Flammenseele-cover.

Flammenseele

Eileen Raven Scott

Roman

Für Anne und alle anderen Katzenfans

love

©Eileen Raven Scott 2016

Machandel Verlag

Charlotte Erpenbeck

Cover: Ch.Erpenbeck

AlexAnnaButs/ Julian Dragomir/ Mikhail Bakunovich/shutterstock.com

Innen-Illustrationen:
Digital clipart / shutterstock.com

Haselünne

2016

ISBN 978-3-95959-035-8

Über die Autorin

Eileen Raven Scott wurde 1980 in Norddeutschland geboren, verbrachte später viele Jahre ihrer Kindheit in England, weswegen auch die meisten ihrer Geschichten dort spielen. Jetzt lebt sie mit ihrer Familie im Bergischen Land. Seit 2015 ist sie Mitglied bei der Autorenvereinigung DELIA.

Veröffentlichungen


Novelle „Feuerküsse“ erschienen 2014 im Machandel Verlag

„Kisses of Fire“ erschienen 2015 im Machandel Verlag

„Die Nacht der Elemente: Mondtochter“ erschien 2014 im bookshouse Verlag unter ihrem Pseudonym Lia Haycraft, die Folgebände „Mondschwinge“ (2015) und „Sonnenschwinge“ (2016) ebenfalls.



Homepages der Autorin


www.liahaycraft.jimdo.com

www.facebook.com/pages/Lia-Haycraft/1397793590441486


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www.machandel-verlag.de

Der Machandel Verlag bietet Ihnen ungewöhnliche Fantasy aus verschiedenen Teil-Genres: Romantik-Fantasy, humorvolle Fantasy, klassische Fantasy, Urban Fantasy, Dark Fantasy. Unsere besondere Spezialität sind Kurz-Romane für Jugendliche und Erwachsene. In der Abteilung Lesesaal auf unserer Webseite finden Sie Leseproben und Gratis-Kurzgeschichten als pdf-Downloads.

Kapitel 1

 

Die schweren Bässe der Musik wummerten in Ashs Herz, während sie sich im Tanz enger an Lierd schmiegte. Die Flammen an den Wänden knisterten verheißungsvoll wie ein gemütliches Kaminfeuer, zu dem sie ihre Katzenseele immer wieder lockte. Seit jenem Tag vor einem halben Jahr, als ihre Dämonenfreundin Aruni und Ilvio sich hier unten wiedergefunden hatten, war Ash oft mit Aruni hierher in die Katakomben gekommen, um zu tanzen. Getanzt hatte sie immer nur mit Lierd. Eine solche Faszination hätte Ash früher nie für möglich gehalten. Langsam zweifelte sie allerdings daran, dass sie noch Herrin ihrer Sinne war. Es war doch klar, dass sie sich früher oder später in ihn verlieben würde. Das war ihr immer passiert, wenn sie sich längere Zeit in der Nähe von jemandem aufgehalten hatte, der ihr gefiel.

Das Argument, dass Lierd gemeingefährlich war, ließ sie längst nicht mehr gelten. Sie kannte ihn mittlerweile von einer völlig anderen Seite. Die Sache mit Ilvio damals war eindeutig ein Unfall gewesen. Der Meereself war einfach sehr unglücklich gefallen, nachdem Lierd ihn fortgedrängt und wieder einmal seine Kraft nicht richtig eingeschätzt hatte. Ash seufzte und schmiegte sich enger an ihren Tanzpartner. Es fühlte sich zum Schnurren gut an. Und doch – Lierd war leichtsinnig und impulsiv. Und damit nicht der Richtige für sie.

Ash schloss die Augen und ließ sich von der Musik tragen, wiegte ihren Körper im Rhythmus der Bässe. Ein warmer Schauder rieselte durch sie hindurch, wie jedes Mal, wenn Lierd sie berührte. Als sie die Augen wieder öffnete, war Lierds Gesicht ganz dicht vor ihrem. Er lächelte sie vielsagend an. Dann wanderte sein Blick tiefer und er kam noch näher. Die anderen Tanzenden verschmolzen mit dem Hintergrund aus spiegelnden schwarzen Wänden und roten und orangenen Flammen. Ash sah nur noch Lierd, sein Gesicht so nah vor ihrem, seine sanft glühenden Hörner, die aus den schwarzen Haaren hervorlugten und das Lodern in seinen Augen. Ein Gefühl stieg in Ash auf, das sie schon ewig nicht mehr gespürt hatte. Noch ehe sie es richtig einordnen konnte, presste Lierd seine Lippen auf ihren Mund. Noch immer im Zauber der Musik gefangen, erwiderte Ash den Kuss. Heiß und rauchig war Lierds Atem und seine Zunge tanzte auf betörende Art mit ihrer. Ein vollkommen untypisches Seufzen entwich Ashs Mund. Lierd zog sie noch enger an sich, sodass sie seine glatte Haut warm durch ihr dünnes Kleid spüren konnte. Wie meistens hier unten trug Lierd kein Hemd. Ash sog tief den Duft seiner Haut ein und schnurrte erneut, sie konnte einfach nichts dagegen tun.

Da stieß plötzlich eine Schulter hart gegen Ashs Rücken und sie prallte so heftig gegen Lierd, dass sie ihn aus Versehen in die Lippe biss.

„Pass doch auf!“, knurrte Lierd.

Ash wollte schon protestieren und erklären, dass es nicht ihre Schuld war, da merkte sie an seinem Blick, dass er gar nicht mit ihr gesprochen hatte. Sie wandte den Kopf. Hinter ihnen tanzten eine blonde Dämonin und ein Hüne mit dicken gedrehten grauen Hörnern, der sie anzüglich ansah. Ash stieß ein kleines Fauchen aus und sah die beiden Dämonen finster an.

„Ganz die Mutter!“, zischte die Dämonin Lierd zu.

„Liegt in der Familie, seine Schwester leidet auch darunter“, sagte der Dämon mit einem fiesen Grinsen.

„Komm, lass uns weiter drüben tanzen, das ist bestimmt ansteckend.“ Sie lachten beide ein seltsam rauchiges Lachen. Ash bekam eine Gänsehaut.

Noch immer hielt Lierd Ash fest in seinen Armen. Sie konnte spüren, wie er seine Muskeln anspannte. Mit einem Knurren zog er Ash wieder näher an sich heran. „Kümmert euch um euren eigenen Kram“, fauchte er den beiden Störenfrieden hinterher.

Nach dem kleinen Zwischenfall tanzten Lierd und Ash zwar weiter, aber der Zauber war verflogen. So unverändert gut die Musik immer noch klang, so unnachahmlich geschmeidig Lierd immer noch tanzte, Ash war auf einmal mehr danach, an einem warmen Kamin zu liegen und von der Welt in Ruhe gelassen zu werden. Die Müdigkeit kroch in ihre Glieder und sie löste sich langsam von Lierd.

„Ich möchte nicht mehr tanzen“, sagte sie und trat einen Schritt zurück.

„Willst du schon gehen?“, fragte Lierd. „Bleib doch noch ein bisschen, wir könnten ...“ Er ließ den Satz unbeendet, aber Ash hatte auch so verstanden. Wollte Lierd wirklich, dass sie mit in seine Höhle kam? Sie war keine Dämonin und bisher war er den Regeln der Dämonen immer treu geblieben. Das Vermischen verschiedener Arten wurde nicht geduldet. Seine Frage hatte ihn offenbar selbst überrascht, das konnte sie ohne Mühe an seinem Gesicht ablesen. Vermutlich war es ihm einfach so herausgerutscht. Ein Kuss war harmlos, aber Lierd würde sich doch niemals auf mehr bei einer Frau einlassen, die keine Dämonin war. Das hatte sich in dem halben Jahr seit der Sache mit Aruni und Ilvio sicher nicht geändert. Doch auch wenn er seine Meinung ändern würde, für Ash änderte sich nichts. Denn sie wollte ihn nicht näher an sich heranlassen, als sie es ohnehin schon tat. Tanzen war okay, alles weitere würde nur zu Problemen führen, die Ash nicht mochte. Sie hatte sich fest vorgenommen ihn nicht zu verführen. Nicht einfach, weil er ein Dämon war und sie nicht, sondern weil es nicht gut für sie war. Das hatte sie bereits hinter sich.

Gegen gemischte Paare hatte Ash überhaupt nichts. Gerade bei Ilvio und Aruni sah man ja, wie glücklich die beiden waren. Dabei war Ilvio ein Meereself und Aruni zur Hälfte Dämonin und zur Hälfte Menschenfrau. Lierds Halbschwester außerdem noch. Und warum auch nicht? Die Liebe war nicht wählerisch, was die Arten anging. Und mit Sicherheit nicht so verbohrt wie die Dämonen. Ash lehnte sich ein wenig zur Seite, so dass sie ihren Blick über die Tanzenden schweifen lassen konnte. Hier und da waren Elfen zwischen den Dämonen, auch sie kamen seit damals gerne hierher, um zu tanzen.

Und gar nicht mal so weit weg von ihnen entdeckte Ash Aruni. Sie tanzte eng umschlungen mit ihrem Ilvio, dessen Haut mal wieder bläulich glühte, wie immer, wenn er glücklich oder erregt war. Vermutlich war er in diesem Moment beides. Ash konnte sich sehr gut vorstellen, was die beiden später tun würden, wenn sie nach Hause kamen. Sie seufzte, es war sehr leise, aber Lierd hatte es gehört und sah sie an.

„Hör nicht auf die“, sagte er und deutete in die Richtung, in der das rempelnde Dämonenpaar verschwunden war.

Ash seufzte erneut. „Das ist es nicht. Ich bin wirklich müde, Lierd.“ Sie schaffte nicht mal mehr ein halbes Lächeln. Sie war müde, ja, aber es lag nicht an dem anstrengenden Tag. Schon so lange hatte sie keinen Mann mehr in ihr Herz gelassen. Ihr einsames Leben hatte einen guten Grund gehabt. Das, was sie in ihrer letzten Beziehung erlebt hatte, wollte sie nie wieder durchmachen müssen. Dazu war es viel zu schmerzhaft gewesen.

„Ich begleite dich zum Ausgang“, sagte Lierd. Von der anderen Sache war keine Rede mehr.

Ash seufzte. Ihre Sorge war völlig unberechtigt gewesen. Natürlich meinte er nicht, dass sie unterwegs in irgendeine Höhle einkehrten, um dort wild übereinander herzufallen. Beinahe hätte Ash über diese Vorstellung gelacht, aber sein fürsorglicher Ton hielt sie davon ab. Irgendwie berührte sie die Art, wie er mit ihr sprach, viel mehr, als die eigentlichen Worte. Aber sie durfte sich davon nicht täuschen lassen, denn natürlich wusste Ash, dass er sicherlich der letzte war, der sich die Blöße geben würde und wirklich mit ihr zusammen sein würde. Vor allen Dämonenaugen hier im Saal. Einen Kuss konnte man noch übersehen, aber mehr würde es für sie nicht geben.

Und genauso sollte es schließlich auch sein. Nie wieder wollte Ash einen Mann, der nicht voll und ganz zu ihr stand und es wirklich ernst meinte und nur sie allein wollte. Ash fuhr ihre Krallen aus und kratzte sanft damit über Lierds Wange. Kurz genoss sie das erneute Lodern in seinen Augen.

„Ciao“, sagte sie und drehte sich um.

In einer fließenden Bewegung wurde Ash kleiner und rannte schließlich auf vier Pfoten durch die tanzenden Füße, hinaus aus dem Saal und durch lange Gänge, bis sie endlich in einen Tunnel kam, der sie wieder nach oben ins London der Menschen führen würde. Sie drehte sich noch einmal um, aber Lierd war ihr nicht gefolgt.

 

Am Fuß der in Stein gehauenen Treppe nahm Ash wieder ihre menschliche Gestalt an und kletterte eilig nach oben. Weit hinter sich hörte sie jemanden näher kommen. Ob das doch Lierd war? Vermutlich nicht. Und selbst wenn, er würde sie nicht mehr einholen, denn sie war gleich oben.

Der Gang kam ihr viel länger vor als sonst, aber endlich erreichte sie den U-Bahnschacht und bald darauf den Bahnhof. Sie lugte über den Rand der Plattform. Ein paar Jugendliche standen an der einen Seite und lachten laut. Da sie so mit sich selbst beschäftigt waren, würden sie sie sicher nicht beachten. Ash zog sich mühelos auf die Plattform und ging, ohne sich umzudrehen, in Richtung Rolltreppe. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie mit den Zähnen knirschte. Entnervt schob sie die Kiefer auseinander und fluchte leise vor sich hin. Jemand pfiff ihr nach. Müde reckte sie ihren Mittelfinger nach oben und ging einfach weiter.

Sie fuhr mit der Rolltreppe und sprang immer zwei Stufen auf einmal empor. Oben angekommen zog sie ihren Umhang enger um sich. Die Fliesen waren kalt unter ihren nackten Füßen. Sie schlängelte sich durch die Menschen, die auch zu dieser Nachtzeit noch unterwegs waren und suchte sich eine dunkle Ecke. Dort nahm sie ihre Katzengestalt wieder an und lief, dicht an der Wand entlang, einfach unter den Drehkreuzen durch.

Für einen kurzen Moment war Ash unentschlossen, wohin sie gehen sollte. Aruni war noch immer unten und tanzte vermutlich noch tagelang mit Ilvio. Die Beiden bekamen bei so vielen Dingen nicht genug voneinander. Für Ash war das von Vorteil, dann hätte sie die Wohnung für sich allein. Es war ihr in der letzten Zeit zunehmend seltsamer vorgekommen, in der Wohnung zu sein, wenn Aruni und Ilvio auch da waren. Seit sie sich als Gestaltwandlerin geoutet hatte, war das Schlafzimmer für Ash tabu. Dafür hatte sie einen gemütlichen Ort in der Küche in Beschlag genommen. Dort schlief sie als Katze auf dem geflickten Stoffsofa unter dem Fenster und kam so Aruni und Ilvio nicht in die Quere. Seltsam kam sie sich trotzdem vor und so, als würde sie nicht mehr wirklich dazugehören.

Schon wieder schlich sich Lierd in Ashs Gedanken. Im Nachhinein fiel ihr auf, dass er all die Male, wenn sie mit Aruni und Ilvio ins Dämonenreich hinabgestiegen war, kaum mit den Dämoninnen getanzt hatte. Wenn es doch vorkam, hatte er diese sofort stehen lassen und war zu Ash gekommen, sobald er ihre Anwesenheit bemerkte. Dreimal war seine Tanzpartnerin diese Dämonin Jenna gewesen, die einst mit Lierd ein Paar gewesen war – falls es so etwas wie Partnerschaft oder Treue unter Dämonen überhaupt gab. Sicherlich hatte Jenna schnell einen anderen willigen Dämonen für Tanz und Bett gefunden. Aber ob sie Lierd einfach aufgegeben hatte?

Ash schüttelte den Kopf. Was dachte sie überhaupt darüber nach? Selbst wenn Lierd wirklich Gefühle für sie haben sollte, woran sie zweifelte, ging es ihm mit Sicherheit nur um das Eine. Wieder dachte sie daran, wie Ilvio beinahe gestorben war. Ein Unfall, sagte sie sich in Gedanken, stellte fest, dass alle Fenster geschlossen waren und nahm ihre menschliche Gestalt an. Sie ballte die Hände zu Fäusten.

„Und wenn schon“, murmelte sie vor sich hin. „Er kann seine Wut nicht zügeln und damit ist er gefährlich. Für sich und für andere.“ Und für mein Herz ganz besonders, fügte sie im Stillen hinzu.

Da Ash immer noch keinen Schlüssel hatte, öffnete sie die Haustür mit einer ihrer Haarnadeln. Immer noch konnte sie Lierds rauchigen Duft auf ihrem Kleid und ihrem Umhang erschnuppern.

 

Im Hausflur war es kühl und es roch, wie so oft, nach nassen Regenschirmen. Ash schüttelte sich und beeilte sich, in Arunis Wohnung zu kommen. Genau genommen war es seit etwa einem halben Jahr so etwas wie Arunis, Ilvios und ihre WG. Davor hatte Aruni noch nicht einmal gewusst, dass Ash gar keine gewöhnliche Katze war, sondern eine Gestaltwandlerin. Aruni hatte damals nicht schlecht gestaunt, als sich ihre kleine Katzenfreundin als geheimnisvolle Frau entpuppte. Ash lächelte bei dem Gedanken. Über die ganzen Jahre, in denen sie sich nie in ihre menschliche Gestalt verwandelt hatte, hatte sie es beinahe schon selbst vergessen, dass sie keine normale Katze war.

Die Tür fiel leise ins Schloss. Ash ging in das Wohnzimmer und zündete ein Feuer im Kamin an. Sie beobachtete, wie die kleinen Flammen langsam nach dem Holz leckten. Auf dem Kaminsims stand ein Foto von Aruni und Ilvio, eng umschlungen lächelten sie in die Kamera. Mit Sicherheit war es an der Zeit, dass Ash den beiden mehr Privatsphäre gönnte und sich endlich eine eigene Wohnung suchte. Ash wischte sich eine Träne von der Wange, als sie daran dachte, auszuziehen und Aruni nicht mehr so häufig zu sehen und nicht mehr in dieser gemütlichen Wohnung zu leben.

Das Feuer brannte endlich. Mit einer Wolldecke kuschelte sich Ash auf den Ledersessel, der dem Kamin am nächsten stand. Morgen, gleich morgen würde sie sich auf die Suche nach einer eigenen Wohnung machen.

 

Kapitel 2

„Ash!“, brüllte Lierd und horchte in den Gang. Die Flammen hinter ihm knisterten, die Musik wummerte, aber er versuchte trotzdem, ihre Schritte zu hören. Vergeblich. Ash war fort. Was war nur mit ihr los? Sie hatten so gut miteinander getanzt! Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte das noch stundenlang so weitergehen können. Aber dann kamen diese dämlichen Typen und mussten so blöde Sprüche äußern. Ansteckend. Pah! Lierd ballte die Fäuste, während er langsam zurückging zur großen Festhöhle. Die Lust auf Tanzen war ihm jedenfalls gerade vergangen, und wenn er sich die anderen so ansah, gab es keine Dämonin unter ihnen, die so anmutig tanzte wie Ash.

Er seufzte über seine eigenen Gedanken.

In der Menge entdeckte er seine Mutter und den Dämonenfürsten eng umschlungen, etwas weiter am Rand der Höhle tanzten Aruni und ihr Meereself. Lierd konnte immer noch nicht begreifen, was seine Halbschwester an diesem Bläuling fand. Blaue Dämonen gab es nicht und das aus gutem Grund. Es sah einfach nicht sonderlich heiß aus. Lierd seufzte erneut und drehte sich weg. Dass Ilvio ein ganz passabler Typ war, gestand er sich nur in ganz schwachen Momenten ein.

Ohne jemanden anzurempeln, bahnte sich Lierd einen Weg durch die tanzenden Leiber. Immer wieder entdeckte er zierliche Elfenfrauen zwischen den Dämonen. Viele von ihnen besuchten alle paar Wochen die Katakomben, um hier zu tanzen. Sie waren genau wie Dämonen süchtig nach guter Musik und man konnte nicht abstreiten, dass die Musik noch viel besser geworden war, seitdem die Meereselfen mitmischten. Aber wo sollte das alles hinführen? Lierd wartete immer noch auf den Moment, in dem die Dämonen entscheiden würden, mal die Elfen zu besuchen und an deren Strand oder gar in der Elfenstadt im Meer zu tanzen. Lächerlich. Der bloße Gedanke daran war einfach lächerlich. Er ging an einer Elfenfrau mit langen blonden Haaren vorbei, die wie die meisten ihrer Art nur ein Kleid aus Seetangschnüren trug, welches kaum ihren Hintern bedeckte. Die Elfen waren tatsächlich zum Teil ganz hübsch, aber ihm waren sie entschieden zu ... weich. Zart war etwas, was ihm an Frauen überhaupt nicht gefiel. An Männern natürlich schon mal gar nicht.

„Tanz mit mir, Lierd“, raunte ihm jemand ins Ohr und eine Hand mit langen goldenen Krallen hielt ihn am Arm fest. Jenna, auch das noch. Schon seit einer Weile versuchte Lierd, ihr aus dem Weg zu gehen, wo immer es möglich war.

„Jetzt nicht“, knurrte er.

Jenna ließ nicht locker und zog an seinem Arm, bis er sich zu ihr umdrehte. Sie schenkte ihm ihr verführerischstes Lächeln. Aber Lierd war wirklich nicht in der Stimmung. Er schüttelte den Kopf und machte sich los.

„Was?“, fragte Jenna leicht schnippisch. „Vermisst du die Katzenschlampe? Tanzt wohl nur noch mit ihr, wie?“

Lierd ballte seine Hände zu Fäusten. Vermissen? Sie war doch grade erst eine Minute weg. Und selbst wenn, Jenna würde er es sicher nicht auf die Nase binden. „Wieso sollte ich?“

„Mir bist du noch nie nachgelaufen.“ Sie klang beleidigt. Jetzt musste Lierd lachen.

„Du bist echt nicht der Typ, dem man nachlaufen muss. Meistens holst du mich doch selbst zu dir.“

Jenna grinste. Lierd hatte den Eindruck, dass sie das als Kompliment auffasste, aber eigentlich war es keins. Ganz ehrlich wusste er in diesem Moment nicht mehr so genau, was er an Jenna früher so anziehend gefunden hatte. Klar, sie war ihm immer die liebste Dämonin gewesen, und er hatte die Spielchen mit ihr geliebt, aber mittlerweile spürte er überhaupt nichts mehr, wenn sie ihm gegenüber stand oder ihn berührte. Auch beim Tanzen nicht. Im Grunde war das unheimlich, auch wenn er genau wusste, warum es so war.

Sie beugte sich vor und küsste ihn. Lierd erwiderte den Kuss, spürte aber nichts dabei. Normalerweise hätte er sie jetzt mit in seine Wohnhöhle genommen, aber irgendetwas in ihm sträubte sich. Vielleicht die Tatsache, dass Sex mit ihr schon lange nicht mehr so war wie früher. Die einzigen Momente, in denen er Jennas Nähe genoss, waren die in denen er dabei an Ash dachte. Und das konnte nicht richtig sein. Er schob sie energisch von sich.

„Tut mir leid, mir ist heute nicht danach. Tanz ruhig weiter. Bis später.“ Damit ließ er sie stehen. Er drehte sich nicht um, Jennas wütenden Gesichtsausdruck konnte er sich nur zu gut vorstellen. Aber Jenna war keine Frau, die verflossenen Liebhabern lange hinterhertrauerte. Nach einigen Momenten würde sie mit den Schultern zucken, sich umdrehen und sich irgendeinem anderen Dämon an den Hals werfen. Vielleicht würde sie es auch mal mit einem Meereself probieren, jetzt, wo Fürst Luzius demgegenüber nicht mehr ganz so streng war wie noch vor Arunis Eskapade mit Ilvio. Lierd strich mit der Hand durch die Flammen, nahm sich im Vorbeigehen welche mit, leckte sie von seinen Fingern, genoss ihre Wärme. Er beachtete niemanden, sogar die Musik prallte an ihm ab, er ging einfach weiter und ließ die Tanzenden hinter sich.

Leise knurrte er vor sich hin und wusste selbst nicht, warum er so unzufrieden war. Erst einige Schritte später bemerkte er, dass er im Gang nicht alleine war. Unwirsch drehte er sich um und stand Auge in Auge mit Jenna.

„Läufst du mir nach?“, fragte er, während Wut in ihm aufstieg. Wieso, wusste er selbst nicht. Über die letzten Monate war ihm Jenna zwar immer weniger wichtig geworden, aber ein bisschen gefreut hatte er sich doch immer noch, wenn sie ihn aufsuchte. Warum nur war das heute so anders? In Gedanken spürte er noch einmal Ashs Lippen auf seinen. Der Kuss. Ein Kuss konnte doch nicht so viel verändern, nein!

„Wenn du mir nicht nachläufst ...“, antwortete sie und zog einen Schmollmund. „Bedrückt dich etwas?“, fragte sie weiter und strich mit den Fingerspitzen an seinem Arm entlang. „Vielleicht kann ich dir helfen?“ Sie kam einen Schritt näher. Lierd musste sich beherrschen, um nicht zurückzuweichen.

„Ich muss allein sein.“

In diesem Moment sah sie wirklich gekränkt aus. Sie ließ ihre Hand sinken.

„Tut mir leid, ich komme später bei dir vorbei, ja?“, lenkte Lierd ein, aber er war sich nicht sicher, ob er das wirklich tun würde. Jenna sah ihn immer noch an, dann lächelte sie und leckte sich leicht über die Unterlippe.

„Bist du sicher, dass ich nicht doch jetzt mitkommen soll?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, presste sie ihren Körper an seinen und küsste ihn leidenschaftlich. Automatisch küsste Lierd sie zurück, aber seine Arme blieben schlaff an seinen Seiten hängen. Er berührte Jenna nicht, bis ihre Hand nach der seinen griff und sie auf ihre Taille legte. Heiße Wut stieg in Lierd auf, und er presste Jenna an die Wand. Sie stöhnte leise und fuhr mit ihren Krallen über seinen Rücken. In dem Moment brach Lierd den Kuss ab. Er griff nach Jennas Handgelenken, hielt sie fest und sah ihr finster in die Augen. „Ich will nicht! Was daran hast du nicht kapiert?“

Dann ließ er sie los und marschierte mit großen Schritten den Gang hinunter, trat in seine Wohnhöhle ein und gab dem Torstein einen Tritt, so dass er laut krachend wieder vor die Öffnung rollte.

Lierd blieb stehen und bewegte sich nicht. Was war da eben passiert? Hatte er wirklich Nein zu Jenna gesagt? Das war ihm seit seiner Geschlechtsreife nicht mehr passiert, dass er eine sexy Dämonin abgewiesen hatte. Und dann noch Jenna, der er laut seiner Halbschwester Aruni hörig war. Da hatte sie sich wohl gewaltig getäuscht. Lierd war niemandem hörig. Er war sein eigener Herr, er konnte Nein sagen, er brauchte niemanden.

Da kam ihm ein schlankes dunkles Gesicht ins Gedächtnis und leuchtend gelbe Augen mit einer länglichen Pupille. Ash. Was, bitte, hatte Ash in seinen Gedanken verloren? Sie wollte ihn nicht, war einfach gegangen. Warum? Weil sie genau wusste, dass Lierd ein Dämon war, der an den alten Traditionen festhielt. Aus Überzeugung. Die Arten sollten sich nicht mischen, da konnten auch keine neuen Regeln gegen angehen. Dumm nur, dass er die Gründe für diese Tradition nicht mehr verstand. Doch, er verstand sie, aber er fand sie falsch. Auf einmal.

Schon wieder sah er ihr Lächeln vor sich und erinnerte sich an den Schauder, den ihre Berührungen und ihr erster Kuss bei ihm ausgelöst hatten. Mit einem Schlag wurde ihm klar, dass er sie nicht abgewiesen hätte. Das war sicher die Neugier, jetzt wo Aruni einen Meereselfen als Liebhaber hatte, wollte auch er vielleicht mal eine andere Spezies ausprobieren. Einfach zum Spaß, natürlich. Etwas anderes kam ohnehin nicht in Frage, er war schließlich ein Dämon.

Lierd ging in seine Waschhöhle und stellte das Wasser an. Viel musste er nicht ausziehen, nur seine Hose, denn ein Hemd trug er prinzipiell nicht hier unten. Der Menschenstoff engte ihn ein. Das einzige was er mochte, war Leder. Also trug er meistens nur die schwarze Lederhose und draußen noch eine Lederjacke. Auch in schwarz, wie es sich für einen Dämon gehörte. Lierd starrte auf das herabprasselnde Wasser. Rauchschwaden vermischten sich damit und die Tropfen schimmerten leicht rötlich. Mit Sicherheit glühten seine Hörner noch immer vor Wut.

In dem Moment klopfte es am Höhleneingang. Dass Lierd es von hier aus hören konnte, konnte eigentlich nur bedeuten, dass es entweder jemand sehr starkes war und dieser jemand Steinbrocken an den Torstein warf. Mit einem genervten Stöhnen schnappte er sich seine Lederhose, zog sie wieder an und machte sich auf den Weg zum Eingang. Falls es Jenna war, wollte er sie nicht auf dumme Gedanken bringen, indem er nackt öffnete. Er rollte den Steinbrocken weg und trat schnell zur Seite – Jenna war temperamentvoll, und er hatte keine Lust, als Zielscheibe für einen Steinwurf herzuhalten.

„Was gibt’s?“ rief er ungehalten.

„Hey, du bist ja doch da.“ Aidan trat ein und sah sich im Raum um. „Und dann auch noch alleine. Die Party läuft doch noch.“

„Die Party läuft immer. Was willst du?“ Lierd verschränkte die Arme vor der Brust.

„Mich entschuldigen. Ich kam nicht eher dazu, man sieht dich in letzter Zeit so selten. Bist du jetzt wieder öfter bei Aruni oder so?“ Er machte eine Pause, sah zu Boden. „Jedenfalls habe ich das wohl alles etwas falsch verstanden.“

„Bei mir brauchst du dich nicht entschuldigen. Tu das bei Aruni.“

„Habe ich schon. Schon vor Wochen.“

„Und du lebst noch?“ Lierd zog eine Augenbraue hoch.

„Sie ist seit der Sache mit dem Elfen eigentlich immer gut drauf und tut es als Missverständnis ab. Sie hat Verständnis dafür, dass ich nicht ganz Herr meiner Sinne war. Ist echt ne Coole, deine Schwester.“

„Halb-Schwester“, verbesserte Lierd, lehnte sich an die Wand und sah Aidan abwartend an. „Wieso warst du nicht Herr deiner Sinne?“, bohrte er nach, als Aidan in sein übliches Schweigen verfiel.

„Jemand hatte mir vorher einen Drink gemacht.“

„Einen Drink?“ Lierd ahnte etwas. Das würde sie doch nicht wagen ... oder doch?

„Sie hat zugegeben, dass da etwas Absinth drin war. Ziemlich viel sogar.“

„Sie? Wer war das?“, presste Lierd zwischen seinen Zähnen hervor. Absinth war bekanntermaßen das schlimmste Rauschmittel für Dämonen. Es machte sie aggressiv und die dämonischen Triebe nahezu unkontrollierbar.

„Das tut nichts zur Sache, mein Freund. Ich wollte es dir nur erklären, nicht dass du mich jetzt für ein Monster hältst. Dann brauchst du mir auch nicht mehr aus dem Weg zu gehen. Freunde?“ Aidan versuchte offenbar, sich besonders nett zu geben, was bei seiner Körpergröße und seinen Muskelmassen recht unglaubwürdig wirkte. Streng konnte er aussehen, sexy möglicherweise auch, zumindest behaupteten das die Frauen, aber nett? Eher nicht.

In einer einzigen fließenden Bewegung stellte Lierd den etwas größeren Dämon an die Wand und umklammerte mit seinen Händen dessen Hals, während sein Schweif Aidans Hände hinter dessen Rücken festhielt.

„Wer war das? Ich bring sie um! Beinahe hättest du meiner Schwester verdammt wehgetan! Sowas verjährt nicht!“

„Halb-Schwester?“, versuchte es Aidan. Seine Stimme war kläglich, er bekam kaum Luft. Aber er wehrte sich nicht. Das war auch der einzige Grund, warum Lierd im Moment die Oberhand hatte. Das und seine grenzenlose Wut. Wegen der Beinahe-Vergewaltigung Arunis, wegen derjenigen, die Aidan den Drink gegeben hatte und wegen tausend anderer Dinge.

„Wer?“, fragte Lierd noch einmal und rammte Aidan ein Knie in die Weichteile, was leider wenig brachte. Aidan zuckte nicht mal mit der Wimper.

Lierd drückte seine Krallen in Aidans Hals. Er spürte etwas Warmes, Feuchtes an seinen Fingerspitzen. Jetzt zeigte Aidan endlich eine Regung, er versuchte sich loszureißen, aber Lierd rückte keinen Millimeter zurück. Tränen traten in Aidans Augen. Am Hals waren sogar Dämonen sehr empfindlich. Aidan schaffte es, eine Hand aus Lierds Umklammerung zu befreien, und knallte Lierd die Faust in den Bauch. Lierd fauchte wütend.

„Scheiße! Wer war das? Du willst doch mein Freund sein, Aidan, oder nicht?“

„Jenna“, brach es schließlich aus Aidan heraus. „Aber sag ihr nicht, dass ich sie verraten habe.“

Lierd ließ Aidan los und trat einen Schritt zurück. Aidan tastete über seinen Hals.

„Verfluchtes Höllenfeuer, das hat echt wehgetan“, beschwerte er sich und zog die Nase hoch.

„Jenna war das? Ich hab's doch geahnt. Diese falsche Schlange!“

„Hey, es war mehr als Streich gedacht. Du weißt doch, dass sich die beiden kabbeln, seitdem sie laufen können.“

„Das nennst du kabbeln? Was ist das überhaupt für ein Wort? Aruni kämpft immer ehrlich, Jenna dagegen ... Ich muss zu ihr.“

„Nein! Bitte!“

„Sie hat eine Strafe verdient. Genau wie du. Wie kannst du einen Drink von Jenna annehmen? Wo sie doch wusste, dass du zu Aruni gehen solltest.“

„Ich war so aufgeregt“, gab Aidan kleinlaut zu.

Lierd schnaubte. Er hatte immer schon gedacht, dass Aidan wirklich gut zu Aruni passte. Manchmal hatte er sich sogar gefragt, ob nicht vielleicht auch in Aidans wuchtigem Körper ein bisschen Menschenblut kreiste. Er hatte definitiv einen weichen Kern. Jennas Schuld also. Und Aruni hatte Aidan schon verziehen.

„Ist Aruni noch da?“, fragte Lierd.

„Glaube nicht, habe sie eine Weile nicht mehr gesehen. Vermutlich sind die wieder abgehauen, sie und ihr Elf. In die Menschenwelt.“

„Na, das hab ich mir gedacht. Verabschieden kann sie sich anscheinend auch nicht. Muss ich wohl wieder hoch. Aber nicht mehr heute.“

„Was willst du denn von ihr? Sie ist vermutlich gerade mit ihrem Elf ziemlich beschäftigt.“

„Höre ich da eine leichte Eifersucht?“, spöttelte Lierd, obwohl er es besser wusste. Aidan stand nicht wirklich auf Aruni. Hatte er vermutlich nie. Aidan stand schon seit Kindertagen auf Flame. Und wie er ihn kannte, hätte Aidan Flame auch gerne nur für sich, aber davon wollte sie nichts hören, und vermutlich hatte Aidan sich ohnehin nicht getraut, es anzusprechen. Lierd schnalzte mit der Zunge, als er darüber nachdachte. Wie seltsam, jemanden so sehr zu wollen, dass man ihn nicht mit anderen teilen wollte. Wie konnte man so absolut mit jemandem zusammengehören? Das lag überhaupt nicht in der Natur der Dämonen. Er kannte in seiner Sippschaft kein Paar, das immer zusammenblieb und sich treu war. Das gab es nicht. Selbst seine Mutter Malenka, die schon ewig mit Arunis Vater zusammen war, ging regelmäßig zu Luzius. Von Treue konnte also keine Rede sein. Aruni war natürlich ein Sonderfall, immerhin war sie zur Hälfte ein Mensch. Lierd hoffte trotzdem immer noch, dass ihre dämonische Hälfte irgendwann die Oberhand bekam. Vermutlich würde sie dann ihren Meereself bald satt haben, er war schließlich alles andere als feurig.

„Ein Meereself. Ausgerechnet“, grummelte Lierd vor sich hin.

„Was hast du gesagt?“, fragte Aidan.

Lierd sah verwundert auf. Er hatte völlig vergessen, dass Aidan noch immer da war.

„Kommst du wieder tanzen?“ Aidan rieb sich über den Hals und fuhr sich dann durch die Haare.

„Heute nicht mehr.“

Aidan, dieser riesige Koloss, zuckte tatsächlich kurz zusammen bei Lierds schroffem Ton. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging.

Lierd sackte auf dem Boden zusammen und lehnte seinen Kopf an die Wand. Was war nur mit ihm los? Seine Gedanken wanderten wieder zu der Sache mit Aruni. Jenna hatte Aidan betrunken gemacht, mit Absinth! Das durfte er auf keinen Fall dulden. Aidan hätte Aruni um ein Haar Gewalt angetan. Neue Energie schoss in Lierds Blutbahn. Energisch sprang er auf und stürmte den Gang hinunter, zu Jennas Höhle.

Er klopfte zweimal laut an ihre Tür. Jenna war die einzige, deren Höhle von einer Tür nach Menschenart verschlossen wurde, und in diesem Moment tat es gut, an das Holz zu hämmern. Als die ersten Splitter flogen, riss Jenna die Tür auf. Sie wollte gerade ansetzen ihn wütend anzuschreien, da erkannte sie Lierd und ihre Miene änderte sich. Sie setzte ein verführerisches Lächeln auf.

„Lierd! Komm doch rein! Du hast es ja ganz schön eilig. “

Lierd ballte die Hände zu Fäusten und stapfte hinein. Dann funkelte er sie wütend an „Hast du Aidan Absinth gegeben, bevor er zu Aruni geschickt wurde?“, fragte er gefährlich leise.

Jenna machte einen Schritt auf Lierd zu, strich mit zwei Krallen über seine Wange, seinen Hals hinunter und über seine Brust bis zum Bund seiner Hose. Lierd griff nach Jennas Hand und hielt ihr Handgelenk fest.

„Hast du?“, donnerte er.

„Wer sagt sowas?“ Jenna lächelte ein Lächeln, welches sie wohl für verführerisch hielt und machte mit der anderen Hand weiter. Gerade als ihre Finger am Knopf seiner Hose angelangt waren, griff Lierd auch nach ihrer zweiten Hand.

„Ich habe es gehört und ich glaube, es stimmt.“

„Na, wenn du es schon weißt, warum fragst du mich dann?“ Jenna legte den Kopf leicht schief und sah ihn an. Sie leckte sich langsam über die Lippen. Im nächsten Moment wanderte ihr Schweif über Lierds Haut, sie schlang ihn um seine Mitte und zog Lierd ganz dicht an sich heran. „Und was willst du jetzt von mir?“, schnurrte Jenna. „Soll ich mich entschuldigen? Ich wüsste, wie ich es wieder gutmachen könnte.“

Lierd knurrte leise, als Jennas Lippen ganz nah waren. Sie sah zum ihm auf und ließ ihre Zunge über seine nackte Brust gleiten. Ihre Haare kitzelten ihn am Hals, sie waren weich, weicher als alles andere an Jenna. Und für einen kurzen Augenblick hatte er wieder das Gefühl von Ashs Händen in seinen, als sie getanzt hatten. Er schüttelte den Kopf, nahm seinen Schweif zu Hilfe und legte ihn unter Jennas Kinn, sodass sie ihn ansehen musste.

„Ich will, dass so etwas nie wieder vorkommt. Halte dich fern von meiner Schwester“, knurrte er. Lierd war sich nicht sicher, was er erwartet hatte. Jenna würde sich nicht entschuldigen, und rückgängig machen konnte sowieso niemand, was passiert war. Und auf einen Kampf hatte Lierd im Moment auch keine Lust mehr. Vermutlich würde das nur im Bett enden.

„Von deiner Schwester will ich ja auch nichts“, säuselte sie und küsste ihn auf den Mund. Instinktiv küsste Lierd sie zurück. Jenna stöhnte leise. Aus purer Gewohnheit fuhr Lierds Schweif unter Jennas Kleid. Es war immer noch dasselbe Kleid, das sie auf dem großen Tanz getragen hatte. Golden wie ihre Haut und aus einem lederähnlichen Stoff, der bei jeder Bewegung raschelte. Er fühlte, wie sich Jennas Gesichtszüge zu einem Grinsen verzogen, als er ihr Kleid hochschob.

Jenna verstand sich auf Verführung. Lierd drängte zurück, weshalb er gekommen war, und schloss seine Augen. Jenna knabberte an seiner Unterlippe und als er seinen Griff lockerte, riss sie ihre Hände los und öffnete mit flinken Fingern den Knopf und Reißverschluss seiner Lederhose. Der Kontakt ihrer Krallen mit seiner Haut ließ Lierd erneut aufstöhnen. Sie fuhr mit beiden Händen um seinen Körper herum und malte mit ihrer Zungenspitze eine verschlungene Spur über seine Brust, seinen Bauch und schließlich ...

„Oh, Ash ...“, stöhnte Lierd.

Jenna hörte auf. Lierd hatte die Augen noch immer geschlossen. Irritiert spürte er, wie Jenna von ihm zurück wich. Dann lachte sie. Das Geräusch war so falsch, wie es nur sein konnte. Lierd riss die Augen auf und starrte sie an.

„Die Katzenschlampe?“, fragte Jenna und lachte noch immer. „Du denkst an die Katzenschlampe, wenn du bei mir bist?“ Ihre Stimme wurde schrill.

Ja, er dachte an Ash, während er hier mit Jenna ...

Nein, das war falsch. Schlagartig wurde ihm kalt.

Jenna umschlang ihn wieder und sagte zwischen heißen Küssen: „Mir ist egal, wen du dir wünschst, gleich wirst du nur noch an mich denken!“

Wie ein Blitz durchfuhr Lierd die Erkenntnis: Er sollte nicht hier sein. Er stieß Jenna so hart von sich, dass sie zurücktaumelte und rücklings auf ihr Schlafpolster fiel. Erschrocken schrie sie auf. Ihr Grinsen war schnell zurück, verschwand aber, als sie Lierd ansah.

Er stand noch immer stocksteif an der gleichen Stelle. Dann machte er seine Hose zu und drehte sich um. Er entschuldigte sich nicht für seinen Abgang, Jenna konnte ohnehin nichts mit Entschuldigungen anfangen. Vermutlich machte es ihr noch nicht mal sonderlich viel aus. Sie würde vielleicht einfach den nächsten Dämon zu sich holen, falls sie noch immer Lust hatte.

Lierd flüchtete förmlich aus dem Raum und rannte mit langen Schritten in die erstbeste Richtung. Der Gang schien sich unendlich zu ziehen. Überall hingen Rauchschwaden zwischen den lodernden Flammen an den Wänden, Lierd bahnte sich seinen Weg durch die große Halle, vorbei an ein paar tanzenden Dämonen und immer weiter. Im Gang hörte man die Musik nur noch als fernes Wummern, sobald er ein paar Abzweigungen hinter sich gelassen hatte und es wurde allmählich kühler. Abwasser spritzte hoch, als er durch die alten Rohre rannte. Ohne anzuhalten, sprang er an die Wand und kletterte nach oben, bis er den nächsten Tunnel erreichte. Sein Atem ging immer noch schnell, doch langsam setzte sein Verstand wieder ein.

 

Kapitel 3

 

Ash schreckte auf, als sie das Klimpern eines Schlüssels hörte. Hoffentlich war das nicht Lierd. Möglich war es schon, immerhin hatte er einen Schlüssel nachmachen lassen. Doch Ash wollte ihn nicht mehr sehen, es hatte einfach keinen Sinn. Die Geschichte damals mit Seph hatte ihr für ein Leben gereicht. Seph, dessen Herz die ganze Zeit über nur für Lucille geschlagen hatte und nur ein ganz kleines bisschen für Ash. Im Nachhinein war es gut so gewesen, keine Frage, denn sie und Seph hatten nicht wirklich zueinander gepasst. Trotzdem tat es noch immer weh, dass sie nicht genug für ihn gewesen war. Dass er sie so verraten hatte, sie betrogen hatte. Untreue war das Schlimmste, was sie sich vorstellen konnte. Sie wollte und konnte den Mann, den sie liebte, nicht teilen. Und genau deswegen war Lierd der falscheste Kandidat überhaupt.

 

Lachend fielen Aruni und Ilvio durch die Tür herein in die Wohnung. Es war also nicht Lierd. Erleichterung durchflutete Ash, aber wenn sie ganz ehrlich zu sich war, schwang auch ein kleines bisschen Enttäuschung mit. Ash konnte Aruni und Ilvio von ihrem Platz auf dem Bücherregal zwar nicht sehen, aber es hörte sich sehr danach an, als ob sie zuhause weiterfeiern wollten. Mit einem Gedankenseufzer trat Ash den Rückzug an. Sie sprang vom Regal, verwandelte sich in ihre menschliche Gestalt und öffnete das Fenster. Es regnete nicht mehr. Immerhin. Geschmeidig schob sie sich durch das Fenster und sprang, jetzt wieder als Katze, hinunter auf die Straße. Sie landete direkt neben einer Pfütze. Ash schüttelte sich und machte einen großen Bogen um das von Wind und Laternenlicht glitzernde Wasser.

Eine Weile lief sie ziellos durch die Gassen. Hier und dort streiften sie verlockende Gerüche, die von den Imbissbuden herüberwehten, und als jemand mit einer Tüte an ihr vorbeiging, konnte Ash den Fisch durch Zeitungspapier und Plastik riechen. Ihr Magen war zwar leer, aber sie hatte nicht wirklich Hunger. Die ganze Grübelei über Zukunft und Beziehungen war ihr auf den Magen geschlagen. Sie mochte nicht länger mitansehen, wie Aruni und Ilvio so glücklich miteinander waren. Bisher hatte sie das nie gestört, aber nun machte es ihr schmerzlich bewusst, dass es zwischen Lierd und ihr nie so sein konnte.

Vielleicht war es an der Zeit auszuziehen und ein neues Leben zu beginnen. Wie viele Jahre lebte sie jetzt schon bei Aruni, zuerst unten in ihrer Höllenhöhle und dann hier oben in der gemütlichen Londoner Wohnung? Und davor hatte sie als Hauskatze bei Arunis Vater gelebt, und davor bei dessen Pflegefamilie, davor bei einer alleinstehenden Frau, davor ... Sie wusste es nicht mal mehr genau. Aber alleine hatte sie noch nie gelebt. Vielleicht war es einfach an der Zeit sich zu trauen. Sie würde sich eine kleine, helle Wohnung suchen. Ganz altmodisch, eingerichtet mit Holzmöbeln von Flohmärkten.

 

Stimmen drangen in ihre Gedanken. Erst jetzt merkte sie, wohin ihre Pfoten sie unbewusst getragen hatten. Sie stand genau vor dem Eingang zu der U-Bahnstation, die hinunter in die Katakomben führte. Ungläubig starrte sie das Schild an und dann die Gestalt, die darunter erschien. Er ging genau in ihre Richtung, aber er hatte sie nicht entdeckt. Eine schwarze Katze hatte es leicht, mit der Nacht zu verschmelzen. Die roten und blauen Lichter des U-Bahn Leuchtschildes blitzten zwischen seinen Hörnern hervor. Wie der Held in einem dieser romantischen Filme sah er aus, der direkt auf seine große Liebe zukommt. Ash war wie gebannt. Sie dachte nicht einmal daran, sich zu verwandeln oder wegzulaufen. Ganz langsam setzte sie sich hin und ließ Lierd nicht aus den Augen. Wo wollte er hin? Er kam immer näher. Ash duckte sich in die Schatten und lief ein paar Schritte zur Seite. Ohne sie zu sehen, ging Lierd an ihr vorbei. Sie sah ihm nach und beobachtete, wie er die Straße hinunter ging, die sie eben entlang gekommen war. Wollte er zu Aruni? Ashs Herz schlug schneller. Was, wenn er nicht zu seiner Schwester wollte, sondern zu ihr?

Lautlos folgte Ash ihm. Sie blendete die Geräusche der Nacht aus, hörte nicht mehr das Piepsen der Mäuse, das Hundegebell in einem Garten oder das Rascheln der Vögel hinter der Mauer eines anderen Gartens. Sie hörte nur noch Lierds Schritte. Seine schweren Stiefel scherten sich nicht um die Pfützen, immer wieder spritzte das dreckige Wasser hoch, und Ash blieb ein bisschen weiter zurück. Murmelte er da etwas vor sich hin? Ash huschte im Schatten näher heran.

„Wahnsinn. Was mache ich hier, zum Höllenfeuer? Wo soll das noch hinführen?“, murmelte Lierd vor sich hin.

Genau das fragte sich Ash auch.

 

*

 

Lierd wusste natürlich genau, was er tun wollte, wenn er ankam und Ash traf. Er würde sie wieder küssen, um herauszufinden, ob sich das Gefühl wiederholte, das er beim Tanzen gespürt hatte. Er konnte es nur schwer beschreiben. Heiß war es, es brannte fast so gut wie Höllenfeuer, aber gleichzeitig war es irgendwie kühl, beruhigte seine Nerven. Ashs Nähe hatte ihn süchtig gemacht nach diesem Gefühl. Und wenn er ganz ehrlich war, war da immer etwas an dieser Katze gewesen, das ihn angezogen hatte. Ihr Fell war so weich ... Normalerweise mochte Lierd keine weichen Sachen, aber Arunis Katze hatte er immer gestreichelt. Wie oft hatte er sie auf dem Arm gehabt, als er noch jünger gewesen war. Mit sechzehn oder so, als Aruni ihm das Lesen beigebracht hatte, heimlich in ihrer Höhle, hinter ihrem Bett auf dem harten Boden, da hatte die Katze sich oft zu ihnen gelegt und geschnurrt, wenn sie an seiner Seite lag, und er hatte ein Gefühl von Wohlbehagen dabei gehabt, wie es ein Dämon eigentlich nicht haben sollte.

All die Jahre über hatte niemand geahnt, dass Ash keine gewöhnliche Katze war. Weder seine Halbschwester Aruni noch er. Ob es Jack, Arunis Vater, gewusst hatte, der ihr die Katze geschenkt hatte? Nein. Lierd erinnerte sich an Jacks Gesichtsausdruck, als Ash plötzlich als Frau vor ihnen gestanden hatte. Sie hatte sich keinem offenbart. Es war ihm ein Rätsel, warum sie all die Jahre nicht ein einziges Mal ihre Menschengestalt angenommen hatte. Oder hatte sie es heimlich getan?