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Großmutters Weihnachtsgeschichten

Hrsg. C. Erpenbeck

Drei Kurzgeschichten


Weihnachten an der Linie

Dora Schlatter (1855-1915)


Der Stern in der Mitte

Paula Dehmel (1862-1918)


Des greisen Lehmanns Weihnachtsfest

Hubertus-Kraft Graf Strachwitz (1870-1957)



Alte-Buecher

Machandel Verlag

Cover: C.Erpenbeck

Haselünne

2017

ISBN 978-3-95959-088-4

Des greisen Lehmanns Weihnachtsfest

Hubertus-Kraft Graf Strachwitz (1870-1957)

Glocken

Lehmann“, warnte der Pfarrer des eine gute Wegstunde entfernten Kirchdorfes. „Ihr kommt mir morgen nicht zur Christnacht hinauf. Ihr müßt es mir versprechen.“

Er dämmerte durch die mit Moos gerahmten verfrorenen Scheiben in den schneekalten Dezembernachmittag hinaus, warf sich dann ruckähnlich den weitwamsigen Pelzmantel über und drückte den greisen Bauer, der sich an seinem knorrigen Stecken mühselig erheben wollte, wieder in die warmen Polster des Ofenpfühls hinunter: „Bleibt in Gottes Namen hier am Ofen, heute und morgen, Ihr versprecht es mir.“

„Nein, Hochwürdiger“, zitterte der Greis hervor, „verlangt nicht ein solches zuwidriges Versprechen von mir. Seit mehr als vierzig Jahren war ich dabei, ob in des Herrgottes Frühe oder in der Mitternachtsstunde. Wenn ich nur einen Schlitten hätte.“

„Niemand wird Euch fahren“, rief eine feste Frauenstimme vom brodelnden Küchenherd herüber, „keiner wird bei den Pferden draußen bleiben wollen und auf Euch warten.“ „Oh – der Nanderl wird’s schon tuen,ein braver Bursch´.“

„Lehmann, ob es Gottes Wille ist, mit beinahe achtzig Jahren in die kalte Winternacht hinauszufahren“, versuchte es noch einmal der Hochwürdige, seine starke gesunde Hand zwischen die Knochenfinger des Greises schiebend. „Und ob“, war die hartnäckige Antwort, „wenn ich nur einen Schlitten hätte.“

Der Pfarrer schied, warf Rosa, der jungen Bäuerin, einen Blick voll weisen Ermahnens zu. Sie nickte in dem Rücken des großväterlichen Stuhles mehrmals mit dem krausgelockten und dickbezopften Kopf; ich weiß schon, ich lasse ihn nicht. Schwer flog die klobige Tür in das Schloß, der Greis duckte sich zusammen, die weißen Locken verschalten sich in die Tiefen des gequetschten Polsters. Er ächzte, hob dann die rotgeränderten verblaßten Augen nach dem Gekreuzigten in der Eckkante hinüber: „Ich komme – der Nanderl wird mich schon fahren.“