Elfie Courtenay

Heilkräuter

Überliefertes Wissen für
Hausapotheke und Küche

Inhalt

Vorwort

Einführung

Wichtiges vorab

Was Sie sonst noch wissen sollten

Volksmedizin und Kräuterbrauchtum

Von Kräuterweibern und Bauerndoktoren

Zweifel an der Wissenschaft

Die langsame Akzeptanz der Schulmedizin

Schwierige Abgrenzung

Typische Maßnahmen der Volksmedizin

Belege aus der Vergangenheit

Eine Sonderausstellung im steirischen Volkskundemuseum Stainz

Die Familie Ragginer, 200 Jahre Volksmedizin in Südtirol

Typische Bräuche und Traditionen

Kräuterbuschen-Binden

Räuchern

Von einst ins Heute

Bergholunder

Wilder Schnittlauch mit Perlmutterfalter

Heilkräuter von A bis Z

Alant

Aloe vera

Augentrost

Baldrian

Bärlapp/Keulen-Bärlapp

Bärlauch

Beifuß

Beinwell

Berberitze/Sauerdorn

Betonie/Heilziest

Birke

Blutweiderich

Blutwurz

Borretsch

Brennnessel

Brombeeren

Dost/Wilder Dost

Eberesche/Vogelbeere

Efeu

Ehrenpreis, Echter und Gamander-

Eibisch

Eiche/Stieleiche

Eisenkraut

Engelwurz, Echte

Frauenmantel

Gänseblümchen

Gänsefingerkraut

Giersch

Gundermann/Gundelrebe

Guter Heinrich

Hagebutte/Heckenrose

Hauhechel, Dornige

Himbeere

Hirtentäschel

Holunder, Schwarzer

Hopfen

Huflattich

Johanniskraut, Echtes

Kamille, Echte

Kapuzinerkresse

Kohl (Weißkohl/Weißkraut)

Königskerze, Großblütige

Kornelkirsche

Labkraut, Echtes

Lärche

Maiglöckchen

Lein

Liebstöckel

Linde, Sommer- und Winter-

Löwenzahn, Wiesen-

Mädesüß, Großes

Malve, Wilde

Meerrettich

Mistel

Nachtkerze

Odermennig

Ringelblume

Ruprechtskraut

Salbei

Sauerklee/Wald-Sauerklee

Schafgarbe

Schlehe/Schwarzdorn

Spitzwegerich

Thymian/Arznei-Thymian

Vogelmiere

Wacholder

Walnuss

Wasserdost

Wasserminze

Wegwarte/Zichorie

Weidenröschen, Kleinblütiges

Weißdorn

Anhang

EXTRA: Giftige Heilpflanzen

EXTRA: Geschützte Pflanzen

Begriffserklärungen

Pflanzliche Inhaltsstoffe und ihre Bedeutung

Literatur/Bezugsquellen/Museen

Stichwortregister

Vorwort

Wir sind nicht auf der Erde, um ein Museum zu hüten, sondern um einen Garten zu pflegen, der vor blühendem Leben strotzt.

Dieser Satz ist heute wichtiger denn je. Er stammt von Papst Johannes XXIII., der von 1958 bis 1963 das Amt innehatte. Schon vor über 50 Jahren war ihm bewusst, wohin es führen kann, wenn wir nicht sorgsamer mit der Erde, mit der Natur und mit unserer Umwelt umgehen.

Wir sind heute bereits in der Situation, dass weite Teile unserer Landschaft nur noch eine sehr geringe Artenvielfalt aufweisen. Viele Wiesen werden permanent überdüngt, und die intensive wirtschaftliche Nutzung führt zu nitratreichen, verhärteten Böden. Ein großer Teil der Insekten, wie Käfer, Schmetterlinge oder Bienen, finden nur noch wenig Nahrung und Lebensraum und haben es heutzutage schwer, zu überleben. Denn zur intensiven Düngung kommt das häufige Mähen hinzu. Ab Ende Mai gibt es meist keine blühenden Wiesen mehr. Dazu kommt in manchen Gegenden der intensive Einsatz von Spritzmitteln, zum Beispiel bei Getreide und Mais.

Wenn wir Menschen nicht realisieren, dass auch unser eigenes Überleben von einer intakten Natur abhängig ist, und nicht aufhören, weiterhin ein Gefüge zu zerstören, in dem alles miteinander verbunden ist, alles aufeinander einwirkt und voneinander abhängig ist, dann werden wir vielleicht eines Tages fassungslos vor unfruchtbaren, vergifteten Wiesen und Feldern stehen und uns fragen, wie es so weit kommen konnte.

Bereits Albert Einstein hat gesagt: »Zuerst stirbt die Biene, dann stirbt der Mensch.«

Heufalter

Leben im Sinne der Natur

Auf der anderen Seite gibt es gerade wegen dieser bedrohlichen Veränderung bereits sehr viele Menschen, die sich ernsthaft Gedanken darüber machen, wie man der derzeitigen Entwicklung entgegenwirken könnte. Dazu gehören unter anderem die Biobauern, Biogärtner und Imker. Auch Initiativen zum Nachzüchten alter Gemüsesorten sind sehr wertvoll. Denn so werden unabhängige Samenbanken geschaffen, falls in Zukunft nur noch einjähriges Saatgut erhältlich sein wird. Mancherorts werden in Parks Bienenweiden und Kräutergärten angelegt, Verkehrsinseln werden mit Streusamenmischungen zum Erblühen gebracht – alles herrliche Oasen für Bienen, Hummeln und Schmetterlinge! Auch die Initiative der »Sonnenäcker« möchte ich erwähnen, wo Privatpersonen die Möglichkeit haben, ihr eigenes Gemüse biologisch anzubauen.

Was jeder selbst tun kann

Selbstverständlich kann jeder Einzelne etwas beitragen, um die natürliche Vielfalt zu erhalten. Wenn er im eigenen Garten auf jegliches Gift verzichtet, wenn er anstatt der giftigen Thuja tierfreundliche Sträucher und Hecken pflanzt, seinen bisher penibel geschorenen Rasen zu einer Blumenwiese erblühen lässt, wenn er für Terrasse oder Balkon speziell bienenfreundliche Pflanzen wählt und, wann immer es möglich ist, direkt bei Imkern, Biogärtnern und Biobauern einkauft.

Eine wichtige Rolle spielen auch die langjährigen Bemühungen der Naturschützer um ausgewiesene Schutzzonen, ohne diesen Einsatz hätten wir keine Naturschutzgebiete. Aber sollen sich die nächsten Generationen wirklich in Zukunft dort zeigen und erklären lassen, wie unsere Landschaft früher einmal aussah?

In meinen Wildkräuter-Führungen und -Seminaren ist mir wichtig, die Achtsamkeit der Teilnehmer zu schulen, um ihnen die Bedeutung der Zusammenhänge in der Natur vor Augen zu führen, um in ihnen Verständnis und Wertschätzung für das Reich der Pflanzen und für alles, was dazugehört, zu erwecken oder zu vertiefen.

Ich wünsche mir, dass meine Liebe zur Natur ansteckend wirkt und dass ich mit meiner Begeisterung fürs Pflanzenreich noch viele Menschen erreichen werde, die wie ich das starke Bedürfnis haben, unsere wundervolle Schöpfung zu bewahren.

Ohlstadt, im Mai 2017
Elfie Courtenay

Einführung

Mit diesem Buch möchte ich Ihnen zeigen, welch herrliche Fülle die Natur hervorbringt, wenn wir sie nur lassen! Dann beschenkt sie uns unaufhörlich mit kostbarsten Gaben, und es liegt allein an uns, all das zu entdecken, was sie für uns bereithält, diese Gaben zu schätzen, ihren wahren Wert zu achten und ihre Heilkraft klug zu nutzen!

Wenn Sie bisher noch keinerlei Erfahrungen mit Wildkräutern sammeln konnten, möchte ich Ihnen raten, bei der ein oder anderen Kräuterführung mitzugehen, um Ihren Blick zu schärfen und wenigstens ein paar Pflanzen schon bald allein erkennen und bestimmen zu können. Falls Sie unsicher sind, gilt immer die oberste Regel:

Sie dürfen nichts zu sich nehmen, was Sie nicht einwandfrei identifiziert haben!

Auch bei Pflanzen, nicht nur bei Pilzen, gibt es giftige, und auch wenn es nicht viele tödlich giftige gibt, auf einen Brechdurchfall oder Leberschaden werden Sie bestimmt gern verzichten. Selbst auf normalerweise unbedenkliche Kräuter können einzelne Personen mit Unverträglichkeiten oder Allergien reagieren. Deshalb gilt grundsätzlich, erst einmal eine kleine Menge zu probieren und diese dann gegebenenfalls zu steigern, wenn einem die Pflanze gut schmeckt und bekommt. Natürlich ist auch zu bedenken, dass sich Magen und Darm erst auf größere Mengen Rohkost einstellen müssen. Falls Sie also bisher kaum rohe Kräuter oder Gemüse zu sich genommen haben, dürfen Sie sich natürlich nicht wundern, wenn Sie zum Beispiel nach einer Schüssel voller Löwenzahnblätter plötzlich fürchterliche Blähungen oder Bauchschmerzen bekommen. Sie haben nichts »Falsches« gegessen, nur die Menge war für Sie nicht die passende.

Ich empfehle immer, sich ein gutes Bestimmungsbuch zuzulegen, um im Zweifelsfall nachschlagen zu können. Leider sind die Bezeichnungen zur Giftigkeit der einzelnen Pflanzen in den verschiedenen Büchern nicht einheitlich, außerdem gibt es keinerlei Mengenangaben. Aber wie schon gesagt: Sie sollten die Verträglichkeit sowieso immer erst mit kleinen Mengen ausprobieren.

Wichtiges vorab

Giftige Pflanzen

Sie sind zwar nicht für den menschlichen Verzehr geeignet, spielen aber oft eine sehr wichtige Rolle in der Phytotherapie oder auch Homöopathie. Einige hochgiftige Pflanzen, vor allem solche, bei denen Verwechslungsgefahr mit essbaren Pflanzen besteht, werde ich ab Seite 234 noch vorstellen.

Geschützte Pflanzen dürfen auf keinen Fall aus der Natur entnommen werden! Auch hier ist die Information in den Bestimmungsbüchern leider nicht einheitlich, auch kann es Unterschiede in den einzelnen Bundesländern geben. Lassen Sie eine unbekannte Pflanze im Zweifelsfall unbedingt stehen, am besten machen Sie ein Foto, notieren sich den Standort und schauen zu Hause im Buch oder im Internet nach. Es gibt sogar schon Bestimmungsbücher für E-Reader oder Smartphones, sodass Sie mit entsprechender technischer Ausrüstung bereits in freier Natur Pflanzenbestimmung betreiben können. Es kann Ihnen auch passieren, dass Sie in älteren Büchern noch Rezepte finden, die heute überholt sind, weil die Pflanzen inzwischen unter Naturschutz stehen.

Grundsätzlich gilt, nur kräftige, gesunde Pflanzen zu ernten, die man sicher erkannt hat und auch während weniger Tage verbrauchen wird. Damit die Kräuter möglichst frisch bleiben, geben wir sie mit einem Spritzer Wasser in einen Cellophanbeutel, blasen ihn auf, verknoten ihn und schütteln ihn ein bisschen durch. Auf diese Weise erhalten die Kräuter ihr Aussehen und Aroma im Kühlschrank für etwa fünf Tage.

Essbare Blüten sollten Sie nur in kleinen Mengen sammeln, da sie sich nicht gut aufheben lassen. Am besten lassen Sie die Blüten bis kurz vor dem Verzehr in einer Schüssel mit Wasser schwimmen, oder Sie ernten die Blüten mit Stängeln und binden kleine Sträußchen, die Sie in Wassergläschen oder kleine Blumenvasen stellen. Eine gute Sammelzeit ist der späte Vormittag, wenn die morgendliche Feuchtigkeit abgetrocknet ist und die Pflanze bereits neue Inhaltsstoffe gebildet hat. Es empfiehlt sich nicht, während der warmen Mittagszeit zu sammeln, wenn die ätherischen Öle flüchtig werden und die Pflanzen wegen des Feuchtigkeitsmangels schnell zusammenfallen und unansehnlich werden. Wenn andere Regeln gelten, werde ich das bei der jeweiligen Pflanze, die Sie ab Seite 38 aufgelistet finden, erwähnen.

Gesammelt wird mit Korb und Schere, denn die frischen Kräuter sollten luftig lagern, und mit einer Schere kann einfach und gezielt geerntet werden. Manche Pflanzen haben harte Stängel und flache Wurzeln und beim Versuch, sie abzupflücken, würde man sie nur allzu leicht ausreißen. Außerdem brauchen wir manchmal nur Teile der Pflanze, darauf werde ich bei den Pflanzenporträts jeweils individuell eingehen.

Geeignete Ernteplätze

Achtsam sammeln

Nicht ernten sollten Sie an Straßenrändern, Bahndämmen und den typischen Gassi-Wegen für Hunde. Auch nirgends, wo Insektizide oder Pestizide gespritzt wurden, und natürlich auch nicht von Wiesen, auf denen Gülle ausgebracht wurde. Manchmal gibt es Randbereiche, die von Gülle verschont geblieben sind, dies können Sie dann meist sofort an den sogenannten Zeige- oder Indikatorpflanzen erkennen.

Skabiosen-Flockenblume Indikatorpflanze

Wichtig beim Ernten ist, dass wir nur an den Plätzen Pflanzen entnehmen, wo die Art reichlich vorhanden ist. Einzelne Pflanzen sollten wir grundsätzlich stehen lassen, damit sie sich weiter vermehren können. Von vorhandenen Pflanzen entnehmen wir immer nur so viel, dass sie sich schnell erholen und wieder weiter austreiben werden.

Ernte bei Regenwetter ist nicht wirklich ratsam, aber falls Sie Ihrer Familie oder Freunden bereits ein Kräuteressen versprochen haben, sollten Sie die nassen Kräuter zu Hause sofort waschen, auf Küchenkrepp auslegen und mehrfach aufschütteln, damit sie bis zur Verwendung nicht zusammenfallen und ihr Aroma einbüßen. Sie können sie auch kurz blanchieren und so im Kühlschrank aufbewahren. Geeignete Ernteplätze müssen Sie erst einmal in der Nähe Ihres Wohnortes erkunden.

Wie schon im Vorwort erwähnt, ist dies in manchen Gegenden gar nicht so einfach. Versuchen Sie es mal an Waldrändern und Hecken, an Gräben, Bächen, Seen oder an Flussufern. Vielleicht haben Sie aber auch Glück und finden einen Biobauern, an dessen Feldrändern Sie sammeln dürfen. Am besten für die Ernte geeignet sind reine Viehweiden, denn dort hat sich der größte Artenreichtum erhalten, und diese Wiesen werden in der Regel auch nicht zusätzlich gedüngt. Wenn die Weide abgefressen ist, kommen die Tiere auf eine andere, und innerhalb von etwa zwei Wochen ist alles wunderbar nachgewachsen und kann geerntet werden. Dort finden sich oft auch frisch nachgewachsene Brennnesselfelder, weil sie zwischendurch von den Bauern weggemäht werden. Da die Tiere keine Brennnesseln fressen, würden sie sich sonst mit der Zeit zu sehr ausbreiten. Es gibt auch Wiesen, die wechselweise gemäht und beweidet werden, aber auch hier werden Sie problemlos am Pflanzenbewuchs erkennen können, inwieweit der Boden stark überdüngt und nitratreich oder zum Sammeln geeignet ist.

Was Sie sonst noch wissen sollten

Details notieren

Vergessen Sie nie die Beschriftung Ihrer Gläschen, Fläschchen oder Beutel, denn nur allzu leicht gerät in Vergessenheit, was man da genau angesetzt oder zusammengemischt hat. Vermerken Sie auch immer das Herstellungsdatum.

Zur Haltbarmachung können Sie Kräuter trocknen, in Alkohol, Essig oder Öl einlegen, auch schichtweise in Salz oder Honig. Oder Sie verarbeiten Kräuter bzw. Blüten, Beeren oder Früchte zu Saft, Sirup oder Gelee.

Das Trocknen der Kräuter sollte an einem warmen, luftigen Ort geschehen, aber niemals in der prallen Sonne. Temperaturen über 40 Grad lassen die ätherischen Öle flüchtig werden, und ist die Pflanze erst einmal geerntet, bildet sie keinerlei neue Inhaltsstoffe mehr nach.

Zur längerfristigen Aufbewahrung hängen Sie Ihre Kräutersträuße an einen luftigen Ort, zum Beispiel auf den Speicher. Abgezupfte, getrocknete Kräuter bewahren Sie am besten in Stoffsäckchen oder Papiertüten auf, damit eventuelle Restfeuchtigkeit noch entweichen kann, ansonsten besteht die Gefahr der Schimmelbildung. Absolut trockene Kräuter können Sie auch in Gläsern mit Schraubdeckel aufbewahren. Die Haltbarkeit getrockneter oder eingelegter Kräuter beträgt etwa ein Jahr, dann nimmt die Wirkung der Inhaltsstoffe allmählich ab. Manche, aber nicht alle Kräuter eignen sich zum Einfrieren (siehe jeweilige Pflanzenporträts ab Seite 38).

Die Herstellung eines Heilkräutertees geschieht durch Überbrühen mit heißem Wasser, kurz nach dem Aufkochen. Nur etwa drei bis fünf Minuten ziehen lassen und ungesüßt trinken. Eventuelle Ausnahmen werden bei der betreffenden Pflanze angegeben. Bitte beachten Sie, dass sich die Wirkung durch die Dauer des Auszugs verändern kann.

Rezepte für die Küche finden Sie bei den jeweiligen Pflanzenporträts ab Seite 38.

Rezepte für pflanzliche Heilmittel stehen ebenfalls bei den jeweiligen Pflanzen sowie im Kapitel mit den Überlieferungen.

Für die eigene Hausapotheke können Sie Öle, Salben, Tinkturen und vielerlei Tees herstellen. Beachten Sie aber bitte, dass Sie diese Produkte zwar verschenken, aber auf keinen Fall verkaufen dürfen (Arzneimittelgesetz).

Wichtig!

Bitte klären Sie immer zuerst mit Ihrem Arzt oder Heilpraktiker, ob und in welchem Rahmen pflanzliche Mittel für Sie als Behandlung oder unterstützende Maßnahme infrage kommen. Die Verwendung der in diesem Buch besprochenen Pflanzen erfolgt auf eigenes Risiko. Auch auf harmlose Stoffe können im Einzelfall allergische Reaktionen auftreten.

Volksmedizin und Kräuterbrauchtum

Für unsere Vorfahren war es etwas ganz Natürliches und Selbstverständliches, die Natur zu beobachten und dadurch zu erfahren und zu wissen, welche Pflanzen wie genutzt werden konnten. Das Wissen um die Heilkraft der Kräuter war ein reines Erfahrungswissen und wurde von Generation zu Generation weiter vererbt, meistens von den Müttern an die Töchter.

Von Kräuterweibern und Bauerndoktoren

Wenn wir bedenken, dass es bis vor gut 200 Jahren auf dem Land keine Ärzte gab, dann mag uns das sehr lange her erscheinen, wenn wir uns aber bewusst machen, wie alt die Menschheitsgeschichte ist, dann sind 200 Jahre nicht mehr als ein Wimpernschlag. Erst ab 1803, mit Beginn der Säkularisation, kamen die ersten Amtsärzte aufs Land. Aber das Landvolk war arm und misstrauisch, und zum »Doktor« ging man nur, wenn sonst gar nichts mehr half. Es gab ja auch noch keine Krankenversicherungen, und wenn man kein Geld hatte, musste man versuchen, mit Naturalien zu zahlen, also beispielsweise einem Stück Fleisch oder einem Sack Mehl. Weil aber auch die Nahrung meistens knapp war, überlegte man sich gut, »ob’s den Doktor wirklich braucht«.

Neben dem wichtigsten Kräuterwissen gab es in jeder Familie eine Hausapotheke, und ansonsten wusste man immer, wo und bei wem man sich Hilfe holen konnte. Es gab Kräuterweiberl und Bauerndoktoren, die man aufsuchen oder rufen lassen konnte, und wenn eine Geburt anstand, kam eine Hebamme ins Haus. Natürlich war damals die Sterblichkeitsrate bei jungen Frauen, aber auch bei Säuglingen, ziemlich hoch. Auch bei schweren Krankheiten, Seuchen und Epidemien gab es oft keine Rettung, und so lag um 1700 herum die durchschnittliche Lebenserwartung unter 40 Jahren. Das war ganz normal, man kannte es ja auch nicht anders. Im Gegensatz zu heute war den Menschen der Tod sehr vertraut, er war Teil des Lebens, gehörte genauso dazu wie das Geborenwerden – und alles fand zu Hause statt.

Das, was wir heute als Volksmedizin bezeichnen, galt damals, vor gut 200 Jahren und auch noch früher, als altbewährt und beständig, es war eine Erfahrungs-Heilkunde, die für die Menschen zum Alltag gehörte und glaubhaft war, weil sie sich über viele Generationen immer weiter entwickelt, vertieft und bewährt hatte. Zu dieser Volksmedizin gehörten unter anderem auch religiöse und magische Praktiken, aber ein ganz wichtiger Bereich war vor allem die Kräuterheilkunde.

Zweifel an der Wissenschaft

Natürlich gab es anfangs auch noch keine Apotheken, Krankenhäuser und Kuranstalten, aber die Menschen vertrauten auf die altbewährten Mittel und waren damit zufrieden.

Die sogenannte »wissenschaftliche Medizin« genoss damals nicht den Status des Altbewährten und Vertrauenswürdigen, und natürlich machten sich die ersten Landärzte auch nicht gerade beliebt, wenn sie die Kräutermedizin der ländlichen Bevölkerung als Einbildung und Aberglauben abtaten. Die Ärzte vertrauten Methoden wie dem Aderlass, aber die Menschen auf dem Land verließen sich meist lieber aufs Abbeten und glaubten eher an die Hilfe Gottes als an die des Arztes.

Es gibt Überlieferungen, wonach die »städtischen Ärzte« noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts allzu oft Heilmittel verordnet hätten, die mit giftigen Substanzen versetzt wurden, wie mit Quecksilber, Blei, Silber, Kupfer und anderen. Auf diese Weise erlangten sie zu Recht das Misstrauen der Patienten, besonders, weil diese Gifte in hoher Dosis verordnet wurden und zusammen mit dem immer noch gebräuchlichen Aderlass sehr häufig zum Tode führten.

In Süddeutschland, aber beispielsweise auch in Südtirol und der Steiermark, bildeten sich Gruppen von Laienärzten, die ganz entschieden gegen diese »Giftmischer« ankämpften. Diese Laienärzte oder auch Bauerndoktoren versorgten einen Großteil der Landbevölkerung mit selbst hergestellten Medikamenten. Sie benutzten vor allem Kräuter und Wurzeln, und die Zutaten, die sie nicht selbst in der Natur finden und sammeln konnten, erwarben sie von den zahlreichen kundigen Kräutersammlerinnen – oder sie besorgten sie sich beim Apotheker. Dies führte zu großen Anfeindungen der studierten Ärzte gegenüber den Apothekern, weil sie sich übergangen fühlten. Sie vertraten die Auffassung, dass ein Gang in die Apotheke ohne vorherige Konsultation eines gelehrten Mediziners nicht gestattet sein sollte.

Aderlass-Schnapper im Volkskundemuseum Dietenheim bei Bruneck im Pustertal/Südtirol

»Dieß leere Glas wigt 1 Kilo 541/2 Decca. Wenn dieß Glas voll ist, so enthaltet es 416 Decca Öhl und wigt zusammen 5 Kilo 71 Decca.«

Aber die Abneigung der Menschen gegenüber den studierten Ärzten ließ sie lieber zum Apotheker gehen, der eigene Medikamente herstellte und sie viel billiger verkaufte als die Ärzte die ihren. Der Apotheker war Chemiker und bot den großen Vorteil, dass sich seine Kunden von ihm bestens beraten fühlten.

Die langsame Akzeptanz der Schulmedizin

Zu einer Etablierung der Ärzteschaft mit allen beruflichen Kompetenzen kam es erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach mehreren Medizinalreformen mussten schließlich die Wundärzte und Hebammen ihre bis dahin anerkannte Position an die akademisch geschulten Chirurgen und die wissenschaftlich ausgebildeten Geburtshelfer abgeben.

Trotz der anhaltenden wissenschaftlichen Streitigkeiten innerhalb der Ärzteschaft waren diese sich doch in einem Punkt immer einig: Den sogenannten Scharlatanen, Kurpfuschern und Quacksalbern wollten sie unbedingt das Handwerk legen. Der prominenteste sogenannte »Kurpfuscher« des 19. Jahrhunderts war Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897), der 1855 einige aufsehenerregende Erfolge mit seiner Wasserbehandlung erzielte und trotzdem von der Wörishofener Ärzteschaft mehrfach wegen »Kurpfuscherei« angeklagt wurde.

Am 25. Mai 1869 wurden die alten Gesetze abgeschafft, die es Naturheilern und Laienärzten laut medizinaler Bestimmung verboten, dem Volk ihre Dienste anzubieten.

Nachdem der Abgeordnete Wilhelm Löwe (1814–1886) die strikte Approbationsordnung für überflüssig erklärt hatte, verabschiedete der Reichstag des Norddeutschen Bundes die Neufassung des §29 der Gewerbeordnung. Man pochte auf die Berufsfreiheit und vertraute darauf, dass jeder Mensch den richtigen Arzt oder die für ihn richtige Behandlung selbst finden würde. Bis 1873 übernahmen sämtliche anderen Bundesstaaten des Deutschen Reiches diese Regelung. Somit wurde jedem gestattet, eine Heiltätigkeit auszuüben. Aber nur, wer eine Approbation hatte, durfte sich »Arzt« nennen. Als daraufhin die Kurpfuscherei erheblich zunahm, rief die organisierte Ärzteschaft zum Kampf auf. Aber trotz der Änderung einiger Bestimmungen gelang es nicht, Naturheiler und Laienärzte komplett zu verbieten.

Schwierige Abgrenzung

Anhand dieser Fakten lässt sich gut nachvollziehen, dass es im gesamten 19. Jahrhundert noch nicht möglich war, eine klare Abgrenzung zwischen Volks- und Schulmedizin, zwischen Naturheilern, Kräuterfrauen, Bauerndoktoren, Laienärzten und studierten Medizinern zu ziehen. Das Angebot war bunt und vielfältig, und jeder Kranke oder Leidende musste selbst schauen, von welcher Behandlung er sich am meisten versprach bzw. welche er sich leisten konnte.

Für das einfache Volk hatte die professionelle wissenschaftliche Medizin keinerlei Bedeutung, wichtig war allein der Heilerfolg.

1901 erschien ein Erlass des preußischen Justizministers, welcher die Möglichkeit strafrechtlicher Verfolgung von Kurpfuschern erwähnte. Trotzdem gelang es den Ärzten bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges nicht, die seit 1869 geltende Berufsfreiheit für Laiendoktoren wieder verbieten zu lassen.

Durch genauere historische Untersuchungen zeigt sich, dass verschiedenste medizinische Verfahren aus früheren Jahrhunderten von der Volksheilkunde übernommen wurden. Auch heute noch sind die Grenzen zwischen Volks- und Schulmedizin oft fließend, denn die volksheilkundliche Einbeziehung von Pilzen und Heilpflanzen wird inzwischen auch von der Schulmedizin akzeptiert. Nachdem pflanzliche Mittel für Jahrzehnte von chemischen Mitteln verdrängt worden waren, hat die Schulmedizin sie jetzt wiederentdeckt, nachdem die Wirksamkeit der Inhaltsstoffe inzwischen durch chemische Analysen nachgewiesen werden kann.

Aus diesen Gründen ist eine genaue Abgrenzung oder Definition für die Volksmedizin auch deshalb so schwierig, weil Bereiche, die ursprünglich nicht Teil der Schulmedizin waren, inzwischen von ihr genutzt werden. Dazu gehören neben der Pflanzenheilkunde auch Gebiete wie die Homöopathie oder Bachblütentherapie.

Typische Maßnahmen der Volksmedizin

Alte Weide nahe Schlehdorf

Dazu gehörten von jeher das Auswaschen von Wunden mit Kräuter- oder Rindensud, beispielsweise von Gundermann oder Eichenrinde, Pflanzenkompressen, zum Beispiel mit Schafgarbe oder Spitzwegerich, der Auftrag von Wundsalben oder Wundölen, beispielsweise von Johanniskraut und bandagiert mit Leintuch. Wichtig war auch das Gurgeln oder Inhalieren mit Kräuteraufgüssen, wie von Kamille oder Thymian, das Trinken von Kräutertees oder Heilweinen sowie das Ansetzen von Tropfen, zum Beispiel mit Branntwein und Arnika. Auch das Desinfizieren mit Räucherungen war allgemein üblich, beispielsweise mit Wacholder und Beifuß – und nicht zuletzt waren das Einrenken von Gliedern sowie das Schienen und Bandagieren von Brüchen seit Jahrhunderten selbstverständliche Praktiken der allseits genutzten und geachteten Volksmedizin.

Die Anwendung dieser Heilmittel wurde sehr oft von religiösen oder magisch-zauberischen Vorstellungen begleitet. Neben dem meist üblichen Vater-unser-Beten gab es auch geheime Sprüche, die während der Behandlung gesagt werden mussten, damit die gewünschte Wirkung eintreffen würde.

Beim »Heilzauber« waren es bestimmte Handlungen, die man auszuführen hatte. Bei Fieber sollte man eine Weide aufsuchen, einen Ast ergreifen und einen Knoten hineinbinden, dazu sollte man folgenden Zauberspruch sagen:

»Wiedl wiedl Weiden,

muaß i gar so leidn

dös Fieber wo i han,

dös bind i hier an.«

Damit der Spruch wirkte, durfte man sich beim Weggehen vom Weidenbaum nicht mehr umdrehen.

Neben dem »Anbinden« war auch das »Verzapfen« sehr verbreitet. Dazu hat man sich zur Zeit des abnehmenden Mondes Haarbüschel und Fingernägel abgeschnitten und in ein Stück Papier eingerollt, oder man hat Haare und Fingernägel eines Kranken genommen. Man musste sie »ungesehen« in den Wald tragen und in ein Loch stecken, das man zuvor in eine Fichte gebohrt hatte. Dazu sprach man, je nach Leiden, in einer Art Befehlston beschwörende Sätze.

»Jetzt nimm es ab mein/sein Schmerz und Leid, heut und für alle Zeit.«

Danach wurde das Loch »verzapft«, meistens mit kleinen Holzstiften, die man in Baumharz getaucht hatte.

Abbeten und Aderlässe

»Nimm das Reißen, die Schwindsucht und die Gicht, das sollst du jetzt haben und ich nicht.«

Auch das »Abbeten« hat eine lange Tradition und wurde bei schlimmeren Krankheiten oft zusätzlich zu den anderen Behandlungen angewendet. Da die Krankheiten und Leiden oft in Zusammenhang mit dem Glauben an Schuld und Sühne standen, wurde dem Abbeten große Bedeutung beigemessen.

Manchmal glaubte man auch, dass bestimmte Plätze oder Steine Krankheiten abnehmen würden, und sprach Verse wie diesen:

Doch weil die Menschen nicht genug vertrauten, dass ihre eigenen Gebete und Bitten erhört würden, gingen sie zu einem Abbeter. Sie waren überzeugt, dass er geübter war im Beten und einen besseren Draht zu höheren Mächten hatte als sie selbst.

»Aus meinem Herzensgrund, bitt ich in dieser schweren Stund nimm von mir Schmerz und Pein, so soll es sein!«

Heute in vielen Gegenden noch bekannt ist das Abbeten von Warzen. Es muss immer bei abnehmendem Mond erfolgen, wie bei allem, was verschwinden soll.

Aderlässe wurden bei zunehmendem Mond angeraten, um zu vermeiden, dass der Patient verbluten würde.

Meist legte man als Opfergabe ein paar Blumen ab.

Jeder Abbeter hatte die Pflicht, diese Tradition so weiterzuführen, wie er sie von seinen Eltern oder Großeltern übernommen hatte. Abbeter konnten Frauen oder Männer sein und in manchen Gegenden hieß es, solche Gaben müssten immer »übers Kreuz« weitergegeben werden, also zum Beispiel vom Großvater an die Enkeltochter oder von der Großmutter an den Enkelsohn. Oft wurde eine Generation ausgelassen, aber wenn ein Abbeter früher als erwartet starb, nahm er sein Wissen mit ins Grab. Viele der früheren Kräuterfrauen sollen gleichzeitig auch Abbeterinnen gewesen sein.

Das »Durchkriechen« war ein weiteres, weitverbreitetes Verfahren aus der Volksheilkunde, um Krankheiten abzustreifen. Dazu ließ man den Kranken durch eine große Schlinge kriechen, die man zuvor aus belaubten Zweigen gebunden hatte. Sehr beliebt war Buchsbaum, weil es hieß, dass er alles Negative abstreifen würde. Daher stammt auch der alte Brauch, dass die Höfe früher meist zu beiden Seiten der Eingangstüre Buchs gepflanzt hatten.

Belege aus der Vergangenheit

Eine Sonderausstellung im steirischen Volkskundemuseum Stainz

Diese Ausstellung wurde 1977 zum 800-jährigen Bestehen von Stainz initiiert, dessen Name 1177 zum ersten Mal erwähnt wurde. In der Begleitschrift heißt es, dass unter anderem schriftliche Quellen über den »Höllerhansl« und andere Naturärzte und Kurpfuscher ausgewertet wurden und Scharlatane und Quacksalber streng von den wirklichen Naturärzten getrennt wurden, die aufgrund von überliefertem Wissen und Erfahrung ihre Tätigkeit verantwortungsbewusst ausübten. Somit sei die Ehrenrettung des »Bauerndoktors« gelungen!

Höllerhansl und Bergliesl

Weißdornfrüchte

Berichtet wird vor allem über den »Höllerhansl« (1866–1935) aus Stainz in der Steiermark. Sein medizinisches Wissen hatte er vom Vater, der es bereits von seinem Vater übernommen hatte. Er benutzte die Harndiagnose, die Claudius Galenus von Pergamon bereits im 2. Jahrhundert nutzte und die sich das ganze Mittelalter hindurch hielt. Der Höllerhansl soll aufgrund des Schaumes, der sich beim Schütteln der Harnflasche bildete, die Krankheit erkannt haben, auch Farbe und Geruch des Harns waren von besonderer Bedeutung. Die große Sicherheit seiner Harnkenntnisse war überall bekannt, und die Kranken kamen von weither, um sich behandeln zu lassen. Je nach Diagnose verordnete er den Leuten jeweils ganz bestimmte Kräutertees oder einen starken Kräutersud, den er selbst herstellte. Die Kräuter brachten ihm Kräuterfrauen, eine war die noch heute legendäre »Bergliesl«. Weitere Zutaten zu seinen Kräuter-Medizinen, wie beispielsweise Bittersalz, holte er sich bei dem befreundeten Apotheker Sarnitz in Graz. Der Höllerhansl soll ein sehr religiöser Mann gewesen sein, er half jedem und nahm lediglich freiwillige Spenden an. Aber trotzdem gab es Neider, die ihn 1921 wegen Kurpfuscherei anklagten und behaupteten, er würde den Kranken mit betrügerischen Behauptungen das Geld aus der Tasche ziehen. Er wurde sogar verurteilt, aber zu einem relativ geringen Betrag, da außer dem Kläger alle Menschen hinter ihm standen – und so hat er auch nach dieser Verurteilung weiter als Bauerndoktor gearbeitet und noch vielen Menschen geholfen.

Durch die Recherchen des Stainzer Volkskundemuseums, vor allem durch Elfriede Grabner, wurde in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts viel historisches Material gesichtet und ausgewertet. So konnten in der Steiermark an die 50 Naturheiler nachgewiesen werden, die ab dem Ende des 18. Jahrhunderts bis hinein in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts gelebt und gewirkt haben. Manche waren für die »inneren Leiden« zuständig, andere waren »Boaheiler« (Knochenheiler), Zahnreißer oder »fürs Viech« (für die Tiere).

Traditioneller Hausgarten im Freilichtmuseum »Glentleiten« bei Großweil in Oberbayern

Eines hatten sie alle gemein: Sie verwendeten die heimischen Kräuter, die sie auch selbst mischten und als Tees weitergaben. Sie setzten Kräutertropfen an und kochten Salben. Die »Weberpeterin« (1863–1951), aus Lasselsdorf bei Stainz, verwendete über 100 verschiedene Kräuter. Ihr Wissen bekam sie vom Vater vererbt, der auch schon den Urin »vom nüchternen Magen« las und »aus dem Fall des Wassers« und der Farbe des Urins die Krankheit erkannte. Wenn sie den Urin schüttelte, bildeten sich Bläschen, und je nach Krankheit zeigten sie sich verschieden. Wenn sie selbst dann nicht weiterwusste, schickte sie die Kranken zum Arzt.

Überlieferungen zu den damals verwendeten Kräutern

Leider war nur noch wenig schriftliches Material auffindbar, da die Nachkommen der Kräuterfrauen und Laiendoktoren deren alte Bücher und Aufzeichnungen bereits verbrannt hatten. Sie müssen oftmals sehr besorgt gewesen sein, der Kurpfuscherei verdächtigt zu werden, wenn jemand die Unterlagen finden würde.

Hauswurz

Aber da auch jede Bäuerin ihre eigenen Hausmittel hatte, Kräuter sammelte und Salben, Einreibungen und Tropfen erzeugte, gibt es doch noch einige Hinweise auf bestimmte Kräuter und wie sie im 19. und bis ins 20. Jahrhundert hinein in der Steiermark Verwendung fanden.

Diese hier wiedergegebenen Ausführungen sind keinesfalls als »Rezepte« zu verstehen, sondern als kulturhistorische Informationen, die einfach Vergleichsmöglichkeiten mit heute üblichen Kräuteranwendungen bieten können:

Johanniskraut

Almgraupen (Isländisch Moos, Cetraria Islandica) wurden mit Salbei (Salvia) und Eibisch (Althaea officinalis) gemischt und mit Honig gesüßt als Lungentee empfohlen.

Baldrian (Valeriana officinalis) galt als Herztee. In Schnaps angesetzt wäre er gut, »wenn’s Herz unruhig wird« (vermutlich wurde nur die Wurzel verwendet).

Butter, frisch gerührt und »ungewaschen« (noch nicht von Buttermilch gereinigt), war sehr gut für Brandwunden und wurde bei der Geburtshilfe zur Erweiterung der Geburtswege eingesetzt und auch, wenn die Nachgeburt nicht abging.

Hauswurz (Sempervivum tectorum) wurde bei Hals- und Zahnschmerzen »ausgezuzelt«, also ausgesogen. Bei Ohrenschmerzen wurde der warme Saft eingetropft. Es wurde auch eine Heilsalbe aus Hauswurz, reinem Lärchpech (Lärchenharz) und etwas Kampfer gekocht. Es hieß, die würde sogar »an Hintern zuahoiln« (zuheilen), so stark wäre sie.

Hirtentäschelkraut/Täschelkraut (Capsella bursa-pastoris) galt als »wassertreibend«, also harntreibend.

Holunder (Sambucus nigra) wurde ehrfürchtig betrachtet. Es hieß, mit Hollerbranntwein »erhält man einem das Leben, wenn er schon im Sterben ist«, er wurde bei Rippenfell- und Lungenentzündung sowie bei Herzbeutelwassersucht empfohlen. Bei Fieber wurden die Blüten als Tee verabreicht, manchmal wurden auch noch etwas frische grüne Rinde und ein Apfel in den Tee gekocht. Die Beeren »sind gut für den Hals« und wurden bei Halsentzündung als heißer Saft getrunken.

Knoblauch

Huflattich (Tussilago farfara) »kann man gegen Asthma rauchen« (ist aber wegen der leichten Giftigkeit des Huflattichs sicher nicht als Daueranwendung zu empfehlen).
Die Blätter wurden auch auf »offene Füße« (Ulcus cruris) aufgelegt.

Johanniskraut, Hanskräutl (Hypericum perforatum) nicht nur als Teekraut, sondern »Johanniskraut-Öl gut auf Brandwunden«.

Knoblauch (Allium sativum) wurde bei Zahnschmerz zerdrückt und auf die schmerzende Stelle gelegt. Er sollte auch bei »Eingeweidewürmern« helfen und wurde zusammen mit »Patika« (Aloe hepatica) und Wermut (Artemisia absinthium) in Schnaps angesetzt.

Kren/Meerrettich (Amoracia rusticana) wurde bei Fieber gerieben eingenommen oder als »Krenteig«, mit Roggenmehl vermischt, aufgelegt.

Lavendel/»Spiganari« (Lavandula angustifolia) wurde, in Schnaps angesetzt, zur Magenstärkung eingenommen, aber auch zum Räuchern bei Gicht verwendet.

Liebstöckel/Luststock (Levisticum officinale) sollte bei Gicht helfen und gut für die Lungen sein, als Tee getrunken »öffnete er die Luftröhre« (wirkte entschleimend). Aus den Wurzeln bereitete man »eine heilsame Salbe«.

Melisse (Melissa officinalis) war gut für den Magen und für das Herz, außerdem bei Kopf- und Zahnschmerzen.

Misteln auf einem Apfelbaum

Mistelzweige (Viscum album) wurden in Schnaps angesetzt und sollten vor Arterienverkalkung schützen.

Mutterblätter/»Frauensolfer«/Balsampflanze (Tanacetum balsamita) galt als Mittel bei Verletzungen, vor allem bei eitrigen Wunden, aber auch gegen Rotlauf (Wundrose).

Rettich/Schwarzrettich (Raphanus sativus niger) wäre für den menschlichen Körper »so viel als a Ruaßkiahra für’n Ofen«. (Der Rettich wäre für den menschlichen Körper so viel wie ein Rußkehrer für den Ofen.)

Ringelblumen (Calendula officinalis) wurden vielerorts für Heilsalben verwendet, die bei »offenen Füßen« (Ulcus cruris) aufgetragen wurden. In Schnaps angesetzt, wären sie das beste blutstillende Mittel gewesen, und »hatte ein Kind Rauden« (Schorf), nahm man reines Öl, gab die Blüten hinein und ließ es abstehen – das heilte.

Rosmarin (Rosmarinus officinalis) galt als herz- und nervenstärkend und wurde auch bei Geschwulst angewendet.

Sanikelwurzel/»Zauniglwurzn« (Sanicula europaea) wurde dafür geschätzt, selbst die »grauslichsten Wunden« zu heilen. Die Salbe der Mockbäuerin enthielt folgende Zutaten: »Rindschmalz, Lärchpech (Lärchenharz), echtes Bienenwachs, Wurzel von Beinwell (Symphytum off.), Wurzel von Liebstöckel (Levisticum off.), Fette Hennwurzn (Sedum telephium) und Nicklwurz (Sanicula europaea).«

Schafgarbe (Achillea millefolium) galt als Blutstiller und wurde auch bei offenen Wunden angewendet. Außerdem hat man sie bei zu starken Monatsblutungen gegeben.

Rosa Schafgarbe

Spitzwegerich/»Gspitztwegat« (Plantago lanceolata) galt als blutreinigend, der Breitwegerich hingegen »ist so viel für’s Fiaba, als er Wurzeln hat«.

Die Familie Ragginer, 200 Jahre Volksmedizin in Südtirol

Aufgrund glücklicher Umstände konnte der Nachlass der Familie Ragginer für das Südtiroler Volkskundemuseum in Dietenheim bei Bruneck gerettet werden.

Mehrere unveröffentlichte Handschriften (Publikation R. Asche und E.-D. Schulze, siehe Literaturverzeichnis S. 252) dokumentieren Volksmedizin und Leben im Lasankental bei Brixen in Südtirol in der Zeit von 1780 bis 1975.

Im Jahr 1781 heiratete der Gastwirtssohn Joseph Ragginer die Erbin des Hofes Kleinkaneid in Lüsen. Neben der Landwirtschaft soll er begonnen haben, sich um die medizinische Versorgung der 1000-Einwohner-Gemeinde zu kümmern. Es gibt dafür allerdings keine eindeutigen Belege. Aus Joseph Ragginers Zeit ist die Handschrift »Vademecum PASTOR BONUS« erhalten, die eine Fülle von Heilmitteln für Mensch und Tier beschreibt. Diese Rezepte repräsentierten im 18. Jahrhundert das Wissen der Ärzte und Laienmediziner in Südtirol.

Später setzte sein Sohn Joseph Ragginer junior die Tradition des Vaters fort und behandelte Mensch und Tier nach der Säftelehre (Humoraltherapie) und mit Mitteln der Volksfrömmigkeit. Aus seinen Tagebuchaufzeichnungen ist ersichtlich, dass er 130 einheimische selbst gesammelte Pflanzen, 30 teilweise erworbene Mineralien und 40 tierische Drogen in 78 Heilmitteln zur Behandlung von 40 Krankheiten verwendete.

»Blutströpfchen« mit Alpendistel

Medizinflaschen der »Ragginer« im Volkskundemuseum in Dietenheim/Südtirol

Als Joseph Ragginer junior 1873 starb, übernahm sein ältester Sohn Sebastian (1830–1899) den Hof Kleinkaneid. Er setzte die eigentliche ärztliche Tradition des Vaters nicht fort, war aber in ganz Tirol als »Salben-, Öl- und Wasserkramer« unterwegs. Im Keller von Kleinkaneid stellte er seine selbst gefertigten Medikamente nach den Rezepten seiner Vorfahren her. Er kaufte sich Bücher über die moderne Medizin der Wiener Schule und richtete im Futterhaus des Bauernhofes einen Kurbetrieb für Wasser- und Aschekuren ein.

Vademecum Joseph Ragginer junior, Oberhauser und Pastor Bonus

Als »Vademecum« wurde ein Buch bezeichnet, das als unentbehrlicher Begleiter zur Berufsausübung mitgeführt wurde. Einige der in diesen drei Schriften aufgeführten pflanzlichen Heilmittel finden Sie bei den Pflanzenporträts in diesem Buch.

Maria Ragginer, die einzige Tochter Sebastians, wurde bürgerlich erzogen. Sie führte nach dem Tod ihres Vaters ein Leben in Abgeschiedenheit und stellte »Produkte der Volksfrömmigkeit« her. Sie geriet noch zu Lebzeiten in den Ruf einer Hexe. Sie hütete die medizinischen Heilmittel und Geräte, ohne von ihnen Gebrauch zu machen. Ihr ist es zu verdanken, dass sämtliche Schriften und Aufzeichnungen ihrer Vorfahren erhalten blieben.

Als das Volkskundemuseum Dietenheim die Schätze von Kleinkaneid bergen konnte, wurde zum ersten Mal deutlich, wie diese Bauerndoktoren über fast zwei Jahrhunderte gearbeitet hatten. Im Haus befanden sich noch eine Vielzahl von Ölen, Pulvern, Wassern, Geistern und Tinkturen. 25 Mittel waren mit handschriftlichen Hinweisen über die Anwendung versehen, und so gab es Arzneien gegen Wunden, Gelenkleiden, Frauenkrankheiten, Purgiermittel (Abführmittel), Mittel gegen Erkrankungen der Atemwege, Augen-, Magen- und Nervenheilmittel. Zwei Medikamente trugen eine handschriftliche Zeitangabe auf dem Etikett: Ein Digitaliswein stammte aus dem Jahr 1870, ein Puder für offene Füße und Wunden aus dem Jahr 1895.

Die Bibliothek des Bauerndoktors Sebastian Ragginer enthielt drei Bücher zur Pflanzenbestimmung und 31 Werke über Arzneimittelherstellung.

Verschollenes Wissen

Auffällig ist, dass für die Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts aus Süddeutschland kaum detaillierte Überlieferungen oder Aufzeichnungen zu Kräuterfrauen oder Bauerndoktoren vorliegen. Informationen finden sich am ehesten zu pflanzenkundigen Hebammen oder Klosterfrauen. Offenbar hat sich im südlichen Deutschland bisher noch kein Museum ernsthaft mit dem Thema »Volksmedizin« auseinandergesetzt.

Aus den handschriftlichen Aufzeichnungen des Bauerndoktors Oberhauser, der in der Nachbarschaft von Kleinkaneid lebte (Vademecum Oberhauser von 1825), geht hervor, dass er die Pflanzenteile vornehmlich zwischen dem 15. August und 8. September gesammelt hat. Er hat die Pflanzen frisch verwendet, den Saft ausgepresst oder im Schatten getrocknet, hat sie zerstoßen und gesiebt. Anschließend hat er die Pflanzenteile verbrannt oder in Öl gesotten, bis die Masse Blasen warf – oder er röstete sie in Butter. Wurzeln hat er zerstoßen oder zerschnitten, oder er band sie in ein Tüchlein ein und hängte sie in warmen Wein. Den Pflanzenbrei strich er als Verband auf, die Pflanzenasche legte er als Pflaster auf den Leib, oder er verrieb sie in Salben. Die Salbenmasse breitete er auf einem Tuch zum Eintrocknen aus und strich sie anschließend auf ein Papier, von dem er bei Bedarf abschnitt. Öle und mit Pflanzenteilen angereichertes, verflüssigtes Butterfett siebte er durch ein feuchtes Tuch und bewahrte die Masse in Büchsen oder Gläsern auf.

Kräuterkundige Frauen

Auch wenn die Bauerndoktoren fast immer Männer waren, so haben während der letzten Jahrhunderte doch auch unzählige kräuterkundige Frauen ihr ererbtes Heilwissen in den Dienst ihrer Nächsten gestellt. Stellvertretend für diese unzähligen Frauen möchte ich hier drei von ihnen erwähnen. Die folgenden Zitate stammen aus dem Volkskundemuseum Dietenheim:

Wurzelgraberin und Schnapsbrennerin Maria Tipotsch, geboren vor 1680, Witwe mit sieben Kindern, ansässig im Landgericht Sterzing. 1704 erhielt sie die Lizenz zum Brennen von Enzianbranntwein.

Hebamme Maria Ruener,

geboren um 1726 in Olang, legte 1769 die Hebammenprüfung in Innsbruck ab, nachdem ab 1765 die Hebammenausbildung in Tirol Pflicht wurde. Sie war im Bereich von Olang/Altrasen tätig. Landhebammen übernahmen die geburtshilfliche Betreuung von Mutter und Kind, bereits vor, sowie während und nach der Entbindung. In äußersten Notfällen durften sie auch die Taufe spenden.

Klosterfrau Maria Cajetana Kempterin,

geboren um 1703, gestorben 1788 im Kloster Säben bei Klausen, Oberapothekerin, Chor- und Kapellmeisterin im Kloster Säben.

Klöster sind mit ihren Bibliotheken seit dem Mittelalter wichtige Wissenshorte und -quellen der Naturheilkunde. In den klostereigenen Gärten und Apotheken setzten Klosterfrauen und Mönche ihr Wissen in die Praxis um.