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Altersmedizin in der Praxis

 

Herausgegeben von Johannes Pantel und Rupert Püllen

Werner Vogel

Das Geriatrische Team

Wie interprofessionelles Arbeiten gelingt

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-031254-8

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-031255-5

epub:   ISBN 978-3-17-031256-2

mobi:   ISBN 978-3-17-031257-9

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Inhaltsverzeichnis

 

 

 

  1. Vorwort
  2. 1 Einleitung
  3. 2 Warum brauchen Geriater Teams?
  4. 3 Prinzipien geriatrischen Arbeitens
  5. 4 Teammitglieder und deren Aufgaben im demographischen Wandel
  6. 4.1 Medizin
  7. 4.2 Pflege
  8. 4.3 Physiotherapie
  9. 4.4 Ergotherapie
  10. 4.5 Sprachtherapie
  11. 4.6 Psychologie
  12. 4.7 Sozialarbeit
  13. 4.8 Seelsorge
  14. 4.9 Ernährungsberatung und weitere Professionen, Ehrenamtliche Dienste:
  15. 5 Berufsspezifische Einzelaufgaben
  16. 5.1 Ärztin/Arzt
  17. 5.2 Fachpflege
  18. 5.3 Physiotherapie
  19. 5.4 Ergotherapie
  20. 5.5 Sprachtherapie
  21. 5.6 Psychologie
  22. 5.7 Sozialarbeit
  23. 5.8 Seelsorge
  24. 5.9 Ernährungsberatung und weitere Berufsgruppen, Ehrenamtlich Mitarbeitende
  25. 6 Teamleitung
  26. 7 Fachübergreifende Aufgaben
  27. 7.1 Interdisziplinäres Arbeiten
  28. 7.2 Transdisziplinäres Arbeiten
  29. 7.3 Zieldefinition
  30. 7.4 Zielabgleich
  31. 7.5 Kommunikation
  32. 7.6 Dokumentation
  33. 7.7 Teamkonferenz
  34. 7.8 Zeitmanagement
  35. 8 Personalbedarf
  36. 9 Fort- und Weiterbildung
  37. 9.1 Fachliche Qualifikation
  38. 9.2 Akademisierung
  39. 9.3 Interdisziplinäre Fortbildung
  40. 9.4 Selbsterfahrung
  41. 10 Gruppenprozesse
  42. 10.1 Gruppentherapie vs. Einzeltherapie
  43. 10.2 Gruppendynamik im Team
  44. 10.3 Abgrenzung
  45. 10.4 Konkurrenz versus Kooperation
  46. 11 Probleme, Konflikte und Lösungsmöglichkeiten
  47. 11.1 Anspruch und Wirklichkeit
  48. 11.2 Berufliche Belastbarkeit
  49. 11.3 Überlastung, Burnout
  50. 11.4 Spannungen im Team
  51. 11.5 Missverständnisse (Fachsprache, Absprachen)
  52. 11.6 Vertretung, Delegation
  53. 11.7 Outsourcing vs. klinikeigene Dienste
  54. 11.8 Rollenverständnis
  55. 11.9 Kommunikationsregeln
  56. 12 Einsatzbereiche
  57. 12.1 Akutmedizin
  58. 12.2 (Früh-)Rehabilitation
  59. 12.3 Tagesklinik
  60. 12.4 Mobile geriatrische Teams
  61. 12.5 Ambulante Versorgung
  62. 12.6 Spezialstationen (Demenz, Palliativmedizin, Alterstraumatologie)
  63. 13 Ausblick
  64. Literaturverzeichnis
  65. Stichwortverzeichnis

 

Vorwort

 

 

 

Arbeiten im Team kann zur faszinierenden Erfahrung werden. Wenn es den Teammitgliedern gelingt, ihre unterschiedlichen Fähigkeiten kreativ einzubringen, führt dies zu hoher Identifikation und Zufriedenheit im Beruf. Man spürt, dass man gebraucht und wertgeschätzt wird. In multiprofessionellen Teams arbeiten Menschen mit unterschiedlichen Ausbildungen, Qualifikationsstufen und persönlicher Erfahrung eng zusammen. Der Austausch untereinander ist eine Chance, das eigene Wissen stets zu erweitern, aber auch selbst weiterzugeben.

 

Die Geriatrie ist auf multidisziplinäre Teamarbeit zwingend angewiesen. Betagte Patienten müssen nämlich nicht nur medizinisch effizient behandelt werden. Sie brauchen auch spezielle Pflege und funktionelle Therapie der alters- und krankheitsbedingten Beeinträchtigungen, um im selbstbestimmten Alltag wieder zurecht zu kommen. Geriatrisch qualifizierte Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Sozialarbeiter(innen) und Therapeut(inn)en können diese schwierige, aber äußerst dankbare Aufgabe nur im Team lösen. Voraussetzung für den Erfolg sind gute Planung, klare Zielabsprachen, Fallkonferenzen und geeignete räumliche und zeitliche Strukturen. Das wichtigste ist allerdings ein gutes Betriebsklima mit gegenseitiger Wertschätzung.

 

Wie man solche Teams aufbaut, anleitet, fördert, was man von ihnen fordern kann und was das alles kostet, darauf antwortet das vorliegende Buch, in dem der Autor auf 50 Jahre Erfahrung der ältesten deutschen Geriatrie und zahlreiche Anregungen von Fachkolleg(inn)en, Teammitgliedern, den Herausgebern dieser Buchreihe und Mitarbeitenden des Kohlhammer-Verlags dankbar zurückgreift.

 

Werner Vogel, im Juni 2017

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Abb. 1: Aun aprendo (auch ich lerne noch) nach Francisco Goya, 1828. Skulptur von W. Vogel zum 40. Jubiläum des Ev. Krankenhauses Gesundbrunnen Hofgeismar 2007 (Kalkstein und Bronze, 110 cm).

 

1          Einleitung

 

 

 

Dies ist ein praktisches Buch. Es fasst die Erfahrungen des Autors aus mehr als zwei Jahrzehnten geriatrischer Tätigkeit im In- und Ausland zusammen. Seite für Seite finden sich Belege dafür, dass der Geriater nur dann gute Arbeit für kranke, alte Menschen leistet, wenn er ein gutes Team hat. Ein gutes Team kann man nicht kaufen wie gute Fußballer oder Schauspieler, man muss es aus begabten Individuen geschickt zusammenstellen und sich mit ihm weiterentwickeln. Der Begriff Teamprozess trifft das ziemlich gut: es ist ein gemeinsames Arbeiten am Ziel, ein Entwicklungsprozess mit gemeinsamem Beobachten, Wahrnehmen, Vergleichen, Austauschen, Anregen, Vor- und Nachmachen, mit Visionen und Zielen, Fort- und Rückschritten, Erleben von Kompetenzen und Defiziten, Ehrgeiz und Toleranz.

Menschliches bestimmt also das tägliche Tun in der Geriatrie, genauso wie in einer Familie. Entscheidend ist nur, ob die Haltung gegenüber Patienten und Mitarbeitenden positiv anerkennend und fördernd ist.

Konkurrenzdenken, hierarchische Strukturen, Überheblichkeit, Standesdünkel, und Besserwisserei hemmen den Teamprozess, Offenheit, Freundlichkeit, Wertschätzung, konstruktive Kritik sowie die Bereitschaft zu lernen fördern ihn. Außerdem macht ein offener Umgang im Team wesentlich mehr Spaß. Dieses Buch gibt Anregungen, wie man ein solches Team aufbaut und weiterentwickelt.

Es beginnt mit Überlegungen zu der Frage, warum es in der Geriatrie ohne Teamarbeit gar nicht geht, wie dieses Team zusammengesetzt ist und warum die einzelnen Disziplinen so wichtig sind. Dann wird an typischen Beispielen dargestellt, welche Probleme geriatrische Patienten mitbringen und wie die Mitglieder des pflegerisch-therapeutischen Teams helfen können, diese Probleme bestmöglich zu lösen. Eine Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied, ein Team so gut wie alle, inklusive der schwächsten Mitwirkenden.

Die einzelnen Mitglieder können aber noch so gut sein, optimiert wird das Zusammenspiel nur durch gezielte Bündelung der Kräfte, d. h. durch Koordination der Teamarbeit. Dies geschieht durch regelmäßige fallbezogene Teambesprechungen und Teamvisiten, also direkt am Patienten und seinem individuellen Problem. Im Laufe der Zeit entwickelt sich ein Teamgeist, ein »Wir-Gefühl«, das meist einen spürbaren Qualitätsschub bringt. Wie beim Mannschaftssport ist der Trainer, in der Geriatrie traditionell der ärztliche Leiter, für die Förderung des Teamgeistes verantwortlich. Den Erfolg feiern dann aber alle gemeinsam. In einer erfolgreichen Abteilung für Altersmedizin zu arbeiten ist nämlich hoch befriedigend, schafft eine hohe Identität und ein gutes Miteinander über alle hierarchischen und fachlichen Grenzen hinweg und hat eine geringe Personalfluktuation zur Folge.

Wenn man das Privileg hat, die mit 50 Jahren älteste deutsche geriatrische Fachklinik über Jahrzehnte ärztlich geleitet zu haben, hat man auch gelernt, dass es beim besten Willen Probleme geben kann, die das Team belasten. Mit diesen Problemen haben wir uns über zwei Jahre mit den verantwortlichen Leitern aller Berufsgruppen intensiv auseinandergesetzt. Die Ergebnisse dieses Selbsterfahrungsprozesses finden Sie ebenfalls in diesem Buch. Der offenen Diskussion möglicher Schwierigkeiten sind wichtige Anregungen zu entnehmen, um aus einem guten ein exzellentes Team zu machen. Und das sollte doch eine spannende Aufgabe sein für alle im Team Verantwortlichen: die Ärzte, die Abteilungs- und Stationsleitungen und jeden einzelnen Mitarbeitenden vor Ort!

Obwohl die Mitarbeitenden in der Geriatrie mehrheitlich weiblich sind, bittet der Autor um Verständnis, dass im Text durchweg die maskuline Form des Geschlechts verwendet wurde, um die Lesbarkeit nicht zu sehr zu erschweren. Die weiblichen Mitarbeiterinnen sind immer mit gemeint.

Das Buch ist ein Arbeitsbuch zum Nachschlagen, zum wiederholten Nachlesen und gemeinsamen Diskutieren. Man kann es mit Konzentration auf die eigene Berufsgruppe lesen, von vorn nach hinten oder umgekehrt, die vielen (eingerahmten) Fallbeispiele samt Erläuterungen durchsehen, kurz: mit ihm arbeiten, am besten interdisziplinär mit den Kolleginnen und Kollegen des Teams.

Es ist ein Buch zum Lernen, das nie aufhört (image Abb. 1)!

 

2          Warum brauchen Geriater Teams?

 

 

 

Geriater gibt es noch nicht lange. Nachdem der Begriff Geriatrie von Ignaz Nascher vor gut hundert Jahren in New York eingeführt worden war (Nascher 1909), erkannte die englische Ärztin Marjorie Warren in den 1940er Jahren, dass viele Pflegeheimbewohner, die systematisch untersucht und medizinisch behandelt wurden, wieder selbstständig zu Hause leben konnten. Sie forderte konsequenterweise, dass geriatrisches Wissen im Medizinstudium, aber auch in anderen Gesundheitsberufen gelehrt werden sollte. Mit Blick auf die Vorteile der interdisziplinären Herangehensweise hat sie damals schon die Grundlagen für das Arbeiten im Team gelegt. Wenn man Ignaz Nascher als den geistigen Vater der Geriatrie bezeichnen will, darf Marjorie Warren als Mutter der Geriatrie gelten.

Der zweite Weltkrieg hat diese Entwicklung ausgebremst. Dennoch hat sich, vor allem in neutralen Ländern wie Schweden und der Schweiz eine aktivierende, funktionserhaltende Pflege etabliert, unterstützt durch gezielte physio- und ergotherapeutische Behandlung, die in den 1950er Jahren auch in Deutschland aufgegriffen wurde. Heimärzte und Träger von Pflegeheimen tauschten Erfahrungen in ganz Europa und den USA aus. Der langjährige Heimarzt Dr. Hans Leutiger brachte diese positiven Erfahrungen aus einem Düsseldorfer Pflegeheim nach Hofgeismar mit, wo eine bereits 1938 errichtete Spezialklinik zur Behandlung schwer kranker alter Menschen 1967 wieder ihrer eigentlichen Bestimmung als »Spezialkrankenhaus für chronische Krankheiten und Altersleiden« zugeführt wurde. Der Aufbau geriatrischer Teams mit fester Zuordnung zu den Krankenstationen und täglich gezielten Einzel- und Gruppentherapien erwies sich als so erfolgreich, dass diese neue Form geriatrischen Arbeitens in der Fachpresse (Rubenstein 1984) und den Medien rasch verbreitet wurde. Sie fand Eingang in die Geriatriekonzepte mehrere Bundesländer und letztlich sogar in die Bundessozialgesetzgebung (»Reha vor Pflege« im Bundessozialgesetzbuch V, § 11 sowie BSG XI, § 5).

Teamarbeit hat sich in der Geriatrie also langjährig bewährt. Da sie personalintensiv und damit teuer ist, wären die Kostenträger mit dieser Begründung allein sicher nicht zufrieden. Was ist also der Hintergrund? Warum kommt ein Geriater nicht ohne geriatrisches Team aus? Die Antwort hat mit der Problematik des geriatrischen Patienten zu tun, die eine spezielle, ganzheitlich orientierte Herangehensweise erfordert, die im nächsten Kapitel kurz erläutert wird.

 

3          Prinzipien geriatrischen Arbeitens

 

 

 

Wird ein alter Mensch krank, dann hängt seine Heilungschance davon ab, welche Reserven er unmittelbar vorher hatte. Leidet er an chronischen Krankheiten und bestanden schon vorher Einschränkungen seiner körperlichen und/oder geistigen Fähigkeiten, kann die zusätzliche (akute) Erkrankung schnell zur Dekompensation seiner Selbsthilfefähigkeit führen. Dies gilt erst Recht bei Hochbetagten, die eine hohe Vulnerabilität besitzen. In diesem Fall gilt es, die Krankheit so schnell wie möglich zu diagnostizieren und medizinisch zu behandeln, Komplikationen möglichst zu vermeiden und die Alltagskompetenz zu fördern bzw. zu erhalten. Hierzu muss man die aktuellen Fähigkeiten genau ermitteln (durch das geriatrische Assessment) und das Potential funktioneller Verbesserungen einschätzen. Dies alles hat in enger Absprache mit allen Beteiligten und so bald als möglich zu geschehen. Analog der Schlaganfallbehandlung, in der jeder unnötige Zeitverlust zu vermeiden ist (»time is brain«), gilt in der Geriatrie: »time is function«. Je älter und je kränker der Patient, desto eher gilt diese Forderung. Das Assessment ist keine Momentaufnahme zu Beginn der Behandlung, sondern ein therapiebegleitender Prozess, der alle Teammitglieder angeht und zu dem jede Disziplin ihren Teil beiträgt. Es steuert die einzelnen Therapieschritte und ist letztlich die Messlatte der Ergebnisqualität im Krankheitsverlauf. Wie der Pilot auf seine crew angewiesen ist, um die Passagiere angenehm und sicher ans Ziel zu bringen, muss sich der Geriater auf die Kompetenz aller Teammitglieder verlassen, damit nicht nur die Krankheit(en) bestmöglich behandelt, sondern auch deren negative Auswirkungen auf körperlicher, seelischer und sozialer Ebene minimiert werden können. Soviel zum Prinzip. Was das für die einzelnen Teampartner bedeutet, dazu mehr in den beiden folgenden Kapiteln, in denen zunächst einzelne fachspezifische Aufgaben beschrieben werden, danach die fachübergreifenden (inter- und transdisziplinären) Aspekte, welche ein gutes Team ausmachen und dessen Effektivität erst bestimmen.

 

4          Teammitglieder und deren Aufgaben im demographischen Wandel

 

 

 

Zum geriatrischen Team gehören Mitarbeiter(innen) aus den Bereichen:

 

•  Medizin,

•  Pflege,

•  Physiotherapie,

•  Ergotherapie,

•  Sprachtherapie,

•  Psychologie,

•  Sozialarbeit,

•  Ernährungsberatung,

•  Seelsorge.

Um hervorzuheben, wie wichtig es ist, den Patienten und dessen Familie bzw. betreuende Personen in den Behandlungsprozess einzubeziehen, rechnen manche Autoren Patienten und Angehörige dazu.

Im Kapitel 4 beschränken wir uns aber auf die grundsätzliche Rolle der genannten medizinischen Fachberufe und die besonderen Herausforderungen einer alternden Gesellschaft. In diesem Kapitel geht es somit um theoretische Überlegungen, während in Kapitel 5 die praktischen Aufgaben konkret abgehandelt sind. Die Kapitel 4 und 5 ergänzen sich also, Überschneidungen sind unumgänglich, da auch die Übergänge zwischen Theorie und Praxis fließend sind. Beide sollten von jeder Berufsgruppe für ihren Bereich jeweils kritisch reflektiert werden, bevor man in seinem Arbeitsfeld die Aufgabenteilung im Konsens mit der Abteilungsleitung (image Kap. 5) abstimmt. Dieser Schritt ist unverzichtbar zur Sicherung von Struktur- und Prozessqualität und wichtige Voraussetzung für eine gute Teamarbeit.

4.1       Medizin

Die ärztliche Aufgabe besteht in der Erkennung (Diagnose) und der medizinischen Behandlung (Therapie) von Krankheiten und deren Folgen (z. B. Funktionsdefizite, unerwünschte Wirkungen, iatrogene Schäden). Dies geschieht durch Erhebung der Vorgeschichte (Anamnese), Anhören der vorgetragenen Beschwerden, vertiefende Fragen, Betrachten (Inspektion), Tasten (Palpation), Abklopfen (Perkussion) und Abhören (Auskultation) sowie durch gezielte technische Untersuchungen (EKG, Laborbestimmungen, Ultraschall, Röntgen und andere bildgebende Verfahren). Die Therapien sind physikalisch-therapeutisch, medikamentös, minimalinvasiv, operativ, strahlentherapeutisch sowie Prozeduren, die mittels spezieller Techniken durch Fachpersonal erbracht werden.

Da Krankheiten charakteristische Zeichen (Symptome) verursachen, die oft in typischer Weise gemeinsam (als Syndrome) auftreten, können erfahrene Ärzte meist durch genaues Zuhören und gezieltes Nachfragen die richtige Verdachtsdiagnose stellen und sie durch wenige Untersuchungsbefunde erhärten. Dieses Vorgehen ist nicht nur in der ambulanten Praxis, sondern auch in der klinischen Medizin sehr effizient. Es hat nur einen Nachteil: es braucht Erfahrung und Zeit, die nur noch sehr begrenzt zur Verfügung steht. Daraus hat sich ein Trend zur Technisierung der Medizin entwickelt, die außer hohen Kosten auch andere Nachteile und sogar Risiken mit sich bringt.

In der Geriatrie sind die genannten Fertigkeiten der ärztlichen Kunst mindestens so erforderlich wie in anderen Fächern. Diagnostik und Therapie unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen bei jüngeren Menschen. Dennoch gibt es spezifische Besonderheiten, über die das gesamte geriatrische Team informiert sein muss, da es den Arzt beim Entdecken unerkannter Befunde und beim Aufspüren nicht genannter Symptome unterstützen kann.

Alte Menschen haben oft gleichzeitig mehrere Krankheiten (Multimorbidität). Diese können akut oder chronisch, mit wenigen oder fehlenden Symptomen (oligo- bzw. asymptomatisch) verlaufen, leicht bis lebensbedrohlich, gut- oder bösartig sein.

Hinzu kommt, dass viele Betagte Beschwerden, die sie früher eindeutig als Krankheitssymptome eingestuft hätten, für altersbedingt, d. h. »normal« halten. Sie verweisen dann auf ihre Eltern, die im Alter auch dicke Füße hatten oder Atemnot beim Treppensteigen, Schwindel oder Schmerzen im Rücken (erst recht nach langjähriger Feld- oder Fabrikarbeit). Krankheiten im Alter können sich auch anders präsentieren als bei Jüngeren, so dass dem Arzt die Diagnose (wörtlich: der »Durchblick«) schwer gemacht wird. Außerdem sind alte Leute höflich und anpassungsfähig, möchten nicht jammern oder sich als schwach und hilflos darstellen. Sie neigen vielmehr dazu, Negatives zu verschweigen oder zu verdrängen. Wenn kognitive Defizite oder eine demenzielle Entwicklung vorhanden sind, beschreiben sie ihren Zustand so, wie sie ihn aus früheren, gesunden Tagen erinnern.

Geriater und ihre Teams haben also eine besondere Herausforderung beim Erkennen der Krankheit(en) zu bestehen und können als Team gemeinsam detektivisch tätig werden. Die ärztliche Kunst gebietet außerdem, aus dem Wirrwarr von Diagnosen und Befunden das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden und Schwerpunkte in Diagnostik und Therapie zu setzen (Priorisierung), so dass die notwendigen Therapien rasch beginnen und keine Zeit durch unnötige oder riskante Diagnostik verloren geht. Für den Erkenntnisprozess am Beginn der Behandlung ist der wichtigste Gesprächspartner immer (und immer wieder) der Patient.

4.2       Pflege

Ärzte und Pflegekräfte bilden in jedem Krankenhaus das Kernteam für alle Patienten. Besonders deutlich wird das in den Bereichen Notfallmedizin, Akutdiagnostik, Intensivbehandlung sowie den interventionell und operativ tätigen Fächern. Viele dieser Einsatzbereiche erfordern eine fachpflegerische Qualifikation bzw. Zusatzausbildung. Parallel dazu wird eine Vereinheitlichung der Basisqualifikation aller Pflegeberufe angestrebt: Alten- und Krankenpflege sollen einheitlich gelehrt, analog bewertet (und bezahlt) werden. Medizinisches Assistenzpersonal wie Therapeuten, Hygienefachkräfte, Diätassistenten werden bedarfsweise hinzugezogen.

In der Geriatrie spielt die Pflege ebenfalls eine herausragende Rolle bei der medizinischen Versorgung. Im Unterschied zur speziellen Akutmedizin ist sie aber immer in ein konstantes multidisziplinäres Team eingebunden. Therapeuten sind nicht nur auf Abruf, sondern grundsätzlich an der täglichen Versorgung der Patienten beteiligt. Sie können nur auf ärztliche Anordnung tätig werden. Das gilt zwar auch für Verrichtungen der Behandlungspflege, die Grundpflege erfolgt jedoch nach etablierten Standards, freilich im Einvernehmen mit dem Arzt, aber ohne dessen jeweilige Anordnung im Einzelfall. Die 24-stündige Präsenz der Pflege am Patienten ist ein wichtiges Charakteristikum der Krankenhausbehandlung, ebenso wie die jederzeitige Verfügbarkeit ärztlicher Hilfe. Sie hat in der Geriatrie noch eine größere Bedeutung als im Krankenhaus der Regelversorgung: Der Zeit- und Zuwendungsbedarf am Kranken ist deutlich höher, was sich auf die Personalschlüssel und -kosten auswirkt.

Zudem ist die Pflege in der Geriatrie ein Spezialgebiet mit definierten Anforderungen an Aus- und Weiterbildung. Denn sie ist therapeutisch aktivierend. Dies kann sie nur im Verbund mit Physio-, Ergo- und ggf. weiteren Therapien leisten, d. h. mit hoher sozialer und kommunikativer Kompetenz. Gemeinsam mit den Ärzten leistet die Pflege einen besonders wichtigen Beitrag zum Gelingen des Teamprozesses, um den es im vorliegenden Buch hauptsächlich geht.

4.3       Physiotherapie

Bewegung gehört zum Leben, auf der Ebene der Moleküle genauso wie im Bereich der Organe und des Gesamtorganismus. Wenn die Bewegung zum Stillstand kommt, »geht« buchstäblich »nichts mehr«. Physiotherapie ist die Kunst, den Bewegungsapparat bei seinen vielfältigen Störungen so zu behandeln, dass »es wieder geht«. Um die Störungen zu verstehen, muss man die normalen Strukturen sehr genau kennen. Die Anatomie des Bewegungsapparates zu studieren macht nicht nur den Ärzten, sondern auch den Physiotherapeuten Mühe, aber zuletzt auch Spaß, wenn man plötzlich erkennt, wie subtil die Fortbewegung eines Erwachsenen mit 60 oder 100 kg geregelt ist und scheinbar problemlos funktioniert: Knochengerüst, Gelenke, Knorpel, Bänder, Sehnen, Muskeln und sensible wie motorische Neuronen sind dabei beteiligt, wohl koordiniert durch das zentrale Nervensystem.

Schon das normale Altern bringt charakteristische Bewegungsstörungen mit sich, da Knochendichte, Muskelmasse, Knorpelregeneration, Nervenleitgeschwindigkeit kontinuierlich abnehmen. Kommen Krankheiten dazu, sei es am Bewegungsapparat, dem Kreislaufsystem, dem Nervensystem oder an den Sinnesorganen, wird die Fortbewegung weiter beeinträchtigt. Das kann sehr schnell gehen und zu Sturzgefährdung und Immobilität führen.