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BWL Bachelor Basics

Herausgegeben von Horst Peters

Peter C. Fischer

Die Prüfung im Wirtschaftsprivatrecht

Fälle und Fragen aus Theorie und Praxis

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-031564-8

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-031565-5

epub:   ISBN 978-3-17-031566-2

mobi:   ISBN 978-3-17-031567-9

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Geleitwort des Herausgebers

Das vorliegende Lehrbuch ist Teil der Lehrbuchreihe BWL Bachelor Basics. Dieses Buch sowie alle anderen Werke der Reihe folgen einem Konzept, das auf die Leserschaft – nämlich Studierende der Wirtschaftswissenschaften – passgenau zugeschnitten ist.

Ziel der Lehrbuchreihe BWL Bachelor Basics ist es, die zu erwerbenden Kompetenzen in einem wirtschaftswissenschaftlichen Bachelor-Studiengang wissenschaftlich anspruchsvoll, jedoch zugleich anwendungsorientiert und kompakt abzubilden. Dies bedeutet:

•  Ein hoher wissenschaftlicher Anspruch geht einher mit einem gehobenen Qualitätsanspruch an die Werke. Präzise Begriffsbildungen, klare Definitionen, Orientierung an dem aktuellen Stand der Wissenschaft seien hier nur beispielhaft erwähnt. Die Autoren sind ausgewiesene Wissenschaftler und Experten auf ihrem Gebiet. Die Reihe will sich damit bewusst abgrenzen von einschlägigen »Praktikerhandbüchern« zweifelhafter Qualität, die dem Leser vorgaukeln, Betriebswirtschaftslehre könnte man durch Abarbeiten von Checklisten erlernen.

•  Zu einer guten Theorie gehört auch die Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse, denn Wissenschaft sollte kein intellektueller Selbstzweck sein. Deshalb steht stets auch die Anwendungsorientierung im Fokus. Schließlich verfolgt der Studierende das Ziel, einen berufsqualifizierenden Abschluss zu erwerben. Die Bücher haben diese Maxime im Blick, weshalb jedes Buch neben dem Lehrtext u. a. auch Praxisbeispiele, Übungsaufgaben mit Lösungen sowie weiterführende Literaturhinweise enthält.

•  Zugleich tragen die Werke dem Wunsch des Studierenden Rechnung, die Lehr- und Lerninhalte kompakt darzustellen, Wichtiges zu betonen, weniger Wichtiges wegzulassen und sich dabei auch einer verständlichen Sprache zu bedienen. Der Seitenumfang und das Lesepensum werden dadurch überschaubar. So eignen sich die Bücher der Lehrbuchreihe Bachelor Basics auch hervorragend zum Selbststudium und werden ein wertvoller Begleiter der Lehrmodule sein.

Die Reihe umfasst die curricularen Inhalte eines wirtschaftswissenschaftlichen Bachelor-Studiums. Sie enthält zum einen die traditionellen volks- und betriebswirtschaftlichen Kernfächer, darüber hinaus jedoch auch Bücher aus angrenzenden Fächern sowie zu überfachlichen Kompetenzen. Um auf neue Themen und Entwicklungen reagieren zu können, wurde die Edition bewusst als offene Reihe konzipiert und die Zahl möglicher Bände nicht nach oben begrenzt.

Die Lehrbuchreihe Bachelor Basics richtet sich im Wesentlichen an Studierende der Wirtschaftswissenschaften an Hochschulen für angewandte Wissenschaften, an dualen Hochschulen, Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien und anderen Einrichtungen, die den Anspruch haben, Wirtschaftswissenschaften anwendungsorientiert und zugleich wissenschaftlich anspruchsvoll zu vermitteln. Angesprochen werden aber auch Fach- und Führungskräfte, die im Sinne der beruflichen und wissenschaftlichen Weiterbildung ihr Wissen erweitern oder auffrischen wollen. Als Herausgeber der Lehrbuchreihe möchte ich mich bei allen Autorinnen und Autoren bedanken, die sich für diese Reihe engagieren und einen Beitrag hierzu geleistet haben.

Ich würde mich sehr freuen, wenn das ambitionierte Vorhaben, wissenschaftliche Qualität mit Anwendungsorientierung und einer kompakten, leserfreundlichen und didaktisch an die Bachelor-Studierendenschaft abgestimmten Gestaltung zu kombinieren, dem Leser bei der Bewältigung des Bachelor-Lernstoffes hilfreich sein wird und es die Anerkennung und Beachtung erhält, die es meines Erachtens verdient.

 

Horst Peters

 

Autorenvorwort

Dieses Lehrbuch mit Fällen und Aufgaben zum Wirtschaftsprivatrecht (WPR) dient der Vorbereitung von Studierenden der Betriebswirtschaft auf die Klausuren im Wirtschaftsprivatrecht und zugleich der tatsächlichen Vorbereitung auf ihre künftige Berufspraxis.

Vor dem Hintergrund dieser doppelten Zielsetzung umfasst dieses Werk neben klassischen Zivilrechtsfällen, die im juristenüblichen Gutachtenstil gelöst werden (Teil A), auch neuartige Aufgabenstellungen, die die künftige Unternehmenspraxis von Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftlern lebensnah abbilden sollen (Teil B). Hinzu kommen einhundert Fragen zum Wirtschaftsprivatrecht, die sowohl das Klausur-Basiswissen zur Rechtsordnung und zum WPR (soweit möglich) als auch typische Praxisfragen umfassen (Teil C). Ergänzt werden diese Aufgaben und Lösungen durch Hinweise zu Multiple Choice Aufgaben (Teil D), zur Vertragsgestaltung (Teil E), zu juristischen Fragestellungen in der Thesis (Teil F) sowie durch eine Liste von Anregungen und Vorschlägen zur Klausurvorbereitung (Teil G). Dabei wurde ein modularer Ansatz gewählt, d. h. welche dieser Teile für die Leserin und den Leser in der konkreten Situation besonders relevant sind, sollten diese selbst entscheiden und für sie weniger relevante Kapitel oder Fragen (guten Gewissens) überspringen und eventuell zu einem späteren Zeitpunkt verwenden.

Zu Beginn meines Lehrbuchs zum Wirtschaftsprivatrecht hatte ich die wichtigsten Gründe für die Vermittlung von Rechtskenntnissen an Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler zusammengefasst: Wirtschaftliches Handeln ist nur im rechtlichen Rahmen nachhaltig erfolgreich (man kann insofern durchaus von einem Primat des Rechts sprechen), Betriebswirte müssen wissen, wann welche Rechtsexperten zu welchen Konditionen hinzugezogen werden müssen, und sie müssen über die Fähigkeit verfügen mit internen oder externen Rechtsexperten sachgerecht und kritisch zu kommunizieren. Bei der juristischen Fallbearbeitung wird zusätzlich noch eine besonders wichtige Kompetenz vermittelt: Die Fähigkeit Sachverhalte zu erfassen, nach einem bestimmten System strukturiert zu bearbeiten und die Lösung sprachlich überzeugend darzustellen.

Dieses Buch komplettiert mein Lehrbuch zum Wirtschaftsprivatrecht, lässt sich aber auch mit anderen Lehrbüchern und Lehrveranstaltungen kombinieren, insbesondere wenn eine tatsächliche Vorbereitung auf die Berufspraxis angestrebt wird. Vielleicht finden ja gerade die Aufgabenstellungen aus der Praxis auch das Interesse anderer Lehrender. Für Dozentinnen und Dozenten findet sich am Ende des Buchs eine Übersicht über die Inhalte und Zielsetzung der dargestellten Fälle und Praxisaufgaben.

Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei den Studierenden der Hochschule Düsseldorf für zahlreiche wertvolle Hinweise, dies gilt vor allem für Herrn Stefan Rüdiger sowie für Herrn Milan Schulze und Frau Isabell Hein. Außerdem bedanke ich mich bei Frau Sabrina Bressel für die engagierte Unterstützung bei der Fertigstellung dieses Fachbuches.

 

Düsseldorf, im November 2017

Peter C. Fischer

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Geleitwort des Herausgebers
  2. Vorwort
  3. Abkürzungsverzeichnis
  4. Teil A: Die juristische Fallbearbeitung im Gutachtenstil
  5. Einleitung
  6. 1. Erfassung von Sachverhalt und Aufgabenstellung
  7. 2. Identifizierung sämtlicher möglicher Anspruchsgrundlagen
  8. 3. Prüfung der Anspruchsgrundlagen (Subsumtion)
  9. 4. Ergebnis
  10. 5. Lösungsskizze
  11. 6. Niederschrift im Gutachtenstil
  12. 7. Anmerkungen zur juristischen Fachsprache
  13. 8. Es gibt nicht die eine richtige Lösung!
  14. 9. Klausurtaktik und Gegenprüfung
  15. 10. Der Umgang mit besonderen Problemsituationen in der Klausur
  16. Übungsfälle
  17. Fall 1: Unbesiegbare Minderjährige
  18. Fall 2: Der Schwarzkauf
  19. Fall 3: Der Untergang der Venus
  20. Fall 4: Immer Ärger mit dem Diesel
  21. Fall 5: Aber bitte ohne Rechnung
  22. Fall 6: Das durchtrennte Stromkabel
  23. Fall 7: Der abhandengekommene Opel
  24. Fall 8: Bürgschaft über den Tresen
  25. Fazit A: Zehn Empfehlungen für Ihre WPR-Klausur
  26. Teil B: Juristische Problemstellungen für die betriebswirtschaftliche Praxis
  27. Einleitung
  28. Praxisaufgaben
  29. Praxisaufgabe 1: Vier Gründer aus zwei Welten
  30. Praxisaufgabe 2: Postmappe mit Überraschungen
  31. Praxisaufgabe 3: Peaches kommt nach Deutschland
  32. Praxisaufgabe 4: Mit gebotener Sorgfalt
  33. Praxisaufgabe 5: Nichtstun ist keine Option!
  34. Praxisaufgabe 6: Freiheit vs. Gleichheit
  35. Fazit B: Zehn Empfehlungen für Berufspraxis und WPR-Praxisaufgaben
  36. Teil C: Grundlagen des Rechts und WPR in Fragen und Antworten
  37. Einleitung
  38. Fragen und Antworten
  39. 1. Methodenlehre
  40. 2. Europarecht
  41. 3. Verfassungsrecht
  42. 4. Internationales Privatrecht
  43. 5. Grundlagen des BGB
  44. 6. BGB Allgemeiner Teil
  45. 7. Schuldrecht Allgemeiner Teil
  46. 8. Schuldrecht Besonderer Teil
  47. 9. Sachenrecht
  48. 10. Handelsrecht
  49. 11. Gesellschaftsrecht
  50. 12. Unternehmenskäufe
  51. 13. Insolvenzrecht
  52. 14. Verfahrensrecht
  53. 15. Rechtspraxis
  54. Teil D: Multiple Choice-Fragen in der WPR-Prüfung
  55. Einleitung
  56. Übungsaufgaben
  57. Aufgabe 1: Tücken der Beurkundungspflicht
  58. Aufgabe 2: Richtig oder falsch?
  59. Aufgabe 3: Drohende Verjährung
  60. Aufgabe 4: Der richtige Kaufpreis
  61. Teil E: Sonderfall: Vertragsgestaltung aus dem WPR
  62. Einleitung
  63. Übungsaufgabe
  64. Teil F: Wirtschaftsprivatrecht in Thesis und Kolloquium
  65. WPR in der Thesis
  66. WPR im Kolloquium
  67. Teil G: Die Vorbereitungsphase: Effektives Lernen und erfolgreiches Studieren
  68. Anhang I: Großes Prüfungsschema
  69. Übersicht
  70. Details
  71. Anhang II: Wichtige Gerichtsentscheidungen für die WPR-Klausur und Praxis
  72. Anhang III: Informationen für Dozentinnen und Dozenten
  73. Literaturverzeichnis
  74. Stichwortregister

 

Abkürzungsverzeichnis

a. A.

anderer Ansicht

a.a.O.

an angegebenem Ort

a. E.

am Ende

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AG

Aktiengesellschaft

AGB

Allgemeine Geschäftsbedingungen

AGG

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

AktG

Aktiengesetz

Alt.

Alternative

Anm.

Anmerkung

AO

Abgabenordung

AR

Aufsichtsrat

Art.

Artikel

AT

Allgemeiner Teil

Aufl.

Auflage

BAG

Bundesarbeitsgericht

BeckRS

Beck online Rechtsprechung

Beschl.

Beschluss

BeurkG

Beurkundungsgesetz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungssammlung des BGH in Zivilsachen

BJR

Business Judgement Rule

BNotO

Bundesnotarordnung

BT

Besonderer Teil

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungssammlung des BVerfG

c.i.c.

culpa in contrahendo (Verschulden bei Vertragsschuss)

CISG

United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (auch UN-Kaufrecht oder Wiener Kaufrecht)

CMS

Compliance Management System

DCGK

Deutscher Corporate Governance Kodex

DD

Due Diligence

d. h.

das heißt

DSL

Drittschadensliquidation

eG

eingetragene Genossenschaft

EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

eKfm

eingetragener Kaufmann

EU

Europäische Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EUR

Euro

EV

Eigentumsvorbehalt

f. / ff.

folgende / fortfolgende

GbR

Gesellschaft bürgerlichen Rechts

geb.

geboren

gem.

gemäß

GenG

Genossenschaftsgesetz

GF

Geschäftsführer

GG

Grundgesetz

ggf.

gegebenenfalls

gGmbH

gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbH i.G.

Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Gründung

GmbH i.L.

Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Liquidation

GoA

Geschäftsführung ohne Auftrag

grds.

grundsätzlich

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

HGB

Handelsgesetzbuch

HK

Handelskammer

h. L.

herrschende Lehre

h. M.

herrschende Meinung

HR

Handelsregister

HV

Hauptversammlung

i. d. R.

in der Regel

i.G.

in Gründung

IHK

Industrie- und Handelskammer

i. H. v.

in Höhe von

inkl.

inklusive

insb.

insbesondere

InsO

Insolvenzordnung

IPO

Initial Public Offering (Börsengang)

IPR

Internationales Privatrecht

i. S. d.

im Sinne der / des

i. S. v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

JV

Joint Venture

JW

Juristische Wochenschrift

KG

Kommanditgesellschaft / Kammergericht (Berlin)

KGaA

Kommanditgesellschaft auf Aktien

KSchG

Kündigungsschutzgesetz

LG

Landgericht

LoI

Letter of Intent

LS

Leitsatz

MoU

Memorandum of Understanding

M&A

Mergers & Acquisitions

m.E.

meines Erachtens

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

NC

Numerus Clausus

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NZG

Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

OHG

Offene Handelsgesellschaft

OLG

Oberlandesgericht

OWiG

Ordnungswidrigkeitengesetz

PartG

Partnerschaftsgesellschaft

PartGG

Partnerschaftsgesellschaftsgesetz

PO

Prüfungsordnung

ProdHaftG

Produkthaftungsgesetz

Rd.

Randnummer

RG

Reichsgericht

RVG

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz

S.

Satz / Seite(n)

s.

siehe

SchwarzArbG

Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung

SE

Societas Europaea

s. o.

siehe oben

sog.

sogenannte

StBerG

Steuerberatergesetz

StGB

Strafgesetzbuch

str.

streitig

StVG

Straßenverkehrsgesetz

StVO

Straßenverkehrsordnung

s. u.

siehe unten

TOP

Tagesordnungspunkt

UG

Unternehmergesellschaft

UmwG

Umwandlungsgesetz

UStG

Umsatzsteuergesetz

UWG

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

VDD

Vendor Due Diligence

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

VOB

Vergabe- und Vertragsordnungen

VuR

Verbraucher und Recht (Zeitschrift)

WP

Wirtschaftsprüfer

WpHG

Wertpapierhandelsgesetz

WPR

Wirtschaftsprivatrecht

WpÜG

Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz

z. B.

zum Beispiel

 

Teil A: Die juristische Fallbearbeitung im Gutachtenstil

Einleitung

Studierende der Betriebswirtschaft fürchten sich oft vor der Anwendung des Gutachtenstils bei der juristischen Fallbearbeitung. Diese Furcht ist jedoch erfahrungsgemäß völlig unbegründet, denn der Gutachtenstil spiegelt nur den üblichen Denkvorgang wider, der bekanntlich auch nicht mit dem Ergebnis beginnt (das wäre der Urteilsstil), sondern an den Anfang eine Frage in konjunktivischem Stil stellt, diese dann systematisch-strukturiert prüft (Subsumtion), um am Ende zu einem Ergebnis zu gelangen (das ist der Gutachtenstil!).

 

Beispiel für die Darstellung im Gutachtenstil: »Anspruch V gegen K auf Zahlung von EUR …. aus § 433 II BGB: V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung von EUR … aus § 433 II BGB haben. Dies setzt einen Kaufvertrag voraus, der wiederum aus Angebot und Annahme (zwei Willenserklärungen, die miteinander korrespondieren müssen) besteht. Fraglich ist hier, ob…Somit liegt hier ein/kein Kaufvertrag vor. …. Ergebnis: V hat einen/keinen Anspruch gegen K auf Zahlung von…« Dies wäre eine Falllösung im Gutachtenstil. Falsch, weil eine Darstellung im Urteilsstil, wäre es dagegen wie folgt zu beginnen: »V hat keinen Anspruch gegen K, weil kein Kaufvertrag geschlossen wurde…. Ein Kaufvertrag wurde nicht geschlossen, weil…« Ebenfalls unrichtig wäre eine bloße Nacherzählung des Sachverhalts (dieser ist dem Leser bereits bekannt!) ohne juristische Würdigung oder – der umgekehrte Fehler – eine rein abstrakte rechtliche Darstellung ohne Berücksichtigung der Fakten: Entscheidend ist ja gerade die Verknüpfung des Sachverhalts mit dem Recht.

Praxishinweis: Der Gutachtenstil ist fester Bestandteil der deutschen Juristenausbildung, wird aber selbst von Juristen in der Praxis nicht wirklich eingesetzt und ist in anderen Jurisdiktionen, soweit ersichtlich, wenig verbreitet. Im Wirtschaftsprüferexamen wird auch in den Wirtschaftsrechtsklausuren kein Gutachtenstil verlangt. Der Urteilsstil wird, wie der Name bereits nahelegt, von Gerichten verwendet: Gerichte verkünden zunächst »Im Namen des Volkes« die Entscheidung (den sog. Tenor) und begründen diese Entscheidung anschließend.

Vielleicht hilft es auch, wenn man sich vor Augen führt, dass eine juristische Fallbearbeitung eher einer Mathematikaufgabe in Worten als einem Deutschaufsatz ähnelt, allerdings mit dem Unterschied, dass in der Jurisprudenz anders als in der Mathematik normative Entscheidungen vorzunehmen sind, daher gibt es (jedenfalls bislang) auch kein Computerprogramm, welches juristische Fälle wirklich lösen könnte. Sie werden schnell feststellen, dass eine Eingabe eines Falles auf Google Ihnen nicht die perfekte Musterlösung präsentieren wird (mögen auch die abstrakten rechtlichen Ausführungen etwa auf Wikipedia meist ein erstaunlich hohes Niveau haben).

 

Merke: In der juristischen Fallbearbeitung zählt die Qualität der Ausführungen und nicht die Quantität!

 

Die juristische Fallbearbeitung vollzieht sich im Wesentlichen in folgenden vier Schritten, die daher auch die Gliederung für die folgenden Seiten bildet:

Prüfungsschritte bei der Fallbearbeitung

1.  Klare Erfassung von Sachverhalt und Aufgabenstellung.

2.  Umsetzung der Aufgabenstellung mit Hilfe der Formel »Wer will was von wem woraus (woraus = Anspruchsgrundlage)?«

3.  Prüfung der identifizierten möglichen Anspruchsgrundlagen (Subsumtion) sowie etwaiger Einwendungen und Einreden.

4.  Feststellung des Ergebnisses.

Vertiefender Hinweis: Auch wenn Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler in ihrer Berufstätigkeit keine juristischen Fälle bearbeiten und lösen werden, so dient eine Beschäftigung mit der juristischen Fallbearbeitung durchaus der Vorbereitung auf die Berufspraxis eines Betriebswirtes, denn im Grunde geht es dabei wie bei einer Case Study in einem MBA-Programm darum, ein Problem zu erfassen, zu analysieren, zu einer vertretbaren Schlussfolgerung zu kommen sowie alles gut geordnet und möglichst klar darzustellen. Wer diese Schlüsselkompetenz beherrscht, ist gut auf eine qualifizierte berufliche Tätigkeit vorbereitet.

1.           Erfassung von Sachverhalt und Aufgabenstellung

So trivial es klingen mag, das richtige Erfassen des Sachverhalts und der Aufgabenstellung ist bereits die erste Hürde der Fallbearbeitung, bei der nicht wenige Bearbeiter straucheln. Dies gilt sowohl für die Klausurbearbeitung wie für die Praxis der Fallbearbeitung.

 

Die Faustformel lautet daher den Sachverhalt »mindestens 2x genau lesen«. Es empfiehlt sich dabei den Sachverhalt am Anfang einmal komplett zu lesen und nicht etwa nach dem zweiten Satz wieder an den Anfang zurückzukehren, weil z. B. nicht alles sofort erfasst wurde: Erst wenn man einmal den gesamten Sachverhalt gelesen hat, weiß man, worauf beim zweiten (und ggf. dritten) Lesen besonders zu achten ist. Das zutreffende Erfassen des Sachverhalts ist Teil der Klausur und keineswegs Zeitverschwendung.

 

Es empfiehlt sich nicht, zuerst – aus Neugier – die Aufgabenstellung (den Bearbeitervermerk) zu lesen, vielmehr sollte nach dem ersten Lesen nur des Sachverhalts ganz kurz eigenständig überlegt werden, mit welcher Aufgabenstellung wohl zu rechnen ist. Dies hat den Vorteil, dass man hier bereits die erste Selbstkontrolle hat: Stimmt die Aufgabenstellung mit der eigenen Erwartung nach dem ersten Lesen des Sachverhalts überein, scheint man auf dem richtigen Weg zu sein, wenn es hier dagegen signifikante Abweichungen gibt, erklären sich diese oft beim zweiten Lesen und wenn nicht, wird man dies zum Anlass nehmen müssen, noch einmal besonders gründlich nachzudenken.

 

Bei allem Zeitdruck in der Klausur: Panisches Losrennen in irgendeine Richtung führt regelmäßig ins Verderben. Hier gilt die Regel, die auch auf allen Notfallhinweisen zuerst steht: Ruhe bewahren! Dabei ist zu bedenken, dass – wie bereits erwähnt – in der Jurisprudenz Qualität wichtiger als Quantität ist und es besser ist, eine zumindest halbwegs vertretbare Falllösung wegen der knappen Zeit nur noch kurz zu Papier zu bringen, als sich durch langatmige und bestenfalls irrelevante oder schlimmstenfalls unzutreffende Aussagen um »Kopf und Kragen« zu schreiben.

 

Schon beim ersten Lesen sollte man im Text erste Unterstreichungen und Markierungen vornehmen, dies dient der intensiveren Auseinandersetzung mit dem Text (und kann überdies in der Klausur auch beruhigend wirken). Ideen zur Falllösung, die einem beim Lesen spontan kommen, sollte man sofort kurz stichwortartig an den Rand schreiben, damit man diese später nicht wieder vergisst (der erste Gedanke ist ja bekanntlich im Leben oft der richtige Gedanke).

 

Tauchen im Sachverhalt juristische Erklärungen wie etwa »daraufhin ficht A den Vertrag an« oder »B erklärt den Rücktritt« auf, dann sind diese sofort zu markieren und im Gutachten ist immer auf diese juristischen Aussagen einzugehen. Auch ein Richter muss und wird in seiner Urteilsbegründung immer auf derartige Erklärungen eingehen, egal wie abwegig und irrelevant sie im konkreten Fall sein mögen (und auch ein Richter wird in der Akte derartige Erklärungen sofort hervorheben). Besonders markieren sollte man auch juristische Angaben im Sachverhalt wie etwa »X handelte dabei grob fahrlässig«.

 

Bei komplizierteren Sachverhalten ist die Erstellung einer Skizze oder – wenn Daten offenbar eine Rolle spielen – die Erstellung einer Zeittafel notwendig. Da diese Arbeit Teil der Aufgabe ist, ist dies keine Verschwendung kostbarer Klausurzeit (ein Fehler bei der Sachverhaltserfassung ist im Laufe der Klausur kaum noch zu korrigieren und führt dazu, dass der Bearbeiter nur noch darauf hoffen kann, dass der Korrektor Gnade vor Recht ergehen lässt und die Arbeit als gerade noch bestanden bewertet). Bei sehr umfangreichen Sachverhalten mag es – im Gegensatz zu der obigen Regel – ausnahmsweise sinnvoll sein, zuerst den Bearbeitervermerk zu lesen, um bereits beim ersten Lesen zu wissen, worauf im Detail zu achten ist.

Praxishinweis: Übrigens wird man auch in der Praxis genauso verfahren (und wozu in der Lebenswirklichkeit ein Fehlverständnis beim Sachverhalt führt, bedarf sicher keiner näheren Erläuterung). Im Berufsleben mag es etwa bei der Übernahme von laufenden Projektakten sinnvoll sein, sich zunächst mit Hilfe des letzten Schrift- und E-Mailverkehrs Klarheit darüber zu verschaffen, worum es überhaupt (noch) geht (in einer Akte beginnt man mit dem Lesen also immer bei dem letzten Schriftsatz).

Ein Augenmerk sollte auch immer auf die Anfangsbuchstaben der handelnden Personen geworfen werden, oft enthalten diese bereits wertvolle Hinweise für die Falllösung: Ist dort von K (wie Käufer) und V (wie Verkäufer) die Rede, spricht dies für einen Kaufvertrag, steht dort U (wie Unternehmer) und B (wie Besteller) könnte dies einen Hinweis auf einen Werkvertrag enthalten. Häufig sind die Namen der handelnden Personen auch ein Anhaltspunkt für ihr Verhalten: »Anwalt Fuchs« schießt in den juristischen Fällen mit Vorliebe die »größten Böcke«. Nun gut, man muss diesen speziellen Juristenhumor ja nicht mögen, sollte ihn aber in der Klausur erkennen.

Vertiefender Hinweis: Man sollte dem Aufgabensteller nicht unterstellen, dass er gezielt eine bösartige Falle durch Verwendung irreführender Namen oder Abkürzungen einbaut. Die Jurisprudenz selbst ist bereits ein Minenfeld, so dass es für den Aufgabensteller gar nicht notwendig ist, künstlich zusätzlich Fallen in die Klausur zu installieren. Nun gut, ob dieser Hinweis zur allgemeinen Beruhigung beiträgt, sei dahin gestellt.

Der Sachverhalt sollte lebensnah interpretiert werden. Selbstverständlichkeiten werden in der Regel im Aufgabentext nicht erwähnt und können unterstellt werden, abwegige Verläufe des Sachverhalts sollten keinesfalls unterstellt werden. In juristischen Klausuren ist es – anders als im wahren Leben – eher unüblich, dass nicht relevante Tatsachen im Sachverhalt mitgeteilt werden, d. h. man sollte über die juristische Relevanz sämtlicher Sachverhaltsangaben nachdenken. Allerdings gilt auch hier die Regel: Die juristische Fallbearbeitung nicht wider besseren Wissens verbiegen nur um alle Sachverhaltselemente irgendwie unterzubringen.

 

Noch genauer als den Sachverhalt sollte man die Aufgabenstellung (oft als »Bearbeitervermerk« bezeichnet) lesen: Nur in Ausnahmefällen lautet dieser »Wie ist die Rechtslage?«, in der Regel wird klar vorgegeben, was zu prüfen ist, etwa »Hat V gegen K einen Anspruch auf Zahlung?«. Wichtig: Es ist immer nur die Frage im Bearbeitervermerk zu beantworten (so verfährt auch jeder Richter im Hinblick auf die in der Klage geltend gemachten Ansprüche), andere im Sachverhalt aufgeworfene Rechtsfragen sind dann meist inzident, also im Rahmen des ebenso schwierigen wie beliebten juristischen Schachtelaufbaus zu prüfen (oder in der Falllösung zu ignorieren, und ggf. hilfsweise darauf eingehen, s. u.).

 

Es ist zwingend notwendig sich den Problemen des Falles zu stellen, soll heißen: Die schlechteste Lösung ist die, die Probleme aus Angst vor Fehlern gar nicht erst anspricht – oder anders formuliert »verstecken gemäß der Vogel-Strauß-Politik gilt nicht«, der Klausurbearbeiter muss wie ein Fußballspieler dorthin gehen, »wo es weh tut« – dafür wird er belohnt werden, selbst wenn er am Ende mangels Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung oder Literatur eine völlig neue Mindermeinung kreiert hat (um es wohlwollend zu formulieren).

 

Sollte ein im Sachverhalt offenbar angesprochenes juristisches Problem in der eigenen Lösung keine Rolle spielen, sollte man dieses Problem vorsorglich hilfsweise kurz adressieren. Da einige Korrektoren meinen, dass es in einem Gutachten kein Hilfsgutachten geben kann, sollte man die hilfsweisen Ausführungen nicht unter die Überschrift »Hilfsgutachten« packen.

 

Im Gegensatz zu den juristischen Staatsexamen findet sich in den wirtschaftsrechtlichen Klausuren des Wirtschaftsprüferexamens immer der Hinweis, dass der Bearbeiter auf allgemeine Ausführungen ohne Bezug zum Sachverhalt tunlichst verzichten sollte. Auch wenn das in Ihrem Bearbeitervermerk nicht explizit stehen sollte, gilt dieser Grundsatz auch dort! Darstellungen zu Themen, die zwar richtig, aber absolut nicht relevant sind, wirken bestenfalls peinlich und trüben den Gesamteindruck der Klausur (und der ist trotz aller scheinbar objektiven Punktevergaben immer noch wichtig).

 

Sollte die Aufgabenstellung aus mehreren Fragen oder Abwandlungen bestehen, sollten diese unbedingt bereits vor der Bearbeitung der ersten Frage oder Abwandlung gelesen werden, da sich hieraus oft Rückschlüsse auf die Problemlösungen im Ausgangsfall ergeben. In Ausnahmefällen kann eine Abwandlung auch die Funktion haben, den Bearbeiter dahingehend zu testen, ob er sich bereits durch eine Zusatzfrage von seiner Lösung abbringen lässt. Generell gilt: Es ist besser konsequent eine eigene, wenn eventuell auch abwegige (oder gar in einzelnen Punkten fehlerhafte) Lösung zu vertreten als die Fahne in den Wind zu hängen und zusätzlich zu den ohnehin bereits gezeigten fachlichen Defiziten auch noch inkonsequent wie ein Wendehals zu argumentieren.

Praxishinweis: Auch in möglichen schwierigen Situationen im Berufsalltag wird es im Zweifel besser sein, die eigene Position konsequent zu vertreten als opportunistisch hin und her zu springen.

2.           Identifizierung sämtlicher möglicher Anspruchsgrundlagen

Nachdem der Sachverhalt dem Bearbeiter geradezu plastisch vor Augen steht und die Aufgabenstellung klar erfasst wurde, kommt der meist schwierigste Teil der Fallbearbeitung. Der Bearbeiter muss mit Hilfe der Schlüsselfrage

»Wer will was von wem woraus

den Bearbeitervermerk in eine konkrete Prüfungsfrage und Überschrift im Gutachten übersetzen. Dabei wird der erste Teil der Frage »wer will was von wem« meist schon explizit im Bearbeitervermerk stehen, so dass hier eine einfache Übernahme möglich ist.

 

Beispiel: Viele Fragestellungen in juristischen Klausuren lauten etwa »Hat A gegen B einen Anspruch auf Zahlung von EUR…...«, so dass der Bearbeiter »nur« noch das »Woraus«, also die Anspruchsgrundlage identifizieren und ergänzen muss (und das Ganze noch konjunktivisch umformulieren sollte).

 

Dann kommt der schwierigste und wichtigste Teil der Falllösung: Die Bestimmung des »woraus«, also die Aufsuchung der möglichen Anspruchsgrundlage(n). Unter Anspruch versteht der Gesetzgeber »das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen« (so die Legaldefinition in § 194 I BGB). Eine Anspruchsgrundlage ist meist ein Paragraph (z. B. § 433 II BGB bei dem Primäranspruch auf Zahlung des Kaufpreises) oder eine Paragraphenkette (z. B. § 280 I, II i.V.m. § 286 I BGB beim Schuldnerverzug), aber manchmal auch ein von den Gerichten z. B. im Wege der Analogie entwickelter Rechtsgrundsatz (seit der Schuldrechtsreform 2002 finden diese sich allerdings seltener, da der Gesetzgeber viele dieses zu Gewohnheitsrecht erstarkten Richterrechts in das BGB aufgenommen hat), welcher in seiner Rechtsfolge das vorsieht, was die Partei will, d. h. bei der Suche nach einer passenden Anspruchsgrundlage konzentriert sich der Blick auf die Rechtsfolgenseite einer Norm, auf der das steht »was« der Anspruchssteller will (also etwa die Übereignung der Kaufsache, dann wäre insbesondere § 433 I BGB einschlägig oder Schadensersatz, dann käme z. B. § 280 I BGB oder § 823 I BGB in Betracht). Dabei sollten alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zunächst identifiziert und dann in folgender Reihenfolge geprüft werden (das Schema enthält die wichtigsten Anspruchsgrundlagen für die WPR-Klausur, ist aber nicht abschließend) (vgl. z. B. Brox/Walker, BGB AT, Rd. 854).

Wichtige Anspruchsgrundlagen des BGB Übersicht und Prüfungsreihenfolge

 

1. Ansprüche aus Vertrag
1.1 (Primäre) Erfüllungsansprüche (z. B. §§ 433 I/II, 535 I/II, 611 I, 611a I/II, 631 I oder 765 BGB)
1.2 (Sekundäre) Schadensersatzansprüche (insb. §§ 280 ff. BGB)

2. Vertragsähnliche/Quasivertragliche Ansprüche
2.1 Culpa in Contrahendo (§ 280 I i.V.m. §§ 241 II, 311 II/III BGB)
2.2 Vertrauensschadenersatz bei Anfechtung (§ 122 BGB)
2.3 Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht (§ 179 BGB)
2.4 Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683, 670 BGB)

3. Dingliche Ansprüche
3.1 Herausgabeansprüche des Eigentümers (§§ 985, 986 BGB)
3.2 Herausgabeansprüche des Besitzers (§§ 861 ff. BGB)
3.2 Unterlassungsansprüche (§ 1004 BGB, ggf. analog)

4. Deliktische Ansprüche
4.1 Generalklausel bei Verletzung absoluter Rechte (§ 823 I BGB)
4.2 Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 II BGB i.V.m. Schutzgesetz)
4.3 Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB)
4.4 Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB)
4.5 Gefährdungshaftung in Spezialgesetzen wie dem Produkthaftungsgesetz (§ 1 ProdHaftG)

5. Bereicherungsrechtliche Ansprüche
5.1 Leistungskondiktion (§ 812 I S. 1 Alt. 1 BGB; in Ausnahmefällen ggf. § 812 I S. 2 Alt. 1 und Alt. 2 BGB; Spezialfall § 817 S. 1 BGB)
5.2 Nicht-Leistungskondiktion/Eingriffskondiktion (§ 812 I S. 1 Alt. 2 BGB)
5.3 Sondertatbestände (§§ 816 I/II, 822 BGB)

Internationaler Aspekt: Weist der Sachverhalt auch Bezüge zu anderen Jurisdiktionen auf, ist zunächst mit Hilfe des sog. Internationalen Privatrechts (IPR) zu klären, ob überhaupt deutsches Recht Anwendung findet (vgl. hierzu Art. 3 EGBGB und insb. die Rom I-VO, die Rom II-VO sowie das UN-Kaufrecht). Diese Frage wird jedoch in den meisten WPR-Veranstaltungen keine Rolle spielen und soll daher hier nicht weiter vertieft werden.

Vertiefender Hinweis: Vor der Anwendung einer Norm sollte auch kurz über die Frage der persönlichen und sachlichen Anwendbarkeit der Norm nachgedacht und ggf. geprüft werden. Problematisch kann auch die zeitliche Anwendbarkeit einer Norm sein, vor allem bei erst kürzlich in Kraft getretenen Gesetzen. Antworten auf die Frage der zeitlichen Anwendbarkeit finden sich oft in Übergangsbestimmungen (sog. intertemporäre Kollisionsnormen) von Gesetzen, allerdings dürfte diese Problematik der zeitlichen Anwendbarkeit sich eher in der Praxis und kaum in einer WPR-Klausur stellen.

Der Grund für den Beginn der Prüfung mit den vertraglichen Ansprüchen ist, dass vertragliche Vereinbarungen regelmäßig gesetzlichen Regelungen vorgehen (dies ist Ausfluss der Vertragsfreiheit) und daher zunächst zu klären ist, welche (wirksamen) vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zu beachten sind. Dingliche Ansprüche wiederum sind weitreichender als bereicherungsrechtliche Ansprüche und daher vorrangig zu prüfen. Alle genannten Ansprüche können nebeneinander bestehen, es besteht insoweit Anspruchskonkurrenz. Insbesondere können deliktische Ansprüche neben vertraglichen Ansprüchen bestehen.

 

Internationale Aspekte: Dass deliktische Ansprüche neben vertraglichen Ansprüchen bestehen können, ist nicht selbstverständlich. So verdrängen z. B. im französischen Recht vertragliche Ansprüche grundsätzlich deliktische Ansprüche. Das deutsche Recht löst die Problematik des Vorrangs der Vertragsfreiheit dadurch, dass deliktische Ansprüche durch den Vertrag modifiziert werden können.

 

Soweit im Bearbeitervermerk verschiedene Forderungen alternativ genannt werden (»A will Herausgabe von XY oder zumindest Schadensersatz«) wird man dies auf zwei Prüfungsfragen aufteilen und mit dem Primäranspruch (z. B. auf die Kaufsache) beginnen, bevor Sekundäransprüche (Schadensersatz) geprüft werden. Die Aufgabenstellung wird diese Prüfungsreihenfolge meist ohnehin nahelegen.

 

Soweit Ansprüche gegen verschiedene Personen (z. B. Ansprüche gegen den Vertretenen A oder dessen Vertreter B) in Betracht kommen, muss auch hier die Aufgabe in zwei oder mehrere Prüfungen unterteilt werden (im Beispiel sollten also zunächst Ansprüche gegen den Vertretenen und dann erst gegen den Vertreter geprüft werden). Die Reihenfolge der Prüfung darf zwar nichts an dem Endergebnis ändern, trägt aber dazu bei, unnötige Schachtelprüfungen zu vermeiden (mögen Juristen ansonsten auch eine Schwäche für derartige Schachtelprüfungen haben).

 

Merke: Bei mehreren Anspruchszielen, mehreren Anspruchsgegnern oder auch mehreren Anspruchsinhabern immer alle Varianten einzeln prüfen, d. h. Anspruch für Anspruch und Person für Person vorgehen. Während es bei den Anspruchsgrundlagen eine vorgegebene Reihenfolge gibt, ist dies bei den Personen in der Regel nicht zwingend vorgegeben, aber oft macht es Sinn zunächst die Ansprüche zu prüfen, die im Ergebnis verneint werden, denn hierdurch werden nachfolgende Prüfungen etwas entschlackt.

Vertiefender Hinweis: Eine beliebte Klausurvariante ist es, einen möglichen Anspruchsinhaber »versterben zu lassen«. Dann wird vom Bearbeiter meist nur erwartet, dass er erkennt, dass der Erbe oder bei mehreren Erben die Erbengemeinschaft aufgrund Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB) Inhaber des Anspruchs geworden ist. Sollte man mit einer solchen »Rahmen-Aufgabenstellung« nichts anfangen können, dann sollte man diese Einkleidung einfach komplett ignorieren und die gestellte Hauptproblematik diskutieren, um die Klausur zumindest noch zu einem durchschnittlichen Ergebnis zu führen (oft werden für das Erkennen des Rahmen-Problems wie z. B. des § 1922 BGB ohnehin nur wenige Punkte vergeben, so dass dieser Mangel der Bearbeitung vor allem eine negative psychologische Wirkung auf den Bearbeiter hat).

Noch eine Warnung: Vor allem unerfahrene Bearbeiter verwenden gerne das Stichwortregister ihrer Gesetzessammlung (im Juristenslang gerne auch als »Idiotenwiese« tituliert), um Anspruchsgrundlagen und andere Rechtsnormen zu finden. Dies ist ein ebenso legitimes wie gefährliches Mittel, da hier die Gefahr besteht, dass komplett unpassende Paragraphen zur Anwendung gelangen. Fairerweise sei angemerkt, dass in der Praxis auch erfahrene Juristen mit dem Stichwortregister arbeiten, diese erkennen aber auch sofort völlig abwegige Verweise als solche. Rechtsvergleichend sei angemerkt, dass es in der Common Law Jurisdiktion USA absolut üblich ist mit Stichworten (in digitalen Datenbanken) zu arbeiten.

3.           Prüfung der Anspruchsgrundlagen (Subsumtion)

Der nächste Schritt der Falllösung besteht darin, dass man prüft, ob sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage (Obersatz) von dem vorgegebenen Sachverhalt erfüllt werden, d. h. man zieht die Tatsachen des Sachverhalts quasi unter die Tatbestandsseite der Rechtsnorm und prüft sehr präzise, ob sämtliche Tatbestandsmerkmale der Rechtsnorm durch den Sachverhalt abgedeckt werden. Ist dies der Fall, kommt die Rechtsfolge der geprüften Norm zur Anwendung, es gilt also die Wenn-Dann-Regel: Wenn dieser Tatbestand der fraglichen Rechtsnorm insgesamt durch den gegebenen Sachverhalt erfüllt wird, dann gilt die in dieser Rechtsnorm vorgesehene Rechtsfolge (vorbehaltlich dem Eingreifen anderer Rechtsnormen). Im Rahmen dieser Prüfung wird es erforderlich sein, einzelne Tatbestandsmerkmale zunächst einmal zu definieren, bevor ein Abgleich mit dem Sachverhalt erfolgt. Diesen gesamten Prüfungsvorgang bezeichnen Juristen als Subsumtion.

 

Beispiel: Macht ein Anspruchsteller Erfüllungsansprüche aus einem möglichen Kauf geltend, ist zu prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 433 I BGB (Anspruchsgrundlage) erfüllt sind. Tatbestandliche Voraussetzung des § 433 I BGB ist das Vorliegen eines Kaufvertrags (s. Wortlaut des § 433 I BGB). Dann ist zu definieren, woraus ein Kaufvertrag besteht, nämlich aus Angebot und Annahme, zwei Willenserklärungen, die miteinander korrespondieren müssen. Nun ist zu klären, ob diese bei dem fraglichen Sachverhalt vorliegen.

 

Bei dieser Prüfung ist unbedingt der vorgegebene Sachverhalt so zu akzeptieren wie er in der Klausur geschildert wird. Hiergegen verstoßen Anfänger gerne. Die Frage, ob dieser Sachverhalt so vor Gericht bewiesen werden könnte oder nicht, spielt für die Klausurlösung keinerlei Rolle! Ein weiterer beliebter Anfängerfehler besteht darin, den Sachverhalt zu verdrehen oder in extremer Weise auszulegen. Dies sollte man tunlichst vermeiden und stattdessen mit Augenmaß ein lebensnahes Verständnis des Sachverhalts zeigen. Wenn der Sachverhalt keine Angaben enthält, ist entsprechend der Beweislastregeln zu entscheiden, d. h. je nachdem ob der Anspruchssteller oder der Anspruchsgegner sich auf eine Norm beruft und damit die Beweislast trägt, ist bei fehlenden Sachverhaltsangaben zu entscheiden.

 

Beispiel: Lässt der Klausursachverhalt bei einem Anspruch aus § 280 I BGB offen, ob ein Verschulden des Schuldners vorliegt oder nicht, dann wird entsprechend der Beweislastumkehr in § 280 I S. 2 BGB das Verschulden vermutet.

 

Führt die Subsumtion zu dem Ergebnis, dass sämtliche Tatbestandsmerkmale der Anspruchsgrundlage erfüllt sind (»Anspruch entstanden«), dann sind etwaige in Betracht kommende Gegenrechte wie Einwendungen (vernichten den Anspruch und sind von Amts wegen von den Gerichten zu beachten, wie beispielsweise die Erfüllung gem. § 362 I BGB) und Einreden (begründen Leistungsverweigerungsrechte, die geltend gemacht werden müssen, wie beispielsweise die Einrede der Verjährung gem. § 214 I BGB, daher auch die Bezeichnung »-rede«) zu prüfen. Dies führt bei der Prüfung innerhalb der jeweiligen Anspruchsgrundlage zu folgendem Schema:

a)    Anspruch entstanden?

b)    Anspruch erloschen (Prüfung von möglichen Einwendungen)?

c)    Anspruch durchsetzbar (Prüfung von möglichen Einreden)?

Vertiefender Hinweis: An dieser Stelle noch ein kleiner Exkurs, der vielleicht auch zum Gesamtverständnis der Rechtswissenschaften beiträgt. In WPR-Klausuren wird regelmäßig »nur« die materielle Rechtslage geprüft, d. h. prozessuale Fragen spielen keine Rolle. Sollte dies doch einmal der Fall sein oder in der Praxis wie üblich bei der Einlegung eines Rechtsmittels wie Berufung, Revision oder Verfassungsbeschwerde relevant werden, dann ist vor der oben dargestellten materiellen Rechtslage (der Begründetheit eines Anspruchs) die prozessuale Zulässigkeit z. B. eines eingelegten Rechtsmittels zu prüfen. Für die Zulässigkeitsprüfung eines Rechtsmittels gilt regelmäßig folgendes Grundschema: (1) Statthaftigkeit des Rechtsmittels; (2) Einhaltung der prozessual vorgeschriebenen Form für das Rechtsmittel (insb. Schriftform und Postulationsfähigkeit, d. h. die Einlegung kann nur durch einen Rechtsanwalt erfolgen); (3) Einhaltung einer etwaigen Frist; (4) Beschwer