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Carlo Manzoni

Das MG im Dekolleté

Ein 00 SuperKrimi, in dem man dem berühmten Chico Pipa mit zwei Nullen vornedran wiederbegegnet, dazu kommt noch ein 00 Josef, der Funken sprüht, unzählige Ameisen, Liebe in Tomatensauce und eine Menge anderer Dinge, die erfunden scheinen, in Wirklichkeit jedoch lachmuskelspannend sind.

LangenMüller

Titel der Originalausgabe:

Con un Bacio ti brucio

Aus dem Italienischen übertragen von Maria Kern

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© für das eBook: 2016 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

© alle Rechte für die deutsche Sprache: 1970 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagmotiv: Shutterstock

eBook-Produktion: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

ISBN 978-3-7844-8274-3

Erstes Kapitel

Ein Schaufenster, für das niemand außer mir Interesse zeigtanscheinend haben die Leute statt des Hirns kaltes Eis im Kopf.

Salve, Sportsfreunde! Ewig lang haben wir uns nicht gesehen. Ja, ja, ich weiß, es ist einzig und allein meine Schuld, daß ich zwei Jahre lang aus dem Verkehr gezogen war, aber dies ist nicht der richtige Moment, Ihnen das Warum und Wieso zu berichten.

Später erzähle ich Ihnen alles; ich ziehe nämlich gerade um und habe deshalb keine Zeit für Klatsch und Tratsch. Natürlich übersiedeln wir alle beide, ich und mein Partner Gregorio Scarta.

Eigentlich ist es überflüssig, Sie näher über meinen Mitarbeiter zu informieren, Sie kennen ihn ja schon: Gregorio Scarta, für seine Freunde Greg, der beste Polizeihund der Welt, der mir in den verzwicktesten Fällen zur Hand geht, eigentlich zur Pfote, weil Sie von mir schon einen wirklich korrekten Stil erwarten können.

Aber wenn ich es gar zu genau nehme, werde ich nie fertig. Also, ich sagte schon, daß wir beim Übersiedeln sind. Wir verlagern uns vom GHIRIGORO ins DIMMICIAO. Das GHIRIGORO und das DIMMICIAO sind zwei Lokale, die Bourbon und ähnliche Flüssigkeiten ausschenken. Sie wissen ja, wie man’s macht: Einer kommt herein und sagt: Ich möchte einen doppelten Bourbon oder einen Gin mit ein paar Zwiebeln drin, oder eine superkonzentrierte Grappa. Da ist dann ein Spezialist, der die jeweilige Flasche nimmt und einschenkt.

Im Grunde brauche ich Ihnen das nicht alles von A bis Z vorzukauen, ein wenig können Sie Ihre Fantasie auch anstrengen, nicht? Ich habe diesen Umzug beschlossen, weil ich im GHIRIGORO bereits alle Barhocker angewärmt habe. Ich brauche endlich eine frische, mit Ozon angereicherte Sitzgelegenheit: Ich sitze mit meinen vier Buchstaben nicht gern im Warmen.

Das DIMMICIAO liegt hundertfünfzig Meter weiter vorne in der gleichen Straße und sogar auf dem gleichen Trottoir, ich muß also nicht einmal die Straße überqueren.

Zwischen den beiden Lokalen gibt es ungefähr ein Dutzend Geschäfte aller Art, aber das ganze Zeug in den Auslagen interessiert mich nicht, also schlendere ich geruhsam dahin, die Hände in den Hosentaschen und die Augen gerade nur so weit offen, um den mir entgegenkommenden Leuten nicht gegen das Schienbein zu treten.

Und Leute gibt’s zu dieser Nachmittagsstunde mehr als genug. Es ist fünf Uhr und zu dieser Zeit haben sich die guten Bürger, wenigstens die mit guten Zähnen, angewöhnt, Vitamine, Proteine und sonstige »ine« zu kauen und die Mägen mit den nötigen Kalorien zu versorgen, um bis zum nächsten Auftanken durchzuhalten. Greg geht »immer an der Wand lang« und läßt, wie gewöhnlich, keine Ecke aus. Des öfteren findet er ein ganz besonderes Parfüm, dann bleibt er zu einem Kontrollgeschnüffel stehen, aber das stört mich nicht. Ich kümmere mich um meine Angelegenheiten und er sich um seine.

Nach kaum dreißig Schritten muß ich meine Augen auf eine Blondine einstellen, die mir entgegenkommt: ein eher auffallendes Wesen in einem grasgrünen Etwas, dessen Stoff Stahldraht sein muß: Die Blondine scheint bei jedem Schritt auf dem Trottoir überzuquellen, was sie aber nicht sonderlich kümmert. In ihrem Schatten eine andere Blondine, die ich kaum mit einem halben Seitenblick streife, wogt sie plaudernd daher.

Nicht daß dieses Vorgebirgsmassiv mich sonderlich interessiert: Für meinen Geschmack kommen achtzig Kilo zuviel auf mich zu, aber im Ganzen gesehen fesseln diese überwältigenden Massen doch den Blick so, daß ich, als dieses wandelnde »Cap verde« an mir vorbei ist, den Kopf so weit drehen muß, um konstatieren zu können, ob die Rückseite ebenso großzügig konstruiert ist.

Und ausgerechnet in diesem Augenblick verirrt sich dieser Seitenblick in die Auslage eines Antiquitätengeschäftes. Mein Seitenblick hat sofort auf »Alarmstufe I« geschaltet und blockiert dadurch mein ganzes EGO. Ich bleibe angenagelt und mit offenem Mund stehen, stelle dann mein Geschau auf die richtige Sehschärfe ein, und als ich sicher bin, daß mein Seitenblick richtig gesehen hat, atme ich tief durch.

»Teufel, Teufel«, sage ich.

Das »Cap verde« bleibt stehen und beäugt mich. »Meinen Sie mich?« fragt sie.

Dann bemerkt sie, daß meine Augen stur auf die Auslage gerichtet sind und wendet ihren Blick nach dort.

Ich mache einen Seitensprung, damit sie mich beim Hinfallen nicht zermalmt, aber sie wird gar nicht ohnmächtig. Sie blinkert ein wenig mit den Augendeckeln, geht näher und zieht ihre Freundin nach.

»Donnerwetter!« sagt sie, »der muß aber schon sehr antik sein. Ich hätte ihn gern für meine Diele, gleich neben der Eingangstüre. Was meinst du, Pizina?«

»Aber geh, Sodoma«, sagt die Andere, »was machst du mit einem Lampenschirm, der nur aus Löchern besteht? Und wer weiß, was der kostet!«

»Ist eigentlich wahr«, sagt das »Cap verde« und zieht einen Seufzer aus ihrer Oberweite, der beinahe die Auslagenscheibe zertrümmert, »aber schade ist’s doch, ich bin ganz wild auf Antiquitäten.«

Man möcht’s nicht glauben, Leute, und ich täte es auch nicht, wenn ich nicht dabeistehen und zuhören würde.

Ich schaue mir noch einmal die zwei weiblichen Wesen an, dann die Auslage. Ein Haufen Plunder ist da ausgestellt, lauter altes Zeug, verschimmelt, grünspanig, mit Schimmelpilzen garniert. Kleinmöbel, Truhen, geschnitzte Bilderrahmen, verstaubte Statuetten, Zigarettenetuis, Kästchen. Eine Aufstellung von all dem Zeug werde ich jedoch nicht machen.

Eine Stehlampe aus bemaltem Holz steht auch da mit einem Putto, der eine Art Kerzenleuchter hält. Aber dies alles ist nicht der Blickfang dieser Auslage.

Das Ding mittendrin hat nichts mit Antiquitäten zu schaffen. Sein Alter, das kann ich Ihnen flüstern, übersteigt kaum fünfundvierzig Jahre.

Ein Toter, liebe Freunde. Ein schöner Toter, malerisch hingestreckt auf einem alten, mit rotem Samt überzogenen Fauteuil. Die Beine ausgestreckt, die Arme herunterhängend, den Kopf gegen die Rücklehne gestützt. Mit aufgerissenen Augen blickt er himmelwärts. Er trägt einen hellgrauen Anzug, ein weißes Hemd mit himmelblauer Krawatte, schwarze Schuhe und blaue Socken. Seine dunklen Haare sind mit viel Brillantine nach hinten geklebt.

Er dürfte so um die fünfundsiebzig Kilo wiegen und einssiebzig groß sein.

Aber er ist tot, Freunde, vom Scheitel bis zu den Zehen mausetot, so tot, wie nur eine Leiche sein kann, der aus dem Hemd der Griff eines Dolches ragt, vier Finger breit links von der Krawatte. Und ich täusche mich nicht, denn ich weiß genau, wie Tote aussehen. Und diese zwei Gänse bewundern den Lampenschirm und merken nichts.

»Aber zum Donnerwetter«, rutscht mir heraus, »sehen Sie denn den dort nicht?«

»Wen denn?« fragt das Vorgebirge.

»Vielleicht«, sagt die Andere, »meint er den Mann dort auf dem Fauteuil.«

»Was hat er denn?« fragt das »Cap verde«.

»Aber der ist doch tot!« schreie ich, »sehen Sie denn nicht, daß er mausetot ist?«

»Na, ich hab’s gesehen! Was ist denn das für eine Art?« sagt das Vorgebirge und retiriert, wie wenn ich ihr angedroht hätte, sie aus ihrem Kleid zu stoßen. »Komm, gehen wir, Sodoma«, sagt die Andere und hängt sich in ihren rechten Arm. »Armer Teufel! Wird ein Verwandter von ihm sein!«

Ich bleibe stocksteif stehen und warte auf eine Eingebung, um ihnen etwas Unpassendes nachzurufen, aber es kommt keine.

Die zwei Geschöpfe gehen nun knapp an den Häusern entlang. Wer weiß, über was sie sich unterhalten.

Ab und zu dreht sich eine von ihnen um und wirft einen Blick auf mich. Ich betrachte die Menschen, die an der Auslage vorbeikommen. Keiner bleibt stehen.

Alle gehen stur weiter, und es soll mir nur ja keiner sagen, daß nicht einer von ihnen bemerkt, was sich da innerhalb des Schaufensters befindet; man müßte schon hartgekochte Eier statt Augen im Kopf haben, um dieses Etwas nicht zu bemerken, und nicht einmal dann. Einen so total Toten wie diesen würde man auch mit den Ellbogen oder dem unteren Teil der Wirbelsäule wahrnehmen können.

Tatsache, daß sich in unserer Welt von heute niemand mehr über irgend etwas wundert. Es gibt keine Aufregungen mehr, keine Überraschungen, kein Interesse für nichts.

Die Männer schauen gerade noch die Frauen an, die Frauen die Kleider der anderen Frauen und damit basta. Was alles Übrige betrifft, könnte einer auch mitten auf einer Hauptstraße die Gedärme eines Zimmermanns entwirren und sie sich um den Hals schlingen, nicht einer würde auch nur ein Auge riskieren. Höchstens bliebe der eine oder andere stehen, um zuzuschauen. So wie man das macht, um die Arbeiten an der neuen U-Bahnstrecke zu begutachten.

Heutzutage müssen die Menschen Trockeneis im Kopf haben anstelle des Gehirns.

Ich sehe manch einen die Auslage betrachten und dann weitergehen.

Greg saust heran, und als er vor dem Laden ist, bremst er mit den vier Pfoten und preßt die Schnauze an das Auslagenfenster.

Ich bin sicher, er denkt dasselbe wie ich, weil er die Zähne fletscht, sich umdreht und mich anschaut.

»Reg dich nicht auf«, sage ich, »so ist die Welt heutzutage, und wir zwei können sie auch nicht umkrempeln.«

Ich habe noch nicht ausgeredet, als sich ein Typ neben mich stellt.

Er ist in Hemdsärmeln und muß ein Gärtner sein, denn er hält einen Topf mit einer Grünpflanze umarmt, deren Blätter ihn am Ohr kitzeln.

Er schaut eine Weile den Toten an und wendet sich dann mir zu.

»Der ist tot«, bemerkt er.

»Allerdings«, sage ich.

Na also, wenigstens einer, den das interessiert.

»Ist wohl sehr teuer?« fragt er.

»Warum gehst du nicht hinein und fragst?« sage ich.

»Ich denk nicht dran«, sagt er, »ich hab nicht einmal das Geld, mir eine Flasche Bier zu kaufen und dann … Was soll ich mit einem Toten machen?«

Er verlagert den Blumentopf von einem Arm in den anderen und betrachtet weiter die Auslage.

»Aber der Anzug ist nobel«, sagt er, »es würde schon dafürstehen, ihn wegen dem Anzug zu kaufen.«

Meine Hände ballen sich automatisch zu Fäusten, aber ich entspanne mich gleich wieder.

»Wenn du weiter so viel redest, wird dein Blumenstock verwelken«, sage ich.

»Nur das nicht!« ruft er aus. Er wirft einen Blick auf den Blumentopf und saust davon.

Mir kommt die Idee, daß es sich um einen künstlichen Toten handeln könnte: Heutzutage vollbringen sie ja wahre Wunderdinge aus Plastik. Aber diese Idee schleicht sich sofort wieder aus meinen Gedanken, hinterläßt aber einen ganzen Haufen Fragen, auf die ich liebend gern die Antworten haben möchte.

Wer ist der da? Wer hat ihn kaltgemacht? Warum? Und wer hat die skurrile Idee gehabt, ihn in diese Auslage zu setzen?

Ich müßte es machen wie die anderen: Weitergehen, vor allem, weil mich an der nächsten Ecke mein Bourbon erwartet, aber ich bin halt anders konstruiert als die braven Bürgersleute.

Noch ist Treibstoff in meinem Tank, und ich kann das Nachfüllen noch etwas verschieben. Ich öffne also die Tür und trete ein.

Greg folgt mir.

Ich muß meine Augen auf äußerste Sehschärfe einstellen, um unterscheiden zu können, was da alles um mich herum steht und liegt.

Die Sonne berührt gerade noch die Füße des Toten in der Auslage, überall sonst ist auf den ersten Blick tiefste Nacht. Als sich die Augen jedoch an diese Finsternis gewöhnt haben, sehe ich ganz ordentlich.

Ich habe den Eindruck, in eine Dachkammer verschlagen worden zu sein, in der ein ganzer Lastwagen voll altem Gerümpel abgeladen ist. Ich muß aufpassen, wo ich hintrete, um nicht Bilderrahmen, Lüster, durchgesessene Fauteuils, kaputte Möbel und noch alles Mögliche und Unmögliche zum Einsturz zu bringen.

Eine Katze ist auch da, die, kaum sieht sie Greg, davonrennen will, aber dann erinnert sie sich, daß sie ausgestopft ist und bleibt unbeweglich sitzen.

»Hallo«, sage ich, »ist denn niemand hier?«

Greg wirft einen Blick auf die Katze, und ich höre endlich im Hintergrund des Geschäftes etwas knarren. Ich kann im Halbschatten zwei Gespenster unterscheiden, die auch Mann und Frau sein können, aber sicher bin ich über ihre Geschlechtszugehörigkeit nicht: Auf den ersten Blick scheinen die beiden Figuren ganz gleich, aber als es mir endlich gelingt, die Details zu unterscheiden, merke ich, daß es sich um zwei lebende oder quasi lebende Wesen handelt, die ohne Zweifel aus der Zeit einer der vielen LOUIS-Epochen übrig geblieben sind, die unweigerlich zitiert werden, wenn man eine alte, wurmstichige, verschrammte Truhe erstehen möchte. Sicher waren sie einmal Mann und Frau, aber die Zeit hat die Unterschiede verwischt und, zieht man nicht ihre Kennkarten zu Rate, kann man nicht mehr unterscheiden, wer er ist und wer sie.

Ich konstatiere auch, daß sie ganz gleiche Bewegungen haben und daß ihre Gelenke knacken wie trockenes Holz.

Sie leben sicher schon ein paar Jahrhunderte zusammen und jetzt, da sie unmittelbar vor mir stehen, sehe ich auch die Spinnweben, die beide zusammenhalten. Unter dem Staub, der sie bedeckt, sieht man deutlich die Holzwurmlöcher, die wie ein Heer von Sommersprossen ihre Gesichter bedecken. In sie hat die Zeit tiefe Furchen eingegraben.

Der primitivsten Logik nach müßten sie schon seit einer ganzen Weile tot und begraben sein. Aber Logik ist in unseren Tagen nicht mehr modern.

»Der da«, sage ich und deute mit dem Kopf auf den Toten, »ist er verkäuflich?«

»Oh ja«, sagt einer der lebenden Leichname. Ich weiß aber nicht, wer von beiden gesprochen hat. Vielleicht alle beide.

»Hören Sie zu«, sage ich, »ich bin kein Marsmensch, sondern lebe seit meiner Geburt in dieser Gegend und kann Ihnen versichern, daß mir schon allerhand untergekommen ist, aber so etwas noch nie.«

Die beiden nicken bejahend mit den Köpfen und verziehen ihre Münder in einer Art, die fast an ein Lächeln denken läßt.

»Das glauben wir gern«, sagt einer der Friedhofsentsprungenen, »es handelt sich auch um ein einmaliges Objekt von großem Wert. Der Griff ist aus feinstem, ziseliertem Silber, wie Sie ja sehen können. Er war im Besitz des Herzogs MASTICE DURALLUMINIO, einem berühmten Heerführer des dritten Jahrhunderts«, fährt die gleiche Stimme fort; oder vielleicht ist es auch die andere, »und er wurde von BULINI selbst nach den genauen Maßen seiner Hand angefertigt. Seine Signatur befindet sich darauf, Signore.«

Ich werfe einen scheelen Blick auf den Dolchgriff, dann schnupfe ich ein paarmal auf, um meine roten Blutkörperchen zu beruhigen, die im Begriff sind, mir ins Gesicht zu springen.

»Und haben Sie den Dolch da hinein gesteckt?« sage ich und berühre die Schulter des Toten.

»Wir? Niemals!« sagt eines der beiden Gespenster, »das Objekt wurde uns heute morgen zugestellt, und wir haben es, so wie es ist, in die Auslage getan. Um ein Kunstwerk dieses Genres auszustellen, gibt es eigentlich keine wirkungsvollere Methode, schon wegen der Art des Sujets, meinen Sie nicht auch, Signore?«

»Allerdings«, sage ich.

Ich gehe näher, um einen Blick auf das Dolchfutteral zu werfen, das auf einem Fauteuil daneben liegt, aber mehr als vorher weiß ich dadurch auch nicht.

Rund um den Dolch ist auf dem weißen Hemd ein wenig eingetrocknetes Blut und sonst nichts. Das Hemd sieht ganz neu aus, und auch der Anzug ist tadellos: Die Bügelfalten sind scharf, wie wenn der Tote den Anzug eben erst angezogen hätte.

Dem ersten Augenschein nach, den Anzug nicht eingerechnet, sieht der Tote nicht unbedingt taufrisch aus: Es dürften mindestens vierundzwanzig Stunden vergangen sein, seit er zum letzten Mal Luft geholt hat. Mein erster Impuls ist, meine Hände in seine Taschen zu stecken, um zu sehen, was drin ist, aber meine grauen Zellen werden plötzlich wach und veranlassen mich, diese Idee in den hintersten Gehirnwinkel zu verbannen. Besser, die Nase nicht in diese Geschichte stecken. Für diese Arbeit gibt es Nasen nach Maß, deren Brötchengeber der Staat ist.

So lege ich die Hände hinter meinen Rücken und wende mich den beiden Dreiviertelleichen zu.

»Also gut«, sage ich, »ich möchte zu gern eine Menge Dinge wissen: Wer der dort ist, wo er herkommt, wer ihm diesen kostbaren Gegenstand in die Nähe seiner Krawatte gepflanzt hat, aber besser nicht. Die Geschichte geht mich nichts an.«

»Schade«, sagt einer der Friedhofsentsprungenen.

»Wir können Ihnen die Echtheit des Objekts garantieren«, sagt der andere.

»Das bezweifle ich nicht«, sage ich, »wenn mich auch das Drumrum wesentlich mehr interessiert. Aber ich kenne jemanden, der für derartige Dinge eine wahre Leidenschaft hat. Wenn ich ihn anrufe, durchbricht er sogar die Schallmauer, um schneller da zu sein. Hier haben Sie seine Telefonnummer.«

Ich reiße ein Blatt aus meinem Notizbuch und schreibe die Nummer der Polizeizentrale auf.

»Lassen Sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen«, sage ich, »mein Freund heißt Tram. Rufen Sie ihn an, solange Sie noch dazu imstande sind.« Ich lege den Zettel auf ein Tischchen voller Porzellanfiguren. Dann schnalze ich mit den Fingern, um meinen Partner herbeizuzitieren. Ich mache die Türe auf und drehe mich um. »Außerdem«, sage ich, »ist er Leutnant, Leutnant Tram.« Greg ist nicht zu sehen, also werfe ich, bevor ich den Laden verlasse, einen Blick rundherum. Im Schatten von einem Haufen Bilderrahmen bemerke ich ein Etwas, das vorher nicht da war: einen Hund, einen unbeweglich sitzenden Hund, eine Pfote erhoben und den Kopf leicht zur Seite geneigt.

Er blinzelt mir zu: Es ist Greg.

Wenn er »ausgestopfter Hund« spielt, soll das heißen, daß er die Absicht hat, seine Schnüffelnase in diese Affäre zu stecken.

Umso schlimmer für ihn.

Ich gehe auf die Straße hinaus und denke wieder an meinen eigenen Kram.

Und Sie wissen ja, was am dringendsten für mich ist: das Rendezvous mit einer Flasche Bourbon, deren Verschluß abzuschrauben ich schon gar nicht mehr erwarten kann.

Sollen sie alle zum Teufel gehen: die Killer und die Gekillten und zum Teufel auch, wer den Gekillten in eine Auslage verfrachtet hat, als ob er ein ganzer Schinken oder ein Laib Käse wäre.

Und auch die sollen zum Teufel gehen, die sich nur um ihren eigenen Kram kümmern, wie ich das eben tue. Aber ich habe wirklich keine Lust, mit meinem Schädel gegen den Leutnant Tram oder den Sergeant Kautschuk zu rennen. Seit über zwei Jahren habe ich sie nicht gesehen und ich kann Ihnen versichern, daß mir diese Tatsache nicht ein einziges Mal Sodbrennen verursacht hat. Über ihr Aussehen hat sich in meinem Gedächtnis eine Mattscheibe gelegt, daß ich sie, im Falle einer Begegnung, nicht einmal wiedererkennen würde.

Ich fülle meinen Tank bis obenhin und gehe.

Dann verschwinde ich in einem türkischen Bad und lasse mich eine gute Stunde schmoren. Ich muß auf meine Linie achten, weil ich bei meiner derzeit sitzenden Lebensweise eine Gewichtszunahme befürchten muß, und das würde unweigerlich bei meinen ganzen technischen Einbauten Defekte hervorrufen.

Es ist acht Uhr vorbei, als ich mich im »FRITTO E FRUTTO« vor ein überdimensionales Beefsteak setze und, als ich gerade den letzten Bissen verdrücke, meine Kinnspitze zu jucken anfängt.

Ich weiß, was das heißt.

Und jetzt, liebe Freunde, ist der Moment gekommen, daß ich Ihnen berichte, wo ich die letzten zwei Jahre, fast so lange war das, zugebracht habe.