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Theologie elementar

Herausgegeben von

Peter Müller
Sabine Pemsel-Maier

Anita Müller-Friese

Gott und Mensch

Orientierungswissen Anthropologie

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2017

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-029668-8

 

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-029669-5

epub: ISBN 978-3-17-029670-1

mobi: ISBN 978-3-17-029671-8

 

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Inhalt

Vorwort

1.  Einführung

1.1  Wer bin ich?

1.2  Es kommt auf die Perspektive an

1.3  Gott und Mensch

1.4  Zugänge

1.5  Zur Konzeption dieses Buches

2.  Was ist der Mensch?

2.1  Körper und Seele – Zusammenhänge

2.1.1  Was man über den Körper sagen kann

2.1.2  Gefangen oder frei? Platon versus Aristoteles

2.1.2  … wie eine Uhr – René Descartes

2.1.3  Der Mensch als Geistwesen – Max Scheler

2.1.4  Nur noch Hirn – neurobiologische Herausforderungen

2.1.5  Was es zu klären gilt – Herausforderungen für eine theologische Anthropologie

2.2  Mensch und Mensch – Beziehungen

2.2.1  Zoon politicon – Jeder Mensch ein Politiker?

2.2.2  Der Mensch ein Rollenspieler

2.2.3  Ich und Du – Martin Buber

2.2.4  Ist Beziehung angeboren?

2.2.5  Was es zu klären gilt – Herausforderungen für eine theologische Anthropologie

2.3  Mensch und Tier – Verwandtschaften

2.3.1  Der Mensch als – von der Rolle der Vernunft

2.3.2  Der nackte Affe – entwicklungsgeschichtliche Erkenntnisse

2.3.3  Exzentrische Existenz

2.3.4  Biologisches Mängelwesen – Arnold Gehlen

2.3.5  Animal symbolicum

2.3.6  Was es zu klären gilt – Herausforderungen für eine theologische Anthropologie

2.4  Fragen nach dem Menschen – Zusammenfassende Überlegungen

Literatur zum Weiterlesen

2.5  Religionspädagogische Anregungen

3.  »Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?« Biblische Rede von Gott und Mensch

3.1  Grundlage des Lebens: Vertrauen und Glaube

3.2  Freiheit und Bindung gehören zusammen

3.3  Orientierung für ein Leben aus Liebe

3.4  Leben als Geschöpf und Bild Gottes

3.5  Leben in der Hinwendung zu Gott

3.6  Leben mit Grenzen und Zweifeln

3.7  Jesus Christus, der Mensch Gottes

3.8  Gelingendes und verfehltes Leben

3.9  Leben auf Hoffnung

3.10  Mensch und Gott, Bilder und Begriffe

3.11  Vielfalt und Einheit – Zusammenfassende Thesen

Literatur zum Weiterlesen

3.12  Religionspädagogische Anregungen

4.  Gott und Menschsystematische Überlegungen

4.1  Der Mensch als Geschöpf Gottes

4.1.1  Wertvoll und unverwechselbar – von Gott gewollt

4.1.2  Körper und Seele, wie gehört das zusammen?

4.1.3  Begrenzt und verletzlich – so ist das Leben

4.1.4  Ende und Anfang – Leben auf Hoffnung

4.1.5  Zusammenfassende Thesen

Literatur zum Weiterlesen

4.1.6  Religionspädagogische Anregungen

4.2  Menschsein nach dem Bild Gottes

4.2.1  Zwei Wörter und ihre Wirkung

4.2.2  Nachdenken über den Menschen (Eine Zwischenbemerkung)

4.2.3  Alle Menschen sind Personen

4.2.4  Vernunft und Geist

4.2.5  Würde oder Wert?

4.2.6  Auftrag

4.2.7  Zusammenfassende Thesen

Literatur zum Weiterlesen

4.2.8  Religionspädagogische Anregungen

4.3  Menschen sind auf Beziehung aus

4.3.1  Gleichheit und Differenz – Theologische Überlegungen

4.3.2  Gleichheit und Differenz in der Inklusionsdebatte

4.3.3  Sprache und Verständigung

4.3.4  Autonomie und Abhängigkeit

4.3.5  Zusammenfassende Thesen

Literatur zum Weiterlesen

4.3.6  Religionspädagogische Anregungen

4.4  Der Mensch kann sich verfehlen – Sünde und Rechtfertigung

4.4.1  Was ist Sünde?

4.4.2  Kann man Sünde erben?

4.4.3  Wie frei ist der Mensch?

4.4.4  Rechtfertigung

4.4.5  Zusammenfassende Thesen

Literatur zum Weiterlesen

4.4.6  Religionspädagogische Anregungen

5.  Einladung zum Dialog

5.1  Exemplarische Problemfelder

5.2  Positionen

5.3  Was ist der Mensch? – Eine Glaubensfrage

5.4  Was ist der Mensch – wer bin ich?

Literaturverzeichnis

Register

Vorwort

Das vorliegende Buch »Gott und Mensch« gehört in die Reihe »Theologie elementar.« Diese Reihe richtet sich an Studierende der Theologie und Religionspädagogik sowie Unterrichtende aller Schularten und will in zentrale Themen der Theologie einführen.

Entsprechend der Konzeption der Reihe1 wird Gott als das »Hauptwort der Theologie« in diesem Band unter der Perspektive der Beziehung Gottes zu dem/den Menschen thematisiert.

Die Frage des Menschen nach sich selbst ist so alt wie die Menschheit. Sie wird bis heute auf verschiedenen Ebenen und in vielen wissenschaftlichen Disziplinen gestellt und unterschiedlich beantwortet. Trotz aller Antworten kommt sie aber nie wirklich zu einem Ende: Es gehört zum Wesen des Menschen nach sich selbst zu fragen.

Der Schwerpunkt dieses Buches liegt auf der theologischen Frage: In welchem Verhältnis sind Gott und Mensch zu denken? Was bedeutet es für das Verständnis des Menschen von sich selbst, wenn er sich in Beziehung zu Gott sieht?

Das theologische Nachdenken ist natürlich nicht der einzige Weg, die Frage des Menschen nach sich selbst zu stellen. Gerade in der heutigen Zeit gibt es viele Stimmen, die Anspruch auf eigene Antworten erheben. Einige dieser Stimmen sollen auch in diesem Buch aufgenommen werden. Sie bilden den Kontext, in dem eine theologische Anthropologie ihren Beitrag beschreiben kann und muss. Dabei geht es weniger um Konkurrenz, als um Dialog, gegenseitige Anregung und auch kritisches Infragestellen.

Mit der Zielgruppe dieses Buches (Lehramtsstudierende, Unterrichtende) sind indirekt auch deren berufliche Adressaten im Blick, die Schülerinnen und Schüler. Eine Lebensaufgabe (besonders) für heranwachsende Menschen ist es, sich in der Vielstimmigkeit divergierender Sinnangebote zurechtzufinden und einen eigenen Weg zu finden. Es ist das Anliegen dieses Buches, den Beitrag christlich-theologischer Anthropologie zu formulieren und damit ein Orientierungsangebot zu machen. Darauf zielen nicht zuletzt die religionspädagogischen Anregungen in den einzelnen Kapiteln. Nähere Hinweise zur Konzeption und zum Aufbau des Buches finden sich in der Einleitung (vgl. Kapitel 1.5).

Die Reihe, in der dieses Buch erscheint, ist ökumenisch ausgerichtet. Im Verlauf der Darstellung werden darum auch konfessionelle Unterschiede erkennbar. Die Gemeinsamkeiten stehen aber deutlich im Vordergrund.

Das Buch hat einen systematisch-theologischen Schwerpunkt. Es geht also in erster Linie um die Frage des Menschen nach sich selbst und seiner Beziehung zu Gott. Dabei kommen immer auch ethische Fragen in den Blick. Diese Themen können hier benannt, aber nicht mit der gebotenen Ausführlichkeit behandelt werden. Das muss einer eigenen Veröffentlichung vorbehalten bleiben.

Ein weiterer Band dieser Reihe mit dem Thema »Gott und das Leben«2 hängt auch eng mit dem Schwerpunkt dieses Buches zusammen, hat aber stärker die Entwicklung des Gottesglaubens bei Kindern und Jugendlichen und die Bedeutung des Glaubens an Gott im Vollzug des Lebens im Blick. Auch diese Themen können im vorliegenden Buch allenfalls angedeutet werden. Beide Bände ergänzen sich deshalb. Weil der andere Band von einem katholischen Theologen verantwortet wird, ist auch in ökumenischer Perspektive Vielfalt gewährleistet.

Ein Buch wie das vorliegende entsteht nicht im Alleingang. Darum ist es mir ein Anliegen, einigen Menschen zu danken, von denen ich Unterstützung erfahren habe. Ich danke meinem katholischen Kollegen, Prof. Dr. Lothar Kuld, für die kritische und konstruktive Lektüre des Manuskripts, ebenfalls für hilfreiche Ergänzungen und Hinweise aus katholischer Perspektive. Mein Mann, Prof. Dr. Peter Müller, war mir in Bezug auf die Konzeption des Buches ein kritisch-gewogener Berater und Begleiter. Während der Arbeit an diesem Buch hat er mich geduldig und liebevoll unterstützt. Mein langjähriger Kollege PD Dr. Wolfhard Schweiker hat das ganze Manuskript gelesen und stand mir vor allem beim Thema Inklusion beratend zur Seite.

Natalie Drescher hat die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens übernommen und Bärbel Herold die Überarbeitung des Literaturverzeichnisses. Beiden danke ich herzlich.

Studierende der PH Karlsruhe haben den Beginn der Arbeit an diesem Buch in einem Seminar begleitet und mir durch ihre Fragen und Kommentare wertvolle Anregungen gegeben.

1.  Einführung

1.1  Wer bin ich?

Mein Personalausweis gibt Auskunft über mich. Er zeigt ein mehr oder weniger gelungenes Bild. Er nennt meinen Namen, mein Geburtsdatum, Geburts- und Wohnort, Nationalität, Körpergröße und Augenfarbe und enthält ein paar wichtige Daten zu meiner Identifizierung. Bin ich das?

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Abb. 1:  Personalausweis3

Natürlich, aber ich bin noch viel mehr: Zu mir gehören zum Beispiel meine Familie und meine Freunde, mein Beruf und meine Hobbys, meine Eigenschaften, Fähigkeiten und Begabungen ebenso wie meine Grenzen, mein Glaube und meine Lebensgeschichte.

Rückblickend auf mein bisheriges Leben kann ich fragen: Wie bin ich zu der Frau geworden, die ich heute bin? Wer oder was hat mich geprägt, bewusst oder unbewusst, zum Guten oder zum Schlechten?

Im Blick auf meine gegenwärtige Situation lauten einige Fragen vielleicht: In welchen Beziehungen stehe ich? Wie beschreibe ich die Beziehung zu mir selbst, zum Lebenspartner, zu Freunden, zu Menschen meiner näheren und weiteren Umgebung? Was ist mein Beruf und welche Rolle spiele ich dabei? Welche Haltungen habe ich in gesellschaftlichen und politischen Fragen, wo engagiere ich mich und warum (oder auch nicht)? Und was bedeutet mein Glaube für die Gestaltung meines Lebens?

Bezogen auf die Zeit, die vor mir liegt, stellen sich wieder andere Fragen: Was will ich (noch) erreichen, wie werde ich mein Leben gestalten, was kommt mit/nach meinem Ende? Und im Blick auf mein Leben insgesamt frage ich möglicherweise: Warum bin ich überhaupt auf der Welt? Was ist der Sinn meines Lebens? Wer bin ich? und: Wer kann mir diese Frage beantworten?

Diese Überlegungen über mich selbst, meine Person und mein Leben sind ein persönlicher Zugang zur Anthropologie, und wahrscheinlich ein wichtiges Motiv für alle weiteren Fragen.

Schon hier wird erkennbar: Die Frage eines Menschen nach sich selbst ist vielschichtig – äußerliche Merkmale, körperliche Gestalt, innere Einstellungen, Werte und Normen, Religion, Beziehungen, Lebensgeschichte und auch die Herkunft – all das und noch mehr machen (m)eine Person aus.

Lautet die Frage aber »Was ist der Mensch?«, gibt der Blick auf eine konkrete Person allein noch keine ausreichende Antwort.

1.2  Es kommt auf die Perspektive an

Menschen fragen nach sich selbst und finden dabei unterschiedliche, teilweise auch widersprüchliche Antworten. Sie hängen von dem Interesse und der Blickrichtung der Fragenden ab und werden von den gewählten methodischen Zugängen geprägt. Das 2009 erschienene »Handbuch Anthropologie«4 beschreibt 23 (!) verschiedene Ansätze aus unterschiedlichen Wissenschaftsrichtungen, die alle etwas über den Menschen herausgefunden haben. Es sind z. B. natur-, rechts-, geistes-, kultur-, und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse oder philosophische, pädagogische und theologische Einsichten. Forschungsrichtungen wie die Evolutionspsychologie oder Soziobiologie zeigen, dass gegenwärtig zunehmend versucht wird, interdisziplinär zusammen zu arbeiten. Die Ergebnisse der Kulturanthropologie und der historischen Anthropologie verweisen über die Vielfalt und Wandelbarkeit anthropologischer Phänomene hinaus auf die Geschichtlichkeit, Kulturabhängigkeit und damit auch die Relativität aller Theorien über den Menschen. Das Nachdenken über den Menschen ist, wie der Mensch selbst, geschichtlich und kulturell bedingt. Der Philosoph Hans Lenk beschreibt darum den Menschen als »das flexible Vielfachwesen.«5 Richard Precht macht mit dem Titel seiner Einführung in die Philosophie auf die Verwirrung aufmerksam, die mit der Vielfalt verbunden sein kann: »Wer bin ich und wenn ja, wie viele?«6

Aus der Vielfalt der Antwortversuche lässt sich folgern, dass es die Antwort auf die Frage nach dem Menschen bisher offensichtlich nicht gibt, wohl auch in Zukunft nicht geben wird und vielleicht auch nicht geben kann. Soll man also auf die Frage ganz verzichten? Diese Möglichkeit liegt nahe, sie lässt sich aber nicht verwirklichen. Seit es Menschen gibt, taucht die Frage immer wieder auf, sie gehört offensichtlich zum Menschen und zum Menschsein dazu. Es ist ein Wesenszug des Menschen, nach sich selbst zu fragen. Jürgen Moltmann behauptet sogar: Der Mensch muss sich kennen, um zu leben und sich für andere erkennbar zu machen. Er muss sich zugleich verborgen bleiben, um am Leben und in Freiheit zu bleiben. »Könnte er feststellen, was mit ihm los ist, wäre gar nichts mehr mit ihm los, alles wäre festgestellt und gebunden, und er wäre am Ende. Das ›aufgelöste Rätsel‹ des Menschen wäre dann zugleich die endgültige Erledigung des Menschseins.«7

Das Dilemma beim Versuch, das Rätsel Mensch zu lösen, lässt sich besser verstehen, wenn man sich vor Augen führt, dass der/die Fragende und der »Gegenstand« der Frage identisch sind. Wer nach dem Menschen fragt, fragt ja immer auch nach sich selbst, wird sich selbst zur Frage und zum Forschungsgegenstand, er ist also Subjekt und Objekt des Fragens zugleich. Als Subjekt erforsche ich den Menschen, also auch mich selbst. Und was über den Menschen herausgefunden wird, ist immer auch eine Aussage über mich als die Fragende. Damit ist klar, dass es kein distanziertes Nachdenken und Forschen über den Menschen geben kann. Den dafür nötigen Abstand zwischen dem Forscher und seinem Forschungsgegenstand kann es in Bezug auf den Menschen nur eingeschränkt geben. Weil das so ist, kann es die eine richtige endgültige Antwort nicht geben. Das ist wichtig, denn Antworten klären, sie legen aber auch fest und engen ein. Jeder Versuch, normativ und dogmatisch zu definieren, was oder wer der Mensch ist, führt zu Festlegungen und damit Ausgrenzungen und Aussonderungen. Die Offenheit und das »Geheimnis Mensch« gilt es zu wahren um des Menschen willen.

Mit der Vielfalt und der Bedingtheit der Aussagen über den Menschen ist es ein wenig wie bei der bekannten Fabel von den Blinden und dem Elefanten – je nach Standort entdecken die Einzelnen mit tastenden Versuchen Unterschiedliches. Wenn dabei eine Sichtweise verabsolutiert wird, kann selbst eine an sich richtige Aussage falsch werden. Jeder Ansatz, den Menschen zu verstehen, hat also zugleich eine eigene Berechtigung und eigene Grenzen. Keiner darf absolut gesetzt werden, Austausch und Dialog ist gefordert. Die je spezifische Perspektive kann und muss so durch die Hinsichten der anderen Zugänge ergänzt werden.

Erforscht man den Menschen z. B. mit naturwissenschaftlichen Methoden, wird man alles das über ihn herausfinden, was mit diesen Methoden empirisch messbar und nachprüfbar ist, nicht mehr und nicht weniger. Neue Möglichkeiten der Forschung ergeben auch neue Erkenntnisse – und werfen neue Fragen auf. Das zeigt gegenwärtig insbesondere die Neurobiologie.

Sozialwissenschaftlich geprägte Untersuchungen ermöglichen mit ihren spezifischen Forschungsmethoden Einsichten über die gesellschaftlichen und kulturellen Prägungen von Menschen in ihrem jeweiligen Lebensumfeld.

Die philosophische Perspektive dagegen stellt die Frage nach dem Wesen des Menschen. Dabei helfen Erfahrungen, lange Traditionen des Nachdenkens und die Voraussetzung, dass ihre Aussagen rational formuliert und begründet werden müssen. Sollen sie auf allgemeines Einverständnis stoßen, müssen sie für alle nachvollziehbar sein.

In diesem vielstimmigen, vielseitigen und vielschichtigen Zusammenhang steht auch das theologische Nachdenken über den Menschen, das im Mittelpunkt dieses Buches steht. Was ist das Besondere daran, was unterscheidet diese Perspektive von anderen Zugängen und in welchen Beziehungen stehen sie zueinander?

1.3  Gott und Mensch

Theo-logisch – in diesem Wort steckt ein wichtiger Hinweis auf die Perspektive: Theologie ist nachdenkende Rede über Gott. Sie gewinnt dabei auch Erkenntnisse über den Menschen. Theologie geht davon aus, dass alle Rede vom Menschen ohne die Beziehung zu Gott unvollständig ist. Umgekehrt ist auch von Gott nur aus der Perspektive des Menschen zu reden. Insbesondere christliche Theologie setzt diese gegenseitige Verbindung voraus. Wolfgang Schoberth sieht darin einen »Grundzug theologisch sachgemäßer Rede vom Menschen: Sie definiert den Menschen nicht anhand bestimmter und bestimmbarer Eigenschaften, sondern dadurch, dass Gott ihn von Anbeginn der Schöpfung als Partner erwählt hat, wie dies in der Erwählung Israels und in dem Menschen Jesus Christus offenbar wird.«8 Theologische Anthropologie sucht also nicht nach einer formalen Definition des Menschen. Sie geht aus von der Beziehung des Menschen zu Gott und den Mitgeschöpfen und fragt nach seinem Platz in Gottes Werk. Gott als Schöpfer gibt dem Menschen das Leben und sichert ihm seine Zuwendung zu: Der Mensch ist von Gott gerufen und beauftragt. Diese elementare Prämisse theologischer Anthropologie beschreibt damit eine spezifische Blickrichtung auf den Menschen, die besondere Einsichten ermöglicht. Darauf will der Titel dieses Buches aufmerksam machen: »Gott und der Mensch.«

Gegenwärtig setzt sich gegenüber einem religiös begründeten Verständnis von Mensch und Welt mehr und mehr eine Sichtweise durch, die die Welt und den Menschen auf der Grundlage empirischer Forschung und ihrer Ergebnisse zu erklären versucht. Der christliche Glaube erscheint demgegenüber als unvernünftig, manchen sogar als wissenschaftsfeindlich. Eine theologische Anthropologie muss sich mit dieser Einschätzung auseinandersetzen und darauf reagieren. Dafür gibt es in der aktuellen Theologie unterschiedliche Ansätze. Die Herausforderung wird erkannt, die theologischen Einsichten in Auseinandersetzung mit und Positionierung gegenüber philosophischen, naturwissenschaftlichen und anderen Beschreibungen des Menschen und ihren Ansprüchen darzulegen. Dabei setzen die einzelnen Autoren unterschiedliche Akzente. Für alle gilt aber die oben dargelegte Voraussetzung: Theologisches Reden vom und über den Menschen geht von Gott aus und handelt von seinem Wirken in der Welt. Weil Gottes Handeln sich aber auf den Menschen richtet und auf ihn ausgerichtet ist, ist jede Rede von Gott immer auch zugleich Rede vom Menschen.

1.4  Zugänge

Wolfhard Pannenberg hat im Jahr 1983 eine »Anthropologie in theologischer Perspektive« als »fundamentaltheologische Anthropologie« vorgelegt.9 Sein Anliegen ist es, die Wahrheit des christlichen Glaubens aufzuweisen, und zwar unter den Verstehensvoraussetzungen der Gegenwart. Er will die Diskrepanz zwischen theologischer und allgemeiner Anthropologie verringern und die Unterschiedlichkeit der Perspektiven überbrücken. Der traditionellen dogmatischen Anthropologie wirft er vor, dass sie »die Wirklichkeit Gottes schon voraussetzt.« Damit verschenke sie die »Möglichkeit, auf der Ebene der anthropologischen Befunde mitzudiskutieren, auf der göttliche Wirklichkeit bestenfalls als problematischer Bezugspunkt menschlichen Verhalten, nicht aber apodiktisch als dogmatische Behauptung eingeführt werden kann.«10 Pannenberg schließt dagegen ausdrücklich und absichtlich an anthropologische Überlegungen in der Philosophie an und »wendet sich den Phänomenen des Menschseins zu, wie sie von der Humanbiologie, der Psychologie, Kulturanthropologie oder Soziologie untersucht werden, um die Aufstellungen dieser Disziplinen auf ihre religiösen und theologisch relevanten Implikationen zu befragen.«11 In den zeitgenössischen anthropologischen Entwürfen der Sozialwissenschaften, der Biologie und Philosophie entdeckt er Anknüpfungspunkte für die theologische Frage nach Gott und Mensch. Er will z. B. zeigen, dass der Gedanke der Weltoffenheit letztlich auf eine Gottoffenheit hinaus läuft. Seine These ist: »Die Frage des Menschen nach sich selber und die Frage nach der göttlichen Wirklichkeit gehören zusammen.«12 Mit diesem Ansatz will er die christliche Wahrheit diskursfähig machen und nachweisen, dass allgemeine anthropologische Fragestellungen und Erkenntnisse zwangsläufig auf eine religiöse Thematik und die Frage nach Gott hinauslaufen. Die Aussagen christlicher Anthropologie, beispielsweise die Gedanken der Gottebenbildlichkeit und Sünde, sollen so für den Wissenschaftsdiskurs anschlussfähig werden. Er verfolgt damit ein hermeneutisches Interesse, das schon biblischen Texten zugrunde liegt: Die Botschaft des Glaubens so auszusagen, dass sie in der konkreten Situation gehört und verstanden werden kann.

In der evangelischen Theologie ist Pannenbergs Ansatz eher solitär geblieben. Ihm wird vor allem vorgehalten, dass er den Anspruch, die wissenschaftliche Anthropologie in ihrer Vielfalt und Vielschichtigkeit in das theologische Nachdenken einzubinden, nicht einlösen konnte. Darüber hinaus ist zu fragen, ob auf diese Weise die Eigenart theologischer Anthropologie angemessen zur Sprache kommen und über einen allgemeinen Gottesbezug des Menschen hinausgelangen kann. Pannenbergs Ansatz »steht für einen Typus von Anthropologie, der sie vor allem zur Verteidigung und Erläuterung der Rede von Gott überhaupt einsetzt, also in apologetischer Funktion.«13 Die Konkretheit biblischer Rede von Gott kann Pannenberg mit seiner An­thropologie nicht erreichen, da er notgedrungen von seinem Ansatz her abstrakt und allgemein über Gott und Mensch reden muss.

Die Anthropologie Karl Rahners ist dem Ansatz Pannenbergs in dem Sinne vergleichbar, dass auch bei ihm ein apologetisches Interesse zu bemerken ist. Mit seiner Forderung, dass »die dogmatische Theologie heute theologische Anthropologie sein muss,«14 hat Rahner in der katholischen Theologie die Wende zur Anthropologie eingeläutet. Sein »Grundkurs des Glaubens« stellt den Menschen als »Hörer der Botschaft« und »vor dem absoluten Geheimnis« (Gott) stehend dar. Der Mensch wird weiter als »Wesen der radikalen Schuldbedrohtheit« und als »das Ereignis der freien, vergebenden Selbstmitteilung Gottes«15 beschrieben. Ähnlich wie Pannenberg geht Rahner mit der allgemeinen Anthropologie von der Erkenntnis aus, dass der Mensch über sich selbst hinaus fragt, fragen muss und damit zwangsläufig an die Gottesfrage stößt. Der Mensch erfährt sich als »Wesen der Transzendenz«16, als Fragender, der im Fragen auf das »Sein« vorgreift. »Wo immer der Mensch sich in seiner Transzendenz als der Fragende erfährt,« erkennt er sich zugleich als Empfangender »im Sinn der Seinsempfängnis, letztlich der Gnade.«17 Diese transzendentale Erfahrung kann inhaltlich nur durch die Offenbarung des Wortes Gottes in Jesus Christus gefüllt werden. Der Mensch sucht über sich hinaus nach dem Grund seiner Existenz. Das Suchen aber ist von Gott bewegt, der zugleich das Ziel und die Antwort auf die Fragen des Menschen ist.

Ein umfangreiches Werk zur theologischen Anthropologie hat der katholische Theologe Thomas Pröpper im Jahr 2011 vorgelegt. Er geht zunächst auf die philosophischen Versuche der Neuzeit ein, die Frage des Menschen nach sich selbst zu beantworten. Ebenso wie die Naturwissenschaften können auch sie den Menschen nicht definieren. Sie zeigen aber, dass die Gottesfrage zu einem Thema der menschlichen Verständigung über sich selbst wird. An diesem Punkt setzt Pröpper an und entwickelt sein Menschenbild aus dem Gedanken der Freiheit heraus: Gott hat sich in Freiheit dazu bestimmt, sich von der Freiheit des Menschen bestimmen zu lassen. Er ist ein Gott, der den Menschen von Anfang an als Partner erwählt hat. Er achtet dessen Freiheit auch dann noch, wenn der Mensch eigene Wege geht und sich dem Angebot der Liebe Gottes widersetzt. »Nur ein freies Geschöpf (sc. kann) seinen Gott als Gott anerkennen,« nur einem freien Geschöpf kann Gott »das Höchste: in seiner Liebe sich selbst schenken.« Diese Mitteilung der Liebe aber schließt, »um in der menschlichen Zustimmung zum Ziel kommen zu können, auch Gottes Achtung der menschlichen Freiheit ein.«18

In seiner ebenfalls 2011 erschienenen Schrift »Das verborgene Leben« legt Gerhard Sauter eine theologische Anthropologie vor, die im Gegensatz zu Pannenberg steht und sich auch von Rahner unterscheidet. Er versteht seine Arbeit als »Rechenschaft darüber, wie Menschen sich selbst wahrnehmen: als von Gott gerufen, von seinem Handeln erfasst und, wenn sie darauf zu antworten versuchen, vor neue Fragen gestellt.«19 Theologische Anthropologie »erwächst aus dem Staunen darüber, dass Gott Menschen ins Leben rief, was er ihnen anvertraute, wessen er sie würdigte, wie er sie immer wieder aus ihren eingefahrenen Lebensweisen herausruft und wie er sie sich gegenüber stellt, gerade auch durch andere Menschen.«20 Es geht Sauter also nicht darum, von der Reflexion des Menschen über sich selbst zu Gott zu gelangen. Umgekehrt versteht er den Menschen als von Gott gerufen. Er gerät dadurch, dass er nach Gott fragt, in eine Distanz zu sich selbst. Sauter lenkt die Frage »Wer sind wir wirklich?« darauf, »wie Gott uns Menschen ansieht, wessen er uns würdigt und was er uns zusagt.«21 Mit diesem Ansatz steht Sauter in der Tradition von Ps 8 und Martin Luther: Es geht nicht um den Menschen, wie er sich aus eigener Reflexion verstehen und begreifen kann, sondern um den Menschen vor Gott, der von ihm gerufen und zur Antwort befähigt ist. Seine Anthropologie ist von diesem Ausgangspunkt geprägt. Er beginnt mit dem Staunen über Gottes Zuwendung zum Menschen und verfolgt diese gleichsam lebensgeschichtlich von der Geburt bis zum Tod. Erst im letzten Kapitel, quasi als Anhang, beschäftigt Sauter sich mit der Frage nach dem Verhältnis von Theologie und allgemeiner Anthropologie.

Schon 2002 hat Christoph Schwöbel in 12 Thesen zum Menschen den Glauben als eine Grundorientierung des menschlichen Lebens beschrieben. Der Glaube stellt »den Interpretationsrahmen für die Darstellung eines sachgerechten Verständnisses des Menschseins bereit.«22 Für Schwöbel ist die Offenbarung Gottes in Christus die Basis für die Erfassung der Bedeutung des Menschseins.23 Von Christus her lässt sich erkennen und verstehen, wer oder was der Mensch ist, nicht durch Erforschung seiner faktischen Existenz (wie es empirische und auch philosophische Zugänge versuchen). Anders als Pannenberg behauptet Schwöbel: »Angemessene und vollständige Erkenntnis der Bedeutung des Menschseins (sc. kann) weder an den empirischen Befunden der verschiedenen sich mit anthropologischen Themen befassenden Wissenschaften abgelesen noch vom reflexiven Charakter des menschlichen Selbstbewusstseins abgeleitet werden.«24 Vielmehr ist die »angemessene Erkenntnis des Menschseins von Gottes Beziehung zur Menschheit in der Offenbarung abhängig.« Darum kann es weder darum gehen, anthropologische Theorien theologisch zu interpretieren noch sie als Grundlage für theologisches Nachdenken zu verstehen. Schwöbel betont, »das Verhältnis der theologischen Anthropologie zu nicht-theologischen Anthropologien (sc. sollte) nicht im Sinne der Ausrichtung auf eine mögliche (theologische) Synthese verstanden werden, sondern als dialogische Beziehung.«

Ähnlich argumentiert Wolfgang Schobert. Das Thema seiner »Einführung in die theologische Anthropologie« ist die Suche nach dem Ort, an den eine theologische Anthropologie gehört. Sie braucht »die Fähigkeit zum Diskurs mit den heterogenen Vorstellungen vom Menschsein, wie sie gesellschaftlich, kulturell, aber auch wissenschaftlich begegnen.« Damit ist nicht gemeint, »dass sich die theologische Rede vom Menschen an das anpasst, was gegenwärtig als plausibel erscheinen mag.«25 Es geht aber auch nicht um einen Alleinvertretungsanspruch. Der Beitrag der Theologie zum allgemeinen Nachdenken über den Menschen ist vielmehr so zu beschreiben, dass er verstanden werden kann. Gleichzeitig soll erkennbar werden, dass die theologische Stimme unverzichtbar und unersetzbar ist. »Die Aufgabe der theologischen Anthropologie ist die Entfaltung und Reflexion einer genuinen Rede vom Menschen, die sich durch wissenschaftliche und philosophische Anthropologien anregen lässt und ihre Impulse aufnimmt, dabei aber auch durchaus kritisch und konfrontativ gegen anthropologische Ansprüche argumentiert.«26

1.5  Zur Konzeption dieses Buches

Dieser Aufgabe will auch das vorliegende Buch nachgehen. Den Überlegungen Sauters und Schoberths folgend, ist der Ausgangspunkt meiner Überlegungen die Beziehung Gottes zum Menschen. Sie ist die Voraussetzung theologischen Redens über den Menschen. Dieses Nachdenken zum Menschen geschieht aber stets im Kontext anderer Wissenschaften. Es bringt sich dialogisch in die Stimmen- und Perspektivenvielfalt gegenwärtigen Reflektierens über den Menschen ein. Darum handelt das zweite Kapitel von diesem Kontext. Es beginnt mit drei Fragen, die seit der Antike das Nachdenken bestimmen und auch in der aktuellen Diskussion um den Menschen von Bedeutung sind: Wie ist das Verhältnis von Körper und Seele zu verstehen? Wie lässt sich die Beziehung des Menschen zu sich selbst und zu anderen Menschen beschreiben? Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Dabei kommen Aspekte aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen und Denktraditionen in den Blick, die Anregungen zum Weiterdenken bieten. Diese Anstöße werden dann im theologischen Teil wieder aufgenommen (Kapitel vier).

Christliche Theologie bezieht sich auf die Bibel als Ur-Kunde des Glaubens. In den biblischen Schriften sind wichtige Aussagen über den Menschen zu finden, die richtungsweisend für theologische Überlegungen sind. Darum geht Kapitel drei den vielfältigen Geschichten von der Beziehung zwischen Gott und Mensch nach.

Im Kapitel vier, dem Hauptteil des Buches, werden dann einige dieser Aspekte systematisch-theologisch reflektiert: Der Mensch verdankt sich dem schöpferischen Entschluss Gottes (Leben als Geschöpf und Ebenbild), er ist auf Beziehung hin geschaffen (Menschen sind auf Beziehung aus) und kann sich selbst verfehlen und neu gewinnen (Der Mensch kann sich verfehlen). Das Gespräch mit der theologischen Tradition wird dabei ansatzweise und begrenzt geführt. Es geht nicht um einen Überblick über die theologiegeschichtlichen oder dogmatischen Aussagen zum Menschen, sondern um die Gewinnung einer Perspektive.

Im abschließenden Kapitel fünf werden dann aus theologischer Perspektive Anregungen zum Weiterdenken formuliert, mit denen dieses Buch endet und zum Dialog einladen will.

Die einzelnen Themen lassen sich unterschiedlich konkretisieren und verdeutlichen. Ich wähle in diesem Buch dafür bewusst eine inklusive Hinsicht.27 Das bedeutet: Die Verschiedenheit und Vielfalt der Menschen soll berücksichtigt und gewürdigt werden. Es muss so von Menschen geredet werden, dass niemand ausgeschlossen bleiben muss. Die Perspektive von Menschen mit Behinderungen, die immer wieder in den Blick kommt, kann darauf aufmerksam machen, dass Menschsein nicht auf Perfektion, Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Rationalität reduziert werden darf.

Der Konzeption der Reihe entsprechend finden sich Anregungen zur religionspädagogischen Annäherung und Auseinandersetzung mit einzelnen Themen am Schluss der jeweiligen Kapitel.

Abschließend ist auf eine Einschränkung hinzuweisen: In allen Bereichen musste eine Auswahl getroffen werden. Darum bleibt manches unberücksichtigt, anderes wird vielleicht verkürzt dargestellt. Das lässt sich bei der Fülle der (möglichen) Themen nicht vermeiden. Das »Vielfachwesen« Mensch (Lenk) lässt sich nicht endgültig erfassen – und schon gar nicht auf 200 Seiten. Was offen bleibt, mag zum weiteren Nachdenken und Forschen anregen.