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Originalausgabe

2. Auflage 2018

© 2018 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

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Fax: 089 652096

 

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Redaktion: Sebastian Brück

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: Getty Images/Alexander Hassenstein/FIFA

Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern

 

ISBN Print 978-3-7423-0582-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-74530-140-3

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-74530-141-0

 

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Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: indheit am Niederrhein

Kapitel 2: Der Bökelberg ruft

Aufstieg in die Bundesliga

Die ersten Profijahre

Wechsel nach Hannover

Rückkehr zur großen Liebe – Die legendäre Fohlen-Elf der Siebzigerjahre

Europameister und Weltmeister

Kapitel 3: Jupps Trainerzeit

Cheftrainer auf dem Bökelberg

Umzug an die Säbener Straße

Wechsel nach Spanien

Intermezzo in Frankfurt

Reif für die Insel

»Don Jupp« und die Königlichen

Ein Jahr in Lissabon

Bilbao die Zweite

Rückkehr in die Bundesliga – Das Ende einer Ära?

Kapitel 4: Der Bayern-Retter

Jupp übernimmt Bayer Leverkusen

Trauma und Triple – Jupp Heynckes und die Rekord-Bayern

Kapitel 5: Karriereende

Kapitel 6: Einmal geht noch – FC Bayern die Vierte

Quellen

Anmerkungen

Sonstige Quellen

Danksagung

 

 

 

Vorwort

Es ist ein emotionaler Samstag, dieser 34. Spieltag der Fußballbundesliga. Ein weinender Jupp Heynckes sitzt vor laufenden Kameras in der Pressekonferenz. Das gab es noch nie. In den vielen Jahrzehnten, die der Mann vom Niederrhein den Fußball inzwischen prägt, hat man schon so einiges von ihm gesehen. Doch dass Jupp Heynckes in der Öffentlichkeit weint, ist ein absolutes Novum.

Man kennt den Fußballlehrer mit rotem Kopf, mit breitem Lächeln, mit tief gefurchter Stirn, mit Schalk in den Augen und mit väterlichem Wohlwollen im Blick. Zu Tränen rühren kann ihn offenbar nicht viel. Jedenfalls nicht so leicht. Doch dieser 34. Spieltag ist kein normaler Saisonabschluss. Es ist Jupp Heynckes’ Abschiedsspiel in der Bundesliga, und es findet in Mönchengladbach statt – »seiner« Stadt. Nach dem Sieg der Bayern-Elf wird Heynckes im ausverkauften Stadion von 50.000 Fans würdig verabschiedet und lautstark gefeiert. Auch wenn er an diesem Tag im Mai 2013 dort unten als Bayern-­Trainer auf dem Rasen steht, ist Jupp Heynckes im Herzen immer Gladbacher geblieben. Hier am linken Niederrhein hat er die Fußballkarriere begonnen. Hier ist Jupp Heynckes’ Heimat.

Diese Heimat möchte er auch seinen Spielern zeigen. Deshalb nutzt Heynckes die Gelegenheit und fährt nach dem Spiel mit der ganzen Mannschaft in die »Casa de los Gatos« (»Haus der Katzen«), wie er seinen spanischen Bauernhof inmitten des idyllischen Schwalmtals nennt. Nur 14 Kilometer von Mönchengladbach entfernt liegt Heynckes’ Zuhause. Hier lebt der stille Trainer zusammen mit seiner Frau Iris, seinen Katzen und natürlich seinem geliebten Schäferhund Cando.

Es kommt nicht oft vor, dass Jupp Heynckes der Öffentlichkeit einen solch intimen Einblick in sein Privatleben gewährt. Wie gesagt, es ist ein emotionales Wochenende. Sein Bundesliga-Abschied liegt hinter ihm. Am kommenden Wochenende steht das große Finale in der Champions League an. Das Ziel, auf das die Münchner seit dem verspielten Finale »Dahoam« eisern hingearbeitet haben. Da passt es gut, dass die ganze Mannschaft im Hause Heynckes noch einmal zum gemeinsamen Sauerbratenessen zusammenkommt. So locker wird man die Spieler in der kommenden Woche vorerst nicht mehr sehen. Und auch den Trainer nicht.

Es ist so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm. Hier auf Jupp Heynckes’ Bauernhof können die Profis vom FC Bayern noch ein letztes Mal entspannen, bevor es in den Endspurt der Saison geht. Jupp Heynckes kann noch einmal ausgiebig seinen Cando streicheln, ehe er sich voll und ganz auf das Ziel »Henkelpott« fokussieren muss. Ein gemeinsames Essen bei bestem Wetter in Jupp Heynckes’ wunderschönem Garten, ein Gläschen Wein, ein Schlückchen Bier, noch einmal zusammen herumalbern und gemeinsam lachen, bevor sich am da­rauffolgenden Samstag entscheidet, wer sich die Krone des europäischen Fußballs aufsetzen kann. Die perfekte Vorbereitung, wie es scheint. Jupp Heynckes weiß, wie wichtig die menschlichen Faktoren im Fußball sind. Es geht nicht nur um Taktik und Superstars. Die Mannschaft muss als Einheit auftreten, wenn sie erfolgreich sein will. Da sind solche Gelegenheiten wie der Hausbesuch beim Trainer von unschätzbarem Wert.

Gerade mal eine Woche später sieht man keine Tränen auf Jupp Heynckes’ Gesicht. Nach dem Finalkracher seiner Mannschaft und dem Triumph in der Champions League gegen den BVB tanzt Jupp Heynckes strahlend mit seinen Spielern durch das Londoner Wembleystadion.

Freudentaumel statt Freudentränen. Spätestens jetzt gehört Jupp Heynckes zu den ganz Großen im Trainergeschäft. Zum zweiten Mal in seiner Karriere hat er die Champions League gewonnen. Mit zwei verschiedenen Vereinen. Das ist bisher außer Heynckes nur sehr wenigen gelungen. Eine Woche später setzt seine Mannschaft im Pokal noch einen drauf. Sie gewinnt als erste Bundesliga-Mannschaft das Triple und macht dem Mönchengladbacher zu seinem Karriereende damit das größte Geschenk überhaupt.

Mehr geht nicht – das ist »Don Jupp« bewusst, und so geht er nach dem sensationellen Triple-Sieg des FC Bayern in den wohlverdienten Ruhestand. Den möchte er in Schwalmtal verbringen. Mit seiner Frau Iris und Cando. Der Fußballenthusiast Jupp Heynckes zieht sich damit nach fast 50 Jahren aus dem Geschäft zurück. Und legt die Messlatte so hoch, dass sie für seine Nachfolger unerreichbar bleibt. Da muss der emeritierte Fußballlehrer schon selber aus der Rente zurückkommen und im Oktober 2017 zum vierten Mal das Ruder beim FC Bayern übernehmen – mit 72 Jahren. Ob er an seine sensationellen Erfolge anknüpfen kann, bleibt abzuwarten. Zuzutrauen ist es Jupp Heynckes in jedem Fall.

 

 

 

Kapitel 1

Kindheit am Niederrhein

Es ist der 9. Mai 1945, ein Tag nach Kriegsende. Die Nazis haben kapituliert, und nach den grauenvollen Jahren des Zweiten Weltkriegs kehrt der Frieden zurück nach Europa. Eine Zeit der Hoffnung, aber auch des Bangens. Vor allem in Deutschland.

In Mönchengladbach ist Familie Heynckes an diesem Tag aber mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Für Gedanken an Krieg oder Frieden bleibt kaum Zeit. Schließlich ist Mutter Heynckes hochschwanger, ja, sie steht kurz vor der Entbindung. Man kann sich die helle Aufregung bildlich vorstellen. Sein neuntes Kind auf die Welt zu bringen, das ist beileibe keine leichte Aufgabe. Und dann auch noch im schwer versehrten Nachkriegsdeutschland, in dem die medizinische Versorgung nicht auf dem besten Stand ist.

Letzten Endes geht aber alles gut. Der Junge ist gesund und wird auf den Namen Joseph getauft. Schon bald wird man ihn auf der ganzen Welt als Jupp kennen. Bis dahin sollen aber noch einige Jahre ver­gehen.

Als eines von zehn Kindern kann sich Jupp Heynckes noch gut an die entbehrungsreiche Nachkriegszeit erinnern. »Wir waren eine sozial schwache Familie«, erzählt er in einem Interview mit dem ­kicker.1 Zusammen mit seinen Geschwistern wächst er in sehr einfachen Verhältnissen auf, und jedes Kind muss damals seinen Beitrag zur Versorgung der Familie leisten.

Jupp fallen gleich mehrere Aufgaben zu. Familie Heynckes hält zwei Schweine und einige Hühner, um sich über Wasser zu halten. Nur fehlt ihnen das Geld für Futter, und so muss der kleine Jupp die Nachbarschaft nach Kartoffelschalen und anderen Essensabfällen abklappern, die er dann an die Tiere verfüttert. Er betätigt sich auch als Schrott- und Lumpensammler, klaubt alles an Alteisen und Stoffresten zusammen, was er finden kann, und versetzt es schließlich beim Lumpenhändler. Außerdem betreibt seine Mutter einen kleinen Tante-Emma-Laden. Da in der Nachkriegszeit für viele das Geld ziemlich knapp ist, zeigt sich Frau Heynckes gerne bereit, ihre Kundschaft anschreiben zu lassen. Die meisten Kunden begleichen ihre Rechnung so bald wie möglich. Aber wie immer sind auch ein paar schwarze Schafe dabei, die es mit ihren Schulden nicht so genau nehmen. Da kommt der junge Jupp ins Spiel. Er ist sozusagen der Geldeintreiber seiner Mutter. Das klingt erst einmal ziemlich unangenehm. Doch Jupp Heynckes ist kein Grobian oder Schlägertyp. Er muss nie Gewalt anwenden, vielmehr bringt er die säumigen Kunden mit Charme und Witz dazu, ihre Rechnungen zu bezahlen.

Einem weiteren Job geht Jupp auf dem Tennisplatz nach. Sonntags betätigt er sich dort als Balljunge. Für einen ganzen Tag Bälle-Aufsammeln bekommt er damals fünf Deutsche Mark.

Trotzdem bleibt »Geld« lange ein schwieriges Thema. Einmal kann er sich der junge Jupp die Eintrittskarte für eine Kinovorführung nicht leisten: Er hat nur eine Mark in der Tasche. Das ist zu wenig: Ihm fehlen zehn Pfennig.

»Wegen zehn Pfennig konnte ich den Film nicht sehen«, erzählt er in einem Interview mit der BILD-Zeitung.2 Es ist ein prägendes Erlebnis für Jupp. Davon inspiriert, beschließt er, in Zukunft mehr Geld zur Verfügung zu haben.

Stellte sich nur die Frage: Wie? Dass er eines Tages als Fußballprofi und Erfolgscoach Millionen verdienen würde, kann Heynckes damals zwar hoffen – wissen kann er es nicht. Deshalb legt er sich einen Plan B zurecht. Er will Architekt werden und so der Armut der Kindertage entfliehen. Als Sohn eines Schmieds sieht er eine praktische Ausbildung als ersten Schritt auf diesem Weg. Und so beginnt der junge Heynckes eine Stuckateur-Lehre. Sein Herz schlägt zwar auch während der Ausbildung in erster Linie für den Fußball. Trotzdem wird Heynckes Innungsbester. Eine Zeitlang arbeitet Heynckes im Baubüro. Rückblickend glaubt er, dass er dort auch geblieben wäre – doch zum Glück kommt ihm die große Leidenschaft seines Lebens in die Quere: Schon als kleiner Steppke kickt Jupp für sein Leben gern mit anderen Kindern. Schon früh ist es sein Traum, Profi zu werden. Aber nicht irgendeiner. Bereits damals steckt sich Jupp Heynckes hohe Ziele. Unter »Nationalspieler« und »Deutscher Meister« will er sich nicht zufriedengeben. Ein prägendes Fußballerlebnis in Heynckes’ Kindheit ist das Wunder von Bern. Als Deutschland 1954 gegen die hochfavorisierten Ungarn Weltmeister wird, ist der neunjährige Jupp live dabei. Familie Heynckes hat damals selbstredend noch keinen eigenen Fernseher. Jupp verfolgt das Weltmeisterschaftsfinale gemeinsam mit rund 100 anderen Fans auf einem kleinen Schwarz-Weiß-Gerät. Es ist fast so etwas wie ein frühes Public Viewing. Zusammen mit den anderen Kindern liegt er auf dem Fußboden und fiebert mit. Der einzige Unterschied: Heynckes’ Idole sind nicht Helmut Rahn oder Fritz Walter. Sein großes Vorbild heißt Ferenc Puskás. Genauso wie der ungarische Torjäger möchte auch Heynckes später einmal spielen. Deshalb übt er ununterbrochen, verbringt seine Freizeit ausschließlich mit »pengen«, wie er es nennt, und entlockt seiner Mutter damit regelmäßiges Kopfschütteln.

»Was soll aus dem Jungen bloß werden?«, pflegt Frau Heynckes stets zu sagen.3

Fußballer natürlich! Das viele Training soll sich nämlich bald auszahlen. In der Jugend spielt Jupp schon als Elfjähriger für BV Grün-Weiß Holt und bekommt mit seiner Mannschaft regelmäßig von der Borussia die Hucke voll. Oft verlieren sie zweistellig. Aber Heynckes sticht schon damals aus seiner Mannschaft heraus, schießt viele Tore. Und vor allem lernt er eine ganz wichtige Lektion: Nach einer der vielen Niederlagen tröstet Betreuer Alfred Dettner den jungen Jupp. Er solle sich das Ganze nicht so zu Herzen nehmen. Niederlagen gehörten eben genauso zum Fußball wie Siege. Die aufmunternden Worte des einfühlsamen Betreuers bleiben hängen, und Heynckes lernt, dass auch im Fußball die menschlichen Aspekte im Vordergrund stehen. Es ist eine wichtige Lehrstunde in »Psychologie und Empathie«, Qualitäten, die Heynckes vor allem als Trainer unbedingt brauchen wird.4

Sein späterer Mannschaftskollege Herbert Laumen, der schon vor Heynckes auf dem Bökelberg – der Heimspielstätte von Borussia Mönchengladbach – spielte, kann sich noch gut an die Jugendzeit erinnern.

»Er hat nie aufgegeben«, erzählt Laumen über Heynckes.5 Jupp sei ein unermüdlicher Kämpfer gewesen. Immer torhungrig, immer gefährlich, ein Ausnahmetalent. Nur leider eben in einer schwachen Mannschaft. »Zum Glück ist er dann zu uns gekommen«, freut sich Laumen.6

Ab da geht es steil bergauf für Jupp. 1962 wechselt er von der erfolglosen Gladbacher Stadtteilmannschaft Grün-Weiß Holt zur großen Borussia. Es ist der erste Schritt auf dem Weg zum Profi. Der Erfolgszug Jupp Heynckes kommt immer mehr ins Rollen. Und ist schon bald nicht mehr aufzuhalten.