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In Dankbarkeit für die besten Eltern der Welt.
Und für B.

„Ich bin 29 und eigentlich sollte ich längst tot sein.
Aber man muss ja nicht immer das tun, was andere sagen.“
Markus Hänni

Inhalt

Prolog

1: Winterträume in Valbella

2: Todesangst und große Fragen

3: Elternliebe. Meine Reise in die Vergangenheit

4: Der Tag des Rückschlags

5: Herzklopfen

6: Todessehnsucht

7: Sterbenskrank und lebenslustig

8: Wer bin ich eigentlich?

9: Familienbande

10: Mehr als ein Nachwort: Zeilen an meine große Liebe

Danksagung

Was ist Mukoviszidose?

Informationen

Vita

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Markus Hänni vor der Eiger-Nordwand, in seiner Heimat, dem Berner Oberland (Schweiz).

Prolog

Ich wusste, wo die Ampullen lagen, die den Herzmuskel lahmlegten und einen sanften Tod versprachen.

Eine Zeit lang schlich ich um die Stelle herum und blickte mich um. Niemand war zu sehen. Also schnappte ich mir eine Packung, steckte sie in die Tasche meines Morgenmantels und verschwand auf meinem Zimmer.

Es war an der Zeit zu gehen.

Die traurige Geschichte des Zwillingsbruders Markus Hänni aus Toffen bei Bern in der Schweiz sollte an dieser Stelle ein für alle Mal enden.

Niemand musste um mich weinen. Alle sollten froh sein, dass es endlich vorbei war. Bald würden sie erkennen, dass es besser so war, denn ich hatte ja keine Perspektive.

In einem Testament, abgespeichert unter „Mein letzter Wille“, hatte ich festgehalten, wie die Beerdigung ablaufen und wer meinen Computer bekommen sollte. Meine Eintrittskarten für das Fußballspiel Holland gegen Rumänien während der Europameisterschaft hatte ich bereits meinem Zwillingsbruder Thomas geschenkt.

Auf ins Paradies, in dem ich keine Antibiotika-Kuren mehr brauche, keine Mukoviszidose-Therapie am Morgen und am Abend. Manchmal vergehen Jahre, bis wir verstehen, wie kostbar Augenblicke sein können.

Bis bald!

Ich hatte bereits eine Nadel in der Vene des linken Armes, einen Zugang für die Medikamentengabe. Ich zog das Mittel in eine Spritze, öffnete den kleinen Deckel an der Kanüle, steckte die Spritze hinein. Wie das funktionierte, hatte ich tausendmal zuvor beobachtet.

Draußen war es dunkel. Ein starker Wind war aufgezogen. Für die nächsten Tage hatten sie schlechtes Wetter vorhergesagt. Das konnte mir nun egal sein.

Auf der Station war es ruhig, niemand ging auf dem Gang hin und her. Ich hatte meine Ruhe.

Leben atmen!

Ich holte tief Luft, dann drückte ich die klare Flüssigkeit in meine Adern. Die Wirkung setzte in null Komma nichts ein. Sofort spürte ich ein enormes Brennen auf der Haut und meine Zunge fühlte sich wie gelähmt an. Vor meinen Augen begann die Welt erst zu verschwimmen, dann überzog sie ein dichter, trockener Nebel. Schließlich verschwand sie ganz.

Danach war Stille.

Dass ich heute noch am Leben bin, trotz der eigentlich sicheren Methode, muss mit einem großen Schutzengel zu tun haben. Theoretisch hätte meine Dosis für drei Personen gereicht, um sie ohne Zwischenstopp in den Himmel zu schicken.

Aber ich wachte auf und lebte.

Und wenn ich ehrlich bin, dann war ich darüber gar nicht sonderlich traurig.

Was war mit mir um Himmels willen passiert? Ich war doch immer so hart im Nehmen. Aber das Fass war übergelaufen. Dass ich meine ganze Kraft dafür brauchte, nur um im Bett aufrecht zu sitzen, erschien mir kein lebenswertes Leben. Dass ich auf die Hilfe von anderen angewiesen war, empfand ich als derart demütigend, dass es nicht mehr auszuhalten war.

Keine Stunde ist ungeschminkter, intimer und konsequenter als die Stunde des Sterbens.

Aber sie war noch nicht gekommen.

Jemand hatte etwas dagegen, dass ich die Bühne verlasse ...

Mein Name ist Markus Hänni und ich habe Mukoviszidose.

Wer diesen Begriff bei Google eingibt, findet automatisch auch das Wort „Lebenserwartung“. Mit über 100.000 Treffern. Dort heißt es an oberster Stelle auf einer medizinischen Informationsseite: „Patienten, die in den 90er Jahren erkrankt sind, werden 40 bis 45 Jahre alt, davor 30 Jahre.“

Meine Diagnose war in den 80er Jahren.

Jetzt bin ich 29.

Ich könnte ersticken.

Aber ich will nicht.

Denn das Leben ist viel zu schön ...