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Manfred Grohnfeldt (Hrsg.)

Kompendium der akademischen Sprachtherapie und Logopädie

Band 3 Sprachentwicklungsstörungen, Redeflussstörungen, Rhinophonien

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-029622-0

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-029623-7

epub:  ISBN 978-3-17-029624-4

mobi:  ISBN 978-3-17-029625-1

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Vorwort

 

 

Seit gut einem Jahrzehnt hat sich mit der Etablierung der akademischen Sprachtherapie und der fortschreitenden Akademisierung der Logopädie als junge aufstrebende Fachdisziplinen eine vollkommen neue Situation des Sprachheilwesens in Deutschland ergeben. Verbunden damit ist eine weitgehend vergleichbare Form des Studiums und der Ausbildung, die mit den Krankenkassen als Kostenträgern abgestimmt ist und sich von dem traditionellen Studium der Sprachheilpädagogik in den meisten Studienstätten deutlich absetzt.

Das vierbändige »Kompendium der akademischen Sprachtherapie und Logopädie« vermittelt die Grundlagen der in den Prüfungs- und Studienordnungen dargelegten Inhalte. Gleichzeitig ist es ein Abbild der Aufgabenbereiche in der Praxis. Dem Umfang des damit verbundenen Stoffs entsprechend wird eine Aufteilung in folgende Bände vorgenommen:

•  Band 1: Sprachtherapeutische Handlungskompetenzen

•  Band 2: Interdisziplinäre Grundlagen

•  Band 3: Störungsbezogene Kompetenzen Sprachentwicklungsstörungen, Redeflussstörungen, Rhinophonien

•  Band 4: Störungsbezogene Kompetenzen Aphasien, Dysarthrien, Sprechapraxie, Dysphagien – Dysphonien

Band 3 und 4 sind inhaltlich aufeinander bezogen und beschäftigen sich mit Erscheinungsformen und Störungsbildern in der Sprachtherapie. Der vorliegende Band 3 geht dabei auf unterschiedliche Formen an Sprachentwicklungsstörungen ein, die spezifisch auf die Sprache oder komplex im Zusammenhang mit besonderen Entwicklungsbedingungen auftreten können. Weiterhin werden Redestörungen wie das Stottern im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Poltern sowie Mutismus und Lippen-Kiefer-Gaumen-Segel-Fehlbildungen (LKGS) thematisiert. Die übergreifende Struktur der Beiträge bezieht sich auf die Begriffsbestimmung, Symptomatik, Ursachen und Bedingungshintergründe, diagnostische Verfahren und unterschiedliche Formen des therapeutischen Vorgehens. Zahlreiche Hinweise auf online verfügbare Materialien, Medien und Diagnose- und Therapieverfahren erhöhen die Praxisrelevanz und machen den besonderen Vorzug des Bandes aus.

Übergreifend wird hiermit ein Werk angeboten, das in übersichtlicher Form den aktuellen Stand der sprachtherapeutischen Fachdisziplinen in Deutschland bei einem Blick nach vorne repräsentiert. Das Kompendium ist vom Ansatz her nicht nur für das Studium und die Rezeption theoretischer Grundlagen, sondern auch durch die informative und kompakte Darstellung für die Praxis ›vor Ort‹ gleichermaßen von Interesse.

Zu danken ist den Autorinnen und Autoren des Fachbeirats, die sich dieser anspruchsvollen Aufgabe gestellt haben sowie dem Kohlhammer Verlag und hier insbesondere Herrn Dr. Klaus-Peter Burkarth für die lange und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die Grundlage für die Herausgabe dieser Publikation ist. Es bleibt zu wünschen, dass damit ein prospektives Standardwerk für viele Jahre vorgelegt wird.

München, im November 2016

Manfred Grohnfeldt

Inhalt

 

 

  1. Vorwort
  2. I Einführung
  3. Überlegungen zur Häufigkeit und Klassifikation von Sprachstörungen
  4. Manfred Grohnfeldt
  5. Was wirkt wie? Prädiktoren für den Erfolg sprachtherapeutischer Intervention
  6. Ulla Licandro & Mary Beth Schmitt
  7. Berufspraxis im Studium
  8. Ute Schräpler
  9. II Störungen der Sprachentwicklung
  10. Aussprachestörungen
  11. Katharina M. Albrecht
  12. Spezifische Sprachentwicklungsstörungen
  13. Simone Kannengieser
  14. Sprachverständnisstörungen
  15. Wilma Schönauer-Schneider
  16. Sprechapraxie bei Kindern
  17. Beate Birner-Janusch
  18. Semantisch-lexikalische Störungen
  19. Claudia Wahn
  20. Pragmatische Störungen
  21. Bettina Achhammer
  22. Exkurs: Störungen des Schriftspracherwerbs
  23. Sylvia Costard
  24. III Sprachstörungen im Zusammenhang mit besonderen Entwicklungsbedingungen
  25. Zur Komplexität von Sprachentwicklungsstörungen, kognitiven und sozialemotionalen Störungen
  26. Manfred Grohnfeldt
  27. Sprachentwicklungsstörungen bei Mehrsprachigkeit
  28. Wiebke Scharff Rethfeldt
  29. Sprachstörungen bei Hörschädigungen und auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS)
  30. Claudia Häußinger
  31. IV Störungen der Redefähigkeit
  32. Stottern bei Kindern
  33. Patricia Sandrieser
  34. Stottern bei Jugendlichen und Erwachsenen
  35. Kristina Anders & Emilia Rudolf
  36. Poltern
  37. Michael Schneider
  38. Selektiver Mutismus
  39. Jens Kramer & Julia Lukaschyk
  40. V Rhinophonien
  41. Lippen-Kiefer-Gaumen-Segel-Fehlbildungen (LKGSF)
  42. Sandra Neumann
  43. Herausgeber
  44. Autorenverzeichnis

 

 

 

I     Einführung

Überlegungen zur Häufigkeit und Klassifikation von Sprachstörungen

Manfred Grohnfeldt

1          Einleitung

Schon die einfache und unverfänglich erscheinende Frage nach der Häufigkeit von Sprach(entwicklungs-)störungen zeigt uns die Komplexität der damit verbundenen Thematik, wobei die genannten Zahlen mehr über die subjektive Erwartungsnorm des Verfassers bzw. Diagnostikers aussagen als eine ›objektive‹ Eingrenzung einer Wissenschaft vermuten lassen. Ebenso vermittelt ein Blick in die gängigen Handbücher, dass erstaunlich unterschiedliche Einteilungen von Sprach-, Sprech-, Rede-, Stimm- und Schluckstörungen innerhalb des weiten Bereiches kommunikativer Auffälligkeiten vorgenommen werden. Im Zusammenhang damit stehen verschiedenartige Perspektiven der beteiligten Wissenschaftsdisziplinen. Ebenso sind kulturelle und epochale Einflüsse zu beachten. Was in einer deutschen Großstadt als auffällig eingeschätzt wird, kann in der afrikanischen Steppe nur ein Kopfschütteln hervorrufen. Und ebenso erstaunlich (?) ist es, dass sich diese unterschiedlichen Einschätzungen in nur wenigen Jahrzehnten erheblich wandeln können.

Im Folgenden sollen zunächst

•  vor dem Hintergrund der stark variierenden Häufigkeitsangaben zu Sprachstörungen Überlegungen zum Normbegriff (Was ist ›normal‹?) angestellt werden.

•  Dabei zeigt sich, dass unterschiedliche Klassifikationssysteme damit in einem engen Zusammenhang stehen.

Beide Themenbereiche hängen voneinander ab und vermitteln einen Eindruck über ›dahinter liegende‹ Grundmuster unserer Wahrnehmung. Sie zeigen uns einerseits die Relativität sprachlicher Auffälligkeiten, andererseits vermitteln sie die Notwendigkeit, sein Handeln gerade vor dem Hintergrund der unklaren Hintergründe in ein Bezugssystem zu stellen und zu begründen.

2          Häufigkeiten und Normalitäten

Schon seit Jahrzehnten werden ganz unterschiedliche Angaben zur Häufigkeit von Sprach(entwicklungs-)störungen angegeben. So zeigt eine Sichtung der damaligen Literatur Werte von 4% bis über 40% im Vorschulalter sowie von 0,7% bis 30% im Grundschulalter (Grohnfeldt 1982, 67; überarbeitet: Grohnfeldt 1993, 62). Auch neuere Literatur bestätigt diese breite Varianz mit 3% bis über 20% (Schöler et al. 1998, 25 ff.) bzw. 2% bis 30% (Suchodoletz 2013, 17).

Diese Zahlen sind vorwiegend auf kindliche Sprachentwicklungsstörungen ohne Berücksichtigung von vorwiegend neurogenen Sprach- und Sprechstörungen im Erwachsenenalter sowie von Stimmstörungen in allen Altersstufen bezogen. Sie zeigen uns dabei eine generelle Problematik auf und führen zu beunruhigenden Fragen: Was ist ›normal‹? Wo beginnt die Grenze zu sprachlichen Auffälligkeiten? Gibt es überhaupt eine genaue ›objektive‹ Abgrenzung?

Offensichtlich gibt es fließende Übergänge zwischen einem ›normalen‹ und als auffällig erlebten Sprachverhalten, wobei sich dies nicht nur auf Sprachentwicklungsstörungen, sondern auch auf Stottern, Stimmstörungen sowie auf zentrale Sprach- und Sprechstörungen bezieht. Dadurch ist es nicht eindeutig, von welchen quantitativen oder qualitativen Abweichungen an man von einer ›Störung‹ sprechen kann oder sollte. Dieses prinzipielle Dilemma ist Grundlage der Relativität von Erwartungsnormen des Einzelnen, findet sich aber auch bei standardisierten Testverfahren, die sich ja letztlich aus der Einschätzung einer Vielzahl von Einzelpersonen zusammensetzen.

Zu fragen ist, wie man mit der Relativität von Sprachstörungen umgeht.

Generell sollte man sich bei aller Kenntnis wissenschaftlicher Daten immer auf den Einzelfall beziehen. Einerseits ist es dabei unzulässig, sich ausschließlich auf (fiktive) statistische Durchschnittswerte zu berufen, da man nicht von Mittelwerten allein auf den Einzelfall schließen darf. Andererseits kann die Kenntnis von Erfahrungswerten eine Orientierung bei der diagnostischen Entscheidung im Rahmen von Expertenurteilen bieten. Neben der Erhebung durch diagnostische Testverfahren sind dabei Variablen wie

•  die Kenntnis der individuellen Situation der Betreffenden und ihr persönlicher Leidensdruck,

•  die Einschätzung durch die Umwelt (Störungsbewusstsein und Stigmatisierung) und

•  die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im epochalen Wandel von Bedeutung.

Abgesehen von diesen prinzipiellen Unsicherheiten wird jedoch übereinstimmend von differierenden Zahlenwerte im Hinblick auf

•  »die Geschlechtsverteilung (Jungen sind häufiger als Mädchen sprachgestört),

•  den Status (schichtspezifische Besonderheiten),

•  Mehrsprachigkeit (bei einer Bezugnahme auf deutsche Normen erhöhte Auffälligkeit, z. B. Holler-Zittlau et al. 2004) und

•  eine altersspezifische Variation berichtet, die Ausdruck des natürlichen Sprachentwicklungsverlaufs im Vorschulalter ist.« (Grohnfeldt 2012, 71)

Zu fragen ist weiterhin, inwieweit die Häufigkeit von Sprach(entwicklungs-)störungen in den letzten Jahren zugenommen hat bzw. weiterhin zunimmt.

Bekannt geworden ist in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung von Heinemann (1996), der von einer Zunahme von kindlichen Sprachentwicklungsstörungen auf 25% berichtet und diese Zahl als Grundlage für einen Ausbau der logopädischen Versorgung heranzieht. Das Ansinnen mag löblich sein, hält aber der wissenschaftlichen Analyse nicht stand. So wenden sich Dannenbauer (1999), Schöler et al. (1998) und zuletzt Suchodoletz (2013) vehement gegen diese Behauptung und belegen in einer historischen Analyse weitgehend konstante, wenn auch variierende Zahlen über Jahrzehnte.

Zu unterscheiden ist hier offensichtlich zwischen der Prävalenz und der Nachfrage nach Therapie.

Beide Bereiche dürfen nicht verwechselt werden!

Wie die Verordnungszahlen der AOK in ihren jährlichen Heilmittelberichten zeigen, steigt die Nachfrage nach Sprachtherapie kontinuierlich. Die größte Nachfrage ist bei Jungen im Alter von 6 Jahren. Während im Jahre 2005 noch 18% der Jungen und 12% der Mädchen in logopädischer Behandlung waren (Schröder & Waltersbacher 2006), war dieser Anteil im Jahr 2015 auf 24,1% bei den Jungen und 16,7% bei den Mädchen gestiegen (Waltersbacher 2015, 37; image Abb. 1).

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Abb. 1: Sprachtherapeutische Leistungen der AOK für Kinder und Jugendliche (Waltersbacher 2015, 37); http://www.wido.de/fileadmin/wido/downloads/pdf_heil_hilfsmittel/wido_hei_hmb2015_1512.pdf

Bei der Interpretation dieser Zahlen ist davon auszugehen, dass sie nicht Ausdruck einer zunehmenden Häufigkeit an sich sind, schwerpunktmäßig Aussprachestörungen (vor allem Sigmatismen) betroffen sein dürften und nicht vergessen werden darf, dass auch das Angebot die Nachfrage steuern kann. So ist in den letzten Jahren die Anzahl der Kinder bei der Einschulung deutlich zurückgegangen, während sich die Anzahl der Logopädinnen und Sprachtherapeutinnen vervielfachte (Grohnfeldt 2008, 136).

Schließlich ist zu fragen, mit welchem Prozentsatz an Sprachstörungen in einer bestimmten Altersstufe seriös zu rechnen ist.

Häufig wird dabei auf eine Studie von Tomblin et al. (1997) verwiesen, bei der 7218 Kindergartenkinder einem Screening unterzogen wurden und eine Prävalenzrate von 6% bei den Mädchen und 8% bei Jungen für spezifische Sprachentwicklungsstörungen ermittelt wurde. Dies deckt sich weitgehend mit einer aufwändigen epidemiologischen Untersuchung von Walter (2007a, 2007b), bei der von 60.000 Adressen der Einwohnermeldeämter in Bayern 2000 Familien nach dem Zufallsprinzip angeschrieben wurden. Davon konnten 316 Kinder im Alter von 3.0 bis 5.11 Jahren mit dem SETK 3–5, der PLAKSS sowie Screeningbögen zu myofunktionellen Störungen, kindlichen Dysphonien, Sprechunflüssigkeiten und dem Wortschatz untersucht wurden.

Dabei wurden folgende Ergebnisse ermittelt:

•  Bei ca. 7% der Kinder wurden schwerwiegende Sprachstörungen festgestellt, die eine Sprachtherapie im engeren Sinne notwendig machten.

•  Ca. 22% der Kinder wurden im weitesten Sinne als sprachlich förderbedürftig eingeschätzt.

Auf diese Zahlen soll im Folgenden zurückgegriffen werden. Dabei zeigt es sich, dass der Anteil der Kinder, die eine fachspezifische Sprachtherapie benötigen, deutlich geringer ist als der Kinder, die durch allgemeine Fördermaßnahmen und Stimulation in ihrer Sprachentwicklung unterstützt werden können. Dies hat weitreichende Folgen für das Selbstverständnis der beteiligten Fachdisziplinen und ihr Vorgehen in einem inklusiven Kontext.

3          Klassifikation und fachspezifische Sichtweisen

Generell erstreckt sich das Aufgabengebiet der akademischen Sprachtherapie und Logopädie auf alle Sprach-, Sprech-, Rede-, Stimm- und Schluckstörungen bei Menschen aller Altersgruppen (Grohnfeldt 2012). Aus der damit verbundenen Vielfalt ergibt sich die Notwendigkeit von Unterteilungen, um in einer Figur-Grund-Unterscheidung Gemeinsamkeiten spezifischer Störungsbilder und Erscheinungsformen hervorzuheben. Bedenken sollte man dabei, dass jede Klassifikation unser Denken zu strukturieren vermag, prinzipiell aber mit einer Einschränkung der Wahrnehmung einhergeht, indem man vorschnell das sieht (und diagnostiziert), was man zu kennen glaubt und in bekannten Klassifikationsschemata wiedererkennt. Jede Einteilung hat also Vor- und Nachteile gleichermaßen: Sie macht die Vielfalt überschaubar, nivelliert aber die Variation an Querverbindungen und muss durch eine Einzelfallbetrachtung spezifiziert werden. Zudem sollte man sich darüber im Klaren sein, dass jede Klassifikation Ausdruck des gesellschaftlichen und epochalen Wandels ist. Wer spricht heute noch von dem bis in die 1980er Jahre gängigen Störungsbild ›Stammeln‹, wer benannte zu dieser Zeit eine Sprachverständnisstörung als eigenständiges Störungsbild?

Übergreifend soll vor diesem Hintergrund folgende Definition vorgenommen werden:

»Klassifikationen sind keine gültigen, starren Einteilungen, sondern notwendige Gebrauchs- und Hilfsmittel, um die Vielfalt an möglichen Erscheinungsformen und Störungsbildern überschaubar zu machen. Sie dienen als Ansatz für eine genaue Beschreibung des Phänomens selbst und des jeweiligen Kontextes (Teil und Ganzes), wobei prozessuale Veränderungen eine Verlaufsbeobachtung notwendig machen. Man sollte sich der prinzipiellen Grenzen stets bewusst sein und Stigmatisierungen vermeiden.« (Grohnfeldt 2012, 73 f.)

Typischerweise spiegeln dabei die meisten Klassifikationsmuster die Sichtweise und Schwerpunktsetzung bestimmter Fachdisziplinen und Berufsgruppen wider. So werden aus der Sicht von Medizinern seit jeher (z. B. Böhme 2006, Pascher & Bauer 1998, Luchsinger & Arnold 1948) Stimmstörungen sehr genau unterteilt und in ihrer Diagnose dargestellt, während Linguisten (z. B. Siegmüller & Bartels 2006) eine viel genauere Spezifizierung im Hinblick auf die einzelnen Sprachebenen vornehmen. An dieser Stelle soll eine interdisziplinäre Sichtweise bevorzugt werden, um eine Synopse der Sprach-, Sprech-, Rede-, Stimm- und Schluckstörungen zu erstellen (image Tab. 1).

Tab. 1: Klassifikation von Sprach-, Sprech-, Rede-, Stimm- und Schluckstörungen aus interdisziplinärer Sicht

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Zu beachten ist dabei, dass es sich vorwiegend um die reinen Oberflächenphänomene im kommunikativen Bereich handelt, die in Kombination untereinander (Beispiel: Sprachentwicklungsstörung bei gleichzeitiger Stimmstörung) oder innerhalb eines komplexen Zusammenhangs mit anderen Entwicklungsdimensionen (image Beitrag »Zur Komplexität von Sprachentwicklungsstörungen, kognitiven und sozial-emotionalen Störungen«) auftreten können. Zudem ist zu bedenken, dass Fragen des subjektiven Störungserlebens, biographische Besonderheiten, interaktionale Einflüsse sowie die Einbettung in das soziale Umfeld (Familie, Peer-Group …) das äußere Erscheinungsbild erheblich überlagern können.

Erst die Gesamtheit aller Faktoren ergibt die für den Einzelfall zutreffende Einschätzung und Kennzeichnung, die dann Grundlage für die Art des therapeutischen Vorgehens wird.

Weiterhin sollte man sich vor Augen halten, dass Klassifikationen einerseits Spiegel des wissenschaftlichen Fortschritts unter Zugrundelegung der internationalen Literatur sind, andererseits aber ihre Wirkung vorwiegend im nationalen Bereich entfalten. Von daher versteht es sich, dass diese im und für den deutschsprachigen Raum entwickelte Klassifikation deutliche Zuordnungen zu dem System der Krankenkassenabrechnungen in Deutschland erlaubt. Sonst wäre sie zumindest in Deutschland nicht praxisgerecht. Interessant ist dabei die Frage, wie häufig bestimmte Indikationen zu bestimmten Störungsbildern auftreten (image Abb. 2), wobei noch einmal daran erinnert werden soll, dass die Häufigkeit der jeweiligen Sprachstörung nicht mit der Nachfrage nach Therapie verwechselt werden darf:

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Abb. 2: Die Indikationen der Sprachtherapie 2014 (Waltersbacher 2015, 34); http://www.wido.de/fileadmin/wido/downloads/pdf_heil_hilfsmittel/wido_hei_hmb2015_1512.pdf

Eine erste Sichtung der prozentualen Anteile verweist darauf, dass »Störungen der Sprache vor Abschluss der Sprache« erwartungsgemäß den größten Anteil ausmachen. Zusammen mit »Störungen der Artikulation« entsprechen sie den kindlichen Sprachentwicklungsstörungen. »Störungen der Sprache nach Abschluss der Sprachentwicklung« machen zusammen mit »Störungen der Sprechmotorik« (Dysarthrien) und »Krankhaften Störungen des Schluckaktes« (Dysphagien) einen erstaunlich großen Anteil aus, wobei zu fragen ist, ob dieser Anteil in den letzten Jahren aufgrund des demographischen Wandels gestiegen ist. Aber wo bleibt das Stottern, die bei der Bevölkerung wahrscheinlich am meisten bekannte Sprachstörung?

Dazu ergab eine Nachfrage bei der AOK in Bonn folgende Aufteilung nach Indikationen, die zudem für die Jahre 2009 und 2014 im Hinblick auf einen Verlauf zu interpretieren ist (image Tab. 2).

Tab. 2: Sprachtherapeutische Behandlungen für AOK – Versicherte nach Indikationen (Quelle: AOK – Heilmittel-Informationssystem im WldO 2016)

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20092014IndikationAnzahl der BehandlungenAnteil in %Anzahl der BehandlungenAnteil in %

Eine Interpretation der Zahlen verweist

•  in nahezu allen Störungsbereichen auf eine Zunahme der Häufigkeit an sprachtherapeutischen Interventionen zwischen den Jahren 2009 und 2014, wobei sich eine schon seit Jahren beobachtete Tendenz fortsetzt (Grohnfeldt 2008).

•  Von besonderer Bedeutung ist dies für die Bereiche der Dysarthrien und vor allem Dysphagien, die zusammen mit dem hohen Anteil an Aphasien die steigende Bedeutung von Sprachstörungen im höheren Lebensalter verdeutlichen. Die Therapie von kindlichen Sprachentwicklungsstörungen nimmt absolut gesehen zwar zu, prozentual aber im Gesamtkontext eher ab.

•  Die größte Steigerung ergibt sich bei Dysphagien, die vor zwei Jahrzehnten nur einem kleinen Teil der Fachdisziplinen bekannt war. Die damit verbundenen Störungsbilder werden heute fünf Mal so häufig therapiert wie Stottern!

•  Die Häufigkeit der Sprachtherapien bei Stottern ist mit 1,6% der sprachtherapeutischen Behandlungen im Rahmen aller jährlichen Therapien angesichts der Bekanntheit und offensichtlich auch Verbreitung geradezu marginal. Zur Häufigkeit werden von Johannsen (2009) 4% bis 5% im Kindesalter und 1% im Erwachsenenalter genannt.

•  Bezieht man dies auf die jeweiligen altersspezifischen Einwohnerzahlen in Deutschland, so ist der Anteil der Therapien beim Stottern viel zu niedrig, bei kindlichen Sprachentwicklungsstörungen aber übrigens überraschend hoch. Es wäre interessant, die zugrundeliegenden Bedingungsfaktoren einmal an anderer Stelle zu untersuchen.

Übergreifend wird deutlich, dass sich Häufigkeitsangaben und Klassifikationen von Sprachstörungen in einem steten epochalen Wandel befinden. Umso wichtiger ist es, hier seinen persönlichen Standpunkt zu finden und dadurch sein diagnostisch-therapeutisches Handeln zu begründen.

4          Epilog

Im Altertum wurde über das Stottern bei Demosthenes (384–322 v. Chr.) berichtet, der sich durch Übungen mit Kieselsteinen im Mund zu dem damals bekanntesten Redner in Griechenland entwickelte. Ebenso spricht in der Bibel Mose davon, dass er eine »schwere Zunge« (2. Mose 4,12) habe, was man heute als Stottern deutet. Stottern ist den Menschen offensichtlich seit jeher als Sprachstörung aufgefallen. Als weitere Sprachstörung wurden zentralorganisch bedingte Sprach- und Sprechstörungen schon im alten Ägypten benannt und durch Schädelöffnungen behandelt. Kindliche Sprachentwicklungsstörungen wurden dagegen erst im 19. Jahrhundert klassifiziert (Schulthess 1830), obwohl sie früher bekannt gewesen sein dürften.

Die heutigen Unterteilungen sind gerade in den letzten Jahrzehnten vor dem Hintergrund linguistischer Erkenntnisse zu den einzelnen Sprachebenen immer differenzierter geworden. Zudem wurden die diagnostischen Verfahren ständig weiterentwickelt, so dass differentialdiagnostische Abgrenzungen zu einer genauen individuellen Kennzeichnung möglich werden. Dies alles ist zu begrüßen und Merkmal des wissenschaftlichen Fortschritts. Damit einhergehen müssen für die Praxis aber ebenso genaue Arten des therapeutischen Vorgehens, um den Betroffenen noch gezielter als bisher helfen zu können. Dies dürfte die Aufgabe der Zukunft sein.

 

Literatur

Böhme, G. (Hrsg.): Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. 4. Aufl. München: Elsevier.

Dannenbauer, F. M. (1999): eins, zwei, drei, sprachgestört? Zum Problem einer begrifflichen Inflation. Die Sprachheilarbeit 44, 1–4.

Glück, C. (2014): Das Fachgebiet in Zahlen. In: Grohnfeldt, M. (Hrsg.): Grundwissen der Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie (35–40). Stuttgart: Kohlhammer.

Grohnfeldt, M. (1982): Störungen der Sprachentwicklung. 6., veränderte Aufl. 1993. Berlin: Marhold.

Grohnfeldt, M. (1993): Störungen der Sprachentwicklung. Berlin: Marhold.

Grohnfeldt, M. (2008): Sprachtherapie/Logopädie. In: Bode, H., Schröder, H. & Waltersbacher, A. (Hrsg.): Heilmittel – Report 2008 (109–147). Stuttgart: Schattauer.

Grohnfeldt, M. (2012): Grundlagen der Sprachtherapie und Logopädie. München: Reinhardt.

Heinemann, M. (1996): Zunahme von Sprachentwicklungsstörungen – ein aktuelles Problem. In: Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik e. V. (dgs) (Hrsg.): Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Illusion oder Vision? Kongressbericht (53–61). Hamm: Gebrüder Wilke GmbH.

Holler-Zittlau, I., Dux, W. & Berger, R. (2004): Evaluation der Sprachentwicklung 4- bis 4 ½-jähriger Kinder in Hessen. Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik e. V. (dgs), Landesgruppe Hessen.

Johannsen, H. (2009): Stottern bei Kindern. In: Grohnfeldt, M. (Hrsg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie. Bd. 2: Erscheinungsformen und Störungsbilder. 3., überarb. Aufl. (160–169). Stuttgart: Kohlhammer.

Luchsinger, R. & Arnold, G. (Hrsg.) (1948): Handbuch der Stimm- und Sprachheilkunde. Stuttgart: Thieme.

Pascher, W. & Bauer, H. (Hrsg.) (1998): Differentialdiagnose von Sprach-, Stimm- und Hörstörungen. 2., überarb. Aufl., Frankfurt a. M.: Edition Wötzel.

Schöler, H., Fromm, W. & Kany, W. (Hrsg.) (1998): Spezifische Sprachentwicklungsstörungen und Sprachlernen. Erscheinungsformen, Verlauf, Folgerungen für Diagnostik und Therapie. Heidelberg: C. Winter.

Schröder, H. & Waltersbacher, A. (2006): Heilmittelbericht 2006. Ergotherapie, Sprachtherapie, Physiotherapie. Berlin: Wissenschaftliches Institut der AOK.

Schulthess, R. (1830): Das Stammeln und Stottern. Zürich: Friedrich Schulthess.

Siegmüller, J. & Bartels, H. (Hrsg.) (2006): Leitfaden Sprache – Sprechen – Stimme – Schlucken. München: Urban & Fischer.

Suchodoletz, W. von (2013): Sprech- und Sprachstörungen. Göttingen: Hogrefe.

Tomblin, J. B., Records, N. L., Buckwalter, T., Zhang, X., Smith, E. & O’Brien, M. (1997): Prevalence of Specific Language Impairment in Kindergarten Children. Journal of Speech, Language and Hearing Research 40, 1245–1260.

Walter, M. (2007a): Sprachstörungen bei Kindern im Vorschulalter. Wie häufig sind sie wirklich? Marburg: Tectum.

Walter, M. (2007b): Ergebnisse einer epidemiologischen Untersuchung zur Häufigkeit sprachlicher Förderbedürftigkeit bei Vorschulkindern in Bayern. Sprachheilarbeit 52, 146–151.

Waltersbacher, A. (2015): Heilmittelbericht 2015. Ergotherapie, Sprachtherapie, Physiotherapie. Berlin: Wissenschaftliches Institut der AOK. Verfügbar unter: http://www.wido.de/fileadmin/wido/downloads/pdf_heil_hilfsmittel/wido_hei_hmb2015_1512.pdf (Aufruf am 20.8.2016).

Was wirkt wie? Prädiktoren für den Erfolg sprachtherapeutischer Intervention

Ulla Licandro & Mary Beth Schmitt

1          Annäherung an eine komplexe Frage

Sprachentwicklungsstörungen (SES) im Kindesalter sind weit verbreitet. Es wird geschätzt, dass allein sechs bis acht Prozent aller Kinder umschriebene Formen haben, die nicht durch andere primäre Beeinträchtigungen erklärt werden können (z. B. Tomblin et al. 1997); hinzu kommen mit anderen Störungsbildern assoziierte SES. Bestehen diese über das Vorschulalter hinaus, zeigen betroffene Kinder gegenüber ihren typisch entwickelten Peers langfristige Probleme in Bezug auf den Erwerb schriftsprachlicher Fähigkeiten, Verhalten und Sozialisation sowie den Schulerfolg (z. B. Leonard 2014; Menting, van Lier & Koot 2011; Snowling, Bishop & Stothard 2000).

Sprachtherapeutische Intervention soll Kinder dabei unterstützen, ihre sprachlichen Probleme zu überwinden oder zumindest im Schweregrad abzumildern, indem das sprachliche Umfeld so optimiert wird, dass sie sich in verkürzter Zeit neues linguistisches Wissen aneignen können. Neuere Studien legen nahe, dass Aspekte des sprachtherapeutischen Settings mit sprachlichen Zuwächsen auf Seiten der Kinder verbunden sind. Aus theoretischer Sicht mag diese Erkenntnis nicht überraschen, da Therapeutinnen und Therapeuten unter der Annahme arbeiten, dass die Therapie förderlich für Kinder mit SES ist und Verbesserungen der Symptome hervorruft (Law, Garrett & Nye 2004).

In der Tat belegen sorgsam kontrollierte Studien, dass Kinder mit SES im Laufe der Zeit durch eine Therapie mehr sprachliche Fortschritte machten als solche, die keine sprachtherapeutische Intervention erhielten (z. B. Tyler, Lewis, Haskill & Tolbert 2003; van Kleeck, Gillam & McFadden 1998).

Ziel sollte es jedoch sein, sicherzustellen, dass Kinder so viel wie möglich von ihrer sprachtherapeutischen Behandlung profitieren.

Die Frage nach Prädiktoren für den Verlauf einer sprachtherapeutischen Intervention ist also ungemein wichtig, aber zugleich komplex. Wichtig ist sie zum einen aus ökonomischer Sicht für die Rechtfertigung der Notwendigkeit und Wirksamkeit sprachtherapeutischer Intervention bei unterschiedlichen Störungsbilder und zum anderen natürlich aus ethischer Sicht, aus der es fatal wäre, eine weniger wirksame Intervention zu implementieren, als es der zur Verfügung stehende Stand der Forschung erlauben würde. Da es sich um ein Zusammenspiel kind- und umweltbezogener Faktoren handelt, die als Prädiktoren für den zu erwartenden Therapieerfolg agieren, ist die Frage komplex.

Der vorliegende Beitrag exploriert Prädiktoren in drei zentralen Bereichen:

•  Zunächst wird das Kind mit seiner SES fokussiert, da spezifische Aspekte des Störungsbildes und weitere kindliche Faktoren nicht nur Einfluss auf die Wahl der Therapiemethoden nehmen können, sondern auch auf die Responsivität bezüglich der Intervention.

•  Der nächste Teil beleuchtet die Rolle von Aspekten der Therapiedurchführung, wie die Intensität und Gestaltung der Therapie (Service-Delivery-Modelle).

•  Im dritten Abschnitt werden Prädiktoren im Zusammenhang mit der emotionalen Qualität des therapeutischen Settings und der therapeutischen Beziehung exploriert.

Abschließend folgen Überlegungen zur praktischen Umsetzung verschiedener Aspekte und eine Diskussion von Forschungsdesiderata.

2          Prädiktoren auf Seiten des Kindes mit SES

Kinder mit SES bilden eine heterogene Gruppe, die sich beispielsweise bezüglich der Ausprägung ihres Störungsbildes, Alters und sozioökonomischen Status unterscheidet. All diese Faktoren können als Prädiktoren für den Erfolg einer sprachtherapeutischen Intervention fungieren.

Zunächst decken SES ein breites Spektrum von expressiven und rezeptiven Beeinträchtigungen auf allen linguistischen Ebenen ab. Im Leitbild »Akademischer Sprachtherapeut/Akademische Sprachtherapeutin« hält die dbs-Dozentenkonferenz fest: »Das berufliche Handeln erfolgt auf der Grundlage wissenschaftlich begründeter, evidenzbasierter Verfahren« (2010, 4). Jedoch wurden im deutschsprachigen Raum bisher nur wenige Forschungsstudien veröffentlicht, die der Evidenzbasierung dienen können. Löb und Siegmüller begutachten den Forschungsstand zur Effektivität von Grammatiktherapie und müssen zu dem Schluss kommen, dass dieser, trotz beispielsweise der Forschungen von Motsch zur Kontextoptimierung (2004), »nur als ungenügend bezeichnet werden« (Löb & Siegmüller 2014, 169) kann. Zwar gibt es ein breites Spektrum von Therapieansätzen, doch auch für den lexikalisch-semantischen Bereich lässt sich nach Glück und Elsing »ein deutliches Defizit im Bereich der Evidenzen und Effektivitätsforschung […] erkennen« (2014, 186). Hinzu kommt folgende von Hunter und Kollegen konstatierte Tatsache:

»Scientists have known for centuries that a single study will not resolve a major issue. Indeed, a small sample study will not even resolve a minor issue. Thus, the foundation of science is the cumulation of knowledge from the results of many studies.« (Hunter, Schmidt & Jackson 1982, 10)

Tatsächlich sind Einzelstudien anfällig für Fehlerquellen, die die Ergebnisse stark beeinflussen können, so dass keine alleinstehende Studie finale Antworten bieten könnte. Dies gilt insbesondere für ein Forschungsfeld mit vielen Einflussvariablen, wie die sprachtherapeutische Intervention. Daher ist es sinnvoll, internationale Forschungsstudien heranzuziehen und, wenn möglich, eine große Anzahl von Studien zum gleichen Phänomen über Meta-Analysen1 zu aggregieren.

Bisher einzigartig ist die Veröffentlichung von Law, Garrett und Nye (2003, siehe auch 2004), in die insgesamt 36 Interventionsstudien aus 25 Jahren internationaler Forschung einflossen, um die Effektivität von Sprachtherapie bei Kindern im Vorschulalter mit unterschiedlichen Störungsbildern zu ermitteln. Dreizehn davon waren ausreichend dokumentiert und wurden in einer Metaanalyse zusammengefasst. Insgesamt fanden sich mäßige bis hohe Effekte von Sprachtherapie, jedoch zeigten sich eine große Heterogenität der Studienergebnisse und deutliche Unterschiede zwischen den Interventionsbereichen.

Die Behandlung phonologischer und expressiv-lexikalischer Störungsbilder konnte signifikant positive Effekte erreichen, während sich Interventionserfolge für Kinder mit Störungsbildern im expressiv-syntaktischen Bereich gemischt zeigten. Aufgrund der begrenzten Anzahl von Studien konnten keine klaren Ergebnisse für Therapieerfolge bei rezeptiven Störungsbildern gefunden werden.

Auch Marulis und Neuman (2013) fanden anhand ihrer Metaanalyse auf Basis von 51 Studien signifikante und positive Effekte lexikalischer Intervention auf das Wortschatzwachstum von Kindern im Vorschulalter. Petersen (2011) begutachtete Interventionsstudien im Bereich der narrativen Fähigkeiten und resümierte, dass diese signifikanten Verbesserungen der Makrostruktur und ausgewählter Aspekte der Mikrostruktur evozieren können.

Noch ist unklar, welche Auswirkungen der Schweregrad der sprachlichen Beeinträchtigung auf den Therapieerfolg bzw. das Behandlungsergebnis hat. Einerseits ist es möglich, dass Kinder mit schwerwiegenden Störungen am meisten Fortschritte machen, da sie das meiste Wachstumspotential haben, andererseits könnten sie ihre Störungen daran hindern, von der Intervention zu profitieren (Law et al. 2003). Weiterhin bleibt anzunehmen, dass Kinder mit schwerwiegenden Störungen derweilen intensivere Therapien erhalten als solche mit leichten bis mittelgradigen Störungen.

Über die Auswirkungen des Alters bzw. den optimalen Startpunkt einer Therapie besteht ebenfalls kein gesichertes Wissen. Bei früher Intervention besteht die Hoffnung, dass der Bedarf an späterer Unterstützung reduziert wird. Zugleich, so reflektieren Law und Kollegen (2003), mag es sinnvoll zu sein, abzuwarten, bis das Kind mehr von den sprachtherapeutischen Hilfen profitieren kann.

Dahingegen ist seit langem bekannt, dass Zusammenhänge zwischen dem sozioökonomischen Status einer Familie und der kindlichen Sprachentwicklung bestehen. Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status erhalten im Durchschnitt quantitativ und qualitativ niedrigeren sprachlichen Input (Hoff 2003) und zeigen im Vorschulalter niedrigere Sprach- und Literacy-Fähigkeiten als ihre Peers aus Familien mit höherem sozioökonomischen Status (z. B. Stipek & Ryan 1997).

Der sozioökonomische Status trat auch als Prädiktor für den Erfolg einer Sprachtherapie auf: Marulis und Neuman (2013) entdeckten, dass Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen weniger von lexikalischer Intervention profitierten als ihre Peers aus Familien mit mittlerem oder hohem Einkommen.

3          Prädiktoren im Bereich Therapie

Die vorherrschende Meinung in Grundsatzpapieren (siehe z. B. ASHA 2011) ist, mehr Therapie sei besser. Wenn Kinder mit SES, die sprachtherapeutisch versorgt werden, mehr sprachliche Fortschritte machen als solche, die keine Intervention erhalten, dann kann man tatsächlich so argumentieren. Jedoch ist eine rein quantitative Erhöhung von Therapiesitzungen nicht automatisch mit einem größeren Therapieerfolg verknüpft. Jüngste Untersuchungen legen nahe, dass die Intensität der therapeutischen Intervention (d. h. die Dosis und die Häufigkeit, mit der die Therapie erbracht wird) sowie Service-Delivery-Modelle (d. h. der Ort und das spezifische Therapiesetting) einen signifikanten prognostischen Wert für den sprachlichen Zuwachs der Kinder haben, wie in den folgenden Abschnitten erläutert.

3.1        Intensität der therapeutischen Intervention

Warren, Fey und Yoder (2007) konzeptualisierten die Intensität der sprachtherapeutischen Intervention als ein kumulatives Konstrukt, das die Wechselwirkung zwischen der Frequenz (Anzahl von Therapiesitzungen), der Dosis (Zeitaufwand für die jeweiligen Behandlungsziele innerhalb jeder Therapiesitzung) und der Dauer (die Gesamtlänge der Behandlung über die Zeit) beinhaltet.

Der Großteil unseres Verständnisses bezüglich der Beziehung zwischen der Intensität der sprachtherapeutischen Behandlung und den sprachlichen Zuwächsen der Kinder ist jedoch von Studien geprägt, die nur einen Aspekt der Intensität manipulierten. Einige Studien entdeckten in der Tat eine Beziehung zwischen entweder der Frequenz oder der Dosis der sprachtherapeutischen Intervention und den Auswirkungen auf die Kindersprache (Law et al. 2004), während andere Studien keinen Zusammenhang fanden (Bellon-Harn 2012; Proctor-Williams & Fey 2007). Beispielsweise variierten Meyers-Denman und Plante (2016) die Aufteilung der Einheiten einer morphologischen Intervention für vier- bis fünfjährige Kinder mit einer umschriebenen SES. Die Zielgruppe machte dieselben Fortschritte – unabhängig davon, ob die Intervention am Stück in halbstündigen Einheiten oder aufgeteilt auf jeweils drei zehnminütige Einheiten innerhalb von vier Stunden erfolgte.

Dahingegen könnte die Anregung von Kindern zur Sprachproduktion jedoch ein Schlüsselmechanismus für den Sprachzuwachs sein. So fand Williams (2012) heraus, dass Kinder, die im Rahmen einer phonologischen Intervention signifikant häufiger Gelegenheit hatten, sich aktiv einzubringen, eine höhere Leistungssteigerung zeigten als Kinder, die signifikant weniger Durchgänge erhielten.

Jüngste Bemühungen beginnen Warrens, Feys und Yoders (2007) Definition der kumulativen Intensität in Forschungsdesigns zu integrieren (z. B. McGinty, Breit-Smith, Fan, Justice & Kaderavek 2011). Eine aktuelle Studie von Schmitt, Justice und Logan (2016) untersuchte die kumulierte sprachtherapeutische Intensität für 233 Kindergartenkinder und Erstklässlerinnen und Erstklässler mit SES, die im öffentlichen Schulsystem der USA behandelt wurden. Die 73 Sprachtherapeutinnen und Sprachtherapeuten, die im Laufe des Studienjahres mit diesen Kindern arbeiteten, machten Angaben zu den Behandlungszielen, der Anzahl der Sitzungen pro Woche, dem Ort der Therapie und ob das Kind individuell oder in der Gruppe therapiert wurde. Darüber hinaus zeichneten alle Sprachtherapeutinnen und Sprachtherapeuten fünf Sitzungen per Video auf, die ihrer Meinung nach einen typischen Therapieablauf repräsentierten. Die Forscherinnen extrahierten Daten über die Häufigkeit (d. h. die Gesamtzahl der Sitzungen über das Studienjahr) und die Dosis (d. h. die durch die Videoaufzeichnungen ermittelte durchschnittliche Minutenanzahl, die ausschließlich der sprachtherapeutischen Intervention diente).

Die Studienergebnisse zeigten eine signifikante Wechselwirkung zwischen der Häufigkeit und der Dosis: Kinder, die in hoher Frequenz aber niedriger Dosis (viele, aber jeweils kurze Sitzungen) oder in niedriger Frequenz und hoher Dosis (wenige, aber vergleichsweise lange Sitzungen) behandelt wurden, zeigten höhere sprachliche Zuwächse als ihre Peers, die Intervention in niedriger Frequenz gepaart mit niedriger Dosis (wenige und kurze Sitzungen) oder hoher Frequenz und hoher Dosis (viele und lange Sitzungen) erhielten.

Kinder, deren Therapie über die Zeit verteilt und mit einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Frequenz und Dosis durchgeführt wurde, machten also größere sprachliche Fortschritte als solche, die gehäuft Therapie, d. h. sowohl in Frequenz als auch Dosis erhöht, erhielten.

Jahrzehnte kognitionswissenschaftlicher Forschung unterstützen die Erkenntnis, dass es das Erlernen neuer Information erleichtert, wird sie in kleinen Anteilen in Abständen verteilt und nicht in großen Mengen auf einmal dargeboten. Kausale Wirkungen der kumulativen Intensität, also welche Kombination von Frequenz und Dosis das sprachliche Wachstum optimal anregt, müssen noch ermittelt werden. Jedoch deuten die aktuellen Forschungsergebnisse darauf hin, dass ein Punkt erreicht werden kann, an dem die Wirksamkeit abnimmt und mehr Therapie keine größeren Zuwächse hervorbringt.

3.2        Service-Delivery-Modelle

Service-Delivery-Modelle beziehen sich auf das Setting, in dem die sprachtherapeutische Intervention durchgeführt wird, also der Ort und die Gruppenzusammensetzung (individuelle Behandlung oder Gruppentherapie). Im öffentlichen Schulsystem der USA können Sprachtherapeutinnen und Sprachtherapeuten zwischen dem Pull-Out (Therapie in einem separaten Raum) oder dem inklusiven Setting (Therapie im Klassenzimmer) wählen (Licandro 2014). Anschließend an die Entscheidung, wo die Therapie durchgeführt wird, müssen die sprachtherapeutisch Tätigen entscheiden, ob sie im Einzel- oder Gruppensetting arbeiten. Fällt die Entscheidung für das Gruppensetting, muss die Anzahl der Peers, die in die Therapie eingebunden werden sowie das sprachliche Ausgangsniveau dieser Peers (weitere Kinder mit SES oder typisch entwickelte Kinder) festgelegt werden. Obwohl diese Entscheidungen an den individuellen Bedürfnissen jedes einzelnen Kindes festgemacht werden sollten (IDEA 2004), fand eine aktuelle Studie von Brandel und Loeb (2011) heraus, dass die eingesetzten Service-Delivery-Modelle größtenteils homogen und durch Pull-Out und kleine Gruppen aus zwei bis vier Kindern mit ähnlichen Störungsbildern gekennzeichnet waren. Interessanterweise legen aber einige Studien nahe, dass inklusive Service Delivery-Modelle, bei denen die Therapie im Klassenraum unter Einbezug typisch entwickelter Peers stattfindet, bessere Ergebnisse hervorrufen als die traditionelleren Service-Delivery-Modelle (z. B. Throneburg, Calvert, Sturm, Paramboukas & Paul 2000). Aus diesem Grund ist es sinnvoll, einen genaueren Blick auf den Zusammenhang zwischen Peer-Interaktionen und kindlicher Sprachentwicklung zu werfen.

US-amerikanische Forschungsstudien zeigten, dass die überwältigende Anzahl von Kindern mit vergleichsweise niedrigem Sprachausgangsniveau, die in Vorschulgruppen betreut wurden, in denen ihre Peers im Durchschnitt höhere Sprachkenntnisse aufwiesen, deutlich mehr sprachlichen Zuwachs über ein akademisches Jahr hinweg machten als Kinder mit niedrigem Sprachausgangsniveau, die mit Gleichaltrigen betreut wurden, die ebenfalls niedrige sprachliche Kompetenzen hatten (Justice, Petscher, Schatschneider & Mashburn 2011; siehe auch Licandro 2016).

Ein erhöhtes durchschnittliches Sprachniveau in einer vorschulischen Kindergruppe ist also mit dem sprachlichen Zuwachs individueller Kinder verknüpft. Noch ist unklar, ob die Interaktion mit Peers einen direkten oder indirekten Einfluss auf die kindlichen Sprachfähigkeiten hat. Die sprachlichen Modelle von weiter entwickelten Kindern könnten direkt einen sprachlichen Zuwachs bewirken. Ebenso könnte ein angehobenes durchschnittliches Sprachniveau der Kindergruppe mit einem ausdifferenzierteren sprachlichen Angebot seitens der pädagogischen Fachkräfte einhergehen und somit den kindlichen Sprachstand indirekt positiv beeinflussen. So oder so weisen die Erkenntnisse aus diesem Forschungsbereich deutlich auf den Wert hin, Kinder mit SES in einen Gruppenverbund mit Gleichaltrigen zu platzieren, die gut entwickelte Sprachfähigkeiten haben, anstatt Kinder auf der Basis gemeinsamer Stärken und Schwächen zu gruppieren.

Auch für die Sprachtherapie sind diese Effekte nutzbar:

Obgleich die Metaanalyse von Law und Kollegen (2003) sowie eine weitere randomisierte, kontrollierte Interventionsstudie mit 152 Kindern mit SES im Alter von 6 bis 11 Jahren (Boyle, McCartney, O’Hare & Forbes 2007) keine Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen Interventionen im Einzel- oder Gruppensetting feststellten, legen neueste Forschungsergebnisse nahe, dass die Gruppenzusammensetzung einen entscheidenden Unterschied machen kann.

So entdeckte Schmitt (2013), dass Kinder mit SES, die regelmäßige Therapieeinheiten mit sprachlich typisch entwickelten Peers erhielten, über ein Schuljahr mehr sprachliche Fortschritte machten als solche, die Therapie im Einzelsetting oder gemeinsam mit anderen Kindern mit SES erhielten. Schließlich scheint auch die Gruppengröße einen Unterschied zu machen. Kinder, die häufiger Therapie im Pull-Out in einer großen Gruppe (fünf bis sieben Kinder) erhielten, zeigten weniger Fortschritte als Kinder, die entweder im Einzelsetting oder in Kleingruppen (zwei bis vier Kinder) therapiert wurden (Schmitt 2013). Dies könnte wiederum mit der zuvor diskutierten Tatsache zusammenhängen, dass Kinder ausreichend Gelegenheiten innerhalb einer Therapieeinheit benötigen, um aktiv an ihren Störungsbereichen zu arbeiten.

4          Prädiktoren im Zusammenhang mit der Sprachtherapeutin bzw. dem Sprachtherapeuten

Psychologische und erziehungswissenschaftliche Forschungsergebnisse zeigen, dass Charakteristika der Lehrkraft bzw. der Therapeutin oder des Therapeuten die Qualität der Interaktion mit der Schülerschaft bzw. den Klientinnen und Klienten beeinflussen und auch zum Lern- bzw. Therapieerfolg beitragen (z. B. Curby, Rimm-Kaufman & Ponitz 2009; Kim, Wampold & Bolt 2006; Ponitz, Rimm-Kaufman, Grimm & Curby 2009). Obgleich es naheliegt, dass dies aus sprachtherapeutischer Sicht ebenso ist, wurde dieses Phänomen in der Forschung lange vernachlässigt.

Kürzlich zeigte jedoch eine Studie, dass sprachliche Zuwächse auf Seiten der Kinder direkt mit ihren Sprachtherapeutinnen und Sprachtherapeuten verknüpft sind: Farquharson und Kolleginnen (2015) untersuchten sprachtherapeutisch Tätige, die mit Kindern im öffentlichen Schulsystem der USA zusammenarbeiteten.

Die Ergebnisse zeigten, dass das Engagement der Sprachtherapeutinnen und Sprachtherapeuten über ein akademisches Jahr hinweg signifikant mit den Sprachfortschritten ihrer Klientinnen und Klienten zusammenhing.

Hohe Varianzen in den Bereichen Grammatik (11%), Wortschatz (8%) und schriftsprachliche Fähigkeiten (12%) konnten auf sie zurückgeführt werden. Das heißt, es macht einen Unterschied, welche Person die Sprachtherapie durchführt. Unter Berücksichtigung der kindlichen Sprachfähigkeiten und der Klassenstufe nahm die sprachtherapeutische Fachkraft Einfluss darauf, wie viel Zuwachs die Kinder machten (Farquharson, Tambyraja, Logan, Justice & Schmitt 2015).

Obwohl die gegenwärtige Forschung noch nicht eindeutig identifiziert hat, welche Aspekte der sprachtherapeutisch Tätigen solche Varianz in den kindlichen Fähigkeiten erklären, ist bekannt, dass zwei Faktoren – die Beziehung mit dem Kind und die emotionale Qualität der therapeutischen Umgebung – mit sprachlichen Zuwächsen bei Kindern mit Risikofaktoren für einen typischen Spracherwerb und solchen mit SES zusammenhängen. Beide Aspekte werden im Folgenden exploriert.

4.1        Beziehungsqualität

Die Beziehungsqualität bezieht sich auf das Ausmaß, in dem Pädagogin bzw. Pädagoge (oder Sprachtherapeutin bzw. Sprachtherapeut) und Kind einen positiven Umgang miteinander wahrnehmen. Eine positive Beziehung setzt sich aus zwischenmenschlicher Wärme und einem hohen Maß an Unterstützung zusammen, während eine konfliktreiche Beziehung durch Reibereien, Stress und Konfliktgefühl charakterisiert ist. Schmitt, Pentimonti und Justice (2012) untersuchten den Zusammenhang der Beziehungsqualität zwischen Kindern im Vorschulalter mit Risikofaktoren für Spracheerwerb und Bildungserfolg (N = 173) und ihren Pädagoginnen bzw. Pädagogen sowie den kindlichen Sprachkenntnissen (gemessen anhand grammatikalischer Fähigkeiten). Kinder, die positive Beziehungen erlebten, machten über ein akademisches Jahr mehr sprachliche Fortschritte als solche, die konfliktreichere Beziehungen erlebten.

4.2        Emotionale Qualität der therapeutischen Umgebung

Die emotionale Qualität wurde von Pianta, La Paro und Hamre (2008) als der Grad der Wärme, Zuneigung, Unterstützung und Zugehörigkeit definiert, den Kinder in der Interaktion mit Peers und Erwachsenen in einer bestimmten Umgebung erfahren. Aus theoretischer Sicht bieten Umgebungen von hoher emotionaler Qualität ein sicheres Setting, das es Kindern ermöglicht, Risiken einzugehen, Fragen zu stellen und abstrakt zu denken. Kinder, die sich in solchen Umgebungen befinden, können gesteigertes Engagement bei Lernaufgaben (Ryan & Deci 2000) sowie mehr Eigenverantwortung für ihr Lernen zeigen. Tatsächlich belegte eine Studie, dass Kinder, die aktiver in ihrer sprachtherapeutischen Sitzung mitarbeiteten, auch mehr Fortschritte machten als Kinder, die weniger aktiv waren (Schmitt & Justice 2014). Für Kinder mit SES kann dies besonders wichtig sein, da die Zeit, die sie in sprachtherapeutischer Behandlung verbringen, üblicherweise nur einen kleinen Anteil ihrer Woche ausmacht. Tambyraja, Farquharson, Logan und Justice (2015) fanden heraus, dass Kinder mit SES, die in pädagogischen Settings von hoher emotionaler Qualität betreut und unterrichtet wurden, mehr Zuwachs im Bereich ihrer Dekodierungsfähigkeiten zeigten als ihre Peers in pädagogischen Settings, die von niedrigerer emotionaler Qualität geprägt waren.

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