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Die Hoffnung ist stärker

Aus der Reihe "Erbe der Sieben Würsten"

Zwei Kurzgeschichten aus der Welt der Bestien

als Sammelband


Helen B. Kraft




©Helen B. Kraft 2017

Machandel Verlag

Haselünne

2017

Cover-Bildquelle: sapandr /www.shutterstock.com

sowie eine 3D Illustration

ISBN 978-3-95959-057-0

Hinter Masken



Hazel inspizierte zum wiederholten Male, ob die Zinnen besetzt, die Festung gesichert und alle Gardisten auf ihren Posten waren. Für sie gab es nichts Wichtigeres als die Sicherheit Selas, der einzigen Heimat, die sie kannte - und liebte. Und sie hätte ihre Arbeit mit ruhiger Gewissheit erledigt. Normalerweise. Wäre da nicht der Mann, der sie jetzt ständig und überall beobachtete.

Cruth. Der einstige Fürst und anerkannte Bestiengott, der vor weniger als drei Monaten aus der Ebene der Nichtexistenz nach Sela zurückgekehrt war. Und der einzige Mann, der es schaffte, Hazels Geduld bis an die Grenzen der Belastbarkeit zu strapazieren. Dafür musste er nicht einmal etwas sagen oder tun. Er musste sie nur ansehen. So wie jetzt.

»Könntet Ihr mich in Ruhe lassen?«, fauchte sie und ärgerte sich im gleichen Moment darüber, Nerven gezeigt zu haben.

Cruth hob eine Braue. »Warum?«

»Warum was?«

»Warum sollte ich Euch in Ruhe lassen, Lady Hazel?«

Hazel knirschte mit den Zähnen. Er nannte sie mit Absicht Lady, obwohl dieser Titel den Regenten der einzelnen Bestienclans vorbehalten war. Sie dagegen gehörte nur zu der Elitegarde, die Königin Nataylas direktem Befehl unterstand. Weit höher im Rang als alle übrigen Gardisten, aber immer noch nur eine Soldatin. Trotzdem korrigierte sie Cruth nicht. Niemand widersprach der mächtigsten Bestie in diesem Universum, wenn er seinen Arsch nicht besonders hasste.

Cruth fuhr mit ruhiger Stimme fort: »Es gefällt mir, Euch zuzusehen. Ihr seid eine bemerkenswerte Frau.«

Verunsichert sah Hazel ihn an. Sie konnte nicht glauben, dass er es ernst meinte. Aber, bei den alten Göttern, sie würde nicht nachfragen. Stattdessen sagte sie das Einzige, das ihr einfiel: »Ich bin zum Teil Kobold.«

»Und doch seid Ihr auch ganz und gar Bestie. Eine wahrhaft faszinierende Mischung.«

Hazel schnaubte. Sie wusste schließlich genau, wie sie aussah. Ihre Nase war platt, fast nicht vorhanden, ihre großen spitzen Ohren hätten jeden Luchs neidisch erblassen lassen und ihre Augen, die an Kohleklumpen erinnerten, machten die Bestien zwar neugierig, brachten aber nur wenige dazu, sich näher mit ihr zu befassen. Ganz zu schweigen davon, dass sie, sobald sie die Stirn runzelte, nach Aussage ihres besten Freundes Calliou aussah wie die Karikatur eines Mastiffs. Nicht sehr schmeichelhaft, aber durchaus zutreffend.

»Ihr glaubt mir nicht?«

»Verzeiht, mein Fürst, aber Ihr hattet Jahrhunderte, um Eure Zunge zu schärfen und uns zu beobachten, wie Ihr selbst erzählt habt. Verschwendet also Eure Fähigkeiten nicht an mich. Ich bin eine Soldatin, die ihre Stellung kennt. Falls Ihr jedoch wie alle anderen die Missgeburt begaffen möchtet, die ich zu sein scheine, nun denn«, sie hob beide Arme, »tut Euch keinen Zwang an. Ich werde Euch sicher nicht davon abhalten, solange Ihr mir nicht im Weg steht und mich meine Arbeit machen lasst.«

»Ich habe nicht vor, Euch zu hindern.«

»Das tut Ihr bereits, Fürst.«

Cruth legte den Kopf schräg. »Ihr mögt es nicht, dass ich Euch ansehe, Lady Hazel, nicht wahr?«

»Ich verstehe einfach nicht, was für Euch so faszinierend an einer Frau sein soll, die Ihr schon über die Ewigkeit Eurer Verbannung habt beobachten können.«

»Lasst mich überlegen. Zum einen wäre da die Tatsache, dass Ihr vollkommen anders seid als alle anderen Kreaturen, die mir je zuvor begegnet sind. Zum anderen finde ich es äußerst interessant, dass Ihr alles für die Anerkennung der anderen tut, ohne Euch selbst zu verlieren, obwohl Ihr so etwas gar nicht nötig hättet.«

Hazel setzte ihre Wanderung auf dem Wehrgang fort. Sie wollte überall sein, nur nicht hier, wo dieser nervtötende Mann jeden ihrer Schritte beobachtete. Es wäre ein Leichtes für sie, sich woanders hin zu teleportieren. Warum sie es nicht tat, wusste sie selbst nicht.

Vermutlich meine masochistische Ader, dachte sie bitter und tippte einem Gardisten auf die Schulter, der zusammengesunken an der Mauer stand. Der Mann nahm sofort Haltung an. Er entschuldigte sich nicht, weil er wusste, dass es nichts brachte. Hazel würde ihn melden und General Rogan ihn bestrafen. So waren nun einmal die Regeln in Sela. Ohne feste Strukturen konnten die Bestien zu einer wilden Horde mutieren - was die Elitegardisten zu verhindern versuchten, indem sie Königin Nataylas Gesetze durchsetzten.

»Ihr seid so still, Lady Hazel.«

»Hazel!«, zischte sie und fügte dann ruhiger hinzu: »Einfach nur Hazel. Ich bin keine Lady und werde es niemals sein. Also, bitte, verleiht mir keinen Titel, den ich nicht besitze.«

Cruth wirkte, als wolle er ihr widersprechen, er tat es nicht. Schließlich nickte er. »Ich entschuldige mich, Hazel. Ich wollte Euch nicht beleidigen oder verärgern.«

»Das habt Ihr nicht.«

»Was ist es dann?«

Hazel blieb stehen und drehte sich zu Cruth um, der hinter ihr an der Brüstung lehnte. Er wirkte vollkommen gelassen. Für einen Mann, der einen Großteil seiner Lebenszeit im Exil verbracht hatte, sah er immer noch ansehnlich aus. Alle Bestien alterten, sobald ihr anerkanntes Kind das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendete und keine weiteren Kinder nachkamen. Cruth dagegen konnte sich nicht viel verändert haben, obwohl er erheblich älter als fünfunddreißig war. Als seine Tochter starb, hatte er sich längst in der Verbannung befunden und seine Enkelin … das war eine andere, viel zu komplexe Geschichte, um jetzt darüber nachzugrübeln. Das Einzige, was zählte, war, dass Cruth immer noch verdammt gut aussah. Viel zu gut für den Seelenfrieden einer Frau, die schon lange keinen Sex mehr gehabt hatte. Dass dieser Mann weit außerhalb ihrer Liga spielte, zählte dabei weniger. Doch diese blauen Augen, die bis auf den Grund von Hazels Seele zu blicken schienen, das etwas zu lange braune Haar und die aristokratischen Gesichtszüge, all das stellte eine überwältigende Herausforderung dar.

Rasch wandte sie den Blick ab und leckte sich die Lippen. Viel zu gut aussehend.

»Ich bin nicht gerne das Studienobjekt eines einsamen Mannes.«

Cruth machte einen großen Schritt auf sie zu, sodass er sie fast berührte. Sein warmer Duft nach Wüstensand und herben Kräutern hüllte Hazel ein. Sie streckte eine Hand aus, um den Bestiengott von sich fernzuhalten. Dabei berührte sie seine Brust. Seine Wärme versengte ihre Fingerspitzen, ließ ein Kribbeln über ihren Körper laufen. Bis ihr der Kontrast seines hellen Leinenhemdes und ihrer grünen Finger mit den kupferroten Fingernägeln bewusst wurde und sie scharf einatmen musste.

Falsch. Das hier war absolut falsch.

»Hazel …«

»Was?« Sie krächzte fast und kam sich dabei so dumm vor.

»Du hast Angst vor mir.« Er klang überrascht und wich zurück. Sofort vermisste Hazel seine Nähe. »Das wollte ich nicht. Ich werde gehen.«

Er war schon fast an der Treppe, die zwischen den ersten der beiden Burgwälle hinab führte. Unzählige Bestien in Menschengestalt wuselten dort umher und beachteten weder Hazel noch Cruth. Trotzdem kam sie sich wie auf einem Präsentierteller vor. Ihr Herz hämmerte wild.

»Wartet.«

Cruth verhielt im Schritt und wartete geduldig. So hatte sie sich stets vorgestellt, dass der Bestiengott wohlwollend auf sein Volk herabsah.

Sie straffte sich, hob das Kinn und fragte leise: »Was wollt Ihr von mir, Fürst?«

Er kam zurück, hielt aber genug Abstand, um nicht in ihren persönlichen Raum einzudringen. Dabei genügte seine pure Anwesenheit, dass Hazel der Atem knapp wurde.

»Ich konnte sehen, wie einsam du über die Jahre gewesen bist. Keine Eltern mehr, kaum Freunde, immer eine Außenseiterin. Mir ging es ähnlich. Ich glaubte …«, er zögerte. Sein Adamsapfel hüpfte nervös, als er schluckte. »Ich glaubte, wir könnten einander vielleicht Gesellschaft leisten.«

Alles in Hazel schrie ihr zu, wegzurennen. Sie war nicht einsam. Und sie hatte Freunde! Königin Natayla, deren Tochter Naya und Kanzler Calliou gehörten zu ihren engsten Vertrauten. Mit Cal teilte sie so gut wie jedes Geheimnis. Umgekehrt genauso. Schön, seit er mit der Prinzessin verlobt war, sahen sie einander nicht mehr allzu oft, aber das war doch normal. Irgendwann würde der Alltag wieder Einzug halten und die Freundschaft wieder inniger werden. Dazu benötigte man bloß Geduld - und davon besaß Hazel eine ganze Menge.

Dennoch hatte Cruth nicht ganz unrecht. Es gab Dinge, nach denen sie sich sehnte. Dinge allerdings, die nicht einmal ein Bestiengott ihr geben konnte.

»Ich glaube nicht, dass ich Euch lange unterhalten könnte, mein Fürst, ich …«

»Nenn mich Cruth. Ich bin nicht länger der hiesige Fürst. Natayla und Daemyan machen das ganz gut - auch ohne mich.«

»Sie ist eine großartige Königin. Alle lieben sie, mein Fürst.« Hazel lächelte bei dem Gedanken, wie Natayla jeden um ihren kleinen Finger wickelte. Ihren Charme hatte sie ganz offensichtlich von ihrem Großvater geerbt.

Er nickte. Der Ausdruck seiner Augen war kurzzeitig dunkler geworden, weil sie auf seinen Wunsch, ihn beim Vornamen zu nennen, nicht eingegangen war. »Und wen liebst du?«

Seine unverblümte Frage erschreckte Hazel. Warum fragte er das? Was ging ihn das an?

Sie wandte sich brüsk ab. »Ich bin Soldatin. Liebe ist mir nicht so wichtig.« Elende Lügnerin, schalt sie sich selbst.

»Das sollte aber nicht so sein. Du bist eine wunderschöne Frau.«

Das genügte. Er mochte der Großvater der Königin sein, aber das gab ihm nicht das Recht, so mit ihr zu sprechen. Egal, ob sie sich zu ihm hingezogen fühlte oder nicht. Ihr Privatleben ging nur sie etwas an. Niemanden sonst. Ihre Säbel schossen hervor, und sie knurrte, während sie nach ihm schnappte.

Er blieb unbeeindruckt stehen. Nur seine Mundwinkel zuckten leicht. »Ich sagte doch, wunderschön!«


*


Drei Tage später versah Hazel gerade ihren üblichen Wachdienst, als Prinzessin Naya auf sie zustürmte. Das lange schwarze Haar der jungen Frau wehte einer Fahne gleich hinter ihr her und ließ sie verletzlicher erscheinen, als sie es war. Hazel wusste nur zu gut, welche Kraft tatsächlich in Naya steckte. Mit diesen Eltern kein Wunder, schließlich zählten General Daemyan und Königin Natayla zu den mächtigsten Bestien nach Cruth.

Naya strahlte vor Glück und schien vor Mitteilungsdrang schier zu platzen. »Haze!«

Hazel unterdrückte ein Lächeln. Nur Naya und Cal nannten sie so. Niemand anderer würde es wagen, ihren Namen abzukürzen. »Was kann ich für dich tun, Naya?«

»Ich bin schwanger!«

Wenn die Prinzessin jetzt noch aufgeregt auf- und abhüpfen würde, bliebe Hazel nichts anderes übrig, als sie k.o. zu schlagen. Derart zur Schau getragene Freude war etwas, das Hazel nur schwer ertragen konnte - insbesondere dann, wenn es um das Thema Kinder ging. Dabei konnte Hazel ihre Freundin ja durchaus verstehen. Nayas Gefährte war eigentlich ein Kobold, der aber aufgrund eines Zaubers in der Gestalt eines Menschen festhing, sodass es bislang fraglich gewesen war, ob die beiden jemals ein Kind würden haben können.

»He, du freust dich ja gar nicht!« Naya klang enttäuscht und wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger. Das tat sie immer, wenn sie sich in der Defensive fühlte, daher beeilte sich Hazel, ihre Freundin vom Gegenteil zu überzeugen.

»Nein, nein, ich bin nur … überrascht. Natürlich freue ich mich für euch!« Sie umarmte Naya. Doch während sie die Prinzessin in den Armen hielt, fühlte sie sich irgendwie verraten. Wieso bekam jemand, der von Geburt an schon das Glück auf seiner Seite hatte, dann auch noch solch ein wertvolles Geschenk? Hazel selbst war eine Hybride und würde deswegen niemals eigene Kinder haben können.

Wie bei einem Maulesel, dachte sie sarkastisch. Das Beste aus zwei Welten, aber unfruchtbar. Als ob sie nicht schon genug mit ihrem unveränderbaren Äußeren gestraft wäre!