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Björn Maier, Kai Tybussek (Hrsg.)

Management und Controlling in der Pflege

Handlungsoptionen infolge der neuen Pflegestärkungsgesetze

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-023935-7

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-024117-6

epub:    ISBN 978-3-17-024118-3

mobi:    ISBN 978-3-17-024119-0

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Inhaltsverzeichnis

 

 

 

  1. 1 Einleitung
  2. Björn Maier, Kai Tybussek
  3. 1.1 Anlass und Motivation zur Reform
  4. 1.2 Die gesetzlichen Entwicklungen im Überblick
  5. 1.3 Aktuelle Herausforderungen und Handlungsfelder
  6. 1.4 Literatur
  7. 2 Historie und Zielsetzung der Pflegereform
  8. Kai Tybussek, Benedikt Bauer
  9. 2.1 Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und die fünf Pflegegrade
  10. 2.2 NBA – Das Neue Begutachtungsassessment
  11. 2.3 Die leistungsrechtliche Ausgestaltung
  12. 2.4 Übergangsregelungen und Bestandsschutz
  13. 2.5 Vergütungsregelungen und Pflegesatzverfahren
  14. 2.6 Neuerungen im Rahmen des PSG III
  15. 3 Umsetzung der BSG-Urteile 2009/2011 sowie Chancen und Risiken der Pflegestärkungsgesetze
  16. Jan Grabow
  17. 3.1 Entwicklung in der Branche
  18. 3.2 Veränderungen in den rechtlichen Rahmenbedingungen
  19. 3.3 Fazit
  20. 3.4 Literatur
  21. 4 Die neuen Bauverordnungen für Pflegeheime – 16 Variationen zum gleichen Thema
  22. Kurt Dorn
  23. 4.1 Einleitung
  24. 4.2 Grundlagen
  25. 4.3 Bundes- und Ländergesetzgebung
  26. 4.4 Landesverordnungen
  27. 4.5 Bewertung und Empfehlungen
  28. 4.6 Musterheimbauverordnung
  29. 5 Investitionskostenrefinanzierung nach der BSG-Rechtsprechung und dem entsprechenden Landesrecht
  30. Matthias H. Appel
  31. 5.1 Rechtliche Ausgangslage
  32. 5.2 Grundsatzurteil des BSG
  33. 5.3 Reaktion Bundesgesetzgeber
  34. 5.4 Reaktion der Bundesländer
  35. 5.5 Fazit
  36. 5.6 Literatur
  37. 6 Altenhilfe: 1+1=3 Neue Geschäftsmodelle und ihr Potenzial
  38. Tim Liedmann
  39. 6.1 Vorbemerkungen
  40. 6.2 Motivlage – Warum neue Geschäftsmodelle?
  41. 6.3 Veränderung der Nachfrage
  42. 6.4 Geschäftsmodelle in der Altenhilfe – ein Typisierungsversuch
  43. 6.5 Betreiberreaktionen auf die neue Gesetzeslage
  44. 6.6 Der Komplexträger als Potenzialträger
  45. 6.7 Kooperative Geschäftsmodelle auf dem Vormarsch
  46. 6.8 Fazit
  47. 6.9 Literatur
  48. 7 Chancen und Risiken der Ambulantisierung für die Erlössicherung
  49. Werner Hesse
  50. 7.1 Stärkung der ambulanten Versorgung durch den Gesetzgeber
  51. 7.2 Erlöseinbußen für Pflegeheime vorprogrammiert
  52. 7.3 Deutliche Stärkung der ambulanten Pflege
  53. 7.4 Ergänzende Sozialhilfe
  54. 7.5 Der Vergleich ambulanter und stationärer Rahmenbedingungen
  55. 7.6 Heimrecht beachten
  56. 7.7 Fazit und Ausblick
  57. 7.8 Literatur
  58. 8 Chancen und Risiken für Einrichtungen und Betriebe der ambulanten, teilstationären und stationären Pflege
  59. Wolfgang Schilling
  60. 8.1 Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff
  61. 8.2 Welche Auswirkungen hat das für die Praxis?
  62. 8.3 Was bedeutet das neue PSG II für die Pflegesatzverhandlung/Vergütungsvereinbarungen
  63. 8.4 Fazit und Ausblick
  64. 8.5 Literatur
  65. 9 Entwicklung eines Personalbemessungssystems bis zum Jahr 2020
  66. Michael Wipp
  67. 9.1 Historie
  68. 9.2 Bestehende Strukturen mit Auswirkungen auf ein neues Personalbemessungssystem
  69. 9.3 Aktuelle Veränderungen bei den Pflegeschlüsseln
  70. 9.4 Planungen: Entwicklung und Erprobung eines Personalbemessungssystems
  71. 9.5 Fazit
  72. 9.6 Literatur
  73. 10 Grundlagen des Controllings für die Steuerung stationärer Altenhilfeeinrichtungen
  74. Björn Maier, Tanja Maier
  75. 10.1 Informationssammlung und -generierung
  76. 10.2 Informationsauswertung und -aufbereitung
  77. 10.3 Entscheidungsunterstützung und Kommunikation
  78. 10.4 Fazit und Ausblick
  79. 10.5 Literatur
  80. 11 Change-Management
  81. Björn Maier, Tanja Maier
  82. 11.1 Strategieentwicklung und Change-Management
  83. 11.2 Vorgehensweise für die Festlegung strategischer Programme
  84. 11.3 Vorgehensweise bei der Planung von Change-Management-Prozessen
  85. 11.4 Vorgehensweise bei der Umsetzung von Change-Management-Prozessen
  86. 11.5 Vorgehensweise bei der Konsolidierung und Kontrolle von Change-Management-Prozessen
  87. 11.6 Ausgewählte Instrumente für einen erfolgreichen Change-Management-Prozess
  88. 11.7 Fazit
  89. 11.8 Literatur
  90. 12 Fazit und Ausblick: Die PSG I, PSG II, PSG III und die Folgen
  91. Björn Maier, Kai Tybussek
  92. Autorenverzeichnis
  93. Register

1          Einleitung

Björn Maier, Kai Tybussek

 

1.1       Anlass und Motivation zur Reform

 

Die erste gesetzliche Pflegeversicherung als Teil des Sozialversicherungssystems in Deutschland wurde zum 1. Januar 1995 eingeführt. Seit dem 23.10.2012 wurde die gesetzliche Pflegeversicherung nun in vier Reformschritten neu ausgerichtet und reformiert. Den Startpunkt bildet dabei im Jahr 2012 das Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (PNG), darauf aufbauend folgten ab Ende 2014 die drei Pflegestärkungsgesetze (PSG I bis III) (Images Abb. 1.1). Insgesamt ist dieses Reformwerk die gravierendste Neuausrichtung des Systems seit seiner Gründung vor etwas mehr als 20 Jahren.

Die Notwendigkeit dieser Veränderungen ist dem demografischen Wandel sowie den veränderten Krankheitsbilden geschuldet. Mit zunehmendem Alter nimmt die Wahrscheinlichkeit deutlich zu, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Außerdem haben gerontopsychiatrische Erkrankungen und demenzielle Erkrankungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Anzahl der Leistungsbezieher beträgt derzeit ca. 2,7 Mio. Menschen bei der gesetzlichen Pflegeversicherung und knapp 200.000 Menschen bei der privaten Pflegversicherung (Images Tab. 1.1). Die Leistungsausgaben alleine in der sozialen Pflegeversicherung betrugen im Jahr 2015 im stationären Bereich 12,1 Mrd. € und im ambulanten Bereich 14,6 Mrd. €.

Soziale PflegeversicherungPrivate Pflege-Pflichtversicherung

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Abb. 1.1: Gesetze der Pflegereform

Tab. 1.1: Gesamtzahl der Leistungsbezieher1

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Eine besondere Herausforderung für die Pflegekassen stellt die zu erwartende demografische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland dar. Bei den über 80-Jährigen liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Pflegebedürftigkeit derzeit bei rund 31% (BMG 2016). Dies bedeutet bei einer zunehmenden Lebenserwartung und einer steigenden Anzahl älterer und alter Menschen einen deutlichen Anstieg der Pflegebedürftigen. So nimmt der Anteil der über 80-Jährigen an der Gesamtbevölkerung von ca. 5,4% 2012 auf fast 10% im Jahr 2040 zu. Die Gesamtzahl der 80-Jährigen erhöht sich von 4,4 auf 7,8 Millionen (Images Tab. 1.2). Als Folge der gesamten demografischen Entwicklung rechnet das BMG auf Basis der Geschäftsstatistiken der Pflegekassen in der gesetzlichen Pflegeversicherung mit einer Zunahme von derzeit rund 2,7 Mio. Pflegebedürftigen auf rund 4,4 Mio. Pflegebedürftige im Jahr 2040 (BMG 2016).

Gesamtbevölkerung in Mio.Personen über 80 in Mio.Anteil an der Gesamtbevölkerung in %

Tab. 1.2: Anzahl älterer Personen über 80 Jahre absolut und in Prozent (Statistisches Bundesamt 2013)

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Häufig übernehmen Angehörige diese Pflege. Dies stellt für viele eine enorme physische, psychische und finanzielle Belastung dar, auch vor dem Hintergrund der sich ändernden Familienstrukturen und einer zunehmenden Arbeitsverdichtung bei Personen im Erwerbsleben. Hier setzen die Pflegestärkungsgesetze mit unterschiedlichen Leistungen und Unterstützungsmodellen an. Für die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung wurden vom Bundesministerium für Gesundheit im Jahr 2006 zwei Expertenbeiräte einberufen, die insgesamt drei Berichte vorgelegt haben. Die fachliche Expertise umfasste u. a. das neue Einstufungsmanagement, das neue Begutachtungsassessment (NBA) und die Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs.

 

1.2       Die gesetzlichen Entwicklungen im Überblick

 

Das Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz – PNG) vom 23. Oktober 2012 bildet den Auftakt der Neuerungen. Ziel des PNG ist es, die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Pflegebedürftigen sicherzustellen. Seit Januar 2013 erfolgte eine Ausweitung der Leistungen der Pflegeversicherung für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz. Dies hatte zur Folge, dass neben der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung die Betreuung als weitere Säule in der ambulanten Versorgung hinzukam.

Das erste Pflegestärkungsgesetz (PSG I) trat zum 1. Januar 2015 in Kraft. Die Leistungen für Pflegebedürftige und Angehörige wurden erheblich ausgeweitet und verbessert. In der häuslichen Versorgung wurden für Betreuungs- und Pflegeleistungen 1,4 Mio. € pro Jahr zur Verfügung gestellt. Darin enthalten sind u. a. Zuschüsse für Umbaumaßnahmen für ein sicheres Wohnumfeld und Betreuungsleistungen für Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz. Zudem wurde ein Pflegefonds in Form eines Sondervermögens eingerichtet, den die Deutsche Bundesbank verwaltet. Der Fonds soll die langfristige Stabilität der Beitragssätze der sozialen Pflegeversicherung gewährleisten. Stationäre Pflegeeinrichtungen konnten gemäß § 87b SGB XI ca. 20.000 zusätzliche Betreuungskräfte einstellen (Personalschlüssel beträgt 1 : 20). Im Bereich der häuslichen Pflege werden die Leistungen für Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz (PEA) in den §§ 45b, 123 SGB XI geregelt. Durch einen Fokus auf demenziell Erkrankte haben sich im Bereich des Pflegesektors neue Berufsbilder, wie bspw. Alltagsbegleiter, entwickelt. Aus der Statistik geht hervor, dass Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz mit höherer Pflegestufe in stationären Einrichtungen (rd. 461.000) und mit niedrigerer Pflegestufe in der häuslichen Umgebung (rd. 564.000) versorgt werden. Auch die Zahl der jüngeren Pflegebedürftigen (Altersgruppe bis 40 Jahre) mit eingeschränkter Alltagskompetenz nimmt zu.

Das zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) ist ab dem 1. Januar 2017 in Kraft getreten und beinhaltet den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff (§§ 14, 15 SGB XI; Anlage 1 und 2 zu § 15 SGB XI) und ein neues Begutachtungsverfahren (NBA). Der Zunahme demenziell Erkrankter wird im Rahmen der Pflegegrade Rechnung getragen. Betroffene müssen nicht mehr gesondert begutachtet werden, sondern demenzielle Erkrankungen sind Teil der Pflegegrade. Bei der Überleitung von den Pflegestufen in die Pflegegrade gilt Bestandsschutz für Pflegebedürftige, die bereits leistungsberechtigt sind. Hierdurch wird sichergestellt, dass Leistungsberechtigte durch die Reform nicht schlechter gestellt werden.

Im Juni 2016 hat das Bundeskabinett den Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III) beschlossen, dessen Regelungen ebenfalls überwiegend zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten sind. Im Mittelpunkt stehen Beratungsleistungen durch Pflegestützpunkte bzw. kommunale Beratungsstellen für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige. Für jeden Pflegebedürftigen sollen individuell zugeschnittene Leistungen angeboten und zeitnah durchgesetzt werden. So sollen künftig Beratungsgutscheine für Pflegebedürftige und deren Angehörige zur Verfügung stehen und damit die Qualität gesteigert werden. Weiterhin sollen Angebote zur Unterstützung im Alltag ausgebaut werden. Bis zu 25 Mio. € sind im Beitrag der Pflegeversicherung dafür vorgesehen. Ebenfalls ist die Pflegeselbstverwaltung verpflichtet, für ambulante Wohngruppen geeignete Qualitätsstandards zu entwickeln.

Die Länder sind für die Sicherstellung einer ausreichenden und wirtschaftlichen Infrastruktur im Pflegesektor verantwortlich. Versorgungsfragen sollen in Ausschüssen geklärt werden, in denen erstmalig die Teilnahme für die Pflegekassen verpflichtend ist. Die Empfehlungen der Ausschüsse, die auf eine verbesserte Versorgungssituation zielen, sind künftig von den Kostenträgern im Rahmen der Pflegesatzverhandlungen zu beachten. Durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs müssen im 12. Sozialgesetzbuch (SGB XII) und im Bundesversorgungsgesetz (BVG) entsprechende Änderungen erfolgen, dass finanziell Bedürftige im Falle der Pflegebedürftigkeit angemessen versorgt werden. Des Weiteren sind mit dem Pflegebedürftigkeitsbegriff auch pflegerische Betreuungsmaßnahmen in die Pflegeversicherung integriert. Dies kann zu einer Schnittstellenproblematik zwischen der Eingliederungshilfe und der Pflegeversicherung führen. Um dies und damit verbundene Kostenverschiebungen zu verhindern, sind klare Regelungen zur Abgrenzung im PSG III enthalten (BMG 2016b).

 

1.3       Aktuelle Herausforderungen und Handlungsfelder

 

Im Rahmen des Buches werden unterschiedliche Aspekte und Blickwinkel zu den Reformschritten der Pflegeversicherung eingenommen. Prinzipiell lassen sich die von den einzelnen Autoren behandelnden Aspekte drei Hauptkategorien zuordnen:

•  Rechtliche Rahmenbedingungen
Neben der Reform der Pflegeversicherung werden noch unterschiedliche andere gesetzliche Novellierungen und Anpassungen von Verordnungen betrachtet, die insgesamt die Erbringung von Pflegeleistungen in der Bundesrepublik Deutschland verändern werden (Images Kap. 2–5).

•  Geschäftsmodelle und strategische Handlungsoptionen
Aufbauend auf den rechtlichen Veränderungen werden die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Risiken, die sich ergeben, behandelt. Dabei werden sowohl neuen Geschäftsmodelle erörtert, als auch die Entwicklungsmöglichkeiten bestehender Geschäftsmodelle dargestellt. Beispielsweise werden die Auswirkungen der Verschiebung von stationären hin zu ambulanten Leistungen thematisiert (Images Kap. 6–8).

•  Umsetzungshilfen für ein erfolgreiches Management
Die personalwirtschaftlichen, kostenrechnerischen und steuerungsmäßigen Veränderungs- und Anpassungsprozesse aus Sicht des Managements werden darauf aufbauend behandelt. Dabei wird auch noch einmal eine Brücke geschlagen von der externen Analyse hin zur internen Umsetzung. Dabei wird das Zusammenspiel zwischen strategischem Management und Change-Management beleuchtet (Images Kap. 9–11).

In diesem Zusammenspiel ergibt sich eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Handlungsfelder, die sowohl auf System- wie auch auf Einrichtungsebene relevant sind und von den einzelnen Akteuren schon angepasst wurden bzw. noch gestaltet werden müssen.

 

1.4       Literatur

 

 

Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg) (2016a): Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung, http://www.bmg.bund.de/themen/pflege/zahlen-und-fakten-zur-pflegeversicherung.html, Abruf: 28.10.2016

Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg) (2016b): Drittes Pflegestärkungsgesetz im Kabinett beschlossen, http://www.bmg.bund.de/ministerium/meldungen/2016/psg-iii-kabinett.html, Abruf: 28.10.2016

Statistisches Bundesamt (2013): Ergebnisse der 13. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, Variante 2, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Bevoelkerungsvorausberechnung/Tabellen/AltersgruppenBis2060.html, Abruf: 21.03.2017

1     Geschäftsstatistik der Pflegekassen zum 31.12.2015 und Geschäftsstatistik der privaten Pflege-Pflichtversicherung zum 31.12.2015

2          Historie und Zielsetzung der Pflegereform

Kai Tybussek, Benedikt Bauer

 

Die Pflegereform: Mehr Leistungen für Pflegebedürftige und mehr Entlastung und Sicherheit für pflegende Angehörige – ein Umdenken hat begonnen.

In den vergangenen Jahren hat sich oftmals gezeigt, dass ein Pflegebedürftigkeitsbegriff mit einer fokussierten Betrachtung von körperlichen Einschränkungen und die damit einhergehende Beschränkung der Pflegeleistungen ungeeignet ist. Diese reduzierte Betrachtung ist für viele pflegebedürftige Menschen nicht ausreichend, sodass viele, die im Alltag eingeschränkt sind oder beispielsweise psychische Störungen haben, keine umfassenden bzw. ausreichenden Betreuungsleistungen erhalten – bis zu 250.000 Demenzkranke sind ohne finanzielle Hilfe der Pflegeversicherung, weil sie keine Pflegestufe erhalten.2

Bereits zu Beginn des Jahres 2015 wurde mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz (PSG I) eine Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung eingeleitet und die Unterstützung für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen ausgeweitet. Im Jahr 2016 folgten im Rahmen des 2. Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) grundlegende Veränderungen und Verbesserungen im Pflegesystem, wodurch zum 1. Januar 2017 nicht nur eine vollkommen neuartige Betrachtung der Pflegebedürftigkeit, sondern auch ein entsprechend reformiertes Begutachtungsverfahren und ein neues Leistungsrecht implementiert wurden.

 

2.1       Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und die fünf Pflegegrade

 

Der neue Begriff der Pflegebedürftigkeit bezieht sich gleichermaßen auf körperliche, geistige und psychische Einschränkungen, sodass psychische und kognitive Störungen – wie etwa Demenz – zum 1. Januar 2017 wesentlich stärker in den Mittelpunkt rückten. Nicht mehr in erster Linie körperliche Beeinträchtigungen, sondern gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten für eine voraussichtliche Dauer von mindestens sechs Monaten, sind für die Einstufung seit dem 1. Januar 2017 maßgebend. Auch die zeitlich zu bemessenden Hilfebedarfe spielen im Rahmen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes keine Rolle mehr, da im Zuge der Begutachtung als Bemessungsgröße der Grad der Selbstständigkeit bzw. der Grad der Fähigkeiten ermittelt wird, um so die sachgerechte und personenbezogene Einbeziehung von Einschränkungen im geistigen und psychischen Bereich gewährleisten zu können.

ModulBeispiele für Items

Tab. 2.1: Module des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs.

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Damit umfasst der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff auch die gesonderte Feststellung einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a Abs. 2 SGB XI und wurde somit erweitert, um dem Ziel, allen pflegebedürftigen Menschen gleichberechtigt Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung zu ermöglichen, gerecht zu werden.

Im Rahmen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes gelten seit dem 1. Januar 2017 die neu eingeführten fünf Pflegegrade, wodurch das System der Pflegestufen zum 1. Januar 2017 abgelöst wurde. Basis für die Einstufung in einen der fünf Pflegegrade ist das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit und eine entsprechende Prüfung pflegefachlich begründeter Kriterien, sogenannter Items, in sechs verschiedenen Modulen (Images Tab. 2.1) auf Grundlage der neu überarbeiteten Begutachtungs-Richtlinien.

Die sechs Module berücksichtigen insgesamt 65 Items, anhand derer der Grad der Selbstständigkeit bzw. der Grad der Fähigkeiten innerhalb der jeweiligen Module durch Einzelpunkte ermittelt und im Zuge einer unterschiedlichen Gewichtung zu einer Gesamtbewertung zusammengeführt werden kann.

 

2.2       NBA – Das Neue Begutachtungsassessment

 

Grundlage der Einstufung seit 1. Januar 2017 und somit Basis des Neuen Begutachtungsassessments (NBA) ist der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, welcher daher inhaltlich in der neuen Begutachtungssystematik wiederzufinden ist. Die sechs Module des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes nach § 14 Abs. 2 SGB XI (2017) sind im NBA integriert und hinsichtlich des Begutachtungsverfahrens mit einzelnen Items präzisiert worden. Anhand der Items kann der Schweregrad der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten für jedes Modul und jedes einzelne Item mittels pflegefachlich fundierter Einzelpunkte in mehreren Schritten ermittelt werden.

2.2.1     Ausprägung der Selbstständigkeit als Basis der Begutachtung

Im Rahmen der Begutachtung3 ist zu bewerten, ob die betroffene Person die jeweiligen Handlungen bzw. Aktivitäten (Kriterien) praktisch durchführen kann (Images Berechnungsbeispiel in Tab. 2.2).

0 = selbstständig

Die Person kann die Handlung bzw. Aktivität in der Regel selbstständig durchführen. Möglicherweise ist die Durchführung erschwert oder verlangsamt oder nur unter Nutzung von Hilfs-/Pflegehilfsmitteln möglich. Entscheidend ist jedoch, dass die Person keine personelle Hilfe benötigt. Vorübergehende oder nur vereinzelt auftretende Beeinträchtigungen sind nicht zu berücksichtigen.

1 = überwiegend selbstständig

Die Person kann den größten Teil der Aktivität selbstständig durchführen. Dementsprechend entsteht nur ein geringer bzw. mäßiger Aufwand für die Pflegeperson. Überwiegend selbstständig ist eine Person also dann, wenn lediglich folgende Hilfestellungen erforderlich sind:

•  Unmittelbares Zurechtlegen, Richten von Gegenständen meint die Vorbereitung einer Aktivität durch Bereitstellung sächlicher Hilfen, damit die Person die Aktivität dann selbstständig durchführen kann. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Umgebung der antragstellenden Person so eingerichtet wird, dass die Person, so weit wie möglich, selbstständig an alle notwendigen Utensilien herankommt und diese nicht jedes Mal angereicht werden müssen. Wenn dies aber nicht ausreicht (z. B. wenn die Seife nicht von der Ablage am Waschbecken genommen werden kann, sondern direkt in die Hand gegeben werden muss), führt diese Beeinträchtigung zur Bewertung »überwiegend selbstständig«.

•  Aufforderung bedeutet, dass die Pflegeperson (ggf. auch mehrfach) einen Anstoß geben muss, damit die oder der Betroffene die jeweilige Tätigkeit allein durchführt. Auch wenn nur einzelne Handreichungen erforderlich sind, ist die Person als überwiegend selbstständig zu beurteilen (punktueller Hilfebedarf, der lediglich an einzelnen Stellen des Handlungsablaufs auftritt). Einzelne Hinweise zur Abfolge der Einzelschritte meinen, dass zwischenzeitlich immer wieder ein Anstoß gegeben werden muss, dann aber Teilverrichtungen selbst ausgeführt werden können.

•  Unterstützung bei der Entscheidungsfindung bedeutet, dass z. B. verschiedene Optionen zur Auswahl angeboten werden, die Person danach aber selbstständig handelt.

•  Partielle Beaufsichtigung und Kontrolle meint die Überprüfung, ob die Abfolge einer Handlung eingehalten wird (ggf. unter Hinführung zu weiteren Teilschritten oder zur Vervollständigung) sowie die Kontrolle der korrekten und sicheren Durchführung. Hierzu gehört auch die Überprüfung, ob Absprachen eingehalten werden.

•  Punktuelle Übernahme von Teilhandlungen der Aktivität bedeutet, dass nur einzelne Handreichungen erforderlich sind, die Person den überwiegenden Teil der Aktivität aber selbstständig durchführt.

•  Anwesenheit aus Sicherheitsgründen: Wenn eine Person eine Aktivität selbstständig ausführen kann, aber aus nachvollziehbaren Sicherheitsgründen (z. B. Sturzgefahr, Krampfanfälle) die Anwesenheit einer anderen Person benötigt, trifft die Bewertung »überwiegend selbstständig« zu.

2 = überwiegend unselbstständig

Die Person kann die Aktivität nur zu einem geringen Anteil selbstständig durchführen. Es sind aber Ressourcen vorhanden, sodass sie sich beteiligen kann. Dies setzt ggf. ständige Anleitung oder aufwändige Motivation auch während der Aktivität voraus oder Teilschritte der Handlung müssen übernommen werden. Zurechtlegen und Richten von Gegenständen, wiederholte Aufforderungen oder punktuelle Unterstützungen reichen nicht aus.

Alle oben genannten Hilfen können auch hier von Bedeutung sein, reichen allerdings alleine nicht aus. Weitergehende Unterstützung umfasst vor allem:

•  Ständige Motivation im Sinne der motivierenden Begleitung einer Aktivität (notwendig vor allem bei psychischen Erkrankungen mit Antriebsminderung).

•  Ständige Anleitung bedeutet, dass die Pflegeperson den Handlungsablauf nicht nur anstoßen, sondern die Handlung demonstrieren oder lenkend begleiten muss. Dies kann insbesondere dann erforderlich sein, wenn die oder der Betroffene trotz vorhandener motorischer Fähigkeiten eine konkrete Aktivität nicht in einem sinnvollen Ablauf durchführen kann.

•  Ständige Beaufsichtigung und Kontrolle unterscheidet sich von der oben genannten »partiellen Beaufsichtigung und Kontrolle« nur durch das Ausmaß der erforderlichen Hilfe. Es ist ständige und unmittelbare Eingreifbereitschaft in die Handlung erforderlich.

•  Übernahme von Teilhandlungen der Aktivität bedeutet, dass ein erheblicher Teil der Handlungsschritte durch die Pflegeperson übernommen wird.

3 = unselbstständig

Die Person kann die Aktivität in der Regel nicht selbstständig durchführen bzw. steuern, auch nicht in Teilen. Es sind kaum oder keine Ressourcen vorhanden. Ständige Motivation, Anleitung und Beaufsichtigung reichen auf keinen Fall aus. Die Pflegeperson muss alle oder nahezu alle Teilhandlungen anstelle der betroffenen Person durchführen. Eine minimale Beteiligung ist nicht zu berücksichtigen (z. B. wenn sich die antragstellende Person in sehr geringem Umfang mit Teilhandlungen beteiligt).

Das Einschätzungsinstrument beinhaltet in den Modulen 2, 3 und 5 abgewandelte Formen dieser Skala, die an den entsprechenden Stellen erläutert werden. Durchgängig gilt bei diesen Skalen, dass der Grad der Beeinträchtigung mit dem jeweiligen Punktwert steigt. »0« bedeutet stets, dass keine Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten bzw. keine sonstigen Probleme bestehen.

2.2.2     Ausprägung der Fähigkeiten als Basis der Begutachtung

Für die Ausprägung bzw. den Grad der Fähigkeiten4 findet eine ähnliche Graduierung wie im Falle der Selbstständigkeit (vierstufige Skala) Anwendung, wobei die Beurteilung einer geistigen Funktion zugrunde liegt.

0 = Fähigkeit vorhanden, unbeeinträchtigt

Die Fähigkeit ist (nahezu) vollständig vorhanden

 

1 = Fähigkeit größtenteils vorhanden

Die Fähigkeit ist überwiegend (die meiste Zeit über, in den meisten Situationen), aber nicht durchgängig vorhanden. Die Person hat Schwierigkeiten, höhere oder komplexere Anforderungen zu bewältigen.

 

2 = Fähigkeit in geringem Maße vorhanden

Die Fähigkeit ist stark beeinträchtigt, aber erkennbar vorhanden. Die Person hat häufig oder in vielen Situationen Schwierigkeiten. Sie kann nur geringe Anforderungen bewältigen. Es sind Ressourcen vorhanden.

 

3 = Fähigkeit nicht vorhanden

Die Fähigkeit ist nicht oder nur in sehr geringem Maße (sehr selten) vorhanden.

Item/MerkmalSelbstständigÜberwiegend selbstständigÜberwiegend unselbstständigUnselbstständigBeispielrechnung

Tab. 2.2: Berechnungsbeispiel »Ausprägung der Selbständigkeit« – Einzelpunkte im Modul 1 »Mobilität«

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Wesentlicher Bestandteil des Begutachtungssystems ist in einem zweiten Schritt die Umrechnung der Summe der Einzelpunkte je Modul in gewichtete Punkte, sodass die gewichteten Punkte für die 6 Module in Addition einen Gesamtpunktwert bilden, welcher für die Einstufung in einen Pflegegrad dient (Images Tab. 2.3). Dabei sind alle Zahlen und Angaben (mit Ausnahme der Angaben in der Spalte »Beispielrechnung«) konkrete Vorgaben des NBA, welche seit Januar 2017 im Rahmen einer jeden Begutachtung in dieser Ausgestaltung zugrunde gelegt werden.

ModuleGewichtung0 Keine1 Geringe2 Erhebliche3 Schwere4 SchwersteBeispielrechnung

Tab. 2.3: Bewertungssystematik zur Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit

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PflegegradSelbstständigkeit/FähigkeitenGesamtpunktezahl

Tab. 2.4: Bestimmung des Grads der Pflegebedürftigkeit

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Die »Beispielrechnung« in Tabelle 2.3 zeigt – anhand einer je Modul fiktiv vorgegebenen Gesamteinzelpunktzahl - eine beispielhafte Umrechnung von Einzelpunkten in gewichtete Punkte und schließlich die Ermittlung eines Pflegegrads.

Im fiktiven Berechnungsbeispiel hat die begutachtete Person dabei im Modul 1 in der Summe 10 Einzelpunkte und somit entsprechend der Vorgaben für das Modul »Mobilität« 10 gewichtete Punkte erreicht.

Bei Betrachtung der Module 2 und 3 hat diese Person in der Summe beispielhaft 17 und 6 Einzelpunkte erlangt. Da lediglich der Höchstwert aus Modul 2 oder Modul 3 in die Bewertung einfließt, wird im Rahmen der Begutachtung aufgrund der 17 Einzelpunkte in Modul 2 (höherer Wert) eine gewichtete Punktzahl von 15 berücksichtigt.

Diese Umrechnungsmethode fortgesetzt, wird im fiktiven Berechnungsbeispiel ein Gesamtpunktwert von 55 ermittelt, wodurch die begutachtete Person – unter Anwendung der nachfolgenden Übersicht (Images Tab. 2.4) – in Pflegegrad 3 eingestuft würde.

Durch diese Systematik soll eine angemessene bzw. verhältnismäßige Berücksichtigung der verschiedenen Beeinträchtigungen und letztlich auch eine angemessene Einstufung sichergestellt werden.

 

2.3       Die leistungsrechtliche Ausgestaltung

 

Bisher haben ambulant versorgte Pflegebedürftige in den Pflegestufen 1 und 2 deutlich weniger Leistungen erhalten als in der vollstationären Pflege. Die neuen Leistungsbudgets (Images Tab. 2.5) spiegeln dagegen den Grundsatz »ambulant vor stationär« wider, denn durch die leistungsrechtliche Ausgestaltung wird eine fast gleiche Finanzierung der Leistungen für ambulant und stationär geschaffen.

Sachleistungen § 36 SGB XIPflegestufe 1Pflegestufe 2Pflegestufe 3Härtefall

Tab. 2.5: Leistungen ambulant und stationär in den Jahren 2015 und 2017.

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Im Detail bringt das PSG II jedoch aufgrund der Umrechnungssystematik, insbesondere unter Berücksichtigung der »Stufensprung-Regelungen« sowie der vielseitigen Bestandsschutzregelungen, mitunter erhebliche Steigerungen der Leistungsbudgets mit sich. Lediglich die Absenkungen in den Pflegegraden 2 und 3 in der vollstationären Pflege stellen für Pflegebedürftige, die erstmalig ab dem 1. Januar 2017 Leistungen beziehen, ein finanzielles Problem dar.

LeistungsartenPflegegrad 1Pflegegrad 2Pflegegrad 3Pflegegrad 4Pflegegrad 5

Tab. 2.6: Die Leistungshöhen seit 1. Januar 2017 im Überblick5

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Tabelle 2.6 zeigt die neuen Leistungshöhen seit Januar 2017 in der Übersicht. Der neue Pflegegrad 1 hat somit eine Sonderrolle, da Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 vor allem einen Hilfe- und Unterstützungsbedarf bei somatischen Beeinträchtigungen haben. Die Leistungen sind daher vorrangig auf den Erhalt und/oder die Wiederherstellung der Selbstständigkeit sowie die Sicherstellung der häuslichen Versorgung ausgerichtet.

2.3.1     Heimbedürftigkeit und zusätzliche Betreuungskräfte i. S. d. § 87b SGB XI

Neben der Feststellung der Pflegestufe war bis zum PSG II auch die sogenannte Heimnotwendigkeit Voraussetzung für einen leistungsrechtlichen Anspruch nach § 43 SGB XI. Im Falle einer fehlenden Heimnotwendigkeit bestand leidglich ein Anspruch auf den entsprechenden ambulanten Sachleistungsbetrag, wenngleich dieser oftmals für die Finanzierung der Heimunterbringung nicht ausreichend war. Im Rahmen des PSG II ist diese »Abschlagsregelung« aufgehoben worden, was die Frage nach der Heimnotwendigkeit ab dem 1. Januar obsolet werden lässt.

Nach den durch das PSG II eingetretenen Änderungen wurde auch § 87b SGB XI zum 1. Januar 2017 aus dem Gesetz gestrichen, allerdings sind im Zuge dessen nicht die zusätzlichen Betreuungsleistungen entfallen – diese sind jetzt in § 43b SGB XI geregelt. Die Pflegebedürftigen haben danach einen Anspruch auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung, die über die nach Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit notwendige Versorgung hinausgeht. Aus der bisher freiwilligen Leistung wird also ein leistungsrechtlicher Individualanspruch des Pflegebedürftigen und somit eine Pflichtleistung, die die Einrichtungen anbieten müssen. Dies gilt für alle vollstationären Einrichtungen sowie im Bereich der Tages- und Nachtpflege. Dabei gilt, dass bisherige Vereinbarungen nach § 87b SGB XI fortgelten und ihre Gültigkeit behalten. Darüber hinaus bleibt das Abrechnungsverfahren bestehen, wobei neben der Pflegesatzvereinbarung ein separater Vergütungszuschlag zur Finanzierung des zusätzlichen Betreuungspersonals zu vereinbaren ist.

 

2.4       Übergangsregelungen und Bestandsschutz

 

Die grundlegenden Neuerungen im Rahmen der Pflegereform erforderten (einmalige) Überleitungsregelungen, die eine adäquate Umsetzung dieser Neuerungen gewährleisten sollten. Diese Überleitungsregelungen (und insbesondere die Regelungen zum Übergang der vereinbarten Pflegesätze, Images Abschnitt 2.5) fanden infolgedessen lediglich im Rahmen der Umstellung Anwendung und dienen nach dem 1. Januar 2017 in erster Linie der Darstellung der historischen Entwicklung und darüber hinaus als Grundlage für etwaige Bestandsschutzregelungen sowie mögliche Entwicklungen und Veränderungen. Insbesondere mit Blick auf das zukünftige »Pflegegradmanagement« sowie bevorstehende Pflegesatzverhandlungen spielen die Übergangsregelungen rückblickend eine wichtige Rolle.

2.4.1     Übergang für Leistungsbezieher im Jahr 2016

Durch die Neuerung und Umstellung der sozialen Pflegeversicherung zum 1. Januar 2017 entstehende Benachteiligungen sollten durch sogenannte Überleitungsregelungen möglichst ausgeschlossen werden.

Durch diese Überleitungsregelungen sollte der Grundsatz verwirklicht werden, dass eine im Jahr 2016 bereits pflegebedürftige und leistungsbeziehende Person nicht zum 1. Januar 2017 schlechter gestellt wird. Die Regelungen des § 140 SGB XI (2017) hinsichtlich der Überleitung bisheriger Leistungsbezieher sollten daher nicht nur sicherstellen, dass nach der Umstellung auf das neue Recht kein geringerer Leistungsanspruch besteht, sondern auch, dass vor allem Menschen mit einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz zum 1. Januar 2017 deutlich besser stehen.

Bezog eine pflegebedürftige Person also bereits im Jahr 2016 Leistungen der Pflegeversicherung, wurde diese automatisch und ohne einen neuen Antrag auf Begutachtung per Gesetz aus einer Pflegestufe in einen Pflegegrad übergeleitet. Pflegebedürftige mit lediglich körperlichen Einschränkungen wurden dabei durch einen »einfachen Stufensprung« in den nächsthöheren Pflegegrad, Menschen mit zusätzlichen geistigen Einschränkungen (eingeschränkter Alltagskompetenz) dagegen durch einen »doppelten Stufensprung« in den übernächsten Pflegegrad übergeleitet, um so eine »Gleichstellung« aller pflegebedürftigen Menschen zu verwirklichen.

Zur Gewährleistung einer fortlaufenden Vermeidung der Schlechterstellung, auch nach dem 1. Januar 2017, kann eine pflegebedürftige Person auf Wunsch in dem Pflegegrad verbleiben, welcher sich aus der dargestellten Überleitung ergeben hat. Voraussetzung ist, dass im Rahmen einer erneuten Begutachtung keine Anhebung oder die komplette Versagung der Pflegebedürftigkeit festgestellt wird. Eine Herabstufung des aus der Überleitung ermittelten Pflegegrades ist somit nach dem 1. Januar 2017 grundsätzlich nicht möglich.

2.4.2     Bestandsschutz in der stationären Pflege

Die im Rahmen des PSG II verfolgte Stärkung des ambulanten Bereiches bringt mit sich, dass nicht aus allen Überleitungskonstellationen erhöhte Leistungsbudgets, sondern auch Leistungseinbußen resultieren. Dies liegt zum einen an zum Teil reduzierten Leistungsbeträgen (z. B. Pflegegrad 2) und zum anderen an dem sogenannten einrichtungseinheitlichen Eigenanteil, welcher in seiner Berechnung die Leistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt und letztlich als Bestandteil des zu zahlenden Entgelts einen Teil der finanziellen (Eigen-)Belastung des Pflegebedürftigen darstellt.