image

FRANK HAGENOW

Führen ohne Psychotricks

image

Mit Ethik und Anstand Menschen gewinnen

image

Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft. Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-824-5

Lektorat: Dr. Michael Madel, Ruppichteroth

© 2018 GABAL Verlag, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

www.gabal-verlag.de

Inhalt

Willkommen an Bord: Wir lichten die Anker

I.Auf dem falschen Dampfer – die Faszination der Psychotricks

1.Schummeln erwünscht: Lug und Trug – wohin man schaut

2.Alle Mann an Deck: Der Wunsch nach schnellen Lösungen ohne Widerstand

3.Wenn der Schein trügt: Psychotricks und ihre Nebenwirkungen

4.Wie der Wind sich dreht: Führung im zeitlichen Wandel

II.Die dunkle Seite der Macht – Psychotricks in heutigen Chefetagen

5.Alle Leinen los: Wenn der Bauch die Führung übernimmt

6.Tarnen, Täuschen und Vertuschen

7.Auf dem sinkenden Schiff: Zwickmühlen und Paradoxien

8.Nur scheinbar leicht: Die Falle der einfachen Problemlösung

III.Führen ohne Psychotricks

9.Der Wind im Rücken: Mit Ethik und Anstand in die Zukunft

10.Fest angeheuert: Wie Sie Menschen gewinnen anstatt zu manipulieren

11.Klar Schiff machen: Ihre persönliche Grundausstattung

12.Lotse an Bord: Hilfreiche Impulse von innen und außen nutzen

IV.Die Manager-Toolbox für Ihre Kommandobrücke

13.Der Kompass für Ethik und Anstand – so bestimmen Sie den richtigen Kurs

14.Unter vollen Segeln: Kernkompetenz Kommunikation

15.Durch stürmische See: Wie Sie souverän bleiben – auch wenn’s schwierig wird

16.»Bitte rammen Sie den Eisberg!«: Warum manchmal gerade das Gegenteil zum Ziel führt

Abschluss: »Allzeit gute Fahrt!« auf dem neuen Kurs

Verwendete und weiterführende Literatur

Der Autor

Willkommen an Bord: Wir lichten die Anker

Wieso denn noch ein Buch über Führung? Die Regale der Buchhandlungen stehen doch schon voll davon. Muss denn der Hagenow auch noch seinen Senf dazugeben? Ist zu diesem Thema nicht schon alles gesagt? »Doch«, könnte man mit einem Zitat von Karl Valentin antworten: »Es ist schon alles gesagt – nur noch nicht von allen.«

Das Thema Führung ist sehr vielschichtig und einem ständigen Wandel unterworfen. Als Psychologe, Business Coach und Kommunikationstrainer sind mir vor allem die menschlichen und zwischenmenschlichen Aspekte wichtig. Denn es sind immer die Menschen, die in den Unternehmen miteinander zu schaffen haben – und einander dabei oftmals auch zu schaffen machen. Dieses Buch ist jedoch kein Plädoyer für Basisdemokratie oder Kuschel-Management. Wir leben in einer freien Marktwirtschaft, in der der Erfolg aller nun einmal davon abhängt, ob und wie profitabel ein Unternehmen wirtschaftet.

Wenn Sie als Führungskraft, Manager, Vorstand oder Unternehmer tätig sind, tragen Sie eine hohe Verantwortung und sollten die psychologischen Tricks, Fallstricke, Mechanismen und Phänomene der Chefetagen kennen. Deshalb liefere ich Ihnen in den Teilen I bis III dieses Buches umfassendes Hintergrundwissen und psychologische Grundlagen für Ihren Führungsalltag. Aber ich möchte noch einen Schritt weiter gehen und Ihnen darüber hinaus im vierten Teil in der »Manager-Toolbox« effektvolle Werkzeuge, Tipps und Checklisten für die Anwendung in der Praxis zur Verfügung stellen, um Ihre Kompetenzen für ein Führen auf Augenhöhe zu erweitern.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Ihnen und Ihrem Unternehmen eine werteorientierte Führung knallharte Wettbewerbsvorteile verschafft. Außerdem laufen Sie so weniger Gefahr, als Führungskraft zwischen den Mühlsteinen der Hierarchie aufgerieben zu werden. Hierbei hilft Ihnen ein Führungsstil, der Klarheit schafft, Kompetenz und Augenmaß beweist, Mitarbeiter mit Anstand behandelt und vor allem auf Augenhöhe stattfindet. Wenn Sie auf langfristigen Erfolg setzen sowie Vertrauen und stabile Kontakte aufbauen wollen, dann sind Sie hier genau richtig. Willkommen an Bord!

Beim Schreiben des Buchtextes habe ich mich im Wesentlichen auf Formulierungen in der männlichen Form beschränkt. Einerseits, weil Führungspositionen (leider!) meistens immer noch von Männern besetzt sind. Vor allem aber, um Ihnen das Lesen zu erleichtern und sprachliche Ungetüme wie zum Beispiel »Ihr(e) Mitarbeiter(in) begegnet Ihnen als Chef(in) mit seinen/ihren eigenen Wertvorstellungen« zu vermeiden. Dennoch sind ausdrücklich immer auch weibliche Führungskräfte, Managerinnen oder Mitarbeiterinnen gemeint. Schließlich handelt es sich um ein universelles, gender-neutrales Thema.

In diesem Buch erfahren Sie, auf welche unterschiedliche Weise Sie mit Psychotricks in Berührung kommen können, welche Bedeutung und Auswirkungen diese Tricks haben und wie Sie diese mit den richtigen Lösungsansätzen umschiffen können.

Ich wünsche Ihnen »Mast- und Schotbruch« beim Führen auf Augenhöhe – ohne Psychotricks.

Ihr

Frank Hagenow

TEIL I

Auf dem falschen Dampfer – die Faszination der Psychotricks

image

Damit Sie die Hinweise für den Umgang mit Psychotricks und das »Führen ohne Psychotricks« richtig nutzen können, ist es – neben einigen allgemeinen Hintergrundinformationen – wichtig, vor allem das berufliche Umfeld abzustecken, in dem Psychotricks gerne eingesetzt werden. Und darum ist das ein Schwerpunkt der folgenden vier Kapitel.

image

1.Schummeln erwünscht: Lug und Trug – wohin man schaut

Darum geht es jetzt!

Woher die Faszination für psychologische Tricks kommt und was uns überhaupt so anfällig für Manipulationen macht. Warum wir uns manchmal so leicht verführen lassen und wider besseres Wissen alle Alarmsignale überhören. An welchen bekannten und weniger geläufigen Beispielen unsere persönlichen Strickmuster deutlich werden.

Der Psychotrick: Wie alles begann

»Apfel gefällig?«

»Oh nein, lieber nicht. Das könnte Ärger geben.«

»Merkt doch keiner.«

»Aber: wenn das rauskommt … dann fliegen wir doch sicher hier raus.«

»Ach, was soll schon groß passieren?«

»Hhm … na, gut.« (hineinbeiß)

»Haha, reingefallen!« (davonschleich)

Am Anfang erschuf Gott Adam und Eva – und der Teufel den Psychotrick. Die Sache mit dem Apfel stellt zumindest für unsere abendländische Kultur so etwas wie den Anbeginn der Verführung, der Manipulation dar. Sozusagen der Prototyp des Psychotricks. Und schon damals hatte die kurzfristige Aussicht auf Erfolg letztlich langfristig negative Konsequenzen im Schlepptau. Der Wunsch nach einem Machtgewinn durch die Frucht vom Baume der Erkenntnis wurde nämlich leider viel schneller als vermutet entdeckt und mit einer fristlosen Kündigung für die beiden ersten Geschäftsführer des Unternehmens Menschheit quittiert.

»Einspruch, Herr Vorsitzender, wir wurden reingelegt.«

»Schwacher Vortrag. Schon mal etwas von freiem Willen und Eigenverantwortung gehört?«

»Ja, aber …«

»Nix da, selber schuld. Ende der Diskussion. So sorry.«

Letzte Konsequenz: Rauswurf. Die Vertreibung des Menschen aus dem Garten Eden.

Wenn wir der Story noch etwas weiter folgen wollen, ging damit der ganze Ärger eigentlich erst so richtig los. Als ob der Platzverweis allein nicht schon schlimm genug gewesen wäre, gab es für den Rest der Menschheit eine ganze Reihe von weiteren Unannehmlichkeiten. Die bis dahin als natürlich empfundene Nacktheit war plötzlich mit einer bislang unbekannten Scham behaftet und musste fortan verhüllt werden. Auch die Verantwortung für die Ressorts »Nahrungsbeschaffung« sowie »Fortpflanzung« wurde vom Chef für alle Zukunft an die Mitarbeiter delegiert. Dabei hätte doch alles so einfach sein können. Stellen Sie sich doch nur einmal vor, was uns alles erspart geblieben wäre, wenn sich Frau Eva an dieser signifikanten Schnittstelle menschlicher Entwicklungsgeschichte einfach anders entschieden hätte. Wenn sie gegenüber ihrem CEO etwas mehr Loyalität und Compliance an den Tag gelegt hätte. Wenn sie kurz vor diesem emotional gesteuerten Schnellschuss einen Moment inne gehalten und vielleicht um einen Tag Bedenkzeit gebeten hätte (»Vielen Dank, Herr Schlange, für das interessante Angebot. Ich würde aber gern noch einmal eine Nacht darüber schlafen«). Vielleicht hätte sie dann auch die Gelegenheit genutzt, um ein vertrauensvolles Gespräch mit ihrem Mann zu führen (»Du, Adam, stell dir vor, was mir heute so ein zwielichtiger Vertreter vorgeschlagen hat. Denkst du, dass ich darauf eingehen sollte?«). Und mit reiflicher Überlegung, unter Abwägung aller Vor- und Nachteile, hätte sie sich dann vermutlich gegen den Apfelklau entschieden (»Ach nö. Lass mal lieber«).

Welch eine charakterliche Größe wäre es gewesen, dieser Versuchung zu widerstehen! Und wie hätte sich die Geschichte der Menschheit dann vermutlich weiterentwickelt? Vielleicht würden wir noch heute im Paradies leben und wären mit der Natur und unserem Selbstwertgefühl im Reinen. Wir bräuchten nicht unendlich viel Geld für Kleidung, Friseurbesuche, Cellulite-Cremes oder plastische Chirurgie auszugeben. Wie herrlich wäre es, sich keine Sorgen um die eigene Existenzsicherung machen zu müssen! Wir wären nicht mit so belastenden Lebensfragen konfrontiert, welches Kleid wir heute anziehen oder für welches neue Auto wir uns nach Ablauf des Leasingvertrags denn nun diesmal entscheiden sollen. Schönen Dank auch, Frau Eva! Wir würden uns heute nicht über Psychotricks Gedanken machen müssen. Ich würde darüber keine Vorträge halten, hätte dieses Buch nicht geschrieben und Sie hätten es nicht kaufen können. Na ja – zugegeben –, das hätte dann auch irgendwie seine Nachteile gehabt. Nun gut, genug des Wunschdenkens. Wie Sie ja wissen, ist es doch alles ganz anders gekommen.

Seit dem etwas verunglückten Start des Unternehmens Menschheit sieht unsere Realität nun im Allgemeinen so aus, dass wir als Säugling in diese Welt geboren werden. Was bedeutet das für uns? Eben waren wir noch in Mamas warmen Bauch, diesem Uterus-Paradies, in dem vollumfänglich und wohltemperiert für uns gesorgt wurde. Wir brauchten uns um keinerlei Nahrungsbeschaffung oder -entsorgung zu kümmern und wurden in unserer Fruchtblase der Glückseligkeit auch nicht von dubiosen Apfel-Verführern belästigt. Leider wurde es dort dann doch irgendwann zu eng und wir mussten das Licht der Welt erblicken, auch wenn wir noch gar nicht so richtig fertigentwickelt waren. Im Grunde wieder ein Rauswurf aus dem Paradies. Und diesmal, obwohl wir uns in keiner Weise daneben benommen hatten. Mietverhältnis abgelaufen – Auszug erforderlich – Licht an – Leine los – Atmen, bitte. Kaum, dass wir uns von den Strapazen unseres Umzugs erholt haben, sind wir ganz unvermittelt in eine völlig fremde Umgebung hineingeboren. In diesem neuen Umfeld sind wir dann auch gleich einmal mit den alltäglichen Mühen unseres neuen Daseins konfrontiert – und hoffnungslos überfordert. Bisher ungekannte Sinneseindrücke wie Hunger, Durst oder Verdauungsaktivitäten belasten uns – das muss schon ein ziemlicher Schock für so eine zarte Kinderseele sein. Das Einzige, was uns jetzt hilft und über die Runden rettet, ist: Vertrauen. Das ist die Grundlage unserer Existenz. Und zwar noch bevor wir überhaupt wissen, was Vertrauen ist oder wie es ausgesprochen wird. Uns bleibt überhaupt nichts anderes übrig, als in unserer Verletzlichkeit darauf zu vertrauen, dass für uns gesorgt wird. Dass man sich um uns kümmert und unsere Bedürfnisse erfüllt. Selbst dann, wenn wir sie momentan nur durch unartikulierte Lautäußerung kundtun können. Sonst sterben wir.

Im Gegensatz zu anderen Säugetierarten sind wir kurz nach unserer Geburt noch nicht in der Lage, auf eigenen Beinen zu stehen und halbwegs autonom zurechtzukommen. Um soweit zu sein, müssten wir noch etwa ein Jahr länger im Mutterleib verbringen; erst dann wären wir groß genug und bereit für den aufrechten Gang. Aber das machen selbst die aufopferungsbereiteste Mutter und das gebärfreudigste Becken der Welt nicht mit. Deshalb müssen wir also leider mitten in unserem halbfertigen Entwicklungsprozess geboren werden, weil wir ansonsten schlicht zu schwergewichtig für den Absprung durch den natürlichen Vertriebsweg wären. Und daher muss sich an die frühe Geburt noch eine umfangreiche Phase der Brutpflege anschließen, und auch danach sind wir mit unserer Entwicklung ja längst noch nicht fertig. Vielmehr müssen wir durch Erziehung und Schule mühsam einsehen, dass wir nicht der Mittelpunkt der Welt sind und dem anderen nicht einfach im Sandkasten die Schaufel wegnehmen dürfen.

Darüber hinaus müssen wir voller Mühe lernen, dass wir nicht alles haben können, was wir gern hätten. Und schon gar nicht immer gleich auf der Stelle. Vielmehr besteht unsere nächste Entwicklungsaufgabe darin zu verstehen, dass wir unsere Wünsche nicht immer sofort erfüllt bekommen und manche Ziele erst auf einem mühevollen Weg mit einem langen Atem erreichen können. Das kindliche »Lustprinzip« (»Ich will alles, gleich jetzt sofort!«) wird, wenn bei uns alles gut läuft, vom »Realitätsprinzip« (»Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt!«) abgelöst. Davon hat Sigmund Freud schon vor über hundert Jahren berichtet. Für diesen Entwicklungsschritt brauchen wir allerdings eine gehörige Portion Zuversicht und positive Kontrollüberzeugung, dass wir unsere Ziele auch mit Geduld und Zielstrebigkeit erreichen können. Wir müssen einsehen, dass es durchaus sinnvoll sein kann, wenn wir die kurzfristige Bedürfnisbefriedigung zugunsten eines späteren, noch attraktiveren Ziels vertagen. Sehr hilfreich und positiv verstärkend ist es für uns, wenn wir schon die eine oder andere erfolgreiche Erfahrung mit dieser Strategie gemacht haben. Selbst der gelegentliche Misserfolg vermag uns dabei nicht unbedingt vom Kurs abzubringen. Nein, ganz im Gegenteil. Manchmal werden wir dadurch sogar erst recht angespornt, weil ein Erfolg nur dann als solcher erlebt wird, wenn er mit einer entsprechenden Anstrengung verbunden war. Zu oft sollten wir allerdings auch nicht scheitern, weil der positiv verstärkende Effekt ansonsten in Frustration und Resignation umschlagen kann. Oder wie der frühere Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt es ausdrückte: »Niederlagen stählen. Aber nur, wenn es nicht zu viele sind!«

Vertrauen spielt für uns in unserem Entwicklungsprozess also eine zentrale Rolle. Nicht nur als Menschenjunges, sondern auch auf unserem gesamten weiteren Entwicklungsweg. Vertrauen zu müssen, vertrauen zu wollen und gleichzeitig in der Ambivalenz zu stecken, ob wir auch wirklich vertrauen können. Auch wenn wir uns schon längst aus kindlicher Abhängigkeit herausentwickelt haben, bleibt für uns immer eine wichtige Frage, ob unser Vertrauen nicht doch enttäuscht wird. Das nimmt weiterhin Einfluss auf uns und unser Selbstwertgefühl, auch wenn es später nicht mehr so existenzbedrohend wie am Anfang sein mag. Menschen sind soziale Wesen. Wir sind voneinander abhängig und allein auf uns gestellt nicht überlebensfähig. Deshalb brauchen wir Vertrauen, Zuversicht und die anderen Menschen um uns herum.

image

Insofern liegt es wohl in der Natur des Menschen, an eine (noch) bessere Zukunft oder manchmal sogar an Wunder glauben zu wollen. Allerdings macht uns das dann wiederum sehr anfällig für allerlei Psychotricks.

Täter und Opfer: Die geheime Anziehungskraft von Psychotricks

Die Faszination von Psychotricks hat verschiedene Seiten. Da ist zunächst die Seite der Täter. Diejenigen, die psychologische Winkelzüge anwenden, um die eigene Machtposition auszubauen, um andere Menschen für die eigenen Interessen einzusetzen. Im schlimmsten Fall, um sie abhängig und klein zu halten. Macht über andere haben bedeutet, in einer überlegenen Position zu sein. Und das kann das eigene Selbstwertgefühl ganz schön aufwerten. Die Anfälligkeit für Psychotricks begleitet uns schon durch den gesamten Lauf der Menschheitsgeschichte. Solange es die Menschheit gibt, gab es auch immer Vertreter dieser Gattung, die mit List und Tücke versucht haben, sich einen Vorteil zu ergaunern. Und zwar im Wesentlichen dadurch, dass sie andere, meist weniger listige Ableger der eigenen Spezies übers Ohr gehauen haben. Mit mehr oder weniger subtilen Methoden; je nachdem, wie es dabei um die eigene Intelligenz und die des Gegenübers bestellt war.

Die Geschichte ist voll von Betrügereien an der Menschheit. Da gab es etwa den geheimnisvollen reisenden Heiler, der sein »Wunderelixier« gegen allerlei Gebrechen auf mittelalterlichen Märkten der gutgläubigen Dorfgemeinschaft verkaufte (übrigens großartig verkörpert von Borat-Darsteller Sacha Baron Cohen in der Verfilmung des Musicals »Sweeney Todd – The Demon Barber of Fleet Street« mit Johnny Depp und Helena Bonham Carter in den Hauptrollen). Dieser Heiler – das ist der Vorgänger des zwielichtigen Gebrauchtwagenverkäufers oder Staubsaugervertreters.

image

Das Unbekannte, das Verheißungs- und Geheimnisvolle, das Vielleicht-doch-Mögliche, das Verbotene: All das übt auf uns bis heute seine ungebrochene Anziehungskraft aus.

Es macht uns als Menschen gleichermaßen außergewöhnlich und anfällig. Diese Offenheit für Neues hat uns im positiven Sinne ja erst zu dem werden lassen, was uns so einzigartig macht. Nämlich zu einer außerordentlichen Spezies, die von unstillbarer Neugier, von Pioniergeist und Zuversicht getrieben ist. Die bestrebt ist, sich selbst sowie ihre Umwelt immer weiter zu entdecken, zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Viele große Erfinder und Entdecker mussten am Anfang ihres Weges den Mut haben, das bis dahin unmöglich Geglaubte infrage zu stellen. Sonst gäbe es vermutlich viele Errungenschaften des digitalen Zeitalters nicht. Ohne Zweifel und Visionen wäre die Erde vermutlich in unserer Wahrnehmung noch immer eine Scheibe und der Mittelpunkt des Universums. Dabei spielt es den Tricksern in die Hände, dass wir uns auch gern einmal verführen lassen und das glauben, was wir glauben wollen.

Außerdem fällt es uns anscheinend leichter etwas zu glauben, was uns von kompetenten Fachleuten oder solchen, die wir dafür halten, glaubhaft vorgetragen wird. Wenn dann auch noch eine bestimmte Art von Autorität ins Spiel kommt, scheint dem Irrsinn Tür und Tor geöffnet zu sein. Dann stolpern wir erst im Nachhinein über Äußerungen wie: »Die Titanic ist unsinkbar, liebe Passagiere. Macht euch um die wenigen Rettungsboote und das bisschen Eisberg keine Sorgen.«

Der Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht, verkündete auf einer Pressekonferenz in Ost-Berlin am 15. Juni 1961: »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.« Das war glatt gelogen, denn begonnen wurde der Mauerbau dann schon etwa zwei Monate später, im August 1961. Oder denken Sie nur an die Berichte über Saddam Husseins vermeintliche Giftgasanlagen und Massenvernichtungswaffen im Irak, mit denen der Golfkrieg 2003 vom Zaun gebrochen wurde – und die dann hinterher keiner gefunden hat.

Allerdings sind wir keineswegs immer nur das arme Opfer, das wieder einmal den hinterhältigen Machenschaften fieser Manipulatoren auf den Leim gegangen ist. Oft genug sind wir auch Täter, indem wir selbst versuchen zu manipulieren und zu tricksen, um uns einen Vorteil zu verschaffen. Vielleicht tun wir dies sogar, ohne uns dessen bewusst zu sein. Die Übergänge von der wohlwollenden Auslegung bestimmter Aussagen zu unseren eigenen Gunsten bis hin zum handfesten Betrug in der Hoffnung, dass es keiner merkt und wir ungestraft in den Genuss der verbotenen Früchte kommen, sind fließend. Da ist es letztlich ganz gleichgültig, ob es um die wohlwollende Interpretation der eigenen Steuererklärung oder die Strategie Ihres Rechtsanwalts vor Gericht geht.

Menschen in Führungspositionen müssen jedoch neben den Wünschen des Einzelnen auch immer das große Ganze im Blick behalten und versuchen, sämtliche Erfordernisse mit Weitblick zu berücksichtigen. So würde es zum Beispiel keinen wirklichen Sinn ergeben, wenn ein Chef allen seinen Mitarbeitern den nachvollziehbaren Wunsch nach einer generösen Gehaltserhöhung erfüllt und damit die Liquidität des Unternehmens für mittelfristige Investitionen gefährdet. Denn dann könnte es passieren, dass am Ende für alle die Lampen ausgehen.

Der Traum vom Glück

Wenn Sie gern Lotto spielen, sind Sie in guter Gesellschaft. Das tun mit Ihnen in Deutschland jede Woche etwa 20 Millionen Menschen. In anderen Ländern dürfte das Interesse ähnlich hoch liegen. Die Chancen auf einen echten Lottogewinn in nennenswerter Höhe sind allerdings tatsächlich sehr gering. Sie liegen etwa bei 1:140 Millionen (6 aus 49 mit Superzahl). Das bedeutet, dass es ungefähr 140 Millionen verschiedene Kombinationen dieser Zahlen gibt und Sie theoretisch 140 Millionen verschiedene Tipps abgeben müssten, um mit Sicherheit die gezogenen Zahlen dabei zu haben. Oder anders ausgedrückt: Sie spielen mit Ihrer Tipp-Kombination gegen etwa 140 Millionen andere Tipp-Kombinationen, die mit gleicher Wahrscheinlichkeit gezogen werden könnten.

»Nicht ausgeschlossen«, werden Sie jetzt vielleicht sagen, »schließlich trifft es ja fast jede Woche irgendeinen Glücklichen in diesem Land.« Stimmt auch. Allerdings gewinnt dieser Glückliche ja auch nur das Geld, was andere vorher eingesetzt und verloren haben. Haben Sie gewusst, dass nur etwa 50 Prozent der Lottoeinnahmen auch tatsächlich wieder an die Gewinner verteilt werden? Die andere Hälfte versickert schon vorher in der Staatskasse und bei den Betreibergesellschaften. Als zusätzliche Raffinesse kommt hinzu, dass Sie auch bei einem Hauptgewinn nicht wissen, wie hoch Ihr Gewinn tatsächlich ausfallen wird. Dies hängt nämlich zunächst einmal davon ab, wie viele Menschen überhaupt mitgespielt und in den Glückstopf eingezahlt haben. Und dann kommt es noch darauf an, ob es neben Ihnen auch andere Glückliche gibt, die dieselben Zahlen getippt haben. Wenn Sie das Pech haben, dass neben Ihnen auch noch fünf andere den Jackpot geknackt haben, dann wird die Gewinnsumme letztlich unter Ihnen allen aufgeteilt. Sie sehen schon, das Risiko ist vollkommen auf Ihrer Seite.

Da stellt sich doch die Frage, warum überhaupt so viele Menschen jede Woche wieder einen Lottoschein ausfüllen. Zumal viele von ihnen auf Nachfrage angeben, ohnehin nicht ernsthaft mit einem großen Gewinn zu rechnen. Es scheint also nicht wirklich um die reale Gewinnchance zu gehen, sondern es geht um den Glauben an das persönliche Glück. Genau genommen kaufen wir uns mit dem Lotterielos eine Baugenehmigung für unsere Luftschlösser. Es gibt uns die Gelegenheit, mit relativ geringem Einsatz über die eigenen Grenzen und Beschränkungen des Alltags sowie unserer Lebensrealität hinaus zu träumen. Schnell wird da der eigentlich wertneutrale Zufall auf die eigene Person bezogen und je nach seiner positiven oder negativen Ausrichtung als Glück oder Pech wahrgenommen. Fragen Sie einmal die Menschen in Ihrem Umfeld, was sie mit einem Lottogewinn anfangen würden. Und dann beobachten Sie dabei deren Reaktion. Selbst eingefleischte Realisten und erklärte Lottogegner, die überhaupt nicht Lotto spielen, fangen plötzlich an, Wunschträume zu formulieren und sich auszumalen, wie ihr Leben mit viel Geld in einer besseren Welt aussehen könnte.

In diesem Zusammenhang ist übrigens interessant, sich einmal mit realen Lottogewinnern zu beschäftigen. So hat man Menschen, die tatsächlich mit einem größeren Millionengewinn gesegnet waren, nach einigen Jahren wieder besucht. Man wollte wissen, was aus ihnen und ihrem Gewinn geworden ist. Das Ergebnis ist ebenso verblüffend wie ernüchternd. Man traf im Wesentlichen zwei verschiedene Gewinnertypen an: Die einen lebten in einem gewissen, wenn auch nicht übertriebenen Wohlstand, während die anderen pleite waren oder sogar noch mehr Schulden als vorher hatten. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass die Menschen der einen Gruppe auch schon vor dem Lottogewinn mit ihren früheren, bescheideneren Mitteln ein durchaus zufriedenstellendes Leben geführt hatten. Bei der anderen Gruppe zeigte sich, dass diese Menschen auch schon vorher erhebliche Schwierigkeiten hatten, mit Geld wirtschaftlich umzugehen. Daran hatte auch der unerwartete Geldsegen nichts geändert. Vielmehr wurde das Geld innerhalb kurzer Zeit für allerlei spontane Konsumträume wie Reisen, Autos, Kleidung, Luxusartikel und Partys ausgegeben. Unterm Strich könnten wir sagen, dass auch ein unerwarteter Gewinn nur dann langfristige Vorteile hat, wenn es gelingt, verantwortungsbewusst und mit Weitblick damit umzugehen. Und damit schließt sich der Kreis zu den Kompetenzen, die Sie auch als Führungskraft für einen langfristigen Erfolg benötigen.

Die Macht der Gewohnheit

Am Beispiel statistischer Wahrscheinlichkeiten ist gut zu erkennen, wie sehr uns unsere subjektive Wahrnehmung und Einschätzung der Realität einen Streich spielt. Gefühlt wird ein Ereignis umso unwahrscheinlicher, je länger es nicht eingetreten ist. Je häufiger wir mit einem Ereignis konfrontiert werden, desto schneller wird es für uns zur Normalität. Wenn Sie beispielsweise 20 Jahre lang unfallfrei Auto gefahren sind, ist das nichts Besonderes mehr für Sie. Sie gehen dann fast wie selbstverständlich davon aus, dass Sie auch bei Ihrer nächsten Fahrt unfallfrei an Ihr Ziel gelangen werden. Schließlich ist es ja schon lange gut gegangen. Sie sind ein erfahrener, guter Autofahrer, und der Erfolg gibt Ihnen irgendwie recht. Statistisch gesehen steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls mit jedem Tag, an dem Sie keinen Unfall hatten, gerade weil es ja schon so lange gut gegangen ist. Irgendwann ist das Unfallereignis jedoch statistisch fällig. Dennoch suggeriert uns die unfallfreie Realität eine trügerische Sicherheit, sie vermittelt uns den Eindruck der eigenen Unverletzlichkeit. Trotzdem würden Sie vermutlich nicht aufhören, sich beim Autofahren anzuschnallen, nur weil Sie den Sicherheitsgurt in der Vergangenheit nicht gebraucht haben.

In unserer Lebensrealität werden wir immer wieder mit Ereignissen konfrontiert, die zwar statistisch gesehen ähnlich selten wie ein Lottogewinn eintreten, die uns aber dennoch mit großer Sorge erfüllen. Dazu gehören so unliebsame Ereignisse wie vom Blitz getroffen zu werden oder von einem herabfallenden Ziegelstein oder einem umfallenden Baum. Vielleicht befürchten wir auch, einem Terroranschlag oder dem Angriff eines Haifischs zum Opfer zu fallen. Auch ein Flugzeugabsturz dürfte auf der Skala der Dinge, auf die wir gern verzichten können, ganz oben stehen. Wie Sie vielleicht wissen, besteht jedoch die größte Gefahr, während einer Flugreise zu Schaden zu kommen, darin, auf dem Weg zum Flughafen einen Autounfall zu erleiden. Trotzdem schätzen wir die gefühlte Gefahr viel höher ein, als es ihrer statistischen Wahrscheinlichkeit tatsächlich angemessen wäre. Dies liegt sicher auch an der Berichterstattung durch die Medien, wenn es dann doch einmal zu einem solch seltenen Ereignis gekommen ist. Ein Flugzeugabsturz erhält in der medialen Berichterstattung eine übermäßige Präsenz und Bedeutung, während die vielen unauffälligen, planmäßigen und sicheren Flüge vorher keine einzige Meldung wert sind. Da, wo nichts passiert, gibt es halt auch nichts zu berichten.

In einem ähnlichen Zusammenhang können Sie die psychologischen Tricks und Manipulationen in unserem Alltag sehen, denn sie begegnen uns an allen Ecken und Enden. Genau genommen arbeitet jeder Supermarkt mit Psychotricks, um mehr Umsatz zu machen. Das Ziel ist, Sie als Kunden möglichst lange im Laden zu halten, in eine angenehme Gefühlslage zu versetzen und Ihnen dann auch noch ein besonderes Kauferlebnis zu verschaffen.

Es wird viel dafür getan, damit Sie sich wohlfühlen und bereit sind, Ihr Geld auszugeben. Der übergroße Einkaufswagen suggeriert Ihnen: »Hier ist noch fast gar nichts drin. Bist du sicher, dass du schon alles hast?« Großpackungen sind günstiger als kleinere Mengen und laden Sie zum Vorratskauf ein. Beschwingte Musik schafft positive Emotionen. Selbst die Bodenfliesen sind in einigen Märkten so ausgewählt, dass sie aufgrund ihrer Beschaffenheit den Eindruck eines nassen Bodens vermitteln. Warum das? Ganz einfach. Die Hoffnung ist, dass Sie sich über einen vermeintlich nassen Boden vorsichtiger bewegen, weil Sie die Sorge haben, auszurutschen. Sie gehen also langsamer und halten sich dadurch länger im Supermarkt auf. Das bedeutet mehr Zeit, die zum Einkaufen und zum Geldausgeben zur Verfügung steht. Jetzt sagen Sie vermutlich: »Auf diese Bauernfängertricks falle ich doch nicht herein. Ich habe eine Einkaufsliste und kaufe auch nicht spontan ein, wenn ich Hunger habe.« Darum: Prüfen Sie doch einmal nach Ihrem nächsten Einkauf kritisch, ob Sie wirklich ausschließlich die Dinge gekauft haben, die Sie vorher auch einkaufen wollten.

Vielleicht haben Sie ja schon gelegentlich das eine oder andere Schnäppchen mitgenommen, von dem Sie vorher noch gar nicht gewusst haben, dass Sie es überhaupt brauchen könnten. Oder vielleicht haben Sie nur in einer größeren Menge als ursprünglich beabsichtigt eingekauft, weil die viel günstigere Vorratspackung oder der reduzierte Preis bei Sonderangeboten (»Nimm drei, bezahle zwei«) Sie doch noch überzeugt hat.

Viele solcher Schummeleien sind inzwischen weit verbreitet und zu einer gesellschaftlichen Normalität geworden. Hinter vielen Anfragen und Angeboten vermuten, ja erwarten wir schon gar nichts anderes als eine Mogelpackung. So wie bei den allseits beliebten, aber oftmals illegalen Werbeanrufen von Marketingfirmen. Da lassen uns doch die honigsüße Säuselstimme und der aufgekratzte Überschwang der Anruferin allein schon in die innere Habachtstellung gehen. Sofort liegen wir auf der Lauer und warten auf den großen Moment, in dem sie die Katze aus dem Sack lässt und uns endlich verrät, was sie uns denn nun eigentlich wirklich verkaufen will.

Oder denken Sie einmal an die vielen Versprechen, die Politiker vor einer Wahl abgeben. Kaum jemand von uns glaubt doch wirklich, dass diese vollmundigen Verheißungen später tatsächlich 1:1 in der Realität umgesetzt werden können oder umgesetzt werden sollen. Und jeder kennt das Ritual, wenn dann am Wahlabend das Ergebnis vorliegt und sich die Spitzenpolitiker der beteiligten Parteien nach den ersten Hochrechnungen im Fernsehstudio zusammenfinden, um das voraussichtliche Wahlergebnis zu interpretieren. Da gibt es eigentlich immer nur Gewinner. Und selbst der Kandidat mit den höchsten Verlusten holt aus dem letzten Winkel seines Argumentationsarchivs immer noch irgendeinen fadenscheinigen Vergleich hervor, mit dem er der peinlichen Schlappe etwas Positives abgewinnen kann.

Und da liegt der Trick: Sie müssen nur ein noch schlechteres Ergebnis finden, das Sie dann für den Vergleich bemühen. Voilà! So ähnlich verhält es sich auch in anderen Bereichen, etwa wenn sich das im Makler-Exposé hochtrabend angepriesene »charmante Single-Appartement für unkonventionellen Start-up« als Wohnklo mit Kochgelegenheit oder als Besenkammer mit Hofblick entpuppt.

»Das tun doch alle!« ist dabei ein gern angeführtes Argument für die zahlreichen Beispiele unethischen Handelns in Wirtschaft, Sport und Politik. Manchmal rechtfertigen wir damit auch unser eigenes Handeln vor uns selbst oder anderen, weil es für uns offenbar nicht so moralisch und ethisch verwerflich ist, wenn wir etwas tun, was andere ebenfalls praktizieren.

image

Diese Macht der Gewohnheit sorgt allerdings dann auch dafür, dass die kleineren und größeren Betrügereien in unserem Alltagsleben und unseren Werthaltungen eine bedauerliche Salonfähigkeit bekommen.

2.Alle Mann an Deck: Der Wunsch nach schnellen Lösungen ohne Widerstand

Darum geht es jetzt!

In welchen Zusammenhängen Psychotricks in Unternehmen zum Einsatz kommen und welche geheimen Hoffnungen wir damit verbinden. Was Sie als Chef beim Umgang mit Konflikten bedenken sollten.

Die Bedürfnisse hinter dem (versteckten) Wunsch nach psychologischen Tricks

Oft erreichen mich Anfragen von Menschen in Unternehmen, die sich Unterstützung für schwierige Situationen wünschen. Dabei geht es häufig um Konflikte, die Führungskräfte mit sich selbst oder anderen Personen haben. Es geht in diesen Anfragen jedoch kaum um Sachfragen oder die Organisation von Vertriebswegen, sondern meistens um menschliche und zwischenmenschliche Themen. Kein Wunder, denn schließlich bin ich ja Psychologe. Bei der Feuerwehr ruft man ja auch nur an, wenn’s brennt, und nicht, wenn der Kopierer defekt ist. Bei diesen Anfragen werde ich dann manchmal ganz offen – und manchmal auch ein bisschen hinten herum durch die Blume – nach psychologischen Tricks gefragt (»Können Sie uns mit Ihrem Hintergrundwissen und Ihrer Erfahrung vielleicht ein paar ›hilfreiche Werkzeuge‹ an die Hand geben, mit denen wir das Problem schnell wieder in den Griff bekommen?«). So, als gäbe es ein geheimes, psychologisches Wundermittel, das man sich nur verschaffen und anwenden müsste, um die aktuellen Konflikte fortzuzaubern. Ich kann diesen Wunsch sehr gut nachvollziehen. Da gibt es ein Problem, das einen zur Verzweiflung treibt, das man mit den eigenen Bordmitteln nicht so richtig in den Griff bekommt und das jetzt einfach mal verschwinden soll.

Am Ende kommt dann allerdings meistens etwas ganz anderes zustande als das, was sich der Anfragende ursprünglich vorgestellt hat. Aus der Anfrage nach einem Kommunikationstraining wird dann vielleicht eine Konfliktklärung mit der gesamten Abteilung oder ein Einzelcoaching für die Führungskraft. Was es tatsächlich braucht, um das Problem zu lösen, stellt sich nämlich erst im Prozess des gemeinsamen genaueren Hinsehens heraus.

Was mögen die Bedürfnisse und geheimen Hoffnungen sein, die sich mit dem (versteckten) Wunsch nach Psychotricks verbinden? Und warum wird überhaupt nach Psychotricks gesucht? Die erste Antwort auf diese Frage ist verhältnismäßig banal: weil Psychotricks oftmals funktionieren. Zumindest einmal oder kurzfristig. Damit ist in vielen Situationen das Ziel schon erreicht, denn es geht vielfach nur darum, einen schnellen Erfolg einzufahren. Den nächsten Monatsabschluss positiv hinzubekommen. Die aktuelle Jahresbilanz erfolgreich zu präsentieren. Den Vorstand schnell mal zufriedenzustellen. Den anstrengenden Mitarbeiter erst einmal ruhig zu stellen. Die nächste Wahl zu gewinnen. Den besseren Job zu bekommen. Das drohende Fiasko erst einmal abzuwenden. Und vieles andere mehr. Und somit wäre mit einem psychologischen Trick schon einmal viel gewonnen; später können wir dann ja immer noch weitersehen. Hauptsache, die Kuh ist erst einmal vom Eis.

image

Die Grundmotivation für den Einsatz von Psychotricks kann allerdings sehr unterschiedlich sein.

Da gibt es Chefs, die ihre manipulativen Winkelzüge ganz bewusst einsetzen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Sie wollen ihre eigene Machtposition durchsetzen, Umwege abkürzen oder unliebsame Hemmnisse umgehen. Sie sind davon überzeugt, dass dies ein sinnvoller und Erfolg versprechender Weg ist. Eventuelle Nachteile, die ihr Handeln mit sich bringt, werden entweder bewusst in Kauf genommen, ignoriert oder gar nicht erst wahrgenommen. Einem solchen Chef könnte eine klare Analyse der Folgekosten und Kollateralschäden helfen, das eigene Handeln zu überdenken. Nur wenn in einer glaubwürdigen Kosten- und Nutzenabwägung die Vorteile überwiegen, werden Handlungsalternativen überhaupt in Betracht gezogen. Und selbst dann stellt sich die Frage, ob derjenige mit einer anderen Überzeugung und Grundeinstellung zu einem anderen Verhalten dazu überhaupt in der Lage wäre. Dies würde nämlich voraussetzen, dass er auch andere Handlungsmuster und Werkzeuge zur Verfügung hat. Oftmals behaupten diese Chefs, dass sie zwar durchaus anders handeln könnten, es aber gar nicht wollen. Damit umgehen sie auf elegante Weise, die behaupteten Handlungsalternativen im Ernstfall unter Beweis stellen zu müssen.