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RALF SCHMITT / MONA SCHNELL

KILL DEIN
KANINCHEN!

Wie du irrationale Ängste
kaltstellst

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Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-832-0

ISBN epub: 978-3-95623-701-0

Lektorat: Claudia Franz, Augsburg | info@text-it.org

Umschlaggestaltung: total italic (Thierry Wijnberg), Amsterdam / Berlin

Titelillustration: Shutterstock / SAAC

Autorenfoto Ralf Schmitt: Marco Grundt

Autorinnenfoto Mona Schnell: Jan Kohlrusch

Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg | www.buch-herstellungsbuero.de

© 2018 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2018 erschienenen Buchtitel “Kill dein Kaninchen!” von Ralf Schmitt und Mona Schnell, ©2018 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

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Inhalt

Wenn das Kaninchen tot ist, gibt’s ein Happy End!

Angst: Der Kein-Grund-zur-Panik-Teil

Jeder hat Angst

Was ist Angst eigentlich?

Angst ist noch so viel mehr

Das Gegenteil von Angst

Angst ist gut!

Vom Urinstinkt zum Wirtschaftszweig

Was hilft gegen Angst?

Die Ängste der Deutschen

German Angst – die geerbte Angst

Das 21. Jahrhundert: Jahre der Angst?

Die Generation Angst: Sind die Alten schuld?

Wann haben wir Menschen Angst?

Ängste loswerden: Der Kill-dein-Kaninchen-Teil

Ängste unter der Lupe

Diese Ängste betrachten wir genauer

1. Angst vor Einsamkeit: Das Kein-Kontakt-Kaninchen

Was ist real an der Angst vor Einsamkeit?

Was ist irreal an der Angst vor Einsamkeit?

Tod dem Kein-Kontakt-Kaninchen!

2. Angst vor Armut: Das Keine-Kohle-Kaninchen

Was ist real an der Angst vor Armut?

Was ist irreal an der Angst vor Armut?

Tod dem Keine-Kohle-Kaninchen

3. Angst vor Unbekanntem: Das Neu-Phobie-Kaninchen

Was ist real an der Angst vor Unbekanntem?

Was ist irreal an der Angst vor Unbekanntem?

Tod dem Neu-Phobie-Kaninchen

4. Angst vor Veränderung: Das Traditions-Kaninchen

Was ist real an der Angst vor Veränderung?

Was ist irreal an der Angst vor Veränderung?

Tod dem Traditions-Kaninchen!

5. Angst vor Verlust: Das Es-gehört-mir-Kaninchen

Was ist real an der Angst vor Verlust?

Was ist irreal an der Angst vor Verlust?

Tod dem Es-gehört-mir-Kaninchen!

6. Angst vor dem Scheitern: Das Schiefgeh-Kaninchen

Was ist real an der Angst vor dem Scheitern?

Was ist irreal an der Angst vor dem Scheitern?

Tod dem Schiefgeh-Kaninchen!

7. Angst vor Krankheit und Tod: Das Apotheken-Umschau-Kaninchen

Was ist real an der Angst vor Krankheit und Tod?

Was ist irreal an der Angst vor Krankheit und Tod?

Tod dem Apotheken-Umschau-Kaninchen

Ausblick: Angst vor der Zukunft?

Wie sieht die Angst in der Zukunft aus?

Der Absch(l)uss: Das Ende unseres Kaninchenstalls

Quellen und Literatur

Die Autoren

Wichtiger Warnhinweis!

»Kill dein Kaninchen!« ist rein metaphorisch zu verstehen.
Die Autoren bitten ausdrücklich darum, davon abzusehen,
sich auf die Jagd nach realen Kaninchen zu begeben.

Wenn das Kaninchen tot ist, gibt’s ein Happy End!

An einem Nachmittag im Sommer 2016 sitzen wir zusammen bei einem Arbeitslunch im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Es ist eines unserer monatlichen Treffen, bei denen wir uns über den Stand unserer gemeinsamen Projekte informieren, neue Ideen spinnen und von Hölzchen auf Stöckchen kommen. Ein ganz zentrales Thema an diesem verregneten Sommertag ist die Angst. Ob bei der Arbeit oder im Privatleben: Wir beobachten beide, wie um uns herum das Thema Angst immer präsenter wird. Die Grundstimmung bei unseren Freunden und Bekannten scheint immer ängstlicher zu werden, sich manchmal sogar in Panik zu ergießen. Und medial wird diese Angst auch noch geschürt. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Horrormeldungen und Warnungen über TV, Radio, Print, Online und die sozialen Netzwerke verbreitet werden.

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Um uns herum verbreitet sich die Angst!

Es fängt jedoch bereits viel kleiner an. So mancher quält sich durch eine unglückliche Beziehung, weil er das Alleinsein mehr fürchtet als häufige Streitigkeiten und permanente Unzufriedenheit. Einige trauen sich aus Angst vor Überfällen nur noch mit Pfefferspray in der Tasche aus dem Haus. Andere gehen nicht mehr ins Kino, nicht mehr auf Konzerte und schon gar nicht auf Großveranstaltungen, weil sie überall Terrorgefahr wittern. Bedauerlicherweise entdecken wir auch bei uns selbst Tendenzen – sagen wir mal – der Besorgnis.

Wir, das sind Spontaneitätsexperte Ralf Schmitt und Kommunikationsprofi Mona Schnell. Beide selbstständig, erfolgreich mit dem eigenen Unternehmen, beide glücklich liiert und beide immer wieder in kleinen oder größeren Momenten gefangen, in denen das Panik-Kaninchen uns dominiert. Das heißt: Uns beschleicht zum Beispiel mal mehr, mal weniger häufig das Gefühl, unsere Fixkosten seien zu hoch, unsere Ausgaben nicht mehr überschaubar oder unsere Investition in ein Thema zu groß. Ralf sorgt sich darum, wie seine Kinder aufwachsen und was das Bildungssystem noch leistet. Mona fragt sich manchmal, ob Reisen noch sicher ist und was man aufgrund der ganzen Lebensmittelskandale überhaupt noch essen kann.

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Ängsten mit einem Augenzwinkern begegnen!

Auch in unserer jahrelangen Zusammenarbeit, die naturgemäß mal besser, mal schlechter läuft, spielt die Angst davor, zu viel zu investieren – sei es Geld oder Arbeitsaufwand im Vergleich zu entgegengebrachter Wertschätzung – immer wieder eine Rolle. Zu unseren Stärken als Team zählt aber, dass wir offen über diese Thematiken sprechen können und auch in vermeintlich schlechten Momenten dem anderen nie die Tür vor der Nase zugeschlagen haben. Trotzdem waren und sind auch wir nie wirklich dagegen gefeit, in Panik zu verfallen. Als Team aus Flexibilitätsprofi (Ralf Schmitt) und Öfter-mal-was-Neues-Junkie (Mona Schnell) können und wollen wir das aber nicht so einfach auf uns sitzen lassen. Wir haben uns mit diesem Buch darangemacht, Ängsten entgegenzutreten und konstruktiv mit ihnen umzugehen. Dafür haben wir Tipps und Kniffe entwickelt, die wir entweder selbst ausprobiert und für tauglich befunden oder die andere für uns erfolgreich getestet haben.

Wir sind beide keine Psychologen, Psychoanalytiker oder Heilpraktiker in diesem Bereich, auch wenn wir hier an mancher Stelle Studien und Meinungen von Fachexperten zu Rate ziehen. Wer eine medizinisch fundierte Betrachtungsweise erwartet, sollte dieses Buch lieber gleich weiterverschenken. Wir heilen keine Traumata und kurieren keine Phobien. Wir führen keine Gesprächstherapie durch und machen keine Familienaufstellung. Dafür gibt es Fachleute, die Sie unbedingt konsultieren sollten, wenn Sie sie brauchen.

Unsere Ergebnisse und Übungen beruhen ausschließlich auf persönlichen Erfahrungen und setzen auf das, was wir als gesunden Menschenverstand betrachten. Mit einem Augenzwinkern und jeder Menge Humor im Umgang mit uns selbst und anderen versuchen wir, Themen anzugehen, die uns und unser Umfeld belasten. Wir identifizieren reale Gründe für Ängste, enttarnen irreale Einflüsse und zeigen persönliche Wege auf, um das Panik-Kaninchen in uns zu killen.

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Aufruf zum Kaninchenmord!

Dieses Buch basiert auf einer grundsätzlich positiven Sicht auf die Menschen. Sie bekommen alle einen Vertrauensvorschuss von uns. Verletzungen, die jeder von uns immer wieder erleidet und die sich auch schwer verhindern lassen, wollen wir als Schätze sehen und als Chancen für mehr Wachstum begreifen. Unser Motto: Wenn eine Muschel verletzt wird, entsteht eine Perle. Oder: Wenn das Kaninchen tot ist, gibt’s ein Happy End!

Wir wünschen viele Perlen und den Mut zum Kaninchenmord!

Ralf Schmitt & Mona Schnell

ANGST:

Der Kein-Grund-zur-Panik-Teil

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Jeder hat Angst

Wir behaupten: Es gibt einfach niemanden, der nie Angst hat. Spätestens, wenn der Körper nachts das Serotonin abschaltet, weil wir es im Schlaf nicht brauchen, kommen immer wieder auch Alpträume. Oder unsere Sorgen, die wir während des Tages einfach weggedrückt haben, holen uns ein. Wir haben schon so viele Nächte nicht geschlafen, weil das Panik-Kaninchen sich unter unsere Decke geschmuggelt hat und ganz langsam und unbemerkt von den Zehen hochgekrabbelt ist bis zum Kopf und sich ganz nah an uns geschmiegt hat. Spätestens dann wälzen wir im Geiste To-do-Listen, wiederholen Nicht-vergessen-Sätze oder überlegen uns, wie wir aus einer brenzligen Situation wieder rauskommen.

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Es gibt niemanden, der nie Angst hat.

Kennen Sie solche Momente? Nein? Okay, Sie hatten also noch nie Geldsorgen, Angst davor, den Job zu verlieren, alleine zu sein, Verlustängste, Angst vor Krankheit, Tod, der Zukunft oder dem Scheitern? Dann möchten wir Ihnen ganz herzlich gratulieren. Sie haben einen Sechser im Lotto oder Sie sind besonders gut darin, sich selbst zu verarschen. Sie haben richtig gelesen. Wir sind davon überzeugt, dass jeder, der sich dieses Buch auch nur ansieht, an der einen oder anderen Stelle sagt: »Kenn ich!« Also lassen Sie sich bitte darauf ein und lassen Sie die sogenannte Schwäche »Angst« zu. Vielleicht können wir Sie ein wenig inspirieren oder Ihnen sogar dabei helfen, die eine oder andere Furcht abzulegen.

KURZ GEFASST: JEDER HAT ANGST

Jeder hat vor irgendetwas Angst – und das ist kein Grund, sich schwach oder hilflos zu fühlen.

Was ist Angst eigentlich?

Wissenschaftlich gesehen ist Angst eine Kettenreaktion im Gehirn, die durch einen Stressimpuls ausgelöst wird. Der führt zur Ausschüttung von chemischen Stoffen, die unter anderem dafür sorgen, dass unser Herz zu rasen beginnt, unser Atem schneller wird und sich unsere Muskeln mit Energie aufladen. Das nennt man die Fight-or-Flight-Reaktion: In kürzester Zeit entscheiden wir, ob wir gegen einen Gegner kämpfen oder doch lieber weglaufen wollen. Diese Angstreaktion geschieht automatisch und ohne dass wir sie bewusst herbeiführen müssen. Sie ist ein Instinkt, dem wir bereits als Urzeitmenschen folgten und der bis heute in uns steckt.

KURZ GEFASST: WAS IST ANGST EIGENTLICH?

Wenn wir Angst haben, reagiert der Körper instinktiv. In Sekundenschnelle entscheidet er, ob wir angreifen oder doch lieber weglaufen sollen.

Angst ist noch so viel mehr

Wir erleben Angst aber nicht nur als Schutzreflex. Vielmehr treffen wir in so vielen verschiedenen Facetten auf das Phänomen, dass wir auf einige später unbedingt noch gesondert eingehen müssen. Offensichtlich hat sich unser Urinstinkt an die heutige Zeit angepasst und sagt sich: »Ich lebe im Zeitalter der Möglichkeiten. Warum soll ich mich also einschränken? Mir steht die Welt offen!« Genau das ist der Grund, weshalb Angst unter anderem in folgenden Formen im Alltag auftaucht:

Angst zeigt sich als Kaninchen-Feeling

Wie bitte? Kaninchen-Feeling! Das ist das Gefühl, dass Sie beschleicht, wenn bei Ihnen die Panik einsetzt. Es kribbelt von den Pfoten bis in die obersten Enden der Löffel – und Sie verharren stocksteif in der Schockstarre. Es ist ein bisschen so, als ob Sie im Lichtkegel vor einem Auto stehen bleiben, das auf sie zurast und nicht zu bremsen gedenkt. Besser wäre natürlich, schnell in den sicheren Schatten zu hüpfen. Das ist klar. Aber ist Ihnen das schon mal passiert, dass Sie so ein Fellknäuel auf der Straße vor sich im Scheinwerferfokus hatten?

In Hamburg gibt es viele Kaninchen, die sich auch im Stadtgebiet bewegen. Wenn sie nachts auf die Straße hoppeln, sind sie fast sicher dem Tod geweiht. Wir gehören beide zu der Spezies Autofahrer, die bremst, wenn ein Tier auf die Straße läuft. Also haben wir schon einige Zeit hinter Kaninchen im Schneckentempo verbracht und sie selbst mit Hupen und Fluchen nicht in den Schatten bekommen. Wenn sie überhaupt hüpfen, dann meist immer weiter im Hellen! Oft bleiben sie aber einfach wie angewurzelt stehen – deshalb Kaninchen-Feeling!

Angst macht Kopfkino

Getriggert von einem Ereignis oder einer Nachricht, spinnen wir in unserem Kopf einen ganz eigenen Plot darüber zusammen, was jetzt alles passieren kann. Es ist erstaunlich, wie kreativ wir dabei sind:

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Zugegeben, wir übertreiben hier ziemlich.

Wer Angst vor Gewittern hat, dem reicht oft schon ein fernes Donnergrollen, um sämtliche elektrischen Geräte vom Strom zu trennen, alle Jalousien zuzuziehen und sich unter der Bettdecke zu verschanzen, wie ein Hund, der panische Angst vor Silvesterböllern hat. Man stelle sich nur vor, der Blitz schlägt tatsächlich in unserem Haus ein. Er fährt durch alle Stromleitungen und zerstört sofort unsere Computerfestplatte, unseren Fernseher und den Kühlschrank noch mit. Weil wir dummerweise gerade am Kommunikationskonzept für einen neuen Kunden gearbeitet haben, sind alle Daten »verschmort«, wir können die Präsentation am nächsten Tag nicht halten, verlieren deshalb unseren Job, können die Miete für die Wohnung nicht mehr bezahlen, enden nach einiger Zeit auf der Straße und landen schließlich mit einer Lungenentzündung im Bahnhofshospiz. Da es leider auch den Kühlschrank und das TV-Gerät erwischt hat, ist innerhalb von zwei Tagen alles Essen verdorben und wir bekommen nicht einmal mehr den Wetterbericht mit, der uns sagt, dass das Gewitter in fünf Kilometern Entfernung an uns vorbeigezogen ist.

Zugegeben, wir übertreiben hier ziemlich. Aber nach diesem Schema funktioniert unser negatives Kopfkino – ganz ohne Happy End.

Angst lässt uns zu Theorieentwicklern werden

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Angst lässt uns die Praxis erst gar nicht erleben.

Wir neigen häufig dazu, schon bevor wir einen Schritt gegangen sind, vor lauter Angst, dass es der falsche ist, genau zu überlegen, was alles eintreten könnte, würden wir diesen Schritt denn tatsächlich gehen. So wird aus einer Befürchtung schnell einmal eine handfeste Theorie, die uns die Praxis erst gar nicht erleben lässt. Ein Beispiel:

Wenn ich nach New York reise, fühle ich mich etwas mulmig, weil ich immer wieder an 9/11 denken muss. Falls die Sicherheitsmaßnahmen nicht ausreichen, könnte es passieren, dass wieder ein Selbstmordattentäter ins Flugzeug steigt. Die sollen ja immer wieder auf neue Ideen kommen. Ich bleibe also lieber zu Hause. Das Abenteuer New York werde ich nicht erleben, solange ich schlimme Theorien über das, was alles sein könnte, entwickle. Doch so kann ich die Praxis nicht erfahren. Schade drum!

Angst ist ein Klischeebediener

Wünschen wir uns nicht alle hin und wieder, dass alles genau so bleibt, wie es ist? Dann können wir uns an Regeln und Klischees entlanghangeln, die uns vertraut sind. Klar, dann bewegt sich nichts. Dafür bekommen wir aber viel Bestätigung. Sätze wie »Das habe ich doch gleich gesagt, dass da nichts Gutes bei rumkommen kann!« festigen dieses Leitbild. Menschen, die sich so ausdrücken, lassen sich auf keinen Fall dazu bewegen, in der Zusammenarbeit mit der jungen und noch etwas unerfahrenen Kollegin etwas Positives zu sehen. Besser, wenn man alles weiterhin so macht wie bisher. Dann ist das Risiko überschaubar. Was man nicht selbst erledigt, wird ja auch nie so gut gemacht, wie man es haben möchte. Und die jungen Leute von heute, die können ja auch gar keine Verantwortung übernehmen. Wenn das Experiment dann tatsächlich missglückt und der jungen Kollegin ein Fehler unterläuft, wurde das Klischee bedient. Was aber eigentlich dahintersteckt, ist in der Regel nicht das vorausschauende Wissen, dass etwas schiefgehen wird. Vielmehr ist es die Angst davor, Verantwortung abzugeben. Denn dann könnte es passieren, dass man nicht mehr wichtig genug ist oder sogar entbehrlich. Plötzlich muss Anerkennung geteilt werden. Oder noch schlimmer: Andere stellen fest, dass man selbst den Job gar nicht so gut gemacht hat. Ein Horror!

Angst ist ein Komfortzonenstörer und Gewohnheitsdieb

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Die Angst beginnt gleich nach der Komfortzone!

Es gibt diesen wunderbaren Puffer, den wir um uns herum aufgebaut haben: unsere Komfortzone. Solange wir uns innerhalb dieses Bereichs bewegen, kann uns nichts so schnell aus der Ruhe bringen. Wir bleiben ganz cool – bis wir einen Tritt bekommen, der uns nach draußen katapultiert. Dieser Tritt kann bereits die Meldung sein, dass ein Vegetariertag in Kantinen eingeführt werden soll. Was war das doch für ein lauter Aufschrei, als uns die Grünen einen Tag in der Woche zum Fleischverzicht »zwingen« wollten! Plötzlich fühlte man sich bevormundet. Zu Recht? Klar! Aber das geschieht täglich an vielen Stellen. Es fällt uns nur nicht auf, weil wir uns daran gewöhnt haben. Eine neue Bevormundung wollte man aber nicht dulden.

Jetzt werden Sie wahrscheinlich sagen: »Aber mal was anderes zu essen, das ist doch einfach. Das ist doch kein Schritt aus der Komfortzone!« Doch! Für viele ist es das:

In unserem Bekannten- und Freundeskreis weiß zum Beispiel jeder, wie schlecht Massentierhaltung für die Umwelt und ganz besonders für die Tiere ist. Trotzdem fällt es vielen unendlich schwer, auf Fleisch zu verzichten. Wovor haben wir Angst? Das »neue« und ungewohnte Essen könnte ja nicht schmecken. Die Ernährung könnte nicht ausgewogen sein. Man könnte verschiedene Vitamine, die es vor allem im Fleisch gibt, nicht mehr in ausreichenden Mengen zu sich nehmen. Und, und, und. Also bleiben wir lieber beim Altbekannten und Gewohnten. Da weiß man, was man hat. Alles, was außerhalb der Komfortzone liegt, macht erst einmal Angst.

Angst ist ein Gleichgesinntenblasenerhalter

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Die Meinung der Andersdenkenden schockt uns.

Die Blase der Gleichgesinnten nennen wir ein Phänomen, das auf Social-Media-Kanälen und Webseiten inzwischen üblich ist. Anhand dessen, was wir in Suchmaschinen eintippen oder wie wir Social-Media-Plattformen nutzen, wird ein Algorithmus erstellt. Der zeigt uns dann nur noch das, was wir scheinbar sehen möchten. Unser Klickverhalten führt also zu einem Filter. Beispielsweise bekommen wir bei Facebook hauptsächlich das zu sehen, was unsere »Freunde« teilen. Konkret heißt das: Wir werden häufig von diskussionswürdigen Medienberichten oder Meldungen, die wir angeblich nicht sehen wollen, abgeschirmt.

Wer seine Nachrichten hauptsächlich über Social-Media-Kanäle bezieht, bekommt diese vorgefiltert und vorgefärbt. Was hat das mit Angst zu tun? Die Meinung der Andersdenkenden jagt uns immer wieder einen Schauer über den Rücken oder schockt uns sogar. Sie wahrzunehmen, lässt sich aber leicht umgehen. Dazu müssen wir uns in Sachen Information einfach nur innerhalb unserer »Blase« bewegen. Wir kommunizieren überwiegend mit Gleichgesinnten und lesen hauptsächlich deren Meinung. So bekommen wir vor allem Informationen, die mit unseren eigenen Ansichten korrespondieren.

Angst macht uns zu Ausredenerfindern

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Zu dick, zu alt …!

Ausreden haben häufig mit Ängsten zu tun. Wir trauen uns nicht, auf eine Veranstaltung zu gehen, weil wir »in dem Kleid zu dick aussehen« oder »zu alt« sind. Tatsächlich handelt es sich dabei aber meist um Glaubenssätze, die wir uns selbst eingeredet haben oder die uns von unserem Umfeld oder den Medien eingeflüstert wurden.

Woher diese Glaubenssätze kommen, spielt eine eher untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist: Wenn wir sie loswerden wollen, müssen wir aktiv etwas dagegen unternehmen! Doch das kostet Zeit und Energie. Also beten wir unsere Glaubenssätze ständig runter, um uns vor Herausforderungen zu drücken. So werden sie immer mehr zu einem Ausdruck unserer Angst vor Veränderung.

Angst ist ein Unwissenheitsvertuscher

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Was wir nicht kennen, macht uns Angst.

Oftmals fürchten wir uns vor Dingen, die wir nicht kennen oder die uns gar nicht passiert sind. Zieht zum Beispiel ein Ehepaar aus Afghanistan ins Nachbarhaus, machen sich einige Sorgen darüber, wie das wohl werden wird, weil sie die fremde Kultur nicht kennen. Anstatt abzuwarten, was passiert, werden im Gespräch mit anderen Aussagen gemacht wie: »Man weiß ja, dass DIE sich nicht anpassen!« Oder: »Hoffentlich sind das keine Terroristen!«

Einige erinnern sich vielleicht noch an die Aussage von AfD-Vize Alexander Gauland: »Die Leute finden Boateng als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.« Wir wollen Gaulands Worte an dieser Stelle nicht werten. Aber wir wollen aufzeigen, dass es in diesem Land leider Menschen gibt, die aus Unwissenheit voller Angst auf neue Situationen regieren, anstatt abzuwarten, was passiert, oder allen neuen Nachbarn sogar offen gegenüberzutreten. Wir wagen zu behaupten, dass Angst und Skepsis gegenüber anderen – unabhängig von der Hautfarbe, Konfession oder Kultur – oft dazu missbraucht werden, Unkenntnis zu vertuschen.

Angst wird als Steuerungselement eingesetzt

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Je stärker die Angst, desto leichter sind wir steuerbar.

Verschwörungstheorien scheinen das neue It-Thema unserer scheinbar so unsicheren Zeit zu sein. Je absurder eine Geschichte klingt, desto wahrer muss sie sein. Hinter jeder Rede, die ein Politiker hält, hinter jeder oft zu flapsig dahergebrachten Aussage wird eine Konspiration vermutet.

Zugegeben, wer sich mit gewissen Themen genauer beschäftigt, der kann es schon mit der Angst zu tun bekommen. Doch je mehr Angst wir haben, desto leichter sind wir steuerbar. Ein gutes Beispiel ist der Wahlkampf in den USA, der Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten hat werden lassen:

Was hat Donald Trump im Wahlkampf für Sprüche abgelassen, bei denen sich viele erschrocken und geschockt an den Kopf fassten? Warum wurde er trotzdem gewählt? Weil er mit allgegenwärtigen Ängsten der Amerikaner gespielt hat: zu viele Einwanderer, zu wenige Jobs, zu geringer Einfluss auf das, was die Politiker tun. Trump hat vielen Verdrossenen das Gefühl gegeben, dass er der Korruption in der Regierung – laut einer Studie der Chapman University die größte Angst der Amerikaner – ein Ende macht. Seine Strategie scheint aufgegangen zu sein. Immerhin ist er aktuell einer der mächtigsten Männer der Welt.

KURZ GEFASST: ANGST IST NOCH SO VIEL MEHR

Es gibt zahlreiche Facetten, in denen sich Angst in unserem Alltag zeigt. Alle haben eins gemeinsam: Sie verleiten uns zu irrationalen Entscheidungen oder Handlungen und vernebeln unseren Blick.

Das Gegenteil von Angst

Am besagten Sommertag im Jahr 2016, an dem die Idee zu diesem Buch entstanden ist, kam zwischen uns beiden auch eine rege Diskussion darüber in Gang, was eigentlich das Gegenteil von Angst sei.

Ralf sagt: »Sicherheit ist das Gegenteil von Angst, weil wir Sicherheit mit Kontrolle gleichsetzen und Angst häufig Kontrollverlust zur Folge hat. Wenn wir keine Angst vor etwas haben, dann fühlen wir uns sicher.«

Mona sagt: »Freiheit ist das Gegenteil von Angst. Wenn ich Entscheidungen treffen kann, ohne von Ängsten gesteuert zu sein, dann fühle ich mich frei.«

Da wir uns natürlich gegenseitig beweisen wollten, wer richtiglag, haben wir ein bisschen recherchiert und waren danach verwirrter als zuvor.

Die Psychotherapeutin, Autorin und Zen-Buddhistin Dr. Andrea F. Polard sagt im Interview mit der Zeitschrift »Yoga Aktuell«:

»… Daher ist das Gegenteil von Angst Vertrauen. Und als Menschen haben wir diese Möglichkeit auch in uns und können sie entwickeln – ein grundsätzliches Vertrauen ins Leben aufzubauen …«1

In Ausgabe 53 des »fluter«, dem Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung, steht:

»Information ist eigentlich das Gegenteil von Angst. Aber nur von beruhigenden Informationen können selbst Qualitätsmedien nicht leben. Dazu kommt, dass Journalisten nicht anders funktionieren als die Menschen, die sie informieren sollen. Auch Journalisten lassen sich manchmal lieber von Angst leiten als von besserem Wissen.«2

Der Journalist, Philosoph und Autor Gert Scobel sagt in seiner Kolumne »Statt Angst zu haben, sollten wir etwas verändern – Gert Scobels Gedanken zu ›Die hysterische Gesellschaft‹« für 3sat:

»Und die Angst? Das Wort leitet sich vom althochdeutschen Wort für Enge ab. Das Gegenteil von Angst wäre also eine Stimmung, die uns wieder weit und offen macht: Humor beispielsweise …«3

Ferner haben wir in verschiedenen Yoga-Philosophien Gelassenheit als das Gegenteil von Angst entdeckt. Zudem werden auf den Homepages von Psychologen oder anderen Experten und auf philosophischen Portalen oft auch Mut, Liebe, Lust und einiges mehr genannt.

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Angst ist vielschichtig!

Was aus unseren Recherchen klar hervorgeht: Angst kann nicht auf die rein körperliche Reaktion reduziert werden. Das Thema ist sehr vielschichtig. Verschiedene Ängste machen unterschiedlichen Lösungswege und Entwicklungsmöglichkeiten notwendig, damit wir uns nicht von ihnen dominieren lassen. Wir müssen also unterschiedliche Hebel ansetzen, um der jeweiligen Angst entgegenzutreten. Als gemeinsamen Nenner im Umgang mit ihren vielen Facetten haben wir den Einsatz unseres gesunden Menschenverstands identifiziert.

Wir wollen an dieser Stelle noch einmal klar betonen, dass hier NICHT von Traumata oder Angststörungen die Rede ist. Vielmehr möchten wir die kleinen und größeren, mal nötigen, mal unnötigen Ängste im Alltag besprechen und im besten Fall auflösen. Schwierig ist dabei die Einschätzung, wann Angst zu einer Gefahr für uns selbst oder für unser Umfeld wird und wann sie eher als positive Eigenschaft zu werten ist. Fangen wir doch damit an, der Angst etwas Positives abzugewinnen.

KURZ GEFASST: DAS GEGENTEIL VON ANGST

Unsere Ängste sind enorm verschieden. Deshalb lässt sich auch das Gegenteil von Angst nicht einfach mit einem Begriff definieren. Es gibt jedoch eine gute Methode, um irrationale Ängste in den Griff zu bekommen: Setzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand ein und richten Sie Ihren Blick auf die positiven Aspekte der Angst!

Angst ist gut!

Bei einer – sagen wir mal nicht ganz repräsentativen – Umfrage in unserem Freundes- und Bekanntenkreis haben wir viele unterschiedliche Aspekte zum Thema Angst herausgehört. Ganz besonders interessant fanden wir den Ansatz einer Kollegin. Sie arbeitet in einer Trainervermittlung und hat Folgendes zu sagen:

»Ich bin der Meinung, dass Ängste wichtig sind. Manche Ängste sind sogar Stärken. Für mich geht es meistens nicht darum, Ängste zu überwinden, sondern ihnen einen Platz im Leben einzuräumen und sie auch zu schätzen.«

Gehen wir dieser Aussage auf den Grund: Alles, was die Natur für uns vorgesehen hat, dient zunächst einmal dem Überleben. So ist es auch mit der Angst. Sie ist ein Urinstinkt, der uns in erster Linie vor Gefahren schützt. Das ist gut. Sonst würden wir vielleicht einfach vor Autos laufen, uns in freier Wildbahn mit Bären anlegen oder aus dem fünften Stock springen, weil unser Körper uns nicht davor warnt. Wenn wir Angst also ganz genau betrachten, dann ist sie kein Grund zur Panik und keiner sollte sich ihretwegen schlecht fühlen. Ohne die gute alte Angst würden wir Menschen auf der Liste bedrohter Spezies stehen oder wir wären bereits ausgestorben. Angst kann also durchaus als eine Stärke gewertet werden.

Im Hinblick auf die Evolution müssen wir uns alles andere als schämen, wenn wir vor etwas Angst haben. Dennoch werden wir oft deswegen gehänselt. Das fängt schon in der Kindheit an. Wie oft hören wir den Spruch »Sei doch kein Angsthase!«? Kein Wunder, dass wir die Botschaft »Angst ist böse!« verinnerlichen, anstatt sie erst einmal als das zu akzeptieren, was sie ist – ein Überlebensinstinkt.

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Wir bekommen Angst davor, Angst zu haben.

Wir bekommen Angst davor, Angst zu haben. Das müssen Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Doch wo Angst ist, steckt auch Entwicklung. Angst sorgt nämlich in gesunden Dosen auch dafür, dass wir nach kreativen Lösungen suchen. Auf kleine Beispiele begrenzt heißt das: Habe ich Angst, durch eine dunkle Gasse zu gehen, sehe ich mich nach einem anderen Weg um. Fürchte ich mich davor, vor einer Menschenmenge zu sprechen, werde ich zum Beispiel vorher vor einem kleineren Publikum proben, mir weitere Personen als Unterstützung dazu holen, eine PowerPoint-Präsentation als roten Faden vorbereiten oder mir mein Lieblingskleidungsstück anziehen, in dem ich mich richtig wohlfühle. Habe ich also vor etwas Zukünftigem Angst, bereite ich mich gut darauf vor.

Denken wir etwas kurzfristiger, dann warnt uns Angst vor drohenden Gefahren. Wir kennen doch alle das Gefühl, dass uns etwas mulmig im Magen wird und wir am liebsten weglaufen würden. Hier ein Beispiel: