Wenigstens würde ihrem Vater nichts passieren. Sie wunderte sich sowieso, dass so eine Beziehung halten konnte, wo ihr Vater seine Frau ständig mit dem Dämonenfürst teilen musste. Aber das gehörte zu den Dingen, die man besser unerwähnt ließ. Hauptsache, ihr Vater war sicher. Was mit ihr geschah, war sowieso egal. Kinder wollte sie sowieso keine, wenn sie Ilvio nicht haben konnte.

Ein Raunen ging durch den Raum. Fürst Luzius sah an Aruni vorbei und starrte auf etwas hinter ihrem Rücken.

Noch bevor sich Aruni umdrehen konnte, hörte sie eine vertraute Stimme. Ilvio sagte laut und deutlich: „Aruni hat nichts Falsches getan. Sie verdient nicht, bestraft zu werden.“

Arunis Augen füllten sich mit Tränen, langsam drehte sie sich um. „Ilvio ... du lebst!“ Grenzenlose Erleichterung und Verzweiflung kämpften in ihr um die Vorherrschaft. Wenn sie das früher gewusst hätte ...

„Meine Strafe ist gerechtfertigt nach unseren Gesetzen“, sagte sie nach einer Weile.

Beinahe majestätisch schritt Ilvio auf Aruni zu. Er verbeugte sich kurz und nahm Arunis Hand.

Luzius verzog keine Miene. „Auferstanden von den Toten?“

„Aruni hat mich zum Meer gebracht und durch die Magie meiner Blutsverwandten konnte ich gerettet werden.“

„Nun, das ändert wohl die Lage“, sagte Fürst Luzius nach einer Weile. Seine roten Augen fixierten Aruni. „Sag mir Aruni: du willst also einen Meereselfen lieben? Wie soll das gehen? Sie sind uns in nichts ähnlich. Sie halten sich im kalten Meer auf. Dort kann das Feuer nicht existieren. Du dagegen brauchst das Feuer, das sie tötet. Unsere Völker haben nichts gemeinsam.“

Aber dessen war sich Aruni schon lange nicht mehr sicher. Ihr kam eine Idee. Sie nahm Ilvios Hand in ihre und führte ihn in die Mitte des großen Saales. Die feurigen Blicke der anderen Paare folgten den beiden wie gebannt. Aruni rief der Band etwas zu. Zögernd begannen sie mit der Musik. „Das ist unser Stück“, raunte Ilvio Aruni zu. „Das haben die Menschen auf der Halloweenparty gespielt!“

Und dann begann Aruni zu tanzen. Sie tanzte mit Ilvio, genau wie in der Nacht, in der sie sich kennengelernt hatten. Ausgelassen, voller Feuer und Anmut tanzte Ilvio mit ihr. Sie tanzten wild wie Feuer und rhythmisch wie die Wellen des Meeres. Sanft wie das Wasser und leidenschaftlich wie die Flammen. Sie ergänzten sich perfekt.

Aus den Augenwinkeln nahm Aruni wahr, wie die anderen Dämonen mitgerissen wurden und erneut zu tanzen begannen. Neben ihnen tauchten plötzlich auch Lierd und Ash auf. Aruni hatte den sehr deutlichen Eindruck, dass die beiden nicht nur im Tanz miteinander harmonierten. Weitere Meereselfen strömten in den Saal und mischten sich unter die Dämonen, die verblüfft zuließen, dass ihre Tanzpartner unversehens wechselten. Wasser zischte über den Boden, dichte Dampfschwaden waberten durch den Saal und erfüllten ihn mit glosendem rotem Nebel. Es war wie eine gigantische Bühnenshow. Weitere Dämonen und Dämoninnen traten ein und tanzten. Silbrige Töne vermischten sich mit den wilden, lauten Klängen der Dämonenmusik. Aruni sah Elfen in der Band stehen. Die sanften Töne einer Geige umwoben die rhythmischen Schläge des Drummers und eine hübsche blauhaarige Elfe spielte auf einer kleinen Harfe Obertöne zu den Gitarrenklängen. Aruni konnte gar nicht genug davon kriegen. Und wie es schien, ging es den anderen Tänzern auch nicht besser. Nicht einmal Fürst Luzius konnte sich dem Bann der Musik entziehen. Diese neuartige Musik machte süchtig.

 

Aruni und Ilvio tanzten die ganze Nacht. Und wie die Flammen an den Wänden im Klang der Musik aufloderten, so schien jeder Schlag der Trommeln und jeder Ton der Flöten die Harmonie ihrer Bewegungen zu verstärken und ihre Liebe zu vertiefen.

Bei einem Tanz kamen ihre Mutter und der tanzende Fürst ganz nah an ihr vorbei. Fürst Luzius zwinkerte Aruni zu. Dann wirbelte Malenka ihren Fürsten weiter.

Am Rand des Saals entdeckte Aruni ihren Vater. Arm in Arm mit einer sehr hübschen Elfe. Hoffentlich machte Malenka ihm deswegen später keine Szene. Aber Aruni musste lächeln, als ihr Vater ihr glücklich zuwinkte und ihr ein Daumenhochzeichen gab. Die Welt war doch wieder schön geworden!

Und dann endlich küsste Ilvio sie, mitten im schönsten Tanz.

 

ENDE


Feuerkuesse-cover

Feuerküsse

Eileen Raven Scott


Machandel Verlag
Haselünne
2013

ISBN 978-3-95959-096-9

Kapitel 1

 

Das Feuer lachte und flüsterte süße Worte. Aruni setzte sich auf den Kaminsims und streckte ihre Hand nach den Flammen aus. Augenblicklich leuchteten sie auf und schmiegten sich an ihre Haut. Langsam wich die Herbstkälte aus ihren Knochen. Schnurrend ringelte sich Ash auf ihrem warmen Schoß zusammen. „Ach, Ash, wie sehr ich es leid bin, anders zu sein. Immer diese Maskerade.“

Missmutig sah sie zu ihrer Sammlung von Handschuhen, Hüten, Haartüchern und Spangen, die auf der Kommode am Fenster lagen. Ash rieb ihren Kopf gegen Arunis Hand. Aruni kraulte ihre Ohren, setzte sie dann aber sacht neben sich ab und ging zum Fenster. Nachdenklich strich sie sich über ihre kurzen Hörner. Mit einem letzten Blick in die Nacht zog sie die Vorhänge zu. Neugierige Blicke von Passanten konnte sie jetzt wirklich nicht gebrauchen. Sie drehte die Heizung noch ein wenig höher. Für Ihren Geschmack waren die Temperaturen zwar immer noch zu niedrig, aber mehr als knappe 45 Grad schaffte die Anlage einfach nicht.

Blazer, Bluse und schwarze Jeans landeten in einem unordentlichen Haufen auf dem alten Samtsessel in der Ecke des Schlafzimmers. Dann begann Aruni mit finsterem Blick die schwarze Bandage abzuwickeln, unter der sie ihre rotschuppig glänzende Körpermitte und ihren nachtschwarzen Schweif verbarg. Kurz sah sie in die Flamme der Kerze auf ihrem Nachttisch, blies sie dann aus und krabbelte unter die Bettdecke.

Die kleine Katze leckte ihr Fell sauber, dann sprang sie mühelos vom Kamin und lief lautlos zu Arunis Bett. Mit einem eleganten Satz landete sie auf der weichen Decke und ringelte sich dort zusammen.

„Mein Flämmchen, wenn ich dich nicht hätte“, sagte Aruni leise. „Schlaf schön.“

Entgeistert fuhr Aruni hoch. Neben ihr fauchte Ash fast so laut wie sie. Wer zum Teufel klingelte mitten in der Nacht an ihrer Tür? Aruni sprang aus dem Bett, riss hastig die Bettdecke mit sich und stolperte fluchend zur Tür. Jetzt hämmerte der nächtliche Störenfried ungeduldig an das Holz.

Um diese Zeit konnte das nur einer sein - und der bedeutete Ärger. Ein Blick durch den Spion bestätigte ihren Verdacht. Erneut stieß sie ein leises Knurren aus. Ash sprang auf das Bücherregal gegenüber der Tür und machte sich neben einer Blumenvase ganz klein.

Aruni zog die Bettdecke fester um sich und öffnete die Tür einen Spalt breit.

„Mach endlich richtig auf, Aruni. Was soll das denn jetzt?“, herrschte Lierd sie an. „Bist du plötzlich schüchtern geworden, hier unter den Menschen?“ Er drängelte sich an ihr vorbei in die Wohnung und sah aus seiner imposanten Höhe von zwei Metern zwanzig auf sie herab.

„Na, was ist, störe ich?“ fragte er.

„Überhaupt nicht. Schon gar nicht um diese Zeit.“ Aruni schnaubte. "Was willst du, Lierd? Es ist Nacht.“

„Ja, genau. Es ist die Nacht vor Halloween, in der du eigentlich an der Zeremonie teilnehmen solltest. Du könntest ein paar Menschenopfer mitbringen. Du sitzt doch hier direkt an der Quelle.“ Er leckte sich über die Lippen.

Ein Husten ertönte, Aruni und Lierd sahen zum Bücherregal. Die Katze würgte einen Fellball hoch. Er landete lautlos auf dem Teppich.

Lierd sah sie an. „Siehst du? Ihr gefällt es hier auch nicht. Wie lange willst du denn noch hier bleiben?“

Erneut schnaubte Aruni wütend und verschränkte die Arme. „Es gefällt ihr hier gut. Und mir auch. Wenn du mich nur wieder überreden willst, mitzukommen, kannst du sofort wieder gehen.“

Anstatt zu antworten, lachte Lierd. Er machte zwei Schritte auf Aruni zu und baute sich vor ihr auf wie ein Kater, der sein Revier verteidigt. „Willst du mir drohen?“

Leicht glühten Arunis Hörner auf, aber dann zuckte sie nur mit den Achseln und trat einen Schritt zurück.

Lierd grinste und ging an ihr vorbei. Dabei stieß er sie mit der Schulter an, dass fast ihre Bettdecke heruntergerutscht wäre. Er ging zum Feuer und ließ sich breitbeinig in einen der Ledersessel fallen.

Aruni zögerte. Dann entschied sie sich für die Bank am Fenster. In sicherer Entfernung setzte sie sich und beobachtete ihren ungebetenen Gast.

„Warum trägst du eigentlich eine Bettdecke?“, fragte Lierd schließlich, nachdem er eine Weile in die Flammen gestarrt hatte. „Ist das eine neue Menschenmode?“

Der sanfte Ton beunruhigte Aruni noch mehr. Seine Augen funkelten seltsam. Führte Lierd etwas im Schilde? Aber nein, es war bestimmt nur das Feuer.

„Ich habe geschlafen“, sagte sie kleinlaut.

„Du hast geschlafen?“ Lierd klang ehrlich erstaunt. „Du musst schlafen? Das wusste ich nicht. Wieso wusste ich das nicht? Seit wann?“