Sébastien Martin

OfficeYoga®

für Körper, Geist und Seele

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Impressum

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: Vogelsang Design

Umschlagmotiv: © Christina Martin

Fotos: © Carina Jahn Fotodesign

Abbildungen: © Sébastien Martin, Katja Rudisch

Autorenfoto: © Carina Jahn Fotodesign

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-80082-5

ISBN (Buch) 978-3-451-61263-3

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: Der Yoga-Weg

Raus aus dem Hamsterrad

Endlich entschleunigen

Yoga entmystifiziert

Yoga-Philosophie im Alltag

Vom Umgang mit sich selbst und anderen

Wissen und Intuition

Gedankenruhe oder: Im Dschungel der »Zuvielisation«

Mit Leichtigkeit durchs Leben gehen

Kapitel 2: Seele – Das eigene Potenzial entfalten

Was heißt Potenzialentfaltung?

Ohne Fleiß kein Preis

Unsere Potenziale mit einem Lebensplan entfalten

Wer bin ich? – Die Ego-befreite Selbstreflexion

Die eigenen Talente entdecken

Das eigene Wertesystem bestimmen

Was will ich? – Wahre Bedürfnisse

Wohin will ich? – Mit Leichtigkeit zum Lebensziel

Hingabe zu einer Sache

Sich von »Verhaftungen« befreien

Ein produktives (Arbeits-)Umfeld schaffen

Kapitel 3: Geist – Mentale Stärke entwickeln

Kraftquelle Energie

Prana – Lebenskraft durch richtiges Atmen

Trigunas – Die Zustände des Geistes

Stress – warum eigentlich?

Wie Körper, Geist und Seele leiden

Mit Stress umgehen

Zurück in den Flow

Geheimwaffe Meditation

Die Macht der Glaubenssätze

Glaubenssätze sind keine Wahrheitssätze

Glaubenssätze entkräften

Kapitel 4: Körper – Kraft in Muskeln und Zellen

Wunderwerk Körper

Die zentrale Achse

Normalzustand: Beschwerdefrei

Die kleinen Freunde und Helfer

Das Yoga-Potenzial

OfficeYoga® – Einfache Übungen auf dem Bürostuhl für mehr Flexibilität

In die Haltung kommen

Zentriertes Sitzen für Instant-Konzentration

Entspannter Nacken und neue Ideen

Offenes Herz und friedfertiger Geist

Cha-Cha-Hüften

Flexibles Rückgrat für einen aufrechten Gang

Heldenverneigung vor der eigenen Größe

Ein starkes Bauchgefühl

Energietankstelle – Drehsitz

OfficeYoga® – alle Körperübungen im Überblick

Kapitel 5: Körper – Vitale Ernährung

Eine Wissenschaft voller Widersprüche

Generation Imbiss und Kantine

Trigunas für Nahrung und Geist

Kraftvolle Energiemanager

Leistungsdieb Zucker

Basisausstattung Ernährungsumstellung

Gesunde Ernährung = Verzicht auf Genuss?

Gesunde Ernährung = Verzicht auf Geschmacksvielfalt?

Gesunde Ernährung = Ein zu unüberschaubares Feld?

Gesunde Ernährung – Kleine Orientierungshilfen

Praxisleitfaden Vitale Ernährung

Morgens

Mittags

Nachmittags

Abends

Kapitel 6: Ein OfficeYoga®-Tag

Morgens

Mittags

Nachmittags

Abends

Glossar

Dank

Vorwort

Oder: Wie Yoga zu meiner Rettung wurde

Mit Anfang 30 konnte ich bereits auf viele berufliche Erfolge zurückblicken: auf eine Bankausbildung, ein BWL-Studium und die Teilnahme an einem Förderprogramm in einer internationalen Bank. Ich hatte den ersten Sprung ins kalte Wasser hinter mir und war nach einer Managementberatung für Banken gerade zu einem großen Dienstleister für die Finanzbranche gewechselt. Man übertrug mir mehr und mehr Verantwortung: für eine Abteilung, ein Geschäftsfeld – meine Aussichten, die Karriereleiter immer weiter hinaufzuklettern, waren hervorragend. Meine damaligen Chefs hielten mir die Karotten hin und drehten das Hamsterrad immer schneller. Ich spielte das Spiel mit und wurde zu einem fremdbestimmten und zunehmend unzufriedenen »Bürokrieger«.

Dann wurden meine beiden Kinder geboren, und mit einem Mal war sie da: die große Sinnfrage. Ich spürte Leere und Orientierungslosigkeit im Hinblick auf meine Aufgaben, meine Arbeit an sich, meine Branche und mein gesamtes Tun. Was mache ich hier eigentlich? Nutze ich meine Fähigkeiten dazu, irgendetwas zum Positiven zu verändern? Kündigen und abhauen kam nicht infrage, schließlich hatte ich Verantwortung für eine Familie. Aber um nicht in einem Burn-out zu enden, musste ich etwas ändern. Mit den beiden Schwangerschaften meiner Frau bin auch ich körperlich mitgewachsen, und so war das Dilemma komplett: ausgelaugt, orientierungslos und dick. Außerdem war ich Experte darin, mich selber klein zu halten.

Was tut Mann in einer solchen Situation? Mann fängt an, Sport zu treiben und kauft sich einen Porsche. Den Porsche konnte und wollte ich mir nicht leisten (Versorgungsnotwendigkeit!), aber Sport ließ sich einrichten. Die Geräte im Fitness-Studio fand ich langweilig, das Laufband fühlte sich an wie das Hamsterrad, wenngleich in der Horizontalen, und die Schwimmhalle war für eine Frostbeule wie mich eher ungemütlich. Dann probierte ich Kendo, einen japanischen Kampfsport, bei dem man seinem stark gepanzerten Gegner ein Bambusschwert so oft wie möglich auf den Kopf haut. Passend zu meiner Bürokrieger-Rolle versuchte ich mir unliebsame Chefs und Kollegen als Gegner vorzustellen. Ich war nach jedem Training fix und fertig, aber noch genauso frustriert wie zuvor. Das war es also auch nicht.

Bis mir (ich weiß nicht mehr, wie) Yoga über den Weg lief. Damit hatte ich immer komische Menschen assoziiert, die in allem nur Schööööönheit, Liiiiiiebe, Harmoniiiiiie sehen, die »Ommm« murmeln und dabei glückselig grinsen, als ob sie irgendetwas eingeworfen hätten. Immerhin war ich neugierig genug, um mir das angesagteste Yoga-Studio in Frankfurt anzusehen, das zudem morgens um 6:30 Uhr einen Business-Yoga-Kurs anbot. Die Chance schien gering, hier auf komische Leute zu treffen oder »Ommm« singen zu müssen. Um ganz sicherzugehen, ließ ich die Dame am Studiotresen wissen, dass ich das Business-Yoga zwar gerne mal ausprobieren, den ganzen Singsang-Hokuspokus aber nicht mitmachen würde. Der Lehrer solle mich auf meiner Matte einfach in Ruhe lassen, und alles wäre gut. Sie lächelte so verständnisvoll, als hätte sie genau dies schon öfter gehört.

Meine erste Yoga-Stunde war eine Katastrophe! Alles tat weh, und ich konnte dem Yoga-Lehrer kaum folgen. Die einzelnen Positionen wurden schneller angesagt, als ich das zu bewegende Körperteil identifiziert hatte. Kreuzbein? Nie gehört. Und wie soll man bitte den linken Fuß hinter die rechte Wade drehen? Theoretisch hatte ich zwar einen Körper, aber praktisch war der gerade irgendwo anders. Zum Abschluss der Stunde kam, was kommen musste: ein tiefes »Ommm« im Schneidersitz. Und trotz meiner Willenserklärung in Sachen »Hokuspokus-Singsang« habe ich mitgeommt und fand es viel weniger schlimm als befürchtet. Immerhin gab es damit wenigstens eine Sache, die ich schon in der ersten Stunde selbstständig und problemlos geschafft hatte …

Nach 90 leidvollen und schweißtreibenden Minuten tat mir jeder einzelne Muskel weh, abgesehen vielleicht von meinen Stimmbändern. Aber etwas war anders: Ich fühlte mich völlig energetisiert. Ich hätte Bäume ausreißen können. Zumindest war es ein großartiges Gefühl zu wissen, dass ich das schaffen würde, es aber gar nicht zu tun brauchte. Ich war zufrieden und glücklich mit dem, was war. Und dieses Gefühl wollte ich wieder haben. So fing er an – mein Weg zum Yoga. Yoga hat mir geholfen, eine ungesunde Lebensphase zu erkennen und auf den richtigen Weg zurückzukehren.

Heute arbeite ich im Management einer schwedischen Direktbank und gebe dort regelmäßig Yoga-Kurse für unsere Mitarbeiter. Wir praktizieren ganz einfache Übungen, die ich aus dem klassischen Hatha-Yoga auf die Situation vor dem Schreibtisch übertragen habe. Wir brauchen dafür keine Matten, keine Umkleidekabinen und keine Duschen. Alle Übungen machen wir in unseren normalen Büroklamotten, ohne dabei zu schwitzen. In unseren Kursen treffen sich alle Hierarchie-Ebenen, alle sind gleich und alle »kämpfen« mit ihren steifen, unflexiblen Körpern – der eine mehr, die andere weniger. Inzwischen ist aus diesem Kurs eine kleine bankeigene Yoga-Gemeinde hervorgegangen. Die ersten fragen auch schon, was denn hinter diesem »Yoga« stecke …

Gesundheit am Arbeitsplatz ist für mich heute eines der zentralen Themen. Ich bin überzeugt, dass ein gesundes Team sehr viel über die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens aussagt. Mit einem tollen Produkt und einem kranken, also müden und unkonzentrierten Team wird ein Unternehmen sein Potenzial nicht so gut entfalten können wie ein Konkurrent mit einem tollen Produkt und einem fitten Team. Was aus Sicht der Yogis für den einzelnen Menschen gilt, gilt genauso für ein ganzes Unternehmen: Gesundheit existiert nur dann, wenn sich das Gesamtsystem im Gleichgewicht befindet. Dieses Gleichgewicht bestimmt über die Umsetzung von Ideen und Strategien, die Qualität der Zusammenarbeit und die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen. Die wichtigsten »Bausteine« für ein gesundes System sind das ständige Üben der mentalen und körperlichen Haltung sowie die Entfaltung des individuellen Potenzials.

Wie Sie das erreichen können, möchte ich Ihnen auf den folgenden Seiten nahebringen. Mit diesem Buch habe ich die wichtigsten Grundlagen der Yoga-Lebensphilosophie für den Büroalltag »übersetzt«, und zwar nicht im Sinne eines starren Leitfadens, sondern als »Arbeitsbuch«. Denn Yoga ist eine Wissenschaft, die vor allem auf Erfahrungen basiert und dazu einlädt, eigene Erfahrungen zu sammeln und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Praktische Hilfestellungen und Übungen dafür finden Sie in den Toolboxen am Ende eines jeden Kapitels. Das Glossar im Anhang erläutert noch einmal die wichtigsten Begriffe der Yoga-Philosophie.

Aber nehmen Sie sich nicht zu viel vor! Wie bei jeder Veränderung ist es hilfreich, klein anzufangen und nicht alles auf einmal zu wollen. Es kann eine lange Reise zu sich selbst werden, auf der Ihnen dieses Buch ein hilfreicher Begleiter ist. Konzentrieren Sie sich zunächst auf die Themen, die Sie am meisten ansprechen, und bleiben Sie dran! Denn ohne regelmäßiges Üben bleibt alles beim Alten.

OfficeYoga® ist ein Weg in ein selbstbestimmtes Berufsleben mit mehr Lebendigkeit und Gelassenheit im Büroalltag.

In diesem Sinne: gute Reise!

Namasté

Sébastien Martin

Kapitel 1: Der Yoga-Weg

Mit den wichtigsten Gedanken der Yoga-Philosophie den modernen Büroalltag besser meistern

Yoga begann mit der ersten Person, die dauerhaft gesund und glücklich sein wollte.

Sri Swami Satchidananda

Raus aus dem Hamsterrad

Die Probleme in unserer heutigen Arbeitswelt sind mehr als offensichtlich. Wir sind auf dem Trip der Beschleunigung und der permanenten Produktivitätssteigerung. Wir sind immer online, jederzeit erreichbar und machen immer mehr in immer kürzerer Zeit. Wir hetzen von einer Besprechung in die nächste, von einem Telefonat zum anderen, und um keine Zeit zu verlieren, bearbeiten wir dazwischen und mittendrin unsere E-Mails. Wir nennen das Zeitmanagement. Aber die Beschleunigung hat leider nicht dazu geführt, dass wir mehr Zeit für uns haben. Mehr noch: Zeitliche Inseln der Ruhe sind in unserem westlichen Kulturkreis verpönt. Nur wer ununterbrochen schuftet, dem gebührt Respekt. Urlaub? Was ist das?

Man müsste meinen, dass bei so viel Beschleunigung viel mehr geschafft wird. Aber auch das gilt fast nie. Stattdessen fühlen wir uns rastlos, unsere Gedanken kreisen permanent um die Arbeit, und unser Kopf ist voller Präsentationsfolien und -konzepte, die später in der Schublade landen – ein Hamsterrad. Und jeder Beschleunigungstrend führt letztlich nur dazu, dass sich das Rad noch schneller dreht. Dabei kommen wir keinen Schritt vorwärts und irgendwann auch nicht mehr weiter. Das nennen wir dann Burn-out.

Psychische Erkrankungen und Erschöpfungszustände nehmen immer mehr zu. Sie sind ein deutliches Signal dafür, wie sehr ein Leben im Hamsterrad mit einem schleichenden Raubbau an Körper und Geist einhergeht. Das Perfide dieses Raubbaus ist, dass es sehr leise und schleichend beginnt und wir dann scheinbar urplötzlich mit dem Vorschlaghammer getroffen werden.

Das betrifft einerseits diejenigen, die so sehr in ihrer Arbeit aufgehen, dass sie sich regelrecht aufopfern – ob für den Arbeitgeber oder die eigene Firma. Sie sind so stark mit den Unternehmenszielen identifiziert, dass sie so lange fleißig und freiwillig in ihrem selbst geschaffenen Hamsterrad herumstrampeln, bis sie völlig außer Puste sind.

Dann gibt es andererseits noch diejenigen, die ihr Leben und ihr Glück in die Hände anderer Menschen legen. Man kann ja eh nichts machen und überlässt es dem Chef, die Ziele festzulegen. Dann wird das Hamsterrad zur Not mit Bonusaussichten, einem Firmenwagen oder sonstigen Vergünstigungen verschönt. Das erleichtert das Einsteigen und Mitstrampeln. Wir nennen das gerne Motivation. Für die Motivation ist es gut, wenn man die Karotte jedes Jahr ein klein wenig größer macht – und etwas höher hängt.

Das Heer der Bürokrieger im Hamsterrad wird täglich größer. Hier Abhilfe zu schaffen ist eine der größten Herausforderungen des Berufsalltags. Denn eigentlich sollte Arbeit sinnvoll sein und Spaß machen. Aber eine solche Sinnsuche legen viele nach den ersten Berufsjahren als naive Idee in die Ablage »P« wie Papierkorb. Wir nehmen uns keine Zeit für unsere wahren Bedürfnisse. Im Gegenteil. Viele von uns haben zu zahlreichen Themen ein breites Wissen und eine fundierte Meinung, aber nur sehr selten eine gute Antwort auf so einfache Fragen wie: Wer bin ich? Was will ich wirklich? Wohin will ich eigentlich? Da gibt es eine frustrierende Leere.

Gleichzeitig steigt bei immer mehr Bürokriegern die Sehnsucht nach Orientierung. Sie wollen etwas aus ihrem Leben machen – muss ja nichts Großes sein, aber etwas Sinnvolles und mit ein wenig mehr Freude. Sie wollen etwas aus dem eigenen Potenzial machen – sich selbst entdecken, sich ausprobieren und die eigenen Talente nutzen.

Für all diese Selbstentdecker, Lebensneugierigen und Potenzial-Entfalter ist dieses Buch geschrieben. Es wird Zeit, dass wir etwas ändern, und zwar so, wie es Mahatma Gandhi einst formuliert hat: »Sei du selbst die Veränderung, die du dir für diese Welt wünschst.«

Fangen wir also bei uns selbst an!

Endlich entschleunigen

Nichts ist beständiger als der Wandel, weil letztlich das ganze Leben Veränderung ist. In unserer modernen Gesellschaft äußert sich dies leider zu oft in einer ständigen Hetzjagd nach dem »Schneller, höher, weiter!«, dem perfekten Partner, dem perfekten Moment, dem perfekten Outfit, der perfekten Karriere, dem perfekten Irgendwas. Und da wir sehr genau wissen, dass wir »entschleunigen« müssen, weil sonst das Burn-out droht, steht die Suche nach der »perfekten« Work-Life-Balance-Formel ganz oben auf unserer Agenda. Und wir suchen und suchen und suchen. Es gibt zig Seminare, Artikel, Bücher, Zeitschriften und TV-Sendungen zu diesem Thema. Und die Formel? Entdeckt hat sie noch niemand.

Dabei gibt es zumindest eine erfolgreich erprobte Lehre, die verschiedene Wege für ein gesundes Lebenskonzept anbietet: Yoga. Aber das ist ja wohl nur was für spirituelle Spinner, oder? Richtig ist, dass die spirituelle Entwicklung einen sehr wichtigen Teil des Yoga ausmacht – ohne dabei allerdings religiös oder dogmatisch zu sein. Yoga bietet auch für alle selbsterklärten »unesoterischen Realisten« einen Lebensstil, der für mehr Energie und Gelassenheit sorgt. Aber Achtung: Yoga liefert keine »Alles glücklich mach«-Pille, sondern Hilfestellungen für die Entwicklung eines individuellen und ausbalancierten Lebenskonzeptes. Das Wichtigste dabei ist, dass wir die Verantwortung für uns selbst übernehmen, unsere eigenen Entscheidungen treffen und unseren eigenen Weg gehen.

Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass sich in der heutigen Zeit immer mehr Menschen auf die Suche nach ihrer Spiritualität begeben. Der materielle Reichtum, die Shopping-Exzesse und das Anhäufen von immer mehr »Spielzeugen« machen nicht wirklich glücklich. Auf diese Weise lässt sich keine Antwort finden auf die Frage, wer wir sind und warum wir auf der Welt sind. Yoga ermutigt uns dazu, sich diesen Fragen kontinuierlich zu stellen und an ihnen zu wachsen.

Das eigene Leben stattdessen so komfortabel wie möglich einzurichten, möglichst keine Fehler zu machen und Anstrengungen ebenso zu vermeiden wie Risiken, ist keine wirkliche Alternative. Damit würden wir uns lediglich in der eigenen Komfortzone einschließen, deren Wände umso dicker und undurchlässiger werden, je länger wir dort verharren. Mit Veränderungen kämen wir dann immer weniger zurecht. Yoga kann helfen, notwendige Veränderungen aufzuspüren und zu gestalten. Wenn wir das Leben in unserem Bewusstsein als einen ständigen Wandel annehmen und darüber hinaus die Chancen und Herausforderungen des Lebens als Möglichkeit für Erfahrungen und inneres Wachstum nutzen, dann kann uns jede Veränderung eine lebensbejahende und kreative Energie verleihen. Dann beginnen wir, uns aus uns selbst heraus zu entwickeln und nicht aus einem Leidensdruck, der durch eine andere Person erzeugt wird. Gleichzeitig können wir so erleben, wie der ständige Kampf mit dem Leben, die ewige Hetzjagd nach dem »Immer mehr, immer weiter, immer höher!« von einem spielerischen Umgang mit dem Leben abgelöst wird, bei dem Neugierde, Gestalten und Staunen wiederentdeckt werden können. An die Stelle von sich oftmals einschleichender Verbissenheit, von Tendenzen zu Zwangsund Profilneurosen tritt dann eine souveräne Gelassenheit. Die Entwicklung der eigenen Potenziale und die Freude hieran rücken in den Lebensmittelpunkt. Durch die Yoga-Praxis erlangen wir Flexibilität – in Körper und Geist – und sind für die Herausforderungen des Lebens besser vorbereitet.

Das moderne Berufsleben ist zu oft mit einem schleichenden Raubbau an Körper, Geist und Seele verbunden. Unser Alltag mit seiner eigenen Dynamik und seinem Aktionismus macht es uns leicht, sich in einem Teufelskreis aus Gehetztsein, Reaktionszwang und Erfolgsdruck zu verlieren, um schließlich im Hamsterrad zu enden, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt. Nach meiner Erfahrung liegt das daran, dass wir kaum wirkungsvolle Konzepte kennen, die Körper, Geist und Seele ansprechen und die vor allem alltagstauglich sind. Nur was im Alltag funktioniert, hat eine Chance, angenommen und ausprobiert zu werden.


OfficeYoga®-Toolbox: Erste Hilfe zur Entschleunigung

Bevor Sie in den folgenden Kapiteln viel darüber lernen werden, wie Sie den Büroalltag entspannter, konzentrierter und energiegeladener meistern können, hier ein kleines Erste-Hilfe-Set. Es beinhaltet wichtige Grundregeln zur Entschleunigung und sorgt vielleicht dafür, dass sich Ihr Hamsterrad von Anfang an etwas langsamer dreht:

  • Beginnen Sie jeden Tag mit einer Intention und der Frage: Was ist heute wichtig?
  • Beginnen Sie danach mit der wichtigsten Aufgabe des Tages. Lesen und beantworten sie erst dann Ihre E-Mails.
  • Vermeiden Sie konsequent jedwedes Multitasking.
  • Achten Sie auf Ihren Atem und atmen Sie immer wieder tief durch.
  • Bewegen und lockern Sie sich zwischendurch, besonders dann, wenn Stress und Hektik überhandzunehmen scheinen.
  • Machen Sie vor dem Einschlafen ein kleines Dankbarkeitsritual und fragen Sie sich jeden Abend, wofür sie heute dankbar sind.

Yoga entmystifiziert

Als Managementberater beschäftigt man sich fast automatisch auch mit den neuesten Managementmethoden, mit TQM, SixSigma, Lean Management, CRM, Business Process Reengineering und so weiter. Alle diese Theorien haben eines gemeinsam: eine Halbwertszeit von wenigen Jahren. Danach sind sie überholt oder einfach out. Yoga hingegen ist einige Tausend Jahre alt, und es muss einen Grund geben, warum gerade diese »Theorie« alles andere überdauert. Diesem Evergreen-Geheimnis hinter dem großen Wort »Yoga« wollte ich auf die Spur kommen. Ich begann, mehr und mehr darüber zu lesen, verkehrte nun öfter in der Yoga-Szene als unter Managern und besuchte all die gefürchteten »Hokuspokus-Veranstaltungen«: Meditationsseminare, Yoga-Workshops und Kongresse. Ich traf Lehrer und Schüler und machte schließlich eine Yogalehrer-Ausbildung, die mich mir selbst um einen Quantensprung näher gebracht hat.

Die alten Schriften mit ihren vielfältigen Kommentaren aus der Feder von Yoga-Gurus und -Experten offenbarten mir eine authentischere und effizientere Managementtheorie als all die hochtrabend klingenden Namen aus der Wirtschaftswelt. Ich stellte fest, dass sich hinter dem Begriff »Yoga« ein ganzheitliches, zeitloses und vor allem einfaches Gesundheits- und Lebenskonzept verbirgt, das weit über Verrenkungsübungen und Meditationssitzungen hinausgeht.

Still und heimlich integrierte ich diese Erkenntnisse immer stärker in meinen Arbeitsalltag und erlebte so eine neue Qualität des Erfolgs – ein Erfolg mit mehr Leichtigkeit, mehr Selbstbestimmtheit und fernab des Hamsterrads. Meinen natürlichen Zweifeln und den Herausforderungen des Büroalltags konnte ich mich mit mehr Standfestigkeit stellen.

Einige Indologen gehen davon aus, dass die Lehren des Yoga vor über 5000 Jahren entstanden sind. Eine genaue Datierung ist jedoch schwierig, da es lange Zeit keine schriftlichen Fixierungen gab, sondern nur die mündliche Überlieferung von Lehrer zu Schüler. Die ersten Schriften zum Yoga stammen aus der Zeit um 200 vor Christus. Die folgenden Kapitel beziehen sich auf drei historische Texte, die als zentrale Ursprungstexte des Yoga gelten.

Yoga Sutra

Das Yoga Sutra ist die wichtigste Grundlagenschrift im Yoga, insbesondere im sogenannten Raja Yoga, dem Königsweg des Yoga. Sie wurde von dem Autor Patanjali (oder einer Schule dieses Namens) irgendwann zwischen dem 5. Jahrhundert vor und dem 2. Jahrhundert nach Christus verfasst. Sie erläutert in 195 Aphorismen die ethische und moralische Grundordnung und gibt Erklärungen zur Psychologie des Menschen und zu Techniken, um den Geist zur Ruhe zu bringen.

Bhagavad Gita

Die Bhagavad Gita ist die Heilige Schrift im Hinduismus. Sie ist im 5. Jahrhundert vor Christus entstanden und in Versform verfasst worden. Gegenstand ist ein Gespräch des Kriegerfürsten Arjuna mit dem Gottmenschen Krishna am Vorabend einer Schlacht. Dabei geht es um die wichtigsten philosophischen Grundgedanken des Hinduismus: insbesondere um die Hingabe an ein höheres Ziel, um selbstlose Pflichterfüllung und die Notwendigkeit der Verhaftungslosigkeit bei der Erreichung von Zielen.

Hatha Yoga Pradipika

Die ebenfalls in Versform verfasste Hatha Yoga Pradipika gilt als eine der Yoga-Standardschriften. Im 14. Jahrhundert schuf der Autor Swami Svatmarama mit ihr einen ersten umfassenden Überblick über die Hatha-Yoga-Übungen und -Techniken für die Reinigung von Körper und Geist und die damit verbundenen Auswirkungen.

Die alten Yogis hatten vor allem eines im Sinn: das eigene Leben besser zu meistern. Und das geht nach ihrer Überzeugung nur, wenn die drei Elemente Körper, Seele und Geist in ein Gleichgewicht gebracht werden und wir uns zugehörig fühlen. Das Wort Yoga stammt aus dem Sanskrit und bedeutet sinngemäß »Einheit« oder »Vereinigung«. Dies impliziert auch die bewusste Überwindung von Trennungsgedanken. Aber nicht nur Körper, Geist und Seele bilden im Yoga eine Einheit, sondern auch die Menschen untereinander, indem sie im yogischen Weltbild miteinander verbunden sind. Man kann dies auch dahingehend übersetzen, dass wir nicht den Konflikt, sondern immer die Kooperation suchen sollen.

Der tiefere Sinn des Yoga besteht darin, sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren, anzunehmen, was ist, sich selbst zu entwickeln, mit sich im Reinen zu bleiben, um im Äußeren besser wirken zu können und seine Pflicht zu erfüllen. Dadurch wird der Erfolg nicht garantiert, allerdings werden die Handlungen authentisch und zielgerichtet. Echte Selbstwirksamkeit wird erfahrbar, das heißt, dass wir unsere Talente und Fähigkeiten wertstiftend für eine Sache oder Person(en) einbringen und diesen Beitrag bewusst erfahren. Um sich diese befreite Haltung zu bewahren, ist ein produktiver Umgang mit Erfolgen und Rückschlägen wichtig.

Yoga bringt Körper, Geist und Seele in ein Gleichgewicht. Es bietet eine effektive Orientierungshilfe, um unser berufliches Potenzial zu erkennen und zu entfalten. Mit anderen Worten: Wir haben mehr Energie im Körper, der Geist (oder besser: Verstand) arbeitet viel klarer und konzentrierter, und wir erfahren auf der Ebene der Seele viel besser, wer wir sind, was wir wollen und wohin wir streben.

Yoga-Philosophie im Alltag

Die Pflicht, zu der man geboren wurde, darf nicht aufgegeben werden. Jeder Mensch, der seine Pflicht erfüllt, erreicht Vollkommenheit. Besser ist die eigene Pflicht, sogar ohne Verdienst, als die richtig erfüllte Pflicht eines anderen.

Bhagavad Gita, XVIII. 45 f.