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Endnoten

1

Vgl. das Projekt von Psychologen der New York University und der University of Illinois, »Civil Politics – Educating the Public on Evidence-Based Methods For Improving Inter-Group Civility«, online verfügbar unter http://www.civilpolitics.org (Zugriff am 13112016).

2

Zu erwarten, dass Volkes Stimme nur eine sei, d. h. im Sinne eines einheitlichen, idealen und nicht etwa empirischen Volkswillens, ist der erste Schritt hin zu einer »totalitären Demokratie« (vgl. Jacob L. Talmon, The Origins of Totalitarian Democracy, London 1952 und 1960).

3

Vgl. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 2005, S. 559 ff.

4

Vgl. John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Berlin 1979, S. 159 ff.

5

Ebd., S. 174.

6

Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt a. M. 1998, S. 138.

7

Jürgen Habermas, Im Sog der Technokratie. Kleine Politische Schriften XII, Frankfurt a. M. 2013, S. 69.

8

Christoph Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, Berlin 2008, S. 44.

9

Chantal Mouffe, Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, Frankfurt a. M. 2007, S. 8.

10

Ebd., S. 9.

11

Chantal Mouffe, Agonistik. Die Welt politisch denken, Berlin 2014, S. 39.

12

Mouffe, Über das Politische, (s. Anm. 9), S. 12.

13

Mouffe: Agonistik, (s. Anm. 11), S. 29.

14

Schmitt unterscheidet zwischen »wirklicher« und »absoluter« Feindschaft. Die Welt der absoluten Feindschaft beschreibt er als eine, »in der sich die Parteien […] gegenseitig in den Abgrund der totalen Entwertung hineinstoßen, bevor sie sich physisch vernichten« (Carl Schmitt, Theorie des Partisanen, Berlin 1963, S. 95). Mouffe bezieht sich freilich nur bis zu einem gewissen Punkt auf diesen in vielen Hinsichten nicht unproblematischen Theoretiker und setzt sich von ihm ab, wenn er demokratischen Pluralismus ablehnt. Mouffe nennt dies: »mit Schmitt gegen Schmitt« zu denken (Mouffe, Über das Politische, s. Anm. 9, S. 22, 28).

15

Mouffe: Über das Politische, (s. Anm. 9), S. 158.

16

Ebd., S. 94.

17

Vgl. dazu auch Emanuela Ceva, Interactive Justice. A Proceduralist Approach to Value Conflicts in Politics, New York 2016.

18

Vgl. Jonathan Haidth, The Righteous Mind. Why Good People Are Divided by Politics and Religion, New York 2012, insbes. S. 322 ff.

19

Hans Kelsen, »Verteidigung der Demokratie«, in: Abhandlungen zur Demokratietheorie, hrsg. von Matthias Jestaedt und Oliver Lepsius, Tübingen 2006, S. 229237, hier S. 235.

20

Carlo Stenger, Zivilisierte Verachtung. Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit, Berlin 2015, S. 66.

21

Vgl. Immanuel Kant, »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung«, in: I. K., Denken wagen. Wege aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, Stuttgart 2017, S. 716, hier S. 7.

22

Paul Sailer-Wlasits, Minimale Moral. Streitschrift zu Politik, Gesellschaft und Sprache, Wien 2016, S. 22.

23

Ebd.

24

John B. Judis, The Populist Explosion. How the Great Recession Transformed American and European Politics, New York 2016, S. 14 (Übers. d. Verf.).

25

Vgl. Jan-Werner Müller, Was ist Populismus?, Berlin 2016, S. 42 f.

26

Lorenz Langer, »Man muss die Spannung aushalten«, online verfügbar unter http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/populismus-man-muss-die-spannung-aushalten-ld.115529 (Zugriff am 20112016).

27

Ceva, Interactive Justice, (s. Anm. 17), S. 112 ff.

28

Jonathan Haidt / Ravi Iyer, »How to Get Beyond Our Tribal Politics«, online verfügbar unter: http://www.wsj.com/articles/how-to-get-beyond-our-tribal-politics-1478271810?mod=e2fb (Zugriff am 11112016).

29

Müller, Was ist Populismus?, (s. Anm. 25), S. 20.

30

Vgl. Geoffrey Hughes, Political Correctness. A History of Semantics and Culture, Chichester 2010.

31

Vgl. Stenger, Zivilisierte Verachtung, (s. Anm. 20), S. 18.

32

Siehe dazu insbes. Timothy Garton Ash, Free Speech. Ten Principles for a Connected World, London 2016; James Weinstein, »Extreme Speech, Public Order, and Democracy. Lessons from The Masses«, in: Extreme Speech and Democracy, hrsg. von Ivan Hare / James Weinstein, Oxford 2009, S. 2361.

33

Hans Kelsen, »Vom Wesen und Wert der Demokratie«, in: Abhandlungen zur Demokratietheorie, hrsg. von Matthias Jestaedt und Oliver Lepsius, Tübingen 2006, S. 133, hier S. 31.

34

Haidt/Iyer, »How to Get Beyond Our Tribal Politics«, (s. Anm. 28), (Übers. d. Verf.).

35

Alexander Brown, Hate Speech Laws. A Philosophical Examination, New York 2015, S. 195.

36

Ein Beispiel dafür bietet Thoreau, der aufgrund seiner Ablehnung der Sklaverei sowie des US-Mexikanischen Krieges erklärte: »Ich will schlicht und einfach dem Staat meine Loyalität verweigern, Abstand zu ihm halten und mich mit Wirkung [effectually] von ihm distanzieren« (Henry David Thoreau, Ziviler Ungehorsam, übers. von Ulrich Bossier, Stuttgart 2013, S. 47).

37

Ebd., S. 25.

38

John Rawls, »The Justification of Civil Disobedience«, in: Revolution and he Rule of Law, hrsg. von Edward Kent, Englewood Cliffs 1971, S. 3045.

39

Ebd., S. 37 (Übers. d. Verf.).

40

Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, (s. Anm. 8), S. 80.

41

Ebd., S. 25.

42

Kelsen, Verteidigung der Demokratie, (s. Anm. 19), S. 31

43

Elias Canetti, Masse und Macht, Frankfurt a. M. 20016, S. 221.

44

Kelsen, Verteidigung der Demokratie, (s. Anm. 19), S. 237.

45

Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, (s. Anm. 8), S. 111 f.

46

Carlo Invernizzi Accetti, Democracy and Relativity: Why Democracy Does Not Need Moral Absolutes, New York 2015, S. 164 (Übers. d. Verf.)

47

Kelsen, Verteidigung der Demokratie, (s. Anm. 19), S. 237.

48

Mouffe, Über das Politische, (s. Anm. 9), S. 158.

49

Die Ziele und theologischen Positionen des IS erklärt seine Medienabteilung ausführlich und bereitwillig insbes. in seinem Magazin Dabbiq.

50

Vgl. Stenger, Zivilisierte Verachtung, (s. Anm. 20), passim.

51

Vgl. Günter Jakobs, »Terroristen als Personen im Recht?«, in: Zeitschrift für die Gesamte Strafrechtswissenschaft 117 (2006), S. 839851.

52

Stenger, Zivilisierte Verachtung, (s. Anm. 20), S. 21.

53

Ebd.

54

»Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein« (Immanuel Kant, Kritik der Praktischen Vernunft, Stuttgart 2013, S. 130).

55

Stenger, Zivilisierte Verachtung, (s. Anm. 20), S. 22.

Vorbemerkung

Dieses Buch behandelt Ideen, die mich seit geraumer Zeit beschäftigen. Ihren Schliff erhalten haben sie zweifelsohne durch die Ereignisse und Entwicklungen der jüngeren und jüngsten Vergangenheit – die Polarisierung des politischen Diskurses, der Aufstieg politischer Bewegungen, die als rechtspopulistisch beschrieben werden, die Debatten um die Grenzen der Toleranz oder der Meinungsfreiheit oder den politischen Islam.

Und die Relevanz des Themas ist größer denn je. Sich auf andere Meinungen einzulassen, das gute Argument auch auf der Gegenseite zu erkennen, Andersdenkenden zuzuhören und sie ernstzunehmen, ist mit Schwierigkeiten und einiger Selbstüberwindung verbunden. Die Bereitschaft, die eigene Perspektive zu überschreiten und mit anderen in echte Begegnungen zu treten, ist in Zeiten von digitaler Abschottung und »Filterblasen«, Radikalisierung und Erosion politischer Kultur weniger selbstverständlich denn je.

Die akademische Philosophie muss in einer Zeit, in der die Schieflage des politischen Diskurses schmerzvoll vor Augen tritt und konzeptionelle Ratlosigkeit und Verwirrung die Grundlagen unserer Gemeinwesen wie »Demokratie«, »Menschenrechte«, »Pluralismus« oder »Toleranz« erfasst, einen Beitrag dazu leisten, sehr grundsätzliche Fragen zu stellen und möglichst vorurteilsfrei und allgemeinverständlich zu erörtern. Darin liegt der Anspruch der folgenden Untersuchung, vielleicht ihr Reiz, bestimmt aber auch ihr Risiko, denn es stellt sich immer die Frage, ob solch komplexe Themen in dieser Kürze und Zusammenschau in der gebührenden Tiefe durchleuchtet werden können. In diesem Sinne versteht sich dieser Beitrag auch nicht als Ersatz für das eingehende Studium der Theorien der politischen Philosophie, sondern verfolgt das vergleichsweise bescheidenere Ziel, politisch interessierte Menschen zum Denken anzuregen. Es soll ihnen nicht vordekliniert werden, was zu denken sei, vielmehr möchte ich zeigen, wie man heute über einige der wichtigsten Fragen unserer Zeit nachdenken kann, wenn man sie möglichst genau verstehen und sich in Diskussionen zu anderen Beiträgern stellen will, die ihrerseits minimalen Gerechtigkeitsansprüchen genügen.

1. Einleitung

Wir leben in ›aufgeregten Zeiten‹: Was in manchen Augen einen gefährlichen überregionalen Trend hin zu Autokratismus und Nationalismus spiegelt, erscheint anderen als erlösende Rückkehr zu demokratischer Selbstbestimmung und Vernunft. Politikverdrossenheit mag immer schon eine ungemessene Zeitdiagnose gewesen sein, da sie die Differenz zwischen der Politik als solcher und den jeweiligen politischen Funktionsträgern ignoriert. Inzwischen darf auch die Annahme, dass Menschen aus Frustration über politische Entscheidungen oder das politische System insgesamt in Apathie verfallen, als widerlegt gelten. Es wird wieder über Politik gestritten, in Familien, unter Freunden und Kollegen und nicht zuletzt in den sozialen Netzwerken. Was sagt dies über den Zustand der jeweiligen liberalen Demokratien? Ist die neue Lust an der politischen Auseinandersetzung ein Indiz für ihre Gefährdung – oder spricht sie umgekehrt für deren unbeschädigte Lebendigkeit? Welche Ideale politischer Kultur liegen den Klagen über »politische Korrektheit« oder »Hass im Netz« zugrunde? Was ist eigentlich damit gemeint, wenn nach »schmutzigen« Wahlkämpfen Rufe nach »Versöhnung« oder nach Brückenbildung laut werden?

Die folgende Untersuchung setzt zwei Einsichten an ihren Anfang, die miteinander zusammenhängen und zu einer Vielzahl von produktiven Reibepunkten führen:

Das ist zum einen die These, dass Konflikte wesenhaft zum Politischen gehören und dass die Hoffnung auf eine Meinung für alle bzw. Konsensideale, die dem nicht genügend Rechnung tragen, riskieren, apolitisch und im äußersten Fall un- oder pseudodemokratisch zu sein. Vorausgesetzt, dass Konflikte aus dem politischen Feld nicht wegzudenken sind, wird es demnach darauf ankommen, wie sie ausgetragen werden. Das Bild des zivilisierten Wettstreits ist dabei das Ideal politischer Auseinandersetzungen im demokratischen Kontext.

Zum anderen gibt es nun aber Arten von Konflikten, die selbst das Potenzial in sich tragen, das Politische auf eine solche Weise zu radikalisieren: Diese heben die demokratische Sublimierung von Gewalt wieder auf. Sie gilt es daher zu meiden bzw. schon in ihrem Entstehen zu bekämpfen.

Hier liegt die Kernproblematik zahlreicher aktueller politischer Debatten, und ich möchte sie zum Ausgang folgender Fragestellungen nehmen:

Aus den Erörterungen dieser Fragen sollen, so der Anspruch, Grundzüge einer Ethik der politischen Gegnerschaft sichtbar werden.

Ein solcher Brückenschlag von politischer Theorie zu politischer Ethik findet sich in Ansätzen bereits in einzelnen Werken der zeitgenössischen Philosophie, sie bedürfen jedoch weiterer Vertiefung und systematischer Bearbeitung, sowie auch der Vernetzung mit verwandten Ansinnen etwa im Bereich der Moralpsychologie.1 Dieser Text will ein erster Schritt auf diesem langen Weg sein.

Zwei Fragen sind in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse:

  1. Welchen Sinn hat es, ethische Überlegungen an einen Bereich heranzutragen, dessen Eigenlogik gerade nicht nach Kriterien des gerechten Handelns ausgerichtet ist, sondern vielmehr die Maßstäbe des richtigen, d. h. effektvollen Tuns im Sinne des Machterhalts und -gewinns ins Zentrum stellt?

  2. Eine Ethik der politischen Gegnerschaft ist zunächst nicht mehr als eine Ethik für einen bestimmten Bereich, eben eine Bereichsethik. Sie wendet Methoden der philosophischen Ethik auf ein Teilgebiet der normativen Ethik an und fragt danach, was dort das Gute bzw. gerechte Handeln ist. Doch was sind ihre Maßstäbe? Und wie kann sie diese für den Bereich politischer Auseinandersetzungen sinnvoll zur Anwendung bringen, ohne sich nicht in vorgelagerten Konflikten darüber, was das Gute sei, heillos zu verstricken?

Darüber, inwiefern Macht oder Gerechtigkeit in der Sphäre der Politik bestimmend sind bzw. sein sollen, sind realistische und idealistische Zugänge bekanntlich sehr unterschiedlicher Ansicht. Es geht mir auch aus diesem Grund nicht darum, sich für eine Seite zu entscheiden und etwa einem Idealismus das Wort zu reden, der an politische Auseinandersetzungen von außen ethische Maßstäbe heranträgt, die letztlich doch einer mehr oder weniger privaten Moralvorstellung entsprechen. Vielmehr möchte ich dafür argumentieren, dass innerhalb liberaler Demokratien, die sich zur Wahrung von Grund- und Menschenrechten verpflichten, bereits eine Basis für eine minimale politische Moral vorliegt, die es im Rahmen ethischer Erörterung auszudeuten gilt.