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Management Know-how für die Praxis

 

Herausgegeben von Helmut Kohlert

Marcus Disselkamp

Innovationen und Veränderungen

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-031560-0

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-031561-7

epub:   ISBN 978-3-17-031562-4

mobi:   ISBN 978-3-17-031563-1

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Inhaltsverzeichnis

 

 

  1. 1 Innovationsmanagement
  2. 1.1 Grundlagen des Innovationsmanagements
  3. 1.1.1 Gründe für Innovationen
  4. 1.1.2 Arten von Innovationen
  5. 1.1.2.1 Produktinnovationen
  6. 1.1.2.2 Prozessinnovationen
  7. 1.1.2.3 Marktinnovationen
  8. 1.1.2.4 Geschäftsmodellinnovation
  9. 1.1.2.5 Organisatorische Innovationen
  10. 1.1.3 Quellen für Innovationen
  11. 1.1.4 Prozess des Innovationsmanagements
  12. 1.2 Initiative
  13. 1.2.1 Wollen, Dürfen, Können, Machen
  14. 1.2.2 Innovationsbereitschaft (»Wollen«)
  15. 1.2.3 Visionen als Basis für Innovationen
  16. 1.2.4 Innovationsstrategien
  17. 1.2.5 Innovationsziele
  18. 1.2.6 Innovationsfreiräume (Dürfen)
  19. 1.2.6.1 Unternehmenskultur
  20. 1.2.6.2 Unternehmensstruktur
  21. 1.2.6.3 Innovationsfreiräume
  22. 1.2.7 Innovationsfähigkeit (»Können«)
  23. 1.2.8 Innovationsmanagement (»Machen«)
  24. 1.3 Ideenmanagement
  25. 1.3.1 Beobachtung
  26. 1.3.1.1 Empathiekarte
  27. 1.3.1.2 Muda Canvas
  28. 1.3.1.3 SWOT-Analyse
  29. 1.3.1.4 PESTEL-Analyse
  30. 1.3.2 Verstehen
  31. 1.3.3 Kundenverhalten und Kundenbedürfnisse
  32. 1.3.3.1 Customer Journey
  33. 1.3.3.2 Customer Experience
  34. 1.3.3.3 Pain- und Gainspotting
  35. 1.3.3.4 USP (Unique Selling Proposition)-Analyse
  36. 1.3.3.5 Corporate Management Canvas (CMC)
  37. 1.3.4 Anforderungskatalog
  38. 1.3.5 Kreativität
  39. 1.3.6 Kreativitätstechniken für einzelne Personen
  40. 1.3.6.1 Mindmapping
  41. 1.3.6.2 Perspektivenwechsel
  42. 1.3.6.3 Umkehrmethode – Provokationstechniken
  43. 1.3.6.4 Walt Disney-Methode
  44. 1.3.6.5 M.A.R.K.E.T.-Methode und frühere Checklisten
  45. 1.3.6.6 TWOS-Analyse
  46. 1.3.6.7 Morphologischer Kasten
  47. 1.3.6.8 Analogien
  48. 1.3.7 Kreativitätstechniken im Team
  49. 1.3.7.1 Brainstorming
  50. 1.3.7.2 Brainwriting
  51. 1.3.7.3 Wargaming
  52. 1.3.7.4 Hutwechselmethode
  53. 1.3.8 Moderationstechniken
  54. 1.3.8.1 Gruppenkonferenzen
  55. 1.3.8.2 Innovation-Canvas
  56. 1.3.9 Priorität
  57. 1.3.9.1 Strukturierung
  58. 1.3.9.2 Nutzen-Machbarkeits-Matrix
  59. 1.3.9.3 Innovation Scorecard
  60. 1.3.9.4 Projektbeschreibung
  61. 1.4 Implementierung
  62. 1.4.1 Prototyp
  63. 1.4.2 Test
  64. 1.4.3 Korrekturen und Überarbeitungen
  65. 1.4.4 Roll-out-Management
  66. 1.4.4.1 Markteinführung
  67. 1.4.4.2 Abnahme und Anerkennung
  68. 1.4.4.3 Reflexion und Weiterentwicklung
  69. 1.4.4.4 Sicherung und Dokumentation
  70. 2 Veränderungsmanagement (Change Management)
  71. 2.1 Psychologie der Veränderung
  72. 2.1.1 Phasen von Veränderungsprozessen
  73. 2.1.2 Barrieren gegen Innovationen
  74. 2.1.2.1 Ökonomische Barrieren
  75. 2.1.2.2 Technische Barrieren
  76. 2.1.2.3 Emotionale Barrieren
  77. 2.1.3 Widerstandsmuster
  78. 2.2 Initiative
  79. 2.2.1 Erfolgsfaktoren für Veränderungen
  80. 2.2.1.1 Collaboration
  81. 2.2.1.2 Continuity
  82. 2.2.1.3 Consequence
  83. 2.2.1.4 Commitment
  84. 2.2.2 Rollen im Veränderungsmanagement
  85. 2.2.2.1 Machtpromotor
  86. 2.2.2.2 Prozesspromotor
  87. 2.2.2.3 Fachpromotoren
  88. 2.3 Implementierung
  89. 2.3.1 Sensibilisierung (Unfreezing)
  90. 2.3.1.1 Gefühl der Dringlichkeit vermitteln
  91. 2.3.1.2 Verständnis für die Betroffenen entwickeln
  92. 2.3.2 Veränderung (Moving)
  93. 2.3.2.1 Einbindung aller Betroffenen
  94. 2.3.2.2 Hindernisse aus dem Weg räumen
  95. 2.3.3 Wandel ohne Ende (Refreezing)
  96. 3 Anhang
  97. 3.1 Vorlagen
  98. 3.1.1 TWOS-Analyse
  99. 3.1.2 M.A.R.K.E.T.
  100. 3.1.3 Muda Canvas
  101. 3.1.4 Dringlichkeits-Scorecard
  102. 3.1.5 Soziale Kompetenzen Scorecard
  103. 3.1.6 4C Scorecard
  104. 3.2 Über den Autor
  105. 3.3 Literatur
  106. 3.4 Stichwortverzeichnis

 

1          Innovationsmanagement

 

 

In der Unternehmensführung gibt es nur zwei Strategien, die einer Firma langfristig das Überleben sichern. Entweder ein Unternehmen ist Kostenführer oder es ist Nutzenführer. Die Wahl heißt also »Aldi« oder »Red Bull«. Man ist so günstig in seinen Leistungsprozessen und Strukturen, dass man selbst bei niedrigen Preisen gute Renditen erwirtschaftet. Oder man bietet als Nutzenführer seinen Kunden qualitative und/oder emotionale Mehrwerte, für die diese freiwillig einen Preisaufschlag akzeptieren.

Wer jedoch weder reale Kosten- noch Nutzenvorteile bietet, befindet sich im Sumpf der Vergleich- und Austauschbarkeit. Im Sumpf bleibt zudem auch jener, der zwar Vorteile und Mehrwerte anbieten könnte, diese aber gar nicht erkennt oder nicht erfolgreich seinem Kunden vermittelt. Berühmte Beispiele sind das Fax oder das Musikformat MP3. Beide wurden von deutschen Tüftlern erfunden, doch andere machten damit ihre Gewinne.

Kosten- und Nutzenvorteile resultieren aus regelmäßigen Innovationen. Innovationen sind eine zentrale Basis für die Wettbewerbsfähigkeit nicht nur von Unternehmen, sondern generell für Organisationen, Teams und Personen. Wer als Abteilung oder Projektteam dem Auftraggeber keine Kosten- oder Nutzenvorteile bietet, hat langfristig keine Existenzgrundlage. Das gleiche gilt für Arbeitnehmer, externe Dienstleister oder gemeinnützige Organisationen. Sie alle benötigen eine laufende (innovative) Weiterentwicklung, um sich nicht im Sumpf der Vergleich- und Austauschbarkeit wiederzufinden.

Doch die Kosten- und Nutzenvorteile von heute sind morgen schnell verloren. Der globale Markt und die Verfügbarkeit von Informationen in Echtzeit gibt dem Wettbewerb die Chance, schnell die aktuellen Wettbewerbsvorteile eines Anbieters zu analysieren, zu kopieren und – noch besser – weiter zu entwickeln. Unternehmen brauchen dementsprechend immer wieder Innovationen, um langfristig zu überleben! Häufig jedoch scheitert dies an fehlenden Strategien, an kurzfristigem Denken oder an Ignoranz.

Die Erfolgsfaktoren für Innovationen lassen sich mit vier Verben beschreiben: Wollen, dürfen, können und machen. Wenn Innovationen nicht vom Management und den Mitarbeitern gewollt werden, finden sie nicht statt. Mitarbeiter müssen innovativ sein dürfen. Dazu brauchen sie Strukturen und eine Unternehmenskultur, die ihnen genügend Freiräume lässt. Innovationen sind eine Frage des Könnens, der Fähigkeiten und konkreten Methoden und Instrumente. Kreativitätstechniken lassen sich ebenso erlernen wie klassische oder agile Projekt- oder Change Management-Tools. Schließlich bringt jede Idee wenig, wenn man sie nicht in eine Innovation umsetzt. Die nötige Motivation zum »Machen« bieten Anreizsysteme und Führungskräfte, die Mitarbeitern Perspektiven aufzeigen können, wenn sie sich mit ihren Ideen für das Unternehmen einsetzen.

Innovationen bedeuten Veränderungen! Neue Wege in den Prozessen, der Organisation aber auch neuartige Produkte, Märkte und Geschäftsmodelle führen meistens zu Veränderungen bestehender Strukturen, in Abläufen und Sortimenten. Veränderungen wecken aber nicht nur Sympathien bei den Beteiligten. Es entwickeln sich Sorgen, Ängste und Barrieren gegen die Veränderungen und somit gegen die erfolgreiche Umsetzung von Innovationen.

Dieses Buch bietet nicht nur einen guten Überblick über die unterschiedlichen Aspekte und Herausforderungen von Innovationen, sondern auch einen erstmaligen Bezug zwischen dem Management von Innovationen und Veränderungen. Es beschreibt moderne Methoden des agilen Managements unter Verweis auf ihre historischen Ursprünge und entwickelt eigene neue Techniken und Tools. So wird das Konzept der Innovation-Scorecard ausführlicher als in früheren Publikationen des Autors behandelt, sein Fit for Market-Innovationsprozess vom agilen Projektmanagement und Design Thinking inspiriert und die Corporate Management Canvas basierend auf der bekannten Business Model Canvas entwickelt. All diese Techniken haben sich bereits in vielen Workshops und Seminaren erfolgreich bewiesen.

Frei nach der Kreativitätsregel des Brainstormings werden in diesem Buch vorhandene Modelle, Methoden und Techniken aufgegriffen, erläutert und mit neuen Gedanken und Anregungen verknüpft. Es geht nicht um die Frage, wer die beste Idee oder wer die Idee zuerst hatte, sondern um die Auffindung einer optimalen Methodik für das Innovations- und Veränderungsmanagement.

Innovativ zu sein ist grundsätzlich gar nicht so schwer. Man muss es nur wollen und das dann konsequent durchziehen! Dieses Buch möchten Ihnen, sehr geehrte Leserin und sehr geehrter Leser, konkrete Anregungen und einfache Methoden aufzeigen, damit Sie in Ihrem beruflichen und privaten Umfeld innovativ sein können.

1.1       Grundlagen des Innovationsmanagements

Innovation bestimmt unser Leben. Die Suche nach dem Besseren zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit. Nur wem es immer wieder gelingt, sich von Neuem zu reproduzieren und neue Wettbewerbsvorteile zu gewinnen, wird langfristig überleben können. Dies gilt sowohl für die Fauna, Tierwelt, aber auch für Unternehmen, Organisationen, Teams, Beschäftigte sowie für Kommunen und ganze Staaten.

Schon Joseph Schumpeter sprach in seinem Klassiker »Die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung« aus dem Jahr 1911 von innovationsorientierten Unternehmern. Der Unternehmer sucht nach Wandel, er reagiert auf Wandel und nutzt diesen als Chance. Durch neuartige Kombinationen von Fähigkeiten und Leistungen werden neue Kundennutzen gestiftet und Alleinstellungsmerkmale erzielt. Der amerikanische Nobelpreisträger Robert Solow formulierte im Jahr 1956, dass rund 88 Prozent des Wirtschaftswachstums durch Innovationen erzeugt werden. Sicherlich kann man sich über den genauen Prozentsatz streiten, doch gelten allgemein Innovationen als Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.

Im Grunde wollen alle Menschen Innovationen. Niemand will als Innovationsbremser gelten. Der Begriff »Innovation« ist jedoch abgenutzt. Er wird oft als Modebegriff oder für kaum veränderte Produkte missbraucht. In manchen Firmen ist das Recht, innovativ zu sein, ein Vorrecht der Abteilung Forschung & Entwicklung, des Chief Digital Officers (CDO) oder der Unternehmensführung. Das Vorantreiben von Innovationen scheitert an internen Strukturen, fehlenden Budgets, Mutlosigkeit oder an dem fehlenden Wissen um die Instrumente des Innovationsmanagements.

Innovationen sind keine Glücksfälle. Sie resultieren meistens aus einem systematischen Prozess, der erlern- und steuerbar ist. Peter Drucker bezeichnete schon 1986 das Innovationsmanagement als eine erlernbare Fachdisziplin. Unternehmen müssen Innovationsquellen und Ideen gezielt aufspüren und gleichzeitig die Prinzipien eines methodischen Innovationsmanagements kennen und umsetzen.

Die Erkenntnis, dass Innovationen von großer Bedeutung sind, ist also nicht neu. Jeder Wirtschaftsstudent lernt dies in seinem Studium. Gerade große Organisationen haben aber in der Realität Schwierigkeiten mit der Verwirklichung von Innovationsfreiräumen. Im besten Fall konzentriert man sich lieber auf die Perfektionierung bestehender Produkte und Prozesse anstatt auf die Entwicklung neuer Lösungen für sich ändernde Kundenbedürfnisse und Wettbewerbseinflüsse. Im schlimmsten Fall beschäftigen sich große Firmen nur mit sich selbst und lassen den innovativen Wettbewerb (z. B. Start-ups) an sich vorbeiziehen. Es gilt das Motto: Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.

Eine solche Trägheit konnte man früher noch überleben. Doch aktuelle Entwicklungen wie die Digitalisierung oder die finanziellen Mittel der Start-ups, ändern dies gerade! Dank sich immer weiter entwickelnder technologischer Produkt- und Prozessinnovationen, von jungen Unternehmen initiierten neuen Geschäftsmodellen oder von jungen Mitarbeitergenerationen geforderter Führungskonzepte, kann man sich heute nicht mehr im Sumpf der Vergleichbarkeit verstecken.

All diese Trends eröffnen auch neue Chancen. So kann heute ein Unternehmen im Idealfall auf einen Schlag sowohl Kosten- und Nutzenführer werden. Disruptive Innovationen sind auf einmal viel leichter zu realisieren, als es noch vor Jahren möglich war.

1.1.1     Gründe für Innovationen

Innovationen sind eine Voraussetzung für die langfristige Überlebensfähigkeit eines Unternehmens, für die Sicherung der Arbeitsplätze und des Kapitals der Gesellschafter. Dies lässt sich mit den beiden zentralen Wettbewerbsstrategien von Unternehmen, die des Kosten- und/oder Nutzenführers verdeutlichen.

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Abb. 1: Wettbewerbsstrategien

Hinweis: Wettbewerbsstrategien von Michael Porter

Die Strategien der Kosten-/Nutzenführerschaft entsprechen einer Weiterentwicklung der weltbekannten Wettbewerbsstrategien von Michael Porter. Schon 1985 formulierte er in seinem richtungsweisenden Werk »Competitive Advantage« seine drei generischen Wettbewerbsstrategien der Segmentierung, der Differenzierung und der Kostenführerschaft, zusammen mit der Wertkette (Value Chain und der fünf Wettbewerbskräfte anhand des Fünf-Kräfte-Modells »Five Forces« (siehe Porter M., 1985, S. 11 ff.). Mit dem Begriff der »Nutzenführerschaft« möchte der Autor dieser Publikation den Ansatz der »Differenzierung« konkretisieren und weiterentwickeln.

Kostenführer generieren ihre überdurchschnittlichen Renditen durch signifikante Kostenvorteile. Selbst bei geringen Preisen realisieren sie noch hohe Margen. Kostenführer nutzen alle möglichen Rationalisierungsmaßnahmen im Produkt- und Leistungsangebot, in der Fertigung und in allen Geschäftsprozessen, reduzieren unnötige Schnittstellen und standardisieren ihre Leistungen und Systeme.

Nutzenführer unterscheiden sich von Kostenführern durch ihre hohe Qualität, ein größeres Angebot (Sortiment), vermehrten Service und den gezielten Einsatz von Emotionen. Nutzenführer bieten etwas Besonderes, wofür der Kunde gerne bereit ist, tiefer in die Tasche zu greifen. Sie beklagen nicht den irrationalen Kunden, der nicht bereit ist, für Qualität auch die entsprechende Summe auszugeben. Nutzenführer orientieren sich an den tatsächlichen Werten und Erwartungen ihrer Abnehmer.

Wichtig: Sumpf der Vergleich- und Austauschbarkeit

Unternehmen, die weder Kosten- noch Nutzenführer sind, laufen Gefahr sich im Sumpf der Vergleich- und Austauschbarkeit wiederzufinden und damit wirtschaftlich zu scheitern!

Unternehmen, die weder Kosten- noch Nutzenführer sind, laufen Gefahr sich im Sumpf der Vergleich- und Austauschbarkeit wieder zu finden. Sie repräsentieren den Durchschnitt, habe eine niedrige oder sogar negative Rentabilität und können sich nur noch durch preisaggressive Verkaufsstrategien vermarkten. Dies gefährdet langfristig ihre unternehmerische Existenz. Nur Kosten- und/oder Nutzenführer realisieren langfristig eine ausreichende Rentabilität (Gewinne). Umgekehrt reduzieren verlustreiche Unternehmen das eingesetzte Kapital (Eigenkapital) und damit ihre finanziellen Sicherheiten. Dies kann zu einer Überschuldung des Unternehmens, zur Insolvenz und zum Verlust von Arbeitsplätzen führen. Kosten- und Nutzenführer benötigen Alleinstellungsmerkmale, sonst verlieren sie ihre führende Position. Die Alleinstellung liegt in den unterschiedlichsten Aspekten begründet wie Kostenersparnis, Zeitgewinn, Servicevorteil, Informationsgewinn, Sicherheitsgewinn bzw. Risikoreduzierung, Prestige- oder Unabhängigkeitsgewinn. Kommt zu den qualitativen und quantitativen Vorteilen auch ein emotionaler Nutzen, so verliert der Preis bei der Kaufentscheidung an Bedeutung. Umgekehrt spielt der Preis bei der Kaufentscheidung eine umso größere Rolle, je weniger kundenspezifische Alleinstellungsmerkmale das Produkt hat.

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Abb. 2: Alleinstellung versus Preiswettbewerb

Für die Position des Kosten- und/oder Nutzenführers bedarf es der Innovation. Nur die planvolle und zielgerichtete Weiterentwicklung von Verfahrensweisen (Prozessen), Strukturen, Produkten, Dienstleistungen oder des eigenen Geschäftsmodells garantiert einem Unternehmen, immer wieder als Kostenführer günstiger als der Wettbewerb oder als Nutzenführer Anbieter qualitativer und/oder emotionaler Mehrwerte zu sein.

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Abb. 3: Innovationen zur Kosten- bzw. Nutzenführerschaft

Nur wenige Firmen schafften es in der Vergangenheit, die beiden Strategien der Kosten- bzw. Nutzenführerschaft gleichzeitig realisieren zu können. Diese besonderen Champions starteten meist als Kostenführer, um dann aufgrund der dennoch hohen Qualität bzw. Emotionalität auch Nutzenführer zu werden. Firmen wie Aldi, Motel One oder Engelbert-Strauss haben diesen Sprung vom Kosten- zum gleichzeitigen Nutzenführer (zumindest für einige Zeit) geschafft.

Aktuelle Entwicklungen, wie z. B. der Digitalisierung, ändern dies gerade! Dank sich immer weiter entwickelten technologischer Produkt- und Prozessinnovationen kann ein Unternehmen auf einem Schlag Kosten- und Nutzenführer werden.

Beispiel: Simultane Kosten- und Nutzenführer

Aktuell zeigt dies das Speedfactory Projekt von Adidas. Zusammen mit dem Mittelständler Oechsler Motion GmbH betreibt Adidas seit Dezember 2015 im fränkischen Ansbach die adidas Speedfactory. Etwa 160 Angestellte sollen auf einer Fläche von 4.600 m2 jährlich eine halbe Millionen Schuhe produzieren (weltweiter Jahresabsatz 300 Mio. Schuhe). Die kommerzielle Serienproduktion nutzt dabei auch die 3D-Drucker-Technik: Während eine Strickmaschine zunächst den Stoff für die Oberfläche der Schuhe herstellt, der dann von einem Laser zugeschnitten wird, erfolgt die Sohlen-Produktion aus dem 3D-Drucker. Eine weitere Maschine schweißt dann Oberteil und Sohle zusammen (www.adidas-group.com). Mehrere Kosten- und Nutzenvorteile kann dieses Verfahren bieten: Erstens sind für die Produktion kaum noch Mitarbeiter nötig, zweitens erfolgt ein Abbau von Lagerkapazitäten, da die Fertigung erst nach Auftragseingang erfolgt, und drittens erlaubt die hoch automatisierte, zeitnahe Produktion die Herstellung personalisierter Modelle – ganz im Sinne der Mass Customization.

Gerade für den deutschen Mittelstand ergeben sich durch die Verbindung von Industrie 4.0 und modernen Produktionstechniken wie 3D-Druck erhebliche Potenziale, um simultan Kosten- und Nutzenführer zu werden. Nicht nur überkommene Produktionstechniken werden dabei modernisiert und der Standort Deutschland gewinnt für die Produktion wieder an Bedeutung. Vielmehr entstehen bisher ungeahnte Möglichkeiten für neue Leistungen und Geschäftsmodelle sowie zur Erschließung neuer Märkte. Mit seiner bekannten Innovationskraft und Umsetzungsstärke kann insbesondere der deutsche Mittelstand von dieser Entwicklung profitieren. Denn es braucht weniger Größe, sondern vielmehr den Willen und die Flexibilität, um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.

Hinweis: Wettbewerbsfähigkeit, Innovationen und Digitalisierung

Basierend auf dem sog. MIT Sloan Digital Business Model beschreibt Thorsten Petry in seinem Buch »Digital Leadership« die folgenden Digitalstrategien (Petry T., 2016, S. 51 ff.), die mehrfach zu den bisherigen Aussagen dieses Buches passen: auf die oben skizzierten Wettbewerbsstrategien »Kostenführer« oder »Nutzenführer«, auf die verschiedenen Formen der später noch ausführlicher diskutierten Innovationsarten (Produkt-, Prozess-, Markt-, Geschäftsmodell- und Organisationsinnovationen) sowie auf die Möglichkeiten einer gleichzeitigen Positionierung als Kosten- und Nutzenführer.

Demnach kann die Digitalstrategie eines Unternehmens primär intern und/oder extern positioniert werden. Bei einer primär externen Ausrichtung orientiert sich das Unternehmen bei seinen Digitalisierungsaktivitäten am Kunden, seinem Nutzen, seinen sich verändernden Bedürfnissen und der sog. Customer Journey. Bei einem primär intern ausgerichteten Fokus auf operationale Exzellenz dominieren Prozess-, Kosten-, Ressourcen- und Qualitätsoptimierung. Unternehmen können aber auch den internen Fokus mit dem externen Fokus kombinieren und durch die Nutzung der Chancen der Digitalisierung und Vernetzung neue Geschäftsmodelle initiieren.

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Abb. 4: Digitalstrategien

Aktuelle Beispiele neuer Geschäftsmodelle sind z. B. das Carsharing System von DriveNow, der Wettbewerber des klassischen Hotelmarktes AirBnB oder der chipgesteuerte Thermomix von Vorwerk. Digitalisierung oder 3D-Druck sind nicht die einzigen Trends, die Chancen und Risiken für unternehmerische Innovationen eröffnen. Zur Prüfung der Innovationsrelevanz verschiedener Trends aus der Unternehmensumwelt kann die PESTEL-Analyse (image Kap. 1.3.1.4) herangezogen werden.

1.1.2     Arten von Innovationen

Innovationen sind erfolgreich umgesetzte Ideen mit einem merklichen Unterschied zu den vorherigen Lösungen, der von den Abnehmern aufgrund eines neuen Nutzens geschätzt und honoriert wird! Schon im lateinischen Ursprung bedeutet das Wort »innovatio« nicht nur »Erneuerung«, sondern auch »sich Neuem hingeben«. Innovationen müssen nämlich nicht unbedingt etwas vollständig Neues sein, sondern können auch lediglich eine sinnvolle Weiterentwicklung oder die Wiederaufnahme eines alten Gedankens darstellen!

Eine solche Aussage steht aber im Widerspruch zu vielen öffentlichen Definitionen, die Innovation stets als etwas vollkommen Neues bezeichnen. Neue Produkte, neue Verfahren, neue Vertragsformen, neue Vertriebswege oder neue Werbeaussagen – häufig wird der Aspekt der Neuerung in den Vordergrund gestellt. Dies ist aber nur zum Teil richtig. Innovationen können auch alte Ideen sein, die zum jetzigen Zeitpunkt ihre ersten Chancen auf Erfolg haben. Entscheidend ist, dass die Innovation einen Vorteil für eine Anwendergruppe (z. B. Kunden, Mitarbeiter oder Aktionäre) haben und diese den Vorteil auch finanziell honorieren.

Die drei wichtigsten Eigenschaften einer Innovation sind demnach:

•  Realisation: Innovation sind erfolgreich umgesetzte Ideen.

•  Originalität: qualitativ neuartige Lösungen mit merklicher Unterscheidung.

•  Anwendernutzen: werden von Zielgruppe als nützlich anerkannt und entsprechend honoriert.

Diese Zusammenhänge verdeutlicht Abbildung 5.

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Abb. 5: Charakteristika einer Innovation

Innovationen basieren stets auf Ideen. Eine Idee ist ein plötzlicher Einfall oder Plan, eine Vorstellung, ein Grundsatz, eine Einstellung oder sogar eine Philosophie. Ideen sind zwar plötzliche Einfälle, doch können sie auch auf alten Einfällen und längst vorhandenen Erkenntnissen und Erfahrungen basieren. Was früher schon angedacht wurde, aber aus bestimmten Gründen verworfen wurde, dessen Zeit kann nun gekommen sein. Wichtig ist nur, dass die Idee jetzt erfolgreich umgesetzt.

Innovationen weisen eine Originalität auf. Man muss kein Pionier sein, aber der Anwender muss die Innovation als neuartig empfinden, selbst wenn die Grundidee hinter der Innovation schon sehr alt ist. Viele heutige Innovationen basieren auf alten Grundideen, wie beispielsweise die E-Mobilität, Big Data oder die Innovationen vieler Start-ups. Sie schaffen es aber, durch Modifikationen und Weiterentwicklungen neuartig zu erscheinen.

Ohne Nutzenvorteil für die Anwender ist eine Innovation keine Innovation, es besteht sogar die Gefahr, dass ein wirtschaftlicher Flop entsteht. Innovationen bieten hingegen Vorteile bei der Verwendung, Qualität, Preis, Schnelligkeit, Größe, Gewicht, Service, Risiko oder Emotionen. Aber nicht jede Innovation muss eine dramatische Neuerung sein!

Innovationen bestehen nicht nur aus neuartigen Produkten. Vielmehr lassen sich Innovationen in die fünf Arten der Produkt-, Prozess-, Markt-, Geschäftsmodell- und Organisationsinnovationen unterscheiden. Die einzelnen Innovationsarten sind dabei miteinander kombinierbar und können Interdependenzen darstellen. Denn so repräsentieren Geschäftsmodellinnovationen meistens neue Lösungen (Produkte) mit neuen Geschäftsprozessen und nicht selten auch neue Märkte.

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Abb. 6: Innovationsarten

Hinweis: Die Produkt-Markt-Matrix

Die fünf Innovationsarten und ihre jeweiligen wirtschaftlichen Bedeutungen korrespondieren gut mit den Wachstumsstrategien von Harry Igor Ansoff, die er in der bekannten Produkt-Markt-Matrix aus dem Jahr 1957 zusammengefasst hat (Ansoff H.I., 1957, S. 113 ff.).

Die Produktinnovation entspricht der Wachstumsstrategie der Produktentwicklung mit dem Etablieren neuer Produkte in etablierten Märkten. Die Marktinnovation, die bei Ansoff als Marktentwicklung bezeichnet wird, zielt auf die Eroberung neuer (Teil-)Märkte mit bestehenden Produkten. Kombiniert man Produkt- und Marktinnovationen eröffnet sich die Strategie der Diversifikation, also der Entwicklung in neue Märkte mit neuen Produkten im Rahmen neuer Geschäftsmodelle. Möchte man mit seinen etablierten Produkten in bestehenden Märkten wachsen, so benötigt man Prozessinnovationen (z. B. zwecks Kostenreduktion) zur Marktdurchdringung.

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Abb. 7: Produkt-Markt-Matrix

1.1.2.1   Produktinnovationen

Produktinnovationen sind neue und verbesserte Produkte, die von den Kunden als nützlich anerkannt und dementsprechend gekauft werden. Bei Produkten handelt es sich nicht nur um Waren, sondern auch um Dienstleistungen. Denn gerade in der heutigen Zeit entscheiden häufig erst die ergänzenden Leistungen darüber, ob der Kunde eine Ware oder Dienstleistung kauft.

Entscheidend ist bei Produktinnovationen nicht, wie neu ein Produkt ist, sondern ob es einen neuen Nutzen für eine Anwendergruppe bringt. Dieser Nutzen kann bereits aus einer reinen Weiterentwicklung einer bisherigen Leistung resultieren. Der Konsumgüterhersteller Henkel produziert bereits seit dem Jahr 1907 sein erfolgreiches Waschmittel Persil. Dank ständiger Weiterentwicklung und Verbesserung konnte der Lebenszyklus des Produktes immer wieder verlängert werden, so dass Henkel in diesem Bereich auch heute mit 37% Marktanteil in Deutschland noch Marktführer ist.

Abbildung 8 zeigt die drei unterschiedlichen Stoßrichtungen von Produktinnovationen: die Verbesserung, die Erweiterung und die disruptive Innovation. Die Verbesserung zielt – wie gerade am Beispiel von Persil gezeigt – auf eine kontinuierliche Optimierung von Leistungen und Mehrwerten. Sie orientiert sich nicht nur an der reinen Produktqualität und –Funktionalität, sondern auch auf Faktoren wie Lager-, Transportfähigkeit bzw. die Möglichkeiten der Schulung oder Wartung.

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Abb. 8: Innovationsziele und Konsequenzen

Verbesserung

Produktinnovationen müssen nicht immer sensationell und bahnbrechend sein. Ganz nach dem Motto »Schlechter geht immer, zehn Prozent besser aber auch« sind es gerade die kleinen Schritte, mit denen man vorhandene Leistungen kontinuierlich verbessern kann. Die akademische Lehre bezeichnet solche Innovationen durch Verbesserungen als »inkrementelle« Innovationen oder ergänzend als »sustaining« (erhaltende) Innovationen (Christensen C., 2016, S. XIX).

Ihnen gemeinsam ist es, die eigene Marktposition gegenüber schon vorhandenen Kunden dank kontinuierlichen Weiterentwicklungen zu erhalten, die meist klaren Regeln, Prozessen und Verantwortungen unterliegen. Nicht umsonst hat sich aus dieser Denkhaltung ein ganzes Managementmodell entwickelt, welches in Japan als Kaizen entwickelt wurde und in Deutschland unter dem Namen Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) bekannt ist.

Hinweis: Kontinuierlicher Verbesserungsprozess

Bekannt wurde der Begriff »Kaizen« in der westlichen Welt durch Imai Masaakis gleichnamige Publikation von 1986. Kaizen steht für die Pflicht, Produkte und Prozesse kontinuierlich zu verbessern. Die Gradwanderung, sich regelmäßig in Frage zu stellen und gleichzeitig stabile Unternehmenswerte und Strategien zu vereinbaren, wird im Abschnitt »Laufende Weiterentwicklung« (image Kap. 2.2.1.2) behandelt.

Produktverbesserungen resultieren nicht nur aus der Forschung & Entwicklung. Sie fußen vielmehr oft auf Anregungen all jener Personen, die direkt mit dem Produkt und/oder Kunden zu tun haben (Produktion, Vertrieb, Marketing oder Service). Diese Zielpersonen für die Ideenfindung sammeln Erfahrungen bei der Erstellung bzw. Verwendung des Produktes und stehen im direkten Kontakt mit den Käufern und Anwendern. Ihnen muss man nur zuhören, um immer wieder Anregungen über kleinere oder größere Verbesserungen zu erhalten. Allerdings kann nicht jede Anregung umgesetzt werden, denn wie schon mehrfach betont, bringen nur vom Kunden (mit Geld) honorierte Mehrwerte dem Unternehmen auch einen Nutzen.

Der Vorteil von Verbesserungen an bestehenden Produkten und Prozessen ist die schnelle und sukzessive Implementierung bei reduzierten Kosten und Risiken. Solange sie von den Anwendern honoriert werden, schaffen sie kurzzeitige Wettbewerbsvorteile, die allerdings mittelfristig von Wettbewerbern kopiert werden.

Bereits einfache Kreativitätstechniken wie das Brainstorming oder die Umkehrmethode holen aus dem Unterbewusstsein dieser Zielpersonen Ideen zur schrittweisen Verbesserung vorhandener Leistungspakete. Solche Kreativitätstechniken werden im Verlauf der Publikation noch ausführlicher behandelt.

Beispiel: Umkehrmethode

Bei dieser Technik wird die vorliegende Problemstellung in ihr Gegenteil verkehrt und zur Grundlage eines Brainstormings gemacht. Die übliche Marschroute, die man bei der Bewältigung einer Aufgabe normalerweise einschlägt, wird damit mental umgekehrt.

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Anstatt nach den Lösungsmöglichkeiten für ein kundenfreundliches stationäres Kaufhaus oder einen Onlineshop zu fragen, kann ein möglichst kundenunfreundlicher Shop entworfen werden.

Die Umkehrmethode vereinigt eine Reihe der Vorteile des lateralen Denkens (image Kap. 1.3.6.2). Sie weckt dank des spielerischen Elementes bei müden Teilnehmern oder stagnierendem Ideenfluss neue Impulse. Der Perspektivenwechsel ins »Negative« führt zudem zu weit mehr Ideen und beweist, dass die besten Verbesserungen meist aus kleinen Maßnahmen resultieren.

Verbesserungen betreffen die unterschiedlichsten Charakteristika und Eigenschaften eines Produktes oder einer (Dienst-)Leistung. Diese Eigenschaften lassen sich wiederum in vier Gruppen klassifizieren: Der Produktkern umfasst die Qualität, Funktion, Geschmack, Größe, Volumen und Farbe, so dass bei einem Fernseher der Produktkern aus der Leistungsstärke wie Bildschirmgröße, Bildauflösung etc. besteht. Bei einem Linienflug sind der Abflugs- und der Zielort sowie die Reisezeit der Produktkern. Eine Verbesserung wäre dementsprechend beim Fernseher eine höhere Auflösung bzw. beim Linienflug z. B. ein direkter Flug ohne Zwischenstopp.

Um den Produktkern ermöglichen weitere zusätzliche Produkteigenschaften die Schaffung von besonderem Kundennutzen sowie die Differenzierung vom Wettbewerb. Als eine zusätzliche Eigenschaft zählt zuerst das (Produkt-)Design mit dem Styling des

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Abb. 9: Produkteigenschaften

Produktes, die Etablierung einer Marke oder die Verpackung. Dabei bezieht sich Verpackung nicht nur auf Produkte im engeren Sinn, sondern auch auf Dienstleistungen. So kann Software mittels eines Mediums (DVD, USB Stick etc.) oder eine zusätzliche Beratungsleistung »verpackt« werden.

Der Service stellt neben dem Design eine weitere, wichtige Produkteigenschaft dar. Zum Service zählen dabei:

•  Leistungen vor dem Kauf (Beratung, Information, Individualisierung, Reservierung)

•  Leistungen beim Kauf (Transport, Installation, Finanzierung, Leasing)

•  Leistungen bei Nutzung (Schulung, Instandhaltung, Garantieleistungen)

•  Leistungen nach der Nutzung (Aktualisierung, Veranstaltungen, Club, Rücknahme)

Die vierte Produkteigenschaft umfasst die Anwendungsfälle, für die das Produkt oder die Dienstleistung zum Tragen kommt. Dabei lautet die zentrale Frage (bzw. sog. »User Story«):

•  Wer (welcher Kunde)

•  will (welche Situation)

•  was (welches Funktion)

•  und warum (die zentrale Frage)?

Auch wenn der Begriff einer User Story ursprünglich aus der (agilen) Softwareentwicklung stammt, so ist es ratsam, für jedes Produkt die konkreten Anforderungen zu spezifizieren, wann und warum ein Nutzer ein Produkt oder eine Dienstleistung kauft bzw. anwendet. Gefragt wird nach der Anwendungssituation (Zeitpunkt, Standort, Personenkreis) und nach dem Anwendungsbereich (Art der Bedürfnisbefriedigung, konkreter Einsatz). So hat beispielsweise Clayton Christensen von der Harvard Business School herausgefunden, dass der Kauf und Konsum von Milkshakes in den USA oft nur dazu dient, Abwechslung für die lange Autofahrt zur Arbeit zu bieten (Christensen C., 2012). Eine sinnvolle Verbesserung wäre an dieser Stelle weniger eine Veränderung beim Geschmack, sondern eher an der Verpackung (Tragfähigkeit, Sauberkeit, Kühlung etc.) oder am Service (Drive In, Vorbestellung etc.).

Tipp! Customer Journey

Eine Möglichkeit zur Bestimmung der Anwendungsfälle von Kunden ist die sog. Customer Journey (»Reise des Kunden«). Der Ansatz der Customer Journey wird im Zusammenhang mit dem Innnovationsprozessschritt »Verstehen« (image Kap. 1.3.2) diskutiert. Produktverbesserungen bedeuten hier, das Wissen um die Customer Journey in optimierte Produktkerne, Design oder Service umzusetzen.

Bewusstes Lernen aus Fehlern führt zu Verbesserungen und oft zu Produktinnovationen! Wichtig ist daher eine offene Fehlerkultur als Teil der Unternehmenskultur. Im Lean Management ist neben Kaizen der offene Umgang mit Fehlern ein weiterer zentraler Bestandteil. Sobald ein Fehler vorkommt, ist nach dem Erfinder des Toyota-Produktionssystems Taiichi Ohno ein Produktionsvorgang (z. B. am Fließband) sofort zu stoppen (Ohno, T., 1993). Als Konsequenz bekommt der Fehlerverursacher – nicht wie in vielen Unternehmenskulturen üblich – Ärger wegen seiner Fehler, vielmehr soll sich das ganze Team über die Möglichkeit einer Verbesserung freuen.

Erweiterung

Produktinnovationen können auch Erweiterungen des bestehenden Produktportfolios bedeuten, solange sie einen neuen Nutzen für die Kunden generieren, wie beispielsweise zusätzliche Serviceleistungen wie Wartung, Schulung, Finanzierung oder Installation. Hersteller von Sportgeräten oder Medizintechnik verkaufen heute ihre Leistungen nicht nur über die eigentliche Produktqualität, sondern überzeugen ihre Kunden auch dank ihrer Serviceleistungen wie Leasing oder Investitionsplanung. Mit anderen Worten: Diese Hersteller gewinnen dank weiterer Eigenschaften (Merkmale) ihre Kunden – ganz wie im bekannten Kano-Modell gefordert.

Hinweis: Kano-Modell der Kundenbindung

Das sog. Kano-Modell von Noriaki Kano zeigt auf, dass Kundenzufriedenheit nicht nur über die grundlegenden Basis- und Leistungsmerkmale eines Angebotes, sondern vielmehr über sog. Begeisterungsmerkmale erreicht wird (Kano N. u. a., 1984, S. 147 ff.).

Bei einem Auto werden Basismerkmale wie Sicherheit oder Rostschutz als selbstverständlich angenommen. Ihr Fehlen führt zur Unzufriedenheit, aber umgekehrt gewinnt man mit ihnen keinen weiteren Kunden. Leistungsmerkmale wie Fahreigenschaften, Lebensdauer, Sonderausstattung, Design oder Verbrauch sind dem Kunden bewusster als die Basismerkmale und führen zur Zufriedenheit des Käufers. Doch erst Begeisterungsmerkmale wie innovative Funktionen (z. B. Fahrassistent), die PKW-Marke, der sog. Snobeffekt, oder die Zugehörigkeit zu einem exklusiven Kreis (z. B. Zugang zum Porsche Club) rufen starke Emotionen beim Kunden hervor und sind die Basis für die Nutzenführerschaft des Anbieters.

Mit den Begeisterungsmerkmalen hat der Kunde nicht unbedingt gerechnet, aber umso mehr wecken sie seine dauerhafte Bindung an das Produkt und seinen Anbieter.

Aktuell erfolgreiche Firmen fokussieren oft zu stark auf gegenwärtige Kundenbedürfnisse. Ihr Dilemma ist es, dadurch den Anschluss an neue Technologien oder Geschäftsmodelle und damit an zukünftige Kundenbedürfnisse zu verlieren. Dies ist eine der Kernthesen von Professor Clayton Christensen (Havard) in seinem Buch »The Innovator's Dilemma« (1997). Im Sinne des Kano-Modells orientieren sich diese Unternehmen primär an den Basis- und Leistungsmerkmalen und weniger an zukünftigen Trends, Bedürfnissen und Möglichkeiten.

Dies lässt sich leicht erklären: Die Suche nach Begeisterungsfaktoren ist verbunden mit dem Risiko, Fehler zu machen, Kosten ohne Erträge zu produzieren und viel Zeit zu verlieren. Aber ohne die Bereitschaft, immer wieder neue Wege zu gehen und neue Mehrwerte zu finden, sind Innovationen undenkbar.

Tipp! Ergänzende Services

Erweiterungen können auch ergänzende (Service-)Dienstleistungen zu einem Produkt umfassen, die zwar schon für sich alleine im Markt bekannt sind, jedoch die erstmalige Kombination vom Markt neuartig akzeptiert wird.

Der Vorteil von Verbesserungen und Erweiterungen sind der (meist) überschaubare technische, personelle und zeitliche Aufwand sowie das damit verbundene geringere Finanz- und Marktrisiko. Dies bei den sog. disruptiven Innovationen anders. Hier sind die Aufwendungen und Risiken höher, aber auch die Außenwirkung auf Kunden, Geschäftspartner, Aktionäre oder die Presse hat eine andere Dimension.

Hinweis: Frugale Innovation

Ganz im Gegensatz zur Erweiterung steht der Innovationsansatz der sog. frugalen Innovation. Frugal bedeutet dabei so viel wie einfach, sparsam oder nutzbar, man spricht deshalb auch von einer »Low-cost«-Innovation.

Frugale Innovationen zielen darauf, Produkte derart zu vereinfachen, dass sie auch für preissensiblere Käufergruppen bezahlbar sind. Die Konzentration auf absolut notwendige Funktionen (Simplifikation) und die Verwendung bereits existierender und zugekaufter Komponenten hilft dann, schlanke und kostengünstige Lösungen für diese Käufergruppen zu entwickeln.

Aufmerksamkeit erregte der Begriff der frugalen Innovation erstmals im April 2010 dank eines Artikels der englischen Zeitung »The Economist« mit Verweis auf den aus Asien (v.a. Indien) stammenden Trend. Neu ist der Ansatz, wonach Verbesserungen aus einer Reduktion oder Vereinfachung entstehen können, aber nicht. Beispiele wie IKEAs Billy Regal (1978) oder Henry Fords Modell T (1908) halfen ihren Erfindern, neue Kundengruppen zu erschließen. Apples gesamtes Sortiment unterliegt dem Grundgedanken einer einfachen Nutzeroberfläche nach dem Motto »Keep it simple«.

Wichtig und teilweise neu ist an dem frugalen Innovationsansatz jedoch der Ausgangspunkt, sich zuerst an den Bedürfnissen der preissensibleren Käufergruppen zu orientieren. Dieser Kerngedanke spielt auch gleich im Zusammenhang mit disruptiven Innovationen eine wichtige Bedeutung.

Disruption

Als disruptive Innovation (engl. disrupt – unterbrechen, zerreißen) bezeichnet man bahnbrechende radikale Innovationen, welche die bestehenden Technologien, Produkte oder Geschäftsmodelle vollständig verdrängen. Der Begriff der disruptiven Innovation geht wiederum auf Claytons Buch »Innovators Dilemma« zurück.

Während die sustaining (erhaltenden) Innovationen darauf zielen, die eigene Marktposition gegenüber schon vorhandenen Kunden zu erhalten, schaffen disruptive Innovationen nach Christensen auf zwei Arten neue Märkte: Erstens erreichen sog. »Low-end–Disruptionen« in etablierten (sustaining) Märkten dank reduzierten Leistungsangeboten jene Käuferschichten, die keine zu hohen Erwartungen in die Produktangebote haben und/oder die vorhandenen, hochwertigen Angebote nicht mehr zu zahlen bereit sind. Als Beispiel wird hier gerne die Firma Xerox genannt, deren leistungsfähige und daher kostspielige Kopierer nur für Profikunden bezahlbar waren. Dadurch wurde der Markt der Privatkunden vernachlässigt, bis dann Wettbewerber wie Canon mittels einfacherer Produkte zuerst den Privatkundenmarkt eroberten, um dann auf dieser Basis mittels (inkrementeller) Verbesserungen auch den Geschäftskundenmarkt zu erschließen.

Zweitens nennt Christensen mit sog. »New-market–Disruptionen« jene Innovationen, die zusätzliche, neue Käufergruppen erreichen. Während »Low-end-Disruptionen« in vorhandenen Märkten grundsätzlich kaufinteressierte aber preissensible Kunden dank reduzierten Leistungen und Preisen ansprechen, erreichen »New-market Disruptionen« bisherige »Nicht-Kunden«. Solche Nicht-Kunden sind in zwei Bereichen denkbar: als »Nicht-Kunden« in einem etablierten Markt (z. B. bisher noch nicht vom Nutzen des Angebotes überzeugte Personen) sowie als Nicht-Kunden in komplett neuen Märkten (z. B. neue Anwendungen dank neuer Technologien).

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Abb. 10: Zielkunden für frühe Disruptionen

Oft erkennen etablierte Marktanbieter die besondere wirtschaftliche Gefahr disruptiver Innovationen zu spät. In der Anfangsphase gehen den etablierten Anbietern noch keine ihrer Kunden verloren, da die disruptiven Innovationen entweder die bisher vernachlässigten, unteren »Low-end-Konsumenten« oder gar die bisherigen »Nicht-Kunden« ansprechen. Etablierte Anbieter richten hingegen ihre eigene Strategie eher an den anspruchsvolleren (Premium-)Kunden aus, welche auch höhere Gewinnmargen versprechen. Somit stellen disruptiven Innovationen zuerst keine wahrnehmbare Bedrohung dar. Sobald aber die eigene, bisher anspruchsvolle Kundschaft anfängt, sich ebenfalls für die neuen Technologien oder Geschäftsmodelle zu interessieren, ist es dann für eine Gegenreaktion der etablierten Anbieter häufig zu spät. Klassische Beispiele für das Übersehen einer disruptiven Bedrohung waren die frühe Ablehnung des hochpreisigen Multimedia Anbieters Loewe gegenüber den – anfangs qualitativ schwachen – Flachbildschirmen, oder das Zögern des Warenhausbetreibers und Versandhändlers Karstadt Quelle gegenüber dem Online Shopping. Beide Unternehmen hatten zwar die neuen Trends rechtzeitig identifiziert, aber diese zu spät für das eigene Geschäftsmodell adaptiert.

Christensen kritisiert in seinem oben genannten Buch, dass viele Firmen erst gar nicht versuchen, dank neuer Technologien, neuer Trends oder zukünftiger Kundenbedürfnisse disruptive Lösungen zu erarbeiten. Oder in der Sprache der Kosten-/Nutzenführer formuliert: Viele Firmen ruhen sich auf ihren (Kosten- oder Nutzen-) Erfolgen der Vergangenheit aus oder sie fühlen sich gewissermaßen wohl im Sumpf der Vergleich- und Austauschbarkeit. Anders bei jungen Firmen, den Start-ups. Aufgrund ihrer Unbekümmertheit, dem Fehlern vorhandener Strukturen und Sortimente sowie der Gruppendynamik kleiner, neu zusammen gefundener Einheiten, zielen Firmengründungen vielmehr auf disruptive Innovationen als auf reine Verbesserungen.

Wichtig: Megatrends ermöglichen Disruptionen

Aktuelle Megatrends eröffnen auch für kleinere Unternehmen die Möglichkeit, disruptive Innovationen hervorzubringen! Diese Trends erhöhen gleichzeitig die Intensität des zukünftigen Wettbewerbs.

Die Verbindung von Digitalisierung, Industrie 4.0 und Produktionstechniken wie 3D-Druck erlaubt es auch kleineren Unternehmen, mittels disruptiver Innovationen simultan Kosten- UND Nutzenführer zu werden. Ob als Automotivzulieferer, Maschinenbauer, Nahrungsmittelhersteller oder Planungsbüro, bei den neuen Technologien und Verfahren dominieren nicht mehr zwangsläufig die großen Marktteilnehmer, sondern jene, die am schnellsten und effektivsten die Trends zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Besonders Start-ups, aber auch etablierte mittelständische (Familien-)Unternehmen können ihre Innovationskraft und konsequenten Umsetzungsstärke bei dieser Entwicklung einsetzen. Denn es braucht weniger Größe, sondern vielmehr den Willen und die Flexibilität, um die sich aus disruptiven Änderungen ergebenden Innovationsmöglichkeiten als Chance zu nutzen.

Hinweis: Abgrenzung vertikaler oder horizontaler Innovation

Vertikale Innovationen zielen auf neue Anwendungen dank bestehender Technologien, bei horizontalen Innovationen werden bestehende Anwendungen durch neue Technologien optimiert.

Kann eine bereits bekannte Technologie bei einem Produkt oder Prozess einen bislang nicht bekannten Zweck erfüllen, so nennt man dies eine vertikale Innovationen. Hierzu ein Beispiel: Dank des etablierten Smartphones entwickeln sich ständig neue Anwendungen (Apps) mit bisher nicht bekannten Lösungen, wie beispielsweise der »WhatsApp«-Kommunikationskanal, das Buchungssystem »My Taxi« oder die »Drive Now« Carsharing-App.

Erfolgt die Erfüllung eines bekannten Zweckes (Anwendung) hingegen mittels einer neuen Technologie, so wird dies als horizontale Innovation bezeichnet. Beispiele für solche technologiegetriebenen disruptiven und horizontalen Innovationen sind die Entwicklung der Digitalkamera oder des Flachbildschirms. Diese Anwendungsfelder gab es schon früher, aufgrund der neuen Technologie entstanden signifikante Mehrwerte für die Kunden.