Der Autor

Falk van Helsing hat in Hamburg Jura studiert. Damals noch jung und naiv, entschied er sich für den schlecht bezahlten und langweiligen Staatsdienst. Er arbeitet als Richter an einem kleinen Amtsgericht im anhaltischen Outback.

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© Karsten Bieling

I. Der Staranwalt

1. Karriereziel Staranwalt

Egal wer Sie sind, dieses Buch kann Ihnen zeigen, wie Sie Ihre anwaltlichen Karriereziele spielend leicht erreichen können. Sie wollen zu den Angesehenen und Besserverdienenden, kurz zu den Gewinnern gehören? Villa, Sportwagen, Jacht, Learjet und Ländereien in der Größe der Vereinigten Staaten von Amerika müssen keine Wunschträume mehr bleiben. Schon nächste Woche werden Sie wie Dagobert Duck in Geld schwimmen und sich wie ein Oscar-Gewinner im Ruhm aalen.

Vielleicht sind Sie Jurastudent oder Rechtsreferendar und machen sich Gedanken über Ihre berufliche Zukunft. Die Einstellungschancen in Justiz, Verwaltung und Unternehmen sind als sehr gut zu bezeichnen, vorausgesetzt, Sie haben ein Doppel-Gut-Examen. In den Staatsdienst werden jährlich nur eine Handvoll Doppel-Prädikat-Fuzzis mit dem richtigen Parteibuch eingestellt. Gegen den Staatsdienst spricht im Übrigen, dass Sie für Ihre Arbeit etwa so viel Geld bekommen wie ein Sandverkäufer in der Sahara. Da viele Richterstuhlhocker, Staatsanwälte und Verwaltungsjuristen den Staatsdienst als eine Art vorweggenommenen Ruhestand betrachten, ist die geringe Besoldung aber mehr als gerecht, wenn nicht sogar großzügig. Als Wirtschaftsjurist kommen Sie in Unternehmen, Versicherungen und Banken nur mit Doppelprädikatsexamen, Doktortitel, Wirtschaftsrechtskenntnissen, BWL-Studium, Fremdsprachenkenntnissen, mehrjähriger Berufserfahrung bei gleichzeitiger Nichtüberschreitung eines Höchstalters von 24 Jahren und zwei bis drei Nobelpreisen unter. Die jährlich zwölf Stellen werden in sogenannten Assessment-Centers ausduelliert. Kurz gesagt:

Deshalb müssen 86 Prozent aller Examensabsolventen eine Zulassung als Anwalt beantragen, die restlichen 14 Prozent sind beim zweiten Staatsexamen durchgefallen. Damit soll nicht der Eindruck aufkommen, der Anwaltsberuf sei für viele nur eine Notlösung. Tatsächlich gibt es gute Gründe, Anwalt zu werden.

20 Gründe, Anwalt zu werden

1. Das Geld.

2. Anwalt ist nach Arzt, Politiker und Gebrauchtwagenhändler der viertangesehenste Beruf.

3. Anwälte werden reich.

4. Anzugträger mit schwarzen Aktentaschen umgibt eine Aura von Macht und Autorität.

5. Anwälte fahren Porsche.

6. Anwälte arbeiten in schicken Büros in bester Innenstadtlage.

7. Anwälte sehen aus wie Tom Cruise oder Rachel Weisz.

8. Anwälte haben attraktive und willige Sekretärinnen.

9. Juristendeutsch ist so schön!

10. Anwälte sind auf jeder Party gern gesehen (für kostenlose Rechtsberatungen).

11. Anwälte verdienen sehr gut.

12. Anwälte können auf jede Frage mit »Es kommt darauf an« antworten.

13. Anwälte haben immer recht – jedenfalls bis der Richter das Urteil verkündet.

14. Anwälte gehören zu den Spitzenverdienern.

15. Anwälte haben schöne Briefköpfe und Montblanc-Füller.

16. Anwälte gewinnen täglich neue Freunde, die ihnen für die Hilfe ewig dankbar sind, wie Mörder und Kinderschänder.

17. Anwälte streichen fette Honorare ein.

18. Anwälte haben laufend mit spannenden Fällen zu tun, wie mit Parkplatzunfällen vor dem Supermarkt.

19. Streiten gehört zum Handwerk und wird sogar noch bezahlt.

20. Das Geld.

Vielleicht sind Sie aber auch ein Junganwalt, dessen Karriere ins Stocken geraten ist. Sie sind seit sechs Jahren freier Mitarbeiter bei der Mega-Kanzlei Größenwahn & Partner und bekommen für eine 90-Stunden-Woche den Sozialhilfesatz plus Spesen (sogenannter Portokassenanwalt). Nachdem Ihr Kanzleichef Dr. Geldsack sich gerade den vierten Rolls-Royce in die Garage gestellt hat, kommen Ihnen erste Zweifel, ob es das für Sie gewesen sein soll.

Möglicherweise sind Sie ein erfahrener Feld-, Wald- und Wiesenanwalt, dem der berufliche Durchbruch noch nicht gelungen ist. Sie haben die wenigsten Klienten und den schlechtesten Ruf in Ihrem Gerichtsbezirk. Sie vertreten überwiegend unwichtige Sachen mit niedrigen Gebührenwerten vor dem Amtsgericht Poppendorf und haben gerade wieder eine einverständliche Scheidung verloren.

Oder Sie betreiben eine Kümmerkanzlei im Hinterzimmer in Strullendorf, Ortsteil Würgau. Sie können sich weder Kanzleiräume noch Büropersonal leisten. Es ist Ihnen in all den Jahren nicht ein einziges Mal gelungen, aus dem Gerichtssaal einen Sieg davonzutragen. Sie haben seit drei Monaten keinen neuen Fall mehr bekommen und Ihr letzter Mandant ist gerade hingerichtet worden. Nachts träumen Sie davon, mit einem glänzenden Sieg in einer aussichtslos erscheinenden Bußgeldsache groß rauszukommen.

Egal, was für ein Anwalt Sie sind, insgeheim träumen Sie davon, ein juristischer Macher zu werden – ein Berater von Politikern, Bankvorständen oder anderen Berufskriminellen. Sie wünschen sich neben Prominenz, Anerkennung und hohen Honoraren ein mahagonigetäfeltes Büro und eine Sekretärin mit dem Organisationstalent eines NASA-Computers. Aber mit hübscheren Beinen.

2. Was ist ein Staranwalt?

Mit Staranwalt war ursprünglich nur der Prominentenanwalt gemeint, also derjenige, der eine zwei Kilometer lange Liste berühmter Mandanten vorweisen konnte. Zum Staranwalt wurde man durch Starmandanten. Heute wird unter Staranwalt der beruflich höchst erfolgreiche Anwalt verstanden. Auch wer den 15-Millionen-Fall eines völlig unbekannten Klienten gewinnt und selbst ein siebenstelliges Einkommen hat, ist ein Staranwalt. Aus dem Anwalt der Stars ist der Star der Anwälte geworden.

Der Staranwalt zeichnet sich durch drei Eigenschaften aus: bescheiden, schlecht und erfolglos. Diese Eigenschaften allein reichen aber nicht aus. Der Staranwalt ist zudem publicityscheu. Noch unwichtiger als die juristische Niederlage oder das geringe Einkommen ist ihm die Nennung seines Namens auf der Titelseite der Zeitung oder sein Statement in der Tagesschau. Er will durch den Namen seines Auftraggebers oder die Bedeutung des Falles nicht selbst in die Schlagzeilen geraten und versteht es auch nicht, sich medienwirksam zu präsentieren. Oder war es genau umgekehrt?

Ziel des Staranwalts ist, mächtig und reich zu werden. Mächtig sind Sie etwa, wenn Sie ganz oben in den Vorstandsetagen mitmischen und die Geschicke eines Weltkonzerns mitgestalten. Reich sein fängt mit überdimensionierten Armbanduhren sowie Ferraris an und hat nach oben keine Grenze.

Charakterlich sollten Sie unbelastet von ethischen Zweifeln sein. Sie sollten keine Gewissensbisse bekommen, wenn der Großkonzern 1000 Mitarbeiter entlassen oder der mehrfach vorbestrafte Kinderschänder wieder einmal herausgepaukt werden will. Sie machen nur Ihren Job. Deshalb brauchen Sie sich auch nie entschuldigen.

Der Ruf der Anwälte ist von blöden Vorurteilen überschattet und als Anwalt machen Sie sich nicht nur Freunde. Das Mittel, um hier entgegenzuwirken, heißt Irreführung. Versuchen Sie, ein Mensch zu sein, den jeder mag. Spenden Sie gelegentlich etwas für wohltätige Organisationen, bieten Sie alten Leuten in Bus oder Bahn Ihren Sitzplatz an und grüßen Sie sogar den Hausmeister. Wenn Sie es schaffen, im Alltag als netter Mensch wahrgenommen zu werden, wird niemand Sie verdächtigen, ein geldgieriges Arschloch zu sein. Das ist Ihre Tarnung.

3. Arten des Staranwalts

Prominentenanwalt

Er verteidigt Stars und berüchtigte Verbrecher. Durch schneidige und publikumswirksame Auftritte vor Gericht und in Talkshows wird er selber zum Star.

Partner von Großkanzleien

Ihr Name steht fett gedruckt ganz oben auf dem Briefkopf, während die 400 Anwaltssklaven erst in mikroskopisch kleiner Schrift auf der Rückseite aufgeführt werden. Sie sind für die strategische Beratung von Vorständen und Aufsichtsräten zuständig und verdienen ein Millionengehalt.

Insolvenzverwalter

Diese Leichenbestatter von Pleitefirmen kassieren Mega-Honorare. Für die Auflösung der deutschen Tochter der US-Bank Lehman Brothers hat der Insolvenzverwalter 834 Millionen Euro verlangt. Für die Karstadt-Pleite gab es immerhin noch 32 Millionen Euro, für Schlecker 15 Millionen Euro.

Opferanwalt

Terroranschläge, Flugzeugabstürze und gesunkene Kreuzfahrtschiffe haben eins gemeinsam: Es gibt Hunderte Geschädigte, hohe Streitwerte und es locken Interviews sowie Fernsehauftritte. Der Opferanwalt erscheint spätestens auf der zentralen Trauerfeier und versucht, möglichst viele Hinterbliebene als Mandanten zu gewinnen.

Anlegeranwalt

Er vertritt möglichst viele Anleger, die Verluste aus dem abgesackten Aktienkurs erlitten haben. So hat ein Anwalt gegen VW in der Abgas-Affäre Klagen in Milliardenhöhe erhoben.

4. Wie werde ich Staranwalt?

Um Staranwalt zu werden, gibt es neben der Einheiratung drei Möglichkeiten:

1. Sie bemühen sich um prominente Mandanten. Wer gerade prominent ist, lässt sich leicht der Klatschpresse und den diversen Starmagazinen im Fernsehen entnehmen. Dort erfahren Sie die aktuellen Namen aus der Welt der Adeligen und des Showbusiness. Ein Mandant wie Lothar Matthäus, der es auf mehr Scheidungen als Tore gebracht hat, und Sie brauchen kein weiteres Klientel. Schwierig wird es nur, wenn es in Ihrem Bekanntenkreis und der unmittelbaren Nachbarschaft gerade keine rechtssuchenden Prominenten gibt.

2. Sie bemühen sich als Strafverteidiger um große publicityträchtige Fälle, die sogenannten Sensationsprozesse. Diese werden täglich auf der Titelseite der Bild-Zeitung, dem Fachblatt für Revolverjournalismus, ausgeschrieben (»Mutter schlachtet Familie ab, um es mit einem Goldhamster zu treiben«). Den Rolf-Bossi-Effekt erreichen Sie am schnellsten, indem Sie nur Mörder und Kinderschänder verteidigen. Je abscheulicher das Verbrechen, desto größer das Medienecho. Dem Täter können Sie Ihre Dienste ruhig kostenlos anbieten, wenn Sie es verstehen, die Geschichte Ihres Rippers gewinnbringend an die Medien zu verkaufen. Ein einziges Interview mit einem Massenmörder bei RTL bringt leicht so viel wie 1000 Pflichtverteidigungen.

3. Sie werden ein Regenmacher. Darunter versteht man einen Anwalt, der es möglich macht, dass Geld vom (Gerichts-)Himmel regnet. Der Regenmacher bringt mit anderen Worten seiner Kanzlei das ganz große Geld ein. Dazu müssen Sie sich entweder um Wirtschafts- oder um Schadensersatzmandate, beide jeweils mit hohen Streitwerten, bemühen. Dann setzen Sie Ihren Kopfschmuck aus Federn auf und tanzen zu Trommelmusik so lange im Gerichtssaal, bis es Geld regnet.

Sie werden in diesem Buch lernen, dass Karriere und ein gewisses Talent zur Trickserei sowie zur Schauspielerei unmittelbar zusammengehören. Sie erfahren auf den folgenden Seiten alle Tricks und Kniffe der Staranwälte. Durch ihre Befolgung werden Sie eine Blitzkarriere machen und spätestens nächsten Freitag auch zur Anwaltselite gehören.

II. Wie man zu einer Anstellung kommt

1. Gibt es überhaupt freie Stellen?