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Renate Fabel

Knoblauch und Lavendel

Eine Liebe in Nizza

Roman

LangenMüller

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© für das eBook: 2016 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

© für die Originalausgabe: 1998 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Covergestaltung: Atelier Seidel – Verlagsgrafik, Teising

Titelmotiv: © Thinkstockphoto

eBook-Produktion: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

ISBN 978-3-7766-8261-8

1

Niemals hätte sich Swantje eine Beziehung mit Ari vorstellen können. Ganz unmöglich. Es stimmte so gar nichts zwischen ihnen. Nicht nur, dass er fünf, sechs Jahre jünger war (über sein genaues Alter schwieg er sich aus), überragte sie ihn doch um gut anderthalb Köpfe, war sein spärliches Haar so lackschwarz, wie ihres weizenblond leuchtete. Und sein Teint? Der schwankte – je nach Licht – zwischen perlweiß und oliv, während Swantje hauptsächlich durch Sommersprossen auffiel. Aber gleich so viele. Mehr besaß auch ihr Sohn Nils nicht. Es sei denn, er verbrachte einen seiner verbummelten Nachmittage auf dem Segelboot. Danach war sein ganzes feines Gesicht wie ein Kiebitzei gesprenkelt.

Kurz gesagt: Ari, mit vollem Namen Aristote Atachou, war das ganze Gegenteil von Swantje Sievers, die weit droben im Holsteinischen geboren war, aber schon seit ihrer Studienzeit in München lebte. Wo sie gleich im ersten Semester Alexander kennenlernte und bald darauf heiratete, sodass es keinen Grund mehr gab, Bayern den Rücken zu kehren.

Ari dagegen war Franzose, genauer gesagt Südfranzose, stammte aus Nizza an der schönen Côte d’Azur. Nebenbei besaß er eine Wohnung in Paris, aber jetzt war er nach München gekommen, um die deutsche Verlagsszene zu studieren.

In dieser Eigenschaft hatten sie sich kennengelernt. Swantje, halb Sekretärin, halb Lektorin im Pegasus-Verlag, hatte ihm einen Termin bei Dr. Miller vermittelt. Während die beiden eventuelle gemeinsame Buchprojekte diskutierten – Ari besaß in Frankreich einen Verlag –, hielt sie sich diskret im Hintergrund. Dr. Miller, fast ein väterlicher Freund, hatte gewollt, dass sie an der Besprechung teilnahm. Er legte Wert auf ihr Urteil. Swantje erkannte mit einem Blick: Der junge Franzose (oder war er Marokkaner?) hatte kühne Ideen, besaß Fantasie, schien aber den deutschen Buchmarkt völlig falsch einzuschätzen.

»Ein Luxusband über Panamahüte«, sie nahm das schwere Originalexemplar in die Hand, »verkauft sich hier nicht. Nicht für fast hundertfünfzig Mark.« Sie schüttelte den Kopf, schob eine Haarsträhne hinters Ohr. »In Frankreich mag das anders sein. Da gab es immerhin einen Präsidenten, der sich gern mit einem Panama auf dem Kopf fotografieren ließ.«

»Aber so verschieden sind ihr und mein Land nicht«, widersprach er in seinem charmant gefärbten Deutsch. Auf Swantjes Präsidenten-Bemerkung ging er nicht ein. War er anti Mitterrand? »Die beiden Länder kommen sich immer näher. Allerdings – so schöne Frauen wie hier findet man bei uns nicht.« Ein bewundernder Blick aus seinen lebhaften Maulwurfaugen.

Swantje, die sich neben dem zartgliedrigen Franzosen irgendwie grobknochig vorkam, lachte verlegen. »Gerade Sie in Frankreich! Und was ist mit der Deneuve, Carole Bouquet?« Sie hatte die langhaarige Brünette gerade in einem Film gesehen.

Er fegte ihren Einwand mit einer raschen Bewegung seiner auffallend kleinen Hände weg. »Kunstprodukte, reine Kunstprodukte. Was mich interessiert, ist eine echte Frau.« Er sagte »une vraie femme«, was Swantje, die seit der Schule nur noch selten Französisch gesprochen hatte, sogar verstand.

Sie wurde rot, was ihre Sommersprossen zum Schimmern brachte. Unwillkürlich ging sie in die Knie, um dem eleganten jungen Mann ein Gefühl von Überlegenheit zu geben, trat gleichzeitig einen Schritt zurück. Sein Parfum kitzelte sie in der Nase, es wirkte teuer und edel. Alles wirkte teuer und edel an Monsieur Atachou: seine sorgfältig polierten Lederschuhe, wahrscheinlich sogar handgenäht, sein lila Polohemd, das er kühn zu einem hellen Gabardineanzug kombiniert hatte, die große Mappe mit dem Hermès-H für seine Buchprojekte. Französischer Chic, ganz anders als der deutsche, selbstverständlicher. Kleideten sich alle Franzosen so? Dem zwanzigjährigen Nils jedenfalls hätte ein Quäntchen solcher Eleganz gutgetan. Immer diese »Chiemsee«-Jacken und die Kapuzenshirts, dazu ständig neue Silberringe in Nase und Ohren.

Auch der propere Dr. Miller wirkte in seinem Sommerjackett von der Stange richtig bieder neben dem Südfranzosen. Was ihm nichts auszumachen schien. Amüsiert beobachtete er durch seine Halbbrille die Unterhaltung zwischen seinem Besucher und seiner besten Kraft. Interessant, wie Swantje reagierte. So verlegen hatte er sie lange nicht gesehen. Dann wurde seine Miene geschäftlich.

»Frau Sievers hat recht. Von der Kulturgeschichte der Panamahüte will hier niemand etwas wissen. Wir haben in Deutschland zwar genug Snobs, aber anderer Art. Was haben Sie noch aus Ihrer Connaisseur-Reihe anzubieten? Aha, ein Werk über Cognac. Und Havannazigarren. Das sieht schon anders aus.« Er beugte sich über die Bücher.

Aristote Atachou redete und redete. Mit Händen und Füßen, mit Lippen und Augen, mischte Deutsch mit Französisch, handfeste Argumente mit (hochgegriffenen) Visionen, warf Swantje zwischendurch immer wieder einen ebenso bewundernden wie nachdenklichen Blick zu. Seine Umgangsformen waren fast übertrieben höflich, er musste eine erstklassige Erziehung genossen haben.

Dieser junge Mann hat etwas, dachte Swantje. Etwas, dem ich seit Ewigkeit nicht mehr begegnet bin. Lebensart. Ja, das ist es. Lebensart. Auf Französisch, wenn ich mich recht erinnere, »savoir-vivre«. Das gibt es also auch noch. Vielleicht überflüssig in unserer stillosen Zeit, aber trotzdem so angenehm, so kultiviert. Wie schön wäre es, wenn ich das öfter erlebte. Aber bei wem? Bei Nils? Der macht sich einen Sport daraus, maulfaul und mit hängenden Schultern durchs Leben zu schlurfen. Und Bernd? Der hat zwar das Revoluzzeralter lange hinter sich, ist aber viel zu bequem. Nein, ich bin von Banausen umgeben. Reizenden Menschen, aber Banausen. Weit entfernt von jeder Exklusivität.

Irgendwie machte sie das traurig. »Pardon, aber wo kann man Kaviar essen?«, fragte der Franzose nach der Besprechung. Er stand neben Swantjes Schreibtisch, sie notierte den Termin für ein nächstes Treffen.

»Kaviar?« Sie hob verwirrt den Kopf. Wie kam er an diesem blauen Sommertag, der zu einem leichten Salat einlud, ausgerechnet auf Kaviar? Ja, da gab es »Käfer« und vor allem »Boettner«. Oder existierte der Gourmet-Treff nicht mehr? »Ich weiß nicht.« Sie zuckte die Achseln. »Da kenne ich mich nicht so gut aus. Mir ist Essen egal.«

Ein erstaunter Blick streifte sie. »Essen egal? Einer so wunderbaren Frau? Wie bringen Sie es fertig, so schön zu sein, wenn Sie sich nicht sorgfältig ernähren?«

Schön sein? Ein Witz. Gerade heute Morgen hatte sie im Spiegel den Ansatz einer neuen Falte zwischen den Augenbrauen entdeckt (das lag an ihrer ewigen Anspannung), und ihre Beine wirkten neuerdings so sehnig. »Ich esse nicht mal so ungesund«, beeilte sie sich zu erklären. »Viel Joghurt und Obst, falls Sie das meinen. Und wenig Fleisch.«

»Und was essen Sie heute Mittag?«, wollte er wissen, ohne den Blick von ihr zu lassen.

»Gar nichts. Oder eine Semmel. Irgendwas.« Konnte er nicht endlich gehen? Sie liebte diese inquisitorischen Fragen nicht. Außerdem musste sie sich beim Zahnarzt anmelden.

»Un pauvre pain. O làlà, das ist nicht gut. Man sollte aus jeder Mahlzeit ein kleines Fest machen. Essen ist auch eine Lust.« Er sagte »jouissance«. Hatte das nicht was mit erotischer Lust zu tun? »Mais oui, Madame Sievers. Darf ich Sie also zu Kaviar einladen?«

Swantje überlegte. Kaviar klang gut, sehr gut sogar. Sicherlich meinte er echten Kaviar, nicht dieses glitschige rötliche Zeug in den Glastiegeln, die man so schwer aufbekam. Aber erstens kannte sie kein Restaurant in der Nähe, das echten Kaviar anbot, und zweitens war sie für eine so edle Speise nicht richtig angezogen. Viel zu bäuerlich in dem knöchellangen gefältelten Rock, den Nils verabscheute, mit der schlecht gebügelten Leinenbluse. Ökologisch, erdverbunden, ebenfalls sehr wenig exklusiv. Außerdem war der Absatz ihrer Sandale bis zum Leder heruntergetreten.

»Nein, danke. Vielleicht ein andermal.« Wieder wurde sie rot. Das klang ja so, als wollte sie ihn privat wiedersehen. Und das wollte sie sicher nicht. Er würde an ihrer Seite wie ein Gigolo wirken. Lächerlich. Vor allem war er unverzeihlich klein. Sie lächelte ihm verabschiedend zu. Mit gut versteckter Enttäuschung packte er seine Hermès-Tasche, zog den Reißverschluss zu, bedankte sich noch einmal für den Termin. Dann war er verschwunden.

Beunruhigt blieb Swantje zurück. Das edle Männerparfum hing noch im Raum. Monsieur Atachou hatte eine geheimnisvolle Aura hinterlassen, wie ein Wesen von einem anderen Stern. Nervös fuhr sie Inga an, den Lehrling, die ihr eine Käsesemmel reichte.

»Fantasielos. Fast Food. Pauvre pain. Unsinn«, sie tätschelte entschuldigend den dünnen Mädchenarm. »Vielen Dank für die Besorgung. Was bin ich schuldig?«

Ganz brachte sie den Franzosen nicht aus dem Kopf. Er hatte etwas in ihr zum Schwingen gebracht. Als sie später mit Bernd telefonierte, sprach sie nasal, mischte ein »voilà« in die Unterhaltung, was ihn zu einem »Oh, heute hat Madame wohl ihren französischen Tag« veranlasste.

Am nächsten Tag wurde eine Dose Kaviar (echter) für sie abgegeben. Einen Tag später war es eine Flasche Champagner, »un millésime exceptionel«, dann ein Strauß Rosen in hinreißenden, ganz seltenen Pudertönen. Eine Pracht. Erst jetzt fasste sie sich ein Herz, rief bei ihm an. (Aristote hatte eine feingestochene Visitenkarte beigelegt. Er residierte am Herzogpark – natürlich –, hatte dort auch sein Münchner Büro.)

Sie wagte das erst – ein Glas lauwarmen Weißwein intus – am Abend, und er war nicht da. Das machte sie unruhig. Aha, wahrscheinlich trieb er sich in Schwabings In-Kneipen herum (die sie so gar nicht kannte), hatte eine dieser aufgetakelten Münchnerinnen aufgegabelt, die nicht nur wussten, welcher Nobelwirt gerade welche Nobelfête vorbereitete, sondern auch, wo man den delikatesten Kaviar löffelte. Swantje trank ein zweites Glas vom inzwischen noch wärmeren Wein, räumte im Bad herum, dann versuchte sie es wieder. Diesmal hatte sie Glück.

»Allô!« Er schien hocherfreut. »Gerade habe ich mir von einem Freund erklären lassen, an welchem Ihrer wunderschönen Seen man die besten Renken isst. Starnberger See, nicht wahr? Wie wäre es am Wochenende mit einem Versuch?«

Wochenende? Da würde Bernd anrücken, mit einer Reisetasche voll schmutziger Wäsche, dem rot angekreuzten Fernsehprogramm (Sport bevorzugt) und auch sonst etlichen Wünschen. Außerdem musste sie dringend sauber machen.

»Entschuldigen Sie, aber warum verwöhnen Sie mich so?« Sie musste das einfach fragen.

»Weil eine Frau wie Sie das verdient.« Die simple Antwort.

»Komisch. Das hat noch niemand gesagt.« Mehr fiel ihr nicht ein. War dieses Vorgehen typisch französisch oder die ganz persönliche Masche des Monsieur Atachou? »Wollen Sie mich vielleicht bestechen?«

»Bestechen? Wozu?« Es klang erstaunt.

»Nun, damit wir Ihnen zum Beispiel das Panama-Buch abkaufen.«

»Quelle mauvaise esprit! Nein, chère amie, Sie kennen mich schlecht. Ich will durch meine Arbeit, meine Person überzeugen, faule Tricks lehne ich ab. Im Beruf genauso wie im ›vie privée‹.«

Sie sagte Nein zum Wochenende am See. Wie hätte sie das Bernd erklären sollen? Auch Nils erwartete, dass seine Mutter sonntags für ihn da war, wenn er mit seinen eigenen Plänen auch selten Rücksicht auf sie nahm. Apropos – was verstand Aristote unter einem Wochenende? Samstag und Sonntag, also inklusive Übernachtung? War das bei Franzosen so üblich? Aber nicht mit ihr, da lag er falsch. Eine bizarre Vorstellung: sie, die blonde Riesin, nordseegetauft, mit einem so viel jüngeren, olivenölgesalbten Zwerg. (Komisch, wenn sie an Aristote dachte, kam ihr unwillkürlich Olivenöl in den Sinn.) Die Leute würden sich die Köpfe verrenken. Ein Witzblatt-Paar. Andererseits eilte Franzosen der Ruf voraus, dass sie besonders viel von der Liebe verstanden. Sie war in dieser Hinsicht so gar nicht verwöhnt. Alexander hatte sie nach sechs Jahren Ehe verlassen. Dann kam längere Zeit niemand, und dann Bernd. Der besaß zwar, wenn er wollte, einen überwältigenden Charme und ein sogar beträchtliches Zärtlichkeitsbedürfnis, doch versteckte er beides meistens geschickt, war doch das eine wie das andere mit einem gewissen Aufwand verbunden. Und Bernd hasste Aufwand in jeder Form. Dr. med. Bernd Neuhaus war ausgesprochen faul und egoistisch. Dabei liebenswert. Aber sein Egoismus überwog. Ihre Liebesbeziehung war seit Längerem in einer Sackgasse gelandet, was er nicht zu merken schien. Swantje dafür umso mehr. Vor allem dem Thema Heirat wich Bernd immer öfter aus.

Aristote akzeptierte Swantjes Korb wie ein Gentleman, wenn er auch – wie er wortreich versicherte – die Absage bedauerte. Wollte sie es sich noch mal überlegen? Hinterher war sie unzufrieden mit sich. Da war endlich mal jemand, der sie aufrüttelte, ihr zeigte, wie das Leben auch sein konnte. Und sie? War zu traumduselig, um davon zu profitieren. Jetzt hatte der banale Alltag sie wieder.

Mit Schwung goss sie den letzten Rest Weißwein in den Ausguss. So eine fade warme Brühe tat man sich an der Côte d’Azur bestimmt nicht an. Dort trank man eisgekühlten Rosé oder – in der neuen Generation der Gesundheitsbewussten, sie hatte das kürzlich gelesen – Perrier mit Eiswürfeln und Zitronenschnitzen in einem hohen Glas. Kritisch sah sie sich in der Küche um. Ob sie Aristote gefallen würde? Swantje hatte sie schwedisch möbliert, mit viel Holz, blank geputztem Messing und überall der Farbe Sonnengelb. Während eines Urlaubs in Värmland (sogar gemeinsam mit Bernd) hatte sie sich in den schwedischen Einrichtungsstil verliebt, ihr ganzes schmuckes Reihenhäuschen nach und nach skandinavisch umgestaltet. Dabei gefiel ihr das Biedermeier à la König Gustav besonders, mit seinen Pastelltönen und den blau-weiß gestreiften Bezügen. Und wo es mangels Geld für echte Antiquitäten nicht reichte, musste Ikea einspringen. Eine versponnene und, wie sie fand, urgemütliche kleine Welt, in der sie da hauste. Gerüstet für jedes Wetter, selbst die schneereichsten Winter und heftigsten Herbststürme. Kein Wunder, dass Bernd seine Wochenenden hier verbrachte. War doch viel kuscheliger als seine unordentliche Studentenbude unter den Dächern Schwabings.

Sie schaltete die Spätnachrichten ein. Sturmflut in Nizza. Man sah meterhohe Wellen am Strand, die berühmte »Promenade des Anglais« war überschwemmt. Hilflos liefen die Leute mit Schirmen herum. Der Reporter fragte ein paar Einheimische, was sie zu der Katastrophe meinten. Wild mit den Armen fuchtelnd, erklärten sie, so was noch nie erlebt zu haben. »Jamais.« Swantje schmunzelte. Die müssten mal bei Sturmflut an die Nordsee kommen. Wie völlig unterschiedlich doch selbst Nachbarländer waren. Und das sollte einmal zu einem gemeinsamen Europa zusammenwachsen?

Ob sie Aristote (heimlich nannte sie ihn nur noch so) noch einmal anrief, ihm ihr Beileid wegen des Unwetters ausdrückte? Er könnte es falsch verstehen, sie für aufdringlich halten. Warum war sie auch vorhin so abweisend gewesen? Unschlüssig streifte ihr Blick den Rosenstrauß. Wie das Gemälde eines Impressionisten, wenn auch ein paar Stängel schon die Köpfe hängen ließen. Was für ein exquisiter Geschmack! Und den hatte sie sich vielleicht für alle Zeiten verscherzt.

Rosen ... Wann hatte ihr das letzte Mal ein Mann Rosen geschenkt? Es war Dr. Miller gewesen. Eine Anerkennung, als sie das Lizenzhonorar für ein Buch über argentische Estancias um ein Viertel heruntergehandelt hatte. Bernd kam nicht auf die Idee. Viel zu mühsam. Außerdem Geldverschwendung. Verwelkten ja doch im Handumdrehen. Lieber lud er sie zu Pizza und Hauswein ein. Der ewige Student. Auf diese Weise würde er es niemals zum Oberarzt bringen. Telefon. Hastig griff sie nach dem Hörer. Aristote? Es war Bernd, der mit fröhlichem Gähnen sein Erscheinen am Samstag auf den späten Nachmittag verschob. Ein Kollege hatte ihm eine Karte für das Bayernspiel besorgt.

»Das sagst du aber spät.« Swantje reagierte gereizt.

»Wieso? Behaupte bloß, du hättest was vorgehabt.« Ungläubiger ging es nicht. Natürlich, Dr. Neuhaus war es gewohnt, dass Frau Sievers mit frisch gewaschenem Haar, frisch gekochtes Gemüse auf dem Herd, im frisch geputzten Häuschen auf ihn wartete, das Badewasser frisch für ihn eingelassen. So war es seit Jahren und würde es, wenn es nach ihm ginge, bis in alle Ewigkeiten bleiben. Entledigte ihn jeder Verantwortung. Ausgesprochen risikofrei. Eine geschiedene Frau mit erwachsenem Sohn und eigenem Einkommen als Lebensgefährtin – was konnte man sich Besseres wünschen? (Es sei denn, es schneite ihm eine Millionenerbin ins Haus.) »Bloß keine Experimente« oder auch »nur keine Veränderung« – Bernds Lieblingssprüche. Aber nicht mit ihr. Nicht länger. Wütend kaute Swantje an ihrem Fingerknöchel. Wenigstens das Thema Heirat würde sie bei nächstbester Gelegenheit aufs Tapet bringen.

Das Wochenende verlief dann doch besser als befürchtet. Das lag vor allem an den Rosen, die Aristote abermals geschickt hatte. Diesmal in dunkelvioletter Farbschattierung, die Stängel wie spielerisch mit dünnem Silberdraht umwunden. Wo hatte er die bloß aufgegabelt? Swantje kannte solche raffinierten Adressen gar nicht.

Den Blick auf den feenhaften Strauß gerichtet, ließ sich auch Bernd besser ertragen. Dabei liebte sie den hochaufgeschossenen schlaksigen Mann, dessen welliges Kastanienhaar langsam anfing grau zu werden. Das Prickeln der ersten Jahre war allerdings lange passé. Wenn er sie umarmte, versetzte sie das nicht mehr in einen Taumel, sondern sie registrierte hellwach die laufende Masche in seinem Pullover, die abgewetzten Kragenecken am Polohemd. Bernd ließ sich neuerdings gehen. Schade. Das hatte er mit Nils gemeinsam, wie sich die beiden überhaupt gut verstanden. Während Nils aber sein schlampiges Äußeres aus einer gewissen Trotzhaltung heraus kultivierte, war es bei Bernd Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit und Trägheit. Gerade dass er noch seinen Beruf mit der nötigen Verantwortung ausübte. Dabei – was hätte er für ein Supermannsbild sein können mit diesen breiten Schultern, dem Grübchen im Kinn, dem lausbubenhaften Lächeln. Irgendetwas lief schief in Bernds Entwicklung.

Zurück zum Samstag. Bernd erklärte sich – seine Bayern hatten gewonnen – zu Swantjes Überraschung bereit, eine Wand im Badezimmer neu zu streichen. Im Wohnzimmer entdeckte er den Rosenstrauß, runzelte mit gespieltem Ärger die Stirn. »Du wirst dir doch keinen Verehrer angelacht haben? Svetlana«, so nannte er sie gern, »ich warne dich.«

Sie gab keine Antwort, legte den Badezimmerboden mit Zeitungen aus. Für alle Fälle. Dabei – o Wunder! – gab sich Bernd sogar Mühe, streifte den Pinsel immer wieder am Eimerrand ab. Für eine halbe Stunde gesellte sich Nils – mit neuer, neonblauer Haarsträhne – dazu, wechselte unaufgefordert eine Birne aus. Später verschwand er, um eine Disco zu besuchen, versprach mürrisch, nicht erst wieder im Morgengrauen nach Hause zu kommen.

Swantje hatte eine Waldmeisterbowle und kaltes Kalbfleisch vorbereitet. Sie setzten sich auf die winzige Terrasse, wo es süß und schwer nach Jasmin duftete. Swantje zündete ein (schwedisches) Windlicht an. Nachtschwärmer surrten heran, auch der garteneigene Frosch, Mr. Green, sah kurz vorbei. Am Himmel blinkten die ersten Sterne.

»Hübsch ist es hier. Ein richtiges Biedermeieridyll.« Bernd, ein paar Farbspritzer am Hemd (Swantje überlegte, ob sie es gleich in die Waschmaschine stecken sollte oder erst morgen), rekelte sich, um gleich darauf die Arme nach Swantje auszustrecken. Ein raffinierter Bewegungsablauf. »Was meinst du? Wir könnten uns doch eigentlich Griechenland sparen.«

Swantje gab es einen Stich. Enttäuscht rutschte sie in ihrem Sessel hin und her. Hätte sie sich gleich denken können, dass Bernd auch in diesem Jahr alles dransetzte, nicht in die Ferien zu fahren. Kontinuierlich fortschreitendes Desinteresse. Andererseits – vielleicht fehlte ihm wirklich das Geld, denn er zahlte für eine uneheliche Tochter und verdiente nicht übermäßig viel in seinem Spital.

Jetzt oder nie. Sie gab sich einen Ruck. »Warum ziehst du dann nicht ganz her, wenn es dir hier so gut gefällt?«, begann sie zwischen zwei Bowleschlucken.

Er riss überrascht die grün gesprenkelten Augen auf. »Ganz hierher? Ganz und gar? Ach, Svetlanchen«, eine Stimme wie Honig, »länger als ein Wochenende erträgst du mich schrecklichen Menschen doch nicht. Was belastest du dich mit einem Egoisten? So, wie es ist, ist es doch sehr schön.«

»Für dich vielleicht«, gab Swantje schärfer, als sie wollte, zurück. »Du profitierst rundherum. Aber was ist mit mir?«

»Mit dir?« Er wirkte irritiert. »Du befindest dich in der glücklichen Lage, die Woche über ein völlig freier Mensch zu sein. Womit ich natürlich nur deine geistige Freiheit meine. Was glaubst du, wie viele gestresste Hausfrauen dich darum beneiden? Kannst in aller Ruhe abends deine Kinderbücher schreiben, dich, ohne von einem krümelnden, klecksenden Kerl belastet zu sein, zu einer zweiten Astrid Lindgren entwickeln. Ist das vielleicht nichts? Und wenn du mich brauchst, bin ich immer für dich da.« Zufrieden mit dieser salomonischen Antwort lehnte er sich zurück.

»Das ist es nicht«, beharrte Swantje, kaute an einem Stück Fleisch.

»Wieso? Was ist es dann? Willst du vielleicht – heiraten?« Das klang so, als hätte sie ihn gebeten, ihr den Kopf abzuschlagen. Nach tiefstem Abscheu.

In Swantje stieg Wut auf. Dieser ... dieser Ignorant. Wie konnte er sie nur in eine so demütigende Lage bringen? Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen. »So schrecklich ungewöhnlich ist das doch nicht, oder?«

Im Schneckentempo faltete Bernd seine kompliziert ineinander verknoteten Gliedmaßen auseinander, erhob sich mit einem Seufzer, baute sich hinter Swantjes Korbstuhl auf. »Meine kleine Romantikerin will heiraten. Dass ihr Frauen doch alle gleich seid. Mit Pfarrer und Orgelmusik und – nein, mit Schleier wohl nicht mehr, aber sicher mit Goldring. Kennst du doch schon alles, hast du alles schon gehabt. Und? Viel Glück hat es dir nicht gebracht, wenn ich mich recht erinnere. Warum nicht aus den Fehlern lernen?«

Jetzt sprach er wie Pfarrer Fliege. Lange konnte er sich aber nicht in derart salbungsvollen Tönen ergehen, denn aus dem Fernseher – die Tür stand offen – tönte frenetischer Applaus. Eine markige Stimme kündigte prominente Gäste an. Die Sportschau. Zeit für Bernd, sich zurückzuziehen. Mit vollem Glas, drei Kalbfleischröllchen in der hohlen Hand, ein Stück Brot zwischen den Zähnen, bereitete er seinen Abgang vor. »Du gestattest? Dauert nicht lange. Die Fußballergebnisse kenn’ ich ja schon. Lass dir inzwischen vom Nachtwind eine schöne Geschichte ins Ohr flüstern, die du mir dann später erzählst.« Seine nackten Füße platschten über den Terrakottaboden.

Wie Mr Green, dachte Swantje, nur nicht so diskret. Sie war deprimiert. Wozu, zum Teufel, hatte sie sich das Haar mühevoll aufgesteckt, den bestickten Kaftan angezogen? Männer, richtige Büffel! Aber nein – sie legte den Kopf in den Nacken, starrte in den blinkenden Sternenhimmel hinauf –, es gab auch andere. Aristote Atachou zum Beispiel.

Er rief gleich am Montag an, lud sie für den Abend ein. Gegen ihren Willen sagte sie nein, hätte sich am liebsten geohrfeigt. Da begann ein wahrer Rosenregen. Zwei Mal pro Tag wurden die herrlichsten Sträuße für sie abgegeben, sie fand gar nicht genug Vasen. Beim nächsten Anruf war ihr Widerstand gebrochen. Sie würde mit ihm zum Essen gehen.

Er hatte ein libanesisches Restaurant ausgesucht, das Swantje nicht kannte. (Was nichts besagte. Was kannte sie schon?) Doch er schien hier Stammgast zu sein. Man begrüßte ihn mit Namen, führte das Paar an den reservierten Tisch. Wieder war Swantje von der Eleganz des Franzosen beeindruckt. Diesmal trug er einen tintenblauen Seidenanzug, ein blassblaues Hemd, dazu eine blau-weiß gepunktete Krawatte. Der einzige Farbfleck war das purpurne, türkisch gemusterte Einstecktuch.

Sein Benehmen war zuvorkommend wie beim ersten Mal, er behandelte Swantje wie eine Königin. Nur – schön war er immer noch nicht. Heimlich studierte sie ihn von der Seite. Sein Gesicht war blass und fast unnatürlich glatt. Darin saßen dunkle, unruhige Augen, die es einem schwermachten, tiefer in sie einzutauchen, so, als besäßen sie keinen Grund. Und dann hatte Ari einen Unterbiss. Zudem war der ganze Mann nicht größer als einsfünfundsechzig. Doch glich er diese Mängel durch sein geschniegeltes Äußeres und eine umwerfende Liebenswürdigkeit aus. Liebenswürdigkeit und – Besorgnis. Besorgnis. Ja, das war es. Er war in einem fort besorgt um Swantje. Fragte, ob sie auch gut platziert sei, die Klimaanlage nicht störe, der Rotwein ihren Ansprüchen genüge. Und dann fand er sie schön, wunderschön.

»Wie eine Lichterkönigin. Sterne in den Augen, Mondlicht im Haar. Fantastique. Und Sie kommen wirklich aus dem Norden, wo es«, er zog fröstelnd die Schultern zusammen, »immer so entsetzlich kalt ist?«

»Nicht immer.« Sie lachte. »Im Sommer kann durchaus einige Wochen die Sonne scheinen. Dann kommen viele Urlauber zu uns.«

»Auch Franzosen?«

Sie dachte nach. »Eher weniger. Denen ist wahrscheinlich das Meer zu kühl.«

Er zerkrümelte ein Brot, pickte genügsam wie ein Vögelchen von den delikaten Vorspeisen. »Oh, ich liebe die Wärme. Wärme, Sonne, Lachen, leuchtende Farben. An der Côte d’Azur findet man das alles. Waren Sie schon einmal dort?«

»Nur kurz. Auf einer Mittelmeerkreuzfahrt hat das Schiff in Nizza Station gemacht. Aber das ist mindestens zehn Jahre her.«

»Nizza, wie die Deutschen sagen – wir nennen unsere Stadt Nice – hat sich sehr verändert. Der frühere Bürgermeister, nebenbei ein Freund meiner Familie, wollte unbedingt eine Kongressstadt daraus machen. Viele Hochhäuser, Schnellstraßen, Parkgaragen, viel zu viele Hotels. Aber die Sonne und der Strand und der Karneval sind geblieben. Und natürlich Socca.« Auf Swantjes verwunderten Blick erklärte er, dass Socca das Nationalgericht in Nizza sei, eine Art Crêpe aus Erbsbrei, die man auf der Straße verkaufe. Genauso wie das berühmte »pain bagnat«, ein Sandwich mit einer dicken, tropfenden Paste aus Tomaten, Thunfisch, Gurken, Zwiebeln und sehr viel Öl. Ja, in Nizza verstünde man zu leben wie sonst kaum in Europa.

»Warum sind Sie dann nach München gekommen?«, fragte Swantje, die leichte Kritik an Deutschland heraushörte.

»Weil ich mein Unternehmen ausweiten möchte. Da kommt man am starken Deutschland«, er verdrehte drollig die Augen, »nicht vorbei. Ein wichtiger Markt. Ich habe große Pläne. Eines Tages, glauben Sie mir, bin ich der bedeutendste Verleger Frankreichs.« Es klang sehr ernst.

Ganz schön von sich überzeugt, der kleine Franzose. Was hatte Dr. Miller über ihn gesagt? »Ein fantasiebegabter junger Mann mit tollkühnen Plänen. Sein Fehler: Er schätzt den Markt nicht realistisch ein. Aber besser zu viel Enthusiasmus als dieser bei den Jungen so in Mode gekommene Pessimismus.«

Sie sprachen über Bücher. Swantje gestand, dass sie zwei Kinderbücher geschrieben habe, sogar ganz erfolgreich, aber von einem großen Roman träume.

»Ach, wirklich?« Das klang nicht sehr interessiert. Es schien ihn eher zu stören, das war etwas, was er nicht wissen wollte. Gleich fing er wieder von seiner Arbeit an, redete und redete. Hatte er etwas dagegen, wenn Frauen auch Karriere machten? Ziemlich machohaft, fand Swantje. Aber vielleicht waren die Männer in Südfrankreich so.

An diesem Abend küsste er sie nicht, auch nicht am nächsten, sondern erst am Samstag, den sie gemeinsam am Starnberger See verbrachten. (Nur den Tag, nicht die Nacht. Swantje hatte Bernd etwas von einem Klassentreffen erzählt.) Er küsste sie im Auto, was ihr nur recht war, denn das ersparte ihr, sich zu ihm hinunterbeugen zu müssen. Er küsste sehr sanft, schloss dabei die Augen mit einem kleinen, glücklichen Seufzen. Seine Haut war weich wie die eines Babies. Musste er sich überhaupt rasieren? Der Kuss war angenehm, wenn er Swantje auch nicht gerade in Ekstase versetzte. Artig küsste sie zurück.

»Du bist wunderbar, Chérie.« Sein Gesicht leuchtete weiß im Halbdunkel. Wie ein Mond, ging es Swantje durch den Sinn, und sie unterdrückte ein Lachen. Vorsichtig tupfte sie ihm einen Lippenstiftkrümel vom Mund. »Ich würde dich so gern beim Vornamen nennen. Aber Swantje«, er nahm drei Mal Anlauf, brachte dann eine Art nasales »Sonde« heraus, »impossible. Une torture. Können wir nicht Suzanne oder Sandrine daraus machen?«

»Swantje«, beharrte sie. Sollte er sich ruhig anstrengen. Also blieb es bei Chérie. Und er war Ari.

2

Zwei Wochen später machte er ihr einen Heiratsantrag. In einem französischen Bistro – sie trafen sich meistens zum Essen, was sich bei Swantje bereits in zwei Zentimeter mehr Taillenumfang ausdrückte –, zwischen Zwiebelsuppe und »côte d’agneau« mit Rosmarin, zum Glück aber ohne Knoblauch, gegen den Swantje eine Aversion hatte. Ihr fiel klirrend die Gabel auf den Teller. Heiraten – sie? Den viel zu kleinen, viel zu jungen Südfranzosen? War er verrückt? Gleichzeitig stieg ein leichtes Triumphgefühl in ihr auf. Das hätte Bernd hören sollen. Wenn er auch neuerdings den Eifersüchtigen spielte und mitten in der Nacht anrief, um zu kontrollieren, ob sie daheim war – seine Meinung, was das Heiraten betraf, hatte sich nicht geändert.

»Heiraten? Du und ich?« Sie stotterte, bis sie sich dann zu einem kräftigen »Nein« entschloss. »Völlig unmöglich, ausgeschlossen. Was für ein absurder Einfall. Oder lass mich wenigstens in Ruhe darüber nachdenken«, lenkte sie ein, als sie sein enttäuschtes Gesicht sah, »mich umhören. Aber auch dann ...«

»Umhören?« Er verstand nicht. »Bei wem? Bei deinem Freund? Der rät dir davon ab. Naturellement. Du musst selbst zu dem Entschluss kommen, Ja zu sagen. Wenn du mich vielleicht auch nicht liebst, was ich gar nicht anders erwarte, muss dir doch dein Verstand sagen, dass du gut bei mir aufgehoben bist. Sehr gut.« Wärme lag in seinen Augen. Vorsichtig streckte er den Zeigefinger aus, fuhr zart über ihren Handrücken, immer wieder. »Und dein Gefühl, dass ich dich liebe.«

»Ach bitte, lass ...« Aber sie ließ die Hand liegen. Die Berührung erregte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte. Hatte er noch mehr dieser Tricks auf Lager? Aber jetzt wollte sie ganz schnell nach Hause, sich unter die eiskalte Dusche stellen und nachdenken, nachdenken ... Heiraten. Was für ein Schock! Wie kam er bloß auf eine so verrückte Idee?

Sie sprach mit Dr. Miller über Aris Antrag. Er schien genauso erstaunt, wiegte bedenklich den Kopf hin und her.

»Ein erstaunlicher Mensch, dieser Atachou. Wirklich. Verliert keine Zeit. Rast auf seine Ziele mit der Schnelligkeit einer dieser französischen TGV-Züge zu. Von dem werden wir noch hören. Aber zunächst eine Frage an Sie, Swantje. Möchten Sie noch mal heiraten?«

»Eigentlich schon«, gestand sie kläglich. »Geschieden bin ich lange genug.«

»Gut, das ist eine klare Antwort. Dann steht wenigstens das fest.« Der Chef zündete sich umständlich eine Zigarre an, schlug die Beine übereinander. »Warum dann nicht diesen Atachou? Andere Heiratskandidaten stehen, vermute ich richtig, nicht zur Verfügung?«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf.

»Sicher, wir wissen nicht viel über den Franzosen«, fuhr Dr. Miller nach einer kleinen Pause fort. »Aber das allein spricht nicht dagegen. Versuchen Sie, so viel wie möglich über seine Familienverhältnisse herauszubekommen, seine Eltern, seine Kindheit, seine Ausbildung, und so weiter. Und dann natürlich seinen finanziellen Hintergrund. Ja, ja, ich weiß, dass Sie das nicht interessiert, Swantje, aber Sie können nicht allein von Sonne und Oliven leben.« Komisch, dass alle in Zusammenhang mit Ari von Oliven sprachen.

»Gewiss, äußerlich sind Sie nicht gerade das ideale Paar.« Angestrengt versuchte der Chef seine Zigarre am Brennen zu halten.

»Pat und Patachon«, warf Swantje gequält ein.

»Aber darauf kommt es nicht an. Meine Gitta bringt auch zwanzig Pfund mehr auf die Waage als ich. Um zu einem Resümee zu kommen: Einiges spricht durchaus für eine Verbindung mit Atachou. Und da ist noch Ihr Sohn. Nils braucht eine starke Hand.« Swantje hatte ihm ihre Probleme mit dem aufmüpfigen Jungen anvertraut.

»Eine starke Hand ja. Aber nicht die von Ari. Auf den schaut er in seiner jugendlichen Arroganz doch herab. Nils lässt außer seinem Vater keinen anderen Mann gelten. Höchstens Bernd. Dabei hat sich Alexander seit Wochen nicht bei seinem Sohn gemeldet.«

»Vielleicht könnte ihm Atachou mit seinem brennenden Ehrgeiz sogar ein Vorbild sein. Weiß man nie. Durchaus möglich, dass sich zwischen den beiden Männern eine Art Wettbewerb entwickelt, mit dem Ziel, Ihnen zu imponieren. Ach, Swantje, was soll ich Ihnen raten? Sagen Sie vor allem nicht zu schnell Nein. Ein solcher Antrag flattert nicht jeden Tag ins Haus. Wenn es für mich auch ein schwerer Schlag wäre, meine liebste Mitarbeiterin zu verlieren.«

Aber da bestand vorläufig keine Gefahr. Ari hatte in seinem unbändigen Wunsch, Swantje zu seiner Frau zu machen, das Blaue vom Himmel herunter versprochen. Sie würden erst mal in München wohnen bleiben, Swantje sogar in ihrem Häuschen, wenn sie es unbedingt wollte. Dann wäre es am Anfang eben eine Art Wochenendehe. Das Wichtigste: Sie sagte Ja.

»Du bist die erste Frau, die ich aus voller Überzeugung heiraten möchte. Die erste und – je le jure«, er hob beschwörend zwei Finger, »auch die letzte. Das wusste ich gleich, als ich deine Lavendelaugen sah. Du musst wissen, Nizza ist die Stadt des Lavendels. Überall in den Straßen duftet es danach, und zwar nicht nur dort, wo man getrockneten Lavendel in Säckchen verkauft. Es duftet nach Lavendel, nach Meer und nach Mimosen.« Er lächelte wehmütig. »Und nach dem Sonnenöl der vielen hübschen Touristinnen.«

Ari schien ein Verehrer schöner Frauen zu sein. Wie sie aus seinen (knappen) Erzählungen heraushörte, hatte er viele gekannt, genauere Details schenkte er sich. Swantje stellte erstaunt fest, dass sie einen Anflug von Eifersucht spürte. Inzwischen hatte sie mit Ari geschlafen. Kein wilder Taumel der Leidenschaft – da war es mit Bernd zu Beginn ihrer Liebe schon anders gewesen –, aber auch nicht unbedingt eine Enttäuschung. Nein, das nicht. Kein Mann war bisher so zärtlich und gleichzeitig so behutsam mit ihr umgegangen, hatte sich so unendliche Geduld genommen, um sie glücklich zu machen. Und das war ihm auch letztendlich gelungen. Woran das elegante Dekor seines Schlafzimmers – alles in Beige und Tabak – und besonders die Seidenbettwäsche mit dem feinen Glencheckmuster nicht ganz unschuldig waren. Savoir-vivre. Wieder einmal.

Mit Bernd hatte sie noch nicht reinen Tisch gemacht. Nils war ihr wichtiger. Wie würde er auf Ari reagieren? Sie hatte richtig Angst davor.

»Nils ist ein kleiner Rebell«, bereitete sie Ari auf ihren Sohn vor. »Was heißt klein? Er ist groß wie sein Vater, also fast ein Zweimetermann. Auch sonst hat er viel von ihm. Diese ewige Unruhe, diese dauernd neuen verrückten Ideen. Gott sei Dank hat Alexander inzwischen in Südamerika eine Frau gefunden, die ihm seine Spleens finanziert. Wie das mit Nils weitergehen soll ...« Sie zuckte mit den Achseln. »Dabei ist er ein herzensguter Kerl, nur eben unreif. Im zweiten Anlauf studiert er jetzt Tiermedizin. Wenigstens das scheint ihm zu gefallen.«

Sie arrangierte ein Treffen bei sich zu Hause. Nils zog sich noch nachlässiger an als sonst, ein Affront gegen Ari, von dessen Eleganz ihm seine Mutter vorgeschwärmt hatte. Swantje schämte sich für ihren Sohn, obwohl sie zugeben musste, dass ihn selbst der schäbigste Aufzug nicht entstellte. Im Gegenteil – seine fein gezeichneten Züge, sein athletischer Körperbau kamen in den ausgeblichenen Baumwollklamotten fast besser zur Wirkung als in einem tadellosen Maßanzug, wie Ari ihn trug. Er wirkte gegen Nils wie ein Seifenschachtelprinz.

Aber dann überkam sie doch Ärger, als Nils sich nur andeutungsweise von seinem Stuhl erhob, Ari fast widerwillig die Hand reichte. Auch auf Aris höfliche Fragen gab er halblaute muffige Antworten. Entnervt flüchtete Swantje in die Küche, um Kaffee zu machen. Diesen Psychoterror hielt sie nicht aus.

Als sie mit einem Tablett voller Geschirr zurückkam, hatte sich die Atmosphäre etwas entspannt. Ari, der geborene Diplomat (oder schlaue Fuchs, Swantje war sich da nicht sicher), erzählte von dem jährlichen Rennen der Bootsklasse »Flying Dutchman« in Nizza, die er jedes Mal fotografierte. »Im letzten Jahr hätte mein Boot beinahe gesiegt. Da ist meinem Freund unglücklicherweise seine Rolex ins Wasser gefallen. Das hat ihn so irritiert, dass er sich nicht mehr konzentrieren konnte. Quel idiot!« Er lachte.

»Idiot?« Nils bequemte sich endlich, seinen Walkman von den Ohren zu nehmen. »Gibt’s das im Französischen auch?«

»Warum nicht? Männer, die ein bisschen verrückt im Kopf sind, findet man überall. Dabei ist Marc normalerweise ein intelligenter Junge, er hat in Montpellier eine Professur. Aber bei dem accident mit seiner Rolex ... Ah, merci.« Er nahm Swantje die Kaffeetasse ab.

In Nils, stellte Swantje fest, arbeitete es. Segelboote waren neben allem, was da kreucht und fleucht, seine Leidenschaft. Zu gern hätte er selbst ein Boot besessen. »Und heuer nehmen Sie wieder am Rennen teil?«, erkundigte er sich wie nebenbei, knabberte an einem Stück Zucker.

»Ich nicht – ce n’est pas mon métier – aber mein Boot. Nur ist die Mannschaft bisher nicht komplett. Ich hatte keine Zeit, mich darum zu kümmern. Dabei findet das Rennen schon Anfang August statt.«

Nils öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Unschlüssig vergrub er die Zunge in seinem Löffel. Er hatte für die Ferien noch keine Pläne. Warum also nicht die Côte d’Azur mit der eventuellen Möglichkeit, an einem Bootsrennen teilzunehmen? Aber er sagte nichts, hielt es wohl für mit seinem Stolz nicht vereinbar. Und da auch Ari schwieg, hütete sich Swantje, einen entsprechenden Vorschlag zu machen. Nichts, was sie gegenüber Ari verpflichtete, solange sie noch zu keiner Entscheidung gekommen war.

Hinterher wollte sie wissen, was ihr Sohn von dem Franzosen hielt. »Interessant, was er alles zu erzählen weiß. Findest du nicht?«

Nils zuckte abfällig mit den Schultern. »Ziemlich oberflächlich und angelernt. Neureiches Blabla. Der Olivenheini hat ja noch nicht mal ein Studium absolviert. Trieb sich dauernd im Ausland herum, deshalb dieses internationale Gehabe. Was willst du mit dem?«

»Ihn eventuell heiraten«, lag es seiner Mutter auf der Zunge, aber sie hielt sich zurück. Den Olivenheini musste sie erst mal verdauen.

»Ein neuer Verehrer?« Nils zog misstrauisch die Brauen zusammen. »Das nehm’ ich dir nicht ab. Mensch, Mama, du hast doch Geschmack. Weiß du, wie du neben dem Würstchen wirkst? Wie seine persönliche Fitnesstrainerin.« Das bezog sich auf Swantjes gelegentliches Outfit mit Radlerhose, Sweatshirt und Baseballkappe. »Das heißt, wenn dieser Franzose überhaupt sportlich ist, was ich stark bezweifle. Der hat doch Rehknöchelchen. Und überhaupt – Bernd passt viel besser zu dir.«

»Na klar, weil ich für ihn so herrlich bequem bin. Genauso wie für dich.« Mit Schwung knallte sie ihm einen Hamburger auf den Teller. Jetzt hatte sie alles gehört, was sie im Grunde selbst wusste und nicht hören wollte. Schluss mit dem Thema.

Und doch freundete sich Swantje mehr und mehr mit dem Gedanken an, Madame Atachou zu werden. Warum eigentlich nicht? Was sprach dagegen, außer dass sie äußerlich nicht zueinanderpassten, aus verschiedenen Kulturkreisen stammten, sich erst wenige Wochen kannten und ihr Herr Sohn gegen ihn stänkerte? Dass Ari sich peu à peu als Windei, als charakterloser Schuft entpuppen würde, glaubte sie nie und nimmer. So viel Verstellungskunst traute sie ihm nicht zu. Nein, er musste sie wirklich lieben. Warum sonst wollte er sie heiraten? Weder verfügte sie über glänzende Verbindungen noch über ein Millionenerbe, war nichts als eine ganz normale, vielleicht nicht unattraktive Neununddreißigjährige mit Kind. Dass Ari mehr in ihr sah, war seine Sache.

Später, als sie Nils die Treppe hinaufstolpern hörte, rief sie ihren Vater an. Seit dem Tod der Mutter lebte er in einem Hamburger Altenheim, was Swantje gar nicht gefiel. Viel lieber hätte sie ihn zu sich nach München geholt, aber dagegen wehrte er sich mit Händen und Füßen. »Einen alten Baum verpflanzt man nicht.« Sein Lieblingsausspruch. Swantje hing mit allen Fasern ihrs Herzens an ihrem Vater, war er doch der einzige Zeuge ihrer Kindheit, der ihr geblieben war. Gottfried Sievers, ehemaliger Studienrat für moderne Sprachen, bezog eine ordentliche Pension, die ausreichte, um die Heimkosten zu bezahlen. Zwei Mal im Jahr sahen sich Vater und Tochter, zu Weihnachten und irgendwann im Herbst.

Er war gleich am Apparat, erwartete in seinem Lehnstuhl die Tagesschau. »Sievers.« Die geliebte, die tiefe norddeutsche Stimme.

»Ich bin’s, deine Tochter. Geht es dir gut?«

»Na ja, wie es einem zwischen lauter Achtzig- und Neunzigjährigen eben so geht. Die meisten von ihnen, wie du selbst gesehen hast, alte Schachteln, immer mit dem Mundwerk vornedran. Kein Vergleich mit deiner Mutter. Manchmal sehne ich mich richtig nach männlicher Verstärkung.« Jetzt flunkerte er, denn Swantje hatte beobachtet, wie er es genoss, Hahn im Korb zu sein. »Eine von den Schachteln, stell dir vor, hat mir gestern einen Heiratsantrag gemacht. Wenn das die anderen wüssten!«

Swantje musste kichern. Sieh mal an. Was sich bei den Senioren alles tat. Liebe, Graubrot und Eifersucht. War ja auch ein fescher Mann, ihr Vater, mit seiner nach wie vor tadellosen Haltung und dem dichten, schlohweißen Haar. Ein reinrassiger Holsteiner.

»Einen Heiratsantrag. Dir?« Was es für Zufalle gab. »Du wirst es nicht glauben, aber mir ist das Gleiche passiert.«

»Von Bernd? Hat er sich endlich besonnen? Wurde auch Zeit.«

»Nein, nicht Bernd. Der nie, sondern ein Franzose. Er kommt aus Nizza.« Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Jetzt machte sie die Sache schon bis nach Hamburg publik.

»Nizza, la belle Nice. Donnerwetter.« Der Vater schien beeindruckt. »Dort bin ich während des Krieges kurz gewesen, dann leider nie mehr. Aber ich denke oft an die Côte d’Azur, gerade an das obere Stück. Ein wunderschöner Flecken Erde. ›La baie des anges‹, das Schloss von Nizza, ›le vieux port‹. Und überall das fantastische Blau. Würde mir Spaß machen, wieder einmal Französisch zu sprechen. Du warst darin ja keine Leuchte, oder?«

»Nein«, gestand Swantje wahrheitsgemäß. Ihr bestes Fach war Deutsch gewesen, immer wieder Deutsch. »Also, dann heirate deinen Franzosen. Das heißt, wenn er ein anständiger Kerl ist. Es muss ja nicht für die Ewigkeit sein, so wie das früher üblich war. Wenn es schiefgeht, hast du ein paar schöne Jahre gehabt, und dein Französisch ist perfekt. Wann ist die Hochzeit?«

»Vati, so weit bin ich noch nicht. Ich muss mir den Vorschlag in aller Ruhe überlegen.«

»Aber nicht zu lange. Weißt du, es fällt immer mehr auf, wie viele alleinstehende Frauen es heute gibt. Nicht nur besagte alte Schachteln, sondern auch ihre Töchter, die zu Besuch kommen, und dann auch deren Töchter. Mein Kind, in deinem Alter sollte man in geregelten Verhältnissen leben. Ist besser für die Psyche. Das Alleinsein kommt noch früh genug. Moment, da beginnt die Tagesschau.« Und die wollte er sich in aller Ruhe ansehen, da ließ er nicht mit sich handeln. Swantje schickte ihm einen Kuss durch den Hörer, hängte ein.

Nachdenklich schälte sie sich einen Pfirsich. Er stammte aus dem Obstkorb, den Ari ihr heute ins Haus geschickt hatte, war wie alles, was von ihm kam, allererste Qualität. Genüsslich leckte sie den Saft von den Fingern.