Rosemary Sutcliff

TRISTANS LIEBE

Aus dem Englischen von Bettine Braun

Verlag Freies Geistesleben

INHALT

Vorwort

Tristan kommt nach Cornwall

Der Morholt

Die Heilungsfahrt

Die Suche und der Drachenkampf

Die Prinzessin mit dem Schwalbenhaar

Eine Braut für König Marc

Das verborgene Tal

Der Zweig im Fluss

Der Mantel des Aussätzigen

Das Schwert und der Handschuh

Der Ring

Der Krieg in der Bretagne

Die Jagdgesellschaft

Iseults Lachen

Der Kranz und die Halme

Das schwarze Segel

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VORWORT

Für die meisten Menschen ist die Geschichte von Tristan nur ein Kapitel in einem Buch über König Artus und die Ritter der Tafelrunde. In Wirklichkeit haben wir es aber mit einer eigenständigen Erzählung zu tun, so alt wie die ältesten Sagen von König Artus und gleich ihnen viel älter als alle schriftlichen Fassungen, die uns erhalten sind. Erst im späten Mittelalter wurde sie in den Sagenkreis um König Artus eingefügt.

Die erste schriftliche Fassung, die wir kennen, stammt ungefähr aus dem Jahr 1150. Etwa zehn Jahre später wurde sie von einem Mann namens Thomas neu erzählt, und etwa weitere fünfzig Jahre später übernahm ein großer deutscher Dichter, Gottfried von Straßburg, die Geschichte von Thomas und berichtete sie mit seinen Worten. Seither wurde sie im Lauf der Jahrhunderte immer wieder erzählt. 1857 schuf Richard Wagner aus dem Stoff dieser Geschichte eines der ganz großen Werke der Opernliteratur.

In den frühesten Ursprüngen ist der Tristan-Stoff eine keltische Legende, eine Geschichte, gesponnen von Harfenspielern am Torffeuer in den hölzernen Hallen der Häuptlinge von Irland, Wales oder Cornwall, lange vor der Zeit der tapferen Ritter und edlen Frauen und turmbewehrten Burgen, in die sie meist versetzt wird. Die mittelalterlichen Troubadoure übernahmen sie und schmückten sie aus, kleideten sie in prächtige mittelalterliche Gewänder, aber bei genauerem Hinsehen kann man darunter immer noch die keltische Sage erkennen, wilder und dunkler und − trotz der Veränderungen − wirklicher. In dieser Nacherzählung habe ich versucht, so weit wie möglich auf das keltische Original zurückzugehen, und dabei habe ich eine wichtige Veränderung in der Geschichte vorgenommen.

In allen Versionen, die wir kennen, verlieben sich Tristan und Iseult ineinander, weil sie aus Versehen gemeinsam den Liebestrank trinken, der Iseult und König Marc für die Hochzeitsnacht zugedacht war. Nun stimmt die Geschichte von Tristan und Iseult im Grunde mit zwei anderen großen keltischen Liebesgeschichten, Diarmid und Grania und Deidre und die Söhne Usnas, überein, und in keiner von beiden ist von einem Liebestrank die Rede. Ich bin mir sicher, dass die mittelalterlichen Erzähler ihn als entschuldigende Begründung dafür hinzufügten, dass Tristan und Iseult einander liebten, während Iseult doch mit jemand anderem verheiratet werden sollte. In meinen Augen macht das aus etwas Wirklichem, Lebendigem, das aus ihnen selbst kommt, etwas Künstliches, das entstanden ist, weil sie unter der Wirkung von einer Art Zaubermittel standen.

Deshalb habe ich den Liebestrank ausgelassen.

Da alle, die die Sage in den letzten achthundert Jahren nacherzählt haben, dieses Motiv beibehielten, finde ich es wichtig, den Leser auf diese Veränderung hinzuweisen. Ich kann die Geschichte nur so erzählen, wie sie mir im Innersten richtig erscheint.

Rosemary Sutcliff

TRISTAN KOMMT NACH CORNWALL

Es war einst ein König von Cornwall, dessen Name war Marc; das bedeutet in der alten kornischen Sprache Pferd, weshalb man sich von ihm erzählte, er hätte Pferdeohren. Aber das war nicht so. Er war ein Mann wie andere auch, und er war ein besserer Krieger als sie.

Als er noch jung war und das goldene Gewicht der Krone auf seiner Stirn noch nicht gewohnt, war Krieg zwischen Cornwall und Irland, denn die Iren hatten die Küste von Cornwall, in ihren Schiffen vom Westmeer herkommend, immer wieder überfallen. Ein anderer König, Rivalin genannt, erhielt im Land Lothian Kunde von diesem Krieg. Es war hoher Sommer, und es schien Rivalin, dass es für seine Kämpfer an der Zeit sei, ihre Speere wieder in Blut zu tauchen. So rief er sie zusammen, ging mit seiner wilden Schar an Bord und umsegelte das in jenen Tagen fast ganz von König Artus Pendragon beherrschte Britannien, bis er in Cornwall landete.

Marc war erfreut über Rivalins Anerbieten, ihm zu helfen, und gemeinsam wandten sie sich gegen den Feind von jenseits des Meeres. Die Geschichte berichtet nicht, wie der Kampf ausging, doch er muss für Cornwall ein gutes Ende genommen haben, denn als er schließlich vorüber war, gab Marc dem König von Lothian seine schöne Schwester als Dank für die Speere, die er in den Kampf eingebracht hatte.

Da war Rivalin froh, denn er und die kornische Prinzessin hatten einander geliebt von dem Augenblick, in dem sie einander zum ersten Mal sahen: und er nahm sie freudig mit sich in sein Land.

Ein Jahr lang lebten sie glücklich miteinander, und ein Sohn wurde ihnen geboren. Doch an dem Tag, da das Kindlein in diese Welt kam, musste seine Mutter, die Königin, sie verlassen. Und die Glocken aller Kirchen von Lothian, die zu ihrer Hochzeit erklungen waren, läuteten nun zu ihrem Begräbnis.

Für Rivalin war es, als sei die Sonne vom Himmel verschwunden und die Welt rings um ihn kalt und grau geworden; und lange Zeit ertrug er es nicht einmal, seinen Sohn anzublicken. Er nannte ihn Tristan, das heißt Kummer. «Kummer über mein Herz», sagte er, «dass ich je nach Cornwall ging.» Und er gab ihn der alten Kinderfrau der Königin, die mit ihr aus ihrem Land gekommen war, und den Frauen am Hof, damit sie für ihn sorgten. Dann wandte er sich wieder der Herrschaft über sein Königreich zu.

Sieben Jahre vergingen, da nahm Rivalin seinen Sohn aus der Obhut der Frauen und gab ihn einem jungen Mann mit Namen Gorvenal, damit er ihn lehre, was der Sohn eines Königs lernen muss. Und Gorvenal, der ihn sogleich liebte wie einen jüngeren Bruder, lehrte ihn reiten und mit Falken und Hunden jagen, Schwert und Lanze führen, laufen und ringen und springen. Und von vielen anderen Meistern lernte der Knabe andere und seltenere Fertigkeiten, über die ein Held verfügen muss.

Er lernte das Kunststück mit den Äpfeln und das mit der Klinge, das Kunststück mit dem Pfeil und das mit dem Seil, das Radkunststück und das Kunststück mit dem flach gehaltenen Schild. Er lernte das Katzenkunststück und den kecken Lachssprung, das Behändigkeitskunststück und das mit dem langen Atem, den Heldenschrei und vieles mehr.

Und von niemandem, allein aus seinem tiefsten Inneren lernte er, die Harfe zu spielen, so als spiele er nicht auf den Saiten aus feiner weißer Bronze, sondern auf den Herzenssaiten seiner Zuhörer. Und als er zwölf Jahre alt war, gab es keinen Vogel in ganz Lothian, dessen Lied er nicht hätte nachahmen können, so vollkommen, dass jeder Vogel, den er rief, ihm antwortete.

In einer Winternacht, als Tristan sechzehn Jahre alt war, saßen er und Gorvenal beim glimmenden Torffeuer in Gorvenals Halle: Der Knabe zupfte gedankenverloren die Saiten seiner Harfe, der Mann arbeitete an einer neuen Haube aus Leder, gewachstem Zwirn und blaugrünen Reiherfedern, denn er war der Ansicht, dass jeder Mann sein eigener Falkner sein müsse und nicht nur die Vögel fliegen lassen sollte, die andere abgerichtet hatten.

Nach einer Weile legte Tristan seine Harfe beiseite und sah ins Feuer, das Kinn in die Hände gestützt, das Gesicht halb verdeckt von seinem dunklen, glatten Haar.

«Was siehst du im Feuer?», fragte Gorvenal.

«Ich habe ferne Länder gesehen», sagte Tristan.

Da wusste Gorvenal, dass die Zeit gekommen war, das zu sagen, was seine Gedanken schon eine Zeit lang beschäftigt hatte.

«Tristan, auch ich habe an ferne Länder gedacht. Du hast hier in Lothian alles gelernt, was wir dich lehren können. Es gibt keinen, der schneller laufen oder springen könnte als du, keinen, der das Schwert besser führt, keinen, der die Saiten der Harfe zum Leben erwecken kann wie du. Doch es wäre ein allzu leicht erworbener Ruhm für einen Prinzen, der Erste unter den Untergebenen seines Vaters zu sein.»

Tristan sah rasch vom Feuer auf, runzelte die Stirn und warf sein dunkles Haar zurück. «Ich will keinen leicht erworbenen Ruhm.»

«Das weiß ich, denn ich kenne dich. Nun, dann geh morgen zu deinem Vater, dem König, und bitte ihn um ein Schiff und seine Erlaubnis zur Reise, damit du andere Länder sehen und ihre Sitten kennenlernen kannst.»

Da ging Tristan am Tag darauf zu seinem Vater. «Sir, nun da ich sechzehn Jahre alt und ein erwachsener Mann bin, ist es Zeit, dass ich etwas von der Welt jenseits der Grenzen von Lothian kennenlerne. Ich möchte ferne Orte sehen und die Sitten anderer Länder erlernen und mich messen mit Männern, die nicht Eure Untertanen sind.»

Der König hörte dies gern und versprach Tristan das Schiff, um das er bat, damit er in See stechen könne, sobald die Winterstürme vorüber waren. «Und wohin willst du zuerst?», fragte er. «Du magst gehen, wohin du willst, doch ich bin ein einsamer Mann, und du bist der einzige Sohn, den ich habe, so wüsste ich gern, in welchem Land ich mir dich denken soll.»

Tristan antwortete einen tiefen Atemzug lang nicht; dann sagte er: «Mein Herz sehnt sich seit Langem danach, das Land meiner Mutter zu besuchen. Meine alte Kinderfrau, die mit ihr herkam, erzählte mir, als ich klein war, lange Geschichten über Land und Leute und das Meer, das vom Ende der Welt her an seine Küsten rollt. Mit Eurer Erlaubnis will ich zuerst nach Cornwall ziehen.»

«Cornwall hat mir viel Freude und viel Kummer gebracht», sagte sein Vater. «Vielleicht wird es dir dasselbe bringen. Es ist ein Land, dem kein anderes gleicht.»

Und Tristan sagte: «Wenn es so ist, will ich den Kummer als gerechtes Entgelt für die Freude nehmen, mein Vater.»

Und so wurde ein Schiff reisefertig gemacht und ausgerüstet; und als nach den Winterstürmen die Winde günstig waren, begab sich Tristan mit Gorvenal und einer kleinen Schar junger abenteuerlustiger Gefährten auf die Reise entlang der Küste. Sie landeten an der Südküste von Cornwall und kauften Pferde, denn sie waren reichlich mit Gold versehen, und ritten nordwärts zu der königlichen Festung Tintagel.

«Wenn wir nach Tintagel kommen, so soll keiner von uns sagen, wer wir sind, denn ich will mir in der Welt jenseits von Lothian einen eigenen Namen machen und nicht nur geehrt werden, weil der König von Lothian mein Vater ist, und auch ganz gewiss nicht, weil ich der Schwestersohn des Königs dieses Landes bin.» Sie begriffen, was er meinte, denn sie waren selbst jung und stolz und heißblütig, und so willigten sie ein; Gorvenal aber, der älter war, sah, dass es klug gedacht war, und auch er willigte ein.

So ritten sie immer nordwärts, durch Flusstäler und kahle Moore, bis sie schließlich am Abend des dritten Tages Seeluft spürten und aus dem alten dunklen Eichenwald ins Freie kamen und vor sich die große, aus Torf und Holzbalken gebaute Festung hoch auf der Landzunge sahen mit ihren vielen langen, strohgedeckten Hallen und Ställen, die dichtgedrängt zwischen geschützten Obstgärten landeinwärts standen, in den Rauch der abendlichen Herdfeuer gehüllt; und dahinter nur das weite, glänzende Meer mit seinen großen Wellen, die vom Ende der Welt daherrollten, durchwoben vom Gold des Sonnenuntergangs.

Die Fackeln wurden schon angezündet, als sie an die wehrhaften Tore von Tintagel kamen, und die Wächter gewährten ihnen freien Zutritt, denn hier wurde nie einem Fremden Speise und Obdach verwehrt. Und beim Schein der Fackeln und des Feuers standen sie endlich vor König Marc in der großen Halle, in der er sich mit seinem Hofe schon zum Nachtmahl versammelte.

Und Tristan sah einen großen Mann vor sich, mit grauen Augen und grauen Strähnen im dunklen Haar, mit einer großen, gebogenen Nase und einem eisernen Mund, und er dachte, das ist einer, der lieben wie hassen kann, und wenn er hasst, dann gnade Gott dem Mann, den sein Hass trifft.

Und König Marc sah einen Jüngling vor sich, mit grauen Augen und glattem Haar, so schwarz wie die Flügel einer Dohle, und dachte, das ist das Gesicht eines Kämpfers und eines Liebenden, und wo immer er weilt, wird Kampf und Liebe sein. Und ihre Herzen erwärmten sich füreinander, obwohl Marc nicht wusste, dass sie verwandt waren.

Der König hieß sie willkommen, winkte einen kleinen, stämmigen Mann herbei, der die goldene Kette des Seneschalls trug, und befahl ihm, sie in den Raum für die Gäste zu bringen und dafür zu sorgen, dass sie zu essen bekämen und mit aller Achtung behandelt würden.

Aber Tristan schüttelte den Kopf und sagte rasch: «Herr König, wir danken Euch für Eure Aufnahme, doch sind wir nicht als Gäste gekommen; wir bringen Euch unsere Lanzen, um in Euren Dienst zu treten, wenn es Euch genehm ist, und wir wollen mit Euren Kriegern zu Tisch sitzen und nachts bei Euren Kriegern schlafen.» Der König schwieg einen Augenblick, die Hände auf den geschnitzten Hengstköpfen seiner Sesselpfosten, und ließ seinen Blick wieder über die jungen Männer schweifen, die vor ihm standen. Dann sprach er: «Sehr gerne nehme ich Euren Waffendienst an. Aber wenn ein Gast auch kommen und gehen kann, ohne dass man ihn nach seinem Namen fragt, so muss ich doch Namen und Herkunft jener wissen, die mit meinen Kriegern zu Tisch sitzen und des Nachts schlafen, wo sie schlafen.»

«Wir sind alle Söhne von Kaufleuten fern vom anderen Ende Britanniens, die es nicht verlangt, das Gewerbe ihrer Väter weiter zu treiben, und die deshalb ausgezogen sind, um Waffendienst zu leisten», sagte Tristan. «Ich heiße Tristan, und das ist Gorvenal, der Haushofmeister meines Vaters, der wie wir wenig Freude am Handeln hat. Und dies ist Caerdin, und dies Gahault …»

Und so stellte er sie alle mit ihren richtigen Namen dem König vor und tat ihm doch nicht kund, wer sie waren. Dann gingen sie und ließen sich bei den Kriegern des Königs nieder, und Holzteller mit Gerstenkuchen und riesige Braten von Wildschwein und Hirsch wurden aufgetragen.

DER MORHOLT

Mehr als zwei Jahre waren Tristan und seine Gefährten unter den Kriegern des Königs Marc; und wie es in Lothian gewesen war, so war es in Cornwall: Keiner der Männer konnte besser laufen und springen als Tristan oder geschickter als er die Spur der Hirschkuh verfolgen, keiner vermochte ihn im Schwertkampf zu besiegen. Der Harfenspieler von König Marc brachte keine lieblicheren Töne hervor; und er überwältigte jeden Mann im Königreich beim Ringkampf, wo doch die Ringkämpfer aus Cornwall berühmt sind bis auf den heutigen Tag. Manche am Hofe hegten Eifersucht gegen ihn; doch eigentlich waren er und seine Gefährten wohl gelitten, und König Marc war froh über den Tag, der sie an seine Tore gebracht hatte.

Doch dann kam schwere Sorge über das Land, und das geschah so.

Der Krieg mit Irland, der Tristans Vater einst aus Lothian hergerufen hatte, war ein paar Jahre darauf wieder aufgeflammt. Man hatte schließlich wieder notdürftig Frieden geschlossen, doch nur unter der Bedingung, dass Cornwall einen jährlichen Tribut von Getreide, Vieh und Sklaven an Irland zahlen sollte. Cornwall hatte ein oder zwei Jahre lang den Tribut gezahlt, dann hatten beide Seiten die Sache fallen gelassen. Doch nicht lange, bevor Tristan nach Cornwall gekommen war, um sein Glück zu machen, war in Irland ein mächtiger Kämpe aufgetaucht, baumlang und grimmig, mit der Kraft von vier Männern; und er heiratete die Schwester des Königs von Irland. Mit der Kraft seines riesigen Schwertes, das beim Schmieden mit einem Gebräu aus giftigen Blättern gehärtet worden war, hatte er für Irland viele Inseln und ihre Bewohner erobert. Und der Tag kam, an dem er eine Flotte von Schiffen ausrüstete und sich aufmachte, nach Cornwall zu segeln. Er hatte Boten vorausgeschickt, den König von seiner Ankunft zu unterrichten und davon, dass es an der Zeit sei, den Tribut zu bezahlen, der fünfzehn Jahre ausgeblieben war. Und er ließ verkünden, dass der Tribut, weil er so lange ausstand, nicht in Getreide oder Vieh gezahlt werden könne, sondern nur in Sklaven; je eines von drei Kindern, die in all den Jahren in Cornwall geboren worden waren. Wollten sie nicht bezahlen, so sollten sie sich in einer Schlacht verteidigen, so gut sie es vermochten, es sei denn, sie fanden einen Kämpen, der tapfer genug wäre, für sie alle einzutreten und sich im Zweikampf mit ihm, dem Morholt, zu messen; einen Kämpen, stark und geschickt genug, ihn zu besiegen.

Als König Marc die furchtbare Botschaft erhielt, berief er seine Edelleute und seine tapfersten Krieger nach Tintagel und sagte ihnen, welche Wahl sie zu treffen hatten: eines von dreien ihrer Kinder als Sklaven herzugeben oder der irischen Macht im Kampf entgegenzutreten. An einen einzelnen Kämpen brauchte man gar nicht erst zu denken, denn welcher Mann, auch wenn er noch so tapfer war, würde sich mit dem Morholt messen, der die Kraft von vieren in sich hatte? Denn wenn es ihm nicht gelang, ihn zu besiegen, und es konnte ihm nie gelingen, so hätte er sein Leben sinnlos weggeworfen.

Da hob eine Unruhe an im ganzen Land wie vom Surren eines Bienenschwarms, und die Krieger rüsteten sich für den Kampf, denn sie wollten ihre Kinder nicht als Sklaven ausliefern. Doch in Wahrheit machten sie sich wenig Hoffnung auf einen Sieg, denn Irland war sehr stark geworden unter der Führung des Morholt, für den viele Menschen aus unterworfenen Stämmen kämpften und arbeiteten; und obwohl die Männer ihre Waffen schärften, weinten die Frauen und begannen Plätze zu suchen, an denen sie ihre Kinder verbergen konnten …

Da ging Tristan zum Seneschall seines Herrn, Dynas von Lidan, der sein guter Freund war seit jenem ersten Abend in Tintagel, an dem der König ihm geboten hatte, sich der Fremden anzunehmen.

«Besser als uns für den Krieg zu rüsten wäre es, dem Morholt seinen Kämpen zu schicken», sagte Tristan.

«Wohl wäre es besser − wenn wir solch einen Kämpen hätten.»

«Ich werde als Kämpe für Cornwall eintreten − wenn ihr mich haben wollt.»

«Ihr?», sagte Dynas. «Aber ihr seid ja noch ein Jüngling! Der Morholt würde Euch lebendig verschlingen!»

«Das glaube ich nicht. Ich habe meine Geschicklichkeit bis jetzt noch nicht unter Beweis gestellt.»

«Tristan, wirf dein Leben nicht weg: Die Sache geht Cornwall an, nicht dich.»

«Nicht mich?», fragte Tristan. «Geh dennoch zum König und nimm ihm das Versprechen ab, dass er keinen, der sich zum Kampf bereit erklärt, zurückweist, wie befremdend es ihm auch vorkommen mag.»

Da ging Dynas von Lidan schließlich zum König und nahm ihm das Versprechen ab. Und als das geschehen war, trat Tristan zur Zeit des Nachtmahls in der großen Halle vor den König und bot sich unter den Blicken aller Krieger als der Kämpfer von Cornwall an.

«Du!», sagte der König. «Aber du bist ja noch ein Knabe! Deine Bitte zu erfüllen hieße, dich dein Leben wegwerfen zu lassen!»

«Ich bitte nicht», sagte Tristan, «ich fordere, dass der König von Cornwall Wort hält!»

So wurde dem Morholt schließlich die Nachricht gesandt, dass Cornwall einen Kämpen beibringe, der sich mit ihm im Zweikampf messen wolle. Der Morholt ließ melden, dass er nur einen Kämpen annehmen werde, der ihm gleichkäme an Rang.

Da ließ König Marc Tristan zu sich kommen, ihm dies zu sagen, und halb trauerte sein Herz, dass Cornwall seinen Kämpen verloren hatte, halb freute es sich, dass der junge Krieger, den er lieb gewonnen hatte, nun sein Leben nicht fortwerfen konnte.

Doch als er gesprochen hatte, sagte Tristan: «Der Morholt ist der Gemahl der Schwester des Königs von Irland und steht wahrhaftig hoch; doch steht der Sohn des Königs von Lothian und der Prinzessin von Cornwall nicht höher?»

König Marc fuhr auf und sah ihn erstaunt an, denn er konnte noch nicht fassen, was er gehört hatte. Tristan aber fügte hinzu: «Als ich mit meinen Gefährten an Euren Hof kam, sagte ich Euch, wir wären alle Söhne von Kaufleuten, denn ich wollte mir selbst Ruhm in diesem Land erwerben und Eure Gunst erringen, weil ich sie verdiene, nicht weil Ihr Eure Schwester, meine Mutter, liebt und nicht, weil mein Vater Euer Freund war.»

König Marc schwieg lange, dann erwiderte er: «Was du mir sagst, macht es für mich noch bitterer, dich in den Tod gehen zu lassen. Doch du hast das Recht, als Kämpe von Cornwall aufzutreten, und ich kann es dir nicht verweigern.»

Da schickte er dem Morholt die Antwort, dass ein Kämpe aus dem Königshause von Cornwall sich ihm in drei Tagen auf einer bestimmten Insel nahe der kornischen Küste zum Kampf stellen werde. Doch sein Herz lag wie ein Stein in seiner Brust, denn er war gewiss, dass Tristan sterben müsse.

Am Abend vor dem vereinbarten Tag kam der König mit Tristan und seinen ersten Kriegern und Beratern in der Dämmerung an die Küste gegenüber der Insel und richtete dort das Lager für die Nacht. Fern im Meer konnten sie die Lichtzungen in den finsteren Feuerkesseln auf den Hecks der irischen Schiffe ausmachen. Und im Morgengrauen erhoben sie sich und brachen zusammen das Brot; und König Marc selbst diente Tristan, als wäre er sein Waffenträger, und legte ihm sein eigenes fein gearbeitetes graues Kettenhemd mit den Plättchen aus glänzender Bronze an und gab ihm ein neues Schwert, das noch nie blutig geworden war, und einen Schild, bemalt mit einem großen, schwarzen Eber, und einen Rotschimmel, dessen Sattel aus feinstem vergoldeten Leder war.

Dann führte Tristan das Pferd in das Flachboot, das auf ihn wartete, und ruderte selbst über den schmalen Streifen der Untiefen hinüber zur Insel.

Der Morholt war schon dort und hatte sein Boot festgemacht, wo dunkle Felsen und Haselsträucher das Ufer säumten. Doch als Tristan gelandet war und sein Pferd an den Strand geführt hatte, stieß er sein Boot fort und überließ es dem Wasser.

Der Morholt stand da, hielt seinen Rappen am Zügel und sagte, als er näher kam: «Wie seltsam, dass Ihr das Boot wieder fortgestoßen habt, nachdem Ihr gelandet seid.»