Analog trifft digital

Während Familie Fuchs dafür sorgt, dass ihre Kinder digitale Lieblingswelten auch in ihrer analogen Präsenz erleben, sind Ellas Kinder unterwegs: auf der Gamescom, wo sie YouTuber treffen und Spielehersteller real erleben. Was ist Medienkompetenz? Wir lesen bei Soziologen darüber, ob unsere Kinder vor ihren Computern vereinsamen. Sind virtuelle Freunde echte Freunde? Kreative Momente ersetzen die Totalentspannung beim Daddeln: Wir basteln an der Hardware und testen Programmierexperimente und Rezepte. Digitale Förderung heißt das eine Stichwort,
analoge Herausforderung das andere.

NEUE IDOLE

Ich habe es ja zunächst nicht geglaubt, aber mit YouTube-Stars verhält es sich nicht anders als mit Fußballgöttern, Hollywoodgrößen und Popstars. Der Teeniefan möchte sie irgendwann einmal leibhaftig erleben. So im wahren Leben. Genauso wie Maxi davon träumt, mal Ronaldo mit dem FC Barcelona im Stadion spielen zu sehen, denkt Alex inzwischen darüber nach, wie diese YouTuber wohl »in echt« so sind. Obwohl er jeden Tag die Gelegenheit hat, sie per Zoom am Bildschirm näher zu sehen, als das live auf irgendwelchen Bühnen und Events jemals möglich sein wird. Der Wunsch jedenfalls ist da.

YOUTUBER »IN ECHT«

Wo aber trifft man YouTuber, wenn nicht im Internet? YouTuber ist ja nicht gleich YouTuber, habe ich mich belehren lassen. Wir reden hier nicht von egal wem, der irgendwelche Filme bei YouTube hochlädt, davon hat jeder Jugendliche mehrere Leute in der Klasse, sondern es geht um echte Stars, die soundsoviele Tausend Follower oder Abonnenten und Wasweißichnichtalles haben. Da mag durchaus der eine oder andere dabei sein, der filmt, wie er bei Minecraft Klötzchen schichtet, was ich ziemlich nerdig finde. Ich wünschte mir, mein Sohn erkennt, dass Internetstars auch nur mit Wasser kochen – oder er entdeckt, was genau das Genie dieser Leute ausmacht. Wer weiß?

Die Gelegenheit ergibt sich wie von selbst, kaum dass wir darüber reden, denn zufällig wird bald darauf der alljährliche Webvideopreis verliehen, eine Art Internet-Oscar. Alex hat sich als Autor der Schülerzeitung angemeldet, mein Mann Stefan hat sich ebenfalls eine Karte für das Event organisiert.

Alex musste dann feststellen, dass er nicht der Einzige mit diesem Wunsch ist, YouTuber leibhaftig zu erleben. Da waren Hunderte, Tausende! von Teenies, die sich bereits Stunden vor der Veranstaltung entlang eines Absperrbandes drängelten, um ihre Stars zu sehen. Ich möchte nur mal ganz kurz festhalten, dass es hier nicht um Supersportler geht oder um Film- oder Bühnenschauspieler oder Menschen, die irgendwas besonders super können. Wir reden von Menschen, die wie bei Bibis Beauty Palace davon leben, dass sie nicht anders sind als ihre Zuschauer. Oder dass da ein Typ Matheregeln singt. Ja, Matheregeln. Und ja, er singt. Ein anderer rappt Rechenwege. Je absurder die Idee, desto öfter wird sie angeklickt.

Stars und Sternchen

Die Preisverleihung war, so berichtete Stefan, vom Niveau her eher im Bereich Laientheater anzusiedeln. Er ist regelmäßig auf hochprofessionellen Kongressen unterwegs und war angesichts der Präsentation hier der Ansicht, mit den vielen Versprechern und dem nervösen Gehampel auf der Bühne hätte er »Fremdschämen für Anfänger« gebucht. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass es da wohl ein gewisses Gefälle gab. Es gab Let’s-Player, die nicht alle hundertprozentig eloquent waren, ein paar überspannte Videobloggerinnen mit beeindruckend langen Fingernägeln, aber eben zum Glück auch Menschen wie Marty ­Fischer, der Beiträge mit höherem Niveau produziert. So einer ist dann auch durchaus in der Lage, sich vernünftig auszudrücken. Und – das hat Alex nachhaltig beeindruckt – er war nicht arrogant, sondern hat mit dem 15-jährigen Schülerzeitungsredakteur geredet wie mit seinesgleichen, als Alex nach dem Programm noch in die Mixed Zone durfte, wo sich Stars und Pressevertreter trafen. Klar, dass er die Chance genutzt hat.

Bei ihm hat die direkte Begegnung mit den YouTubern dazu geführt, dass er noch kritischer als zuvor schon auswählt, was er schaut. Diejenigen, die auf der Bühne nicht überzeugend waren, boykottiert er seitdem gnadenlos. Wer aber den Leibhaftigkeitstest bestanden hat, von dem wird alles angeguckt. Genauso gnadenlos. Selbst älteste Kamellen, das Internet vergisst ja bekanntlich nichts.

Die Quantität seines YouTube-Konsums ist nach dem Event nicht gesunken, er guckt genauso viele Webvideos wie vorher auch. Aber er filtert jetzt genauer und sucht sich die Videos stärker nach Qualität aus. Meistens.

DIE WEIBLICHE PERSPEKTIVE

Eines schönen Tages erhielt ich, Katrin, einen Anruf meiner Freundin Connie aus Berlin. Sie kündigte ihren Besuch bei uns an und würde auch ihre Tochter mitbringen. Schöne Idee, fand ich, denn Emma ist ziemlich genauso alt wie Maxi. Als Kleinkinder haben sie sich super vertragen. Ich war gespannt, wie das mit 14 funktionieren würde.

Wir mussten feststellen, dass Emma leider nicht viel Zeit für uns hatte. Das Mädchen hatte sich für die Convention der amerikanischen TV-Serie Pretty Little Liars angemeldet, die gar nicht weit von dort, wo wir wohnen, stattfand. Vor dem Veranstaltungshotel wartete eine unglaubliche Menschenmenge. Sie bestand nur aus Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren und ihren begleitenden Müttern. Eine schnatternde, aufgeregt kichernde und überaus erwartungsvoll herumtrippelnde Meute zwängte sich hinein. Für den jungen Mann an der Rezeption sah das offen­sichtlich nach dem blanken Horror aus.

Die Mädchen waren aus ganz Deutschland und auch aus Holland herbeigereist, um ihre Stars zu sehen – und hatten für die Tickets ziemlich viel Geld bezahlt. Emma hatte einen beträchtlichen Teil ihres Konfirmationsgelds investiert! Was würde sie dafür bekommen? Ich war neugierig, aber auf ihren Bericht am Abend angewiesen, denn ich persönlich hatte keine Lust, ein paar Hundert Euro für eine Eintrittskarte zu bezahlen.

Emma war total erledigt, als sie am Abend bei uns in der Küche saß. Vor allem davon, dass sie so viel, so lange und so oft hatte warten müssen. Den ganzen Tag über war es nur darum gegangen, bei einem sogenannten Meet and Greet den Seriendarstellern einzeln die Hand zu schütteln, Guten Tag zu sagen und davon ein Foto gemacht zu bekommen. Nicht nur die Darsteller, auch Emma und alle anderen Mädels mussten also den lieben langen Tag über immer wieder checken, ob der Lippenstift noch saß und die Frisur hielt. Vor den Klos waren dann auch ständig Schlangen gewesen. Noch mehr Warterei!

Der schönste Tag in ihrem Leben

Zur Abwechslung hatte irgendjemand auf einer Art Bühne eine Art Interview gegeben. Mehr nicht? Den ganzen Tag von morgens um zehn bis abends um acht? Für diesen Preis? Ich war entsetzt. Emma war komplett gechillt. So wär das eben, meinte sie. Und außerdem hätte sie ja jetzt die hier. Sie holte stolzgeschwellt mehrere großformatige Fotos aus ihrer Tasche. Maxi riskierte einen Blick darauf und murmelte »Ach du Scheiße!«. Eine aufgetakelte Emma und eine komplett durchgestylte Schauspielerin waren gar nicht sein Geschmack. Alex versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, und dozierte über das Champions-League-Spiel vom vorangegangenen Mittwoch.

Ich setzte mich als höfliche Gastgeberin zu Emma und Connie und bewunderte ihre Fotos. Alle zeigten Emma mit jeweils einem Serienstar. Sowohl sie wie auch der jeweilige Star immer in bestimmten affektierten Posen, und zwar Frauen wie Männer. Aber professionell ausgeleuchtet und technisch perfekt waren die Fotos, da konnte man nichts sagen.

Am Ende des Wochenendes stellte ich mir und Connie folgende Frage: Was hat’s gebracht? Denkt Emma nun anders über ihre Stars, über die Serie oder gar die Industrie, die dahintersteht? Die Antwort lautete: Eher nein. Im Gegenteil. Emma fühlt sich ihrer Serie mehr denn je verbunden. Und bei ihren Freundinnen kann sie jetzt richtig auftrumpfen, ein bisschen Glanz von der Serie ist auf sie übergegangen. Jetzt, wo sie ihre Stars leibhaftig kennengelernt hat ...

Fan-Bonding par excellence

Emma war ihren Heldinnen verfallen. Ich hätte ja gedacht, ihr wäre aufgegangen, dass das Ganze eine Pappmachéveranstaltung gewesen ist, eine Marketingaktion, um möglichst viel Merchandisingkrempel zu verkaufen und Fans noch enger an das Produkt, also die Serie, zu binden. Nicht einmal das ewige Warten an diesem Wochenende hat sie nachhaltig gestört. Kaum ausgeruht, hatte sie das schon unter »rituelle Handlungen« verbucht. Und sie hat neue Freundinnen aus dem gesamten Bundesgebiet gefunden, mit denen sie den neuesten Serienklatsch diskutiert – und sich schon für die Convention im nächsten Jahr anmelden will. Denn solche Serien fordern vom Fan natürlich, dass er in entsprechenden Chatforen unterwegs ist und via Instagram und Facebook jede noch so winzige Neuigkeit bemerkt, kommentiert und teilt.

STICHWORT: MEDIENKOMPETENZ?

Zwei Jugendliche, zwei unterschiedliche Erfahrungen. Und dennoch hat sich mengenmäßig am Medienkonsum nichts geändert. Alex selektiert stärker, Emma auch. Sie lehnt nämlich andere Serien mittlerweile komplett ab. Beide aber lassen sich vom Sog der digitalen Geräte anlocken wie Fruchtfliegen von Orangensaft. Ist ihnen deswegen die Medienkompetenz in die Wiege gelegt? Nee, eher nicht.
Denn der selbstverständliche Umgang mit PC, Tablet und Smartphone ist bestenfalls eine Gerätenavigationskompetenz. Man findet sich halt auf dem Ding zurecht und kann flott die richtige Anwendung finden.

Was genau bedeutet das? Man denkt ja, dass das so kompliziert nicht sein kann und überhaupt doch ganz logisch ist, gewissermaßen »kinderleicht«. Meinen Kindern habe ich es mit einem Besuch in der Stadtbücherei veranschaulicht, Bücher sind ja immerhin auch Medien. Man steht dann also als neunjähriger Grundschüler nachmittags um drei in der Stadtbücherei und soll etwas herausfinden über, sagen wir beispielsweise, die Ernährung von Blauwalen. Wo anfangen? Man fragt die Bibliothekarin, die wir hier als Suchmaschine benutzen (tut mir leid, politisch nicht ganz korrekt … ). Die hat nicht viel Zeit, deutet in mehrere Richtungen, sagt: »Da vielleicht oder auch dort und ganz dahinten steht auch noch ein Buch mit einem Wal drauf, habe ich eben gesehen.« Man holt sich alles auf einen Tisch und dann hat man vielleicht zwanzig Bücher da liegen.

So. Und hier fängt dann die Medienkompetenz an: Wie unterscheide ich jetzt brauchbare von weniger brauchbaren Informationen, wichtige von unwichtigen?

WAS BEDEUTET MEDIENKOMPETENZ?

Medienkompetenz bedeutet: sinnvoller Umgang mit Medien. Und der beinhaltet gemäß der BZgA Folgendes:

  • IMG8 für sich selbst Sinnvolles und Interessantes aus dem großen Medienangebot auszuwählen, statt wahllos zu konsumieren,
  • IMG9 die Inhalte einzuordnen und zu verarbeiten,
  • IMG10 Medienangebote und Werbung kritisch zu beurteilen,
  • IMG11 Medienbotschaften zu hinterfragen und sich nicht von der Anziehungskraft von Medienklischees einfangen zu lassen,
  • IMG12 Medien auch dazu zu nutzen, kreativ zu sein und sich mit anderen auszutauschen.

BRAUCHBAR ODER UNBRAUCHBAR?

Fachliteratur für Biologieprofessoren oder Bilderbuch? Ein Roman mit einem Wal auf dem Titelbild? In der Stadtbücherei wird jedem klar, wie diese Medienkompetenz aussieht. Im Internet funktioniert es exakt genauso. Bloß sieht halt in der Suchmaschine auf den ersten Blick alles gleich aus. Da fällt das Unterscheiden schwerer und auch Zusammengestümpertes erscheint einem online gleich viel professioneller.

Deswegen ist es mit der Medienkompetenz so eine Sache. Mit der Wii oder bei WhatsApp hat die noch keiner erlernt – oder nur auf die harte Tour, dass nämlich weitergepostete Sachen wehtun können. Zur Medienkompetenz gehört zu entscheiden: Was brauche ich und was brauche ich nicht? Ist das die Wahrheit oder ein Gerücht? Ist das eine Information oder Klatsch und Tratsch? Müssen andere das wirklich wissen?

Vieles ist einfach eine Frage von Erfahrung, Lebenserfahrung. Weswegen es tatsächlich angeraten ist, Medienkompetenz im Familienkreis zu erlernen und da auch mal richtig blöde Fragen stellen zu dürfen. Oder auch sagen zu können: Oh, da hab ich Scheiß gebaut! Das kann in kaum einer Schule aufgefangen werden, denn wir alle wissen: Kinder können grausam sein.

AUF DER GAMESCOM: GANZ ANALOG UNTERWEGS

Die meisten Eltern sehen mit zunehmender Besorgnis, wie ihre Kinder immer mehr in virtuelle Welten verschwinden. So auch wir, die Familie Brandt. Die analogen Spielzeuge wandern in den Keller und das Kind vors Smartphone oder an den Rechner. So war ich noch froh, als sich Jonas zu Weihnachten Lego Minecraft wünschte. Immerhin etwas, das er anfassen kann, dachte ich. Doch das Ganze stellte sich als echte Fehlinvestition heraus. Nachdem die Steine einmal zusammengesetzt worden waren, verstaubte das Artefakt erst auf der Fensterbank, dann im Regal, wo es im Lauf der Zeit mehr und mehr zu zerbröseln begann, je öfter es hin und her geschoben wurde. Mit den Möglichkeiten des virtuellen Spiels kamen die Legosteine einfach nicht mit. Keine Verwandlung, keine beliebige Vervielfältigung war möglich, und so ging die Bauwelt am Rechner fast nahtlos weiter. Analog war abgeschrieben. Umso erstaunter war ich, als eines Tages ein ganz analoger Ausflug geplant wurde: »Mama, wir fahren zur Gamescom!« Ich frage irritiert nach: »Ist die nicht in Köln?« »Ja, na und?«, ist ihre lässige Antwort. Ich muss dazu sagen, dass meine Zwillinge sonst nicht für große Ausflüge zu haben sind, und schon gar nicht so auf eigene Faust. »Wie kommt ihr denn dahin?«, frage ich. »Na, mit dem Zug oder der S-Bahn!«, ist die selbstverständliche Antwort. »Und ganz alleine?« Ich wundere mich weiter über diesen plötzlichen Aktivitätsschub meiner sonst mit dem Smartphone fest mit Sofa oder anderen Liegegelegenheiten verbundenen zwölfjährigen Kinder und biete an, mit ihnen dorthin zu fahren.

Mama allein zu Hause

»Nö, Mama, du brauchst nicht mitzukommen, Andi kommt mit.« Andi ist der FSJler in Jonas' und Elias' Schulklasse und außerdem ausgebildeter Erzieher. »Aha«, sage ich da nur. Denn ich würde ungern meine Kinder quer durch Nordrhein-Westfalen schicken, die sonst nie auf sich selbst gestellt unterwegs sind und normalerweise noch nicht einmal ohne meine Begleitung zum Zahnarzt gehen wollen. Aber die Gamescom ist ganz und gar nicht Zahnarzt, das merke ich schnell.

Dann ist der große Tag da. Als ich versuche, Jonas und Elias als besorgte Mutter noch mal dazu zu verpflichten, mir sofort Bescheid zu geben, wenn sie in Köln angekommen sind, merke ich: Die beiden reagieren überhaupt nicht mehr, haben völlig auf Gamescom umgeschaltet, was auch bedeutet: Mama existiert gar nicht mehr. Alle Energie ist aufs Ziel ausgerichtet. Sie schultern ihre neu angeschafften Faltklappstühlchen und sind weg, verschwinden in der Bahnhofshalle.

Aber ich werde nicht im Stich gelassen, zuerst erreicht mich per WhatsApp eine Ankunftsmeldung der Reisegruppe und später von den beiden Jungs ein Foto nach dem anderen von ­ihrem Event: mit Gamescom-Bändchen geschmückte Handgelenke, später noch jede Menge Selfies mit wechselnden echten YouTubern, vor völlig überfüllten Messehallen, MarioCart im Großformat und – wie kann es anders sein – Call-of-Duty- und NBA-Aufstellern. Schließlich sehe ich die beiden – ach, guck an – mit neuen Pikachu-Mützen. Da sind sie dann doch noch Kinder … Spaß scheinen alle zu haben, sogar Andi.

Und spät am Abend nehme ich sie an der U-Bahn-Haltestelle wieder in Empfang. Und meine Jungs sind stolz wie Oskar und haben jede Menge zu berichten.

Die Autogrammkarten der YouTuber, die jetzt ihre Zimmer schmücken, werden vielleicht irgendwann im Müll landen, aber die Erfahrung, dabei gewesen zu sein, ist unersetzlich. Und auch, denke ich, gesehen zu haben, dass ihre YouTuber keine Übermenschen sind, sondern normale Leute. Kein YouTube-Video von der Gamescom kann das »Bad in der Menge« ersetzen, das ist offensichtlich. Und selbst wenn das Treffen von Minecraft-Freunden, die sich nur als Klötzchenmänner kennen, in diesem Jahr nicht zustande gekommen ist – sie konnten nämlich ganz analog erst am nächsten Tag kommen, weil die Anfahrt so lang war –, nächstes Jahr ist ja wieder eine Gamescom.

Und das ist schon bei beiden beschlossene Sache, Haupt­sache, die Geschichte geht weiter …

Die Besucherzahlen der Gamescom lagen im Jahr 2016 bei 345 000, das macht durchschnittlich 69 000 Leute pro Tag.

MITEINANDER STATT ALLEIN

Da Carl findet, dass seine Jungs nicht nur daddeln, sondern auch wissen sollen, was sie da tun, und sich mit den Geräten auskennen sollen, sprich, mit der Hardware und allem, was damit zusammenhängt, ist sowieso klar, dass alle ihre Geräte selbst zusammenstöpseln können. Und es reichte ihm auch nicht, dass alle dabei zugesehen haben, wie einer unserer Rechner Linux aufgespielt bekommen hat und so die ersten DOS-Befehle gelernt hat. Immerhin haben wir, was in dem Fall ein echter Vorteil ist, einen Experten zu Hause. Doch manchmal sind seine Pläne auch ein wenig zu hochfliegend im Verhältnis zur Zeit, die dafür aufgewendet werden muss und die er oft nicht hat.

TEST 27: DER ARDUINO-ADVENTSKALENDER

Im Herbst wurde bei uns also eine Arduino-Plattform angeschafft. Ein solcher Mikrocontroller, wie mir Carl erklärt, ist zum Beispiel in einem elektrischen Gerät wie einer Spülmaschine enthalten und bei uns träumt man davon, unser Ding so zurechtzuprogrammieren, dass es anschließend sogar eine Drohne steuern kann. Ich war auf jeden Fall schon mal nicht in der Lage, hier hilfreiche Assistentin zu spielen.

Elias, der mit seinem Papa bereits an der Plattform gebastelt hatte, wobei die beiden immerhin kleine LED-Lämpchen zum Leuchten gebracht hatten, bekam quasi als Verstärkung schließlich vor Weihnachten einen Arduino-Adventskalender geschenkt, der diverse bunte Drähtchen enthielt. Ich hatte überhaupt nicht die blasseste Ahnung, was daraus wohl mal werden sollte – und Elias wohl auch nicht. Denn irgendwann nach Weihnachten ist die Sammlung leider in der Schublade gelandet, weil sein Papa einfach nicht genug Zeit hatte, um sich darum zu kümmern.

Aber es sollte doch noch mehr passieren, und so hat der Papa mit Ben und Elias, die beide Lust dazu hatten, mit Hilfe eines Bucsh namens Python herumexperimentiert und zusammen mit den Jungs erste kleine Rechenprogramme entwickelt. Egal, ob es soch dabei um kleine Programmierexperimente handelte oder einfach nur Rumprobieren mit Word oder einem Malprogramm oder auch Filme drehen mit dem Smartphone, es ging hier vor allem um die gemeinsamen kreativen Projekte von Papa und Kindern.

Natürlich muss nur deswegen, weil sich jetzt alles digitalisiert, nicht jedes Kind um jeden Preis programmieren lernen. Wer aber einen Draht und Lust dazu hat, der sollte auch nicht daran gehindert werden, seine Ideen umzusetzen. Mittlerweile gibt es in vielen größeren Städten auch Digitalwerkstätten für Kinder, wo auch für Jüngere Programmier- oder Codingkurse als spielerischer Einstieg in die Materie angeboten werden. Auch gemeinsame Eltern-Kind-Kurse werden angeboten (siehe Anhang, >).

FAZIT:

Das Projekt ist leider gründlich schiefgegangen. Bei Hardware- oder Programmierexperimenten geht ohne kundigen und zeitaufwendigen Elterneinsatz eben leider nichts.

IMMER ONLINE, IMMER ALLEIN?

Virtuelle Räume erlauben einen Rückzug von der uns umgebenden Realität, sie sind exklusiv für den Betrachter, zu zweit geht vielleicht gerade noch der Blick aufs selbe Gerät, aber nur wenn der Besitzer es zulässt. Man klinkt sich aus. »Immer online, immer allein?«, fragt der Kommunikationspsychologe Markus Appel. Und ich erwarte mir von ihm mehr Aufschluss darüber, ob meine Kinder an ihren Geräten vereinsamen.

Die Antwort des Experten ist ein deutliches »Nein«. Er findet kaum Anhaltspunkte dafür, dass weniger Kommunikation stattfindet, eher umgekehrt, und das bei Jungen wie bei Mädchen.

Virtuelle Freunde = analoge Freunde

Ich selbst erlebe es in unserem Umfeld so: Die meisten virtuellen Freunde, mit denen meine Kinder online spielen, kennen sie persönlich. Ben verabredet mit seinen Schulkumpels gemeinsame Spielzeiten. Se haben sich beispielsweise eine eigene Map geschaffen, auf der sie spielen. Ich beobachte auch, dass das Spiel mehr Spaß macht, wenn sich die Spieler persönlich kennen und einschätzen können, weil sie sich dann gegenseitig unterstützen. Sie lernen sich auch besser kennen, wenn sie zusammen spielen, denn die Spielzüge des anderen lassen ja auch Rückschlüsse auf dessen Charakter zu, und sprechen hinterher – ganz analog in der Schule – über ihre Strategien. Jonas, der oft mit einem festen Team spielt, sagt, dass ihm das Spiel viel mehr Spaß macht, wenn seine (analogen) Freunde mit ihm spielen.

Auch bei uns, Familie Fuchs, läuft das nicht anders: Alle Freunde, die meine Kinder virtuell haben, sind (oder waren) echte, analoge Freunde. Nur wohnen ein paar inzwischen in einer anderen Stadt oder gehen in andere Schulen, sodass man sich kaum noch sieht und so Kontakt halten kann.

TEST 28: LIFE HACKS

Am besten finde ich es jedoch, wenn die Kinder selbst aus Digitalem wieder Analoges machen. Das Ganze nennt sich Life Hacks und ist für Menschen in der Elterngeneration sicher nichts Neues. Früher standen solche Informationen in Büchern mit sprechenden Titeln, wie zum Beispiel »Nicht verzagen, Oma fragen«. Oder man hat sich ein Kochbuch gegriffen. Heute werden diese Inhalte eben auf YouTube dargeboten. Da lernt der interessierte Zuschauer zum Beispiel, dass eine Banane viel einfacher zu öffnen ist, wenn man von unten anfängt. Aber bisher habe ich jedoch nur erlebt, wie sich meine Kinder über all diese Videos lustig machen. Umso erstaunter war ich eines Tages, als ich plötzlich nach Zucker gefragt wurde.

Aus digital wird analog

»Was wollt ihr denn damit?«, frage ich und zeige auf die Schublade. Hier bei uns zu Hause wird schon mal selbst gekocht, auch von den Kindern, aber bisher sind ihre kreativen Küchenprojekte auf Nudelgerichte beschränkt geblieben. »Limonade wird das«, bekomme ich die Auskunft und sehe staunend zu, wie meine tastaturfixierten Sprösslinge nun Orangen auspressen und Zitronen sowie jede Menge Zucker und Wasser in einer Karaffe verrühren. »Und woher wisst ihr, wie das geht?« Die Antwort ist eigentlich klar: »YouTube, Mama!« Schließlich darf ich auch mal probieren: Puh, ist die süß!

Aber auch auf ganz andere Art und Weise werden YouTube-Videos bei uns genutzt, nämlich als praktische Ergänzung zum Schulunterricht. Und das war nicht meine Idee! Da lassen sich meine Kinder kurz vor der Lateinarbeit den Ablativus absolutus einfach noch mal per Video erklären und Matheprobleme sehen mit vertiefenden Videos und Musterlösungen auch gar nicht mehr so kompliziert aus.

FAZIT:

Eins ist klar: An ein Leben mit digitalen Anregungen werden wir uns alle gewöhnen müssen, sowohl Geräte als auch Inhalte werden zu unserem Leben dazugehören. Wie wir aber damit umgehen und welche Auswahl wir jeweils treffen und wie wir unseren Kindern beibringen, für sie die richtige Auswahl zu treffen, das ist ganz allein unsere Sache. Und wir sollten unsere Wahlmöglichkeiten in Anspruch nehmen.

Unser
Survival-Guide für Eltern

Ein Resümee. Was muss alles mit auf die Digitalisierungsarche? Werden wir alle Zauberer? Simple Lösungen, die es (leider nicht) gibt. Was wir für unsere Kinder tun können: Zwölf Anregungen, die für alle passen.

SCHIFFE BAUEN, NICHT DEICHE

Unsere Welt wird immer schneller, effektiver und auch vielfältiger. »Digitalisierung« ist das Stichwort, das unser aller Leben verändert und weiter verändern wird. Und unsere Kinder proben dafür. Denn sie werden in einer sehr andersgearteten Welt leben müssen. Das sollen sie auch, aber hier tut Orientierung not. Wie können wir unseren Nachwuchs schützen und zugleich auf die neuen Herausforderungen vorbereiten, wie ihnen helfen, einen adäquaten Umgang mit der digitalen Welt zu entwickeln? Gunter Dueck sagt: »Bei einer Sintflut muss man Schiffe bauen, nicht Deiche.« Das wollen wir auch. Unsere Digitalisierungsarche soll das Gute mitnehmen und dafür sorgen, dass wir und unsere Kinder nicht in Informations- oder Daddelfluten untergehen. Schon sind manche Jugendlichen nicht mehr in der Lage, jemand anderen ganz analog anzuschauen.

LERNEN WIR JETZT ALLE ZAUBERN?

Dabei ist die Digitalisierung auch ein großes Versprechen. Ein sehr positives Bild für das, was uns bevorsteht, zeigt uns die Welt von Harry Potter, denn sie ist nichts anderes als eine digitale Idealwelt. Zeitungen werden zu bewegten Bildern, es gibt lebende Zugangskontrollen, Autos haben ihren eigenen Kopf, Dinge erledigen sich von Zauberhand und Mrs Weasley weiß immer, wo ihre Kinder sind. Also, vorbereitet sind wir, und wir wollen nicht als Squibs (unfähige Zauberer) enden.

Wir beide haben bei unseren Tests viel gelernt. Und wir haben uns verändert, unsere Familien haben sich verändert. Seit wir nicht mehr im Nebel herumstochern, sondern wissen, wo und warum wir beim Handy- und Internetkonsum Grenzen setzen, können wir das auch mit größerer Souveränität tun. Unseren Kindern können wir jetzt besser erklären, warum wir manchmal einen Riegel vors digitale Schlaraffenland schieben, und wir sprechen viel mehr mit unseren Kindern, über virtuelle wie auch analoge Dinge, haben mehr über gemeinsame Interessen herausgefunden. Wir wollen es nach wie vor nicht hinnehmen und sehen auch keinen Grund dazu, dass die digitalen Dinger einen Großteil der Aufmerksamkeit von unseren Kindern fordern. Wir können uns jetzt denken, weshalb sehr viele Topmanager aus dem Silicon Valley, dem Epizentrum des Digitalen, ihre eigenen Kinder in Waldorfschulen schicken, wo sie mit den Händen Naturmaterialien bearbeiten, statt auf Tablets herumzuwischen. Gerade diese Eltern, die sehr genau wissen, was elektronische Medien können.

Oder wird es uns zu viel?

Eigentlich sind Computer und Smartphones erfunden worden, um uns das Leben zu erleichtern und uns mehr freie Zeit zu verschaffen. Das war der Plan. Aber er ist nicht aufgegangen. Das Handy ist mit dem Internet eine explosive Allianz eingegangen und das so entstandene Smartphone ist nicht nur für Kinder ein großer Verführer. Es geht nicht ohne das Ding, aber mit dem Ding geht gar nichts. Es verleitet uns, Dinge zu lesen, die uns nicht interessieren; Spiele zu spielen, die wir im Grunde doof finden; Leuten zu schreiben, denen wir normalerweise nicht mal Hallo sagen würden. Und das Smartphone hält uns alle – Eltern wie Kinder – davon ab, das zu erledigen, was wichtiger für uns wäre: unsere Arbeit, das Geburtstagsgeschenk für die Freundin besorgen, Hausaufgaben machen … Aber wir sind ja permanent beschäftigt.

Wir kommen nicht zur Ruhe. Und wir wissen (noch) nicht genug, um die unendlichen Möglichkeiten zu nutzen, statt uns von ihnen versklaven zu lassen, wo aber fangen wir an? Ist es schon so weit, dass wir Wichtiges und Unwichtiges nicht mehr voneinander unterscheiden können?

Roger Willemsen sagte dazu: »Unsere Existenzform ist die Rasanz.« Wird alles immer schneller und schneller, globalisierter, digitalisierter, wie gehen wir damit um?

VORSICHT, HOCHSPANNUNG!

In Erich Kästners 80 Jahre altem Buch Der 35. Mai gibt es in der Stadt Elektropolis bereits selbstfahrende Autos, ein Mann trägt ein Telefon in seiner Manteltasche. Die Zeitung erscheint papierlos am Himmel, riesige Verwertungsfabriken sorgen für die Ernährung der Menschen. In dieser Stadt müssen die Menschen nicht mehr lang arbeiten, nur noch zwölf Tage im Jahr. Das geht gut, bis eine so hohe Geschwindigkeit herrscht, dass alles im Chaos endet. Das wollen wir nicht. Deshalb schalten wir selbst zuerst mal unsere Smartphones aus.

Digitale Pausen sind essenziell