Stephanie Katerle

Love works

Job und Liebe gut vereinbaren

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Impressum

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

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Umschlaggestaltung: Vogelsang Design

Umschlagmotiv: © jd-photodesign --- fotolia.com

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-80111-2

ISBN (Buch) 978-3-451-61271-8

Inhalt

Einleitung: Beziehung und Beruf auf der Suche nach Gleichgewicht

Test: Wie steht es um Ihre »Work-Love-Balance«?

I. »Work-Love-Balance« im Alltag

»Wie soll das denn gehen?« – Von der Unmöglichkeit, den Alltag perfekt zu bewältigen

»Wie geht’s uns denn heute?« – Partnerschaftspflege und berufliche Verpflichtung

Praxisbeispiel Verena und Tim: Jonglieren mit mehreren Unbekannten

ÜBUNG: Die Lebenslandkarte

II. Rollenerwartungen: Hemmschuh oder Siebenmeilenstiefel?

Brangelina, Klum und Co. − Vom Terror der unerreichbaren Perfektion

»Das hab ich von Papa!« − Wie unsere Herkunftsfamilie unser Verhältnis zur Arbeit prägt

»Hör auf(,) Mutti!« – Wenn sich unbewusste Rollenmuster einschleichen

ÜBUNG: Das Beziehungswesen

Fußfessel Fruchtbarkeit – Die Angst der Chefs vor schwangeren Führungskräften

Praxisbeispiel Jacqueline und Thorsten: Vom gemeinsamen Kampf gegen die gläserne Decke

ÜBUNG: Talente und Stärken erkennen

III. Nähe und Distanz, Chaos und Ordnung: Mehr Struktur für Liebe und Beruf

»Die Autobahn ist Männersache« – Berufspendeln oder zurückstecken?

Ein kleines Familienunternehmen – Frauen als Vereinbarkeitsmanagerinnen

Praxisbeispiel Tine und Claudio: Mehrfachbelastung und die Grenzen der Vereinbarkeit

ÜBUNG: Das Zwiegespräch

Praxisbeispiel Iris und Sven: Beruf und Liebe in Zeiten von Singlebörsen und Onlinedates

ÜBUNG: Lobrede auf mich selbst

IV. Anerkennung, Karriereknick und die Last der Frauen mit dem Selbstwert

»Dann bleiben Sie doch ganz zu Hause!« – Wenn die Teilzeitfalle zuschnappt

»Die besten Jahre meines Lebens« – Ziele, Träume, Lebenswünsche, oder: die Opfer-Option

Die Putzfrau kriegt zwölf Euro – Welchen Wert hat Familienarbeit?

Praxisbeispiel Ute und Simon: Wissenschaftliche Karriere und Kinderwunsch

ÜBUNG: Mein Traumbild

V. Macht und Konkurrenz in Doppelkarrierebeziehungen

»Das kann ich auch!«– Wie Multitalente sich gegenseitig blockieren

Ein Schiff mit zwei Steuermännern – Gemeinsame Ziele in langjährigen Partnerschaften

»Ich liebe meinen Job!« − Eifersucht auf den Beruf des Partners

»Es ist immer die Sekretärin« – Warum im Betrieb so oft fremdgegangen wird

Praxisbeispiel Marietta und Oliver: Wenn die Arbeit zur großen Liebe wird

ÜBUNG: Meine Ressourcen

VI. Kleine Karriereknicker: Was Kinder mit Mamas und Papas Beruf machen

»Wo bleibst du, mein Kind?« − Laufbahnplanung mit mehreren Unbekannten

Vom Schmetterling zurück zur Raupe − Was Mutterschaft für berufstätige Frauen bedeutet

Praxisbeispiel Ron und Selma: Vom Star zum hässlichen Entlein

ÜBUNG: Reise in die Zukunft

VII. Beratung ist Prävention fürs Herz

Fünf vor oder fünf nach zwölf ? − Beratung hilft

Streitroutinen lösen – Warum Sie nicht beide zur Beratung gehen müssen

Sie sind die Beziehungsexperten! – Worauf Sie bei der Paarberatung achten sollten

Literatur

Einleitung
Beziehung und Beruf auf der Suche nach Gleichgewicht

Eines haben alle Paare gemeinsam, die mich zum Paarcoaching aufsuchen: Sie beteuern, dass sie sich vor einem Jahr nicht hätten vorstellen können, einmal Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Dass die Liebe einmal Unterstützung durch Beratung braucht, scheint viele gemeinsame Jahre lang unvorstellbar zu sein. Seltsam eigentlich, da wir ja wissen, dass inzwischen jede zweite Ehe geschieden wird! Die Medien füttern uns doch tagtäglich mit den Verfehlungen und Krisen der Superstars. Aber Liebe, so sitzt es immer noch fest in den Köpfen, ist eine »Himmelsmacht«, ein Geschenk. »Liebe ist alles«, titelt das Musikduo Rosenstolz, als sei romantische Liebe das Gegengift für alles Unheil dieser Welt. Kein Wunder, dass viele Paare das Gefühl haben zu versagen, wenn sie das, was ihnen doch als Geschenk in den Schoß gelegt wurde, anscheinend nicht bewahren und würdigen können. Ich kann sie dann trösten: Liebe verändert sich, entwickelt sich, sucht sich neue Plätze und Erscheinungsformen. Manchmal scheint sie verschwunden, um an anderer Stelle in neuer Gestalt wiederaufzutauchen. Die Liebe lässt sich jedenfalls nicht lebenslang auf einen Thron setzen und anbeten. Das stimmte nicht einmal vor 150 Jahren, als die romantische Vorstellung des trauten Heims für die wachsenden Zumutungen in der Arbeitswelt entschädigen sollte und kräftig beworben wurde − bis sie zum Dogma wurde. Mutti bereitete im 19. Jahrhundert dem Gatten ein kuscheliges Nest, sorgte für warmes Essen und gepflegte Unterhaltung und überwachte die Entwicklung der Kinderschar. So ging jeder seinen Aufgaben nach und legte im hohen Alter zufrieden die Hände in den Schoß. Jedenfalls sollte das für bürgerliche Ehen gelten. In Arbeiterfamilien sah man das Thema »Liebe« zwangsläufig bedeutend nüchterner.

Wir wissen alle, dass die Welt heute anders funktioniert. Frauen sind nicht mehr von der Erwerbsarbeit der Männer abhängig, sie können und dürfen wählen, sich entscheiden und die Zahl ihrer Kinder selbst bestimmen. Männer finden es heute nicht mehr »weibisch«, einen Kinderwagen zu schieben oder beim Kindergartenfest »Teddybär, Teddybär, dreh dich um« zu singen. Ihnen ist es durchaus nicht mehr egal, was ihre Frau den Tag über macht, solange abends das Essen auf dem Tisch steht. Und doch: Etwas ist gleich geblieben. Es ist die Sehnsucht nach dem oder der einen, der Wunsch nach einem Gegenpol zur Welt »da draußen«, das Bedürfnis nach einer ganz eigenen, abgetrennten Eigenwelt mit dem Menschen, den man sich gewählt hat. Jürg Willi schreibt: »Die Liebe sollte das eigene Leben aus der Mittelmäßigkeit herausheben, sie sollte ein Abenteuer, ein Risiko, eine Utopie sein, als Entwurf, der dem Leben Sinn, Ziel und Besonderheit zu geben vermag. Die Sehnsucht nach dem Außergewöhnlichen sollte in einer Welt, wo alles kontrolliert und gemessen wird, ihren Platz haben, es sollte einen Bereich geben, wo sich das Leben in seiner ganzen Dramatik entfalten kann.«

Liebe bedeutet, sich ganz auf einen anderen einzulassen, für ihn da zu sein, die Begeisterung für sie oder ihn zu behalten. Liebe steht für Hingabe, sie bedeutet, sich entschieden zu haben und über einen langen Zeitraum zu denken. Liebe schafft Selbstwert und Anerkennung. Fehlt eines der Merkmale, stört das die Beziehung. Ein Mangel wird spürbar. So bringen dann Paare in der Beratung vielfältige Probleme vor. »Wir streiten uns dauernd«, »Einer von uns ist fremdgegangen«, »Nie ist es genug, was ich für die Familie mache«, »Wir gehen uns in all der Hektik verloren«. All diese Themen scheinen auf den ersten Blick klassische Beziehungsthemen zu sein. Bei näherem Hinsehen fächert sich aber die ganze Vielfalt des Paarlebens auf – und siehe da: Hier geht es um Liebe, aber nicht ausschließlich um die partnerschaftliche Liebe. Man kann nämlich auch, wie Richard David Precht sagt, »Siamkatzen lieben oder blutige Steaks, den Kölner Karneval und buddhistische Klosterstille, Bescheidenheit, einen Sportwagen und seinen Herrgott«. Oder eben seine Arbeit, Herausforderung, die persönliche Freiheit, die Kinder, die Eltern, den Heimatort oder das Gefühl, eine wichtige Aufgabe erledigen zu dürfen.

In einer Stellenanzeige würde es vielleicht nicht als Liebe bezeichnet, aber was die Arbeitswelt heute von den Berufstätigen verlangt, lässt sich in seiner Intensität und zeitlichen Abmessung durchaus mit einer Liebesbeziehung vergleichen. Jobs fordern heute ein sehr viel höheres Maß an persönlicher Identifikation, als das früher der Fall war. Es scheint nicht mehr übertrieben, von seinen Angestellten »Hingabe, Begeisterung, Engagement, Leidenschaft, angenehmes Äußeres und ein zugewandtes Wesen« zu erwarten. Sie sollen für die Arbeit brennen! Immerhin bereitet die Arbeit die materielle Grundlage für ein Leben in westlichem Wohlstand. So brennen dann auch viele – bis zum Ausbrennen.

Die heimische Liebe, die Bindung zum Partner, verlangt Ähnliches: Akzeptanz, Respekt, Leidenschaft, Hingabe, Aufmerksamkeit, Verständnis, Fürsorge, Weitsicht, attraktives Aussehen, soziale Kompetenz, Organisationstalent und Toleranz.

Diesen Anforderungskatalog perfekt zu meistern gelingt in der Regel nur Menschen, die eins mit ihrem Beruf und ihrer Partnerschaft sind. Das Künstlerehepaar Jeanne Claude und Christo führte eine leidenschaftliche und symbiotische Beziehung. Die beiden lebten für die Kunst und für ihre Zweisamkeit, trennten sich nie und traten immer gemeinsam auf. Ein tolles Leben ist das! Man ist eins mit dem Menschen, den man liebt, und eins mit der Arbeit.

Ob das Stefan und Katharina auch sagen können? Vermutlich ist es weniger erfüllend, den ganzen Tag lang Stefan, der Bürokaufmann, zu sein oder Katharina, die Kassiererin. Doch Stefan und Katharina sind auch noch mehr. Sie sind Eltern, sie sind vielleicht Pendler, sie sind Kollegen, Tochter und Sohn, Steuerzahler, Kreditnehmer, Patienten, Touristen − und eben Eheleute. Jede dieser Rollen bringt Erwartungen mit sich. Und sosehr Stefan und Katharina sich auch in der Phase ihrer ersten Verliebtheit vorgenommen haben mögen, zusammen die Welt auf den Kopf zu stellen, sehen sie sich in ihrem Alltag mit Mechanismen konfrontiert, vor denen sie bei der Hochzeit niemand gewarnt hatte. Stefan muss vielleicht um seinen Arbeitsplatz fürchten und lässt sich deshalb zu viel vom Chef gefallen. Katharina findet für Klein-Joschi keinen Krippenplatz und muss plötzlich auf 450-Euro-Basis arbeiten. Stefan muss das Handy mit in den Urlaub nehmen, weil ein Mitarbeiter krank geworden ist. Wenn Joschi erkältet ist, bekommt Katharina Ärger mit dem Chef, weil sie am Arbeitsplatz fehlt. Vielleicht muss sie den Job resigniert ganz aufgeben, weil die Teilzeit sich für sie nicht lohnt und das Gehalt von der Kinderbetreuung aufgefressen wird. Was passiert dann mit ihrem Selbstwertgefühl?

Und Stefan? Vielleicht wollte er es unbedingt besser machen als sein Vater, der nie Zeit für die Familie hatte, und wird nun vom Betrieb gezwungen zu pendeln, sodass er Joschi nur noch am Wochenende sieht. Unter Umständen macht das Stefan tief traurig und lässt ihn an seinem ganzen Leben verzweifeln, was sich wiederum auf die Beziehung zwischen ihm und seiner Frau auswirkt.

Die Grenzen zwischen Arbeitswelt und Privatleben, zwischen der Begeisterung für den Job und der Liebe zum Partner sind fließender geworden. Die beiden Faktoren haben jede Menge miteinander zu tun und so gut wie immer spielt der Job eine Rolle, wenn Paare mit Beziehungsproblemen zu mir kommen. Die Liebe mit allerhand Tricks reparieren zu wollen wäre unseriös. Man kennt diese Tipps: »Geht doch mal romantisch essen!« Und danach? – Ist alles wieder beim Alten. Die unantastbare romantische Liebe als Startrampe für den beruflichen Aufstieg und lebenslange Zufriedenheit ist ein Märchen.

In der systemischen Beratung haben wir das Ganze im Blick. Alle Faktoren kommen auf den Tisch und es wird geprüft, welche Elemente im gemeinsamen Leben unbedingt gebraucht werden, weil sie eventuell die materielle Sicherheit gewährleisten, aber auch, welche Lebensbereiche möglicherweise von hinderlichen Glaubenssätzen und Vorannahmen über die wünschenswerten Rollen innerhalb der Familie besetzt werden.

So ist zum Beispiel der Glaubenssatz, eine Rabenmutter zu sein, wenn man früh nach der Geburt wieder arbeiten geht, weit verbreitet. Er verursacht jede Menge Stress, gegen den die betroffenen Frauen heftig ankämpfen. Jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit zu denken, dass man gerade einen schwerwiegenden Fehler macht, raubt Energie. Diese Energie fehlt für andere Dinge. Der Glaubenssatz blockiert und macht auf die Dauer unglücklich. Eine unglückliche Frau führt keine glückliche Beziehung. So schließt sich der Kreis.

Paare können − zum Beispiel in einer Beratung − behutsam freilegen, welche Blockaden und Glaubenssätze vorherrschen, und nach Stellschrauben suchen, die für einen besseren Ablauf des gemeinsamen Lebens justiert werden können. Entspannung tritt ein und die »Work-Love-Balance« gerät wieder in ein gesünderes Gleichgewicht. All die guten Ratschläge: »Unternimm doch mal mehr mit der Familie«, »Bucht doch mal ein Wellness-Wochendende zu zweit«, sind sicherlich nicht schädlich. Sie nutzen aber auch nichts. Denn um echte Zufriedenheit zu erreichen, müssen Paare sich mit ihren unbewussten Vorannahmen, ihren Ängsten und Wünschen, Bedürfnissen und Forderungen bis in die Details des Alltags und ihrer Zukunftsplanung befassen, denn das macht gute Partnerschaft aus. Love works, die Liebe funktioniert − aber Liebe ist auch Arbeit.

Test: Wie steht es um Ihre »Work-Love-Balance«?

So funktioniert der Test: Lesen Sie die Aussagen links in der Spalte und machen Sie dann Ihr Kreuz in den Spalten 0 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft voll zu). Denken Sie nicht lange nach, sondern folgen Sie Ihrem Bauchgefühl. Zählen Sie dann die Punkte zusammen. Die Auswertung schließt sich an.

  Frage 0 1 2 3 4 5
1 Ich verzettele mich manchmal, weil ich so vielen Anforderungen gerecht werden möchte.       
2 Für meinen Traumjob müsste ich meine Lebensplanung komplett ändern.       
3 Ich führe eine Fernbeziehung und sehe meine Partnerin/meinen Partner höchstens einmal pro Woche.       
4 Mein Weg zur Arbeit beträgt mehr als 50 Kilometer oder dauert länger als eine Stunde.       
5 Mit meiner Partnerin/meinem Partner streite ich immer öfter wegen der Aufgabenverteilung und Zeitplanung in unserer Beziehung.       
  Frage 0 1 2 3 4 5
6 Meine Partnerin/mein Partner hat Kinder aus einer früheren Beziehung, die er/sie regelmäßig sieht – bei uns oder bei sich zu Hause.       
7 Wir leben in einer Patchworkfamilie.       
8 Wir leben mit dem unerfüllten Wunsch nach einem Kind.       
9 Vor dem Einschlafen denke ich oft an meinen Job und daran, was aus mir werden soll.       
10 Meine engeren Mitarbeiter wissen in manchen Phasen mehr über mich als meine Partnerin/mein Partner.       
11 Das Leben, das ich im Augenblick mit meinem Partner/ meiner Partnerin führe, lässt wenig Raum für meine beruflichen Pläne.       
12 Ich kann schlecht nein sagen, wenn in meiner Freizeit mein Diensttelefon klingelt oder ich E-Mails von Kollegen bekomme.       
13 Eigentlich sind meine besten Freunde meine Kollegen.       
  Frage 0 1 2 3 4 5
14 Ich schlafe in manchen Nächten schlecht und grüble dann viel.       
15 Ich arbeite zur Zeit nicht 100prozentig meinen Talenten und Fähigkeiten entsprechend.       
16 Der Alltag mit Beruf und Kind wächst mir zunehmend über den Kopf.       
17 Seit wir eine Familie sind, fühle ich mich in manchen Augenblicken in die Rollenverteilung meiner Großmutter zurückversetzt.       
18 Mein Kind bedeutet mir in manchen Momenten mehr als meine Partnerin/mein Partner.       
19 Ich möchte nach der Babypause wieder in den Beruf einsteigen, aber die Jobangebote, die ich erhalte, kommen meistens nicht infrage.       
20 Manchmal denke ich darüber nach, ob unsere Beziehung im Spagat zwischen beruflichen Anforderungen und privaten Bedürfnisse nicht zu kurz kommt.       

Auswertung

0–19 Punkte: Glückwunsch! Anscheinend gehören Sie zu den wenigen Menschen, die relativ gut im Einklang mit sich selbst und der beruflichen wie privaten Umwelt leben. Was Sie tun, tun Sie mit Herzblut und Freude. Natürlich kennen auch Sie Momente der Erschöpfung, aber Sie haben ein System entwickelt, Ihre Kraftvorräte wieder aufzutanken. Es wäre toll, wenn Sie anderen in Ihrer Umgebung zeigen könnten, wie das geht.

20–49 Punkte: Der Alltag sieht für Sie oft grau aus. Sie fragen sich, wie Sie es einrichten können, die Lebensfreude wieder zurückzugewinnen. Natürlich: Funktionieren geht immer und Sie erledigen Ihre Aufgaben zufriedenstellend. Aber immer häufiger taucht in Ihrem Kopf die Frage auf, ob es das ist, was Sie sich gewünscht haben, und ob »das alles sein soll«. Natürlich bekommt Ihr Partner/Ihre Partnerin das mit, und ab und an gibt es unerfreuliche Situationen und Gespräche. Gründliche Standortbestimmungen, der Austausch über persönliche Werte und Ziele sowie die Nachjustierung gemeinsamer Pläne sind notwendig, wenn es nicht weiterzugehen scheint. Und hilfreich sind solche Gespräche auch, denn nichts bringt Paare wieder näher zusammen als die Offenheit im Austausch über Gefühle, Träume, Ängste und Hoffnungen.

50–79 Punkte: Rückenschmerzen? Schlafprobleme? Gewichtsverlust oder abrupte Gewichtszunahme? Kein Spaß mehr an Zärtlichkeiten und oft sogar zu müde zum Lesen? Manchmal haben Sie das Gefühl, der Unruhe und den unaufhörlichen Anforderungen um Sie herum nicht mehr Herr(in) zu werden. Sie hetzen von Termin zu Termin, von Person zu Person und reiben sich im Bestreben nach Wiederherstellung eines ausgewogenen Lebens auf. Dabei merken Sie aber immer häufiger, dass die Bemühungen ins Leere laufen. Müdigkeit und resignatives Funktionieren im gefühlten Hamsterrad laugen Sie zunehmend aus. Hier ist eindeutig der berühmte »Wurm« drin. Was wollen Sie eigentlich wirklich? Was tut Ihnen gut, was ist schädlich? Ihre Umwelt hat sowohl das Recht als auch die Pflicht zu erfahren, was Sie brauchen um weiter einsatzbereit für andere zu bleiben. Etwas mehr Egoismus und die Fokussierung auf persönliche Ziele dürfen Sie sich getrost für eine Weile erlauben, denn mal ehrlich: Die anderen gönnen sich ihre zeitweiligen Egotrips ja auch.

80–100 Punkte: Es gibt Menschen, bei denen fragt man sich, wie sie es überhaupt noch schaffen, in dieser Flut von Stress nicht einfach umzufallen. Sie sind für alle da, ständig verfügbar, immer präsent und 100-prozentig konzentriert, opfern sich auf und leisten Übermenschliches. Angetrieben werden Sie oft von der Illusion, Superkräfte zu besitzen. Schulterklopfen und Anerkennung sind Ihr Lebenselixier. Das »Danke, Batman« aus den Filmen, wenn er mal wieder die Welt gerettet hat, klingt auch in Ihrem Ohr wie Musik. Doch der Preis, den Batman zahlt, ist hoch. Er muss seine Identität verleugnen und kann nicht mit offenem Herzen lieben. Familie, Vertrauen und Intimität sind ihm fremd. Ihnen auch schon? Hier hilft nur Heldentaten-Abstinenz. Superhelden-Kostüm bitte sofort ablegen, einen gründlichen Gesundheitscheck machen lassen, am besten einen Wellness-Urlaub oder eine Kur anschließen und zusammen mit den Liebsten das Leben neu planen. Superhelden gibt es nur im Film und Sie wollen für die wichtigen Menschen in Ihrem Leben doch real präsent sein, oder?

I. »Work-Love-Balance« im Alltag

»Wie soll das denn gehen?«
Von der Unmöglichkeit, den Alltag perfekt zu bewältigen

Lassen Sie uns nur ganz kurz über Zahlen sprechen. Im Durchschnitt verbringt ein männlicher Arbeitnehmer in Deutschland neun oder mehr Stunden an seinem Arbeitsplatz. Die Fahrt zur Arbeit beträgt für einen Weg im Schnitt 30 Minuten. Seine Nahrungsaufnahme schlägt mit etwa eineinhalb Stunden zu Buche und das Fernsehen mit fast drei Stunden. Laut Leipziger Volkszeitung brauchen Männer täglich 46 Minuten im Bad. Dazu können etwa sieben Stunden durchschnittliche Schlafdauer hinzugerechnet werden und etwa eine Stunde Verwaltung, zum Beispiel private Post oder das Beantworten von E-Mails. Die deutsche Herzstiftung empfiehlt etwa 30 Minuten Sport am Tag. Stopp! Hier könnten wir aufhören mit unseren Statistiken, denn ein Tag von 24 Stunden ist bereits gefüllt.

Nach dieser Rechnung hat der durchschnittliche männliche Arbeitnehmer noch keine Silbe mit seiner Frau oder den Kindern gesprochen, ist keinem Hobby nachgegangen und hat sich noch nicht eine Minute lang mit Freunden unterhalten. Man merkt hier sehr deutlich, wie eng ein Tag für die vielfältigen Ansprüche werden kann. Bei Frauen sähe die Statistik übrigens ähnlich aus, auch wenn ihre bezahlte Arbeitszeit im Durchschnitt niedriger ist. Die Organisation eines Alltags, an dem womöglich zwei Verdiener und zwei Kinder beteiligt sind, ist eine logistische Meisterleistung. Dennoch ist die Doppelverdiener-Ehe das am meisten gewünschte Modell unter Paaren. (Frauen wünschen sich das Modell zu 60 Prozent, Männer zu 56 Prozent, während das Versorgermodell mit dem Mann als Ernährer der Familie nur wenig Anklang findet: Acht Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer wünschen es sich.) Fliegende Wechsel, unzählige Absprachen, Ankünfte in allerletzter Minute und Einstürze des Kartenhauses aufgrund von Krankheiten sind an der Tagesordnung.

Möglicherweise ist diese Schilderung zu drastisch und vielleicht investieren gerade Sie die Zeit nicht ins Fernsehen, sondern tatsächlich in Unternehmungen mit den Kindern. Sehr deutlich wird aber, dass insbesondere für Doppelverdiener-Partnerschaften eine sehr klare und straffe Organisation vonnöten ist, wenn das »System Familie« auch nur am Laufen gehalten werden soll. Von Glück oder Zufriedenheit war hier noch gar nicht die Rede. Diese Wünsche werden zugunsten des Überlebens im Alltag als Erstes über Bord geworfen.

Eine verbesserte Betreuungssituation für Kinder würde vielen Paaren helfen, steht allerdings leider immer noch nicht in Aussicht. Die »Herdprämie« und andere politische Initiativen proklamieren gegen alle Wünsche der Familien das Alleinverdienermodell wieder als allein akzeptables. So müssen Paare, insbesondere nach der Geburt der Kinder, mit oft lückenhaften Kompromissen leben, die meist zulasten der Karriere der Frauen gehen und nicht zuletzt in materieller Hinsicht zu Einbußen für die Familien führen. Studien belegen: Nach 18 Jahren haben die kinderlosen Doppelverdiener rund 445 000 Euro mehr zur Verfügung als die vierköpfige Familie mit einem Verdiener. Hier soll es nicht gegen kinderlose Alleinverdiener gehen, sondern gegen die Ungerechtigkeit, die Familien widerfährt, und zwar auf materieller wie in psychologischer Hinsicht. Zu den finanziellen Einbußen kommt nämlich der Druck, dem sich Eltern ausgesetzt sehen, wenn es um die zentralen Bereiche von Partnerschaft und Familie geht. Es reicht bei Weitem nicht, einfach »nur« Mutter und Vater zu sein! Gerade Mütter geraten oft in die gedankliche Falle der unerreichbaren Perfektion. Die Paartherapeutin Rosemarie Welter-Enderlin hält die stille Überzeugung vieler Mütter: »Gerade weil ich eine eigene Karriere machen will, darf es meinen Kindern an nichts fehlen« für einen prägenden Glaubenssatz.

Erwartungsdruck und die geheuchelte Perfektion

Die Förderung einer gesunden Entwicklung des Nachwuchses hat sicherlich seine Berechtigung, fordert aber Anstrengungen, die in einem gleichberechtigten Haushalt nur mit generalstabsmäßiger Planung und unter erheblichen Entbehrungen zu meistern sind. So sollen Mütter ihre Kinder (zu deren unbestrittenem Wohl) sechs Monate lang stillen und mit ihnen zum Babyschwimmen, zur musikalischen Früherziehung, zur PEKip-Gruppe und zum Mutter-Kind-Turnen gehen. Individuelle Förderung der noch zu entdeckenden Talente der Kinder gehört ebenso zum Repertoire einer »guten Mutter«. Hier sei das Buch »Die Mutter des Erfolgs: Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte« erwähnt, das in den letzten Jahren ein umstrittener Mega-Seller war. Es setzt auf perfide Weise engagierte Mütter unter Druck, ihre Kinder zu optimieren. Die Förderung des Nachwuchses auf allen erdenklichen Ebenen scheint für gebildete Frauen wieder zur eigentlichen Kernaufgabe zu werden. All dies ist vielleicht mit einem Kind noch leistbar, mit zwei oder mehr Kindern und einem Beruf sprengen diese Aufgaben einen 24-Stunden-Tag. Gleichzeitig wird den Müttern nicht gestattet, sich körperlich gehen zu lassen oder sich auch nur auszuruhen. Die Cosmopolitan titelt: »Müde, gestresst und trotzdem heiß auf Sex – so geht’s«. Heidi Klum macht es vor: vier Kinder und eine perfekte Figur, eine große TV-Show und ständige Medienpräsenz. Kommt, Frauen, lasst euch nicht gehen! Wenn Heidi das alles kann, dann muss doch eine halbe Stelle im Baumarkt mit zwei Kindern und Größe 38 zu schaffen sein! Jungen Frauen, jungen Müttern insbesondere, scheinen eine gute Figur, ein sexy Aussehen und dabei ein entspanntes Lächeln im Gesicht extrem wichtig zu sein. »Die Situation ist absurd: Auf der einen Seite werden übermenschlich hohe Anforderungen an Mütter gestellt und auf der anderen Seite sind sie äußerlich so gelassen wie nie«, schreibt Rosemarie Welter-Enderlin. Dass die jungen Frauen unter diesem Druck nicht reihenweise umfallen, ist ein Wunder. Gleiches gilt im Übrigen für die Männer. Wer glaubt, diese blieben vor dem Erwartungsdruck an Schönheit und Leistung verschont, irrt.

Es ist eine komplizierte Zwickmühle, in der viele Paare sich befinden. Das Wichtigste ist, den Druck zunächst einmal herauszunehmen. Paare sollten die Tagesabläufe beider Partner genau anschauen und analysieren, welche Tätigkeiten eine besondere Bedeutung haben und welche vielleicht delegiert oder ganz aufgegeben werden können. Lebensbereiche wie zum Beispiel materielle Sicherheit, Gesundheit, soziales Leben und auch Spiritualität werden bewertet, anschließend wird nach Spielräumen gesucht. Was erwarten Sie von sich selbst und voneinander? Unausgesprochene Annahmen sollten in Worte gefasst werden. Paare sollten zur Klärung ihrer Situation nach diesen unbewussten Glaubenssätzen und Rollenerwartungen suchen. Diese sind es nämlich, die dafür sorgen, dass sich für die Beziehung schädliche Muster einschleichen. »Zur Mutterschaft gehört …«, »Die Aufgaben eines richtigen Mannes sind …«, »Liebe ist nur dann Liebe, wenn …«. Aus diesem Stoff werden Missverständnisse, falsche Rücksichtnahmen und geistige Trampelpfade gemacht, die über Jahre wirken und einstige Visionen und Träume zersetzen.

Hier muss es um Standortbestimmung und gemeinsame Bestandsaufnahme gehen, bevor Alternativen geprüft werden können, die sich auf die Werte beider Partner gründen. Sich diese Werte noch einmal vor Augen zu führen stiftet Sinn für die Suche nach Familienwerten und schafft Visionen und Ziele. Aus diesen Visionen lassen sich Pläne schmieden, die Orientierung und Struktur für den Alltag erzeugen. Die vermeintlichen »Must-haves« der Kindererziehung, der Partnerschaft und Karriere, propagiert von Medien und pädagogischer Fachpresse, sind Angebote, die Sie wahrnehmen können, nichts weiter. Und Sie haben das Recht darüber zu entscheiden, welche der Angebote Sie wahrnehmen möchten und welche nicht. Stellen Sie nicht das Wohlergehen der Kinder über Ihr eigenes. Denken Sie im Zweifel an Ihre eigene Kindheit zurück und fragen Sie sich, was der besondere Wert war, der Ihre eigene Erziehung gekennzeichnet hat. Woran erinnern Sie sich als besonders lehrreich, was war Ihnen wichtig? Sie werden wahrscheinlich zu überraschenden und einfachen Ergebnissen kommen.

Im Flugzeug hängen in den Anleitungen für den Notfall Hinweise zum Gebrauch der Sauerstoffmasken. Darin heißt es: »Legen Sie erst sich selbst die Maske an, dann versorgen Sie Kinder und Mitreisende.« Ein kluger Rat. Nichts brauchen Kinder so sehr wie belastbare, einigermaßen gut gelaunte, gelassene Eltern. Die sind wichtiger als Fußball, Violinenspiel und Kirchenjugend. Streichen Sie überflüssige, zeitraubende Fahrten und unangenehme Pflichtbesuche und sorgen Sie erst einmal für sich selbst und für Sie beide als Paar. Wenn es Ihnen als Paar gut geht, geht es allen um Sie herum wahrscheinlich auch gut.