Der Nettoertrag aus dem Autorenhonorar dieses Buches kommt der gemeinnützigen Anke und Dr. Gerhard Papke-Stiftung zur Förderung sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher zugute.

INHALT

Warum dieses Buch?

Kapitel Eins

Mein Rückzug aus dem Landtag

Kapitel Zwei

Die ersten Begegnungen mit Christian Lindner und unser gemeinsamer Weg ins Parlament

Kapitel Drei

Arbeit im Landtag

Kapitel Vier

Das »Projekt 18« und sein tragisches Ende

Kapitel Fünf

Machtwechsel in Nordrhein-Westfalen: die Landtagswahl 2005 und der Kurs marktwirtschaftlicher Erneuerung

Kapitel Sechs

Neue Themen, neue Lagen, neue Wege?

Kapitel Sieben

Guido Westerwelle, der missverstandene Wahlerfolg 2009 und die »Boygroup«

Kapitel Acht

Ausweg Ampel? Die Landtagswahl 2010 und die Haltung der FDP

Kapitel Neun

Linksbündnis auf Abruf

Kapitel Zehn

»Lieber neue Wahlen als neue Schulden.« Die Landtagsauflösung 2012 und Lindners Rückkehr in die Landespolitik

Kapitel Elf

Das Wahldesaster der FDP 2013 und die Suche nach einem Neubeginn

Kapitel Zwölf

Der Konflikt mit Lindner über das Islamismuspapier

Kapitel Dreizehn

Wofür steht die neue FDP? Zwischen Digitalisierungseuphorie und Zuwanderungsdebatte

Ausblick

Endnoten

WARUM DIESES BUCH?

Am Ende einer ereignisreichen parlamentarischen Laufbahn politische Bilanz zu ziehen, ist ein durchaus naheliegender Gedanke. Dennoch habe ich mit mir gerungen, ob ich dieses Buch schreiben soll. Ein in Teilen kritisches Buch über die Entwicklung der FDP, der ich schon als junger Mann aus Überzeugung beigetreten bin und die mir den Weg in wichtige politische Ämter ermöglicht hat. Ein in Teilen kritisches Buch über Christian Lindner, dem ich über viele Jahre freundschaftlich eng verbunden war und den ich zweifelsohne außerordentlich gut kenne. Ich begebe mich also gleich in mehrfacher Hinsicht auf eine Gratwanderung.

Die Themen, die mir seit Jahren ein Anliegen sind, trugen wesentlich zu diesem Entfremdungsprozess bei: Zuwanderung, Integration, Islamismus. Sie werden deshalb in meinem Buch naturgemäß eine besondere Rolle spielen. Dabei dürften aber auch Aspekte politischer Taktik der »neuen« FDP unter Christian Lindner sichtbar werden, die über einzelne Themenfelder hinausweisen.

Ich war mit meinem jungen Parteivorsitzenden am Ende in entscheidenden politischen Fragen über Kreuz, und daraus habe ich für mich die nötigen Konsequenzen gezogen. Auch darum geht es in meinem Buch. Es geht um unterschiedliche Haltungen und Methoden, nicht um richtig oder falsch. Jeder Leser soll sich seine eigene Meinung bilden. Da bin und bleibe ich überzeugter Liberaler.

Vermutlich werden die aktuellen Bezüge meines Manuskripts auf mehr Interesse stoßen als die chronologische Darstellung politischer Entscheidungen, wie ich sie erlebt habe. Dennoch halte ich diese Struktur für unbedingt sinnvoll. Sie ermöglicht nicht nur Einblicke in einige spannende Kapitel nordrhein-westfälischer Landespolitik, sondern bildet mit ihren starken Bezügen zur Bundespolitik eben auch den Entwicklungsrahmen für meine Einschätzungen von Prozessen und Personen. Diese Einschätzungen sind schließlich nicht vom Himmel gefallen. Meine subjektive Perspektive leugne ich nicht. Ich war kein unbefangener Beobachter, sondern an vielem beteiligt.

In der professionellen Politik erhält man Einblicke, die nicht in die Öffentlichkeit gehören. Letztlich sind Politiker auch nur Menschen mit ihren Stärken und Schwächen. Gerade wenn man sich lange kennt, sind die Grenzen zwischen politischem und privatem Austausch fließend. Ich teile einiges mit von dem, was ich politisch erlebt habe und wie ich es bewerte, aber bei Weitem nicht alles.

Der nordrhein-westfälische Landesverband der FDP war über Jahrzehnte neben der Bundestagsfraktion der wohl wichtigste Machtfaktor der Partei. Ihm entstammten herausragende Bundesvorsitzende wie Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff und Guido Westerwelle. So bin ich in meiner politischen Laufbahn regelmäßig einigen der prägendsten Persönlichkeiten der FDP begegnet. Gespräche mit Hans-Dietrich Genscher oder Otto Graf Lambsdorff, den Übervätern der Partei, waren immer ein besonderes Erlebnis. Mit Jürgen Möllemann, der zunächst alle Register gezogen hatte, um meine Wahl in den Landtag zu verhindern, habe ich danach dennoch zu einer guten Zusammenarbeit gefunden. Als er 2002 einen inakzeptablen Flyer hinter dem Rücken der FDP in einer geheimen Kommandoaktion an alle Haushalte der Republik verteilen ließ, kam es zum Bruch. Sein Tod war eine menschliche Tragödie.

Das gilt umso mehr für Guido Westerwelle, den ich schon seit gemeinsamen Tagen bei den Jungen Liberalen, der FDP-Jugendorganisation, in den achtziger Jahren kannte. Kaum ein Spitzenpolitiker der Bundesrepublik seit Franz Josef Strauß ist derart angefeindet worden wie er. Bei keinem war es ungerechter. Auch ich war beileibe nicht mit jeder seiner Aktionen einverstanden. Aber ich habe ihn aus tiefer Überzeugung auch dann noch unterstützt, als andere in der FDP schon längst an seinem Stuhl sägten. Seine Freunde werden seinen viel zu frühen Tod niemals ganz verwinden können.

Was ich über ihn, Jürgen Möllemann oder auch Christian Lindner schreibe, erhebt keinen Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität. Es basiert auf belegbaren und belegten Fakten und meinem gut geführten Privatarchiv. Aber es schöpft natürlich auch aus Erinnerungen und persönlichen Überzeugungen, die definitiv nicht alle teilen werden. Dieses Buch ist weder allumfassendes Geschichtswerk noch reißerischer Enthüllungsroman. Es soll ein aus der Rückschau entwickelter Debattenbeitrag sein – nicht mehr und nicht weniger.

Was mich aus aktueller Perspektive umtreibt, dieses Buch zu schreiben, ist zum einen die Sorge um die zunehmende Distanz zwischen Bürgern und Parteien, die ich in der politischen Praxis erleben musste. Sie ist in anderen westlichen Demokratien schon erheblich weiter fortgeschritten als in Deutschland, wie man etwa bei der Brexit-Entscheidung der Briten oder der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten unschwer erkennen konnte. Wir Deutschen neigen nun einmal nicht unbedingt zu revolutionären Aufständen. Außerdem ist die wirtschaftliche Lage unseres Landes im internationalen Vergleich noch immer geradezu herausragend positiv. Das überdeckt viele Spannungen. Aber auch in Deutschland haben es die traditionellen demokratischen Parteien bisher nicht vermocht, dem wachsenden Misstrauen gegenüber dem politischen Establishment entgegenzuwirken. Die repräsentative Parteiendemokratie verliert an Unterstützung. Diese Entwicklung ist gefährlich.

Sie hat unterschiedliche Gründe, die erschöpfend zu behandeln den Rahmen dieses Buches sprengen würde. Eine wesentliche Ursache ist jedenfalls ein Konformitätstrend in der öffentlichen Debatte, der gelegentlich bis zur Realitätsverdrängung reicht. Zu viel ist angeblich »alternativlos«. Über bestimmte Entwicklungen wollen viele Politiker nicht sprechen und manche Journalisten nicht schreiben. Ein Beispiel? Nach den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln 2015 dauerte es bemerkenswert lange, bis die Wahrheit über die Geschehnisse ans Licht kam. Erst wurde beschwichtigt oder zumindest ignoriert. Massenhafte sexuelle Übergriffe nordafrikanischer und arabischer Migranten auf deutsche Frauen passten nun einmal nicht in die heile deutsche Multikulti-Welt. Wenn nicht einige unerschrockene Kölner Lokaljournalisten die Aufklärung auf den Weg gebracht hätten, wäre die ganze Dimension der Vorfälle möglicherweise im Dunkeln geblieben. Doch wenn die Menschen in Deutschland den Eindruck haben, dass ihnen politische Tugendwächter aus volkspädagogischen Gründen die Realität vorenthalten, verlieren sie ihr Vertrauen und es gedeihen unsinnige Verschwörungstheorien. Beides ist fatal.

Die Distanz zwischen Bürgern und Parteien erklärt sich nach meiner Erfahrung aber auch aus einem Mangel an Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit speist sich aus Überzeugungen und Authentizität. Der große Soziologe Max Weber hat schon vor fast 100 Jahren das Spannungsfeld von »Gesinnungsethik« und »Verantwortungsethik« beschrieben. Politiker dürfen nicht dogmatisch auf eigenen Positionen beharren, wenn verantwortliches Handeln für das Gemeinwesen Kompromisse erfordert. Zumal sich immer wieder neue Herausforderungen ergeben können, die rasche und flexible Antworten erfordern.

In der Praxis dient die besondere Betonung »staatspolitischer Verantwortung« allerdings leider auch als Tarnkappe politischer Beliebigkeit. In Wahrheit geht es dann häufig um Regierungsbeteiligung um jeden Preis. Doch wenn öffentliche Aussagen und Handlungen von Parteien krass auseinanderfallen, ruiniert das ihre Glaubwürdigkeit. Diese Sorge hat mich in meiner eigenen politischen Tätigkeit immer umgetrieben.

In diesem Buch wird tatsächlich auch eine gewisse Enttäuschung über die Entwicklung meiner Partei in den zurückliegenden Jahren sichtbar werden. Angesichts ihrer jüngsten Erfolge wird dies viele überraschen. Aber es geht mir bei meiner Bewertung eben nicht um den Ausgang aktueller Wahlentscheidungen, zumal ich als FDP-Politiker die Flüchtigkeit von Wahlerfolgen nur allzu oft erlebt habe. Es geht mir um längerfristige Trends und Strukturen. Allerdings erleichtert das starke Abschneiden der FDP bei den zurückliegenden Wahlen es mir erheblich, auch mit kritischen Anmerkungen an die Öffentlichkeit zu gehen.

Vielleicht ist meine Ernüchterung namentlich über Christian Lindner deshalb so groß, weil ich um seine herausragenden Begabungen weiß. Ihm hätte ich es zugetraut, nach dem Rauswurf der FDP aus dem Deutschen Bundestag neue Wege zu gehen, um Menschen an die politische Mitte zu binden, die sich sonst ganz abwenden oder Populisten hinterherlaufen, kurzum, um dem Auseinanderdriften von Volk und demokratischen Parteien entgegenzuwirken. Herausgekommen ist stattdessen eher eine kunstvolle Inszenierung: »Mut« nicht als Handlungsprinzip beim Umgang mit herausfordernden Themen, sondern als Element einer stylishen Werbebotschaft.

Die FDP hat wesentliche Richtungsentscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik bewirkt, weil sie bereit war, ihre Existenz für ihre Haltung aufs Spiel zu setzen: Bei der Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft Ende der vierziger Jahre, der Entspannungspolitik ab Ende der sechziger und der Rückbesinnung auf Marktwirtschaft und Wettbewerb Anfang der achtziger Jahre. Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff stehen für solche Weichenstellungen.

Christian Lindner hingegen verfolgt eine Politik systematischer Risikominimierung. Für den jüngsten Parteivorsitzenden in der FDP-Geschichte ist das eigentlich erstaunlich, wenn man ihn nicht näher kennt. Er vermeidet – genau kalkulierend – Positionen, mit denen er eine umstrittene politische Debatte auslösen könnte. Lindner setzt darauf, dass die Fehler der anderen Parteien der FDP schon die nötigen Stimmen bringen werden. Sie soll deshalb auf keinen Fall unangenehm auffallen. Lindners Tonalität folgt überaus geschmeidig dem Zeitgeist. In die neue FDP lässt sich vieles hineininterpretieren. Sie wird zur Projektionsfläche unterschiedlichster Erwartungen.

Eine Schlüsselrolle spielt für die FDP Christian Lindners die Digitalisierung. Der FDP-Bundesparteitag 2015 stand gar unter dem Motto »Beta-Republik Deutschland«. (Viele Delegierte mussten sich erst einmal kundig machen, was damit überhaupt gemeint war.) Dabei geht es Lindner beileibe nicht nur um die in der Tat notwendige Offenheit für eine technologische Revolution. Digitalisierung steht methodisch für einen dynamischen Entwicklungsprozess, der Modernität ausstrahlt, aber nicht zielgerichtet ist. Digitalisierung ist wertneutral. Anything goes. Veränderung wird geradezu zum Wert an sich. Genauso haftet den Positionen, die Lindner vertritt, häufig etwas Flüchtiges an.

Christian Lindner wird gewissermaßen zum modernen Perfektionierer des politischen Mainstreams. Fraglos ist das eine intelligente Strategie. Sie ist möglicherweise unter Machtaspekten auch sehr erfolgversprechend. Doch sie ist nicht authentisch. Ich fürchte, sie ist nicht der richtige Weg, um der repräsentativen Parteiendemokratie wieder mehr Vertrauen bei den Menschen zu verschaffen. Das aber wäre gerade auch die Aufgabe einer mutigen FDP.

In der Öffentlichkeit ist nicht ohne Grund der Eindruck entstanden, dass die FDP im Wesentlichen nur aus Christian Lindner besteht. Er hat die Partei derart auf sich zugeschnitten, dass er sie praktisch im Alleingang führt. Deshalb wird ein Buch über die aktuelle FDP-Politik zwangsläufig immer auch ein Buch über Christian Lindner sein. Bei einem Buch, das ich über die FDP schreibe und das in weiten Teilen aus meinen Erinnerungen schöpft, ist das ohnehin selbstverständlich.

Also versuche ich mich an der eingangs beschriebenen Gratwanderung, gerade was Christian Lindner betrifft. Was wir persönlich besprochen haben, unter vier Augen, am Telefon, per SMS oder Mail, wird keinen Eingang in dieses Buch finden. Kritische Bemerkungen jedoch muss Lindner mit seinem umfassenden politischen Führungsanspruch aushalten, auch die eines früheren, langjährigen Freundes. Alles andere allerdings hat vertraulich zu bleiben.

KAPITEL EINS

MEIN RÜCKZUG AUS DEM LANDTAG

Beginnen wir das Buch der Einfachheit halber mit dem Ende: Am 14. September 2016 veröffentlichte mein Düsseldorfer Parlamentsbüro eine knapp zweiseitige Erklärung, dass ich bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl am 14. Mai 2017 nicht mehr kandidieren würde. Am Abend zuvor hatte ich zunächst die Gremien meines heimischen FDP-Kreisverbandes Rhein-Sieg bei einer Sitzung in Siegburg über meine Entscheidung informiert. Nachdem mein Büro die Erklärung versandt hatte, fragte die Deutsche Presse-Agentur nach, ob der Text auch wirklich authentisch sei. Er war es. Weil darin manches aufscheint, was in diesem Buch noch eine Rolle spielen wird, ist es wohl am einfachsten, meine Stellungnahme im Wortlaut wiederzugeben:

Keine erneute Landtagskandidatur – Erklärung von Dr. Gerhard Papke MdL, Düsseldorf, den 14. September 2016

»Gestern Abend habe ich die Gremien meines FDP-Kreisverbandes Rhein-Sieg darüber informiert, dass ich mich bei der Landtagswahl am 14. Mai 2017 nicht mehr um ein neues Mandat bewerben werde. Mit dem Ende der Wahlperiode werde ich aus dem Parlament und meinem Amt als Landtagsvizepräsident ausscheiden. Nach vier Wahlperioden und 17 Jahren als Abgeordneter für den Rhein-Sieg-Kreis, darunter 7 Jahre als FDP-Fraktionsvorsitzender und 5 Jahre als Landtagsvizepräsident, endet im Mai 2017 meine parlamentarische Laufbahn.

Da ich Parlamentarier mit Leib und Seele bin, ist mir diese Entscheidung nicht leichtgefallen. Aber ich bin vom aktuellen FDP-Kurs nicht hinreichend überzeugt, um meine Partei auch bei den nächsten Wahlen exponiert zu vertreten.

Die FDP war immer eine Partei der Weltoffenheit und Toleranz, gleichermaßen aber mit fester Verankerung in unserer gewachsenen bürgerlichen Werteordnung. Beschlüsse wie für die generelle Einführung von Mehrfachstaatsbürgerschaften oder die Freigabe von Rauschgift widersprechen meiner persönlichen Überzeugung und rücken die FDP innenpolitisch nach links. Damit wird der Weg für Ampel-Koalitionen mit SPD und Grünen erleichtert, wie zuletzt in Rheinland-Pfalz. Das halte ich auch strategisch für einen Fehler. Starke Kräfte in der FDP bewerten diese Frage anders.

Gerade weil die CDU bei vielen Themen von der SPD kaum mehr zu unterscheiden ist, wäre es nach meiner Auffassung Aufgabe der Freien Demokraten, enttäuschten bürgerlichen Wählern eine neue Heimat zu bieten. Aber dazu gehörte eine wirklich klare Haltung gegen die ungesteuerte Massenzuwanderung nach Deutschland und die Bereitschaft zur nationalen Sicherung unserer Grenzen. Wir müssen endlich wieder wissen, wer zu uns kommen will, und wir müssen entscheiden können, wen wir ins Land lassen. Dabei geht es nicht nur um den Schutz vor Terroristen. Der Zustrom Hunderttausender junger Männer aus rückständigen, islamisch geprägten Gesellschaften, denen die Gleichberechtigung von Frauen und Männern völlig fremd ist, gefährdet unsere offene Gesellschaft. Wohin das führt, hat sich in der Silvesternacht in Köln gezeigt, als ein entfesselter Mob Jagd auf Frauen und Mädchen gemacht hat.

Und auch eine kritische Debatte über die Rolle des organisierten Islam in Deutschland ist längst überfällig. Dass die staatliche türkische Religionsbehörde, die die meisten Imame in deutschen Moscheen stellt, Kindern mit Comics den Märtyrertod verherrlicht, ist ein aktuelles, erschreckendes Alarmsignal. Umfassende politische Konsequenzen bleiben jedoch aus. Von meinem bereits im Oktober 2014 vorgelegten Thesenpapier zur islamistischen Bedrohung hatte sich die FDP-Führung distanziert. Auf dem Landesparteitag im April 2015 in Siegburg wurde mir bei einem kritischen Redebeitrag zum Kopftuch bei Lehrerinnen kurzerhand das Mikrofon abgeschaltet.

Ich hoffe dennoch, dass die FDP den Mut findet, die Themen mit Klarheit anzusprechen, die die Menschen in unserem Land beunruhigen, wie es jeder Abgeordnete täglich erfahren kann. Ich werde mich jedenfalls auch nach meinem Ausscheiden aus dem Landtag dafür engagieren. Wenn die politische Mitte in Deutschland keine Handlungskraft entwickelt, werden die politischen Ränder wie überall in Europa stärker. Das gilt es zu verhindern.

Trotz inhaltlicher Differenzen mit meiner Partei scheide ich nicht im Zorn. Insbesondere während der FDP-Regierungsbeteiligung in Nordrhein-Westfalen zwischen 2005 und 2010 konnte ich als Fraktionschef wichtige Elemente marktwirtschaftlicher Reformpolitik mit durchsetzen. Meine Mitwirkung am historischen Ausstieg aus den Steinkohlesubventionen wird mir in besonderer Erinnerung bleiben. Für diese Gestaltungsmöglichkeiten bin ich dankbar.

Dass die FDP-Landtagsfraktion mir bei meiner Absage an eine Ampel-Koalition 2010 ebenso geschlossen gefolgt ist wie bei der Ablehnung des rot-grünen Schuldenhaushalts 2012, obwohl sie die Auflösung des Parlaments zur Folge hatte, war das Ergebnis gemeinsamer Überzeugungstreue. Ohne echte Haltung degeneriert Politik zu reiner Machttaktik und kann die Menschen nicht für unsere freiheitliche Demokratie gewinnen.«

Die mediale Resonanz war beachtlich und ließ bereits erkennen, wie eng auch in der öffentlichen Wahrnehmung meine Zusammenarbeit mit Christian Lindner gewesen war, die nun in einem Zerwürfnis endete. Eine Auswahl: »FDP-Erdbeben. Papke schmeißt hin!« (Bild), »Ein Vertrauter weniger« (Frankfurter Allgemeine Zeitung), »Lindner verliert einen Mitstreiter – NRW-Landtagsvizepräsident Gerhard Papke will 2017 nicht mehr für die FDP kandidieren: Die Partei rücke nach links und positioniere sich nicht deutlich genug gegen den Islam« (Westdeutsche Zeitung), »Vom Vertrauen zum Zerwürfnis – Die beiden Liberalen Gerhard Papke und Christian Lindner verband früher viel, jetzt kaum noch etwas« (General-Anzeiger Bonn), »Gerhard Papke hört wegen Christian Lindner auf – Landtags-Vize beklagt einen Linksruck der Partei« (Kölner Stadt-Anzeiger), »Papkes Paukenschlag« (Westfälischer Anzeiger), »Linksruck-Vorwurf gegen Lindner – Ex-Fraktionschef Papke: Die FDP macht einen schweren strategischen Fehler« (Kölner Express), »Streit um FDP-Kurs: Landtagsvize Papke gibt auf – Langjähriger Fraktionschef warnt Liberale vor Linkskurs und Ampel-Koalition« (Westdeutsche Allgemeine Zeitung).

Ich machte die Erfahrung, dass die eigene politische Haltung in den Medien entschieden anerkennender bewertet wird, wenn man von der Bühne abtritt, als man es im tagespolitischen Geschäft zumeist erleben durfte1. Vielleicht ist das aber auch normal. Einige Kommentatoren stellten indessen gezielt auf die Richtungsfrage ab, die mein Schritt aufwerfe: »Bricht Lindner nach dem Knall jetzt der konservative FDP-Flügel weg?« (Express). »Zuletzt aber war der Bruch zwischen Papke, dem Mann vom rechtsliberalen Flügel, und FDP-Modernisierer Lindner nicht mehr zu übersehen« (Kölner Stadt-Anzeiger). »Mit Gerhard Papke verliert FDP-Chef Lindner einen wichtigen Mitstreiter des rechten Flügels seiner Partei, der in NRW wie im Bund nur noch wenige Identifikationsfiguren anzubieten hat« (Westdeutsche Zeitung). Und der General-Anzeiger Bonn schrieb: »Papke gefällt weder der inhaltliche noch der koalitionspolitische Kurs seiner Partei. Er sieht gerade nach dem Zustrom der Flüchtlinge die Notwendigkeit, einen klaren nationalen Abgrenzungskurs zu fahren und damit strategisch den Raum zu füllen, den CDU und SPD lassen.«2

Die offizielle Reaktion Christian Lindners beschränkte sich zunächst auf wenige Sätze3. Auch in der darauffolgenden Sitzung der FDP-Landtagsfraktion, wo ich meinen Schritt unter Verweis auf meine vorliegende Erklärung nur noch kurz erläuterte, gab es dazu von seiner Seite keinerlei Bemerkung noch eine sonstige Aussprache. Das überraschte mich nicht. Jeder politische Profi weiß, dass man unangenehme Geschichten möglichst nicht selbst aufgreift, weil man die Berichterstattung darüber dann nur weiter befeuert. Es ist besser, solche Sachen zu »dethematisieren«.

Noch einige Wochen zuvor war Lindner allerdings weniger zurückhaltend gewesen. Anlass seiner bemerkenswerten Intervention war ein ausführlicher Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die FDP und ihren Parteivorsitzenden am 6. August 2016. Reiner Burger, der NRW-Korrespondent der FAZ, ging darin der Frage nach, wofür Lindners »neue FDP« eigentlich stehe. Er würdigte, wie intensiv sich die Partei mit dem wichtigen Thema »Digitalisierung« befasse. Allerdings: »Das Großthema hat für die kleine Partei einen schönen Vorteil: Sie muss sich in anderen umstrittenen Fragen nicht festlegen. Das kommt dem Naturell Lindners entgegen. So gut wie nie besetzt Lindner als Erster ein Thema. Beinahe immer versucht er, nur den sicheren Punkt zu setzen. Erstaunlich lange brauchte die Lindner-FDP auch, um sich von der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin abzugrenzen.«

Auch ich kam in Burgers Bericht zu Wort. Ich warnte vor der »gefährlichen Illusion jüngerer FDP-Funktionäre«, die Partei könne sich neue Wählerschichten links der Mitte erschließen. Noch habe die FDP die Chance, verstärkt Themen aufzugreifen, die zwar viele Leute bewegten, die von den anderen Parteien aber nur mit »Beschwichtigungsformeln und Durchhalteparolen« begleitet würden. Ich nannte als Beispiele die Flüchtlingspolitik und die Rolle des Islams in Deutschland. Zugleich betonte ich, Christian Lindner habe bereits Enormes für die FDP erreicht: »Wir haben ihm viel zu verdanken.«

Die FDP-Landtagsfraktion erstellt für die Abgeordneten und Mitarbeiter von Zeit zu Zeit einen Pressespiegel, in dem alle Zeitungsausschnitte von Relevanz für die eigene Arbeit enthalten sind. Normalerweise finden dort gerade die Artikel Berücksichtigung, bei denen der Fraktionsvorsitzende oder die anderen Abgeordneten eine Rolle spielen. Häufig werden sogar Berichte aus der Lokalpresse aufgenommen. Der besagte FAZ-Artikel unter der Überschrift »Lindners Logik« tauchte im FDP-Pressespiegel allerdings nicht auf.

Dennoch stieß er in der FDP, wie ich aus zahlreichen Zuschriften weiß, auf großes Interesse. Er wurde von einigen Parteigliederungen auch per Mail verbreitet. Dazu gehörte mein eigener Kreisverband Rhein-Sieg, einer der mitgliederstärksten der gesamten Bundespartei. Der Kreisvorsitzende Jürgen Peter richtete gemeinsam mit dem Chef der FDP-Kreistagsfraktion, Karl-Heinz Lamberty, ein Begleitschreiben zu dem Artikel an sämtliche Mitglieder des Verbandes (»anliegend finden Sie einen Artikel aus der FAZ, den wir sehr gut finden«). Darin hieß es: »Der Landtagsvizepräsident des Landtages NRW, Dr. Gerhard Papke, MdL, bezieht in dem FAZ-Artikel eine klare bürgerlich-liberale Position. Mit ihm in führender Funktion auch in der neuen Landtagsfraktion 2017 wird es keine Ampel-Koalition durch die Hintertür geben. Die werteorientierte FDP in NRW muss in der politischen Öffentlichkeit ein deutliches Zeichen setzen und alle von der sozialdemokratisierten CDU enttäuschten bürgerlichen Wähler zur Unterstützung einladen. Dagegen kann das Fischen von Wählern links von der Mitte schon bei der schieren Menge der sich inzwischen dort verortenden Parteien für die FDP nicht dienlich sein. Um mit dem eigenen Angebot an den bürgerlichen Wähler glaubwürdig zu bleiben, wird die FDP, und da hat Gerhard Papke recht, diese Richtungsfrage vor den Wahlen in 2017 klären müssen.«

Christian Lindner wies diese Haltung in einer Mail, wiederum an sämtliche Mitglieder des FDP-Kreisverbandes, in scharfer Form zurück. Er habe, so schrieb er unter anderem, auf dem FDP-Landesparteitag im April 2016 in seiner Rede »als Ziel der FDP ausgegeben, die rot-grüne Politik in Düsseldorf nicht zu verlängern, sondern diese Koalition zu beenden. Im Anschluss haben die Delegierten mich mit 98 Prozent in meinem Amt bestätigt. Die von Ihnen gesehene ›Richtungsfrage‹ ist damit längst beantwortet«. Die FDP habe »ihr liberales Profil in den Fragen Marktwirtschaft und Mittelstand, Bildung und Bürgerrechte gestärkt«. Sie habe sich »neue Themen wie die Digitalisierung« erschlossen. »Wir treten zeitgemäß auf, um über kreative kommunikative Methoden auszugleichen, dass die Medien uns gegenwärtig weitgehend ausblenden«. Und weiter: »Ich bedauere, dass Sie vor diesem Hintergrund einen Beitrag der FAZ an Ihre Mitglieder versenden, der all dies ignoriert oder in Frage stellt.«

Eine derart massive Intervention des Bundesvorsitzenden in die Parteiöffentlichkeit hinein ist in der FDP zutiefst ungewöhnlich. Sie zeigte, wie angefasst Lindner auf kritische Fragen reagiert. Sie zeigte auch, wie angespannt inzwischen unser beider Verhältnis war.

Auf meine Entscheidung, nicht mehr für den Landtag zu kandidieren, hatte diese aufschlussreiche Korrespondenz keinen Einfluss mehr. Die Entscheidung war zu diesem Zeitpunkt bereits gefallen, auch wenn ich sie noch für mich behalten hatte. Allerdings fühlte ich mich darin jetzt noch einmal bestärkt. Richtung und Methodik der »neuen FDP« von Christian Lindner waren nicht mehr die meinen. Daraus musste ich Konsequenzen ziehen, wenn ich meinen Überzeugungen treu bleiben wollte. Unsere über viele Jahre eng verbundenen Wege hatten sich nach und nach getrennt, bis hin zum völligen Bruch. Es wird in diesem Buch auch darum gehen, wie es dazu kam.

KAPITEL ZWEI

DIE ERSTEN BEGEGNUNGEN MIT CHRISTIAN LINDNER UND UNSER GEMEINSAMER WEG INS PARLAMENT

Dass die Medien auf mein besonderes Verhältnis zu Christian Lindner hinwiesen, kam nicht von ungefähr. In unserem Fall ist die Bezeichnung Weggefährten eher eine Untertreibung. Mehr als 15 Jahre war unser Miteinander wahrscheinlich so eng, wie es in der Politik überhaupt sein kann. Und schon unser Weg dorthin war ein gemeinsamer.

Als wir uns 1998 kennenlernten, war Christian Lindner gerade 19 Jahre alt und Zivildienstleistender in der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung in Gummersbach. (Wenige Jahre später wechselte er übrigens als Reserveoffizier in die Bundeswehr und machte dort, wen mag es wundern, eine Blitzkarriere.) Ich selbst war seit 1994 als Wissenschaftlicher Referent in der Akademie tätig und dort für die Abteilung »Grundlagen und Perspektiven des Liberalismus« verantwortlich. Als der Klever Unternehmer und Bundestagsabgeordnete Paul Friedhoff im Februar 1997 Nachfolger von Otto Graf Lambsdorff als wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion wurde, engagierte er mich als Redenschreiber und Berater. Ich wechselte mit einer halben Stelle in den Deutschen Bundestag, weil ich meine Arbeit in der Naumann-Stiftung nicht vollständig aufgeben wollte.

Paul Friedhoff war ein Selfmade-Unternehmer, der aus dem Nichts heraus ein weltweit erfolgreiches mittelständisches Technologieunternehmen aufgebaut hatte. Schon bald verband uns ein enges Vertrauensverhältnis. Ich habe viel von ihm gelernt. Hinter seinem gelegentlich etwas kantigen Auftritt verbarg sich ein außergewöhnlicher und zudem liebenswerter Mensch.

Aber zurück zu Christian Lindner: Wenn der neue »Zivi« morgens mit Schwung seinen Porsche auf den Parkplatz manövrierte und mit flotten Sprüchen seine verspätete Ankunft begründete, geriet die heile oberbergische Welt unseres Verwaltungsleiters, der als Vorgesetzter der Zivildienstleistenden fungierte, zwangsläufig an ihre Grenzen. Mehr und mehr auch darüber hinaus. Zumal die anderen »Zivis« natürlich argwöhnisch beobachteten, ob man denn auch als Porschefahrer zu ganz profanen Dienstpflichten wie Rasenmähen herangezogen wurde.

Aus meiner Beobachtung empfand der junge Lindner derartige Beschäftigungen geradezu als Höllenqualen, als eine Art permanente Majestätsbeleidigung. Zumal er dafür eigentlich ohnehin keine Zeit hatte. Denn er war nebenher unter anderem als PR-Berater tätig und arbeitete mit Hochdruck an einem Projekt, das ihm besonders am Herzen lag: Er wollte mit einem eigenen Wagen an der Love-Parade in Berlin teilnehmen, finanziert durch Sponsoren. Lindner wäre nicht Lindner gewesen, wenn ihm das nicht gelungen wäre. Mit dem Porsche Boxster nach Berlin zum eigenen Wagen auf der Love-Parade. Eines war schon früh klar: Der Junge verstand etwas vom Showgeschäft.

Aber da war eben noch die Sache mit dem Rasenmähen. Deshalb suchte er Zuflucht. Die fand er bei mir. Meine kleine Abteilung war in der Theodor-Heuss-Akademie quasi die Schnittstelle zwischen politischer Theorie und Praxis. Ich pendelte zwischen Bundestag und Stiftung hin und her, hatte dementsprechend viel zu tun, war aber auch in hohem Maße mein eigener Herr. An der Schwelle meines Büros endete de facto auch der Machtbereich unseres Verwaltungsleiters. Ich erbarmte mich des jungen Mannes und leitete in die Wege, dass er meinem Bereich für die inhaltliche Arbeit zugewiesen wurde. Seine Flucht vor den Hausmeistertätigkeiten hatte ein glückliches Ende gefunden.

Christian Lindner und ich haben später über diese anekdotenträchtige Zeit immer wieder gescherzt. Tatsächlich wurde mir damals bei unseren ersten intensiveren Gesprächen schon bald eines klar: Hinter seinem häufig inszenierten, etwas arg großspurigen Auftreten steckte ein hochbegabter junger Mann mit hellwachem Verstand und außergewöhnlicher Verbalisierungskompetenz. Aus dem würde mal etwas werden. Konkurrieren mit seiner Begabung konnten allenfalls noch sein Ehrgeiz und seine Selbstverliebtheit.

Damit hier kein Missverständnis entsteht: Ich habe Christian Lindner auch später oft genug damit aufgezogen, und wir haben beide gemeinsam schallend darüber gelacht. Etwa, als ich ihm einmal in unserem gemeinsamen Abgeordnetenbüro im Düsseldorfer Landtag skizzierte, in wie vielen Bänden er seine Erinnerungen veröffentlichen würde (Lindner: die jungen Jahre, Linder: der Staatsmann, Lindner: die großen Reden etc.). Als Politiker die nötige ironische Selbstdistanz zu wahren, ist eine Art Selbstschutz. Viele Jahre konnte der hochbegabte, selbstverliebte Christian Lindner noch über sich selber lachen. Als er FDP-Parteivorsitzender wurde und ihn die Bundeskanzlerin regelmäßig zum Gespräch empfing, verlernte er es.

Zur Wahrheit gehört, dass ich ohne Christian Lindner vielleicht selbst gar nicht für den Landtag kandidiert hätte. Ich hatte einen wirklich interessanten Job, der mir Freude machte, und bis Anfang 1999 eigentlich nicht ernsthaft über eine eigene politische Laufbahn nachgedacht. Und dann sitzt dieser Junge vor meinem Schreibtisch und erklärt mir mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt, dass er bei der Landtagswahl im Mai 2000 natürlich ins Parlament wolle. Er war wie ich früher bei den Jungen Liberalen aktiv und hatte es 1998 mit einer Überraschungskandidatur sogar zu einem Platz im FDP-Landesvorstand gebracht. Jetzt wollte er durchstarten. Erst habe ich gelacht. Aber dann wurde ich doch nachdenklich. Eigentlich hatte Christian Lindner ja recht. Es war höchste Zeit, selbst mit anzupacken.

Die FDP war bei der Bundestagswahl 1998 nach 29 Jahren (!) aus der Bundesregierung ausgeschieden und fand in der öffentlichen Wahrnehmung neben der CDU kaum noch statt. Bei den folgenden Landtagswahlen hagelte es deprimierende Niederlagen. Die Sinnkrise der Partei dauerte aber eigentlich schon an, seit sie sich bei der Bundestagswahl 1994 nur noch als Wahlhelfer der Union (»damit Helmut Kohl Kanzler bleibt«) über Wasser gehalten hatte. 1995 war sie sogar aus dem Düsseldorfer Landtag geflogen.

Jürgen Möllemann, der FDP-Landesvorsitzende in NRW und frühere Bundesminister, war nach seinen wüsten Attacken auf den Bundesvorsitzenden Klaus Kinkel 1994 auch zum Rücktritt vom Landesvorsitz gezwungen worden. 1996 wurde er reumütig zurückgeholt. Möllemann befand sich nach wie vor auf dem Kriegspfad gegen die Bundespartei. Aber er wusste, dass sein bundespolitisches Comeback nur gelingen könnte, wenn er die FDP bei der Landtagswahl im Mai 2000 wieder ins Parlament zurückführte. Deshalb trat er als Spitzenkandidat an. Diese Wahl versprach also eine wirklich interessante Geschichte zu werden. Christian Lindner und ich verabredeten, dass wir gemeinsam versuchen würden, dabei mitzumischen.

Nur war das leichter gesagt als getan. Einerseits waren zwar die Chancen für Newcomer besser, weil es keine amtierende Landtagsfraktion mehr gab, die ihre Claims hätte verteidigen können. Andererseits gab es unter den über 15.000 Mitgliedern der NRW-FDP genügend Aspiranten auf ein Parlamentsmandat. Das Parteiestablishment war immer noch fest zementiert. Möllemann hatte von Beginn an ein kritisches Auge darauf, wer da mit ihm in den Landtag wollte. Weil die FDP, wie die Grünen auch, bei Bundes- und Landtagswahlen in aller Regel keine Wahlkreise direkt gewinnt, werden ihre nach dem Gesamtergebnis errungenen Mandate ausschließlich über Landesreservelisten vergeben. Darüber bestimmt bei der NRW-FDP eine sogenannte Landeswahlversammlung, die aus 400 Delegierten der 54 Kreisverbände besteht und für die Landtagswahl im Mai 2000 ein halbes Jahr vorher in Düsseldorf zusammentrat.

Wer dort aussichtsreich antreten wollte, musste von seinem Kreisverband nominiert werden und in aller Regel auch als Direktkandidat in einem der Wahlkreise aufgestellt worden sein. Und dann war da noch eine weitere Nominierungshürde: der Bezirksverband. Wie in den anderen Parteien gibt es auch in der FDP eine Ebene zwischen den Kreisverbänden und der Landespartei, und zwar die Bezirke; in Nordrhein-Westfalen sind es neun. Sie stellen vor einer Landeswahlversammlung auf Parteitagen eigene Kandidatenlisten auf, die dann in Verhandlungen mit den anderen Bezirken zu Vorschlagslisten zusammengeführt werden. Das lädt natürlich zu Seilschaften ein. Letztlich entschieden wird aber immer auf der Landesebene, in geheimer Einzelwahl.

Christian Lindner gehörte als Wermelskirchener zum Kreisverband Rhein-Berg, ich selbst als Königswinterer zum Kreisverband Rhein-Sieg. Beide Verbände sind Teil des Bezirksverbandes Köln, zu dem noch Köln, Bonn, Rhein-Erft, Oberberg und Leverkusen gehören. Wir mussten es also auf unserem Weg in den Landtag zunächst einmal auf die Liste unseres gemeinsamen Bezirksverbandes schaffen. Ohne unsere wechselseitige Unterstützung wäre uns das wohl kaum gelungen.

Wir arbeiteten schon bei der Kommunalwahl im September 1999 Hand in Hand, arrangierten Einladungen für den anderen, um uns bekannter zu machen, und bastelten manche Nacht in einer kleinen Druckerei in Kürten unter vier Augen an der Entwicklung von Kampagnenmaterial. Christian Lindner, ohnehin ein Nachtarbeiter, hatte sich vom Eigentümer der Einfachheit halber die Schlüssel geben lassen. Es verging kaum ein Tag, an dem wir uns nicht auf den neuesten Stand brachten. Wir haben unsere Landtagskandidaturen mit harter Arbeit vorbereitet, dabei aber auch viel Spaß gehabt.

Auf dem Nominierungsparteitag des Bezirksverbands Köln im Oktober 1999 in Pulheim mussten wir uns beide in umkämpften Wettbewerbskandidaturen behaupten, bevor wir auf die Plätze 3 und 4 der Bezirksliste gewählt wurden. Denn wir gehörten nun einmal nicht zum Establishment. Außerdem waren wir in einer strukturellen Minderheitsposition, weil sich die Delegierten aus Köln und Bonn, die nahezu allein die Mehrheit stellten, verabredet hatten, ihre Kandidaten wechselseitig zu unterstützen. Ich gehörte in meinem Kreisverband bis dahin noch nicht einmal dem Vorstand an und musste mich schon auf Kreisebene gegen einen Gegenkandidaten durchsetzen.

Geschreckt hat mich das alles nicht, ganz im Gegenteil. Wenn man für eine Partei antritt, die sich den Wettbewerb auf ihre Fahnen geschrieben hat, sollte man auch selbst bereit sein, sich diesem Wettbewerb zu stellen. Ich habe auch später als Fraktionschef im Landtag Redeschlachten fast immer genossen. Der Austausch von Argumenten in freier Rede macht die parlamentarische Demokratie erst lebendig. Wie früher Guido Westerwelle erzielt Christian Linder als Redner vor allem deshalb so große Wirkung, weil er meistens ohne Manuskript spricht, wenngleich seine wichtigen Reden bis ins Detail vorbereitet sind.

Bei der Landeswahlversammlung am 12. Dezember 1999 war ich für Platz 14 der Reserveliste nominiert, Christian Lindner für Platz 19. Was ich allerdings bei Weitem unterschätzt hatte, war die Entschlossenheit, mit der Jürgen Möllemann meine Wahl verhindern wollte. Deshalb bekam ich an diesem Tag eine Lehrstunde in Sachen personalpolitischer Ränke verpasst, die ich nicht so schnell vergessen sollte.

Möllemann hatte sich mit Paul Friedhoff, der früher als Schatzmeister der NRW-FDP eng mit ihm zusammengearbeitet hatte, heillos überworfen. Seine permanenten Stänkereien gegen die Bundespartei und seine Unberechenbarkeit hatten bei Friedhoff das Fass zum Überlaufen gebracht. Als ich überraschend als ambitionierter Landtagskandidat auftauchte, sah Möllemann darin ein Manöver Friedhoffs, um in der neuen Landtagsfraktion eine Front gegen ihn aufzubauen. Das war zwar völliger Blödsinn, aber aus Sicht Möllemanns naheliegend.

Und so kam es, dass ich bei der Abstimmung über Platz 14 der Reserveliste gleich zwei Gegenkandidaten erhielt. Einer war Friedrich Wilke, ein Hochschullehrer aus Gummersbach, der von seiner Kreisvorsitzenden, der Bundestagsabgeordneten Ina Albowitz vorgeschlagen wurde. Wilke hatte bereits auf dem Bezirksparteitag gegen mich kandidiert, dabei aber deutlich den Kürzeren gezogen. Es entsprach nicht dem demokratischen innerparteilichen Komment, gegen den gewählten Kandidaten des eigenen Bezirksverbandes noch ein weiteres Mal anzutreten, und dann auch noch ohne jede Vorankündigung. Aber Möllemann unterstützte dieses Vorgehen und hatte dabei sogar noch meinen eigenen Bezirksvorsitzenden aus Köln mit ins Boot geholt, der eigentlich meine Kandidatur hätte verteidigen sollen. Beschweren konnte ich mich bei dem in dieser Situation allerdings nicht, weil er plötzlich auf dem Parteitag unauffindbar war!