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Andreas Beaugrand Änne-Dörte Latteck Matthias Mertin Ariane Rolf

Lehr- und Lernmethoden im dualen Studium

Wissenstransfer zwischen Theorie und Praxis

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-030782-7

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-030783-4

epub:   ISBN 978-3-17-030784-1

mobi:   ISBN 978-3-17-030785-8

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Vorwort
Innovative Lehr- und Lernmethoden für die akademische Bildung in turbulenten Zeiten

Andreas Beaugrand

Ein ausreichendes Maß an Wissen und Verständnis ist unabdingbare Voraussetzung, um mit dem einschneidenden demografischen Wandel in Europa umgehen zu können. Deutschland hat inzwischen eine der ältesten Bevölkerungen der Welt. Um 2010 war jeder fünfte Mensch in Deutschland 65 Jahre und älter, um 1950 war es nur jeder zehnte. Gleichzeitig war die Zahl der Neugeborenen in Deutschland im Jahr 2009 mit 665.000 so niedrig wie nie zuvor und hat sich gegenüber 1950 nahezu halbiert; immerhin ist diese Zahl bis 2014 auf knapp 715.000 gestiegen, denen im gleichen Zeitraum jedoch knapp 2.141.000 mehr als 85-jährige und ältere Menschen gegenüberstehen.1 Im Jahre 2010 etwa waren nur noch 16,5 % der Bevölkerung in Deutschland jünger als 18 Jahre, 2014 waren es angesichts vielfacher Veränderungen nur noch 13,9 % – damit vergleichsweise wenige junge Menschen, die, wenn sie älter werden, zusammen mit den nach Europa geflüchteten Menschen (wenn sie denn bleiben können und wollen), sämtliche Berufs- und Tätigkeitsfelder einer funktionierenden Gesellschaft aktiv gestalten und zugleich die Lasten der Kranken und Alten auf einem jeweils angemessenen Niveau werden tragen müssen.2

Diese besondere gesellschaftliche Situation erfordert gerade im Bereich Ausbildung und Bildung besondere Innovationen. Heute und in Zukunft muss es bei der beruflichen und akademischen Bildung grundsätzlich um die Förderung von jungen Menschen mit unterschiedlicher Begabung und Herkunft, um ihre umfassende Qualifizierung für eine zukunftsweisende Berufstätigkeit und damit um die Stärkung ihrer fachlichen, sozialen und sprachlichen Kompetenz, um Geschlechtergerechtigkeit und um kulturelle und soziale Integrität gehen (vgl. Metzner 2015, 40–57) – ein Umstand, der auch die Hochschulen vor außergewöhnliche Herausforderungen gestellt hat und auch weiterhin stellen wird:

»In den vergangenen zwei Jahrzehnten verdoppelte sich allein die Zahl der Erstsemester; inzwischen studiert rund die Hälfte eines Altersjahrgangs. Gleichzeitig wird die Gruppe der Studierenden immer heterogener: Nicht nur der 19-jährige Abiturient geht heute zur Hochschule, sondern auch der Handwerksmeister, die alleinerziehende Mutter oder die Managerin. Die Vielfalt der Bildungsbiografien hat den ›klassischen‹ Studierendentypus abgelöst. Ein Studium wird zum Normalfall, aber der bis dahin ›typische‹ Studierende wird es nicht mehr sein.« (Dräger & Ziegele 2014, 3)

1993 waren in den deutschen Hochschulen noch 1.867.264 Studierende eingeschrieben, 2012 waren es bereits 2.499.409. Der Anteil ausgewählter Gruppen an der Gesamtzahl der Studierenden in Deutschland 2012 zeigt deren Vielfalt: So gibt es heute Studierende ohne Abitur (1,6 %), in einem berufsbegleitenden Studiengang (3,0 %), in einem dualen Studiengang (3,4 %), mit einem Kind oder mehreren Kindern (5,0 %), in einem Fernstudiengang (5,7 %), aus dem Ausland (9,2 %), mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung (14,0 %), mit abgeschlossener Berufsausbildung (22,0 %) und mit Migrationshintergrund (23,0 %). (ebd., 6; vgl. dazu Middendorff et al. 2013; Duong & Püttmann 2014; Bundesinstitut für Berufsbildung 2013; Beaugrand, 22f.)

Um in der eingangs skizzierten Alltagswirklichkeit im Bereich Ausbildung und Studium zu umfassenden tragfähigen strukturellen Lösungsansätzen zu kommen, hat der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft im Jahre 2013 das »Qualitätsnetzwerk Duales Studium« ins Leben gerufen, für das sich mehr als 60 Fachhochschulen, Universitäten, Duale Hochschulen und Berufsakademien beworben hatten, aus denen zehn Hochschulen ausjuriert wurden,3 um die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung zu erhöhen und neue Ansätze für eine zeitgemäße Verschränkung von Studium und Beruf zu finden, zumal heute bereits mehr als »61.000 junge Menschen die Chance einer kombinierten wissenschaftlichen und praktischen Ausbildung in über 900 dualen Studiengängen wahr[-nehmen], und über 26.000 Unternehmen […] sich in diesem Ausbildungsfeld engagieren.«4 Der aus 40 Fachleuten bestehende Expertenkreis »Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung« analysiert darüber hinaus regelmäßig die neuesten Forschungsergebnisse der beteiligten Hochschulen zur Erhöhung der Durchlässigkeit im Bildungssystem.5

Es gilt nun – auch vor dem Hintergrund Europäischer Bildungsprogramme und Strategien wie dem Bologna-Prozess, der damit verbundenen Modularisierung und dem Brügge-Kopenhagen-Prozess zur Umsetzung der Lissabon-Agenda –, weitere Qualifizierungswege zu ermöglichen und innovative Lehr- und Lernmethoden zu entwickeln, die auf Beschäftigungsfähigkeit, Flexibilität und Mobilität ausgerichtet sind. Zugleich sind dabei die vorhandenen Referenzsysteme wie der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR), der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR), der Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse sowie – für die Gesundheits- und Pflegewissenschaften – der Fachqualifikationsrahmen für die Pflege zu berücksichtigen.

Das vorliegende Buch widmet sich Lösungsansätzen dieser Ausbildungs- und Bildungsproblematik und bietet Strukturvorschläge zur methodengeleiteten »Explikation von Wissen aus beruflichen Situationen«, wie ein alternativ diskutierter Titel lautete. Damit ermöglicht der auch als Handbuch oder Nachschlagewerk nutzbare Band die Auseinandersetzung mit einem umfangreichen Methodenrepertoire, das Denkweisen des logischen Empirismus des aus Deutschland stammenden und lange Zeit in Kalifornien lehrenden Philosophen Rudolf Carnap (1891–1970) aufgreift und ebenso klar strukturierte wie realitätsbezogene Lehr- und Lernkonzepte für die berufliche und akademische (Aus-)Bildung bereithält: »Im Kern ist Sinn der Explikation […] die Klärung von Sachfragen, indem ein Sachverhalt in Beziehung auf das Begriffssystem einer wissenschaftlichen Theorie erklärt wird«6 – hier ganz konkret die bisher oftmals diffus erscheinenden Organisationsformen mancher »dualer« Studiengänge zwischen hochschulischer Theorie und beruflicher Praxis, in denen etwa die Praxisphasen akademisches Lehr- und Lernniveau weitgehend vermissen lassen.

In diesem Buch werden vielfache Fragestellungen diskutiert, darunter die Fragen, welche Methoden zur Explikation beruflichen Wissens theorie- und forschungsbasiert ableitbar oder entwickelbar sind, welche Methoden innerhalb dualer Studiengänge bereits erfolgreich eingesetzt werden und welche Methoden am meisten der vom Wissenschaftsrat 2013 formulierten Zielsetzung entsprechen, die besagt, dass Lernorte organisatorisch, inhaltlich und curricular eng aufeinander abgestimmt sein müssen, um praktische und akademische Lerninhalte in beide Richtungen miteinander zu verknüpfen. Es wird offensichtlich, dass duale Studiengänge ein großes Potenzial bieten, praktische Erfahrungen der Studierenden, die wichtigste zentrale Bezugsgröße in der hochschulischen Lehre, in den akademischen Kontext zu transferieren. Die Lehre, so eine wesentliche Quintessenz des Forschungsprojekts, orientiert sich an den Lernenden und nutzt ihr implizites und explizites Vorwissen als Basis für die Konzeption von Lehrveranstaltungen, um es anschließend mit weiterführenden theoretischen Inhalten anzureichern. Der daraus resultierende Realitätsbezug und ein wertschätzender Umgang mit den Erfahrungen der Studierenden erhöhen die Lernmotivation und verdeutlichen den Nutzen der theoretischen Lerninhalte für die berufliche Praxis.

Das Methodenkompendium in diesem Band richtet sich an Hochschullehrende, die vor die Herausforderung gestellt werden, die in der Praxis erworbenen Erfahrungen von Studierenden zu analysieren, für die Lehre nutzbar zu machen und daraus für die Studierenden Hilfestellungen zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus richtet sich dieses Buch an Studierende, die durch den Einsatz ausgewählter Methoden ihren Zuwachs an beruflichem Wissen bewusster wahrnehmen. Ihre Selbstlern- und Reflexionsfähigkeit wird gefördert, sodass sie ihre zukünftigen beruflichen Herausforderungen erfolgreich meistern können – wohl die wesentlichste Kompetenz, für deren Erlangung sich die Hochschulen in ihrem hochschulpolitischen Ringen um Bildungsverständnis (Metzner) in Zeiten wie diesen intensiv engagieren müssen. Dieses Buch ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür.

1     Vgl. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/235/umfrage/anzahl-der-geburten-seit-1993/ und http://de.statista.com/statistik/daten/studie/1365/umfrage/bevoelkerung-deutschlands-nach-altersgruppen/ (25.9.2015).

2     Vgl. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/1365/umfrage/bevoelkerung-deutschlands-nach-altersgruppen/ (25.9.2015).

3     Ausgewählt wurden die Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin, die Fachhochschule Bielefeld, die Fachhochschule Brandenburg, die Staatlichen Studienakademien Dresden und Leipzig, die FOM Hochschule, Essen, die Universität Kassel, die Duale Hochschule Baden-Württemberg, Mannheim, die Technische Hochschule Mittelhessen, Gießen, die Hochschule München und die Westfälische Hochschule, Gelsenkirchen.

4     Vgl. http://stifterverband.info/bildungsinitiative/beruflich-akademische_bildung/duales_studium/index.html (19.9.2015).

5     Vgl. http://stifterverband.info/wissenschaft_und_hochschule/hochschule_und_wirtschaft/expertenkreis_durchlaessigkeit/index.html (19.9.2015).

6     Der Hamburger Philosoph Günter Patzig (Jahrgang 1926) bescheinigt Rudolf Carnap das Verdienst, in seinem 1928 erschienenen Hauptwerk Der logische Aufbau der Welt den Versuch unternommen zu haben, die erkenntnistheoretische These des englischen Empirismus, nach der die Basis aller unserer Wirklichkeitserkenntnis in Wahrnehmungserlebnissen bestehe, durch die methodische und zugleich logisch einsichtige Konstruktion der Gegenstandswelt aus solcherart bestimmten Elementarerlebnissen zu untermauern. Neu und richtungweisend an diesem Ansatz war der Gebrauch, den Carnap »von den Hilfsmitteln der modernen Logik, besonders der von Russell entwickelten Relationenlogik, machte, und die Rücksicht auf die psychologische Erkenntnis, dass die einfachen Sinnesdaten nicht Erlebnisse sind, sondern erst rückwärts aus den Erlebnissen erschlossen werden müssen« – ein Verfahren, das in diesem Band vorgeschlagen wird.

 

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